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RUDELREGEL # 8: LÜGE DEINE GEFÄHRTIN NIEMALS AN.
Diese Regel habe ich bereits in dem Augenblick gebrochen, als ich vor ihrer Tür aufgetaucht bin.
Ich hatte geschworen, meine Art vor jeder Bedrohung zu beschützen.
Als Mensch muss sie geglaubt haben, ich wäre zu einem freundlichen Plausch da.
Sie wusste nicht, dass es mein Auftrag war, ihren Gestaltwandler-Boss dingfest zu machen.
Und ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie meine Welt auf den Kopf stellen würde.
Nur ein Hauch ihres Dufts und ich war verloren. Nein – gefunden.
Ich konnte nicht ohne sie von dort verschwinden. Also habe ich die Nacht mit ihr verbracht. Sie dazu gebracht, sich in mich zu verlieben.
Doch sie weiß nicht, wer ich bin. Was ich getan habe.
Ich bin nicht einfach nur ein Rancharbeiter – ich bin ein Gestaltwandler-Vollstrecker.
Die Uhr tickt und ich habe einen Job zu erledigen.
Ich muss das Herz meiner Gefährtin erobern und meinen Anspruch auf sie erheben, bevor ich mich in meinen Lügen verstricke.
Bevor sie herausfindet, wer ich bin und was ich getan habe.
Oder was ich tun werde, um sie zu beschützen.
Und zu garantieren, dass sie mein ist.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
WOLF RANCH
BUCH 8
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Umschlaggestaltung: Bridger Media
Umschlaggrafik: Deposit Photos: aarrttuurr; hillway
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
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RUDELREGEL # 8: LÜGE DEINE GEFÄHRTIN NIEMALS AN.
Diese Regel habe ich bereits in dem Augenblick gebrochen, als ich vor ihrer Tür aufgetaucht bin.
Ich hatte geschworen, meine Art vor jeder Bedrohung zu beschützen.
Als Mensch muss sie geglaubt haben, ich wäre zu einem freundlichen Plausch da.
Sie wusste nicht, dass es mein Auftrag war, ihren Gestaltwandler-Boss dingfest zu machen.
Und ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie meine Welt auf den Kopf stellen würde.
Nur ein Hauch ihres Dufts und ich war verloren. Nein – gefunden.
Ich konnte nicht ohne sie von dort verschwinden. Also habe ich die Nacht mit ihr verbracht. Sie dazu gebracht, sich in mich zu verlieben.
Doch sie weiß nicht, wer ich bin. Was ich getan habe.
Ich bin nicht einfach nur ein Rancharbeiter – ich bin ein Gestaltwandler-Vollstrecker.
Die Uhr tickt und ich habe einen Job zu erledigen.
Ich muss das Herz meiner Gefährtin erobern und meinen Anspruch auf sie erheben, bevor ich mich in meinen Lügen verstricke.
Bevor sie herausfindet, wer ich bin und was ich getan habe.
Oder was ich tun werde, um sie zu beschützen.
Und zu garantieren, dass sie mein ist.
JOHNNY
„Die erste Hinrichtung ist die schwerste“, bemerkte Clint Tucker und starrte auf den Leichnam hinunter.
Dort auf der Erde lag der abtrünnige Wolfswandler, den wir im Auftrag des Gestaltwandlerrats gejagt hatten. Nach einer Anhörung hatte der Rat ihn zum Tode verurteilt, weil er der Abschaum der Erde war. Er hatte es verdient, zu sterben.
Doch in einer Sache irrte sich Clint – es war ganz und gar nicht schwer gewesen.
„Er hat seine Gefährtin umgebracht“, erklärte ich, obwohl Clint über den Fall im Bilde war. „Es kam zu einem Streit und … er hat sie kaltgemacht.“ Ich schüttelte den Kopf, und als ich mir über das Gesicht wischte, bemerkte ich, dass ich Blut an den Händen hatte.
Na toll.
„Und die Welpen“, fügte Clint hinzu. „Sie haben sich unter der Veranda verkrochen. Haben alles mitangehört.“ Er spuckte auf den Leichnam. „Wertlos. Sie sind erst herausgekommen, nachdem er verschwunden war. Haben ihre Mutter mit einer Kugel im Schädel gefunden und ihren Alpha angerufen.“
„Sie haben das Richtige getan“, sagte ich.
Auch Clint empfand keinerlei Reue dafür, diesen Kerl umgebracht zu haben. Clint hatte eine Gefährtin und eine wunderschöne kleine Tochter. Lily. Er würde vor nichts Halt machen, um sie zu schützen.
Er nickte. „Allerdings. Wenn es an der Zeit für Lily ist, einen Gefährten zu finden, werde ich ihm mit meiner Waffe in der Hand und einer Silberkugel im Magazin die Haustür öffnen.“
Ich konnte nicht anders, als zu grinsen, sogar in einem Moment wie diesem. Wir befanden uns irgendwo tief in den Schluchten der Bighorn Mountains, westlich von Ranchester, Wyoming. Den Kerl hatten wir den ganzen Weg von seinem Rudelland in North Dakota bis hierher verfolgt.
Es war fast Morgen, etwa eine Stunde vor Sonnenaufgang. Die Luft war kalt und der Wind pfiff durch die Kiefern. Hier draußen hörte der Wind nie auf, zu wehen, was diesem Mistkerl zum Verhängnis wurde. Wir hatten ihn bereits aus meilenweiter Entfernung gewittert.
„Das hier ist nicht das erste Mal, dass ich jemanden umgebracht habe“, gestand ich. Allerdings mein erstes Mal als Vollstrecker – und somit genehmigt. Doch ich hatte bereits früher Blut an den Händen gehabt.
Clint hob den Kopf von dem Kerl auf der Erde und erwiderte meinen Blick. Der Mond ging bereits unter, doch noch immer konnte ich die Frage in seinem Blick erkennen.
„Ich habe einen Mann umgebracht“, gestand ich.
Seine Augen wurden groß, doch das war seine einzige Reaktion. Clint war ein entspannter Typ. „Scheiße, Johnny.“
„Ich war achtzehn. Wir sind mit unserer Mom zu den Rudelspielen gefahren, die von ihrem alten Rudel ausgerichtet wurden. Da war dieser andere Gestaltwandler. Er war an meiner Schwester interessiert.“ Den letzten Satz spuckte ich förmlich aus, weil es mich noch immer zur Weißglut trieb.
„Gefährte?“
Ich schüttelte den Kopf.
Falls Clint sich unwohl dabei fühlte, diese Unterhaltung neben einem Leichnam zu führen, zeigte er es nicht. Als pensionierter Vollstrecker hatte er allen möglichen Mist mitansehen müssen, da war ich mir sicher. Er hatte den Job aufgegeben, nachdem er Becky getroffen hatte, seine menschliche Gefährtin. Nur dass er sich jetzt freiwillig dafür gemeldet hatte, mich zu diesem Job zu begleiten, weil wir Rudelgenossen waren und das hier mein erster Auftrag.
Anstelle von Clint war ich nun also der neue Vollstrecker des Wolf-Rudels. Rob Wolf wusste über meine Vergangenheit Bescheid und hatte angeboten, mich aufzunehmen, nachdem ich aus meinem Heimatrudel verbannt worden war. Er hatte erkannt, was ich in mir barg. Eine beschützende Ader. Eine fiese Ader. Zur Hölle, vermutlich verdammt viel Finsternis. Das war der Grund, weshalb ich für die Position des Vollstreckers ausgewählt worden war. Abgesehen davon, dass ich jung und ungebunden war.
„Was ist passiert?“
„Zuerst dachte ich, sie wäre auch an ihm interessiert. Vielleicht war sie das auch, vielleicht nicht. Ich weiß nur, dass ich ihn dabei erwischt habe, wie er sich ihr im Wald aufgedrängt hat“, spuckte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch aus. Schlimmer noch, doch das musste ich nicht laut aussprechen. „Ich habe ihn gestoppt, aber …“
Ich dachte zurück und erinnerte mich an das Rot, das ich sah, dann an das Rot seines Bluts, das in die Erde sickerte. „Ich bin zu weit gegangen.“
Clint klopfte mir auf die Schulter. „Schwächere zu beschützen, ist das Zeichen eines guten Alphas. Und als Vollstrecker musst du bereit sein, zu weit zu gehen. Nur so kann man einen abtrünnig gewordenen Gestaltwandler aufhalten.“
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. „Ja. Der Kerl war allerdings abtrünnig geworden.“
„Aus dir wird ein ordentlicher Vollstrecker werden. Du bist schon einer.“
Ich senkte den Blick und musste daran denken, was sie nach diesem Mord mit mir gemacht hatten. Sie hatten mich aus dem Rudel geschmissen. Mich von meiner Familie getrennt. „Dieser Mord war nicht genehmigt gewesen.“
Er zuckt mit den Schultern. „Na und? Wenn er deiner Schwester wehgetan hat, dann heißt das, dass er vorher vermutlich schon anderen wehgetan hat und es auch danach wieder getan hätte.“
Clint war der geborene Vollstrecker gewesen. Hatte das Rudel beschützt und die Strafen vollstreckt, die der Rat beschlossen hatte. Er hatte eng mit Levi zusammengearbeitet, einem anderen Gestaltwandler und Mitglied des Wolf-Rudels, der Sheriff von Cooper Valley. Zusammen waren die beiden ein hervorragendes Beschützer-Team gewesen, nicht nur für die Gestaltwandlergemeinschaft, sondern auch für die Menschen im Ort. Ihre Doppelspitze hatte eine wesentliche Rolle dabei gespielt, uns und unser Geheimnis zu schützen. Und natürlich half es auch, dass seine Gefährtin ein Mensch war und Lily beides. Perfekt.
Nun war ich in Clints Fußstapfen getreten und hatte mich bereits mit Levi angefreundet. Trotzdem, ich fragte mich noch immer, ob es eine gute Idee war, mich mit dieser Rolle zu beauftragen. Ob ich zu gut war. Zu finster für diese Aufgabe.
„Ich wurde vor den Rudelrat zitiert.“ Das war verdammt furchteinflößend gewesen.
„Deshalb kannten sie dich bereits.“
Ich musste lachen, auch wenn der Grund dafür alles andere als lustig war. „Genau. Meine Strafe war, dass ich auf die Wolf Ranch verbannt wurde. Ich musste meine Familie zurücklassen.“
„Wolf Ranch ist keine Strafe, Junge“, erinnerte mich Clint. „Das weißt du.“
Stimmt. War es nicht. Damals hatte ich das noch geglaubt, doch mittlerweile wusste ich, dass es nicht so war. Das Rudel von Montana war verdammt toll. Ich mochte meine Familie bei meinem alten Rudel zurückgelassen haben, doch im Wolf-Rudel konnte ich eine neue Familie finden. Dieser Ort war nun mein Zuhause.
„Deine Schwester ist deinetwegen in Sicherheit“, fügte er hinzu.
Wieder senkte ich den Blick und starrte auf diesen weiteren Gestaltwandler hinunter, der ein Weibchen misshandelt hatte. Auch dieser Kerl würde keiner anderen Frau jemals wieder etwas zuleide tun. Ich nickte zustimmend.
„Sie hat mittlerweile einen Gefährten und zwei Welpen“, erzählte ich und dachte an Simi. Ich konnte nicht anders, als ein wenig zu lächeln und Stolz zu empfinden.
Er grinste. „Gut. Klingt so, als hätte sie diese Geschichte hinter sich lassen können.“ Doch dann erlosch sein Lächeln und er musterte mich nachdenklich. „Hast du sie hinter dir gelassen?“
Der Wind zerzauste meine Haare und die Luft kühlte meine erhitzte Haut ab. Hatte ich hinter mir gelassen, was Simi zugestoßen war?
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Definitiv nicht.“
Ich hockte mich hin, wühlte durch die Hosentaschen des Kerls und nahm ihm seinen Ausweis ab. Wir würden ihn hier liegenlassen, meilenweit entfernt von der Zivilisation, weit genug entfernt von jeder Straße. Die Tiere würden ihn verschwinden lassen.
Ich hob den Blick zu Clint. „Was sagt das über mich? Dass ich gefährlich bin? Gnadenlos? Wie soll ich mit so einem Charakter jemals eine Gefährtin finden?“
Clint nahm seinen Hut ab, fuhr sich mit den Fingern durch die dunklen Haare und setzte sich den Hut dann wieder auf. „Deine Seele ist nicht finster, Junge. Du hast ihn nicht zum Tode verurteilt. Der Rat hat ihn verurteilt. Du vollstreckst nur die Strafe. Vergiss nicht, es gibt jetzt eine Bedrohung weniger für diejenigen, die sich nicht selbst verteidigen können. Das verstehst du. Das weißt du.“
Ich warf ihm das Portemonnaie des Kerls zu.
„Und was die Gefährtin betrifft …“, fuhr er fort. „Du hast miterlebt, wie alle anderen auf der Ranch ihre Gefährtin gefunden haben. Einer nach dem anderen. Sogar ich. Es wird passieren, wenn du am wenigsten damit rechnest.“
Ich richtete mich auf. Ich wollte nicht länger darüber sprechen. Wir hatten unseren Job erledigt. Clint hatte recht. Jeder Mann auf der Wolf Ranch hatte seine Schicksalsgefährtin gefunden. Aber die anderen waren auch keine Mörder.
Ich schon.
EMMA
Es war fast zehn Uhr abends und ich war immer noch im Büro. Puh.
„Emma – hopphopp! Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.“ Mein Vorgesetzter, Stan, klatschte auffordernd in die Hände, als er an meinem Büro vorbeimarschierte.
Arschloch.
Ich legte den Kopf zurück und rollte meinen steifen Nacken aus.
Gott, dieser Job war ein absoluter Albtraum. Als ich als VFX-Designerin eingestellt worden war, um in Hollywood digitale Effekte zu bauen, hatte ich geglaubt, ich hätte meinen Traumjob gelandet. Hatte geglaubt, mein Design-Studium hätte sich gelohnt und es würde ein absoluter Traum werden, in einer Großstadt am Meer zu leben.
Ich hatte geglaubt, ausnahmsweise einmal wäre ich die Glückliche von uns beiden Zwillingsschwestern.
Es hatte mir nichts ausgemacht, bis spät in die Nacht zu arbeiten. Es hatte mir nichts ausgemacht, Achtzigstundenwochen runterzureißen. Davon war ich ausgegangen. Ich war immer schon die fleißigere der beiden Schwestern gewesen. Dieses Mal hatte ich wirklich geglaubt, Teil von etwas Großen zu sein, als ich die Stelle angenommen hatte. Aber zweieinhalb Jahre später verdiente ich noch immer dasselbe wie am Tag meiner Einstellung und arbeitete genauso viel wie am Anfang. Mein Selbstbewusstsein war praktisch nicht mehr vorhanden. Ich erinnerte mich nicht mehr, wann ich das letzte Mal den Pazifik oder überhaupt irgendwas außerhalb der vier Wände meines Büros gesehen hatte.
Sicher, ich würde irgendwie damit klarkommen, wenn ich wenigstens das Gefühl hätte, dass meine Arbeit wertgeschätzt oder meine Leistungen öffentlich anerkannt werden würden.
Doch so etwas würde hier niemals passieren. Mit jedem neuen Tag der ewig selben Plackerei wurde mir das langsam mehr als deutlich.
Ich biss die Zähne zusammen und stellte die Explosionsszene fertig, die ich bereits fünfmal revidieren musste. Nicht etwa, weil ich schlechte Arbeit geleistet oder etwas falsch gemacht hätte – nein, einfach nur, weil immer jemand anderes mit einer neuen Vision dazwischenfunkte.
So lief es im Filmbusiness eben. Ich wusste es besser, als mich über so etwas noch aufzuregen.
Oder vielleicht sollte ich mich gerade aufregen, aber wie dem auch sei, es war langsam ein sehr alter Hut.
Mein Handy klingelte und ich warf einen Blick auf das Display. Lyssa. In Montana, wo sie wohnte, war es fast elf Uhr abends, aber sie war eben Partygirl durch und durch.
„Hey, was gibts?“, nahm ich den Anruf an.
„Was geht bei dir?“ Da wir eineiige Zwillinge waren, klangen unsere Stimmen gleich, so wie auch alles andere an uns gleich war, doch ihr Tonfall war aufgekratzt und voller Begeisterung. „Bitte sag mir, dass du nicht immer noch auf der Arbeit bist.“
Ich stieß einen schweren Seufzer aus. „Kann ich nicht, weil es eine Lüge wäre.“
„Ernsthaft? Es ist Sonntag! Du hattest seit einer Ewigkeit keinen freien Tag mehr! Seit sechs Wochen nicht mehr, oder? Und es ist ja nicht so, als ob sie dir die Überstunden bezahlen würden.“
„Wem sagst du das?“, murmelte ich, während meine Finger weiter über die Tastatur und die Maus flogen und ich den Effekt mit dem neuen Stil programmierte, um den ich gebeten worden war. Mein Monitor war riesig und nahm den gesamten Schreibtisch ein. Das Deckenlicht hatte ich ausgeschaltet und Fenster nach draußen gab es ohnehin nicht. Mein Büro war eine digitale Höhle.
„Du musst da endlich kündigen.“
Damit lag sie mir seit über einem Jahr in den Ohren, und ehrlich gesagt hatte sie nicht unrecht. Zuerst hatte ich mich gegen ihren Rat gesträubt, weil ich einen Job hatte. Ein Job in einem Business, in dem ich arbeiten wollte. Ein Job, der die Rechnungen bezahlte, auch wenn mir nicht einmal die Zeit blieb, mein hart verdientes Geld auszugeben. Verdammt, ich war ja kaum in der Wohnung, für die ich Miete bezahlte.
Was hatte es mir gebracht, das „brave Mädchen“ zu sein?
Absolut gar nichts. Das hatte es mir gebracht.
Und dass mich meine Schwester nun mitten in der Nacht anrief und meine kleine Selbstmitleidsorgie störte, machte es nur schlimmer. Es erinnerte mich daran, was aus mir hätte werden können, wenn ich nicht die verantwortliche Zwillingsschwester gewesen wäre. Nur dass ich mein ganzes bisheriges Leben damit verbracht hatte, genau das zu sein. Die langweilige Schwester. Die stille Schwester. Die unscheinbare Schwester. Die verhuschte Schwester. Die nerdige Schwester. Welches biedere Adjektiv auch immer man einsetzen wollte – das war ich.
Gleichzeitig lebte Lyssa ihr zielloses, wildes, verrücktes Leben und schaffte es irgendwie, permanent Luxus, Leichtigkeit und Spaß anzuziehen. Sie sprang von Job zu Job und verdiente trotzdem nie weniger als sechsstellige Jahreseinkommen. Und es war nicht so, als ob sie dafür achtzig Stunden in der Woche arbeiten müsste.
„Emma, telefonierst du?“, brüllte Stan quer durchs Büro. „Du hast keine Zeit zum Telefonieren!“
„O mein Gott, brüllt er dich etwa gerade an? Es ist … zehn Uhr abends oder so!“ Lyssa war meinetwegen stinksauer. „Kündige da! Emma, im Ernst. Kündige. Steh einfach auf und gehe. Dir wird nichts Schlimmes passieren, versprochen.“
Lyssa wusste, dass ich mir ständig Sorgen machte. Dass ich alles zergrübelte. Angst hatte, etwas Schlimmes könnte passieren, wenn ich nicht permanent vorsichtig war. Meine Zwillingsschwester war das absolute Gegenteil. Sie machte sich keine Sorgen wegen irgendwas. Ich war in Besitz eines Terminplaners und hatte jeder Sekunde meines Tages eine Aufgabe zugeteilt, wohingegen sie ihr ganzes Leben buchstäblich improvisierte. Ich stellte alles infrage und war mir sicher, dass etwas Schlimmes passieren würde, wenn ich einmal die falsche Entscheidung traf. Vielleicht hatte sie aus diesem Grund gesagt, dass mir nichts Schlimmes passieren würde. Sie wusste, dass es genau das war, was ich befürchtete, sollte ich tun, was sie mir riet, und kündigen.
Ich kaute auf meiner Unterlippe herum. Noch nie zuvor war mir diese Option so verlockend erschienen. Ich sollte kündigen. Wirklich. Ich war todunglücklich in meinem Job. Die einzigen Freuden meines Lebens – abgesehen davon, mit Lyssa zu telefonieren – waren es, abends in mein Bett zu sinken und morgens heiß zu duschen, und diese Erkenntnis war höllisch deprimierend.
Diese Arbeit brachte mich um.
„Ich bin ja am Arbeiten, Stan. Ich kann gleichzeitig arbeiten und sprechen“, rief ich. Normalerweise gab ich kein Kontra. Das musste Lyssas Einfluss sein.
Oder die Tatsache, dass ich Sekunden von einem Nervenzusammenbruch entfernt war. Meine Hand griff nach meinem Lieblingsbecher, allerdings musste ich leider feststellen, dass er leer war. Mist. Ich brauchte mehr Kaffee.
„Ich meine das ernst mit dem Kündigen“, erklärte Lyssa in ihrem Ich-mache-keine-Witze-Tonfall. „Du könntest nach Montana kommen und dich von diesem ganzen Bullshit erholen.“
„Hm …“
Das war verlockend. Sehr verlockend.
„Mein Boss ist nicht mal hier“, fuhr sie fort. „Ich meine, ich habe ihn mal kennengelernt, klar. Er hat das Vorstellungsgespräch geführt. Aber er kommt und geht. Das letzte Mal habe ich ihn vor zwei Wochen gesehen, und da hat er mir gesagt, er würde erst nächsten Monat wiederkommen.“ Lyssas derzeitiger Job war es, als Hausverwalterin für irgendeinen Milliardär auf dessen Ranch zu arbeiten, der ein riesiges Anwesen in Montana besaß. Und da es sein zweites oder vielleicht auch siebtes Anwesen war, war der Typ, wie Lyssa erklärt hatte, so gut wie nie da.
Was für ein Job. Das Reinigungspersonal für ein Haus managen, das niemals schmutzig wurde. Darauf zu achten, dass die Vorratskammern eines Schlafquartiers voller heißer Cowboys – Lyssas Worte – immer gut bestückt waren. Sie hatte keine Ahnung von Pferden. Oder davon … eine Ranch zu managen – nur dass sie es tatsächlich einfach tat. Ohne einen Boss, der ihr ständig im Nacken saß oder sich überhaupt, so wie es klang, im selben Bundesstaat aufhielt wie sie.
„Ehrlich gesagt bin ich gerade mit dem Sultan von Arunai auf dem Weg nach Ibiza.“
Was?! Mein Verstand setzte aus. Sultan von Arunai? SULTAN?
Ich könnte nicht mal ein Date mit dem Sicherheitsmitarbeiter unten in der Lobby ergattern, und sie hat sich einen Sultan unter den Nagel gerissen? Und wo zur Hölle war Arunai? Dachte sie sich das gerade aus? Hatte der Typ sie angelogen und ihr nur erzählt, er wäre ein Sultan? Wie wurde man überhaupt Sultan? Meinte sie vielleicht Aruba?
Gott, während ich wieder einmal nur an alle potenziellen Gefahren dachte, sagte sich Lyssa einfach: Cool, los gehts. Mir doch wumpe, ob du mich anlügst. Du fickst gut, und ich habe Bock auf einen Gratisurlaub.
„Was?“, fragte ich nun laut. „Ibiza?“
„Ich weiß!“, lachte sie. „Irre, oder?“
Ja, vollkommen irre.
„Wann wolltest du mir das erzählen?“, fragte ich.
„Emma!“, brüllt Stan. „Bist du immer noch am Telefon?“
„Deshalb habe ich doch angerufen“, erklärte Lyssa.
Ich schüttelte den Kopf. Langsam kam ich nicht mehr mit, weil zwei Leute gleichzeitig mit mir sprachen.
„Um dir diese verrückte Geschichte zu erzählen“, fuhr Lyssa fort. „Pass auf, er war in Montana, um sich einen preisgekrönten Bullen anzuschauen, den er finanziert, und wir haben uns im einzigen Restaurant im Ort kennengelernt.“
„Emma!“ Diesmal klang Stans Stimme lauter.
„Wir sind in der Kiste gelandet und … na ja, jetzt fliegt er mich in seinem Privatjet nach Europa!“ Das Lachen meiner Schwester konnte nicht angemessen vermitteln, wie unglaublich und verrückt diese Geschichte tatsächlich war. Und doch war das ein völlig normales Vorkommnis in ihrem Leben. Sie landete mit einem Kerl, den sie in einem Restaurant kennengelernt hatte, im Bett und flog dann aus Jux und Tollerei mit ihm nach Europa.
Ich würde mich jetzt auf den Weg in den Pausenraum machen, um mir Kaffeenachschub zu holen. Vielleicht gönnte ich mir heute sogar einen Schuss Kaffeesahne mit Haselnussgeschmack. Das war mein Highlight.
Meine Schwester war buchstäblich der flatterhafteste, wildeste Glückspilz auf dem Antlitz der Erde. Sie gab sich mit nichts wirklich Mühe. Alles flog ihr nur so zu.
Wer traf den zufällig den Sultan von Arunai in einem Restaurant in MONTANA und landete mit ihm im Bett?
Nur Lyssa.
Ich hatte in meinem Leben nie etwas anderes getan, als auf Nummer sicher zu gehen, und jetzt konnte man ja sehen, wohin mich das gebracht hatte. In meine Höhle, zu einem nervigen Boss, der mir noch kurz vor Mitternacht die Hölle heiß machte.
„Emma!“ Stan stand nun in meiner Bürotür. „Leg sofort auf und bring diesen gottverdammten Effekt zu Ende. Wir warten nur auf dich.“
Ich blickte auf und starrte meinen Boss an. Ich hasste ihn. Hasste meinen Job. Hasste mein Leben. Wohin hat es mich denn gebracht, immer auf Nummer sicher zu gehen?
Absolut nirgendwo hin.
„Weißt du was, Stan?“ Ich erhob mich aus meinem Bürostuhl, der seit einem Jahr nicht mehr richtig rollte, aber nie ausgewechselt worden war. „Fick dich.“
Er riss die Augen auf, denn so hatte ich noch nie zuvor mit ihm gesprochen. Oder mit irgendjemand anderem, um ehrlich zu sein. „Oh, das ist reizend. Wirklich, richtig reizend.“ Stans stoppeliges Gesicht lief dunkelrot an.
Am anderen Ende der Leitung höre ich Lyssa jubeln. „So ist’s richtig, Mädel! Sag es ihm. Und jetzt verschwinde da.“
„Ich bin seit vierzehn Stunden hier, und das, nachdem ich gestern bis ein Uhr nachts gearbeitet habe. Ich wollte nichts anderes, als während der Arbeit die Stimme meiner Schwester zu hören, bevor sie morgen früh nach Europa fliegt, aber du hast offensichtlich nichts Besseres zu tun, als mir das Leben schwer zu machen.“
Wow. Normalerweise fluchte ich nicht einmal.
Es fühlte sich gut an.
Ich riss meine Schreibtischschublade auf und zerrte meine Handtasche heraus. „Und weißt du was?“ Ich fing an, meine Sachen zusammenzusammeln, die zerstreut auf dem Schreibtisch lagen, und warf sie in meine Tasche. Nicht gerade viele Sachen nach acht Jahren, was irgendwie ganz schön traurig war.
„Nein!“ Stan klang alarmiert. „Du kannst nicht gehen. Nicht, bevor der Effekt fertiggestellt ist.“
Unter normalen Umständen hätte ich Mitleid mit ihm gehabt. Sein Problem wäre mein Problem gewesen, ich hätte es gelöst und er hätte wie immer die Lorbeeren dafür eingeheimst. So war es bisher immer für ihn und mich gelaufen. Ich war die gewissenhafte, verantwortliche Angestellte. Die sicherheitsbewusste Schwester. Aber drauf geschissen. Mag sein, dass mich zwar kein Sultan fickte und mich dann nach Europa flog, doch ich musste mich auch nicht dermaßen von meinem Boss ficken lassen, der mich nämlich genau nirgendwo hinbrachte.
„Ich bin fertig mit dem Laden hier.“
Wieder drang Lyssas Jubel durch die Leitung. „Jawoll! Sag’s ihm, Emma.“
Ich wuchtete mir meine überfüllte Handtasche über die Schulter und schnappte mir meinen leeren Kaffeebecher, während ich weiterhin mit der anderen Hand das Handy ans Ohr drückte. Dann stolzierte ich an Stan vorbei aus meiner Höhle.
„Emma! Mach wenigstens diesen Effekt fertig!“, rief er mir hinterher, als ich im Korridor verschwand.
Den Effekt fertig machen? Dass ich gerade gekündigt hatte, war ihm wohl scheißegal, nur dass dieser Effekt jetzt nicht fertiggestellt werden würde und ich die Einzige war, die wusste, wie das ging. Fick dich, Stan.
„Es tut mir leid, okay?“ Seine Stimme verwandelte sich in ein dämliches Gejammer. „Ich hätte dich wegen des Anrufs nicht nerven sollen. Komm zurück!“
Ich hob meine Hand mit dem Becher und warf Stan über meine Schulter den Mittelfinger zu. Dann verschwand ich den Flur hinunter.
„Okay. Ich habe gekündigt“, bestätigte ich Lyssa, entschied mich gegen den Fahrstuhl und nahm die Treppe. Meine Stimme klang irgendwie aufgekratzt. Und so fühlte ich mich auch. „Erzähl mir von Montana.“
JOHNNY
Als Rob Wolf mir eröffnet hatte, er wolle mich zum Vollstrecker des Rudels machen, hatte ich nicht viel von dem Job erwartet. Hin und wieder einen Auftrag. Abtrünnige Gestaltwandler sind eher selten. Er brauchte mich vorrangig auf der Ranch seiner Familie. Pferde füttern sich schließlich nicht von allein. Zäune reparieren sich auch nicht selbst. Ein Anwesen von der Größe der Wolf Ranch musste konstant von mir und anderen Vollzeit-Rancharbeitern bewirtschaftet werden. Clint, Wes, Joe, Colton und sogar Rob selbst.
Doch jetzt war ich für meinen zweiten Auftrag als Vollstrecker innerhalb einer Woche unterwegs.
Und dieses Mal allein.
Allem Anschein nach hatte Clint Rob das Okay gegeben, was meine Arbeit anging, und mein Alpha war erfreut über diese Rückmeldung gewesen.
Mit gedrosselter Geschwindigkeit bog ich in die kreisförmige Einfahrt und starrte hinauf zum arschgroßen Ranchhaus. Dieser Palast ließ Wolf Ranch wirken wie eine Waldhütte auf einem Grundstück von Briefmarkengröße.
Mitch Chapmans Anwesen in Montana war riesig. Tausende Hektar ursprünglicher, pittoresker Natur. Auf dem Weg vom Ort hier heraus fuhr man über Meilen an dem Holzzaun entlang, der das Anwesen eingrenzte, und passierte Wirtschaftsgebäude, die alle im selben Stil gehalten waren, wie eine elegante Frau, deren Rock, Schuhe, und Lippenstift farblich perfekt abgestimmt waren.
Und dieses Haus.
„Alter Schwede“, murmelte ich und stellte das Autoradio leiser. Der Countrysong-Ohrwurm lenkte mich von meiner Betrachtung ab.
Die Villa war aus Holzbalken und Flusssteinen erbaut. Enorme Fenster. Links und rechts gingen Gebäudeflügel ab, so riesig war das Haus. Gleichzeitig war es dezent, was irgendwie lachhaft war. Es schrie förmlich nach Architectural-Digest-Titelseite. Und es schrie Geld.
Einen Arsch voll Geld. Um dieses Haus zu verwalten, brauchte es eine Menge Angestellte. Gestaltwandler, schätzte ich, schließlich war Chapman selbst einer. Das hier war der perfekte Ort für Vollmondläufe, sogar noch besser als die Wolf Ranch. Andererseits würde es für Chapman einfacher sein, seine Gestaltwandler-Verbrechen vor einer Mannschaft von nichtsahnenden Menschen geheim zu halten. Das könnte von Vorteil für mich sein.
Doch Chapman war stinkreich. Milliardär. Er konnte jeden kaufen.
Der Gestaltwandlerrat hatte seit einiger Zeit Ermittlungen zu Chapman geleitet und genug Beweise gefunden, um ihm den Prozess zu machen. Beweise für wirklich kranken Scheiß. In der Akte, die sie mir mitgegeben hatten, stand, er stünde im Verdacht, Menschenhandel mit Gestaltwandlerinnen zu betreiben, die sich für Jobs in seinen diversen Geschäften weltweit bewarben. Mit dem Versprechen auf lukrative Arbeit – von Büromanagement über Buchhaltung bis hin zur Vizepräsidentin – wurden sie von ihren Rudeln fortgelockt, nur um dann eingesperrt und auf dem Schwarzmarkt als Gebärmaschinen verkauft zu werden. Eine von ihnen hatte entkommen können und hatte berichtet, was ihr zugestoßen war. Das war der Startschuss für die ausführliche Ermittlung gegen Chapman gewesen. Jetzt würde ihm der Prozess gemacht werden, und falls er für schuldig erklärt werden sollte, würde er für seine Verbrechen sterben. Falls Mitch Chapman jemals gefunden wurde.
Ich war zu seiner Running-Waters-Ranch geschickt worden, weil Chapman untergetaucht war. Seit zwei Wochen hatte ihn niemand mehr gesehen. Überall im Land waren Vollstrecker zu seinen diversen Wohnhäusern und Geschäftsstellen geschickt worden, um ihn zu finden. Ich hatte mich ganz in der Nähe seiner Ranch in Montana aufgehalten, also war ich hier auf die Suche geschickt worden.
Wir hatten die strikte Anweisung erhalten, ihn vor den Rat zu bringen, falls einer von uns ihn finden sollte.
Menschliche Strafverfolgungsbehörden folgten einem andren Protokoll. Wären sie für den Fall verantwortlich, würde Chapman zwar verhaftet und vielleicht vor ein menschliches Gericht gestellt werden, doch sein Geld würde vermutlich dafür sorgen, dass er völlig unbehelligt davonkam. Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass er im Gefängnis landete, wäre es für einen Gestaltwandler ein Leichtes, auszubrechen – was wir nicht zulassen durften.
Wenn der Rat ihn also für schuldig befand – was nach derzeitigem Ermittlungsstand praktisch wahrscheinlich war – würde er sterben.
Ich stellte den Motor aus. Kletterte aus meinem Truck und setzte mir meinen Cowboyhut auf. Ich hatte zwar nicht den Auftrag, den Kerl umzubringen, doch das hieß noch lange nicht, dass ich ihm traute. Trotzdem ließ ich meine Pistole mit der Silberkugel vorerst unter meinem Autositz liegen. Ich musste mir einen Überblick über die Lage verschaffen, anstatt sofort mit gezückten Waffen ins Haus zu stürmen. Zunächst musste ich herausfinden, wer sich womöglich sonst noch auf dem Anwesen befand und ob sie Ärger machen würden. Ich musste mich vergewissern, ob Unschuldige in der Nähe waren – Menschen oder Gestaltwandler. Und ich wollte ein Gefühl für den Grundriss des Anwesens bekommen.
Mein Vorwand war denkbar einfach – als Mitglied des benachbarten Rudels hatte mich mein Alpha geschickt, um Hallo zu sagen und Chapman zum Vollmondlauf diesen Monat einzuladen. So eine Einladung war nachvollziehbar und wäre Chapman kein derart schleimiger, gefährlicher Arsch, würden wir uns sogar freuen, ihn begrüßen zu dürfen.
Hinter dem Haus erstreckte sich die Landschaft in ein sanft abfallendes Tal, durch das sich ein Bach schlängelte, so weit mein Auge reichte. Pappeln standen dicht an dicht am Ufer und formten ein grünes Band. Dahinter verwandelte sich wehendes Gras in unberührte Prärie.
Es war atemberaubend schön.
Ich ging zur Haustür und klingelte. Wartete. Als ich schon aufgeben und eine Runde um das Haus drehen wollte, schwang die massive Haustür auf.
Eine Frau stand auf der Schwelle und schenkte mir ein sanftes Lächeln. „Hallo.“
Heilige Scheiße. Das nannte ich mal atemberaubend schön. Dunkle, fast schwarze Haare, die in sanften Wellen über ihren Rücken fielen. Ebenso dunkle, große Augen, die von dichten Wimpern eingerahmt wurden. Hohe Wangenknochen, eine kesse Nase und … Himmel hilf, volle, rote Lippen, die um meinen Schwanz gedehnt einfach köstlich aussehen würden.
Sie war schmal und etwa fünfzehn Zentimeter kleiner als ich, allerdings nicht zerbrechlich. Trotz ihrer einfachen Jeans und des weißen T-Shirts mit V-Ausschnitt konnte ich ihre Muskeln deutlich erkennen, Kurven, in die ich meine Finger krallen und an denen ich mich festhalten konnte. Sie war … perfekt.
Als ich nichts sagte, sondern sie nur anstarrte, legte sie den Kopf zur Seite und fügte hinzu: „Kann ich Ihnen helfen?“
Ich fand meine Sprache wieder, riss mir eilig den Cowboyhut vom Kopf und drückte ihn mir vor die Brust. „Hallo. Ich wollte mit Mitch Chapman sprechen.“
Für einen Moment wurden ihre Augen groß. „Tut mir leid, aber er ist nicht zu Hause.“
Das bezweifelte ich nicht. Eine Myriade von Ausdrücken huschte über ihr Gesicht: Überraschung, Sorge und definitiv ein Anflug von Interesse.
„Oh. Wissen Sie, wann er das nächste Mal hier sein wird?“
Sie schüttelte den Kopf.
Chapman war Mitte fünfzig. War sie vielleicht seine Tochter? Von Kindern hatte nichts in seiner Akte gestanden. Auch nichts über eine Gefährtin. Seine Freundin? Bei dieser Vorstellung wollte ich den Bastard auf der Stelle aufspüren und allein dafür umbringen. Wow, das war neu, diese … Aggression. Warum fühlte ich mich zu dieser Gestaltwandlerin hingezogen?
Ich stützte meinen Unterarm am Türrahmen ab und beugte mich kaum merklich vor.
Sie wich nicht zurück. Ihr Blick wanderte über die Muskeln in meinen Arm und landete schließlich wieder auf meinem Gesicht. Ihre Augen wurden ein wenig größer und zwei rote Flecken breiteten sich auf ihren Wangen aus.
Als ich ihren Duft tief einatmete, erfuhr ich mit einem Schlag zwei Dinge. Erstens: Sie war keine Gestaltwandlerin, sie war ein Mensch. Und zweitens – was mir die augenblickliche Reaktion meines Körpers auf ihren Duft verriet: Sie war meine Gefährtin.
EMMA
Ähm. Wow. Da stand ein extrem heißer Cowboy vor meiner Haustür. Flanellhemd und alles drum und dran. Flirtete er etwa mit mir?