Unglaublich Verliebt - Karo Stein - E-Book

Unglaublich Verliebt E-Book

Karo Stein

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Beschreibung

Daniel hat sich fernab seiner Familie sein Leben genau so eingerichtet, wie er es immer wollte. Mit einem tollen Job, jeder Menge unbedeutendem Sex und dazu einem besten Freund, der ihn erdet, wenn das nötig ist. Als sein Zwillingsbruder Moritz nach etlichen Jahren, in denen sie nur oberflächlichen Kontakt hatten, ein paar Monate bei ihm wohnen möchte, steht Daniels Welt plötzlich Kopf. Er hat seinen Bruder unglaublich vermisst und möchte ihn mehr als alles andere wieder in seinem Leben haben. Allerdings passt Moritz genau dort nicht hinein. Immerhin sollte ein zukünftiger katholischer Priester möglichst keinen schwulen Bruder haben. Von der Hoffnung besessen, die Beziehung zu Moritz wieder aufzubauen, krempelt Daniel sein Leben komplett um. Leider funktioniert das nicht so gut, wie er es sich vorgestellt hat. Denn da ist auch noch Lukas, der alles durcheinanderbringt. Dieses Buch hat ungefähr 93.000 Wörter.

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Prolog
Ein letztes Mal
8 Jahre später
Meine Wohnung ist in Rom
Wieder vereint
Lichtbrechung
Ein Sonntag voller Erinnerungen
Von kleinen und große Lügen
Sündenfall
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Spannung, Spaß und Schokolade
Flucht nach vorn
Die Wahrheit im Whisky
Wahre Freunde
Abendmahl und der Hunger nach Leben
Ein heißer Ostergruß
Ostern in Familie
Überraschende Geständnisse
Erwartungen und Geheimnisse
Nächtlicher Besuch
Auf der Suche nach dem perfekten Date
Alles andere als perfekt
Zwillingspower
Partystimmung
Zu schön, um wahr zu sein
Zerplatzte Seifenblasen
Hinter dicken Mauern
Alle an einem Tisch
Ich verlasse dich nicht!
Epilog: 3 Jahre später
Anhang:
Danksagung

© Karo Stein 2016

06484 Quedlinburg

Johann-Sebastian-Bach-Straße 38

[email protected]

 

Cover

shutterstock 264168890

Bearbeitung: Caro Sodar

 

Korrektur:

Sissi Kaipurgay

Steffen H.

 

Sämtliche Personen dieser Geschichten sind frei erfunden und Ähnlichkeiten daher nur zufällig.

Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodells aus.

Im wahren Leben gilt: Safer Sex.

Ebooks sind nicht übertragbar und dürfen auch nicht kopiert oder weiterverkauft werden.

In jedem Buch steckt eine Menge Arbeit, bitte respektieren Sie diese Arbeit und erwerben Sie eine legale Kopie.

Ich freue mich über Rückmeldungen, z.B. auf facebook, per E-mail oder als Rezension

Für Steffen!

 

Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe,

diese drei;

die größte aber von diesen ist die Liebe.

1Kor.13,13

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Ein letztes Mal

Meine Wohnung ist in Rom

Wieder vereint

Lichtbrechung

Ein Sonntag voller Erinnerungen

Von kleinen und große Lügen

Sündenfall

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Spannung, Spaß und Schokolade

Flucht nach vorn

Die Wahrheit im Whisky

Wahre Freunde

Abendmahl und der Hunger nach Leben

Ein heißer Ostergruß

Ostern in Familie

Überraschende Geständnisse

Erwartungen und Geheimnisse

Nächtlicher Besuch

Auf der Suche nach dem perfekten Date

Alles andere als perfekt

Zwillingspower

Partystimmung

Zu schön um wahr zu sein

Zerplatzte Seifenblasen

Hinter dicken Mauern

Alle an einem Tisch

Ich verlasse dich nicht!

Epilog

Danksagung

 

Prolog

„Daniel, warte doch mal.“

Ich bleibe stehen und drehe mich um. Mein Bruder befindet sich einige Schritte hinter mir und stemmt einen Arm in die Seite. Er ist außer Atem, was mich zum Lachen bringt. Sportlich ist er eine echte Niete. Davon abgesehen sind wir beide ein bisschen betrunken und haben gekifft. Ich kann nicht aufhören zu kichern, als er sich langsam nähert und dabei schnauft wie eine Dampflok.

„Verdammte Scheiße“, jammert er. „Wieso hast du es denn so eilig?“ Er lallt ein bisschen, was mir erneut einen Lachanfall beschert.

„Du bist so lahm wie eine Schnecke“, erwidere ich prustend und lasse mich ins Gras fallen. Ich lehne mich gegen die niedrige Mauer, hinter der sich der Friedhof und die Kirche befinden, und sehe ihn abwartend an. Kurz darauf plumpst Moritz neben mich. Er lehnt seinen Kopf gegen meine Schulter und kichert nun ebenfalls.

„Was für eine Party.“

„Die beste des ganzen Sommers“, behaupte ich und zupfe ein paar Grashalme ab. Nicht nur die beste, sondern vor allem eine ganz besondere ...

„Absolut“, pflichtet er mir bei und hebt seinen Kopf, um mich anzusehen. „Wir sind betrunken und ein bisschen high. So können wir nicht nach Hause.“

„Wenn Oma uns in diesem Zustand erwischt, bricht die Hölle los“, sage ich möglichst ernst, auch wenn allein der Gedanke erneut dieses Kitzeln in meinem Hals auslöst. Zuerst nickt Moritz bedächtig, dann fangen wir beide zu lachen an.

„Die Hölle“, ruft er laut und hält sich erschrocken die Hand vor dem Mund. „Und das direkt vor der Kirche. Daniel, wir sind echt schlimme Jungs.“

„Spinner“, erwidere ich locker, nehme einen Stein und werfe ihn blind über die Mauer. „Diese kleine Entgleisung wird uns der liebe Gott schon verzeihen und Oma …“ Ich wedele lässig mit einer Hand. Moritz grinst mich breit an und schüttelt dann den Kopf.

„Du bist …“ Er hält die Luft an und stupst mir mit einem Finger gegen die Brust. „Deine Gotteslästerungen werden eines Tages böse Folgen für dich haben. Oma hat recht. Dein Charakter ist schon vollkommen und absolut verdorben. Du hast ...“

„... keinen Respekt“, vervollständige ich seinen Satz, den ich ungefähr einmal pro Woche von Oma und meinen Eltern zu hören bekomme. „Dafür bist du ein Engel, der allerdings gerade ein bisschen auf Abwegen ist. Auf der anderen Seite sind wir Zwillinge. In dir steckt also das gleiche Potential, wie in mir.“

„Unsinn“, erwidert Moritz und seufzt dann tief. „In mir steckt nicht einmal annähernd das, was dich ausmacht.“ Sein Kopf sinkt wieder gegen meine Schulter und er wird ganz still. Manchmal möchte ich ihn für solche Aussagen wirklich schütteln. Ich begreife nicht, weshalb er so wenig Selbstbewusstsein hat, wo wir beide doch bisher jede Hürde gemeistert haben. Wir sind nicht nur eineiig, sondern … ein Wesen. Wir gehören zusammen.

Ich hoffe, er hat nicht vor jetzt einzuschlafen. Auch wenn die Nacht mild ist, würde ich es doch vorziehen, in mein Bett zu kommen. Möglichst bevor Oma oder unserer Eltern aufwachen.

Die Wirkung des Joints lässt allmählich nach und ich spüre, dass ich längst nicht so betrunken bin, wie ich vermutet hatte. Eigentlich fühlt sich mein Kopf sogar recht klar an, einzig die Gedanken darin fahren noch ein bisschen Achterbahn. Die Party war wirklich unglaublich.

Es ist unser letzter Sommer. Noch ein Jahr und dann können wir endlich weg. Moritz und ich haben schon so oft davon geträumt, darüber philosophiert und tausende Pläne gemacht, wie unser Leben nach dem Abi aussehen wird. Alles in mir sehnt sich nach Freiheit, nach Großstadt und Abenteuern. Vor allem nach … Die Erinnerung an das, was vor kaum einer Stunde passiert ist, verursacht eine unglaubliche Hitze in meinem Bauch. Sogar mein Gesicht beginnt zu brennen. Zum Glück rührt sich Moritz nicht und es ist so dunkel, dass er es mit Sicherheit auch nicht erkennen kann.

Ich möchte meinem Bruder so gern davon erzählen, aber mir fehlen die Worte, um auch nur annähernd auszudrücken, wie großartig ich mich gerade fühle. Wir haben keine Geheimnisse voreinander. Es gibt niemanden, dem ich mehr vertraue als ihm und niemand anderer als Moritz sollte als erster davon erfahren. Es kommt mir so überwältigend, so alles verändernd vor. Endlich begreife ich, was ich die ganze Zeit verdrängt habe und nicht wahr haben wollte. In dieser Nacht habe ich den Kampf gewonnen und es hat sich einfach nur geil angefühlt. Ich muss nicht mehr versuchen, etwas … jemand anderes zu sein, denn es ist nicht falsch. Ganz im Gegenteil, ich will mehr davon. Viel mehr, einfach alles.

Noch ein Jahr, nur noch ein Jahr und dann können wir durchstarten und endlich ausprobieren, wonach uns der Sinn steht. Daniel und Moritz erobern die Großstadt und lassen es so richtig krachen. Vor meinen Augen erscheinen Bilder von stroboskopartigem Licht, von richtigen Clubs, von heißen, verschwitzten Körpern und von Spaß ohne Ende. Dann sind die Zeiten der kleinen Dorfdisco im Gemeindehaus vorbei, dann kann ich endlich diesen Mief abschütteln und mich aus der Enge der Konventionen befreien. Moritz und ich … Auch wenn wir noch nie so deutlich darüber gesprochen haben, so weiß ich doch genau, dass es ihm ebenso ergeht. Er ist nur immer schnell bereit sich unterzuordnen. Aber ich wette, wenn wir erst einmal aus den Fängen unseres Elternhauses sind, wird er die Freiheit ebenso genießen. Auch wenn wir uns vielleicht in dieser einen Sache unterscheiden, spielt es doch insgesamt keine Rolle. Ich weiß, dass wir immer zusammenhalten werden und kann es gar nicht erwarten, endlich aus dem starren katholischen System meiner Oma auszubrechen. Erneut hebe ich einen Stein und werfe ihn über die Mauer. Die Kirche treffe ich nicht, aber ich habe mir schon oft vorgestellt, wie sie mit all ihren starren Vorschriften und den spießigen Leuten zusammenbricht und ich dabei auf den Gräbern tanze, einen heißen Kerl an meiner Seite und meine Zunge tief in seinem Mund. Ich will meinen Schwanz in einem Arsch versenken und so viel Sex haben, wie möglich. Der Gedanke lässt es eng in meiner Hose werden.

„Noch ein Jahr“, murmle ich vor mich hin. Es erscheint mir wie eine quälende Ewigkeit.

„Ich muss dir was sagen“, flüstert Moritz und klingt dabei erstaunlich ernst.

„Ich auch“, erwidere ich impulsiv und mein Herz beginnt erneut davon zu rasen. Dieser Kuss … ich kann ihn immer noch auf meinen Lippen spüren. Und seine Hand auf meinem Schwanz. Noch immer habe ich das Gefühl zu verbrennen, dabei ist überhaupt nichts weiter passiert. Es war nur eine flüchtige Berührung, aber sie hat bestätigt, was ich die ganze Zeit verdrängt habe, was ich zuerst nicht wahrhaben wollte, weil es nicht sein darf.

„Kann ich zuerst?“, fragt er und richtet sich ein Stück auf.

„Klar“, sage ich großzügig und bin froh, weil ich trotz allem spüre, dass ich ein wenig Angst vor seiner Reaktion habe. Unsere Erziehung lässt nicht viel Raum für jemanden wie mich und Moritz ist schon immer der angepasstere von uns beiden gewesen.

„Ich habe schon eine ganze Weile darüber nachgedacht und ich weiß jetzt, was ich nach dem Abi machen werde.“

„Aha“, erwidere ich und sehe ihn fragend an. Eigentlich dachte ich, wir würden das gleiche studieren. Ein flaues Gefühl macht sich in meinem Bauch breit.

„Ich weiß, dass wir immer davon geträumt haben zusammen loszuziehen, um die Welt zu erobern und von hier wegzukommen, aber ich glaube, das ist nicht das Richtige für mich.“

„Sondern?“, erkundige ich mich und halte gespannt den Atem an.

„Ich … es gibt eine Bestimmung für mich. Das klingt vielleicht ein bisschen seltsam, aber ich habe schon eine ganze Weile das Gefühl, dass da etwas ist, was ich ...“

„Wovon zum Teufel sprichst du?“, unterbreche ich ihn und unheimliche Wut macht sich in mir breit.

„Ich war vor ein paar Tagen bei unserem Pfarrer. Wir haben uns lange unterhalten. Er hat mir den Weg gezeigt.“

„Den Weg? Welchen verdammten Weg?“

Moritz fängt an zu lachen, aber dann sieht er mich nachdenklich an. „Ich bin nicht wie du“, sagt er leise. „Ich brauche Sicherheit und will gleichzeitig etwas bewirken. Es gibt so viele Leute, die Hilfe und Begleitung brauchen und … und das ist es, was ich machen möchte. “

„Was bedeutet das genau?“, erkundige ich mich und bin mir nicht sicher, ob ich die Antwort darauf hören möchte.

„Pfarrer Peters hat mir erklärt, wie ich … wie ich ebenfalls Pfarrer werden kann. Ich werde Theologie studieren, Daniel.“

„Du hast zu heftig an dem Joint gezogen.“ Mir fehlen die Worte. Obendrein bin ich überzeugt, dass ich einen entscheidenden Punkt überhört habe. Er fängt doch bestimmt gleich an zu lachen und freut sich darüber, dass er mich so großartig verarscht hat. Leider bleibt Moritz´ Gesicht ernst und er seufzt sogar leise.

„Nein, das hat gar nichts mit dem Joint zu tun. Ich weiß schon lange, dass da etwas in mir ist, dass … ich glaube an Gott, Daniel. Ich weiß, dass er unser Denken und Handeln beeinflusst und ich will mehr davon erforschen und dieses Gefühl mit anderen Menschen teilen.“

„Wer hat dir diese Gehirnwäsche verpasst? Wir wollen doch beide diesen ganzen Scheiß nicht mehr. Ich meine, die bescheuerten Gottesdienste und die Zeit als Messdiener … dazu Oma ständig im Nacken. Wir hassen es doch beide.“

„Ich wollte einfach so sein wie du, aber wenn ich ehrlich zu mir bin, mag ich das alles. Ich finde das Gefühl großartig, da vorn in der Kirche zu stehen, dem Pfarrer bei den Vorbereitungen der Gottesdienste zu helfen … Ich bin gern in der Kirche, weil sie … weil ich mich dort frei fühle und der Glaube mich trägt. Abgesehen von Omas strengem Regime, das wir aber auch noch ein Jahr ertragen müssen. Ich will eines Tages selbst da vorn stehen und mich um eine Gemeinde kümmern. Kannst du das verstehen?“

Ich öffne den Mund und schließe ihn wieder. Das Nein, das mir auf der Zunge liegt, schlucke ich hinunter. Es ist störrisch und sorgt dafür, dass ich jeden Moment daran zu ersticken drohe. Ich kann nicht begreifen, dass Moritz mich so … so hintergeht, mich die ganze Zeit in der Gewissheit lässt, dass wir immer zusammen sein werden und gleichzeitig einen ganz anderen Lebensplan entwirft. Einen, in dem ich keinen Platz habe, nicht nur als Bruder, sondern auch … ein zukünftiger Pfarrer sollte wohl keinen schwulen Bruder haben. Ich presse die Hand vor den Mund, als mir die ganze Tragweite seiner Entscheidung bewusst wird. Wenn ich es nicht schaffe, ihn von diesem Vorhaben abzubringen, dann werden sich unsere Wege wirklich trennen, vermutlich sogar endgültig. Ein Schauer rinnt über meinen Rücken und mir wird schlecht.

„Sag doch was“, flüstert er und sieht mich eindringlich an.

„Wenn es das ist, was du willst“, bringe ich mühsam hervor und schließe die Augen.

„Das ist es, aber das ändert doch nichts daran, dass wir … Ich meine, wir sind Zwillinge, wir werden doch immer zusammen sein. Uns verbindet doch so viel mehr.“

„Ja, das tut es“, erwidere ich und stehe langsam auf. „Wird Zeit, dass wir nach Hause gehen.“

„Wolltest du mir nicht auch etwas erzählen?“, fragt er und erhebt sich ebenfalls.

Ich klopfe mir die Hose ab und versuche, das panische Grummeln in meinem Bauch zu ignorieren.

„Wollte ich das?“, erkundige ich mich grinsend. „Ich schätze, ich habe es schon längst vergessen.“

„Dann hast du wohl einmal zu viel am Joint gezogen?“ Moritz lacht und rempelt mich an. Ich schubse zurück und bringe ihn zum Stolpern. „Oder hat dir etwa Karin den Kopf verdreht? Sie ist dir den ganzen Abend ja kaum von deiner Seite gewichen? Auch wenn ich im nächsten Jahr Theologie studieren werde, will ich jedes schmutzige Detail von dir hören.“

„Nein“, sage ich und der Klumpen in meinem Bauch verdichtet sich zu einem harten Stein. „Da... gibt es wirklich nichts zu erzählen. Und im Gegensatz zu dir kann ich mit Gras umgehen, Schlappi.“ Dass Karin einfach nur nervig war, erwähne ich nicht. Die Vorstellung von irgendwelchen schmutzigen Details bringt lediglich meine Magensäure in Wallung.

„Arschloch.“

„Na, ich glaube, solche Ausdrücke hört dein zukünftiger Arbeitgeber aber gar nicht gern.“ Ich deute in Richtung Kirche. Für einen Augenblick bleibe ich stehen und starre auf das Gemäuer, dessen Konturen mit dem dunklen Himmel beinahe verschmelzen. Trotzdem ist es, als würde ich es so scharf und bedrohlich sehen, wie noch nie in meinem Leben. Auch wenn Moritz mich vielleicht für taff hält, so hat mir dieses Gebäude immer Furcht eingeflößt, denn nirgendwo sonst habe ich mich so falsch gefühlt. Der einzige Mensch, den ich ins Vertrauen ziehen wollte, von dem ich dachte, dass er mich verstehen und unterstützen würde, steht jetzt ebenfalls auf der anderen Seite. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich einsam allein.

„Ist sie nicht wunderschön?“, fragt Moritz. Ich möchte schreien, ihm die Faust in den Magen rammen oder ihn wenigstens so lange schütteln, bis sein Verstand wieder funktioniert.

Ich mache jedoch nichts davon, sondern drehe mich weg und laufe den schmalen Pfad weiter entlang. Früher hat sich Moritz immer dicht neben mich gedrängt, weil er den Friedhof, selbst am Tag, gruselig fand. Jetzt scheint ihn das nicht mehr zu stören. Der Abstand zwischen uns ist so groß wie noch nie.

„Ich weiß, wie du dich fühlst“, meint er und bringt mich erneut dazu, stehen zu bleiben.

„Ach ja?“

„Ja, du bist wütend und verstehst es nicht, aber wenn du aufhörst, immer nur das Schlechte im Glauben zu sehen, dann kannst du es vielleicht begreifen. Du kennst mich doch besser als jeder andere Mensch.“

„Bis vor wenigen Minuten dachte ich das auch“, erwidere ich enttäuscht. „Natürlich bin ich wütend. Wir hatten Pläne. Ich dachte, wir würden zusammenbleiben, aber jetzt erzählst du mir, dass du … ein bescheuerter Pfarrer werden willst. Ist dir das Ausmaß einer solchen Entscheidung überhaupt bewusst. Was ist mit Sex, mit einer eigenen Familie und Kindern? Was wird aus mir?“

„Ich glaube nicht, dass ich Sex vermissen werde.“

„Wie kannst du das wissen, wenn du es nicht ausprobierst?“

„Wer sagt denn, dass ich das nicht irgendwann machen werde? Meine Familie wird die Gemeinde sein. Und du? Du bist mein Bruder und daran wird sich niemals etwas ändern. Sei doch nicht so ein verdammtes Arschloch, Daniel. Kannst du denn nicht fühlen, dass es für mich richtig ist und mich unterstützen?“

Erneut schlucke ich das nein hinunter und nicke schließlich.

Moritz kommt auf mich zu und schlingt die Arme um meinen Hals. „Wir sind miteinander verbunden.“

„Das sind wir, Bruder“, erwidere ich versöhnlich, auch wenn ich alles daran setzen werde, Moritz von diesem Unsinn abzuhalten. In einem Jahr kann schließlich noch viel passieren.

 

Ein letztes Mal

8 Jahre später

Schon im Hausflur höre ich die viel zu laute Musik. Ich verstehe nicht, was Lukas an der Band My Chemical Romance mit ihren düsteren Texten findet. Diese Art von alternativem Rock, den vor ein paar Jahren die kleinen Emoboys gehört haben, ist echt kaum zu ertragen. Sie passt irgendwie auch gar nicht zu Lukas, der alles andere als ein Emo ist. Trotzdem fährt er total darauf ab und träumt von einer Wiedervereinigung der Band. Mich machen mehr als zwei Lieder am Stück aggressiv, aber er könnte sie ununterbrochen hören.

Ich laufe die Stufen nach oben, während mein Herz vor Aufregung heftiger zu schlagen beginnt. In Gedanken habe ich die Worte schon einige Male ausgesprochen, sodass ich mir sicher bin, es auch in der Realität gleich problemlos hinzubekommen. Über seine Reaktion darauf will ich allerdings nicht nachdenken. Er ist … ziemlich emotional und manchmal ein echter Wirbelwind. Ich habe keine Ahnung, was das mit uns ist und wieso es mich immer wieder zu ihm zieht. Der Kerl hat etwas an sich, das ich wirklich nicht weiter ergründen möchte.

„Daniel“, ruft er über die Musik hinweg und macht eine einladende Bewegung mit seinem rechten Arm. „Womit habe ich denn deinen Besuch verdient?“ Der Sarkasmus in seiner Stimme ist nicht zu überhören, bringt mich jedoch eher zum Schmunzeln. Ich mag es, wenn er so kratzig und störrisch ist. Erneut flammt ein winziger Schmerz irgendwo tief in mir drin auf. Es ist … Ich schüttle den Kopf, ziehe ihn zu mir heran und presse meine Lippen auf seine.

Für einen kurzen Augenblick spüre ich Widerstand, dann schlingt er seine Arme um meinen Hals und öffnet seine Lippen für mich. Er seufzt leise und ich … hasse dieses Gefühl, das sich in mir breit macht, wenn er diese niedlichen Laute von sich gibt. Bevor ich mich in dem Kuss verliere, schiebe ich ihn wieder von mir.

„Die Musik ist schrecklich“, knurre ich und gehe an ihm vorbei.

„MCR ist die beste Band der Welt“, ruft er mir hinterher.

„Zum Glück haben sie sich schon längst aufgelöst“, erwidere ich, schnappe mir die Fernbedienung und stelle den Lärm ab.

„Spießer“, schimpft Lukas und versucht sie mir aus der Hand zu nehmen.

„Gib mir einen Moment, dann kannst du die Musik ganz laut stellen und ...“ Ich verstumme und schüttle über mich selbst den Kopf.

„Was ist los?“

„Hör zu, Lukas“, sage ich und sehe ihn an. „Ich denke, es ist Zeit, diese Sache zwischen uns zu beenden.“

„Was?“, fragt er und kommt näher. Seine Augen nehmen mich gefangen. Bisher fand ich es immer albern, was man einem einzigen Blick alles zuschreibt, aber ich kann nicht leugnen, dass ich mich in dem dunklen Braun verliere und sie mich auf eine seltsame Weise ansprechen.

„Ich meine, wir haben ja schon eine Zeit gefickt und nun reicht es mir. Wir sollten... damit aufhören. Die Welt ist schließlich groß und ...“

„Was redest du da für einen Scheiß?“

„Es ist doch wirklich nichts Besonderes. Wir hatten eine gewisse Zeit und nun ist sie vorbei.“

„Und du legst das einfach so fest?“

„Ja, ich habe genug und ...“

„Arschloch“, faucht er mich an. Ich presse die Lippen fest zusammen. Natürlich bin ich ein verdammtes Arschloch, aber irgendwie muss ich ihn loswerden und zwar dringend, bevor er sich noch weiter in mein Denken schleicht.

„Genau, aber das wusstest du doch von Anfang an. Ich bin das Arschloch, der Kerl, der jeden fickt, der Hengst der Szene.“

„Aber ich dachte ….“ Lukas sieht mich an und alles in mir beginnt sich zu drehen. Ich sollte so schnell wie möglich verschwinden. „Dann war das für dich … nichts als ein … ein ...“

„Kleines und durchaus nettes Fickarrangement“, vervollständige ich seinen Satz. Ich lächle ihn möglichst überheblich an, während mein Puls zu rasen beginnt und ich obendrein zu schwitzen anfange. Es gibt keinen Grund länger zu bleiben und mich diesem Blick weiterhin auszusetzen, aber ich kann mich nicht bewegen. Ich beobachte sein Gesicht. Jede einzelne Regung scheint sich in mein Gehirn zu brennen. Er ist wirklich unglaublich hübsch, ja, beinahe perfekt. Ich mag es, wie er sich anfühlt, wie er riecht, sich bewegt. Die süßen Lippen … Shit, ich muss damit aufhören.

„Ein Fickarrangement“, flüstert er und reißt mich aus den Gedanken. „Dann sollten wir es so beenden, wie es begonnen hat.“

Ich verstehe nicht was er meint, aber noch ehe ich nachfragen kann, springt mich Lukas an. Er schlingt seine Beine um meine Hüften, während ich bemüht bin, das Gleichgewicht zu halten.

„Was soll das?“, frage ich ihn keuchend.

„Ein letzter Fick steht mir doch mit Sicherheit noch zu.“ Ehe ich antworten kann, verschließt er meinen Mund mit einem harten Kuss. Er beißt mir in die Unterlippe und drängt seine Zunge zwischen meine Zähne.

„Lukas.“ Ich knurre seinen Namen. Mein Verstand rät mir, ihn abzusetzen und so schnell wie möglich die Wohnung zu verlassen. Mein Schwanz ist jedoch anderer Meinung, ebenso wie dieser beschissene kleine Muskel in meiner Brust, der offensichtlich gerade so richtig in Fahrt kommt.

Ich beiße ihn ebenfalls und ziehe dann meinen Kopf zurück.

„Das ist keine gute Idee“, sage ich mühevoll.

„Doch“, erwidert er und rollt sein Becken. Ich spüre seinen harten Schwanz und kann ein Stöhnen nicht unterdrücken. „Einen Fick habe ich noch verdient. Dann kannst du weiterziehen, aber du wirst niemanden finden, der es dir so gut besorgt wie ich.“ Lukas raunt mir die Worte ins Ohr. Ich bekomme eine verdammte Gänsehaut davon und noch einmal ermahnt mein Kopf mich, zu verschwinden. Ich setze mich auch tatsächlich in Bewegung, halte Lukas allerdings dabei fest und gehe mit ihm ins Schlafzimmer.

„Du nimmst den Mund ziemlich voll“, erwidere ich und wackle anzüglich mit den Augenbrauen.

„Gleich“, sagt er, lässt mich los und macht sich augenblicklich an meiner Hose zu schaffen. Ich sollte seine Hände festhalten, aber ich kann mich einfach nicht dagegen wehren. Frustriert schließe ich die Augen und lasse es geschehen. Meine Jeans landet an den Knöcheln, ebenso wie die Pants. Lukas schiebt das Shirt nach oben, küsst meinen Bauch und fährt mit der Zunge von meinem Bauchnabel bis zu meinem Schwanz. Er spielt mit dem Schaft, drückt sein Gesicht gegen meine Scham und küsst die empfindliche Haut an meinen Leisten. Ich kann nichts dagegen machen, dass meine Beine zu zittern beginnen und ich meine Hände in seinen weichen Haaren vergrabe. Sie haben genau die richtig Länge, um sich daran festzuhalten oder seinen Mund genau dahin zu dirigieren, wo ich ihn jetzt wirklich gern hätte. Ich beobachte ihn dabei, wie meine Eichel zwischen seinen Lippen verschwindet. Lukas sieht mich ebenfalls an und das, was ich in seinen Augen sehe, bringt mich um den Verstand und macht mir gleichzeitig eine Höllenangst. Er beginnt zu saugen und ich bin mir sicher, dass ich bei dem Tempo in den nächsten Minuten sterben werde.

Mit aller Kraft packe ich ihn und ziehe ihn zu mir nach oben.

„Verdammter Kerl“, fluche ich und presse meinen Mund auf seinen. Stürmisch schiebe ich meine Zunge in ihn und dirigiere Lukas Richtung Bett. Dabei strample ich mir irgendwie die Schuhe und Hosen von den Beinen. Allmählich erlange ich die Kontrolle zurück. Ich werfe ihn auf die Matratze und richte mich über ihm auf. Lukas sieht mich an. Seine Lippen glänzen feucht und sind ein bisschen geschwollen. Er lächelt, denn er weiß, dass er gewonnen hat. Zumindest für diesen Moment, später wird er es vielleicht bereuen, aber das ist nicht mein Problem.

„Zieh dich aus“, befehle ich ihm und er beginnt augenblicklich sich von seinen Sachen zu befreien. Ich verliere ebenfalls mein Shirt und klettere dann neben ihm aufs Bett.

„Das ist wirklich der letzte Fick.“ Ich sehe ihn nachdenklich an.

„Okay“, sagt Lukas und erwidert meinen Blick. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm in dieser Hinsicht wirklich vertrauen kann, aber ich weiß, dass es für Widerstand längst zu spät ist. Gierig betrachte ich seinen Körper, den ich schon so oft gespürt und angesehen habe und trotzdem erscheint es mir, als würde ich immer wieder etwas Neues an ihm entdecken. Ich lasse meine Finger über seine Brust gleiten, reize die süßen Brustwarzen, die sich augenblicklich aufrichten. Lukas schluckt schwer, sein Kehlkopf hüpft, als ich daran entlangstreiche und anschließend die Konturen seiner Lippen nachzeichne. Ich beuge mich vor und küsse ihn. Diesmal schmuse ich zärtlich über seinen Mund, bitte mit meiner Zunge um Einlass. Wir stöhnen leise und dann ist es, als würde sich ein Schalter in meinem Kopf umlegen. Ich vergesse, warum ich hergekommen bin und lasse mich von Lukas gefangen nehmen, will ihn spüren, ihn überall berühren und auskosten, was er mir gibt. Bisher gab es noch nie einen Mann, der mir so unter die Haut gegangen ist. Scheiß Timing … Ich lasse die Gedanken nicht zu und konzentriere mich weiter auf ihn. Meine Hände streicheln über seinen Körper, bringen ihn zum Seufzen. Ich greife nach seinem Schwanz und reibe aufreizend über die feuchte Spitze. Lukas windet sich unter mir und ich kann nicht genug von diesem Anblick bekommen. Schließlich schiebe ich mich zwischen seine Beine, schnappe nach seinen Händen und zwinge sie über seinen Kopf. Ich lege mich auf ihn, schiebe mein Becken nach vorn und reibe mit meinem Schwanz über seinen. Meine Finger verhaken sich mit seinen und wir sehen uns atemlos an. Für einen Moment scheint die Welt still zu stehen, aber ich verschließe schnell meine Augen davor. Es ist nicht richtig, dass er mich so für sich einnimmt und mich regelrecht in sein Universum zieht. Wir gehören nicht zusammen. Ich will so etwas vor allem gar nicht. Kann schon sein, dass Jakob, mein bester Freund, sein Glück in dieser Beziehung mit Fabian gefunden hat, aber ich brauche so etwas nicht. Mit niemandem und schon gar nicht mit Lukas.

„Hör auf zu spielen“, raunt er mir zu und schnappt erneut nach meiner Unterlippe, um sie mit seinen Zähnen zu bearbeiten. „Fick mich.“

Ich nicke und lasse ihn los. Lukas dreht sich zur Seite und holt ein Kondom sowie Gleitgel aus der Schublade seines Nachtschrankes. Ich bearbeite mit festen Zungenschlägen seinen Schwanz, lasse meine Finger tiefer gleiten und drücke gegen seinen Eingang. Lukas lässt die Knie auseinanderfallen und bietet mir einen atemberaubenden Blick, der mein Gehirn praktisch leerfegt. Ich nehme das Gleitgel und drücke mit zittrigen Fingern eine viel zu große Menge auf sein Loch. Noch einmal drängt sich ein winziger Rest Verstand in den Vordergrund und rät mir zu verschwinden. Dafür ist es jedoch zu spät, deshalb schiebe ich stattdessen zwei Finger in Lukas. Ich bin nicht besonders sanft, denn mein Unvermögen macht mich wütend. Er beschwert sich jedoch nicht, schnauft nur deutlich und nimmt mich dann in sich auf. Ich beobachte meine Finger, die immer wieder in seinem Arsch verschwinden und frage mich, weshalb es mich dermaßen erregt. Ich habe schon einige Kerle so bearbeitet, und viele davon, die muskulöser, größer oder stärker waren. Und doch ist es mit ihm besonders, erstaunlich erregend.

Mit einem ungeduldigen Brummen wedelt Lukas mit dem Gummi vor meinem Gesicht herum. „Mach schon.“ Seine Stimme klingt rau und verdammt erotisch. Ich zögere es nicht länger hinaus, streife die Hülle über meinen Schwanz und bringe mich in Position. Dann entscheide ich mich jedoch um, ergreife Lukas‘ Beine und sorge dafür, dass er sich umdreht. Ich will ihn von hinten, das erscheint mir irgendwie sicherer zu sein. Lukas wirft mir einen spöttischen Blick über die Schulter zu und wackelt dann aufreizend mit seinem Hintern. Ich kann mich nicht länger zurückhalten, folge der Einladung und schiebe mich unaufhörlich in ihn. Lukas verspannt sich, aber ich bin nicht bereit, ihm eine Pause zu gönnen. Dieser Fick war nicht meine Idee. Ich wollte ihn doch nur in Kenntnis setzen, dass wir uns nicht mehr treffen werden. Er hat mich überrumpelt und nun soll er auch spüren, welche Konsequenzen sein Handeln hat. Natürlich will ich ihn nicht verletzen, aber er soll mich fühlen, so wie ich … Verdammt, er bringt mich wirklich um den Verstand. Den schnellen Rhythmus kann ich nicht lange durchhalten, deshalb presse ich mich tief in ihn und ziehe mich quälend langsam zurück. Ich betrachte unsere Verbindung. Auf einmal wird mir ganz flau und meine Oberschenkel beginnen zu zittern. Ich lege mich auf ihn, küsse seinen Nacken und falle mit ihm zur Seite. Lukas keucht erschrocken auf, aber ich halte ihn fest und dringe immer wieder in ihn ein. Mit einer Hand streichle ich seinen Bauch und kümmere mich dann um seinen Schwanz. Den anderen Arm schiebe ich unter seinen Hals.

„Mehr“, raunt er mir zu, dreht den Kopf und bietet mir seine Lippen an. Ich kann nicht widerstehen, küsse ihn, erhöhe erneut das Tempo und verliere die Kontrolle. Der Orgasmus baut sich immer heftiger auf, aber ich wehre mich nicht länger dagegen, denn auch Lukas‘ Körper zeigt mir, dass er längst bereit ist. Er beginnt zu zittern, die Muskeln pressen mich aus seinem Körper, aber ich halte dagegen und pumpe meinen Saft in das Gummi, während er sich heiß über meiner Hand ergießt. Ich drücke meine Stirn gegen seinen Nacken und atme den wunderbaren Duft ein. Erneut verspüre ich einen heftigen Stich in meinem Herz. Dieses Gefühl holt mich jedoch auch aus dieser seltsamen entrückten Wolke heraus. Ich löse mich von Lukas, lasse mich auf den Rücken fallen und lege den Arm über meine Augen.

„Das war‘s also?“, fragt Lukas. Ich weiß, dass er mich ansieht, aber ich brauche noch einen Moment, um diese ganze Sache abzuschütteln.

„Ja“, sage ich schließlich und setze mich auf. „Das war‘s.“

„Okay.“ Lukas springt auf und geht nackt aus dem Zimmer. Ich starre auf seinen Hintern, in dem mein Schwanz vor ein paar Minuten noch gesteckt hat. Er hat einen fantastischen Arsch. Stöhnend erhebe ich mich und schlüpfe in meine Klamotten. Diese unsäglichen Gedanken müssen aufhören. Ich brauche keine unnötigen Komplikationen.

Während ich meine Schuhe anziehe, erklingt erneut die furchtbare Musik aus dem Wohnzimmer. Laut wummern Bässe durch die Wohnung, während der Kerl „...kiss me goodbye“ brüllt. Wie passend. Ich kann mir trotz allem ein Grinsen nicht verkneifen.

„Ein Rausschmeißerlied?“, frage ich Lukas, der noch immer nackt ist.

„Ich schätze, du wirst mich nicht zum Abschied küssen, oder?“

„Wenn es das Lied so vorschreibt“, erwidere ich und zucke mit den Achseln.

„Verdammt, Daniel. Wieso machst du das bloß? Es läuft doch wirklich gut zwischen uns. Ich lasse dir doch deine Freiheit und erwarte nicht einmal, dass wir irgendwas machen, dass danach aussieht, als wenn wir ein Paar wären. Was habe ich falsch gemacht?“

„Erstens würde es nie aussehen, als wenn wir ein Paar sind, weil wir es gar nicht sind. Wir sind ... einfach nur zwei Kerle, die hin und wieder Sex hatten. Unverbindlich und … überhaupt. Jetzt habe ich jedoch genug davon. Du bist heiß, aber es gibt noch jede Menge anderer heißer Männer.“

„Wenn du nicht sofort aus meiner Wohnung verschwindest, bringe ich dich um“, faucht er mich an. Offensichtlich habe ich diesmal die richtigen Worte gefunden. Lächelnd gehe ich auf ihn zu und hauche ihm tatsächlich einen winzigen Kuss auf die Lippen.

„Wir wollen deine Lieblingsband doch nicht enttäuschen. Mach‘s gut, Lukas.“

Er reagiert nicht, presst die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und ballt die Hände zu Fäusten. Betont lässig verlasse ich die Wohnung, laufe die Stufen bis zum ersten Treppenabsatz hinunter und lehne mich dort gegen die Wand.

„Verdammt“, nuschle ich und lasse für einen winzigen Augenblick die Panik zu, die mich zu überwältigen droht. Es ist richtig. Ich habe es genau durchdacht. Da ist keine andere Lösung in Sicht. Ich muss aufräumen und Lukas steht auf meiner Liste ganz oben.

Tief durchatmend straffe ich die Schultern und gehe weiter. Ich verlasse das Haus und steige in mein Auto. Noch einmal erlaube ich mir einen kurzen Blick an der Front hoch. Für einen Moment hoffe ich, dass ich ihn dort oben entdecke. Er ist nicht da und es würde ohnehin nichts ändern. Ich lasse den Motor an, setze den Blinker und lenke zügig aus der Lücke. Der Radiomoderator sagt ein Lied von My Chemical Romance an. Fluchend will ich zuerst den Sender wechseln, dann erhöhe ich jedoch die Lautstärke und fahre viel zu schnell die Straße entlang. Ich singe den verdammten Text mit. Er passt so gut, dass ich das Gefühl habe, jeden Augenblick vor Schmerz zu ersticken. Lukas und mich verbindet nichts. Ich muss aufhören, mir einzubilden, dass er etwas Besonderes ist. Das ist er nämlich nicht. Er ist nur ein Kerl. Ein Kerl … der mir den Kopf verdreht hat. Nicht jetzt, ich kann das wirklich nicht gebrauchen. Ich will diesen Stress nicht, den so ein kleiner bescheuerter Muskel auslöst. Wer hat erlaubt, dass er das darf? Scheiße! Lukas hat in meinem Leben absolut keinen Platz. Obendrein ist er nicht der einzige, den ich dort hinauswerfen muss. Ich muss … muss alles richtig machen. Diese eine Chance nutzen. Ich will es nicht versauen.

Die Musik hat längst gewechselt, als ich erneut nach einer Parklücke Ausschau halte. Alles in mir sehnt sich nach meinem Sofa, aber ich werde diesen einen Besuch noch hinter mich bringen. Leider habe ich keine Ahnung, welche Worte diesmal die richtigen sind. Mehr als alles andere fürchte ich die Reaktion und hoffe, trotz allem, auf ein bisschen Verständnis.

Meine Wohnung ist in Rom

Ich bin schon so oft in dieser Wohnung gewesen, dass es sich beinahe anfühlt, als würde ich nach Hause kommen. Jakob mustert mich verwundert, hinterfragt meinen Besuch jedoch nicht. Wir kennen uns schon so lange. Er ist mein bester Freund und der einzige Mensch, dem ich in den letzten Jahren wirklich vertraut habe. Fabian, sein Partner, lächelt mich ebenfalls an. Die beiden sind schon eine ganze Weile zusammen. Am Anfang war ich nicht besonders begeistert von der Idee, dass sich Jakob ausgerechnet in ihn verliebt hat. Beinahe jeder in der Szene weiß, dass Fabian HIV-positiv ist. Nur Jakob hat das irgendwie nicht interessiert und gekämpft wie ein Tiger, bis Fabian sich nicht länger wehren konnte. Noch nie habe ich meinen besten Freund dermaßen verliebt erlebt. Mittlerweile freue ich mich, dass es den beiden so gut miteinander geht. Sie sind glücklich und das ist echt schön anzusehen, auch wenn ich mir so eine Art Beziehung nicht vorstellen kann.

„Was führt dich denn um diese Uhrzeit zu uns?“, erkundigt sich Jakob grinsend und drückt mich an sich. Er schnuppert, schüttelt dann den Kopf und betrachtet mich eindringlich.

„Keine Zeit für eine Dusche nach dem Sex?“

„Nein, ich hatte es eilig“, behaupte ich mit einem schiefen Lächeln. Das bringt ihn allerdings dazu, mich noch intensiver anzuschauen. Ich schlängele mich an ihm vorbei und nehme Fabian zur Begrüßung in den Arm.

„Schön dich zu sehen“, sagt er. „Du hast dich in letzter Zeit ja ziemlich rar gemacht.“

„Viel zu tun“, erwidere ich unbestimmt und gehe voran ins Wohnzimmer.

„Du meinst wohl, viel zu ficken?“, ruft Jakob mir hinterher. „Was zu trinken?“

„Ja, zu beidem“, antworte ich und lasse mich aufs Sofa fallen.

Kurze Zeit später erscheinen die beiden mit Bier, Cola und Gläsern im Raum. Sie stellen alles auf den Tisch und setzen sich dann rechts und links neben mich.

„Ist Lukas so anstrengend?“, fragt Jakob anzüglich. Ich zucke zusammen.

„Mit Lukas läuft nichts mehr.“

„Was? Wieso denn? Ihr beide habt doch gut...“

„Jakob, rede keinen Unsinn“, unterbreche ich ihn. „Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass da irgendetwas zwischen ihm und mir ist? Ich dachte echt, du kennst mich besser.“

„Ich kenne dich genau“, erwidert er und seine Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen. „Was hast du getan?“

„Nichts“, behaupte ich lässig und gieße mir einen Schluck Cola ins Glas. Meine Hände zittern leicht dabei, aber ich hoffe, es bemerkt niemand. Allmählich wird mir verdammt flau im Magen. Vielleicht hätte ich dieses Treffen auf morgen verschieben sollen, denn noch immer habe ich keine Ahnung, was ich sagen soll. Es ist nicht so leicht wie bei Lukas... Das hier ist … meine Familie und gleichzeitig weiß ich, dass ich sie niemals mit meiner wahren Familie in Berührung kommen lassen kann. Es ist so verdammt beschissen, dass ich am liebsten laut aufbrüllen möchte. Ich starre einen Moment an die Decke und frage mich, ob dieser Typ dort oben sich möglicherweise gerade wahnsinnig gut auf meine Kosten amüsiert.

„Mistkerl“, murmle ich und seufze tief.

„Was ist los?“, fragt Jakob und rutscht dicht an mich heran.

„Ich … Also …“ Ich springe auf und beginne, im Raum auf und abzugehen. Mein Kopf ist vollkommen leer und doch weiß ich, dass ich nicht von hier verschwinden kann, ehe ich es nicht hinter mich gebracht habe.

„Du wirkst gerade echt beängstigend“, sagt Fabian. „Ist dir irgendwas passiert? Hat dir dein Lebensstil etwa das Genick gebrochen?“ Er grinst mich breit an und mildert damit den Vorwurf in seinen Worten ein wenig ab. Trotzdem brodelt Wut in mir auf.

„Mit meinem Lebensstil ist echt alles in bester Ordnung“, antworte ich und kann nichts dagegen tun, dass ich angepisst klinge. „Da muss sich wirklich niemand Sorgen machen.“

„Schon gut“, lenkt er ein und hebt beschwichtigend die Hände. „Das war auch nur ein Scherz.“

„Komm schon, Daniel. Rede mit uns. Dafür bist du doch schließlich hergekommen, oder?“

„Nein“, sage ich schlicht und quetsche mich wieder zwischen die beiden. „Ich dachte, wir verbringen einen gemütlichen Abend zusammen.“ Ich bin so ein beschissener Lügner und kann kaum glauben, dass die beiden den Unsinn tatsächlich glauben.

„Also gut, wie wäre es mit einer DVD?“

„Perfekt.“

„Hast du einen besonderen Wunsch?“

„Egal, aber habt ihr vielleicht noch etwas zum Knabbern?“

Fabian nickt und steht auf, während Jakob einen Film einwirft. Kaum springt der DVD- Player an, dreht er sich zu mir um und grinst.

„Glaub nicht, dass ich auf diesen Scheiß hereinfalle. Du weißt, dass du immer mit mir reden kannst und wenn du nicht willst, dass Fabian dabei ist, dann ist das auch absolut okay.“

„Danke, Jakob. Ich will wirklich nichts anderes, als ein bisschen Zeit mit euch verbringen und … reden können wir dann ja immer noch.“

„Du bist ein Idiot“, brummelt er und macht es sich auf dem Sofa bequem. Diesmal quetscht sich Fabian dazwischen und schmiegt sich an seinen Freund. Ich schnappe mir ein Kissen, rutsche ein Stück tiefer und lege die Beine auf den Tisch. Jakobs Zischen überhöre ich und versuche mich stattdessen auf den Film zu konzentrieren.

Leider gelingt es mir nicht, mich zu entspannen. In meinem Kopf geht alles durcheinander, sodass ich es kaum schaffe ruhig sitzen zu bleiben Vermutlich wäre es ganz leicht. Ich könnte ihnen sagen, dass mein Bruder mich besuchen kommt und ich sie deshalb einen Zeitlang nicht mehr sehen kann. Die Vorstellung, wie die beiden mich ansehen, wenn ich ihnen sage, dass ich in meiner Familie nicht geoutet bin und auch nicht vorhabe, an diesem Zustand etwas zu ändern, wäre vermutlich recht amüsant. Allerdings könnte es auch sein, dass Jakob mir den Arsch aufreißt und jeglichen Kontakt zu mir abbricht. Das will ich nicht... wenn es etwas gibt, das ich auf dieser Welt absolut nicht will, dann ist es wohl meinen besten Freund zu verlieren. In diesem Moment wird mir so überdeutlich bewusst, wie viel er mir bedeutet. Er hat tatsächlich im Laufe der Jahre die Stelle eingenommen, die bis dahin mein Bruder ausgefüllt hat. Der Gedanke an ihn schmerzt, auch wenn sich diese winzige Hoffnung in mir seit seinem Brief breit macht, dass wir irgendwie wieder zueinander finden. Es sind nur noch wenige Tage, bis er hier erscheint und bis dahin muss ich mein Leben bereinigt haben.

Ich reibe mir über die Augen und schaue verstohlen zu den beiden hinüber. Fabians Kopf liegt auf Jakobs Brust, eine Hand hat sich unter sein Shirt geschmuggelt. Die beiden sehen zufrieden und glücklich miteinander aus. Ich freue mich für Jakob, auch wenn sich so ein kleiner Stachel Eifersucht fest in meine Haut krallt. Für einen winzigen Augenblick taucht ein Bild von Lukas und mir in ebensolcher Position auf. Ich verdränge es schnell wieder und klammere mich stattdessen an die Gewissheit, dass es doch gar nicht so schlimm sein wird, weil Jakob Fabian hat und ich … mich ganz auf meinen Bruder konzentrieren kann.

„Langweilt dich der Film?“ Jakobs Stimme durchdringt meine wirren Gedanken. Ich starre den Fernseher an und versuche herauszufinden, worum es auf dem Bildschirm gerade geht. Letztendlich gebe ich auf und zucke mit den Schultern.

„Bin ein bisschen abgelenkt“, gebe ich zu und sehe die beiden entschuldigend an.

„Dann mach endlich deinen Mund auf“, faucht Jakob und verdreht genervt die Augen. „Hat Lukas dich etwa abserviert? Verübeln könnte man es ihm nicht, so, wie er sich dir bisher untergeordnet und alles ertragen hat.“

„Nein, es … es geht gar nicht um Lukas. Mit ihm ist längst alles geklärt, aber ich …“ Die Worte wollen einfach nicht über meine Lippen und dann … habe ich plötzlich einen genialen Einfall.

„Ich verreise“, sage ich schlicht und grinse die beiden an.

„Was? Wohin denn und wann geht es los?“

„Morgen. Ich habe schon alles gepackt und werde für ein paar Wochen oder … oder Monate verschwinden.“ Innerlich brennt mein Körper vor Scham. Ich bin kein Lügner und kann es auch nicht besonders gut. Deshalb senke ich auch den Kopf, denn nur so kann ich Jakobs Musterung überstehen.

„Wochen oder Monate? Daniel, was zur Hölle ist los mit dir?“

„Es ist ein Angebot der Firma“, sage ich und straffe die Schultern. „Ich kann für ein paar Monate in die Partnerfirma nach Rom. Das ist doch ein geiles Angebot, das ich auf gar keinen Fall ablehnen kann. Die italienischen Kerle sind schließlich auch verdammt heiß.“

„Und wieso erzählst du das erst jetzt?“

„Es ist ziemlich kurzfristig, weil erst ein anderer Kollege fahren wollte, aber er konnte dann doch nicht. Was für ein Idiot, Glück für mich.“ Ich versuche es mit einem strahlenden Lächeln, während ich es kaum erwarten kann das Gespräch zu beenden. Noch nie habe ich eine dermaßen bescheuerte Geschichte erfunden, obwohl es tatsächlich diese Firma in Rom gibt. Rom … was für ein witziger Zufall. Wenn mein bisheriges Leben mir nicht bereits den direkten Weg in die Hölle geebnet hätte, spätestens jetzt wäre es dann wohl soweit.

„Rom also, und das auch noch für eine lange Zeit“, nuschelt Jakob und schüttelt den Kopf. „Auch wenn es toll klingt, fällt es mir echt nicht leicht mich für dich zu freuen.“

„Stell dich nicht so an“, sage ich aufmunternd. „Die Zeiten, wo wir beide die Szene aufgemischt haben, sind ja dank deiner spießigen Beziehung längst vorbei. Fabian wird sich schon gut um dich kümmern.“

„Du bist ein echtes Arschloch“, erwidert er.

„Das ist nicht neu.“

„Aber dass ich bald ohne meinen besten Freund sein werde, das ist neu.“

Fabian legt tröstend seinen Arm um Jakobs Schulter und erneut kriecht dieses Gefühl von Einsamkeit durch meine Adern. Seufzend stehe ich auf und strecke mich danach demonstrativ.

„Ich muss jetzt los. Es gibt noch einiges vorzubereiten.“

„Wann geht dein Flieger? Sollen wir dich hinbringen?“

„Nein“, antworte ich viel zu schnell und bemerke, wie Jakob die Augenbrauen zusammenzieht. „Das ist schon alles geregelt. Mein Chef kommt für ein paar Tage mit rüber.“

„Puh, das ist echt … irgendwie kann ich es gar nicht glauben.“

Ich fühle mich elend und würde am liebsten laut rufen, dass es nur ein beschissener Scherz war. Die schäbige Ausrede vermutlich wesentlich besser als die Wahrheit, auch wenn die Chance, dass der Schwindel früher oder später auffliegt, nicht gering ist. Wir leben schließlich in keiner riesigen Metropole. Das ganze steht auf wackligen Beinen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Vielleicht habe ich ja Glück und stehe die Zeit unbeschadet durch. Vielleicht stellen Moritz und ich auch fest, dass es überhaupt nicht mehr funktioniert und er zieht weiter. Es gibt zu viele vielleicht in diesem Plan, aber das lässt sich jetzt auch nicht mehr ändern.

„Tut mir leid, aber du verstehst doch sicherlich, dass ich mir diese Chance nicht entgehen lassen kann.“

„Natürlich.“ Jakob schlingt seine Arme um meinen Hals und zieht mich dicht an sich heran. „Ich kann nur nicht fassen, dass ich dich so eine verdammte Ewigkeit nicht mehr sehen soll.“

„Wir können skypen.“

„Davon gehe ich aus. Ich will jede Einzelheit über das schwule Leben in Rom erfahren und lass die Finger von den Priestern.“ Er lacht und ich stimme mit ein, auch wenn mir hundeelend zumute ist.

„Das wird bestimmt ein tolle Zeit“, sagt Fabian und drückt mich ebenfalls. „Ich wünsche dir viel Spaß und Erfolg.“

„Danke, Jungs. Das bedeutet mir echt viel und ich … na ja, tut mir leid, dass ich es euch nicht eher erzählen konnte.“

„Soll ich mich in deiner Wohnung um irgendwas kümmern?“

„Um was denn?“, frage ich grinsend. „Pflanzen besitze ich schließlich nicht.“

„Aber hin und wieder sollte vielleicht mal gelüftet oder sauber gemacht werden.“

„Ähm“, erwidere ich fassungslos. Siedend heiß fällt mir ein, dass Jakob einen Schlüssel hat. Verdammt, so schnell kann meine Lüge doch nun wirklich nicht auffliegen. „Also, du musst dir da echt keine Gedanken machen. Ich habe einen Putzdienst engagiert, der sich in der Zeit um alles kümmert.“

„Dafür hattest du Zeit, aber nicht, um uns früher davon zu erzählen?“, grummelt Jakob. Damit ist mein schlechtes Gewissen komplett aktiviert.

„Tut mir leid. Es gab so viel zu tun und da …“

„Hattest du keine Zeit für deine Freunde“, vervollständigt er meinen Satz. Ich schüttle energisch den Kopf. „So war es nicht. Ich... ich muss jetzt auch wirklich los.“

„Du hast echt Glück, dass du mir so wichtig bist.“

„Ich weiß und ich verspreche, dass ich es wieder gutmachen werde.“

„Da bin ich ja sehr gespannt.“

Jakob nimmt mein Gesicht in seine Hände und sieht mich eindringlich an. „Mach keinen Scheiß und melde dich.“ Er haucht mir einen Kuss auf die Lippen und lässt mich wieder los. Erneut umarmt mich Fabian und wünscht mir viel Glück.

„Pass gut auf Jakob auf.“

„Natürlich“, erwidert er mit einem Zwinkern.

Unschlüssig stehe ich in der Tür. Ich will nicht weg und kann dennoch nicht länger bleiben. Vielleicht wäre es besser gewesen, Jakob die Wahrheit zu erzählen, aber dann würde ihm bewusst werden, wie wenig er überhaupt von mir weiß. Ich kenne quasi sein ganzes Leben, während er keine Ahnung hat, dass es jemanden gibt, der nicht nur genauso aussieht wie ich, sondern auch tatsächlich mein Zwillingsbruder ist. Es ist, als würde er zu einer anderen Welt gehören. Irgendwie gibt es nun einen Sprung zwischen den beiden Dimensionen und mir bleibt nichts anderes übrig, als alles daran zu setzen, sie weiterhin getrennt zu halten.

„Bis bald“, sage ich schließlich und verschwinde, ehe ich es mir doch noch anders überlege.

„Bleib anständig“, rufen sie mir hinterher.

„Niemals“, antworte ich, bevor die Haustür hinter mir ins Schloss fällt. Schwerfällig steige ich in mein Auto und atme tief durch.

„Geschafft“, flüstere ich mit erstickter Stimme und versuche, die düsteren Gedanken abzuschütteln. Die Fahrt nach Hause dauert nicht lange. Ich bin froh, als ich schließlich im Inneren meiner Wohnung bin. Mein Zuhause, das sich allerdings gar nicht mehr so anfühlt. Ich habe Tage damit zugebracht, jedes verräterische Detail zu entfernen. An Stelle der Dildosammlung stehen ein paar hässliche Vasen und geschmacklose Gefäße im Regal. Die Pornos sind verschwunden, alle Magazine verstaut. Die lustigen Statuen mit den riesigen Schwänzen sind ebenfalls weg. Die geilen Bilder habe ich abgehängt und durch Landschaften ersetzt. Immerhin gefallen mir die Fotos vom Meer einigermaßen, obwohl sie mir seltsam fehl am Platz erscheinen.

Ich gehe noch einmal durch jeden Raum, prüfe jedes Schubfach und Regal. Alles, was mich und mein Leben bisher ausgemacht hat, ist verschwunden. Die Fotoalben, die Oma für Moritz und mich zum Auszug als Geschenk hatte, stehen gut sichtbar auf dem Sideboard.

Ich setze mich an meinen Schreibtisch und nehme den Brief in die Hand, den ich mittlerweile schon tausendfach gelesen habe. Noch immer kann ich nicht glauben, dass Moritz in zwei Tagen herkommt und für eine Weile bei mir leben möchte. Natürlich haben wir schon einige Male seitdem telefoniert, um alles zu klären. Dabei kam es mir vor, als würde ich mit einem fremden Menschen reden. In den letzten Jahren gab es nicht mehr als ein paar sporadische Anrufe, beinahe frei von persönlichen Erlebnissen. Moritz hat natürlich von sich, seiner Zeit im Studium und später im Priesterseminar erzählt. Er war dabei so voller Begeisterung, dass ich es manchmal kaum ertrug. Ich dagegen konnte mich einfach nicht dazu durchringen, ihm den wahren Daniel zu zeigen. Dabei habe ich doch schon vor lange Zeit aufgehört mich für das, was ich bin zu schämen. Ich führe ein großartiges Leben und auch wenn ich vor ein paar Jahren noch gedacht habe, dass ich niemals ohne meinen Zwillingsbruder leben möchte, klappt das längst so perfekt, dass ich manchmal beinahe vergesse, dass es da noch jemanden in meinem Leben gibt. Ich bin das schwarze Schaf der Familie, aber das macht mir nichts aus. Wenn unsere Oma noch leben würde, wäre ich vielleicht nicht so leicht davon gekommen. Letztendlich war sie, trotz ihrer Strenge, diejenige, die die Familie zusammengehalten hat. Meine Eltern lassen sich mit ein paar Anrufen abspeisen. Selbst ein Besuch zu den Feiertagen hat nur wenig Bedeutung.

Mein Smartphone piept und kündigt eine Nachricht an. Ich ziehe es aus der Hosentasche.

Mein Zug kommt 13.42 Uhr an. Holst du mich ab oder soll ich mir ein Taxi nehmen?

„Ich hole dich ab, Bruder. Was denn sonst“, antworte ich und sende noch ein lachendes Smiley hinterher.

Ich freu mich auf die Zeit mit dir. Wir werden uns wieder neu kennenlernen. Du hast mir ganz schrecklich gefehlt.

Ich starre die Worte an und schlucke schwer. Noch einmal werfe ich einen Blick durch die Wohnung, die mir so furchtbar fremd ist.

„Ich freue mich auch. Das wird bestimmt eine tolle Zeit.“

Wieder vereint

Es ist viel zu früh. Ich könnte die Schuld beim kaum vorhandenen Straßenverkehr suchen oder mir eingestehen, dass ich verdammt aufgeregt bin. In der letzten Nacht habe ich so gut wie kein Auge zugemacht. Die Vorstellung, dass mein Bruder mehrere Monate bei mir bleiben wird, bringt mich schier um den Verstand. Obendrein habe ich keine Ahnung, ob und wie lange ich mein Leben vor ihm geheim halten kann. Er ist ein zukünftiger katholischer Priester. Die Art, wie seine Kirche mit meiner Homosexualität umgeht, ist ziemlich eindeutig und ich weiß nicht, was es mit mir macht, wenn mein Bruder sich von mir aus diesem Grund distanziert, mich möglicherweise sogar ablehnt. Es war eine bescheuerte Idee. Ich hätte niemals zustimmen sollen. Und doch weiß ich, dass ich nichts so sehr möchte, wie wieder mehr Zeit mit ihm zu verbringen.

Die Jahre, in denen wir nahezu unzertrennlich waren, erscheinen mir eine Ewigkeit zurückzuliegen. Eigentlich fing es schon im letzten Schuljahr an, dass wir uns immer weiter voneinander entfernt haben. Ich konnte mit seinem Wunsch Theologie zu studieren nicht umgehen. Moritz interessierte sich nicht einmal mehr für eine Uni in der gleichen Stadt. Ich hatte das Gefühl, dass mein ganzes Leben auseinanderbrechen würde und habe alles daran gesetzt, um das zu ändern. Dabei habe ich mich wirklich furchtbar benommen und am Ende alles kaputt gemacht.

Zuerst habe ich versucht ihm aufzuzeigen, was für ein furchtbarer Verein die Kirche ist. Ich habe keine Möglichkeit ausgelassen, um ihm klarzumachen, dass all das, woran er glaubt, vollkommener Unsinn ist. Vielleicht wären die Chancen besser gewesen, wenn ich ihm von meiner Homosexualität erzählt hätte. Das habe ich jedoch nicht geschafft, weil es mir damals selbst noch so surreal erschien. Vermutlich kann ich es immer noch nicht. Ich fürchte mich davor, dass er mich deswegen verabscheut. Es gibt niemanden, dessen Meinung mir jemals so wichtig war. Da habe ich lieber in Kauf genommen, dass er mich … Ja, ich glaube, irgendwann gegen Ende der 12. Klasse hat er mich gehasst.

Ich war ein Idiot, habe ein Mädchen dafür bezahlt ihm einzureden, dass sie von Moritz schwanger sei. Dabei hatten sie nicht einmal Sex, aber ich hatte dafür gesorgt, dass Moritz so betrunken war, dass er es tatsächlich geglaubt hat. Am Ende ist die verdammte Lüge wie eine Seifenblase geplatzt und ich habe zum ersten Mal diesen Blick bei ihm gesehen. Es war eine Mischung aus Verachtung und Enttäuschung und noch heute wird mir allein bei dem Gedanken daran schlecht.

Dass wir nach der Schule getrennte Wege gegangen sind, war die einzige logische Konsequenz. Auch wenn wir niemals den Kontakt gänzlich verloren haben, so haben wir doch zum ersten Mal wirklich zwei eigenständige Leben geführt. Ich zog genau das durch, wovon ich immer geträumt habe. Zum ersten Mal konnte ich mein Schwulsein ausleben und der sein, der ich sein wollte. Ich habe mich akzeptiert gefühlt und neue Freunde gefunden. Freisein und die Welt erobern. Es gab Augenblicke, da habe ich vergessen, dass es Moritz jemals in meinem Leben gab und dann waren da wieder diese Momente, in denen ich mich unvollständig und allein gefühlt habe.

---ENDE DER LESEPROBE---