Vom Kontentrog zum Sportcoupé - Heinz-E. Klockhaus - E-Book

Vom Kontentrog zum Sportcoupé E-Book

Heinz-E. Klockhaus

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Beschreibung

"Vom Kontentrog zum Sportcoupé" ist das 17. Buch des vielseitigen Autors Heinz-E. Klockhaus. Es basiert auf einer wahren Begebenheit in den 1960er Jahren und schildert die große Liebe und Protektionskarriere eines jungen Buchhalters, die ein frühes und tragisches Ende nehmen.

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Hans Minzberg stand an seinem blankgeputzten Schreibtisch, der nichts davon verriet, dass es sich hierbei um seinen Arbeitsplatz handelte. Zufrieden blickte er auf den Nelkenstrauß auf der Fensterbank.

Es waren sechs Nelken an der Zahl.

Minzberg dachte darüber nach, dass man, wie ihm bekannt war, zu derartigen Anlässen eine ungerade Anzahl von Blumen zu schenken pflegte. Er tröstete sich schließlich damit, dass seine Arbeitskollegen diese kleinen Anstandsregeln nicht so beherrschten wie er, und dieser Gedanke veranlasste ihn zu einem selbstbewussten Lächeln.

Außerdem, so dachte er weiter, war es ein Ausdruck der Kameradschaft, dass die Kollegen ihm zu seinem Geburtstag diese Blumen überreicht hatten. Darüber freute Minzberg sich umso mehr, als dass er daran die Hoffnung zu knüpfen wagte, dass er in Zukunft doch ein wenig mehr respektiert würde. Schließlich war er vor einem halben Jahr vor der versammelten Abteilung Buchhaltung zum Stellvertreter des Chefs ernannt worden, wobei ihm alleine die finanzielle Verbesserung nicht ungelegen kam. Natürlich war ihm auch damals nicht entgangen, dass sein Kollege Albert Schlaffauer auf diesen Posten reflektierte.

Minzberg war sich auch klar darüber, dass er insgeheim von den Kollegen nicht voll anerkannt wurde. Aber das, so dachte er sich, wird von selbst vorübergehen. Schließlich hatte ihn sein Chef, der Herr Kuppmann, zu seinem Vertreter auserwählt, und das war für ihn ausschlaggebend. An diesem Tag hatte er seinen Geburtstag, seinen ersten seit der Beförderung. Da wollte er sich auch nicht lumpen lassen, wie man so sagt. Seine Kollegen sollten sehen, dass sie ihm etwas wert sind.

Wusste er doch nur zu gut, wie sehr man allgemein darauf spekulierte, einen guten Tropfen zu trinken, sofern es nicht den eigenen Geldbeutel belastete. Auch seine Frau hatte ihm angeraten, ein paar Mark mehr als gewöhnlich zu investieren. So hatte er neben einem Kasten Bier noch drei Flaschen Sekt und einen guten Weinbrand bereitgestellt. Zwar hatte es mit dem Spirituosenhändler noch eine Auseinandersetzung gegeben, weil der ihm nicht den erhofften Großhandelsrabatt eingeräumt hatte.

Aber das war jetzt auch vergessen, und Minzberg malte sich bereits mit Genugtuung aus, wie überrascht die Kollegen sein würden. Das würde sicher dazu beitragen, dass man ihn in Zukunft ein wenig mehr schätzt, und, sowenig es auch mit den dienstlichen Belangen zu tun haben mochte, würde man ihn sicherlich auch als Vorgesetzten mehr respektieren. Hans Minzberg war sich klar darüber, wie wichtig für ihn die Anerkennung der Kollegen war, zumal der Buchhaltungschef, Herr Kuppmann, seine Autorität bisher nicht sonderlich gefördert hatte. Im Gegenteil! Kuppmann behandelte ihn gelegentlich wie einen dummen Jungen. „Ihre Stellvertreterposition ist rein personeller Natur“, hatte Kuppmann ihm damals gesagt, „denn in dienstlichen Dingen fehlt ihnen noch das nötige Wissen.“

Hans Minzberg hatte es als eine bodenlose Frechheit empfunden, trotzdem hatte er damals nichts darauf entgegnet. Inzwischen hatte er sich nicht ohne Stolz an diese personellen Befugnisse gewöhnt, - an die Tatsache, dass man während Kuppmanns Abwesenheit ihn, Hans Minzberg, zu fragen hatte, ob man einmal hierhin oder dorthin gehen dürfe. Die Tatsache, dass er bisher noch nie eine derartige Bitte verweigert hatte, führte dazu, dass davon reger Gebrauch gemacht wurde. Natürlich war ihm nicht entgangen, dass man wiederholt unter dem Vorwand, zum Arzt gehen zu müssen, mit einer neuen Frisur zurückkam. Aber das interessierte ihn nicht, - jetzt noch nicht. Hans Minzberg blickte innerhalb der letzten fünf Minuten zum dritten Mal zur Uhr, während er damit beschäftigt war, Gläser auf seinem Schreibtisch zurechtzustellen. In wenigen Minuten würden die Kollegen in seinem Büro erscheinen.

Er hatte bei Herrn Kuppmann anlässlich seines Geburtstages ein gemütliches Beisammensein mit den Kollegen bewirkt und war mächtig stolz darauf. Alleine, dass er es erreicht hatte, in der Arbeitszeit für eine Feier zu sorgen, würde seinem Ansehen guttun. Kuppmann hatte zwar etwas von einer einmaligen Sache gemurmelt, die nicht allgemein einreißen dürfe. „Und dann beginnen wir mit der Feier erst nachmittags“, hatte Kuppmann noch angeordnet, „damit nicht den halben Tag die Dunstköppe hier herumlaufen.“ Minzberg war damit einverstanden. Sie konnten sich also um fünfzehn Uhr zusammensetzen, bis zum Feierabend feiern, und es würde dann sicherlich nicht auf ein paar Minuten ankommen. Hans Minzberg betrachtete sich noch einmal kritisch in dem Spiegel, der an der Innenseite der Kleiderschranktür angebracht war und nickte zufrieden lächelnd. Er warf noch einmal einen Blick auf seine Armbanduhr und sagte: „Jetzt kommt, ihr Laumänner!“ Die Laumänner ließen auch nicht lange auf sich warten. Kurze Zeit später wurde die Tür zu seinem Büro geöffnet und als Erster kam Albert Schlaffauer in Minzbergs Büro.

„Beim letzten Ton des Zeitzeichens ist es genau . . . noch zehn Sekunden, . . . noch fünf Sekunden. - Es war soeben fünfzehn Uhr, da sind wir.“

Albert Schlaffauer lachte schallend über diesen seinen, wie er meinte, originellen Einfall. Wie im Gänsemarsch folgten ihm die Kollegen Bolz, Windbecher und die neue Kollegin Kleiß. Minzberg hatte die Zeitansage von Schlaffauer mit einem gezwungenen Lächeln quittiert. Er konnte diesen Schwätzer nicht ausstehen, dennoch sah er keine Veranlassung, seinerseits ein schlechtes Verhältnis zu irgendeinem Kollegen aufkommen zu lassen. Außerdem hatte der Kollege Bolz einmal unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass Schlaffauer gelegentlich etwas mit Kuppmann zu tuscheln habe und man da ganz vorsichtig sein müsse mit irgendwelchen Bemerkungen.

Für Minzberg war diese Andeutung des Kollegen Bolz Grund genug, zu Schlaffauer besonders freundlich zu sein, zumal es ja Schlaffauer war, der sich selbst für den rechtmäßigen Stellvertreter der Buchhaltung hielt.

Nachdem die Kollegen sich gesetzt hatten, sagte Hans Minzberg: „Ich schlage vor, wir trinken zunächst gemeinsam ein Glas Weinbrand, das wärmt den Magen gut vor.“ „Ganz wie Sie meinen“, sagte Albert Schlaffauer, wir sind schließlich Ihre Gäste.“ Minzberg zwang sich wieder zu einem knappen Lächeln und füllte sechs bereitstehende Gläser. „Auf Ihr Wohl, Herr Münzberg“, sagte Gerhard Bolz und erhob sein Glas.

Hans Minzberg wurde sichtlich verlegen. „Ich meine, wir sollten auf Herrn Kuppmann warten.“ „Ganz meiner Meinung“, warf Anton Windbecher ein. „Wieso?“ tat Bolz überrascht, „kommt der Alte denn auch?“ Schlaffauer und Bolz lachten.

Auch die neue Kollegin Bettina Kleiß, die ausgerechnet an diesem Tage ihren ersten Arbeitstag in der Firma hatte, ließ ein leises Kichern hören.

Das Gelächter war noch nicht verstummt, als Ferdinand Kuppmann, der Chef der Buchhaltung, Minzbergs Büro betrat.

„Schon besoffen?“, sagte Kuppmann und sah zu dem immer noch lauthals lachenden Bolz herüber. Das Lachen wechselte in eine bedrückende Stille und Bolz entgegnete: „Meinen Sie mich?“ Kuppmann verfärbte sich ein wenig und sagte dann spitz: „Dachten Sie, ich spreche von mir!?“

Bolz zog es vor, das Gespräch dabei bewenden zu lassen und flüsterte dem neben ihm sitzenden Windbecher zu: „Der Alte kann mich doch mal.“ Albert Schlaffauer war dieses Flüstern nicht entgangen, und er fragte ironisch: „Was haben Sie gesagt, Herr Bolz?“ „Ich sagte gerade zu Herrn Windbecher“, begann Bolz, „wenn wir nicht binnen zwei Wochen von der Firma Schneider das Geld bekommen haben, ließe sich ein Zahlungsbefehl wohl kaum vermeiden.“ Albert Schlaffauer grinste überlegen und sagte hartnäckig: „So viel können Sie Herrn Windbecher nicht gesagt haben, Sie flüsterten doch nur ein paar Worte.“ „Das stimmt“, sagte Bolz schlagfertig, „weil Windbecher mich mit weniger Worten versteht als Sie, Herr Schlaffauer.“

Schlaffauer hatte verstanden. Dieser Bolz ist ein Hund, dachte er, aber eines Tages würde er ihn schon klein kriegen; man muss nur eine geeignete Gelegenheit abwarten. Er würde es ihm schon noch heimzahlen. Bei diesen Gedanken verrieten die Gesichtszüge von Albert Schlaffauer eine innere Genugtuung. „Wir haben auf Sie gewartet, Herr Kuppmann“, sagte Minzberg lächelnd. Kuppmann verlieh seinem Gesicht einen zufriedenen Ausdruck. „Welche Ehre für mich. Dann darf ich mir erlauben, auf Ihr spezielles Wohl mein Glas zu heben, Herr Minzberg. - Prost!“

„Danke, danke“, sagte Minzberg, befangen wie ein Schuljunge. Dann wurde der erste Schluck getrunken, und die Feier nahm ihren Anfang.

Minzberg war zufrieden. ‚Auf Ihr spezielles Wohl, Herr Minzberg‘, da würde er noch lange von zehren. So nett hatte Kuppmann noch nie zu ihm gesprochen, so persönlich, so kameradschaftlich. Minzberg dachte mit Wohlwollen daran, dass es schon noch werden würde mit der guten Zusammenarbeit. Immerhin war das ein Anfang, und wer weiß, ob diese Geburtstagsfeier nicht noch mehr erfreuliche Dinge mit sich bringt.

Minzberg nahm sich vor, seinen Chef heute besonders aufmerksam zu bedienen. Um diesen guten Vorsatz gleich in die Tat umzusetzen, fragte er: „Darf ich nachfüllen, Herr Kuppmann?“ „Mal langsam“, sagte Kuppmann in seiner typisch muffligen Art, „Sie wollen mich wohl besoffen machen“, um gleich hinzuzufügen: „Naja, gießen Sie nach, das ist wirklich ein edler Tropfen.“ Minzberg beeilte sich, dieser Aufforderung nachzukommen.

„Den anderen Kollegen darf ich sicher auch noch einen einschenken!?“ Bolz und Schlaffauer machten von diesem Angebot Gebrauch, während der Kollege Windbecher um eine Flasche Bier bat. Fräulein Kleiß wehrte mit der Begründung ab, dass sie so hochprozentige Getränke nicht gewohnt sei. Minzberg füllte ihr daraufhin ein Glas mit Sekt, reichte jedem der Kollegen eine Flasche Bier zu und sagte: „Es ist genug vorhanden, natürlich können auch die männlichen Kollegen Sekt trinken.“ „So ein reichhaltiges Angebot lob ich mir“, sagte Kuppmann, „dann hätte ich auch gerne ein Gläschen Sekt, Herr Kollege.“ Minzberg strahlte vor Freude über diese schmeichelhafte Titulierung und übergab seinem Chef ein bis zum Rand gefülltes Sektglas.

Nachdem noch einmal auf das Wohl des Kollegen Minzberg getrunken worden war, übernahm Ferdinand Kuppmann das Wort. „Da die Abteilung gerade vollzählig beisammen ist, möchte ich das zum Anlass nehmen, offiziell noch einmal unsere neue Mitarbeiterin, Fräulein Kleiß, vorzustellen. Fräulein Kleiß ist auf Anraten des Herrn Direktor Söllke zu uns in die Buchhaltung gekommen. Ich brauche wohl nicht besonders zu erwähnen, dass ich von allen Kollegen ein korrektes Verhalten ihr gegenüber für selbstverständlich halte. Es ist für Sie wie für mich ein gänzlich neuer Aspekt, eine Dame in unserer Mitte zu wissen. Ich hoffe, dahingehend verstanden zu werden, dass auch die Redewendungen im Beisein von Fräulein Kleiß in Zukunft auf ihre Salonfähigkeit hin überprüft werden.

Ihnen ist bekannt, dass ich auch nicht immer mit meinen Ausdrücken gerade wählerisch bin.“ „Das ist mein Jargon“, murmelte Bolz vor sich hin.

Kuppmann fühlte sich in seinem Redefluss gestört und fragte, ohne seinen Missmut zu verbergen: „Was wollen Sie, Bolz?“ Bolz sah ihn mit seinen treuen Augen an und sagte: „Nichts, - entschuldigen Sie, Herr Kuppmann.“ Kuppmann trank einen Schluck Sekt und sagte: „Wo war ich denn stehengeblieben!?“ „Sie sagten, dass Sie mit Ihren Ausdrücken auch nicht immer wählerisch sind“, half Bolz aus.

„Richtig“, fuhr Kuppmann fort, „ich wollte sagen, dass ich mit meinen Ausdrücken auch nicht immer wählerisch bin. Das ist mein Jargon, wie Sie alle wissen; aber in Gegenwart einer Dame muss man da eben etwas vorsichtiger mit sein, das erfordert der Anstand.

Ich hoffe, dass ich von Ihnen allen so viel Takt erwarten darf.“ Kuppmann war mit seinem eigenen Wortlaut sichtlich zufrieden und sagte abschließend: „So, dann will ich den weiteren Verlauf der Feier nicht aufhalten.“ Damit hatte er nicht ganz unrecht; denn Bolz hatte ihm schon gar nicht mehr zugehört. Seine Gedanken weilten bei dem gestrigen Abend und dem Mädchen, bei dem er, wie schon so oft, einen vollen Erfolg zu verzeichnen hatte.

Schlaffauer hatte inzwischen mit einem Streichholz seine Fingernägel gesäubert, und Windbecher hatte entdeckt, dass ihm die neue Kollegin nicht schlecht gefiel. Er hatte keine Erfahrung in diesen Dingen und war ohnehin dem weiblichen Geschlecht bisher nicht sonderlich zugetan. Aber dieses Fräulein Kleiß gefiel ihm auf den ersten Blick. Warum, vermochte er selbst nicht zu sagen. Schließlich war auch das Geburtstagskind Minzberg nicht begeistert den ermahnenden Ausführungen seines Chefs gefolgt, da derartige Vorträge gewöhnlich keinen guten Einfluss auf die Stimmung ausübten. So war er froh darüber, dass jetzt Fräulein Kleiß das Wort ergriff, alleine schon darum, weil im Augenblick keiner der Kollegen einen Laut von sich gab.

„Ich heiße Bettine Kleiß, wie Sie wissen, und bin davon überzeugt, dass wir alle gut miteinander zurechtkommen werden. Ich habe jedoch eine Bitte an Sie: Verhalten Sie sich weiterhin so wie bisher. Ich halte nichts von vornehmen, hochgeschraubten Reden. Auch mir kann hin und wieder ein Kraftausdruck herausrutschen, wie Sie noch feststellen werden. Das war`s, was ich Ihnen sagen wollte. - Dann auf gute Zusammenarbeit.“

Bettina Kleiß hob ihr Glas und blickte lächelnd mit ihren Unschuldsaugen von einem zu anderen. Anton Windbecher erhaschte einen besonders lieben Blick von ihr; - jedenfalls glaubte er, dass es so war.

Sie tranken bereitwillig ihrer neuen Kollegin zu, während Hans Minzberg durch eine weitere Runde Weinbrand wieder an den eigentlichen Anlass dieses Beisammenseins erinnerte.

„Der Weinbrand ist ausgezeichnet“, sagte Kuppmann, „ich war auf dem Gebiet noch nie ein Kostverächter.

Wir hatten beim Barras einmal drei Flaschen organisiert, so nannte man das damals. Da lag bei uns auf der Stube ein Gefreiter namens Frotzinski. Das war eine Nudel, sage ich Ihnen. Weiß Gott, aus welcher Gegend die sich den herangeholt hatten. Der sprach ein Deutsch, das war unter aller Sau. - Wie gesagt, wir hatten drei Flaschen Weinbrand besorgt und dafür ein ausgefallenes Versteck gefunden. An der Zimmerdecke waren zwei Bretter lose, und dahinter hatten wir die Flaschen nach jedem Gebrauch wieder verstaut.

Was soll ich Ihnen sagen, die erste Flasche war noch nicht leer, da baute sich eines morgens unser Frotzinski vor dem diensttuenden Unteroffizier auf und sagte: „Melde jehorsamst, Jefreiter Frotzinski, dass nichts wahr ist von Schnapsversteck in Deckenverkleidung. Und weg war unser guter Weinbrand.“ Die Kollegen lachten über diese tolle Geschichte, und besonders Minzberg war sehr erfreut darüber, dass Kuppmann offenbar in bester Laune war. Mochten auch einige Kollegen anstandshalber diese Lieblingsgeschichte des Chefs immer wieder vergessen, wie oft sie das nun schon gehört haben. Sicher war Fräulein Kleiß die einzige, der diese Begebenheit fremd war, und dennoch lachte sie nicht sonderlich darüber. Jedenfalls hatte Kuppmann einen Mordsspaß, und in den nächsten Jahren wird auch Fräulein Kleiß Gelegenheit finden, über diese Story noch ausgiebig zu lachen.

„Das ist ja eine tolle Geschichte“, sagte Hans Minzberg, und er hoffte, dass Kuppmann nicht wusste, wie oft er sie schon in diesem Kreis erzählt hatte. Kuppmann dachte gar nicht daran, es zu wissen. Er legte sich wohlgefällig in seinem Stuhl zurück und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Glas. Als nun auch Schlaffauer und Windbecher um ein Glas Sekt baten, konnte Minzberg nur mit Mühe seine Enttäuschung darüber verbergen. So sind die Kollegen, dachte er, sonst saufen sie das billigste Zeug; aber jetzt, auf seine Kosten, ist das Bier schon nicht mehr gut genug. Er hatte doch im Stillen gehofft, zumindest eine Flasche Sekt wieder mit nach Hause nehmen zu können, um sie abends ganz gemütlich mit seiner Frau zu trinken. Besonders dieser Schlaffauer, dachte Minzberg weiter, - leiden kann er mich bestimmt nicht, aber auf meine Kosten Sekt saufen, den teuren Sekt, dazu ist man gut genug. Und unwillkürlich musste Minzberg wieder an den Händler denken, an diesen Halunken, der ihm den hohen Rabattsatz verweigert hatte. Inzwischen hatte Schlaffauer mit Kuppmann ein Gespräch über Autos begonnen, und Schlaffauer konnte sich gar nicht genug darüber wundern, dass Kuppmanns Wagen durchschnittlich nur neun Liter Normalbenzin auf hundert Kilometer verbrauchte. „Alle Achtung“, sagte Schlaffauer und noch einmal und noch ein drittes Mal: „Alle Achtung.“ Ja, dieser Schlaffauer verstand es, seinem Chef Honig um den Bart zu schmieren, er wusste, dass man Vorgesetzte zu bewundern hatte, wenn man mit ihnen fertig werden wollte. Dieser Schleimscheißer, dachte Minzberg, und der Gedanke, dass die anderen Kollegen genauso denken würden wie er, tröstete ihn ein wenig. Nein, so einer war er nicht, und das würde von ihm auch niemand annehmen. Da war doch der Kollege Bolz ein ganz anderer Kerl. Freilich, er hatte sich schon viel über ihn ärgern müssen, aber aufrichtig war der Kollege Bolz, jawohl, das musste man ihm bescheinigen. Und auch der Kollege Windbecher war sicherlich kein schlechter Mensch. Er, Minzberg, hatte ihn zwar nie so richtig durchschauen können; denn Windbecher war eine Art Eigenbrötler. Er vertrat konsequent seinen Standpunkt und, wie Minzberg bekannt war, war Windbecher moralisch einwandfrei, - wenn nicht gar prüde. Minzberg führte seine Gedankengänge damit zu Ende, dass der einzige Quertreiber Schlaffauer heißt, der war in seinen Augen ein linker Bazillus. Das Rasseln des Telefons riss Minzberg aus seinen Betrachtungen. Behutsam nahm er den Hörer von der Gabel und nannte seinen Namen. Am anderen Ende meldete sich eine monotone Männerstimme: „Hier Direktor Söllke! - Ist Fräulein Kleiß bei Ihnen?“ Wie einem Befehl folgend sprang Hans Minzberg vom Stuhl hoch. „Guten Tag, Herr Direktor, - ja, Fräulein Kleiß ist hier.“ „Ich erwarte sie im Sekretariat.“ Im selben Moment war die Leitung unterbrochen, der Herr Direktor hatte aufgehängt. „Fräulein Kleiß“, sagte Minzberg lang gedehnt, „der Herr Direktor Söllke erwartet Sie im Direktionssekretariat.“ Bettina Kleiß sah ihn mit leuchtenden Augen und roten Wangen an, woran der Alkohol sicherlich nicht ganz schuldlos war, und erwiderte, ohne sich zu rühren: „Rufen Sie doch bitte Herrn Söllke an und sagen ihm, ich sei gerade unabkömmlich.“ Minzberg starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an und stotterte: „Aber, - Fräulein Kleiß, - der Herr Direktor, - ich kann doch nicht.“ Fräulein Kleiß brach in ein schallendes Gelächter aus, und die Kollegen stimmten ausnahmslos mit ein, dann erhob sie sich, ging zur Tür und sagte: „Mal sehen, was Paulchen auf dem Herzen hat.“ Minzberg saß da wie ein begossener Pudel und konnte sich nicht dazu entschließen, einfach mitzulachen. Fräulein Kleiß hatte längst das Zimmer verlassen, als das Gelächter nur langsam verstummte.

Auch Kuppmann hatte sein, an das Wiehern eines Pferdes erinnerndes, Gelächter hören lassen. Das war ja ein tolles Mädchen, einfach köstlich, wie sie Minzberg fertig gemacht hatte. Und was hatte sie noch gesagt? ‚Mal sehen, was Paulchen auf dem Herzen hat.´ Gar nicht auszudenken, dass damit der allgewaltige, für Normalsterbliche unnahbare Direktor Paul Söllke gemeint war. Minzberg hatte sich inzwischen wieder gefunden. Wie konnte er sich nur so aus der Fassung bringen lassen? Das würde er abends seiner Frau erzählen. Er, der Stellvertreter Minzberg, wird er sagen, hat im Beisein der ganzen Abteilung mit dem Direktor telefoniert; jawohl, mit dem Direktor höchstpersönlich. Bei diesem Gedanken kam Minzberg eine grandiose Idee. Hatte nicht Kuppmann an diesem Morgen verlauten lassen, dass für Fräulein Kleiß noch kein fester Arbeitsplatz geplant war? Jawohl, das sagte er.

Hat Kuppmann ihm nicht auch vorerst vertraulich gesagt, dass es sich um eine entfernte Verwandte des Herrn Direktors handelt? - Auch das hatte er gesagt. Warum, so dachte sich Minzberg, soll Fräulein Kleiß nicht in seinem Büro sitzen, er würde sich schon eine passende Begründung ausdenken. Schließlich ist er ein besserer Umgang für so ein Mädchen, als dieser Schürzenjäger Bolz; bei Windbecher am Kontenkasten ist außerdem kein Platz, - und Schlaffauer . . .? - Ach was, Schlaffauer, unmöglich, sagte sich Minzberg, ich werde mit Kuppmann schon klarkommen. Wer weiß, wofür so etwas noch gut sein kann. Ich mit der Verwandten des Herrn Direktor in einem Büro, - na, die werden Augen machen.

Minzberg triumphierte innerlich bei diesem Gedanken und malte sich bereits aus, dass er nicht zum letzten Mal die Ehre gehabt hatte, mit dem Herrn Direktor zu telefonieren. Aber in Zukunft würde er sitzen bleiben, immerhin ist er auch nicht irgendwer; er, der Stellvertreter Minzberg.

Plötzlich wurde er durch Bolz aus seinen Gedanken aufgeschreckt, der ihn fragte: „Träumen Sie immer noch von ihrem Direktionsgespräch, Herr Minzberg?“ Minzberg wurde rot wie ein Schulkind, das beim Lügen ertappt wurde. „Ich habe das nicht böse gemeint. Haben Sie noch eine Flasche Bier für mich da?“ Minzberg lächelte, reichte Bolz die gewünschte Flasche und sagte: „Die hat mich ganz schön hereingelegt.“ „Das haben wir gemerkt“, sagte Kuppmann lachend, „Sie wurden ja blass wie ein Kalkeimer.“ „Die Kleine scheint gar nicht so ohne zu sein“, sagte Albert Schlaffauer. „Warum sollte ausgerechnet sie ohne sein, sagte Kuppmann, „wenn alle anderen Frauen gleich zwei haben.“

Diesmal war das Gelächter seiner Untergebenen ehrlich gemeint. Das war nach langer Zeit wieder einmal eine der typischen ironischen und zweideutigen Bemerkungen von Kuppmann, die den Höchststand seiner persönlichen Stimmung verrieten. „Wissen Sie das sicher?“

fragte ihn Bolz, der auf derartige Gespräche mit Vorliebe einging.

„Klar haben die Frauen zwei, wenn Sie das meinen“, sagte Kuppmann lachend. „Ich habe das auch immer gemeint“, entgegnete Bolz ernst, „bis ich jetzt in der Zeitung las, die amerikanischen Girls haben Sex.“

Als die nachfolgende Lachsalve verstummt war, bemerkte Schlaffauer: „Wir brauchen uns ja in Bezug auf Bettina Kleiß nicht unbedingt heute schon festzulegen.“

Kuppmann ließ wieder sein Pferdewiehern vernehmen, während Anton Windbecher mit echter Empörung sagte: „Man sollte dieses Mädchen nicht mit derartigen Reden in Verbindung bringen, - das ist ungehörig.“ „Anton“, sagte der Schürzenjäger Bolz, „seit wann interessierst Du Dich für Weiber?“

„Mir scheint“, sagte Windbecher gereizt, „Du kannst nicht zwischen Deinen Weibern und einem anständigen Mädchen unterscheiden.“ „Obwohl ich nicht glaube, dass Du sie von der Bettkante schubsen würdest, Deine Bettina.“ Die übrigen Kollegen lachten, Windbecher jedoch war beleidigt und brach das Gespräch ab. So gut er sich auch immer mit Bolz verstand, das war ein Punkt, in dem ihre Ansichten krass voneinander abwichen. Er, Anton Windbecher, hatte schon immer seiner Empörung über die Weibergeschichten Ausdruck verliehen, genauso, wie er die ordinären Männerwitze voller Abscheu ablehnte. Trotzdem hatte er oftmals geschwiegen, da ihn die Kollegen ohnehin nicht verstehen würden. Aber jetzt war da noch etwas anderes, was ihn zu diesem Protest hinreißen ließ. Dieses Mädchen fand er bezaubernd. Er glaubte, ihr anzusehen, dass sie rein und unberührt war, und er würde sich sicher nicht täuschen. Bettina, dachte Windbecher, ich werde mich für Dich einsetzen. Und er erschrak, dass er sie in Gedanken geduzt hatte. Bettina! Der Name passt zu ihr, geheimnisvoll, nett und dennoch klar und rein. Anton Windbecher wusste nicht, was ihn zu diesen Gedanken veranlasste. Das Gerede und Gelächter der Kollegen empfand er als Störung, am liebsten hätte er die Augen geschlossen und geträumt - von seiner Bettina. „Bolz“, sagte Kuppmann, „haben Sie kein neues Erlebnis auf Lager?“ „Man genießt und schweigt“, sagte Bolz mit stolzem Lächeln, „aber kennen Sie den Witz von der Vergewaltigung?“

„Schießen Sie los“, sagte Minzberg, „lange keinen neuen Witz gehört.“

„Es stand kürzlich in der Zeitung, dass ein junges Mädchen im Park überfallen wurde. Der Täter raubte ihr die Handtasche und vergewaltigte sie. Einen Tag nach Erscheinen dieses Artikels in der Presse wurde an der gleichen Stelle eine alte Dame überfallen. Als sich der Täter mit der Handtasche der alten Dame entfernen wollte, rief sie hinterher: Ja, und?“

Das Gelächter bewies, dass Bolz wieder einmal in das richtige Register seines umfangreichen Witz-Repertoires gegriffen hatte. Albert Schlaffauer begann etwas später zu lachen, wobei unklar blieb, ob es bei ihm etwas später gezündet hatte, oder ob er den Witz etwa gar nicht verstanden hatte und er nur aus Sympathie mitlachte. Inzwischen war man in der richtigen Alkoholstimmung angelangt, und es wäre nicht verwunderlich, wenn Kuppmann zwischendurch erhaben daran gedacht hatte, dass sich die Dunstköppe wieder einmal volllaufen lassen bis zum Stehkragen. Hans Minzberg hatte, mit guter Miene zum bösen Spiel, wieder von Sekt auf Bier umgestellt, da er zu seinem Entsetzen feststellen musste, dass die zweite Flasche Sekt bereits zur Neige ging. Es ärgerte ihn nicht wenig, dass er aus Rücksicht auf diese Laumänner zu seinem eigenen Geburtstag den Sektgenuss einschränken musste. Auf keinen Fall wollte er sich die Blöße geben, dass ein Getränk vorzeitig vergriffen war. Minzberg wusste nur zu gut, zu welchen anzüglichen Äußerungen die Kollegen in solchen Fällen in der Lage waren. Soweit durfte es nicht kommen, erst recht nicht, da er sich die heutige Feier ohnehin hatte etwas kosten lassen. Nicht einmal den Großhandelsrabatt hatte er bekommen. Minzberg ärgerte sich selbst, dass er schon wieder an diesen versäumten Rabatt denken musste und kam mit sich überein, in Zukunft seinen Bedarf in einem anderen Laden zu decken. Er wollte nicht mehr daran denken, wenn sich die Ausgaben nur lohnen würden.

Unter lohnen verstand Minzberg, dass man ihm diese Feier besonders hoch anrechnet und dass er fortan der liebe Kollege und Vorgesetzte, der respektierte Herr Minzberg war.

Unter der Voraussetzung, so dachte Minzberg, ließe sich der Aufwand verschmerzen. Während sich Windbecher und Bolz, anscheinend wieder versöhnt, über eine bevorstehende Fußballbegegnung unterhielten, war Schlaffauer damit beschäftigt, seinem Chef klarzumachen, dass er, Kuppmann, den gepflegtesten Vorgarten in der ganzen Umgebung besitze und er, Schlaffauer, ihn nicht selten bewundert habe. Minzberg versuchte, sich an diesem Gespräch zu beteiligen, indem er sich bei Kuppmann nach einem geeigneten Düngemittel für seine Geranien erkundigte.

In diesem Augenblick kam Bettina Kleiß von ihrer Unterredung mit „Paulchen“ zurück. Die Gespräche verstummten, und man wurde sich wohl jetzt noch einmal klar darüber, dass sich neuerdings ein liebliches weibliches Wesen zu dieser eingefleischten Männerabteilung gesellt hatte. Sie stierten Fräulein Kleiß mit Blicken an, die einer Jungfer auf einsamer Straße das Gruseln gelehrt hätten. Der Alkoholbestand war rapide geschrumpft, und es lag nahe, dass diese Tatsache in den Köpfen der Buchhalter ihren Niederschlag gefunden hatte. Anton Windbecher hatte seinen Blick wieder auf dieses ihn so faszinierende Mädchen gelenkt, während Gerhard Bolz wohlgefällig die Konturen taxierte, die sich auf ihrem saftig grünen Pullover abmalten. Kuppmann und Minzberg prosteten sich wie alte Kameraden zu und begannen ein Gespräch über Politik. Das war nicht weiter verwunderlich; denn wo auch immer Männer zusammenkommen, früher oder später beginnt man zu politisieren. Bietet doch die Politik ein Gesprächsthema, bei dem selbst zwei Männer niemals in die Verlegenheit geraten, ein und dieselbe Meinung zu vertreten. „Was wir brauchen“, versuchte sich Schlaffauer in das Gespräch einzuschalten, „ist die bedingungslose Einführung der Todesstrafe.“ Minzberg ärgerte sich darüber, dass Schlaffauer sich in seine Diskussion mit dem Chef einmischte und sagte: „Davon sprechen wir ja gar nicht.“

„Trotzdem“, beharrte Schlaffauer, an dem der Alkohol auch bereits klare Spuren hinterlassen zu haben schien, „wir brauchen die Todesstrafe, dann wäre alles anders.“ „Wenn es nach Ihnen ginge“, sagte Minzberg, „könnten sofort die Nazis wiederkommen, da hätten Sie die Todesstrafe auch.“

Noch bevor Schlaffauer seine Empörung aussprechen konnte, sagte Kuppmann: „Nein, nein, - Schlaffauer hat nicht unrecht, gar nicht so unrecht.“ Wieder war es diesem Schleimscheißer gelungen, dachte Minzberg wütend, Kuppmanns Interesse zu wecken.

Während nun Kuppmann und Schlaffauer die Vorteile der Todesstrafe erörterten, stellte Minzberg mit Genugtuung fest, dass in wenigen Minuten Dienstschluss sein würde. Er war froh darüber; denn erstens hatte es sich nicht so ergeben, dass er der Mittelpunkt dieser Feier war, und außerdem gingen allmählich die Getränke aus.

Nicht zuletzt brannte er darauf, seiner Frau zu berichten, welch ehrenvolles Telefongespräch ihm an diesem Tage zuteilgeworden war.

„Zum Wohle, Fräulein Kleiß“, sagte Gerhard Bolz, „ich freue mich aufrichtig, nunmehr eine so nette Arbeitskollegin zu haben.“ Bettina Kleiß errötete ein wenig und hauchte leise: „Danke, Herr . . .“, um etwas lauter hinzuzufügen: „Verzeihen Sie, ich muss mich erst an Ihre Namen gewöhnen.“ „Das ist doch selbstverständlich“, sagte Bolz süß lächelnd, „mein Name ist Bolz, - Gerhard Bolz.“ Anton Windbecher ärgerte sich; weniger über Bolz, als über die Tatsache, dass nicht er es war, der den Mut aufbrachte, ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen. Er überlegte dann, ob es ratsam sei, sich einfach an dem Gespräch zu beteiligen und sagte schließlich: „Ich heiße Anton Windbecher“, und am liebsten hätte er hinzugefügt, dass sie ihn Anton nennen dürfe. Dann entschloss er sich aber doch, ein derartiges Angebot nicht im Beisein der Kollegen zu machen, es würde sich schon noch eine Gelegenheit dazu ergeben. Außerdem konnte Fräulein Kleiß ja nicht ahnen, dass sie für ihn bereits seine Bettina war.

Anton Windbecher dachte darüber nach, was wohl Kuppmann dazu sagen würde, wenn er sich erst mit Bettina duzt. Kuppmann war kein Freund von derartigen Vertraulichkeiten und hatte schon wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass er das nicht wünsche.

„Das Arbeitsverhältnis leidet darunter“, hatte er damals gesagt, „wo kommen wir denn da hin, wenn man mit jedem Pieparsch Brüderschaft trinkt.“ Pieparsch hatte Kuppmann gesagt. Das war damals, als Gerhard Bolz ihm, Anton Windbecher, das Du angeboten hatte. Offensichtlich galt dieser Vorwurf damals Gerhard Bolz, demnach war diese unpassende Titulierung auf ihn, Anton Windbecher, gemünzt. Er hatte nichts dazu gesagt. Aber jetzt, dachte Windbecher, jetzt mit Bettina würde er sich eine derartige Bemerkung energisch verbitten.

Ferdinand Kuppmann erhob sich umständlich von seinem Stuhl.

„Meine Herren“, sagte er, „es ist Feierabend. Der Kollege Minzberg ist sicherlich auch froh, wenn er noch ein paar Stunden mit seiner Gattin feiern kann. Ich schlage daher vor, dass wir gemeinsam aufbrechen.

Ihnen, Herr Minzberg, herzlichen Dank für die Getränke. Es war nett, welche Mühe Sie sich gemacht haben, und ich kann Ihnen bescheinigen, Kollege Minzberg, dass Sie keine Kosten gescheut haben. - Nur eine gute Zigarre, die hätte zur Krönung gefehlt.“ Den letzten Satz wollte Minzberg gar nicht gehört haben, oder doch wenigstens vergessen. Er war sicher, dass das auch nur ein Scherz sein sollte. Vielmehr sollten in ihm die lobenden Worte haften bleiben.

So hatte sein Chef noch nie zu ihm gesprochen. Wäre nicht die letzte Flasche Sekt auch noch draufgegangen. Hans Minzberg hätte sicherlich eine Träne der Rührung vergossen. So aber machte er sich bereits wieder Gedanken darüber, wie er das nun bewerkstelligen sollte. Ohne eine Flasche Sekt wollte er die gemütlichen Stunden mit seiner Frau nicht begehen, zumal er selbst ja zu gerne noch ein paar Gläschen getrunken hätte. Zu dem gleichen Händler wollte er auch nicht mehr gehen. So kam es, dass sich Hans Minzberg noch lange den Kopf darüber zerbrach, ob er nicht doch wenigstens für die eine Flasche einen annehmbaren Rabattsatz erzielen könnte. Nachdem sich die Kollegen in mehr oder minder gebührender Form bedankt und verabschiedet hatten, verstaute Hans Minzberg die zwei übrig gebliebenen Bierflaschen in seiner Aktentasche, wickelte die sechs Nelken behutsam in einen Bogen Papier und machte sich mit gemischten Gefühlen auf den Heimweg.

Seit Minzbergs Geburtstagsfeier waren vier Wochen verstrichen. Es war ein Morgen wie jeder andere.

Fünf Minuten vor Dienstbeginn strömten die Angestellten der Firma ihrem Dienstbewusstsein folgend auf den Eingang des Verwaltungsgebäudes zu. Gleich einem Staubsauger sog das Gebäude eine Herde von Menschen in sich ein, die einem unsichtbaren Kommando folgend alltäglich mit mehr oder minder gleichbleibender Gleichgültigkeit ihrer Arbeit entgegensahen. Da waren Vorgesetzte und Angestellte, da musste auch der allgewaltige Direktor Söllke erscheinen, wenn er nicht gerade einmal etwas länger geschlafen hatte, was sich ja durchaus mit seiner Position vereinbaren ließ. Da kamen Buchhalter und Einkäufer, Lohnverrechner, Kassierer und Lehrlinge, - in willkürlicher Reihenfolge. Hier scheint ein Versagen des Individuum Mensch erkennbar zu werden, hier ist nichts zu spüren von dem ausgeprägten eigenen Willen all derer, die wie eine willenlose Hammelherde dem Ruf ihres Brötchengebers folgen. Nur zu deutlich lässt die Gesellschaft die Klassifizierung ihrer Mitglieder an dieser Stelle spürbar werden, die sich aus reinem Selbsterhaltungstrieb die Uhrzeit des Arbeitgebers aufzwingen lassen. Sie alle, die alltäglich zur vorgeschriebenen Stunde hier zusammenkommen, sind Sklaven ihrer eigenen Bedürfnisse. Es ist ein teuflischer, unaufhaltsamer Kreislauf, der die Erfüllung der Ansprüche tausender und abertausender Menschen nur durch das Opfer des täglichen Trottes gewährleistet. Die Freude des täglichen Erwachens verkommt und weicht einem mechanischen sich Dahinschleppen von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr.

Unmerklich wird die Zeit nur noch in arbeitsfreien Sonntagen und Urlaubstagen gemessen, und das ganze Leben wird ein Zusammenraffen, das der bittere Preis für gestiegene Bedürfnisse, Wohlstand und gehobenen Lebensstandard ist. Der Mensch wird ein willenloses Spielzeug seiner eigenen Hast, seiner eigenen Pläne.

Inwieweit sich der einzelne am Arbeitsprozess beteiligte Mensch diese Erkenntnisse zunutze machte, war eine Frage seiner eigenen Mentalität.

Ferdinand Kuppmann wäre niemals auch nur im Entferntesten der Gedanke gekommen, einer von vielen zu sein. Er war mehr als ein Rädchen im Getriebe; für ihn war sein Beruf eine Aufgabe, der er mit Ernst und Liebe begegnete und die einfach zur Erfüllung seines Lebens gehörte. So war er auch an diesem Morgen bereits in dem langen Flur der Buchhaltung auf und ab spaziert, sog genießerisch an einer guten Zigarre und hatte mit Freude feststellen können, dass sich seine Buchhalter Schlaffauer, Bolz und Windbecher bereits einige Minuten vor Dienstbeginn an ihren Arbeitsplätzen eingefunden hatten.

Obwohl Bettina Kleiß nach Kuppmanns durchaus zuverlässiger Uhr mit einigen Sekunden Verspätung den Flur zur Buchhaltung erreichte, begrüßte Kuppmann sie ohne ein Wort des Tadels mit Handschlag. Für ihn galt zwar eine Minute Verspätung bereits als rücksichtslose Unzuverlässigkeit, aber bei Fräulein Kleiß drückte er ein Auge zu; nicht zuletzt, weil man es sich mit einem Schützling des Direktors nicht verderben sollte.

Außerdem würde er an diesem Morgen ohnehin noch in den Genuss einer Moralpredigt kommen, da Hans Minzberg auch noch nicht eingetroffen war. Das ist eine schlechte Dienstauffassung, dachte Abteilungsleiter Kuppmann, das musste er seinem Stellvertreter klipp und klar zu verstehen geben. Ein Vorgesetzter habe mit gutem Beispiel voranzugehen, und das beginnt bei der Pünktlichkeit.

Kuppmann blies bei diesen Gedanken den Qualm seiner Zigarre mit sichtlicher Genugtuung durch die etwas vorgeschobene Unterlippe. Er überzeugte sich davon, dass inzwischen fast fünf Minuten der