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In einer langjährigen Beziehung kann es vorkommen, dass einer der Partner nach sexueller Nähe sucht, der andere aber gerade nicht gewillt ist. An sich ist das kein Problem, solange der willige Partner die Ablehnung akzeptiert. Unangenehm wird es allerdings, wenn er die Worte oder Gesten der Ablehnung nicht wahrnimmt, einfach ignoriert oder falsch interpretiert, seine Annäherungsversuche ungehemmt fortsetzt, den Partner bedrängt und ihn beharrlich zum Sex zu überreden versucht. Dieser muss ihm nun erklären, warum er keinen Sex will, ohne ihm damit das Gefühl zu geben, dass er ihn nicht mehr liebt. Dieses Dilemma versuchen viele Betroffene mit Hilfe von Ausreden und Lügen zu umgehen, machen aber meist die Erfahrung, dass sie damit nicht weit kommen und sich dann notgedrungen dem Willen des Partners beugen müssen, damit die Belästigung endlich aufhört oder sie von unangenehmen Konsequenzen verschont bleiben. In diesem Buch soll der Konflikt aufgezeigt werden, der in einer Beziehung durch ständige sexuelle Belästigungen und wiederholte Zurückweisungen entsteht, und die Frage geklärt werden, warum der Bedrängende die Grenzen seines Partners nicht akzeptiert und warum dieser seine Grenzen nicht klar markiert und verteidigt. Es wird aus der jeweiligen Geschlechterperspektive beschrieben, wie sich aufgrund der ständigen sexuellen Übergriffe und des Versuchs, diese abzuwehren, immer mehr Frustration in eine Beziehung einschleicht und wie sich die beiden Partner jeweils fühlen, wenn ihre sexuellen Bedürfnisse nicht respektiert oder erfüllt werden. Zudem werden Lösungsansätze zur Überwindung dieses Konflikts aufgezeigt.
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Seitenzahl: 314
Veröffentlichungsjahr: 2025
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1. Was ist ungewollter Sex?
2. Unterschiedliches sexuelles Erleben von Mann und Frau
2.1 Das sexuelle Erleben der Frau
2.2 Das sexuelle Erleben des Mannes
2.3 Die unzureichende Abstimmung sexueller Vorlieben
3. Wenn sich die Gelegenheit zum Sex bietet
4. Wie erzwingt der Mann den Geschlechtsverkehr, wenn die Frau sich weigert?
5. Wie übersteht die Frau den erzwungenen Sex?
6. Wie erlebt der Mann den erzwungenen Sex?
7. Wie fühlen sich beide Partner nach dem Sex?
8. Der Grundkonflikt wird nicht erkannt
9. Wie kann der Konflikt überwunden werden?
10. Was ist liebevoller Sex?
11. Literaturverzeichnis
12. Zum Autor
Hast du schon einmal Sex mit deinem Partner gehabt, obwohl du ihn in diesem Moment gar nicht wolltest? Hast du schon einmal deinem Partner zuliebe mit ihm geschlafen, obwohl du selbst gar nicht in der Stimmung warst? Wenn sich dir dein Partner zärtlich angenähert hat, hast du dann schon manches Mal innerlich gehofft, es werde dieses Mal nicht zum Sex kommen? Und wenn es doch passiert ist: Hast du dir dann gewünscht, der Sex wäre schnell vorbei?
Sicherlich hat jeder schon einmal die Situation erlebt, dass der Partner nach sexueller Nähe sucht, obwohl man im Moment nicht dazu aufgelegt ist. Der Partner schmiegt sich an, streichelt den Arm, küsst zärtlich die Wange, flüstert kosende Worte und wirft verliebte Blicke zu – aber man ist einfach nicht in der Stimmung. Das kann in einer Beziehung passieren, schließlich tritt sexuelle Lust nicht immer zeitgleich bei beiden Partnern auf. Unangenehm wird es aber, wenn der Partner die Unlust des anderen in dessen Worten oder nonverbalen Signalen nicht wahrnimmt, sie einfach ignoriert oder falsch interpretiert. Wenn er seine zärtlichen Annäherungsversuche einfach fortsetzt und nicht damit aufhört, wenn er drängt und den anderen beharrlich zum Sex zu überreden versucht, kommt dieser in eine ziemlich prekäre Lage: Er muss seinem Partner erklären, dass er keinen Sex will, ohne ihm damit zu verstehen zu geben, dass er ihn nicht mehr liebt. Es ist ein Dilemma, das nicht selten mit Ausflüchten zu umgehen versucht wird.
Es ist eine höchst undankbare Aufgabe, dem Partner begreiflich machen zu müssen, dass man nicht auf dessen sexuelle Wünsche eingehen will, während dieser nicht lockerlässt und sich immer weiter körperlich aufdrängt. Den Spagat zwischen Höflich-bleiben-Wollen und Deutlich-werden-Müssen meistern viele nicht und lavieren dann zwischen vagen Andeutungen, halbherzigen Einwänden und erkennbaren Ausflüchten hin und her – immer in der Hoffnung, der drängende Partner möge doch endlich von selbst dahinterkommen, dass der Zeitpunkt ungünstig gewählt ist, um ihm durch eine direkt ausgesprochene Ablehnung eine Enttäuschung zu ersparen. Betroffene verharren auf diese Weise in einem Zwiespalt und beschäftigen sich innerlich verzweifelt mit der Frage: Merkt er es selbst, dass es heute nichts wird? Muss ich noch deutlicher werden? Oder gebe ich doch nach, damit endlich Ruhe ist?
Die Tür zum sexuellen Vergnügen, die durch die Unentschlossenheit, den Zweifel und das Zögern des bedrängten Partners offen bleibt, stößt der drängende Partner mit seinem unnachgiebigen Willen auf, um sich hindurchzuzwängen. Der Ausgang dieses Interessenkonflikts ist jedes Mal offen: Mal gibt der Betroffene dem Druck nach und lässt sich zum Sex überreden und mal zieht sich der drängende Partner zurück. In diesem Ringen zwischen Wollen und Nichtwollen ist nicht immer eindeutig auszumachen, ob es sich bei dem notorischen Anbändeln schon um ein grenzüberschreitendes Verhalten des drängenden Partners handelt oder der unentschlossene Partner einfach nur einen »kleinen Schups« benötigt, um sich der Verlockung hinzugeben.
Um ungewollten Sex handelt es sich, wenn ein Partner den anhand von Worten oder nonverbalen Zeichen geäußerten Unwillen seines Partners nicht erkennt oder dessen Grenze nicht zu akzeptieren bereit ist, beharrlich auf ihn einredet und ihn zu manipulieren versucht oder sich bereits an ihm vergreift – und zwar so lange, bis dieser endlich dem Sex zustimmt, obwohl er gar nicht möchte und sich nur deswegen darauf einlässt, um Nachteile durch eine Verweigerung für sich abzuwenden. Diese Art von Sex findet zwar scheinbar einvernehmlich statt, ist aber in Wirklichkeit nicht gewollt.
Das leidige Dauerverhandeln um Sex ist auf unbewusste defizitäre Eigenschaften beider Partner zurückzuführen, die den Konflikt aufrechterhalten: Dem drängenden Partner mangelt es an Einfühlungsvermögen und Selbstbeherrschung, um Rücksicht auf den anderen zu nehmen, dem unwilligen Partner hingegen an Selbstachtung und Mut, um für sich einzustehen und die eigenen Grenzen zu markieren. Beide befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen ein eindeutiges Ja nicht abwarten und ein klares Nein nicht aussprechen können. Der eine hört nicht auf, Druck auszuüben, und der andere lässt sich die Belästigung zu lange gefallen. Dabei entsteht ein Kräfteverschleiß, bei dem einer irgendwann aufgibt.
Gibt der bedrängte Partner nach und lässt er sich am Ende auf Sex mit dem drängenden Partner ein, kommt er nicht auf die Idee, dessen Verhalten als rücksichtslos, geschweige denn als übergriffig zu bezeichnen, denn schließlich hat er ja zugestimmt – wenn auch nicht gerade mit Begeisterung. Die Grenze zwischen freiwilligem, einvernehmlichem Sex und Nötigung ist in diesem Fall nicht immer leicht zu ziehen. Kann man von einvernehmlichem Sex sprechen, wenn man vom Partner unter Druck gesetzt wird und letzten Endes nur zustimmt, um die Drangsalierung zu beenden oder den möglichen Konsequenzen einer Verweigerung aus dem Weg zu gehen? Oder ist es keine Nötigung, wenn der Sex zwar einvernehmlich, aber ohne jegliche Lust eingegangen wird? Nicht immer haben wir Lust auf bestimmte Dinge, stimmen ihnen aber dennoch aus Pflicht oder Anstand des lieben Friedens willen zu. Wir tun es zwar, fühlen uns deswegen aber nicht genötigt. Wann geht es also nur darum, den inneren Schweinehund zu überwinden? Und wann lässt der äußere Schweinehund nicht mehr locker und wendet Zwang an?
Oft verschwimmt im Alltag einer Beziehung die Grenze zwischen Lust und Last: Man tut etwas, was man in diesem Moment gar nicht möchte, weil man sich verpflichtet fühlt oder Angst vor den Folgen hat, wenn man es unterlässt. Der Frage, ob man es auch gerne tut oder vielleicht sogar gegen die eigene Überzeugung, wird dann nicht weiter nachgegangen. Man willigt ein und meint, es sei schon richtig so – oder eben unumgänglich. Viele denken, es gehöre nun einmal zu einer Beziehung, mit seinem Partner zu schlafen, und man enttäusche diesen, wenn man ihm den Beischlaf verwehrt. Man will ein guter Partner sein, die Liebe nicht in Frage stellen und den Frieden in der Beziehung nicht unnötig gefährden. So passiert es dann, dass man etwas tut, das man eigentlich gar nicht will, sich hinterher schlecht fühlt und schämt oder sich beschönigende Begründungen einfallen lässt, um sich den Selbstverrat nicht eingestehen zu müssen.
Auf der anderen Seite ist dem Drängenden oft gar nicht bewusst, dass er eine Grenze überschreitet, wenn ihm diese von seinem Partner nicht klar und unmissverständlich aufgezeigt wird. Er empfindet sein Verhalten ganz und gar nicht als nötigend, sondern empört sich vielmehr darüber, dass sich sein Partner anscheinend mit plumpen Ausreden vor dem Sex drücken will oder dabei irgendwie lustlos wirkt. Es ist ihm überhaupt nicht klar, warum sich sein Partner so reserviert verhält, und bringt dessen Widerwillen keineswegs mit seiner Aufdringlichkeit in Verbindung. Er merkt nur, dass er sich jedes Mal den Mund fusselig reden und ungewöhnlich viel Zeit und Mühe investieren muss, bis der verstockte Partner endlich zustimmt. Da es am Anfang der Beziehung deutlich leichter war, den Partner zum Sex zu motivieren, gibt er nun dessen vermeintliche Verschlossenheit und Trägheit die Schuld, statt darüber nachzudenken, ob er sich vielleicht mit seiner zudringlichen Art gegenüber dem Partner falsch verhält.
Fraglich dürfte sein, ob der drängende Partner überhaupt wahrnimmt, wenn seine Lustgefühle eine bestimmte Schwelle überschreiten, er die Kontrolle über seine Geschlechtsimpulse verliert und kurz davor ist, den Partner zum Triebabbau zu missbrauchen. Ist er sich in diesem Moment bewusst, was mit ihm geschieht und was er anzurichten vorhat? Manchmal kann die Begierde so stark ansteigen, dass das eigene Bedürfnis alles andere überlagert und die Grenze des Partners nicht mehr mit dem notwendigen Feingefühl wahrgenommen oder schlicht nicht toleriert wird. Die Triebimpulse können nicht mehr beherrscht werden und in der Folge wird durch ein zu forsches und regelrecht unverschämtes Annähern Vertrauen leichtfertig verspielt.
Andererseits stellt sich die Frage: Warum wird eigentlich auf das Begehren des Partners eingegangen, wenn man doch gar keinen Sex will? Welche Motive oder Ängste schwingen im Hintergrund mit, die eine Einwilligung unvermeidlich zu machen scheinen? Inwieweit wird die Entscheidung eines unter Druck gesetzten Partners durch belastende Gefühle oder moralische Gebote so beeinflusst, dass er darüber das Gespür sowohl für das nötigende Verhalten seines Partners als auch für seine persönliche Grenze verliert? Was hindert ihn daran, Nein zu sagen? Der Mangel an Willen zur Abgrenzung auf der einen Seite und der Unwille zur Anerkennung eines entgegengesetzten Willens auf der anderen Seite lassen die Grenzen verschwimmen. Die Frage, warum der drängende Partner die Grenze des anderen trotz dessen Äußerungen oder Verzögerungstaktik nicht erkennt und warum der andere seinen Körper hergibt, obwohl er es gar nicht will, soll in diesem Buch näher untersucht werden.
Die wenigsten Betroffenen sind sich bewusst, dass sie in ihrer Beziehung zum Opfer sexueller Ausbeutung werden, wenn sie Sex zustimmen und ihn ertragen, obwohl sie ihn nicht wollen und auch nicht entsprechend erregt sind. Um das zu bekommen, was er sich wünscht, übt ihr Partner sexuellen Druck auf sie aus, geht über ihre Bedürfnisse hinweg und verletzt ihre persönliche Grenze. Dies mag sich zunächst gar nicht so anfühlen, weil der Partner sich liebevoll annähert und den anderen mit Charme und Einfallsreichtum zu überzeugen versucht. Doch die zunehmende Hartnäckigkeit und Intoleranz bei entsprechendem Widerstand verraten das selbstsüchtige Verlangen des Drängenden hinter dessen zärtlichen Avancen. Diese Form von sexueller Belästigung – die nur zu oft von Betroffenen und Tätern gleichermaßen verharmlost wird und deswegen unerkannt bleibt – muss durchaus als sexuelle Gewalt bezeichnet werden. Da sexuelle Gewalt aber in der Regel mit einer Vergewaltigung assoziiert wird, bei der dem Opfer körperliche Gewalt angetan wird und dieses sich ganz offensichtlich dagegen wehrt, fällt sexuelle Belästigung bestenfalls in die Rubrik »Lümmelhaftes Benehmen«. Sexuelle Gewalt fängt aber schon viel früher an: mit sexuellem Druck und Einschüchterung, mit Respektlosigkeit und Grenzverletzungen, Manipulation und Instrumentalisierung.
Partner in Beziehungen – vor allem Frauen – haben mit dieser oft unerkannten Form der sexuellen Aggressivität im Alltag zu kämpfen. Oft sprechen Betroffene nicht über die sexuelle Zudringlichkeit ihres Partners: Entweder schämen sie sich oder empfinden das Verhalten ihres Partners nicht als grenzüberschreitend oder gar als gewalttätig. Das Thema, vom Partner zum Sex gedrängt zu werden, wird tabuisiert und vor anderen verschwiegen. Gerade Frauen fühlen sich oft verpflichtet, den Mann sexuell zu befriedigen, und merken nicht, wie sie dabei ihre eigenen Grenzen aufgeben und so zum Opfer sexueller Ausbeutung werden, während Männer meist glauben, einen rechtmäßigen Anspruch auf sexuelle Versorgung durch die Frau zu haben. Diese sich gegenseitig bestätigende Haltung führt dazu, dass Sex nicht zur beiderseitigen Freude wird, sondern für den einen zur Strapaze und für den anderen zur Machtdemonstration – mit der Folge, dass die Beziehung auf Dauer darunter leidet.
Zunächst soll das unterschiedliche sexuelle Erleben von Mann und Frau näher beschrieben werden, um darüber Missverständnisse, Wissenslücken und Vorurteile aufzudecken, die dazu führen, dass Erwartungen, Ängste und Grenzen sowie geschlechtsspezifische Präferenzen und Aversionen leicht übersehen oder ignoriert werden. Denn das sexuelle Erleben und die sexuellen Vorlieben von Mann und Frau unterscheiden sich in ganz erheblicher Weise, so dass es leicht zu gegenseitigen Enttäuschungen kommen kann, wenn man die Unterschiede nicht kennt oder sich nicht darauf einstellt. Ein für beide Seiten befriedigendes Geschlechtsleben kann nur zustande kommen, wenn als Grundlage die gegenseitige Akzeptanz der individuellen Sexualität sowie eine partnerschaftliche Abstimmung und Rücksichtnahme vorhanden sind. Werden die eigenen Bedürfnisse über alles gestellt und die Vorstellungen und der Wille des Partners nicht berücksichtigt, kann es in der Folge zu grenzverletzendem Verhalten kommen. Wie sich dann Tendenzen zur Übergriffigkeit in einer Beziehung zeigen und entwickeln und wie sich beide Partner fühlen, wenn ihre sexuellen Bedürfnisse nicht respektiert werden, soll in den folgenden Kapiteln aus der jeweiligen Geschlechterperspektive beschrieben werden:
Wie geht ein Partner vor und wie nähert er sich an, wenn er Sex will, der andere aber kein Interesse hat?
Wie reagiert der unwillige Partner auf einen unerwünschten Annäherungsversuch? Wie fühlt er sich dabei und wie wehrt er sich?
Wie gelingt es dem drängenden Partner, den unwilligen Partner letzten Endes doch noch »herumzubekommen«?
Wie übersteht der unwillige Partner den Sex? Was empfindet er im Moment des ungewollten Sex und wie erträgt er diese Zeit?
Wie erlebt der drängende Partner den Sex mit einem unwilligen Partner? Wie geht er mit der Unlust seines Partners um?
Wie fühlen sich beide nach dem erzwungenen Sex? Wie geht der genötigte Partner mit dieser Erfahrung um, wie der drängende?
Wie entwickelt sich der Konflikt im Verlauf der Beziehung, der durch die ständige Nötigung auf der einen Seite und die wiederholte Unwilligkeit auf der anderen Seite entsteht?
So sehr das Drängen zum Sex zu einer zunehmenden Belastung in der Beziehung wird – und zwar für beide Partner, für den Drängenden wie für den Unwilligen gleichermaßen –, so wenig kommt es in den meisten Fällen zu einer Klärung des tieferliegenden Grundkonfliktes. Entweder wird das Grundproblem nicht erkannt oder ein Gespräch aus Angst vor Unannehmlichkeiten und negativen Konsequenzen gemieden. Das Problem wird unter den Teppich gekehrt und in der Folge türmt sich der Frust auf beiden Seiten immer weiter auf. Jeder der Beteiligten findet dann seine eigenen Vorgehensweisen, um mit diesem heiklen Thema umzugehen: Die Reaktionen des unwilligen Partners reichen von der Duldung sexueller Übergriffe und ungewolltem Intimverkehr über perfide Abwehrstrategien bis hin zu subtilen und teilweise gemeinen Bestrafungen, während der drängende Partner aufgrund des Widerstandes oft noch zudringlicher wird oder seinerseits den Partner für die Verweigerung bestraft. Die Folgen aus dem Wechselspiel von Angriff und Verteidigung sind permanente gegenseitige Verletzungen, die das Beziehungsleben belasten und die Liebe zunehmend töten mit dem Ergebnis, dass Sex immer öfter ausbleibt oder unbefriedigend verläuft, wenn er einmal zustande kommt. Dabei wird weder dem drängenden noch dem unwilligen Partner bewusst, welchen Anteil er an dieser Entwicklung trägt. Die Schuld wird einseitig dem anderen zugeschrieben und dort wird auch eine Veränderung erwartet.
Ein Weg aus diesem Dilemma kann nur gefunden werden, wenn sich beide der eigenen Verantwortung stellen, ihre unangemessenen Verhaltens- und Reaktionsmuster erkennen, deren Auswirkung sowohl auf das Sexualleben wie auch auf das gesamte Beziehungsleben akzeptieren und gemeinsam daran arbeiten, den Konflikt zu überwinden. Es gibt Möglichkeiten, wie der sexuelle Trieb kontrolliert werden kann, damit man den Partner nicht zum Sex nötigen muss und leichter eine Abweisung akzeptieren kann. Und es gibt Möglichkeiten, wie man der Zudringlichkeit seines Partners begegnen und ihm verständlich machen kann, dass man derzeit keine Lust auf Sex hat oder sich eine andere Form von Intimität wünscht, ohne ihn damit zu verletzen. Wenn beiden klar wird, wie unvorteilhaft ihr jeweiliger Umgang mit den sexuellen Bedürfnissen ihres Partners ist und wie sehr ein Blockieren, Leugnen und Unterdrücken den Konflikt nur verschärfen, können auch Wege gefunden werden, den Kampf um Sex endlich zu beenden und zu einer friedlichen Beziehung zu gelangen, in der es keinen erzwungenen, sondern stattdessen einen liebevollen Sex gibt.
Anmerkungen zur gewählten Darstellungsform
Die folgenden Beschreibungen und Analysen beziehen sich auf sexuelle Belästigungen in langjährigen Beziehungen. Dies muss hier hervorgehoben werden, weil der Sex zu Beginn einer Beziehung in der Regel von beiden Partnern als lustvoll und begehrenswert erlebt wird und es deshalb in dieser Phase nicht zwangsläufig zu Übergriffigkeiten kommt, weil sich ein Partner verweigert. Im Laufe der Beziehung können sich allerdings das Verlangen, die Bedürfnisse und die Gewohnheiten ändern und der gemeinsame Sex kann im Leben der beiden Verliebten eine neue Bedeutung bekommen. Zusätzliche Aufgaben, Pflichten und Sorgen sowie unterschiedliche Interessen schleichen sich vermehrt in den Alltag und verdrängen die flammende Leidenschaft. Es geht dann nicht mehr nur darum, sich zu lieben, sondern auch zu lernen, miteinander zu leben – was nicht selten aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen und Erwartungen zu Frust in der Beziehung führt. An meiner Seite liegt dann plötzlich nicht mehr nur der sexuell attraktive Partner, mit dem das Idealbild einer großartigen Liebe gelebt werden kann, sondern es stellt sich auf einmal heraus, dass dieses Wesen zudem noch Eigenschaften und Verhaltensweisen besitzt, die weniger anziehend sind. Aus dem Traumpartner wird auf einmal ein normaler Mensch mit seinen Schwächen und Defiziten – und die Illusion vom einmaligen, unzerstörbaren Glück muss einem realistischen Bild weichen.
An dieser Stelle zeigt sich, ob eine Beziehung gelingen kann, auch wenn es nicht mehr die ganze Zeit nur um Liebe und Sex geht. Manchen gelingt der Übergang vom Rausch zur Normalität nicht und es kommt sehr schnell zu einer Trennung, sobald das Feuer der Leidenschaft erlischt. Manche wollen aber den eingeschlagenen Weg gemeinsam weitergehen und finden tragfähige Kompromisse für ein Miteinander. Und um diese Kompromisse geht es in diesem Buch – und ganz besonders um den, der die Gestaltung des gemeinsamen Sexlebens betrifft. Wenn sich der Lustfaktor verändert und das Bitten um Sex zu einem Dauerthema in der Beziehung wird, stellen sich essentielle Fragen: Wie bekomme ich Sex, wenn ihn mein Partner nicht zulässt, oder wie verhindere ich Sex, wenn mein Partner nicht aufhört, ihn einzufordern? Dieses Buch soll aufzeigen, wie folgenschwer solche ungeklärten Fragen sein können, wenn die unterschiedlichen sexuellen Vorstellungen und Bedürfnisse eines jeden Partners nicht angemessen berücksichtigt oder einfach übergangen werden.
Des Weiteren muss darauf hingewiesen werden, dass in dieser Abhandlung von einem normalen Interesse an sexueller Betätigung sowie der uneingeschränkten sexuellen Funktionstüchtigkeit beider Partner ausgegangen wird. Das Versagen genitaler Reaktionen wie die Erektionsstörung beim Mann oder die mangelnde vaginale Lubrikation bei der Frau, das Auftreten von Funktionsstörungen wie eine mangelnde Kontrolle der Ejakulation beim Mann oder der Vaginismus bei der Frau, wiederkehrende Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder ein Mangel an sexuellem Verlangen wie auch ein gesteigertes stellen zum Teil unüberwindbare Erschwernisse dar, die verhindern, dass beide Partner den Sex als befriedigend erleben können. In diesen Fällen beruhen die geringe Lust an sexueller Betätigung und die Abweisung des Partners oder die fehlende Rücksichtnahme auf dessen Bedürfnisse und Vorlieben nicht auf mangelndem Wollen, sondern auf organischen oder psychogenen Störungen. Diese Problematik muss an anderer Stelle behandelt werden und ist nicht Thema dieses Buches.
Weil Drängen und Zwingen-Wollen mit einer maskulinen Energie einhergehen und Männer eher dazu neigen, die Grenzen der Frau zu überschreiten, als dies umgekehrt der Fall ist – was in den nachfolgenden Erläuterungen über die geschlechtsspezifischen Unterschiede noch herausgearbeitet werden wird –, soll in diesem Buch aus Gründen der Anschaulichkeit die typische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau beschrieben werden. Dabei soll es allerdings nicht darum gehen, einseitig Männer für ihren zudringlichen Charakter zu verurteilen und Frauen von jeglicher Schuld zu entlasten. Auch Frauen können starken Druck ausüben und Männer zum Sex nötigen. Es soll in den Beschreibungen vornehmlich darum gehen, ein bestimmtes wiederkehrendes und den Intimverkehr beeinträchtigendes Muster aufzudecken, das sowohl von dem einen wie auch von dem anderen Geschlecht – oder auch in homosexuellen Beziehungen – Anwendung findet. Zuweilen können die Rollen in einer Beziehung auch situativ oder phasenweise wechseln: Der bedrängte Partner verwandelt sich zum Drängenden oder der drängende Partner wird plötzlich zum Genötigten. Es geht nicht um die Bewertung und Verurteilung der Geschlechter, sondern um das individuelle sexuelle Werbungsverhalten in einer Partnerschaft sowie um die Folgen, wenn dieses aggressiv und rücksichtslos ausgelebt wird.
Der Glaubwürdigkeit meiner Darstellungen geschuldet möchte ich an dieser Stelle noch anmerken, dass die beschriebenen Verhaltensmuster und nachfolgenden Erklärungen keinen Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit erheben. Meine Abhandlung gründet sich nicht auf systematische Feldstudien, sondern beruht auf den subjektiven Erfahrungen und Berichten unzähliger Klienten, die ich beraten und in ihrem Prozess der Konfliktbewältigung und Persönlichkeitsentwicklung begleiten durfte. Dabei spiegelt der beschriebene Konflikt im Sexualleben den Grundkonflikt der Beziehung wider, weshalb ich einen detaillierten Einblick in ein Thema erhielt, das zunächst von den meisten Betroffenen gar nicht zu problematisieren beabsichtigt war und mehr oder weniger nebenbei erwähnt wurde, um damit lediglich die mangelnde Rücksichtnahme, die ihnen im täglichen Miteinander mit ihrem Partner begegnete, zu unterstreichen. Weil sich aber die unbefriedigenden Erlebnisse im sexuellen Bereich vieler Betroffenen so sehr ähnelten, habe ich mich diesem Thema intensiver gewidmet und ihm mit diesem Buch einen besonderen Schwerpunkt verliehen.
Bevor sexuell übergriffiges Verhalten in seinen Erscheinungsformen und Auswirkungen näher beschrieben wird, sollen zunächst die Unterschiede im sexuellen Erleben von Männern und Frauen dargestellt werden, um daraus eine nachvollziehbare Erklärung abzuleiten, warum es in Paarbeziehungen leicht zu Grenzüberschreitungen und mangelnder Rücksichtnahme auf die sexuellen Wünsche und Bedürfnisse des Partners kommen kann. Dabei geht es nicht um eine vollständige anatomische, physiologische Erklärung der sexuellen Vorgänge im Körper von Mann und Frau, sondern in erster Linie um das körperliche und emotionale Erleben beim Sex. Die unterschiedlichen Gefühle, Empfindungen und Gedanken beider Geschlechter während des Intimverkehrs sollen erläutert werden, um das Konfliktpotential zu verdeutlichen.
Männer und Frauen präferieren unterschiedliche sexuelle Vorgehensweisen und Praktiken und fühlen sich auf unterschiedliche Weise erregt. Dies stellt an sich kein Problem dar – liegt doch die Magie von Sex darin, den Partner in seiner Individualität zu erfahren und sich von ihr begeistern zu lassen. Es wird allerdings zu einem Problem, wenn die unterschiedlichen Bedürfnisse und zum Teil völlig konträren Vorstellungen hinsichtlich sexueller Freuden ignoriert werden und sowohl der Mann als auch die Frau stillschweigend davon ausgeht, dass der Partner entweder dieselben Vorlieben hat und dasselbe fühlt oder dem anderen schon gefallen wird, was man an sexueller Fertigkeit anzubieten hat. Die eigenen Wünsche und Vorstellungen von Sex werden nicht hinlänglich mit den Wünschen und Vorstellungen des anderen abgeglichen. Viel zu oft geben sich Mann und Frau zu wenig Mühe, herauszubekommen, was der andere wirklich möchte und ihm gefällt. Teilweise mangelt es auch an Wissen in Bezug auf die Sexualität des anderen Geschlechts, weshalb blind am Körper des anderen herumexperimentiert wird. Da aber ein offenes Gespräch über die eigene Sexualität und die eigenen Fantasien wie auch über diejenigen des Partners Schamgefühle auslösen könnten, werden Wissenslücken durch Mythen ersetzt, die im Laufe der Zeit entstanden sind und an denen man sich unkritisch orientiert. Dies führt dazu, dass entweder die eigenen Wünsche nicht klar artikuliert oder signalisiert werden oder dass unreflektiert Forderungen gestellt werden, die vom Partner erfüllt werden sollen, ohne vorher dessen Bereitwilligkeit geprüft zu haben.
Die Folgen sind grundlegende Missverständnisse zwischen Mann und Frau, die zu unbefriedigendem Sex führen und das Bild vermitteln vom Mann, der immer Lust hat, und von der Frau, die immer passiv sein und den Mann gewähren lassen muss. Hinzu kommt noch die irrige Annahme, dass Mann und Frau Sex ähnlich erleben. Wird dieses Bild zur Leitidee, wundert es nicht, wenn Männer meinen, die Initiative ergreifen zu müssen, um die Frau zum Sex zu bewegen, und dabei nicht selten die Grenze des Anstands überschreiten – sei es, weil sie es selbst nicht merken oder weil die Frau ihre Grenze nicht deutlich markiert oder nicht so genau kennt. Aufgrund eines mangelnden Gefühls für die Grenze des anderen oder der Scheu, die eigene Grenze klar zu benennen und zu verteidigen, schleichen sich dann Formen der Übergriffigkeit in sexuelle Annäherungsversuche ein, die fatalerweise oft gar nicht als solche erkannt und daher auch nicht thematisiert werden.
Sexualität wird von jedem Menschen anders erlebt und ausgedrückt
Das altbekannte Klischee, dass Männer immer wollen und können und Frauen langsamer in Fahrt kommen und seltener das Bedürfnis nach Sex haben, trifft sicher nicht auf jeden Mann und auch nicht auf jede Frau zu. Auch wenn Männer in sexueller Hinsicht tendenziell initiativer und Frauen zurückhaltender sind, muss man doch unabhängig vom Geschlecht die Veranlagung und Stimmung der jeweiligen Person und die Situation, in der sie sich gerade befindet, berücksichtigen. Eine Person kann in einem Moment noch kein Bedürfnis nach Sex haben und wenig später kann es unerwartet stark in ihr erwachen. Ein und dieselbe Person kann das eine Mal ihren Wunsch nach Sex höflich vorbringen und es dem Partner überlassen, ob er darauf eingeht oder nicht, und ein anderes Mal wild und stürmisch werden und es kaum abwarten können, bis der Partner auch endlich bereit ist. Es gibt kein einheitliches und allgemeingültiges Verhaltensmuster – weder bei Männern noch bei Frauen –, nach dem sie ihr sexuelles Bedürfnis äußern und einfordern. Die Art kann von Mal zu Mal variieren, da jeder Mensch seine Sexualität zu jedem Zeitpunkt anders erlebt und ausdrückt. Dennoch sind typische geschlechtsspezifische Reaktions- und Erlebnisweisen zu beobachten, die zur besseren Darlegung der Grundproblematik, die in diesem Buch behandelt werden soll, herangezogen und im Folgenden näher beschrieben werden sollen – im Wissen, dass es mannigfache Abweichungen davon geben kann.
Das sexuelle Erleben der Frau – und auch später dasjenige des Mannes – soll anhand der vier Phasen des sexuellen Reaktionszyklus erklärt werden, der von den amerikanischen Sexualforschern William Masters und Virginia Johnson im Jahr 1966 ausgearbeitet wurde1: Erregungsphase, Plateauphase, Orgasmus und Entspannungsphase. Diese Phasen dienen der besseren Einordnung, können aber sowohl geschlechtsspezifisch als auch individuell abweichen und sehr unterschiedlich erlebt werden. Da sexuelles Erleben von einer komplexen Wechselwirkung vieler Faktoren abhängt, kann es sein, dass sich nicht jeder in diesem Schema wiederfindet.
Die Frau mag sinnliche Berührungen wie Küssen, Umarmen, Streicheln und Liebkosen. Sie mag es, wenn körperliche Nähe hergestellt wird und darüber das Gefühl von Zuneigung und Verbundenheit entsteht. Dieses Gefühl intensiviert sich für die Frau, wenn ihr Partner sich ihr öffnet und vertrauensvoll mit ihr spricht, ihr dabei liebevoll in die Augen sieht und ihre Hand zärtlich in seiner hält. In einem derart intimen Augenblick genießt sie die Nähe und Innigkeit. In einer solchen Atmosphäre kann sich sexuelle Erregung aufbauen – muss es aber nicht. Bei einer Frau löst emotionale und körperliche Nähe nicht automatisch auch ein sexuelles Verlangen aus. Daher kann es leicht passieren, dass der Mann meint, sich schon im Stadium des sexuellen Vorspiels zu befinden, während die Frau derartige Absichten noch gar nicht hegt.
Entsteht nach einer Weile des vertrauensvollen und zärtlichen Beisammenseins bei der Frau ein sexuelles Interesse, kann ihre Erregung durch eine Stimulation der erogenen Zonen anwachsen: Zartes Berühren, Küssen und Streicheln von Hals und Nacken, Ohr und Ohrläppchen, Stirn und Wange, Finger und Handgelenken, Brüsten und Bauchdecke, Po und Schenkel. Auch scheinbar unwichtige Areale wie z. B. die Achselhöhlen oder Kniekehlen, die jedoch reich an sensiblen Nerven sind, können die Durchblutung der Geschlechtsorgane der Frau anregen und ihre Lust steigern. Diese zarten und vor allem über den ganzen Körper verteilten Berührungen führen dazu, dass die Vagina feucht wird und die Schamlippen und Klitoris anschwellen – vor allem, wenn die sinnliche Verwöhnung zusätzlich noch mit verbalen Liebkosungen des Partners einhergeht. Sind die Küsse zu grob und gierig, wiederholt sich das Streicheln oder Kitzeln auf stereotype Weise an immer denselben Stellen, so dass es sich eher wie ein Scheuern anfühlt, will der Mann zu früh zur Penetration übergehen oder macht er unsensible Bemerkungen, kann die Erregung der Frau unverhofft schnell wieder abflauen.
Die zunehmende Erregung der Frau kann sich darin äußern, dass ihre Küsse intensiver und leidenschaftlicher werden, dass sie sich mehr und mehr an den Körper des Partners schmiegt, seine erogenen Zonen häufiger berührt und dass sich ihr Puls und ihre Atemfrequenz erhöhen. Berührt der Mann dann mit seinen Lippen, Fingern oder seiner Zunge die Schamlippen, Klitoris oder den Eingang der Vagina und übt er über sanftes Massieren oder Streicheln leichten Druck auf diesen hochempfindsamen Bereich aus, kann die Lust der Frau erheblich anwachsen. Allerdings gibt es kein verbindliches Schema oder Erfolgsrezept, wie eine Frau am besten zu erregen und zum Sex zu bewegen ist. Vieles kann eine Frau erregen, vieles auch nicht – der Mann muss das selbst herausfinden. Nicht jede Frau hat die gleichen erogenen Stellen und ein und dieselbe Frau kann sich beim nächsten Mal auf ganze andere Weise erregt fühlen. Es gibt keine Garantie dafür, dass sie immer wieder mit einer bestimmten Methode erregt wird. Nicht zuletzt trägt auch der Zyklus der Frau dazu bei, dass ihr sexuelles Verlangen schwankt: In der Phase des Eisprungs ist das Verlangen für gewöhnlich höher – eben dann, wenn sie am fruchtbarsten ist –, danach nimmt es wieder ab. Allerdings wird jede Frau von ihrem monatlichen Zyklus auf völlig unterschiedliche Weise beeinflusst, so dass auch hieraus keine generelle Voraussage abgeleitet werden kann.
Bei der Frau führt vor allem eine vielfältige und abwechslungsreiche Stimulierung zu einer starken Erregung und sie braucht in der Regel länger als der Mann, bis sie auf Sex eingestimmt ist. Dabei spürt die Frau die ansteigende Erregung im ganzen Körper und nicht nur im Genitalbereich. Es breitet sich eine prickelnde Wärme aus und in der Klitoriszone entsteht ein leichtes Brennen, das sich über den gesamten Vaginalbereich erstreckt, verbunden mit einem gesteigerten Verlangen nach Berührungen – vor allem an den Brüsten, dem Po und der Vagina.
Die meisten Frauen mögen das Liebkosen während des Vorspiels so sehr, dass sie am liebsten gar nicht mehr damit aufhören möchten. Manchen reicht es sogar, um allein darüber einen Orgasmus zu erfahren – wenn sie nur unaufhörlich stimuliert und auf gleichbleibend zärtliche wie liebevolle Weise behandelt werden. In der Regel sind Frauen nicht so orgasmusfixiert wie der Mann, sondern schätzen das Vorspiel allein um seines selbst willen. Statt gleich zum Geschlechtsverkehr überzugehen, würden die meisten Frauen gerne viel länger in dem Gefühl der Erregung verweilen. Sie wünschen sich, dass erotische Spiele mehr aus sinnlichen Berührungen bestehen und weniger – und vor allem nicht so schnell – genital bezogen sind. Für sie ist die Erregung das Schönste am Sex und sie wollen den Orgasmus – sowohl den eigenen wie auch den des Mannes – am liebsten bis in alle Ewigkeit hinauszögern. Wenn sie die Erregung nur lange genug auskosten können, fühlt es sich für sie fast schon so an, als hätten sie einen Orgasmus. Gar nicht so selten kommt es sogar vor, dass Frauen sofort das Interesse verlieren, sobald nach dem leidenschaftlichen Küssen und sinnlichem Streicheln auf einmal der genitale Verkehr einsetzt. Im Vordergrund stehen für sie die erotische Nähe zum Partner und die Spannung, die sich durch das Verzögern des Geschlechtsverkehrs zunehmend aufbaut. Sie liebt diesen verheißungsvollen Schwebezustand – die Phase zwischen Luststeigerung und dem Widerstehen eines Orgasmus. Daher können Frauen auch ohne Orgasmus auskommen, wenn denn das Vorspiel ganz nach ihrem Geschmack ist. Fällt dieses bedauernswert kurz aus oder findet es gar nicht erst statt, fällt es einer Frau schwerer, während des Geschlechtsverkehrs einen Orgasmus zu erreichen – nicht selten mit der Folge, sich um die Freuden des Sex betrogen zu fühlen.
Erreicht der Mann zu schnell seinen Höhepunkt, ist die Frau häufig frustriert, weil sie die Erregungsphase nicht voll auskosten konnte oder kurz vor dem eigenen Orgasmus abbrechen muss, weil für den Mann der Sex vorbei ist. Sie fühlt sich dann enttäuscht, häufig sogar missbraucht. Oft wird sie auch wütend und fordert sogar, dass der Mann weitermachen soll, obwohl er es aus physiologischen Gründen nicht mehr kann. Dieses Gefühl, immer hintanstehen zu müssen, ist für sie unerträglich – es demütigt sie. Wiederholt sich der »orgastische Kurzschluss« des Mannes zu oft, neigen Frauen irgendwann dazu, beim Sex abzuschalten, nichts mehr zu erwarten, den Akt einfach über sich ergehen zu lassen und abzustumpfen. Sie resignieren ob der Tatsache, dass der Mann seine Ejakulation nicht steuern kann, und erwarten nicht mehr, dass ihr Partner ihnen ein schönes sexuelles Erlebnis bereitet.
Frauen mögen es nicht sonderlich, wenn sich der Mann an ihnen vergreift, sein Programm abspult und sie ihm mehr oder weniger dabei zusehen müssen, ohne selbst etwas machen und sich an den Sexspielen beteiligen zu dürfen. Der Zauber des Gleichklangs geht auf diese Weise für sie verloren. Frauen wollen Sex zu einem gemeinsamen Erlebnis machen und hassen es, wenn der Mann nur schnell seinen Orgasmus erleben will.
Nicht jede Stellung, die der Mann beim Geschlechtsverkehr anbietet oder fordert, ist ein Genuss für die Frau. Die gewöhnliche Missionarsstellung gilt bei Frauen häufig noch als eine der beliebtesten, weil in dieser Stellung der Augenkontakt hergestellt werden kann und besonders intensiv wirkt. Auch die Liebkosung ist intensiver. Beim Sex geht es der Frau weniger um den rein mechanischen Vorgang, der zur höchsten Erregung führen und den Körper in Ekstase versetzen soll, als vielmehr um das sinnliche Erlebnis – die Erfahrung, mit einem anderen Menschen eins zu werden, ihn bei sich zu haben, ihn in sich zu haben und ihn bei allem, was er erlebt, zu spüren und zu halten.
Jede Frau hat andere sexuelle Vorlieben und nicht jede Frau empfindet und agiert in der hier beschriebenen Weise. Es gibt es auch Frauen, die in ihrem Verhalten und Erleben davon abweichen. So kann eine Frau durchaus Gefallen an einem schnellen oder gar groben Akt finden, wenn sie sich dabei geliebt und respektiert fühlt und sich aktiv in das Geschehen einbringen kann. Erlebt sie egoistischen Sex – egal ob lang oder kurz, schnell oder bedächtig, hart oder weich –, ohne dass auf ihre Bedürfnisse Rücksicht genommen wird, dann verachtet sie ihren Partner für dessen Gefühllosigkeit. Das sexuelle Erlebnis mit diesem Mann wird ihr kaum in guter Erinnerung bleiben.
Es ist nicht richtig – wie oft behauptet wird –, dass der Orgasmus für die Frau nicht wichtig wäre. Sie ist vielleicht nicht so orgasmusgetrieben wie der Mann und kann den Sex auch als schön empfinden, wenn er nicht mit einem grandiosen Abschluss endet. Sie würde ihn aber schon gerne erleben – und sich nicht nur für den Mann freuen oder sogar neidisch auf ihn sein, wenn er ihn erlebt.
Vielmehr ist es so, dass Frauen häufig unter dem Druck stehen, einen Orgasmus haben zu müssen, um der Erwartung des Mannes gerecht zu werden und dessen Wunschbild von einem erfahrenen und unwiderstehlichen Liebhaber zu bestätigen. Sie haben oft das Gefühl, für den Mann eine Rolle spielen zu müssen, für ihn zu »funktionieren«, damit er nicht unzufrieden mit ihnen ist und daraufhin die Beziehung als Ganzes in Frage zu stellen beginnt. Daher verschweigen manche Frauen dem Mann auch lieber, dass sie keinen Orgasmus hatten, um ihm nicht das Gefühl zu geben, versagt zu haben. Dieser Druck hindert sie allerdings daran, den Sex genießen zu können, sich frei und hingebungsvoll auf den Geschlechtsverkehr einlassen zu können und somit überhaupt erst die Voraussetzung für einen eigenen Orgasmus zu schaffen. Fordern sie hingegen ihr Recht auf einen Orgasmus aktiv ein und verlangen sie, dass der Mann sich zurückhält und sich auf ihre Bedürfnisse einstellt, empfindet dies der Mann oft als Zurechtweisung. Er gerät dann seinerseits unter Druck und kann sich ebenfalls nicht mehr frei dem sexuellen Spiel hingeben. So kann der Wunsch nach einem Orgasmus zwar bei beiden vorhanden sein, aber unter dem Druck der Notwendigkeit scheitern.
Im Allgemeinen ist es für die Frau schwieriger, zum Orgasmus zu gelangen, als für den Mann. Daher würde es ihr leichter fallen, einen Orgasmus zu bekommen, wenn der Mann dem Vorspiel eine höhere Bedeutung beimessen würde. Auf der anderen Seite ist der Orgasmus der Frau meist sehr viel intensiver und hält auch länger an als beim Mann. Die meisten Frauen erreichen ihn durch die Stimulierung der Klitoris, allerdings befindet sich diese etwa sechs Zentimeter von der Vagina entfernt. Dies bedeutet, dass die Klitoris während der Penetration überhaupt nicht vom Penis des Mannes berührt wird und es daher für die Frau schwierig ist, auf diese Weise einen Orgasmus zu erreichen. Unter diesen Umständen kann es durchaus mühsam sein, den richtigen Reibungspunkt zu finden, vor allem, wenn sich beide nicht sicher sind, wo er sich genau befindet oder einer dafür eine unbequeme Stellung einnehmen muss. Allerdings kann durch die Druckausübung des Mannes beim Gleiten des Penis in der Vagina der sogenannte G-Punkt der Frau stimuliert werden. Meist ist es aber genauso schwer, diesen magischen Punkt zu finden. Bestenfalls wird die Klitoris beim vaginalen Geschlechtsverkehr indirekt stimuliert: Wenn der Penis in die Vagina eindringt und wieder herausgezogen wird, reibt er die Schamlippen, die mit der Klitorisvorhaut verbunden sind. So wird die Klitoris über das Stoßen zwar gereizt, häufig reicht dies aber nicht aus, um die Frau zum Orgasmus zu bringen. Am ehesten gelingt dies noch, wenn die Frau oben liegt und ihre Klitoris durch Vor- und Rückwärtsbewegungen am Schambein des Mannes reibt.
Nach übereinstimmender Beobachtung der Wissenschaft erreicht eine Frau ihren Orgasmus durchschnittlich nach etwa 25 Minuten.2 Ein weiblicher Orgasmus braucht recht lange, bis er sich entwickelt, aufbaut und letztlich einsetzt. Aber dadurch, dass er länger andauert als beim Mann und sich der Erregungszustand der Frau nicht so schnell wieder abbaut, kann er leichter wiederholt werden. Letztlich ist dies aber nur ein Durchschnittswert: Neben Frauen, die multiple Orgasmen beim Geschlechtsverkehr mit einem Mann erleben können, gibt es Frauen, die noch nie einen Orgasmus mit einem Mann erlebt haben. Es gibt Frauen, die brauchen länger als die Durchschnittszeit, um zu einem Orgasmus zu kommen, und andere brauchen sehr viel kürzer. Es gibt Frauen, die schon bei geringsten zärtlichen Berührungen (z. B. Knabbern am Ohrläppchen) einen Orgasmus bekommen können und keine weitere genitale Stimulation benötigen. Und es gibt Frauen, die auch mit aufwendigsten Methoden ihren Höhepunkt nicht erleben. Manche erleben nur einen einzigen Orgasmus während des Geschlechtsverkehrs, bei anderen geht ein Orgasmus in den nächsten über. Manche Frauen spüren während des Orgasmus nur ein leichtes Ziehen in der Vagina, andere erleben regelrechte Vulkanausbrüche. Bei Frauen sind multiple Orgasmen in schneller Zeitabfolge möglich, während der Mann nach seinem Orgasmus meist eine Ruhepause einlegen muss, bevor er einen weiteren erleben kann. Wenn eine Frau nach ihrem Orgasmus erregt bleibt, kann sie durchaus noch einen weiteren erleben, wobei die Anstrengung hierfür deutlich geringer ist als beim ersten Mal, weil sie sich noch in der Nähe der Hocherregung befindet.
Frauen beschreiben ihren Orgasmus oft als einen Höhenrausch,