Virus Auto - Hermann Knoflacher - E-Book

Virus Auto E-Book

Hermann Knoflacher

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Beschreibung

Am Anfang stand das Auto für freie Fahrt, für Mobilität und für Freiheit. Doch was ist aus diesen Träumen geworden? Heute hat das Auto massiv in unsere Lebenswelten eingegriffen, sowohl Natur und Gesellschaft als auch das Individuum sind vom Virus Auto befallen: Landschaften wurden zerstört, Städte für Autos angelegt, und sobald ein Mensch ins Auto steigt, verändert sich sein Wesen.

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Seitenzahl: 289

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Über dieses Buch

Am Anfang stand das Auto für freie Fahrt, für Mobilität und für Freiheit. Doch was ist aus diesen Träumen geworden?

Heute hat das Auto massiv in unsere Lebenswelten eingegriffen, sowohl Natur und Gesellschaft als auch das Individuum sind vom Virus Auto befallen: Landschaften wurden zerstört, Städte für Autos angelegt, und sobald ein Mensch ins Auto steigt, verändert sich sein Wesen.

Hermann Knoflacher ist Professor für Verkehrsplanung an der TU Wien und seit Jahrzehnten bekennender Autokritiker. Er liefert eine schonungslose und provozierende Abrechnung mit dem faszinierenden Wunder Auto.

Inhalt

Vorwort

Der Mythos des Feuers und die Erfindung des Rades

Die Beschleunigung der Menschheit

Verkehrswesen und Verkehrspolitik im Bann der Mobilität

Die Zerstörung des Lebensraums durch das Auto

Eingriff in die menschliche Evolution: Gehirn und Genom

Das Virus Auto und seine verheerenden Wirkungen

Leben nach Peak Oil: falsche Antworten und sinnvolle Strategien

Danksagung

Vorwort

Ende des 19. Jahrhunderts tauchte auf den Straßen ein selbstfahrendes Vehikel auf, zu dieser Zeit eine Kuriosität. Es lärmte und stank, reizte aber Abenteurer, die den Mut hatten, alle Widrigkeiten, die diesem Gefährt entgegenstanden, in Kauf zu nehmen. Technische Probleme, permanente Reifenpannen durch die Hufnägel der Zugtiere, aber auch der Widerstand der Gesellschaft gegen die Störung der sozialen Beziehungen und wirtschaftlichen Aktivitäten im belebten öffentlichen Raum weckten keine großen Hoffnungen für die Zukunft dieses Verkehrsmittels. Aber schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann der Siegeszug des Automobils in den USA, griff nach dem Zweiten Weltkrieg auf Europa über und breitet sich bis heute über die ganze Welt aus. Seine Möglichkeiten der individuellen mühelosen Bewegung auf nahezu allen Landwegen faszinierten auch die Politik, die Verwaltung und die Wissenschaft. Nach und nach wurden die öffentlichen Räume – seit Jahrtausenden Orte der sozialen Beziehungen, wirtschaftlicher Aktivitäten und der Kultur – in Bewegungs- und Abstellflächen für Autos umgewandelt. Aber nicht nur die physischen Strukturen wurden von der Gesellschaft mit großem Aufwand in optimaler Weise für den Autoverkehr eingerichtet, auch die einst menschliche Kultur mit ihrem Verhaltenskodex, der die Beziehungen der Menschen untereinander regelte, wurde ohne Widerspruch, ja sogar mit großer Zustimmung der Bevölkerung, durch die Straßenverkehrsordnung ersetzt. Die Errungenschaften der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – waren vergessen.

Die mit dem Auto entstandenen Vorteile sind so überzeugend, dass weder der Einzelne, noch die Betriebe auf diese verzichten wollen und heute auch vielfach nicht mehr können. Die Möglichkeiten für beide waren enorm. Man konnte der Enge der Dörfer und Städte entrinnen, fand günstiges Bauland in ihrem Umfeld, das mit einem ständig wachsenden Netz guter Fahrbahnen erschlossen wurde. Man braucht heute das Auto für die Wege zur Arbeit, denn die Arbeitsplätze konzentrieren sich auf immer weniger Standorte, man braucht das Auto zum Einkaufen, weil keine Läden mehr in der Nähe sind, man braucht es, um die Kinder sicher zur Schule zu bringen, man braucht es, um der Unwirtlichkeit der neuen Städte zu entkommen und schließlich braucht man es, um seine Urlaubsziele zu erreichen. Und wenn das Auto Lebensräume braucht, müssen diese zur Verfügung gestellt werden, das ist sogar gesetzlich geregelt. Universitäten und Schulen bringen Absolventen hervor, die genau wissen, was dem Auto guttut und was notwendig ist, seine Bedürfnisse zu befriedigen, und wie man die Bewegungs- und Ruheräume für die Autos optimal und behinderungsfrei gestalten kann. Das setzen sie auch in der Praxis um. Man prämiert die Besten durch Professuren und Titel, zur Freude der Bauindustrie, die mit ihrer Hilfe die Unbeständigkeit der Natur durch solide Beton- und Asphaltflächen ersetzen kann. Jeder Sieg des Autos über die Natur und auch über die manchmal widerspenstigen Bürger wird als Fortschritt gefeiert. Massive Widersprüche zu einem rationalen und verantwortungsbewussten Verhalten einer Gesellschaft werden nicht mehr wahrgenommen. Obwohl das Fördermaximum des Erdöls bereits überschritten ist, die Folgewirkungen des Klimawandels nicht mehr übersehen werden können und man weiß, dass das Auto einer der Hauptverursacher dieser Entwicklung ist, ändert sich nichts am Verhalten der Entscheidungsträger oder dem der Gesellschaft. 1,2 Millionen bei Verkehrsunfällen getötete Menschen jährlich und vier Millionen frühzeitig durch Abgase Verstorbene werden von der automobilen Gesellschaft hingenommen und beweisen, dass es sich dabei nicht mehr um eine menschliche handelt. Man stelle sich eine Seuche vor, die Jahr für Jahr derartige Opferzahlen fordert! Alle Staaten und internationalen Organisationen würden sämtliche Hebel in Bewegung setzen, um diese Bedrohung aus der Welt zu schaffen – nicht so beim Autoverkehr.

Die gebaute Umwelt, die uns heute umgibt, ist ein künstliches Produkt. Das Selbstverständnis, mit dem der Einzelne, die Gesellschaft und die Politik die Priorität der Bedürfnisse des Autos über die grundlegenden Werte des Lebens und Überlebens stellen, ist nur durch ein Verständnis der evolutionären Verfasstheit des Menschen und seiner Gesellschaft zu erkennen und zu begreifen. Und dieser Weg führt uns tief in das Innere des Menschen, in die Anfänge der Entstehung des Lebens, um zu begreifen, welche Folgewirkungen die interaktive Beziehung zwischen dem Menschen und dem Auto, das ihn von der Mühsal des aufrechten Ganges befreit zu haben scheint und ihn blind macht für die Zerstörung, die es in den Individuen, den Familien, der Arbeit, der Politik und den Lebensgrundlagen anrichtet, zeitigt.

Als Teil des komplexen Systems des Lebens auf dieser Erde hat jeder Eingriff Rückwirkungen auf jene, die ihn tätigen. Dies gilt für Menschen ebenso wie für eine Zelle eines Organs. Akzeptiert diese ein Virus, das sie dazu verleitet, mit großer Begeisterung nicht mehr die DNA wie bisher zur Lebenserhaltung zu replizieren, sondern die wesentlich einfachere und mühelosere Möglichkeit, Viren-RNA zu erzeugen, wird sie sich gegenüber dem früheren Zustand überlegen fühlen, ohne dabei zu ahnen, dass sie sich selbst zerstört und in der Folge möglicherweise ihre Lebensgrundlage, den Organismus. Sie hat ihr Wertesystem geändert, von der Mühsamkeit der Lebenserhaltung zugunsten einer wesentlich effizienteren Replikationsmethode und Freiheitsgraden, die ihr bisher verwehrt waren. Und gelingt es ihr dazu noch, ein billiges Energieversorgungssystem aufzubauen, steht einem scheinbar grenzenlosen Wachstum nichts mehr im Wege. Die Medizin bezeichnet diese Entwicklung als Krebs, das traditionelle Verkehrswesen und die Politik als »Mobilitätswachstum«.

Schneller als das erwünschte Kapitalwachstum wachsen allerdings die Probleme. Nicht außen, wo die Symptome auftauchen, liegen die Ursachen, sondern innen, wo die Probleme entstehen und über mehrere verschlungene Wege vielfach zeitlich und räumlich versetzt in Erscheinung treten. Die Ursachen aufzufinden ist eine Leistung der geistigen Mobilität, für die aber die Gesellschaft keine Mittel zur Verfügung stellt, weil sie diese ausschließlich für die weitere Verbesserung der physischen Mobilität einsetzt, im Glauben, man könne den Fehler dadurch überwinden, dass man ihn noch größer macht. Es wäre erfreulich, würde die vorliegende zweite Auflage dieses Buches weiteren Menschen die Augen öffnen für den unbeschreiblichen Irrsinn, der im Verkehrswesen auf allen Ebenen – von der Kommune, über die Länder, die Staaten bis zur EU und globalen Betrieben – stattfindet, und der von den vom Autovirus befallenen Hirnen angetrieben wird.

DER MYTHOS DES FEUERS UND DIE ERFINDUNG DES RADES

Faszination des Feuers

Rund 800.000 Jahre soll es her sein, dass ein Homo erectus sich das Feuer bewusst zunutze machte. Jedenfalls lässt sich aus den Überresten von verbrannten Samen, Holz und Feuerstein schließen, dass diese nicht zufällig an dem betreffenden Ort zusammenkamen. Systematischen Gebrauch des Feuers durch den Menschen kann man seit rund 300.000 Jahren nachweisen. Von einem Beherrschen des Feuers kann allerdings bis heute nicht gesprochen werden: Beherrschte die Menschheit das Feuer, dürften dessen Folgen als Klimaerwärmung nicht global zum nahezu unlösbaren Problem werden.

Das Auto ist ein Kind des Feuers. Ohne Feuer gäbe es das Auto nicht und all das, was wir damit anstellen. Bis es allerdings dazu kam, war der Homo erectus schon fünf bis sieben Millionen Jahre zu Fuß unterwegs. Dabei hat er das Feuer zunächst als Naturerscheinung kennengelernt, vor der er sich vermutlich fürchtete und die er als Bedrohung empfand. Es mag manchmal vorgekommen sein, dass er nach einem Brand fallweise in den Genuss verzehrbarer organischer Reste gekommen ist. Dies hat sicherlich seine Neugier geweckt. Aber eine andere Erfahrung war wichtiger als die Geschmacksfrage, mit der er es zunächst zu tun hatte: die Erfahrung, dass Fleisch oder Wurzeln leichter zu zerteilen und zu kauen waren. Er konnte sich damit Körperenergie für das Zerkleinern und Aufschließen dieser Nahrung sparen. Der Keim zur Bequemlichkeit, der im Homo erectus wie in allen Lebewesen angelegt ist, dürfte auch hier bereits zu finden sein. Dieses wunderbare Geschehen, das die Naturwissenschaft heute als physikalisch-chemischen Prozess bezeichnet, findet seinen Niederschlag in den Mythen – einst wie heute. Das Feuer als Geschenk des Himmels einst und als wunderbare Quelle der Kraft im Motor heute. Was im Magen passiert, wird bis heute nicht ganz verstanden. So angenehm manche Erfindungen sein mögen, sie bergen oft das Verderben in sich, wenn man die langfristigen Folgen nicht bedenkt.

Feuerbringer Prometheus

Prometheus, dem die Götter Verstand und Vernunft gaben, damit er die Menschen lehre, hat diese Eigenschaften, wie der Mythos berichtet, auch dazu missbraucht, Zeus zu täuschen, als er ihm die größere Stierhaut, gefüllt mit Knochen, und die kleinere, gefüllt mit Fleisch, zur Wahl anbot. Er wäre damit der ideale Schutzheilige der heutigen Verpackungsindustrie. Er brachte den Menschen aber auch das Feuer, das ihnen Zeus vorenthalten hatte. Um den »Vorausdenkenden«, den Lehrmeister der Menschen zu ehren, wurde sein Altar bei den Festlichkeiten mit Fackeln geschmückt. Allzu weit hat er aber nicht vorausgedacht. Vernunft und Verstand haben ihn nicht vor den fürchterlichen Folgen seiner Freveltaten bewahrt. Er wurde in der schlimmsten Einöde des Kaukasus an einen Stein geschmiedet und jeden Tag kam der Adler Ethon und fraß an seiner Leber. Nach Jahrhunderten der Qual erlöste ihn Herakles – teilweise, denn er muss immer noch mit dem Eisenring und dem Stein des Kaukasus herumlaufen. Prometheus lebt heute in vielfacher Form: in den Bankern, den Konzernmanagern und Politikern, die in der jüngsten Finanzkrise »Das war nicht vorauszusehen« zur Standardformel für ihre Fehler machten. An den Stein geschmiedet sind aber nicht mehr die Verursacher, sondern die Bürger, denen der Adler täglich an der Leber frisst.

Prometheus’ Taten lösten zahlreiche Systemwirkungen aus, die ein Vorausdenkender zu beachten gehabt hätte. Dazu müsste er aber nicht nur in der Lage sein, vorauszudenken, sondern auch die Fähigkeit haben, vorauszusehen. Die Griechen führen uns durch ihre Mythen in eindrucksvoller Weise vor Augen, welche Folgen unbedachtes Handeln nach sich ziehen kann.

Die Kunstfigur Pandora, von Hephaistos geschmiedet, mit allen denkbaren Reizen ausgestattet, schenkte dem Bruder des Prometheus, dem »Nachherbedenkenden« Epimetheus, eine Büchse mit Unheil bringenden Gaben, der sie entgegen einer früheren Warnung des Prometheus auch annahm. Pandora öffnete den Deckel und alles Übel kam heraus, nur die Hoffnung blieb in der Büchse zurück, als diese geschlossen wurde. »Wer nicht hören will, muss fühlen«: Epimetheus wäre der ideale Schutzpatron für all jene, denen der Fortschritt nicht schnell genug gehen kann, unter ihnen die für die Folgen ihrer Erfindungen blinden Wissenschaftler und Techniker wie auch jene, die nicht wissen, woher und wohin der sogenannte Fortschritt uns führt.

Die Bewegungsprothese

Zur Entstehung des Mythos trug auch noch die Metallverarbeitung bei, für die Hephaistos, der Gott des Feuers, zuständig ist. Mit seinen Gehilfen betrieb er eine Schmiedewerkstatt, in der er seine berühmtesten Werke, unter anderen den Wagen des Helios und Prototypen des Roboters, des Stahlbaus und Produkte der Rüstungsindustrie, herstellte. Hephaistos’ Körperbehinderung führte in Kombination mit seinem Beruf geradezu zwingend zum Bau von verschiedenen Prothesen wie dem Sonnenwagen, einer Bewegungsprothese für mühelose Erdumkreisungen. Ein Wunschtraum der Menschheit zeichnete sich ab, blieb aber für die Massen lange Zeit unerfüllbar.

Feuer war seit jeher ein Begleitelement von Gotteserscheinungen. Gott selbst erscheint im brennenden Dornbusch, und Abraham wird von ihm angesprochen, seinen Sohn als Brandopfer darzubringen, um ihn schließlich an Ort und Stelle zu belehren, dass mit dieser Unsitte endgültig Schluss sein soll. 2500 Jahre später war die Menschheit – vom Glauben geleitet – nicht viel weiter gekommen, als nämlich Hexen und Andersgläubige verbrannt wurden. Mit Brandopfern wollte man damals wie heute die Götter besänftigen – früher ein ungewisses Unterfangen; heute, dank Naturwissenschaft und Technik, eine ziemlich verlässliche Angelegenheit. Das Feuer macht es möglich. Eingesperrt in einer kleinen Brennkammer, dem Motor des Autos, gezündet bei hoher Temperatur, ging ein Wunschtraum der Menschheit in Erfüllung: die mühelose Fortbewegung. Nutzen kann man das Feuer zweifelsohne – sinnvoll, aber auch weniger sinnvoll.

Problematisch ist die Unterscheidung von Zweck- und Schadfeuer, denn jedes sogenannte Zweckfeuer ist gleichzeitig auch immer ein Schadfeuer, wenn der Mensch nicht in der Lage ist, die Wirkungen des Feuers zu begreifen. Unmittelbar erlebt, macht es weniger Probleme, weil unsere Rezeptoren dem Hirn Informationen liefern. Mittelbar aber wirkt es im scheinbar Verborgenen und man merkt den langfristigen Schaden oft viel zu spät – denken wir etwa an Feinstaub oder CO2. Es ist immer gefährlich, wenn die »Vorausdenkenden« nicht auch von »Voraussehenden« begleitet oder, noch besser, kontrolliert werden. Seit der technischen Revolution will man aber von Voraussehenden nichts wissen, denn diese behindern, ja gefährden den sogenannten Fortschritt.

Die technische Zähmung des Feuers in der modernen Form ist gar nicht so alt. Erst im 19. Jahrhundert kam der geschlossene Ofen langsam in Verwendung und löste der Herd als Kochstelle die bis dato weitgehend offene Feuerstelle ab. Das Feuer als Mittel zur Jagd wird sowohl von den Aborigines wie auch von der Gesellschaft der Hochmotorisierten genutzt. Den Aborigines erleichtert das Feuer das Aufscheuchen und Erlegen von Wildtieren, also die Nahrungsbeschaffung, der Autogesellschaft die Jagd auf Schnäppchen in den immer weiter von den Wohnungen entfernt liegenden Shoppingcentern, sichtbaren Auswüchsen der voranschreitenden Wüste der Nahversorgung als Folge der Autobenutzung. Erhoffte man sich im Altertum durch das Abbrennen der Opferfeuer die Erfüllung menschlicher Wünsche durch die Zuneigung und das Wohlwollen der Götter, so ist es in der Zwischenzeit der Naturwissenschaft und Technik gelungen, die Götter gefügig zu machen und sie zum unmittelbaren und störungsfreien Einlösen der Wünsche beim Anzünden des Feuers zu zwingen. Millionenfach zünden Autofahrer nahezu überall auf der Welt das mystische Opferfeuer in den Motoren ihrer Fahrzeuge, um das Wunder müheloser Entfernungsüberwindung und hundertfach gesteigerter Körperkraft zu erleben. Die Götter müssen folgen – tun es aber nur scheinbar.

Prometheus und die Folgen

Die griechische Mythologie führt uns, betrachten wir sie evolutionstheoretisch, zur Erkenntnis, dass das menschliche Denkorgan – Prometheus ist zwar ein Titan, aber kein Gott – offensichtlich mehr als mangelhaft ist. Wäre Prometheus tatsächlich der Vorausdenkende, dann hätte er gewusst, welch fatale Folgen seine Handlungen nicht nur für seine persönliche Zukunft, sondern für die gesamte Menschheit haben würden. Die Empathie, die Zuneigung zu und das Mitgefühl mit den Menschen haben ihn offensichtlich blind gemacht für die größeren Systemzusammenhänge. Er hätte wissen müssen, dass mit Hephaistos eine Gottheit existiert, der er nicht gewachsen ist, und dass auch Zeus keine verbotenen Handlungen ungestraft geschehen lässt. Ihm wäre erspart geblieben, an die Felsen des Kaukasus geschmiedet zu werden und täglich eine brutale Leberoperation ohne Narkose über sich ergehen lassen zu müssen. Der Menschheit wären zumindest im Autoverkehr jährlich mehr als eine Million Tote bei Verkehrsunfällen und weit über zwei Millionen Tote aus dem Gesamtbereich des Verkehrs erspart geblieben. Auch hätte er wissen müssen, dass der Nachherdenkende sich später zum klassischen Techniker und Naturwissenschaftler entwickeln wird, der aus Neugier und voller Hoffnung die Büchse der Pandora immer neu öffnet, ohne zu wissen, was er dabei anstellt. Und verantworten wollen Techniker die Folgen ihrer Eingriffe schon gar nicht.

Das Feuer wurde nur vorübergehend gezähmt, verstanden hat man es nie, aber die Nutzung immer mehr intensiviert, so weit, dass heute das gesamte Leben auf der Erde in seiner Existenz bedroht ist. Auch darf nicht vergessen werden, dass zum Prometheus’schen auch das Täuschen und Verstecken gehören, die Mogelpackung sozusagen, die heute zum Standard nicht nur in der Politik geworden ist. Die »Vorausdenkenden« haben auch davor nicht haltgemacht, noch effizientere Formen des Feuers, wie sie glauben, zu entdecken – wenn sie bei der Verbrennung nicht nur Biomoleküle zur Energiegewinnung nutzen, sondern den Atomkern spalten. Und heute stehen sie ebenso verständnislos vor den von ihnen ausgelösten Phänomenen wie der erste Homo erectus vor dem Blitz und dessen feurigen Folgen. Es gibt aber einen grundlegenden Unterschied: Die Folgen waren damals zeitlich und lokal begrenzt. Begrenzt waren auch das Systemverständnis und die Systemsicht des Prometheus, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Kaum ein Autofahrer versteht das System, in dem er mit seinem Fahrzeug agiert, ebenso wenig wie die sogenannten traditionellen Verkehrsexperten, die permanent an der Büchse der Pandora hantieren, gemeinsam mit den politischen Entscheidungsträgern. Was heute fehlt, ist die unmittelbare negative Rückkopplung, die Prometheus erfahren musste. Man ist vom Brauch abgekommen, die Täter an die Felsen des Kaukasus zu schmieden. Gefressen wird, wie schon erwähnt, die Leber der Steuerzahler. Prometheus wollte nur das Beste, brachte aber durch sein Verhalten zahlreiche Leiden über die Menschheit.

Die wechselvolle Geschichte des Rades

Um ein brauchbares Auto zu bauen, braucht es aber nicht nur das Feuer, auch das Rad musste erfunden werden. »Warum hat die Natur das Rad nicht erfunden?«, wurde ich vor einigen Jahren gefragt. Die Frage ist berechtigt, ist doch die runde Form in den Urformen des Lebens manifest. »Rädertierchen« werden manche Einzeller genannt. Steine rollen so wie Baumstämme den Abhang hinunter. Betrachten wir die Vielfalt raffinierter, oft verzwickter Lösungen, die die Evolution hervorgebracht hat und deren Sinnhaftigkeit wir oft erst nach jahrzehntelanger Forschung entdecken, und die Bauteile, die ihr zur Verfügung stehen, ist anzunehmen, dass das Rad als Entwurf milliardenfach zum Einsatz kam. Es konnte sich aber offensichtlich nicht durchsetzen. Milliardenfach wurde es verworfen, weil es nicht passte und nicht effizient war: Keinem Lebewesen sind »Räder angewachsen«.

Das hat mehrere Gründe. Ein Rad allein schafft noch kein stabiles System, auch zwei noch nicht. Man braucht mindestens drei. Außerdem müssen diese lenkbar sein und, was das Wichtigste ist, es müssen Bremsen eingebaut sein, die so schnell und stark wirken, dass Kollisionen vermieden werden. Außerdem braucht das Rad Fahrbahnen irgendwelcher Art, die in der Natur in der Regel nicht vorkommen. Die natürliche Umgebung ist voller Hindernisse und Barrieren für ein mit Rädern ausgestattetes Lebewesen.

Bequem, aber ineffizient

Ein Rad hat eine sehr große Oberfläche, über die es abrollt, es erfüllt nur die Funktion des Rollens, und das nur auf einer weitgehend ebenen Unterlage. Ein Rad ohne geeignete Oberfläche, auf der es rollen kann, ergibt keinen Sinn. Es bleibt leicht stecken, hat einen relativ großen Verschleiß und nur eine Funktion, nämlich jene der Fortbewegung. Hufe, Pfoten und Füße sind multifunktional und daher ungleich effizienter. Bewegen sich Lebewesen, kommen sie sehr häufig in Neuland, in dem keine Fahrbahnen existieren. Und da gibt es wichtigere Dinge als die Fortbewegung, nämlich die Wahrnehmung von Chancen und Gefahren und die rasche Reaktion darauf. Lebewesen, die mit Gliedmaßen ausgestattet waren, mit denen man nicht nur abrollen konnte, sondern auch klettern, bremsen, angreifen, verteidigen und bedrohen, waren den »geräderten« Lebewesen evolutionär, das heißt energetisch überlegen. Es stand auch nicht so viel Energie zur Verfügung, um sich diese luxuriös große Oberfläche zu leisten, ohne sonst einen Nutzen davon zu ziehen.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Mensch das Rad für Transporte erst dann einzusetzen begann, als er über zusätzliche, nicht körpereigene Energiequellen verfügte. Ob es am Anfang Hunde waren, die seine Wagen zogen, oder domestizierte Rinder, die man vorspannte, um Wagen mit ein- oder mehrteiligen Scheibenrädern zu schleppen, beschäftigt bis heute noch die Archäologen und wird es vielleicht noch einige Zeit tun. Funde lassen darauf schließen, dass das Rad – als das erste Maschinenelement eine bahnbrechende Erfindung – seit rund 5000 Jahren in Verwendung steht.

Nicht immer ist die Entwicklung linear

Man könnte nun annehmen, dass der Siegeszug des Rades beginnen hätte müssen, als man damit Lasten leichter transportieren konnte. In manchen Gebieten konnten sich das Rad und der Wagen aber auf Dauer nicht durchsetzen. Topografische Verhältnisse, Flüsse, lange Distanzen oder schwieriges Gelände standen ihrer Ausbreitung im Weg, weil das Eigengewicht des Rades und jenes des Wagenkastens zu groß waren. Man wandte sich wieder vom Rad ab und verlegte sich auf die zweckmäßigeren Tragetiere, die bis heute im Norden Afrikas, im Nahen und Fernen Osten immer noch eine bedeutende Rolle spielen. Diese können sich nicht nur im Gelände viel problemloser bewegen, sie haben auch den Vorteil, auf ein erprobtes Regel- und Steuerungssystem zurückgreifen zu können: die Sinnesorgane und das Gehirn. Die Karriere des Rades im Verkehrswesen ist daher zunächst dort gescheitert, wo nicht ausreichend Energieüberschuss zur Verfügung stand, um sich den Luxus von Fahrbahnen und Zugtieren leisten zu können.

Räder wurden natürlich schon viel früher im Handwerk, etwa der Töpferei, bei der Bearbeitung von Jade in China, aber auch in der Neuen Welt von den Maya, die sogar Zahnräder in mehr oder weniger feinmechanischen Geräten einsetzten, verwendet, nicht jedoch für den Transport. Dazu wären Fahrbahnen notwendig gewesen – ein Aufwand, den man sich weder im Dschungel noch im Gebirge leisten konnte. Auch das Rad der Eisenbahnen war angewiesen auf Fahrbahnen, Schienenstränge, zunächst aus Holz, dann aus Metall – zunächst gegossen, später gewalzt.

Autoräder stellten, auch nach Erfindung der Schlauchreifen, noch ein erhebliches Risiko dar; besonders aufgrund der Fahrbahnverhältnisse, spitzen Steinen, verlorenen Hufnägeln und anderen Gegenständen, die nicht von Vorteil für den Luftreifen waren. Der Flächenanspruch beweglicher Räder, heute als Flächenanspruch des Autos bezeichnet, ist ins nahezu Uferlose angestiegen, weil ihre Spurführung trotz technischer Unterstützung immer noch von einem Lebewesen bestimmt wird, dessen Sinnesorgane und Informationsverarbeitungssystem für eine Geschwindigkeit von zwei bis drei Kilometer pro Stunde ausgelegt sind. Das Vergnügen an diesem technischen Element ist heute so groß, dass laufend Tonnen von Reifenmaterial als Abrieb in die Umwelt gelangen und mit zu dem beitragen, was man als gefährlichen Feinstaub bezeichnet. Um eine Vorstellung vom Abrieb eines Autoreifens zu erhalten: Wäre die Erde auf die Dimension eines Autoreifens reduziert, wäre die Humusschicht nach 250 Metern Fahrt verbraucht, kein menschliches Leben wäre mehr möglich.

Mit dem Rad allein ist es noch nicht getan

Der Evolution ist die Kreisform von Anfang an eingeschrieben, aber nicht zum Zweck einer ungehemmten Mobilität. Das Rad zum Rollen zu bringen ist im Allgemeinen leichter als ein rollendes Rad aufzuhalten. Das ist sicher eine der Ursachen, warum in der Natur das Rad gescheitert ist. Wo es unkontrolliert zu schnell rollte, wurde zu viel zerstört. Erfolgreich ist es nur im Kleinen, beim Töpfern, als Wasserrad, also überall dort, wo das Hirn das Rad beherrscht und nicht umgekehrt. Wie wunderbar das in den heutigen Autos gelöst wurde, beweist die Tatsache, dass es kaum noch Bremsversagen gibt. Noch schwieriger ist es, wenn man vier Räder zu bändigen hat. Das Auto ist daher nicht nur Feuer und Rad, sondern das Ergebnis eines komplexen Systems, dessen Wurzeln tief in die Vorgeschichte der Menschheit hineinreichen.

DIE BESCHLEUNIGUNG DER MENSCHHEIT

Energie

»Arbeitsvermögen«, wie Energie bezeichnet wird, bewegt alles im Universum. Dessen Ursprung liegt im Dunkeln, das die Naturwissenschaftler als »Urknall« und religiöse Menschen als Schöpfungsakt bezeichnen. In Erscheinung tritt Energie immer in den Wirkungen, man denke nur an die Gravitation oder an die starken Kräfte, die den »sozialen Zusammenhalt« im Atomkern beschreiben, oder die Elektronenbindungen, die für den tieferen »sozialen Zusammenhalt« in den Molekülen als Beschreibung herangezogen werden.

Die Beschreibung ist eine Frage der jeweiligen Art von Illusion. Naturwissenschaften als die »objektive Illusion«, von Gerhard Fasching treffend erkannt und so bezeichnet, haben eine Methode entwickelt, die jeden, der sie anwendet, zum gleichen Ergebnis führt – deshalb die objektive Illusion. Seit man den Begriff »Evolution« eingeführt hat und darunter den Aufbau von Ordnung versteht, die sich in verschiedenen Formen manifestiert, spielte Energie die zentrale Rolle. Denn Ordnung in Systemen, insbesondere in lebenden Systemen, kann nur durch den ständigen Zufluss von Energie aufgebaut und erhalten werden. Zwei Strategien haben sich als erfolgreich erwiesen:

den Durchsatz an Energie zu maximieren undverfügbare Energie so lange wie möglich zu speichern.

Das Leben in all seinen Formen bedient sich beider Strategien, die, wie alles in der Realität, Chancen und Risiken aufweisen. Beim Bemühen, den Durchsatz zu steigern, kann man leicht in einen zu mächtigen Energiestrom geraten, der Strukturen zerstört, wenn sich etwa Bedingungen ändern, so zum Beispiel bei den Pflanzen die Austrocknung bei Wassermangel und starker Sonneneinstrahlung. Aber auch das Speichern von Energie ist mit Risiken verbunden, weil die Evolution darauf hinausläuft, Lebensformen hervorzubringen, die vorhandene Energiespeicher erfolgreich nutzen können, von Bakterien und Pflanzenfressern, die Zellulose aufschließen, über Vögel und Säugetiere, die hochkonzentrierte pflanzliche Energie in den Samen ausbeuten, bis zu Raubtieren, die sich auf in Lebewesen gespeicherte Energie spezialisiert haben. Dazu gehört auch der Mensch. Der Trieb optimaler Energienutzung ist in allen Lebewesen tief verankert, war er doch in ihrer gesamten Evolution eine der erfolgreichsten Strategien, wenn nicht die erfolgreichste. Diese Strategie birgt allerdings das Risiko, dass sie durch Übernutzung vorhandener Energiequellen gerade die erfolgreichste Spezies, die das am besten beherrscht, gefährdet, ja zum Aussterben bringen kann. Die Verkarstung der Küstenregionen am Mittelmeer durch Übernutzung der Wälder oder der Zusammenbruch der Kultur der Mayas sind nicht nur Zeugen für die Übernutzung vorhandener Energiequellen, sondern auch Beweise für den Missbrauch vorhandener Energieressourcen im Interesse nicht systemerhaltender Ansprüche.

Neben der bereits erwähnten Nutzung des Feuers haben Menschen eine ähnliche Intelligenz wie Pflanzen entwickelt. Beide haben, wenn auch in unterschiedlich raffinierter Weise, gelernt, Solarenergie direkt oder indirekt zu nutzen – auch für Mobilität. Pflanzen nutzen nicht nur den Wind und das Wasser für den Transport von Samen, sondern auch verschiedene Tierarten zur Ausbreitung. Und das seit Jahrmillionen. Menschen haben ähnliche Techniken erst in den letzten Jahrtausenden kennen und nutzen gelernt. Wind- und Wasserkraft in der Schifffahrt, in der Flößerei, im Holztransport, der in den Alpen periodisch an die Wasserführung der Flüsse und Bäche und die Schneeschmelze gekoppelt war, erleichterten den Transport auch großer Warenmengen in intelligenter Form. Intelligenz ist ja bekanntlich die Fähigkeit, Aufgaben durch problemlösendes Verhalten zu bewältigen.

Es hat Jahrtausende gedauert, bis die Menschheit in der Lage war, mit den Folgen ihrer Eingriffe in den Energiehaushalt der Natur fertig zu werden. Zwar brennen heute Städte nicht mehr wie im Mittelalter flächendeckend ab, doch treten nahezu täglich irgendwo auf der Welt unkontrollierte Brände auf, bei denen nicht nur große materielle Schäden, sondern auch Todesopfer zu beklagen sind. Wer nicht in der Lage ist, Energie aus der Sonne und den lokalen Ressourcen zu nutzen, um Ordnung aufzubauen und zu erhalten, muss Körperenergie einsetzen, um an anderen Orten an Energiequellen zu gelangen. Selbst ortsgebundene Lebewesen wie Pflanzen unterliegen diesem Zwang, wenn auch nicht individuell, so doch zur Arterhaltung, und ihr Erfindungsreichtum, vorhandene Energie in ihrer Umwelt zu nutzen, ist nahezu unbegrenzt und überschreitet alles bisher Dagewesene der menschlichen technischen Entwicklung. Eine Unzahl von Fluggeräten für den Transport wurde entwickelt, raffinierte Befestigungseinrichtungen, um Samen an sich vorüberbewegenden oder rastenden Tieren anzubringen; attraktive Verpackungsmaterialien für den Samentransport gehören ebenso wie Investitionen in wasser- und wetterfeste Verpackungen zu den Strategien, die eigene Immobilität durch Erfindungsreichtum zu kompensieren. Kein Wunder, dass die Pflanzen die mobilen Spezies diesbezüglich bei weitem übertreffen, haben sie doch Zeit und Muße genug, über clevere Lösungen nachzudenken und im täglichen Experiment zu erproben.

Wenn in Australien immer mehr Landstriche zu Wüsten werden, weil sie durch die Engstirnigkeit der Agrarindustrie und Profitgier in landwirtschaftliche Monokulturen umgewandelt wurden, so ist dies nur die Folge der Unkenntnis der komplexen Wirkungsmechanismen in der dortigen natürlichen historischen Flora. Optimal angepasst an die wechselnden Niederschlags- und Wetterverhältnisse, entstanden im Wissen um die Notwendigkeit der äußeren Rahmenbedingungen symbiotische Beziehungen von Tief- und Flachwurzlern. Tief wurzelnde Pflanzen versorgten die Flachwurzler in den Trockenperioden mit der notwendigen Feuchtigkeit und gaben dem Boden außerdem Festigkeit. Um Getreide anzubauen, wurde die australische Pflanzenwelt gerodet, das vorhandene Beziehungsnetz zerstört. Die Folgen bleiben nicht aus, Farmer verlieren ihr Land, Millionen von Tonnen fruchtbaren Bodens werden bei Stürmen ins Meer verfrachtet.

Über Energie zu verfügen, ist lebenserhaltend, über ein bestimmtes Maß hinaus führt es unweigerlich zu Entwicklungen mit – zumindest zeitlich – begrenztem Erfolg. Bequemlichkeit und Luxus sowie das Überschreiten von Grenzen gefährden jedes Lebewesen in seiner Existenz – Pflanzen ebenso wie Tiere und Menschen. Überdüngte, im Glashaus aufgezogene Pflanzen erweisen sich als nicht resistent unter natürlichen Bedingungen. Wachsmotten in einem verlassenen Bienenstock entwickeln sich dank fehlender Feinde durch uneingeschränkte Nutzung der Ressourcen exponentiell, um am Höhepunkt ihrer Entwicklung, wenn das letzte Wachs verbraucht ist, kollektiv zu verenden. Erfahrene Systeme gehen mit verfügbaren Energieressourcen intelligenter um, indem sie diese nicht hemmungslos ausbeuten, sondern längerfristig und nachhaltig nutzen.

Nutzung fremder Energie – eine evolutionäre Triebkraft

»Fressen und gefressen werden« ist der volkstümliche Ausdruck für den Aufbau neuer Ordnung aus dem Abbau bestehender Ordnung durch höhere Lebewesen, seien es Pflanzenfresser oder Karnivoren. Noch besser ist es, wenn man vorhandene Energie unmittelbar nutzen kann, ohne selbst Verdauungsarbeit leisten zu müssen. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn alle Lebewesen versuchen, sich fremder Energie, besonders hochkonzentrierter gespeicherter Energie anderer, zu bedienen, wo es nur geht. So auch der Mensch. Dieser besteht zu zwei Drittel aus Wasser und betreibt zur Aufrechterhaltung seines auf zwei Beinen bewegten Körpers einen leistungsfähigen »Computer« im Hirn, der über ständige Messung des Gleichgewichtszustandes eine Unzahl von Muskeln präzise steuern muss, um die schwabbelige, wandernde »Wassersäule« vor dem Unfallen zu bewahren.

Die Geschwindigkeit des Menschen im natürlichen Gelände beträgt 2–4 km/h und kann bis auf 20 km/h gesteigert werden. Der Mensch hat zwei Optima in der Energieverrechnung, eines beim Gehen mit etwa 4 km/h und eines beim Laufen mit etwa 12 km/h. In beiden Fällen wird ein energetisches Minimum ungefähr auf der gleichen Höhe erreicht (Pferde haben drei Minima aufgrund ihrer Körperkonstruktion: Gang, Trab und Galopp). Nur etwa 8 % der Muskelenergie kann der Mensch in Bewegungsenergie umsetzen. Nicht gerade besonders effizient.

Vertreibung aus dem Paradies

Es war daher seit jeher ein Wunschtraum der Menschen, dieser Mühsal zu entgehen. In den Religionen ist der Zwang zur physischen Mobilität eine Form der Strafe. So auch im Alten Testament: Die vergnügliche, sorgenfreie Mikromobilität des Paradieses wurde nach dem Sündenfall durch die erzwungene Makromobilität ersetzt. Liest man den Text sachkundig, wird hier bereits die Ursache jeder Mobilität erkennbar. Denn dort, wo es einem an nichts mangelt, wo man alles hat, was man braucht, gibt es keine Makromobilität. Je größer aber der Mangel am Ort ist, an dem man sich aufhält, umso größer werden Zwang und Aufwand für die Fernmobilität. Nun scheint man schon zu Beginn der biblischen Gesellschaft nicht begriffen zu haben, wie Systeme funktionieren. Denn der makromobile Kain war auf seinen mikromobilen Bruder Abel so eifersüchtig, dass er ihn erschlug. Und noch einmal wird der Menschheit klargemacht, dass sie nur durch Mikromobilität in Harmonie mit der Natur leben kann. Denn die Strafe folgt umgehend: Kain wird dazu verdammt, ruhelos auf der Erde herumzuwandern. Der furchtbare Zwang zur Makromobilität wird als Strafe und Fluch sichtbar. Diesem Fluch konnte er erst durch Sozialisierung, durch Eingliederung in eine größere Gemeinschaft entgehen: Kain wurde zum ersten Stadtgründer. Und die Stadt war immer ein Ort mit dominierender Mikromobilität. Auf diese Art entstand auch der Wunsch nach dem himmlischen Jerusalem, einer in völliger Harmonie mit den Menschen und der Natur organisierten Stadt. Nur über den Weg der geistigen Mobilität, die eine Voraussetzung für die Sozialisierung der Menschen ist, kann man sich wieder dem verlorenen Paradies nähern. Dass wir derzeit mit zunehmender Beschleunigung in die Gegenrichtung unterwegs sind, muss nicht mehr extra hervorgehoben werden.

Zwang zur geistigen Mobilität

Der Mühsal der Fernmobilität zu entgehen (möglicherweise wird hier die Auswanderung aus den Savannen Afrikas beschrieben), zwang die Menschen nicht nur zu Sozialisierung, sondern auch zur Suche nach Lösungen, den Aufwand an Körperenergie für die physische Bewegung zu minimieren. Große Säugetiere waren die Lösung, die sozusagen vor der Nase lag. Wenn man diese zähmen, also domestizieren konnte, wozu wieder einige Systemkenntnis notwendig war, wurden sie mehrfach nutzbar; einerseits als wandernde Speisekammer, die sich selbst füllte, wenn man etwa an die Milch oder das Blut (Masai nutzen das Blut der Rinder durch einen gezielten Aderlass) denkt, andererseits aber auch als Trag-, Zug- und Reittier. Technische Verbesserungen, zum Beispiel die Steigbügel vor rund 2000 Jahren in China, erleichterten die Nutzung nicht nur, sondern verschafften den Reitern gegenüber jenen ohne Steigbügel in Auseinandersetzungen erhebliche Vorteile. Die europäischen Ritter machten auch bald unangenehme Erfahrungen mit der asiatischen Überlegenheit. Dass die Menschheit seitdem nicht klüger geworden ist, ist daran zu erkennen, dass sie jeden noch so kleinen technischen Fortschritt zunächst dazu nutzt, die Artgenossen zu unterdrücken oder umzubringen. Dieser rote Faden menschlicher Unkultur zieht sich durch die gesamte Geschichte der Spezies und wird im Zeitalter der Motorisierung zur international tolerierten Form individuellen Massenmordes, den man mit dem Begriff »Verkehrsunfall« verharmlost.

Auf die Barbarei durch technischen Fortschritt folgt dann meist eine Form der Zivilisation. So auch bei den domestizierten Großsäugern. Ihr Gebrauch konnte in der Landwirtschaft, im Handwerk und im Landverkehr zu einer nachhaltigen Transportform entwickelt werden, die Jahrtausende erfolgreich im Einsatz war. Der Mensch hatte gelernt, wie man mit der zur Verfügung stehenden Energie auch verantwortlich umgehen kann. Dass sich immer wieder tödliche Auseinandersetzungen ereigneten, liegt wohl an der Mangelhaftigkeit der Kontrolle über kranke Hirne, deren Träger zu Macht gelangt sind, bevor man deren geistige Defizite bemerkte. Diese Gefahr ist im Laufe der Menschheitsgeschichte leider nicht kleiner geworden, sondern hat sich eher ins nahezu Unendliche gesteigert. Als einem der wenigen Länder ist es der Schweiz gelungen, diese tödliche Bedrohung durch die Praxis der direkten Demokratie bis heute zumindest in Grenzen zu halten.

Das Fahrrad: maximale Effizienz im technischen Verkehrssystem

Mit dem Fahrrad, das Ende des 19. Jahrhunderts seine heutige Form erlangte, können rund 26 % der Muskelenergie in Bewegungsenergie umgesetzt werden. Vorausgesetzt, es steht eine geeignete Fahrbahn zur Verfügung. Diese Steigerung auf mehr als das Dreifache stellt, abgesehen vom Umstand, dass damit dank der Räder auch Lasten bis zu einem gewissen Maß leichter transportierbar werden, einen einsamen Höhepunkt energetischer Effizienz bei technischen Verkehrsmitteln dar. Theoretisch kann die für die Herstellung eines Rades aufgewendete Energie durch die Einsparung von Körperenergie nach einer Strecke von rund 10.000 Kilometern kompensiert werden. Mit dem Fahrrad können bei geeigneter Topografie Megastädte bis zu zehn Millionen Einwohnern versorgt werden. Abfallrecycling und die Rückführung der Fäkalien, wie sie in China über Jahrtausende praktiziert wurden, zeigen, wie eine nachhaltige Form der technischen Mobilität möglich ist.

Ein anderer, nicht zu unterschätzender Vorteil des Fahrradverkehrs liegt in der sozialen Gerechtigkeit. Denn jeder, egal ob reich oder arm, ist mit seiner eigenen Körperkraft unterwegs. Und wenn der Reiche die auch für Arme segensreichen Fahrradrikschas in Anspruch nimmt, verschafft er dem Rikschafahrer sein Einkommen. Nun gibt es Einwände gegen diese Transportform, die in Indien unverzichtbar geworden ist. Auch der Verfasser war der Meinung, dass man nicht einen anderen Menschen dazu missbrauchen dürfe, seine eigene Bequemlichkeit zu unterstützen, bis er die Erfahrung vor Ort machen konnte. Rikschafahrer radeln nicht wie Europäer, die ihr Gewicht auf den Sattel abladen und mit der Körperkraft der Beine in die Pedale treten, sondern gehen sozusagen in der Rikscha, indem sie das Gewicht stehend von einem Bein auf das andere verlagern und so Energie sparen. Sie tun genau das, was übersättigte, bewegungshungrige Zeitgenossen in den hochmotorisierten Ländern gegen Bezahlung in den Fitnessstudios machen. Abgesehen davon bestreiten Millionen von Familien in diesen Ländern ihren Lebensunterhalt aus dem Einkommen dieser Fahrer.