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Auch für den 90-Jährigen ist es eine „Selbstverständlichkeit, das Zeitgeschehen kritisch zu begleiten und im Netz mitzudebattieren.“ Dies ist nun sein 10. eBook, Fortsetzung des neunten mit Beiträgen des letzten Jahres (2016) zu den gleichen Themen (aktuelle Politik, Globalisierung, Kolonialismus, Krieg und Pazifismus, Flüchtlinge, Fluchtursachen, alte und Neue Rechte, ihr Rassismus, ihre Ängste; philosophische Betrachtungen...) Dazu: Die Arier. Der folgenschwere Missbrauch eines Begriffes durch Rassisten, Verschwörungstheorien; Entwicklungshelfer – ein Afrika-Fest in Bild und Text, Wer war Martin Luther?... – Rezension eines außergewöhnlichen Buches und ein Zeitungsbericht zu Stahlbaums 90.
Der Autor: geboren 1926, aufgewachsen in einem völkisch deutsch-nationalen Milieu, militaristisch erzogen, faschistisch indoktriniert. "Hitlerjugend", Militär, I944-45 an zerbröckelnden Fronten, 1949-54 bei der Fallschirmtruppe der französischen Legion in Algerien und Vietnam. Heimkehr als Kriegsgegner. Engagement in Bürgerinitiativen und in der Friedens- und Ökologiebewegung. Berufe: u. a. Fabrikarbeiter, Buchhändler, Verlagsangestellter, Bibliothekar. Publikationen: Prosa, Lyrik, Essays, Reportagen etc. Ein Roman, ein "Lesebuch", Print- und eBooks. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage 11. Juli 2020.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Es gibt nun mal verschiedene Ansichten. Das ist bei den Geisteswissenschaften, denen ich auch Soziologie, Sozialpsychologie und Psychoanalyse zuordne, üblich. Und alle lassen sich empirisch begründen. Die Betreuerinnen der Frauenhäuser und Beratungsstellen werden das aus eigener Praxis bestätigen können.
Was heißt das eigentlich: IDEOLOGIE?
Daraus: „Urteile, Wertungen setzen ein Begriffs- und Wertesystem voraus, eine Ideologie! Der entnehmen wir auch die Kriterien, wenn wir Ideen, eine wissenschaftliche oder politische Anschauung, (Lehr-) Meinung, Denkweise als »Ideologie« entlarven wollen.
»Ideologie« ist – rein sprachlich – ein wertneutraler Begriff, den man gern als Stempel benutzt. Der wird dann schnell allen konträren, unliebsamen und daher lästigen Ideen aufgedrückt, um zu signalisieren, dass es verlorene Zeit wäre, sich damit auseinander zu setzen.“
Ist er doch durch die wirtschaftliche und kulturelle Globalisierung anachronistisch geworden. Das Zeitalter der Nationalstaaten ist im Grunde längst vorbei. Auch Europa ist allein nicht lebensfähig. Wir sind weltweit, d. h. global vernetzt, könnten alle miteinander kommunizieren und uns verständigen, wir sind wirtschaftlich und finanziell miteinander verflochten und voneinander abhängig. Aber die gewaltigen und gewaltsamen politischen und sozialen Umbrüche und Verwerfungen, welche den Globus erschüttern, machen Menschen, die nur auf ihren Teller starren, Angst. Es könnte nicht mehr genug darauf sein. Dabei gehen sie selber verschwenderisch mit Lebensmitteln um und werfen fast alles, was sie nicht aufessen können, weg. Ich meine dies konkret und metaphorisch. Es sind reale und irreale Ängste. Was außerhalb ihres „Tellers“ passiert, wird als Bedrohung empfunden, so wie in Urzeiten die Natur, die als übermächtig und unerklärlich wahrgenommen wurde. Dahinter vermutete man ein menschenähnliches, jedoch übermenschliches Wesen. Man nannte es „Gott“. So entstand vor etwa 3000 Jahren im Iran der Monotheismus. Jetzt hatten sie einen Übervater, der „allmächtig“ ist, ihre „Geschicke“ lenkt und ihre eigenen Omnipotenzwünsche erfüllt. Heute ist das politische Weltgeschehen für Viele undurchschaubar, weil viel zu komplex, und wird deshalb als Bedrohung empfunden. Wieder sind es Ängste, irrationale zumeist. Diesmal ist es vor allem Angst, von einer „Flüchtlingsflut“ überrollt zu werden, von Fremden, die womöglich vom eigenen Teller etwas mithaben, die mitessen wollen, Arbeitsplätze wegnehmen, die Sozialkassen plündern, den eigenen Lebensstandard weiter sinken lassen und die (staatliche) Ordnung stören. Dann haben sie auch noch eine fremdartige Religion mitgebracht, den Islam, und haben für das „christliche Abendland“ völlig inkompatible Moralvorstellungen. Die Aufregung ist groß, und da die Politik nicht gewillt ist, einzugreifen und eine drohende „Islamisierung Deutschlands“, ja, ganz Europas abzuwenden, ist die Sehnsucht nach einem starken Mann wieder da, das Verlangen nach einer starken Hand, die führt und die gewohnte Ordnung wieder herstellt. Dabei erinnert man sich an „gute, alte Zeiten“, „in denen alles geregelt war“ und, wer da aus der „Volksgemeinschaft“ ausscherte, zurechtgewiesen und bestraft, gegebenenfalls hingerichtet wurde. Das wäre ein Rückfall in die Vergangenheit, eben: anachronistisch. Statt solcher infantilen Fantasien sind Kreativität und Mut gefordert, um gemeinsam mit den vielen Anderen, die über alle nationalen Grenzen hinweg bereits aktiv sind, an der Lösung der politischen, sozialen und ökologischen Probleme mitzuwirken.
Die kulturelle Globalisierung gibt es ebenso lange wie die wirtschaftliche: Kulturgüter (Kunst, Wissen, religiöse Vorstellungen, Wertvorstellungen, Philosophien), ganze Kulturen z. B. aus Asien gelangten bereits seit 115 vor unserer Zeitrechnung auf Handelswegen nach Europa (Seidenstraße) und haben die so genannte christlich-abendländische Kultur mitgeprägt. Ebenso arabische Muselime.
Während im 9. Jahrhundert, als Karl, der heute zu Unrecht als “der Große“ gefeiert wird, massenweise Sachsen abschlachten ließ, und im Abendland ein geozentrisches Weltbild herrschte, die Erde als Scheibe angenommen wurde, wussten Araber, Muslime, längst, dass nicht die Erde Mittelpunkt des Universums ist, sondern die Sonne. Damals gab es eine arabisch-muslimische Hochkultur, die im Laufe der Jahrhunderte auf den heutigen Zustand heruntergekommen ist. Später „vermittelten [Muslime] den Christen die Errungenschaften antiker und orientalischer Gelehrsamkeit“. „Der Islam“ gilt heute „als Geburtshelfer Europas.“
Grundlagen heutiger Wissenschaften und des philosophischen Denkens in Europa, in Deutschland stammen von Arabern, z. B. unser Zahlensystem. Wir rechnen in arabischen Ziffern. In unserer Sprache gibt es viele Worte, die aus dem Arabischen abgeleitet sind: Admiral, Alkohol, Arsenal, Magazin, Matratze... bis Zenit und Ziffer. Unsere Kultur hat viele außereuropäische Wurzeln. Daran sollten wir uns erinnern.
Kulturen, die sich nicht öffnen und weiterentwickeln, die in ihren Traditionen verharren, verkümmern, sterben ab. Schützenvereinen und anderen Traditionsverbänden, die Althergebrachtes pflegen, fehlt der Nachwuchs. Die Jugend ist größtenteils multikulturell interessiert und hat über alle ethnischen und nationalen Grenzen hinweg Freundschaften geschlossen. Viele sind mit wachen Sinnen durch die Welt getrampt und gereist, haben fremde Kulturen kennengelernt, ihren Horizont erweitert, sich Fremdes vertraut gemacht, sich weitergebildet und vermitteln ihre Erfahrungen an andere.
Kulturen und Verhaltensweisen, die man ablehnt, sollte man kennen: das Gedankengut (= Ideologien), das ihnen zugrunde liegt, ihre Literatur und ihre Geschichte. Denn nur nach dem Hörensagen zu urteilen und zu verurteilen, heißt vorurteilen bzw. vorverurteilen. Viele Agnostiker und Atheisten kennen die Bibel, den Koran, die Kirchengeschichte und die Geschichte des Islams besser als die Gläubigen und „Geistlichen“. Jesuiten ausgenommen. Sie waren und sind stets auf dem neusten Stand des Wissens, der Wissenschaften, des wissenschaftlich-kritischen Diskurses, haben sich jedoch dem Papst zu absolutem Gehorsam verpflichtet und verschweigen, was der päpstlichen Doktrin widerspricht und seine „Unfehlbarkeit“ infrage stellen würde.
Menschen, die, wie generalisierend behauptet wird, „überschaubare Gruppen mit gleichen Werten „bilden“, werden immer weniger, weil es zumeist Alte sind oder ohne Bildung, „bildungsferne“. Denn seit die Studenten und Professoren, die Achtundsechziger, durchgesetzt haben, dass auch Arbeiterkinder studieren konnten, und Volksuniversitäten gegründet haben, ist unser Bildungssystem für alle offen, das Bildungsniveau erheblich gestiegen und damit auch der Wunsch, die engen Grenzen der durchschaubaren, kleinbürgerlichen Welt zu überwinden. Nicht allen, die aus dem Kleinbürgertum stammen, ist das gelungen. Es gibt Professoren, Juristen, Fachärzte, Ingenieure, hochqualifizierte Techniker, welche die kleinbürgerliche Mentalität ihrer Eltern übernommen haben und bei PEGIDA, AfD & CO ihre politische Heimat gefunden haben, denn hier versammelt sich das gesamte Kleinbürgertum, schätzungsweise noch 15 % der deutschen Bevölkerung. Diese hat offensichtlich nicht bemerkt, dass weltoffene Muslimas und Muslime, Araber/innen und Türk/inn/en, sich in Deutschland längst integriert haben, ohne ihre Wurzeln zu kappen, und dabei sind, ihre Religion zu reformieren, den Islam von allen Menschen verachtenden Moralvorstellungen und Praktiken frei zu machen. Vieles davon stammt gar nicht aus dem Koran und der ursprünglichen Lehre, manches aus der Bibel, vom Christentum und ist dem Apostel Paulus zuzuschreiben. Man sollte auch kennen, was man kritisiert und ablehnt. Davon abgesehen hat der Islam für die meisten in Deutschland lebenden Muslime und Muslimas längst nicht die Bedeutung, die ihnen beigemessen wird. Sie sind säkular orientiert. Viele Immigranten und deren Nachkommen, auch Flüchtlinge haben sich ganz von der Religion getrennt. Nicht wenige von ihnen sprechen und schreiben besser deutsch als manche AfD-Wähler und PEGIDA-Demonstranten.
Hier im Ruhrgebiet z. B. leben – seit Jahrhunderten! – die meisten Immigranten und die Zahl der Flüchtlinge ist hoch, dennoch ist die AfD hier weit unter dem Bundesdurchschnitt vorhanden:
Was ich damit sagen will: Nirgendwo anders in Deutschland als im Ruhrgebiet sind seit Jahrhunderten so viele Ausländer eingewandert.
Mit der Industrialisierung in Deutschland (seit etwa 1815) gab es eine massenhafte Zuwanderung ausländischer Arbeiter, ihrer Familie und einiger Ingenieure, die – das stimmt – „meist aus ähnlichen Kulturen“ stammten. Auch sie wurden anfangs von Teilen der Bevölkerung xenophobisch abgelehnt und angefeindet. Ebenso die Griechen und Italiener, die nach dem 2. Weltkrieg kamen, ab 1956 die Ungarn und seit Anfang der 60er Jahre die Türken. Selbst deutschstämmige Flüchtlinge und Ostvertriebe wurden vielerorts, besonders in ländlichen Gebieten, als Fremde angesehen, sogar beneidet und gehasst, bis man sie kennen und schätzen lernte. Das haben meine Frau (aus Schlesien) und ich (aus Ostpreußen) selber erlebt.