Uli muß in den Knast - Franziska König - E-Book

Uli muß in den Knast E-Book

Franziska König

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Beschreibung

Eine Dame in meiner Sichtlinie entfaltete die BILD-Zeitung: Links oben Uli Hoeneß, der auf Art einer Galapagos-Schildkröte, die müde aus ihrem Panzer herausblickt, den Kopf aus dem gestärkten Hemdkragen in die Höhe reckt. ´Jetzt geht´s ab in den Knast!´ so las man.

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Aus dem Leben einer Familie

Meiner lieben Großtante Irma zugeeignet

Franziska König studierte an den Musikhochschulen in Wien und Trossingen Violine bei ihrem Vater, Prof. Wolfram König, einem grandiosen Pädagogen mit magischer Sogwirkung auf Frauen, der es auf dem Gebiet der Violinpädagogik wie kein Zweiter verstand, aus Stroh Gold zu spinnen.

Heute lebt Franziska, auch Kika genannt, in Grebenstein, einer Kleinstadt in Nordhessen, und führt dort das Leben ihrer jüngst verstorbenen Oma Ella fort, von der sie das morbide Interesse an Kriminalfällen geerbt zu haben scheint? Auch den ausdünnenden Freundeskreis von Oma Ella hat sie übernommen: Mehrere ältere Leute zwischen 71 und 93 Jahren, die z.T. nur noch mit Spinnweben ans irdische Leben befestigt sind.

Die wichtigsten Vorkömmlinge vorweg:

Rehlein: Meine Mutter

Buz: Mein Vater

Ming: Mein Bruder

Julchen: Meine Schwägerin

Yara (Pröppilein): Meine kleine Nichte, 1 Jahr alt

Den Rest findet man im Personenverzeichnis

Zum Hintergrund der Geschehnisse empfiehlt sich ein Blick auf diesen Link:

https://www.werner-bonhoff-stiftung.de/familiekoenig-vs.-ostfriesischelandschaft.html?atrGrp=ratings&atrId=413&rating=80

Oder aber - familie könig vs werner bonhoff – ( in die Suchmaschine eingeben)

März 2014

Inhaltsverzeichnis

Samstag, 1. März Aurich /Ostfriesland

Sonntag, 2. März

Montag, 3. März

Dienstag, 4. März

Mittwoch, 5. März

Donnerstag 6. März

Freitag, 7. März

Samstag 8. März Aurich - Grebenstein

Sonntag, 9. März

Montag 10. März Grebenstein - Simmozheim

Dienstag, 11. März

Mittwoch 12. März

Donnerstag 13. März Simmozheim – Heumaden

Freitag, 14. März Heumaden – Stuttgart

Samstag, 15. März Stuttgart - Rottweil

Sonntag, 16. März Rottweil - Stuttgart

Montag, 17. März Stuttgart - Grebenstein

Dienstag, 18. März Grebenstein

Mittwoch, 19. März Grebenstein - Aurich

Donnerstag, 20. März Aurich (Buzens Zimmer)

Freitag, 21. März

Samstag, 22. März

Sonntag, 23. März

Montag, 24. März

Dienstag, 25. März

Mittwoch, 26. März

Donnerstag, 27. März

Freitag, 28. März

Samstag, 29. März

Sonntag, 30. März

Montag, 31. März

Personenverzeichnis

Samstag, 1. März Aurich /Ostfriesland

Grau und windig

Der eingespannte Ming zwängte sich in seine schwarze Joppe, um mit dem babbelnden Pröppilein den Bioladen aufzusuchen. Leider wird Ming z.Zt. sehr vom Schicksalswinde bepustet, so daß ihm etwas Windverblasenes anhaftet.

„Was denn??“ frug er ganz ungeduldig, als ich in einer beiläufigen Formulierung kurz innehielt, so als lahme die Zeit um mich herum.

Mings Haben schmilzt. Der Trichter, durch den die letzten Silberbrösel hindurchrinnen, zeigt sich in Form einer sanft schwebenden Sanduhr auf dem Lebenswege. Ob ich noch ein bißchen Geld hätte? Auf der Anrichte lagen noch immer die 7 € vom Julchen, die ich gestern beim Kaffeekauf nicht in Anspruch genommen hatte.

Ich reichte Ming mein schwarzes Börsl, und Ming durfte sich 20 € nehmen.

„Die kriegst du wieder!“ versprach er, doch ich wunk großmütig ab.

Ich regte mich über eine Dame mit Namen „Erika Baden“ aus Hannover auf, die vor zwei Tagen nach meinen Honorarvorstellungen gefragt hatte. Daraufhin hatte ich einen bescheidenen Vorschlag gemacht, nannte eine milde Summe an der Grenze dessen, wo man sich noch als ernstzunehmender Musikant fühlen darf, und polsterte diesen Vorschlag im Sinne Rehleins, und damit der Brief nicht gar zu dürrzeilig und knapp klänge, mit ein wenig Hintergrundwissen aus, nach dem zwar nicht gefragt worden war, das jedoch von einigem Interesse schien:

Herr Heinrich aus Bad Hersfeld zahle mittlerweile nur noch 50 € pro Konzert, da Dieter Wedel, der die kleine Stadt wie ein böser Drache besetzt hält, jeden einzelnen Cent, der für die Kultur zu erübrigen ist, ganz allein für sich beansprucht.

Will Herr Heinrich sein in Jahrzehnten so liebevoll gepflegtes Festival im Dunstbanne des bösen Drachen aufrecht erhalten, so müssen seine Musikanten den Gürtel enger schnallen. Der Heinrichsche Lohn jedoch sei mir ein wenig mager, ließ ich wissen.

Ich hatte so schön dichterisch und ausufernd geschrieben, und Erika Baden schrieb dümmlich zugeknöpft zurück: „..ist für uns nicht finanzierbar. Wir sind an einem Auftreten nicht interessiert.“

Irgendwie nahm es mir den ganzen Mut, auf dieser Welt noch mitzumischen.

Bald kehrten Ming und Pröppi mit der warmen Brötchentüte zurück.

Das Pröppilein möchte jedoch vor dem Frühstück erst schunkeln, greift nach einem meiner zitzenartig herabbaumelnden Finger, und zieht mich in die Schunkelkammer hinweg, sprich das hintere Kabüffchen, in welchem der PC steht.

Dort sitzt es dann auf meinem Schoß, und wir schauen uns die kleinen Filmchen an, die wir schon gewöhnt sind.

Bei unsrem ewigen Hit „Günther gesteh´“, einem Song den man liebgewonnen hat, mußte ich ja lachen: Ich lachte über die ganz normal ausschauenden Leute - unter ihnen ein Herr mit Zwicker und einem kleinen Oberlippenbärtchen die bei diesem doch ernsten Thema, das uns alle betrifft, infantil und rhythmisch in die Hände patschen.

Es hieß, wir dürften jetzt noch fünf Minuten lang frühstücken, und dann müsse der Tisch für die Frühstücksversammlung gedeckt werden.

Oh je! Um 11 Uhr wollte doch Frau Linke in die Bratschenstunde kommen, und absagen konnte man nun nicht mehr, denn Frau Linke war ja bereits auf den Straßen unterwegs.

Wir hielten somit ein streng zeitbestutztes „Frühstück im Frühstück“ ab.

Omi Birgit hatte zwei pralle Kannen Kaffee für die „Freunde des Musikalischen Sommers e.V.“ vorbereitet, die auch alsbald zusammenströmten, so daß unsere Wohnung immer voller wurde, und sich in die resultierende Platznot nun die Frage hineinzwängte, ob sich für Frau Linke und mich als Bratschenunterrichtsgespann wohl noch ein ruhiges Eck finden ließe?

Frau Linke verspätete sich leicht, so daß man die diesbezügliche Ratlosigkeit noch ein wenig ausdehnen konnte, doch schließlich stellten wir uns im Ashram neben dem Televisor auf, und während im Nebenzimmer viel gelacht wurde, mußte ich meine Sinne auf das erbärmliche Bratschenspiel von Frau Linke richten.

Hinter der Glastüre sah ich liebgewordene Gäste wie beispielsweise den Christoph-Otto blitzen. Ich behauchte das Glas, und malte ein kleines Herz hinein, und dann wandte ich mich wieder meiner betagten Schülerin zu.

Der Unterricht an Haydns Kaiserquartett war wie alle Tage mühsam, und im Fokus stand doch die Quartettprobe nächste Woche, die es galt, einigermaßen anständig zu wuppen.

Um den Stier pädagogisch wenigstens ein bißchen an den Hörnern zu packen, schlug ich vor, eine kleine musikalische Wegstrecke von A nach B auf biegen und brechen irgendwie hinzubekommen, so daß man wenigstens gemeinsam im Ziel einträfe?

Doch meint ihr, dies wäre zu realisieren gewesen?

Über eine kleine Sechzehntelkette – bestehend aus dem gleichen Ton - die sie in blinder Panik einfach so dahingesudelt hatte, sagte Frau Linke mit plattdeutschem Einschlag: „War das nun richtig mit der Anzahl?“

Auf dem kleinen blauen Öfchen lag ein 50 €-Schein für mich bereit, und dann stellte ich mir vor, wie´s wohl wäre, wenn der nachher verschwunden sei? Einer der Gäste hätte ihn geraubt. Frägt sich nur welcher?

In der nächsten Versammlung wäre man dann gezwungen, Wasser in das Feuer der Freude über das gesellige Beisammensein zu schütten:

„Leider befindet sich unter uns ein Dieb!“

Dies alles malte ich mir lustvoll aus, während sich Frau Linke mit dem Sechzehntelgestrüpp abmühte.

Direkt im Anschluß an den Unterricht wurde ich zu „Bio Baier“ entsandt, da der Laden ab Morgen bis zur Wiedereröffnung am 6. März schließt, und für das Pröppilein die feinste Biokost doch wohl eben richtig scheint.

Der Raum war auch schon ziemlich kahl geräumt, und in der Marmeladenecke lernte ich den Vater von Herrn Baier kennen, der gekommen war, um etwas Geld in den Laden des Herrn Sohn zu buttern.

Ich quälte mich mit dem letzten Satz der Mendelssohn-Sonate, für den der Verlag einfach ♪=170 fordert, doch bereits bei 150 klang es rasendst!

Ming & Julchen in der Küche schienen Probleme zu haben, und der entgeisterte Ming fühlte sich einem unverdienten Vorwurfshagel ausgesetzt.

Ich griff das Pröppilein, das wie ein kleines Äffchen an Mamis Hals hing, an die baren Füßlein, und das Julchen lächelte freundlich, und wechselte das Thema, das ihr offenbar zu privat für meine allzu interessiert gespitzten Ohren schien.

Nachmittags pflege ich mir eine kleine Auszeit zu nehmen – mich dabei fühlend wie ein junges Dienstmädchen, dem von rechtswegen pro Tag eine Vertrödelungsstunde zusteht. Ich verlasse das Haus und begebe mich zur „Tante Olli“, einer Tankstelle am Wegesrand, wo ich mich immer sehr wohlfühle, zumal man dort kostenlos die Ostfriesischen Nachrichten und die BILD-Zeitung lesen darf.

Man läuft am Combi-Markt vorbei, und aus dem Portal quellen lauter interessante Gestalten heraus, die der Dichter an liebsten den ganzen Tag beobachten und charakterisieren würde: Mitglieder im Kirchenvorstand, brave Arbeitnehmer, Arbeitslose, Mitbürger mit Migrationshintergrund, Senioren, Muslime, Mitglieder dubioser Burschenschaften, Familienväter in Elternzeit, zwielichte Gestalten, die ein geheimes Doppelleben führen…

In der „Tante Olli“ saß zunächst ein konzertpianistenartiger Typ mit halblangem Haar und absorbiert sensiblem Wesen, und aus der Toilettentüre trat alsbald seine verknitterte Lebenspartnerin hinzu: Eine Frau vom Typus des „reifen österreichischen „Ski-Haserls“, die allerdings während der gesamten Mahlzeit nur mit dem Smartphon kommunizierte.

Meine Lektüre über die „Hauptstadt des Todes – Huntsville in Texas“ bannte mich noch immer. Im heutigen Kapitel ging es um ein paar Damen aus der Schweiz, die von unbestimmten Sehnsüchten beweht, mit den Todeskandidaten Brieffreundschaften pflegen…ein entlegenes, so doch beflügelndes Hobby, denn die Gedanken werden beim Briefeschreiben in die Ferne getragen, und lassen sich in einem Gemäuer nieder, das man lebend nur noch zu seiner allerletzten Reise verlassen darf….

Auf dem Heimweg spielte ich Lotto. Hierzu reihte ich mich in eine Schlange mit mehreren hoffnungsfreudigen, oder vielleicht auch resignierten Lottospielern ein.

Ein Herr hatte seinen grenzdebilen Bruder im Schlepptau, der einen leeren Einkaufswagen schieben durfte, und sich auf infantile Weise daran ergötzte.

Daheim war Ming wegen seinem Meineidverfahren* sehr in Aufruhr.

*Ich schreibe einfach „Meineidverfahren“ weil sich dies auf dem Papiere interessanter ausnimmt, und dabei handelte es sich lediglich um ein an den Haaren herbeigezogenes Verfahren wegen „uneidlicher Falschaussage“, das sich die „Landschaft“ in ihrem erbärmlichen Kleingeist hohnlachend und händereibnerisch zusammengeschustert hatte, um den künstlerischen Ming zu vernichten und aus dem Wege zu räumen.

Man hörte Mings poltrige Stimme mit der er offenbar telefonierte, im ganzen Hause, und ich spielte ein bißchen mit dem Pröppilein, schunkelte es, und bebusselte die zarten Wangen des lockigen Kleinkindes.

Wieder spürte ich es überdeutlich, wie mir die Abende lang werden, und mir die Decke auf den Kopf fällt. Doch für die gemütlichen Abende im „Dolce Vita“ mangelt es so allmählich am Gelde, und die Rechnung der „Landschaft“, uns auszuhungern, fängt an aufzugehen.

Ming war schon den ganzen Abend sehr aufgebracht und aufgeheizt, und nun bedeutete er mir, daß man leiser sein müsse, und als die Tür nur ein bißchen gescheppert hat, trat Ming gleich in den Türrahmen, um mir diese Verfehlung auf rothfußsch*e Art erbost unter die Nase zu reiben.

*Familie der mütterlichen Seite

„Dein Gepolter hört man viel besser. Das hört man im ganzen Haus“, sagte ich schlicht und wertungsfrei, und ging nicht groß auf den Tadelhagel ein.

Nach einer Weile käbbelten sich Julchen und Ming. Das Julchen tat´s mit leisem Augenzwinkern, doch Ming, der sich ja mit dem Bernhard auf ein Bier verabredet hatte, wirkte ganz begossen davon.

Es ging darum, daß das Julchen immer alleine essen müsse, und daß es ihr in der Nacht so schlecht ging, als Ming ihr die plärrende Kleine brachte, statt das Kind mit einem lustigen Kindervideo abzulenken.

„Ich hab gemeint….“

„Siehst du: Ich, ich, ich!!!“ sagte das Julchen.

Dann entschwand der begossene Ming in die

Nacht, und kehrte erst zu später Stund´ wieder zurück.

In der „Stadtperle“, einem schicken Lokal, wo man die Sorgen zumindest kurzzeitig abstreifen kann, hatte Ming sich so sehr gefreut, die goldige Sarah, ein junges Engelchen, das uns im Sommer bei unserem Festival geholfen hatte, als Bedienerin wiedergetroffen zu haben, und nun gab er ihre lieben Grüße auf die gefühlvolle Art Buzens ganz gerührt weiter.

Über den Bernhard allerdings hatte Ming sich erzürnt: Er unterstütze die „Gezeitenkonzerte“, und verbreitet die landschaftliche Falschaussage, wir hätten doch alles ins Rollen gebracht! Und über unseren „Musikalischen Sommer“, das Original, sagte er einfach: „…habt ihr gut mitgehalten!“

Das Julchen war angewidert hiervon, und immer mehr fühlt man sich von der reinen Blödheit in die Ecke gedrängt.

Sonntag, 2. März

Klar & grau. Relativ kühl. Doch mir gefiel´s

Das Pröppilein babbelte so süß! Es babbelte ununterbrochen, und einmal setzte sich Ming ans Klavier um ein wenig Beethoven zu spielen.

Wie ein Bulldozer rast das Konzert bei der Hannelore auf mich zu. Die unbarmherzig dahinschreitende Zeit hat die schützende Monatsbarriere hinweggebröckelt, und in meinem Bestreben, alles auswendig zu spielen, wartet noch einiges an Arbeit auf mich.

Nach einer Weile übte ich für die Eröffnungsfeier bei Bio Baier ein Duo von Dozzauer für Violine und Cello, das der Christoph-Otto ausgesucht, und über das er so nett geschrieben hatte, dies sei doch wohl ein wirklich lustiges Werk?

Ich hatte bemerkt, daß alles, was ich von meinem Läptop aus verschicke, (beispielsweise die Werbematerialien an die Zeitungen) nur ganz verschlüsselt in Form eines gänzlich unverständlichen Buchstabensalats ankommt.

Und nun hatte ich wieder ausgelost, zwei Zeitungen aus dem Landkreis Waldshut zu bemailen, doch mein Läptop der Marke „Hollywood“ kostete mich Zeit. Mindestens fünfmal mußte ich den Stick wieder deinstallieren, und den Computer neu starten, da nun direkt nach der PIN-Eingabe das kleine Pin-Eingabe-Quadrat wie selbstverständlich erneut erschien, und mich auf´s Aufdringlichste aufforderte meine Pin einzugeben, die ich doch soeben gewissenhaft eingegeben hatte! Erinnernd an einen schamlosen Menschen, der einen €uro fordert, selbigen in der Hosentasche verschwinden lässt, und seine fordernd geöffnete Hand unmittelbar danach erneut emporschnellen läßt, um bebend vor Gier und Ungeduld den nächsten €uro zu fordern.

Ming hatte dem Pröppilein erlaubt, am Fuße der Treppe mit den Schuhen zu spielen, doch wenn es hinauf wolle, so müsse es erst den Papa fragen, und daran hielt sich die Kleine rührenderweise.

Hinzu hatte der süße Ming nach Art vom Opa, als Rehlein noch ein Kleinkind war, auf einem weißen Blatt alles notiert, was das Pröppilein heute gesagt hat: Nämlich gaaanz viel! „Mama“ „meine Mama“ und „bitte“.

Ständig befrage ich Ming interessiert nach dem gestrigen Herrenabend mit dem Bernhard, und tatsächlich fiel Ming noch etwas ein, was der Bernhard gesagt habe: Ein Herr, dessen Name ihm entfallen sei, hätte einfach gesagt: „Die Königs haben eine Grenze überschritten!“ (?) Und dies habe er einfach „so“ und ohne irgendeinen Anhaltspunkt, fußend auf vagen Gerüchten gesagt und verbreitet.: Was man wohl so gehört haben will? – „Man hört so manches!“

Ich stellte mir allerlei vor: z.B. ein Büchlein mit dem Titel „Auf ein Bierchen mit Dr. Bernhard C.“. Dann aber wechselte ich das Thema und erzählte Ming, daß unsere Oma Ella heut vor 100 Jahren ein klitzekleines bißchen jünger war, als es das Pröppilein heute ist. Ich versetzte mich in jenen Tag hinein, der doch wahrhaftig irgendwann mal stattgefunden haben muß, und sah die kleine Ella vor mir. Ein hessisches kleines Wanst, dessen Mutti soeben ausrief: „Solln wa denn mit dem Mädchen ´n bißl raus gehen?“

„Das ist erstmal interessant, was heut in 100 Jahren wohl so abgeht?!“ sagte ich sehnsuchtsvoll, da wir dies wohl kaum noch erleben? Doch man kann es sich ja ausmalen:

Zu einem süßen kleinen Buzzewackele sagt man womöglich: „Heut vor 100 Jahren war Omis Oma, die alte Yara, so alt wie du! Kaum zu glauben!“

Und das, was die sich dann ausmalen, das sahen wir heut in Natura!

Als sich die jungen Leute zu ihrem obligatorischen Frischluftsgang verabschiedet hatten, trug ich zunächst, auf dem roten Sitzklos sitzend, Dichtschulden ab – halt! Noch zunächster spülte ich das Geschirr, und nach einem faden Wellness-Stück im Radio, währenddessen der stringente Ming nochmals zurückkehrte, lief gottlob ein zündendes Werk: Die Overtüre zur „verkauften Braut“!

Begeistert lauschte ich den Klängen, während ich das fragile Geschirr im fragilen Wandschrank aufstellte.

Ich zeigte Ming das liebliche Bildnis der kleinen Lisbeth - Töchterchen von Carl Larsson. Auf der Postkarte frisch und bezaubernd wie der junge Frühling, heut jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits verstorben, da das schöne Portrait aus dem Jahre 1894 datiert.

Der Tante Bea schickte ich das gewünschte achte Kapitel aus meinem autobiografisch getönten Roman über Amerika, in welchem der Besuch vom letzten November ausgewalzt wird.

Der Wenigzeiler, den ich hinzu schrieb, war sehr freundlich. Mit viel Liebe! beendete ich die Zeilen, doch handelte es sich hierbei lediglich um eine „amerikanische Liebe“, die nichts zu bedeuten hat, denn in Wirklichkeit liebe ich das Beätchen nicht mehr, und müßte es auch gar nicht mehr sehen.

Doch brieflich bleiben wir in Verbindung.

Man muß sich ja wundern, daß das Beätchen, das so geizig mit seiner Zeit ist, das alles überhaupt liest. Doch ich nehme an, daß sie das Ganze in lauernder Attitüde studiert, um den wie einen Flitzebogen gespannten Satz, der sich in ihrem Inneren bereits gebildet hat, endlich lustvoll abzuschießen, und die Legitimation hierfür, vor ihrem eigenen Gewissen wasserdicht zu zementieren: „Die kommt mir nicht mehr ins Haus!“

Wäre das Beätchen ein bißchen netter, so hätte es zum letzten Kapitel doch einiges Selbstzerknirschtes schreiben können?

Da kehrte die kleine Familie vom Frischluftschnappen zurück, und das Pröppilein heulte laut und barmend. Ich nahm die kleine Fuchskasperlepuppe zur Hand, und heulte damit noch lauter und barmender, so daß das Pröppilein mit seinem Geschrei kurz innehielt, um dem Geschrei der Fuchskasperlepuppe zu lauschen.

Ming kann einem ja leid tun.

Das müde Julchen hatte sich aufs Sofa gepackt um abzutauchen, und ich brachte Ming ein Glas Wasser und grabschte das Pröppilein an sein gepolstertes, bloßes Wadenbein.

Beim Versteckspiel im Treppenhause wurde das Pröppilei wieder sehr vergnügt, doch leider läßt sich die Laune bei einem Kleinkind nie lange halten.

Ein Vogel im Garten sang beständig: „Beee-Bi-Beee-Bi!“

Ohne mich beim Julchen abzumelden, verschwand ich zur „Tante Olli“.

Die Nester in meiner schwarzen Kellnerinnenbörse versiegen so allmählich, und bloß der 50 € Schein, den mir meine Tante Antje für die Not geschenkt hat, ist immer noch da.

Zwei Richtige im Sechserlotto. Irgendwie gab mir dies doch einen Kick! Zweimal hatte JESUS meine Hand geführt.

(Dachte ich in US-Logik.)

Omi Birgit kam zu Besuch, es wurde gekocht & gegessen, doch ich nahm nicht an der Mahlzeit teil, weil ich ja um 20 Uhr 40 bei meiner Freundin Maria geladen war.

Die Dämmerung schien mir so zauberisch, und an diesem eindunstenden Anblick genoß ich herum, während ich versuchte, mir den letzten Satz von der Mendelssohn-Sonate untertan zu machen.

Das Pröppilein hatte das Metronom an sich genommen, und sich damit entfernt.

Einmal applaudierte es mir, und einmal fütterte es mich.

Nach getaner Arbeit raffte ich mich zusammen, und fuhr über die Landstraße zu den Naumanns.

Ich radelte durch die Nacht, und meine Hände wurden ziemlich kalt, so daß Rehlein entsetzt gewesen wäre. Um 20:39 mußte ich noch ein paar Anstandssekunden abwarten, dann klingelte ich mit meinem gefrosteten Zeigefinger, und freute mich, daß sich eine Gestalt näherte: Mutti Maria.

Die Zeiten, in denen die Kinder so anstrengend waren, daß man hätte toll werden mögen, scheinen schlagartig vorbei. Man sah die nämlich überhaupt nur noch auf dem Computer-Bildschirm, lächelnd als Desktop-Hintergrund.

Da schlurfte auch Vati Erhard herbei, und ich finde, er umarmt sich immer so schön.

Zunächst machten wir es uns zu dritt im Büro gemütlich, und schauten die 57 Fotos von Marias Geburtstagsfeier an. Lauter Grüppchen an Überreifen, und auch mich sah man dreimal. (Je komisch aussehend.) Ferner Märchenonkel Bernhard, von dem ich ja jetzt weiß, daß er die Gezeiten unterstützt, und es nicht fassen kann.

Man zeigte mir die Bilder, die die Familie in der Weihnachtszeit in Portugal geschossen hat, und ich erfuhr, daß es mit Omi Gabriele „gut“ gewesen sei. Bloß am letzten Tag, da seise während einer Bischofsdiskussion etwas aus der Haut gefahren, und Schwiegersohn Erhard findet so etwas nicht gut.

Erhard & Maria wirkten müde – müde von der Feier, müde von dem anstrengenden Seniorenbesuch - und so war ich ganz froh, mich recht bald verabschieden zu dürfen. Mit meinem schwachen Lichtkegel am Fahrrad fuhr ich den Ostfriesland-Wanderweg entlang, und einmal radelte mir jemand entgegen. „Moin!“ sagte eine angenehme Herrenstimme. „Moin!“ sagte auch ich, und fuhr mit einem leichten Schauderkick im Nacken weiter, denn für diesen Herrn wäre dies doch wohl die ideale Gelegenheit für einen Lustmord gewesen? Nachts, einsam im Nebel – weit und breit keine Zeugen?

Wenig später fand ich mich im „Dolce Vita“ am Fenstereck wieder, eingekeilt von zwei vollbesetzten Tischen, an denen je über klassische Musik gesprochen wurde, wie ich verwundert und erfreut konstatierte.

Die anderen Tische aber standen alle schief zur Seite gerückt, da die Wirtstochter bereits am Putzen war. Da saß ich nun mit meinem Buch über Huntsville, der Hauptstadt des Todes, die Ohren links und rechts an zwei verschiedene Klassik-Gespräche geheftet, und las über eine Pfarrerin, die ganz viele Gottesbeweise auf Lager hatte, wie sie einem Reporter in glühenden Farben schilderte.

Dem letzten begegnete sie erst vor zwei Wochen: Irgendjemand hatte ihre Autoscheibe kaputtgemacht. „Oh LORD, warum tust Du mir das an??“ habe sie ausgerufen, und plötzlich sei ihr Körper von einem Wärmegefühl durchbebt worden, in dessen Folge die zerschlagene Frontscheibe gänzlich an Bedeutung verlor. Es war auch kein Ärger, wie manch einer jetzt hätte meinen können, sondern irgend etwas anderes….

Ja, so einen schlüssigen Gottesbeweis könnte auch ich z.Zt. ganz gut brauchen.

Daheim wünschte das Beätlein Kapitel Nr. 9

Montag, 3. März

Der März zeigt sich bislang eher im kühlen Gewande. Somit sehr grau und kühl

Am Morgen hörte man Ming die wenigen Luftblasen im Zeitgefüge die einem noch bleiben, mit Beethovens Klaviertrio auskleiden. Dazu babbelte das Pröppilein, und nach einer Weile kam das Julchen, schön wie die Loreley, mit gewaschenem Haupthaar das sie unter einem Frottéeturban verbarg, die Treppen herab, und ich nahm dem klavierspielenden Ming die Mühe und Bürde ab, Brötchen & Milch zu holen.

„Kommt ihr mit?“ rief ich den Damen in aufgeworfener Saloppnesse zu, doch eher stiege wohl ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß sich das Julchen gleich zu Tagesbeginn zu einer derartigen Unnötigkeit hinreißen ließe.

„Wir gehen nachher spazieren!“ sagte das Julchen auf eine, an die Tante Lisel erinnernde, neutrale Weise, die beim Gegenüber das Gefühl hinterläßt, in ihrem Leben keine Rolle zu spielen.

Später jedoch freute sich das Julchen, daß ich dem Pröppilein ein weiches Brötchen mitgebracht hatte. Wir aßen so herum, und immer wenn man die Gespräche vertiefen möchte, zieht mich das Pröppilein an einer Fingerzitze wieder ins Büro, wo es auf meinem Schoße sitzend, gebannt irgendwelche Videofilmchen verfolgt.

Einmal erlebte man es hautnah mit, wie ein Brief Rehleins eintrudelte, und mit Yaraleins Finger tippte ich „YARA“ und „OOOMI“, was gar nicht so leicht war, da sich das Fingerlein etwas schlapp und wurstig gab.

Ich setzte das begonnene Frühstück fort, und später bebabbelte ich Ming, der seinen Platz am Flügel schon wieder mit jenem am PC getauscht hatte, dieweil sich ein neues Kapitel auf seinem Lebenswege aufgetan hat: Anwalt von Wedel, Fachanwalt in Meineidsangelegenheiten.

„Seit ich Ming kenne, hat er immer solche Probleme!“ sagte ich dem Julchen augenzwinkernd, „es begann mit dem Klöffler!“*

*Der Klöffler ist ein Arbeiter, den Ming einst zum Zwecke der Hausverschönerung angemietet hatte.

Ständig verlangte der Klöffler einen Vorschuß, der ihm, wenn zwar nicht ohne strenge Ermahnungen, auch gewährt wurde, und kehrte dann nicht wieder, so daß Ming beständig erboste und doch künstlerisch ausgefeilte Briefe schrieb, wie einst der Opa. Mit dem steil in die Höhe gereckten Zeigefinger wurde der Klöffler in diesen kunstvollen Schreiben anmoralisiert, belehrt und betadelt, doch Schwiegervater Willi riet, sich kürzer zu halten, und die Sache auf den Punkt zu bringen….

Der Besuch vom Christoph-Otto zur Dozzauer-Probe stand unmittelbar bevor, und Ming erzählte mahnend von einem Cellisten, der einst beim Versuch, seinen Stuhl optimal hinzustellen, mit seinem Cellostachel den ganzen Parkettboden zerstochen und verkratzt habe.

Der Christoph-Otto klingelte an der Türe, und davon ist das Baby wach geworden. Auf den Armen von Mutti Julchen wurde es wieder in die Stube getragen, und man erhaschte einen Blick auf die appetitlichen und speckgepolsterten Haxerln. Wir musizierten.

Den letzten Satz nannte der Christoph „Kehraus“, und eine Stelle fand ich schööön!

Wieder wurde mir eine Auftrittsmöglichkeit geboten: Zum übermorgigen 79. Geburtstag vom Opa Werner, wo ein „verzeihendes“ Publikum auf einen warte. „79?? Aber der wurde doch mal 66!“ sagte ich ganz entgeistert, denn hatte der Christoph nicht erst vor kurzem den Hit „Mit 66 Jahren..“ für seinen alten Vater umgearbeitet?

Die jungen Leute arbeiteten unermüdlich für das große Sommerfestival.

„Ach Gottchen!“ sagte Ming mal müd, da Buz alle Notizen in das Ringbuch das man ihm gegeben hatte, falschherum und von der anderen Seite her hineingeschrieben hatte.

Ich als Dichtende inmitten Arbeitender fühlte mich etwas fehl am Platz, und somit verlegen. Das Julchen hatte Hunger.

„Soll ich dir ein Brot schmieren?“ frug ich nett.

„Nein“.

„Das kann ich aber ganz toll!“

„Das glaub ich.“ (Müd und geistesabwesend)

Da retirierte ich mich wieder zum Üben, und übte so lang, bis ein anderes Ausloseresultat mich von meinem Übfleiß hinwegtrieb: Mich für das Orchester in Kassel zu bewerben.

Ich feilte gedanklich bereits an einem bündigen Schrieb, der so klang, als käme er von einer Amerikanerin, die recht gut deutsch spricht und plane, sich für den Rest des Lebens in Grebenstein niederzulassen.

3. März

(Montag)

schrieb ich, und ein Anfang war zumindest gemacht.

Ming in meinem Nacken war in Aufräumeschwung geraten, und ich staunte nicht schlecht, wie rasch sich unter seinen geübten Händen eine gewisse Ordnung in dem völlig vermüllten Kabüff zu bilden begann, und als der Emsige sich die Traueranzeige des verstorbenen Herrn zu Knyphausen griff, fiel ihm plötzlich ein anderer Verstorbener ein: Buzens väterlicher Freund Schütti (96 Jahre)! Heut in einer Woche ist Beerdigung.

Dann wiederum rief jemand an, und ich erkannte Onkel Dölein, der schon vergebens versucht hatte, uns zu beskypen. Für Onkel Dölein schaut´s ja nach den neuesten Hiobsbotschaften tatsächlich so aus, als stünde Ming unmittelbar vor einer Inhaftierung, und in Amerika wartet auf eine uneidliche Falschaussage womöglich gleich eine Haftstrafe von 25 Jahren ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Begnadigung?

Unverständnis bei Onkel Dö auch darüber, daß die Gegenseite eine Klage erhebt, und wir dann zahlen sollen?

In dem onkeligen Telefonat, das sich bald in ein Skypat umwandelte, schien Ming einen kleinen Winkel gefunden zu haben, wo er sich – Raum und Zeit enthoben - von den täglichen Mühen vorerst abkehren konnte, um Zuflucht in einem fernen Zimmer in Amerika zu finden.

Ming lobte Onkel Döleins Zähne, die auf dem scharfen Bild so überaus gut aussahen, und dann begrüßte man Döleins Tochter Julie, die mit ihren beiden Buben und einem Lächeln im Gesicht im Hintergrund auftauchte.

„Sag „Hi!““ sagte man zum kleinen Alexander, und der kleine Alexander sagte artig „Hi!“

Fast hätte ich angesichts dessen, daß das Pröppilein keine Befehle ausführt, gesagt: „Siehst du, der funktioniert!“

Mitten in mein Bewerbungsbemühen hinein tönte der Wecker zu meiner Freizeitgestaltung auf, und trotz der Härsche des Wetters fuhr ich nun erstmal zum Combi hin.

Die Bild-Zeitung hatte sich etwas einfallen lassen: „Bald Krieg in Europa?“ schürte sie auf sadistische Weise Angst in millionen Seelen.

Ich ließ mir ein Mettbrötchen richten, und vor dem Tore kaufte ich dem milden Griechen in seinem Wägele ein paar dicke Bohnen ab.

Der gute Mann, der immer so leckere Sachen anbietet, erließ einem Friesen 28 Cent, nach denen in einem welken Börsl sehr lange kopflos, erschüttert und vergeblich herumgesucht wurde, und fast hätte ich diesen kleinen Schuldenberg übernommen, wenn der Grieche nicht so überaus generös abgewunken hätte.

Bald schon freute ich mich über die angenehm apere Stube in der „Tante Olli“, wo man sich immer fühlen darf, wie in der Kur oder auf dem Zauberberg.