Von Gottes Gnaden - Band I - Nataly von Eschstruth - E-Book

Von Gottes Gnaden - Band I E-Book

Nataly von Eschstruth

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Beschreibung

Ellerndörp ist ein kleines, beschauliches Dorf, wo jeder jeden kennt und nicht viele Worte gemacht werden. Doch nun ist ein neuer Gutsbesitzer nach Ellerndörp gezogen, Oberst Koltitz, und er bringt seine Frau Henriette und Tochter Erika mit in das vergessene Dorf am Ende der Welt. Mit der hübschen Erika kommt Leben in das verschlafene Örtchen. "Deiwel ja! Dat is 'n smucket Göhr!", nickt der Schulze voll Anerkennung, als er Erikas Fotografie sieht. Während sich die Mutter sorgt, dass "das arme Wurm noch zu jung für diese klosterhafte Einsamkeit" sei, beginnt sich Wigand, der "Goldjunge" aus dem Dorf, für sie zu interessieren. Doch sie hat nur Augen für Wigands Freund und Cousin Joel, den "gottbegnadeten" jungen Musiker vom Konservatorium, der zudem auch besonders schön ist; auch wenn er ein wenig zu Selbstüberschätzung und Leichtlebigkeit neigt. Als ihn sein Vater, der von Joels Genie wenig überzeugt ist, als Volontär nach Ellerndörp schickt, entbrennt Erika in heftiger Liebe zu ihm. Spürt sie doch auch eine künstlerische Ader in sich selbst ...-

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Nataly von Eschstruth

Von Gottes Gnaden

I

Roman

Mit Illustrationen von A. Mandlick

Saga

Ebook-Kolophon

Nataly von Eschstruth: Von Gottes Gnaden - Band I. © 1894 Nataly von Eschstruth. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2016 All rights reserved.

ISBN: 9788711469972

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com - a part of Egmont, www.egmont.com.

I.

Es bildet ein Talent sich in der Stille ...

Still, friedlich, einsam im Sonnenglanze liegt das Flachland. Der Himmel ruht wie eine mächtige, hochgewölbte Kuppel von Saphir über der Welt, die Sonne ist die strahlende Münsterrose tausend jubelnde Vöglein sind der Domchor, welcher Gottes Lieb’ und Lob dem weiten All verkündet.

Ja, es ist Sonntag, — so feierlich und festlich geschmückt wie heute hat die Heide lange nicht ausgeschaut.

Die Erika blüht wie ein zartroter Schleier liegt’s duftig über dem braunen Land; die Ginsterbüsche schwanken graziös im Lufthauche, wie zarte Reiherbüsche auf schönem Frauenhaupt, und sobald sich die Halme regen, funkeln Milliarden von Tautropfen, gleich köstlichstem Geschmeide, soweit das Auge blickt!

Die Gegend ist weder interessant, noch schön oder wechselreich, — verwöhnte Menschen finden sie sogar trostlos und begreifen es nicht, wie man hier Jahr aus, Jahr ein leben kann. Die aber, welche hier geboren sind oder welche sich aus der lauten, leichtsinnigen Welt voll Undank, Falsch und Treulosigkeit geflüchtet haben, um hier zu vergessen, dass sie im neunzehnten Jahrhundert leben, sie schütteln die Köpfe über jene Blinden, deren Hasten und Treiben viel zu nervös und überreizt ist, um die Schönheit des Friedens noch begreifen und würdigen zu können!

Die Sonntagsruhe, welche draussen in dem Jahrmarktsgewühl der Städte, alle acht Tage einmal, scheu und zaghaft anklopft, welche nur in verhängten Schaufenstern ihr mattes Bild spiegelt und schnell verjagt wird von dem wüsten Lärm der Schenken und Vergnügungslokale, — — hier wohnt sie ständig! Hier hat sie ihren Tempel errichtet, hier wogt ihr Odem segnend durch die klare Luft, welche noch keine qualmende Fabrikesse mit den Bacillen des Zeitgeistes verseuchte. —

Der ganze Charakter der Landschaft ist Ruhe. Die Heide beherrscht sie, — kein Acker, kein Feld gräbt die Furchen des Fleisses durch sie hin, nur die Biene allein arbeitet in rastloser Emsigkeit, sammelt goldene Schätze aus den Kelchen der Heideblümlein und trägt sie zu Hauf in die Körbe des Imkers. Wer bemerkt es und wen stört es? — Leise, ganz leise surrt und summt es in der schwülen Sommerluft, nur die Blumenstengel nicken und wiegen sich, wenn die kleine Sammlerin trunken an der Dolde hängt, nur wie Goldfunken stiebt es durch den Sonnenschein, wenn die tausend Flügel sich regen. —

Alles andere Leben der Heide pflegt behaglich der Sonntagsruhe. —

Regungslos sonnt sich die harmlose Natter im Sande, Eidechsen huschen hervor und lassen es sich im warmen Lichte wohl sein und die Kaninchen blinzeln schlaftrunken durch Halm und Rispe.

Der dunkle Strich am Horizont ist Nadelwald. Der Himmel hinter ihm trägt schwefelgelbe Färbung, so leuchtend und grell, dass es aussieht, als habe man die schwarzen Kiefernspitzen auf Goldpapier geklebt. —

Dort wirbeln auch feine, zartblaue Dampfwölkchen in die Höhe, und tief herabhängende Strohdächer heben sich wie grosse Ameisenhügel von der Erde ab. —

Ein Dorf am Saum der Heide, — der Übergang der Einsamkeit zu Welt und Leben.

Dort regen sich Menschenhände, dort beginnt der Kampf ums Dasein, dort ringt die Genügsamkeit dem ärmlichen Boden das tägliche Brot ab. —

Nur wenige Häuser sind’s. Wie ein Schwarm scheuer Küchlein drängen sie sich um die Glucke, die plumpe, schmucklose Kirche inmitten des Friedhofs. Sie trägt keinen Turm, dazu braust der Sturm allzu verderblich von der See herüber; die Mauern sind stumpf und sonder Zierde aufgeführt wie ein Steinwürfel, in welchen man Bogenfenster eingelassen, hoch und schmal, vom Erdboden bis unter das Dach. Ein niedriger Glockenstuhl trägt das Kreuz, und rechts und links von der Thür stützen Säulen ein Dach, welches den schlichten Steinfiguren der Apostel ein Schutz gegen die Unbill des Wetters sein soll. —

Der Kirchhof ist so schlicht und prunklos, wie der Sinn derer es gewesen, die auf ihm ihr letztes Kämmerlein bezogen. —

Erlen und Holderbüsche, ein paar verkümmerte Syringensträucher und wilde Rosen fristen ein kärgliches Dasein im Sande. — Schwarze Kreuze wachen über den Grashügeln und nur dicht an der Kirchmauer leuchtet ein weisses Marmormonument in sauber gepflegtem Gärtchen. Dort ist das Familiengrab der Gutsherrschaft, und unter dem segnenden Christus schläft als Erster, der darein gebettet, der alte Oberst, welcher seinerzeit den „Heidehof“ ausbauen liess. —

Der Heidehof ist ein bescheidenes Gutshaus, aber die Bauern sind nicht wenig stolz darauf und nennen es „das Schloss.“ — Für ihre Begriffe ist es freilich ein gar prachtvolles Anwesen, es ist aus massiven Steinmauern gefügt, trägt ein Schindeldach und grosse, helle Fenster, hinter welchen schneeweisse Mullgardinen so festlich leuchten, als feiere man alle Tage Hochzeit und Kindtaufe dahinter!

Gegen die armseligen Lehmhütten, deren Strohdächer beinahe bis auf die Erde niederhängen, sticht es freilich sehr schmuck ab. Die Heidebauern haben sich auch beinahe die Augen aus dem Kopf geguckt, als es dermalen erbaut wurde, und Vater Claasen hat recht prophezeit, als er nach langem Schweigen endlich die Thonpfeife aus dem linken Mundwinkel in den rechten schob, und sprach: „Dat möt ’n närschen Mann sin, der dat Hus opricht. — Riek möt ’r sin, denn so’n Kram talt he nich mit Musdreck, — un’ rechtsaffen möt he sin, denn he geiht nich op Lug un Schien rut, un hät sik sin lüttes Hus onner der Ird ok glieksen bi de Kirch torecht butteln laten, aber’n Quaskopp möt he doch sin, — worüm will’n rieker Mann sik alleen un verlaten hier onner de Imker setten?“ —

Die andern nickten und schwiegen, sie sprachen niemals viel und Vater Claasens Rede war die längste gewesen, die man nächst denen des Herrn Pfarrers in Ellerndörp gehört.

Anfänglich sah man nicht viel von dem neuen Gutsherrn. Er kam von Zeit zu Zeit mit der Post herausgefahren, um den Bau des Hauses zu besichtigen, und die einzigen Dorfbewohner, welche ihm alsdann im Verkehr näher traten, war Peter Hagen, welchen er als Gärtner gemietet und dessen Frau, Modder Dörten, welche späterhin im Hause die Stelle der Wirtschafterin bekleiden sollte.

Mit ihnen schritt der Oberst durch die neuen Gartenanlagen, in seiner kurzen, etwas militärisch rauhen Weise anordnend und befehlend, ohne jedes überflüssige Wort, — auf den ersten Blick als Sonderling zu erkennen.

Er war ein grosser Herr, hager und verschrumpft, mit zahllosen Falten und Fältchen in dem lederfarbenen Gesicht. Ein grauer Schnurrbart sträubte sich über der Oberlippe, die Nase war scharf gebogen, die Augen blitzten ein Gemisch von Ingrimm und Erbitterung, und wenn der alte Herr seiner Gewohnheit gemäss mit der Hand nervös durch die spärlichen Haare fuhr, hob sich ein Krakehlschopf über der hohen Stirn, welcher ihm vollends ein kampfliches und drohendes Ansehen gab. —

Oberst Koltitz war allem Anschein nach ein menschenscheuer und menschenfeindlicher Mann, Krankheit und Nervosität standen ihm im Gesicht geschrieben, und als er mit hastigen Schritten, den Kopf vorgeschoben, die Hände auf dem Rücken, die ersten Male die Dorfstrasse entlang schritt, ohne rechts und links zu blicken, da nickten die Heidebauern bedenklich vor sich hin und flüsterten einander zu: „De Kierl is all dösig in Koppe!! De hätt ne Ul’ sitten!!“ — Als aber die Mauern des neuen Hauses höher und höher wuchsen und der Oberst öfters aus der gelben Postchaise stieg, ward’s besser. Er fing an, auf der Strasse um sich zu blicken und langsamer zu gehen.

Er musterte die einzelnen Kaden und Häuser, allerdings noch immer mit einem Gesicht, als ob er beissen möchte, klappte mit dem falschen Gebiss, als wolle er das friedliche Heidedorf unter die Zähne nehmen wie ein Fuchs den Hasen, und griff schon ein paarmal ungeduldig nach dem Hut, als etliche Weiber schüchtern ihr „Gooden Dag ok“ boten.

Je öfter er kam, desto versöhnlicher schaute er drein. Modder Dörten kam atemlos an den Brunnen und berichtete: „Hüt snakt he ganz manirlich! He was ok taufridden mit’n Gaarden un hätt’ vor sich hinsmunzelt wie’n Kader in Sünnschin!“ — Das war eine gute Mär. Sie kam sogar noch besser. Nachmittags war der Oberst an des Dorfschulzen Gartenzaun stehen geblieben und hatte lütt Hanning gefragt; „Du! is wahr, dass dein Vater noch Kartoffeln zu verkaufen hat?“ —

Hanning hatte zeitlebens noch kein hochdeutsches Wort gehört. Tödlich erschrocken steckte sie vier Finger ihres braungrauen Händchens gleichzeitig in den Mund und lutschte sie aus Verlegenheit schneeweiss.

Da wetterleuchtete es allerdings wie zornige Ungeduld in den schartigen Zügen des alten Herrn. Aber nur einen Augenblick, dann strich er wie in jähem Verstehen mit der Hand über die Stirn. „Lütt Döskopp! Hät din Vadder noch Tüfften in’ Keller?“

Hanning machte eine Schwenkung nach rechts und lutschte verschämt zur Abwechslung an der linken Hand, — aber sie nickte dabei.

„Verköpt he ok ’n Deel?“ —

Das ging über des Flachskopfs Horizont. — Die blauen Augen starrten so durchaus verständnislos zu dem Frager auf, dass Koltitz das Verfehlte seines Unternehmens einsah.

Er klappte ein paarmal mit dem Gebiss und stiefelte mit Riesenschritten weiter.

Aber das nächste Mal klopfte er an die Thür des Schulzen und trat ein. Er nahm sogar Platz, obwohl Jochen Weese teils aus freudiger Überraschung, teils aus Hochachtung, gar nicht dazu aufgefordert hatte. Heute sprach der Oberst von vornherein ein gutes und deutliches Platt, ward verstanden und erhielt jede gewünschte Zustimmung. Die Tüfften waren in Ellerndörp erstaunlich billig; wie Sonnenschein ging es über des alten Haudegens Gesicht. — Er ward redselig und Jochen Weese versetzte seiner schweren Zunge einen moralischen Stoss und gab auch Auskunft; er sprach für seine Verhältnisse enorm viel und alles, was er sagte, war bieder, derb, ehrlich und treu gemeint.

Koltitz wollte gern noch ein paar Acker zu seinem Gute zukaufen

Das würde am besten im Krug „aftausprechen sin“, meinte Jochen. Am Sonntag abend, da kamen die Dörfler bei Modder Mariken zusammen, tranken ihr „Städtisches“ und kegelten.

„Gut!“ nickte der Oberst, „so komme ich nächsten Sonntag in den Krug!“

Und er kam. Mit höchster Spannung und grösstem Interesse erwartete man sein Erscheinen.

Die Stimmung war feierlich und beklommen wie in der Kirche.

Die kurze Thonpfeife im Mund, sassen die Väter des Dorfes zusammen, pafften dicken Qualm und sprachen kaum ein Wort. Als die Post auf dem Sandweg heranquietschte, hoben alle mechanisch den Kopf und Jochen Weese, welcher dem Fenster am nächsten sass und hinausschauen konnte, trat gelassen in die Schuhe, welche er für gewöhnlich unter dem Tisch auszog und sprach: „He kimmt!“ — Und er kam.

Die Ellerndörper standen respektvoll auf und wer von ihnen vergass, die Pfeife aus dem Mund zu nehmen, schob sie wenigstens von einem Winkel in den andern. Auch dies war ein Zeichen von reger Anteilnahme an dem Ereignis. —

Bei den Heidebauern wurden nicht viel Worte beim „Afsprechen“ gemacht. Gerade nur das Notwendigste.

Ja, sie wollten dem Herrn das gewünschte Land verkaufen, und so und so viel solle es kosten.

Man überteuerte niemand in Ellerndörp, und der magere Grund und Boden ward nicht mit Gold aufgewogen.

Der Oberst schmunzelte abermals und ein Handschlag besiegelte den Kauf, bis der „Affekat“ es schriftlich gemacht haben würde.

Und dann sprach man über andere Dinge. Erst von Land und Leuten, von Bienenzucht und Fetthammeln, von Dünger und Pferden, von Wetter und schwerer Zeit. — Das war der Übergang zu Ernsterem, Hungersnot, Krieg, — anno 1813 und 1870! — Ein alter Mann mit schneeweissem Haar hatte als Lütter dabei gestanden, wie die Postpferde vor der Kalesche der Fru Königin von Paretz umgeschirrt worden waren, — er hatte auch leibhaftige Franzosendüwel von des grossen Napoleon Armee gesehen. Drei andere Männer waren anno 70 dabei gewesen. Der eine hatte den Einzug in Paris geschaut, der andere sah Strassburg brennen, der dritte hatte als 89er Grenadier bei Loigny tapfer dreingehauen — dick un’ düll, dass die Lappen flogen! Er wird gesprächig, als die Erinnerung ihm das Blut schneller durch die Adern jagt. Auch das lederfarbene Angesicht des Obersten färbt sich höher. Nun soll er erzählen, wo er die Rothosen gezaust hat.

Er thut’s. Seine scharfen Augen blitzen wie Wetter und Brand. Bei Metz ist er mit seinen wackeren Reitern drauf losgeritten, als wolle er mit den Schwadronsgäulen die ganze welsche Brut in Grund und Boden stampfen. Um die Ohren hat’s ihm gepfiffen von mörderischem Blei, und hier — hier im Schulterblatt ... da hat’s eingeschlagen. Der Satan hat seine Hand im Spiel gehabt, — der Knochen ist steif geblieben bis auf den heutigen Tag. —

„Dorüm hätt hei woll n’ Dienst upgeben?“ fragt Jöschen Lenzke harmlos. —

Es ist, als ob die schlichten Worte Messerstiche gewesen. Koltitz zuckt unter ihnen zusammen, und der Atem pfeift durch die gekrampften Lippen. Dann lacht er scharf auf und stiert in das Bierglas. „Nee, Kinnings, nich dorüm!“ schüttelt er den Kopf, „nich dorüm.“ —

Was wissen die Bauern von Ellerndörp, wie steil und glatt die Leiter ist, von deren Ende der Feldherrnstab herab winkt.

„Hett he dat Drillen un’ Kummissstieweln all satt kregt?!“ fragt Jöschen abermals.

Da schnellt ihm das hagere Gesicht des alten Herrn zu, als wolle er beissen. Es zuckt und arbeitet in den faltigen Zügen, das Weisse des Augapfels wird rot.

„Nee, Mann! mich haben sie satt bekommen!“ donnert die Kommandostimme — „mich, weil ich mürbe und abgenutzt bin, weil ich meine Haut zu Markt getragen und meine Nerven zugesetzt habe! Nun ist der alte Kerl abständig geworden, — taugt nichts mehr ... soll jüngeren Kräften Platz machen — — und wenn der Hund an den Knüppel soll, dann hat er Leder gefressen!“ — Koltitz richtete sich jäh auf, das graue Haar klebte auf der feuchtperlenden Stirn. Seine Faust zitterte auf dem Tisch: „Hat mir keiner vorwerfen können, dass ich meine Pflicht und meinen Dienst verabsäumt hätte — hab’ meinen Urlaub genommen wie alle andern auch ... aber die Herren Leutnants haben sich erzählt: „Der Alte ist leberkrank! muss schon wieder nach Karlsbad!“ und oben hat man die Achseln gezuckt und gesagt: „Wie kann ein so kranker Mann noch feldtüchtig sein?“ — Da bin ich jedes Jahr kränker geworden, — nicht an meinem Leibe, Kerls! sondern in den Mäulern meiner Widersacher! Und wie wir wieder ins Manöver ritten, da ist das Geschwätz am ärgsten gewesen. Bah, was hab’ ich drauf gegeben? — Jung und frisch wie ein Fähnrich habe ich mich gefühlt, habe gedacht: wenn ein Mann anno 70 so schneidig und tapfer seine durchschossenen Knochen durch die Schlachten getragen hat, dann weiss man, was man ihm schuldig ist. Ein Regiment muss man mir geben, — will’s schon zeigen, dass der Koltitz noch reiten kann! — Und wie der General zu mir gesagt hat: „Oberstleutnant Koltitz, übernehmen Sie heute die Führung des Regiments!“ da wusste ich, dass ich in mein Examen ging, habe den Säbel in die Faust genommen, meine Dispositionen getroffen — und heidi ritten wir darauf los, dass die Funken stoben! — War just ein böser Tag, hier in der Seite haben die Schmerzen gewühlt, — mein verfluchter englischer Traber — hatte die Märe acht Tage vor dem Manöver erst kaufen müssen, weil mein Brauner an Influenza einging — — kurzum, die Bestie stiess, dass ich dachte, die Gedärme flögen mir zum Halse ’raus .... aber Tod und Teufel! ich biss die Zähne zusammen und ritt meine Attacke, dass der Boden rauchte! — Und gut ging’s! brillant ging’s! Ein Hundsfott will ich sein, wenn’s nicht so war! Haben auch beim besten Willen nicht gewusst, wie und wo sie mir eine Nase drehen sollten! Der General hat nur nach Schluss der Kritik gefragt: „Fühlen Sie sich krank, Oberstleutnant Koltitz? Sie hängen mir so unglücklich im Sattel!“ — Ich lachte und schnellte in die Höhe. „Seitenstechen, Excellenz — sind ein bisschen gar zu schneidig zugeritten!“ — — Und das war eine rindviehische Dummheit von mir. Aber ich war zeitlebens ein ehrlicher, braver Kerl — habe die Wahrheit gesagt und nicht überlegt, ob’s vorteilhaft sei oder nicht. — Nun gar heute! Hatte ja meine Sache ausgezeichnet gemacht, hatte vor aller Welt gezeigt, was ich konnte, — wie sollte es mir nun noch fehlen! Als wir ins Quartier zurückritten, überlegte ich mir, welches Regiment man mir geben werde. Das liebe, alte, in welchem ich mir vor Metz das eiserne Kreuz erkämpfte, wurde frei; sicher bekam ich es nun als Kommandeur — und dieser Gedanke ... Teufel ja — ’s war immer mein höchster Wunsch gewesen — der machte mich wie besoffen vor Freude! — Wir lagen in einem Schloss, zusammen mit dem Höchstkommandierenden und seinem Stab. Das Diner war gut, der Sekt floss in Strömen ... und ich — in meiner Aufregung — ich that, was ich jahrelang vermieden hatte, ich begoss mir gründlich die Nase. — Da kam’s. Am andern Tag lag ich, rasend vor Schmerz — hilflos und jammervoll wie ein räudiger Hund. — Narrheit, kein Mensch ist gefeit gegen solch eine verdammte Krankheit, — wäre vorüber gegangen wie alle andern Anfälle auch, — aber ... nun war’s an der grossen Glocke ... und wenn für die Rangliste das Schlachtefest hereinbricht, wenn erst der Stuhl mit der weissen Schürze draussen hängt, dann kommt alles zur Strecke, was Ärgernis gibt.“ —

Der Sprecher liess das Haupt tief zur Brust sinken, das hagere Gesicht sah erschreckend aus unter den Seelenqualen, welche es spiegelte. — „Vierzehn Tage später — — hatte ich meinen Abschied im Haus.“ — — — Einen Augenblick herrschte tiefe Stille. Die Bauern von Ellerndörp konnten es wohl nicht recht begreifen und verstehen, warum der alte kranke Mann so gewaltig nach einem Regiment gestrebt, — er war doch reich, konnte sich ein Gut kaufen und ein Haus bauen, — er hätte sollen zufrieden sein, die Plagerei endlich los zu werden ... aber ... es sieht eben anders in einem Herrenkopfe wie unter einem Bauernschädel aus. Sie empfanden es instinktiv, dass dem Obersten ein herbes Leid widerfahren und das ehrten sie. Stumm sass die kleine Runde am Schenktisch. Nur ein ernsthaftes Nicken mit dem Kopf, mächtig gepaffte Dampfwolken und ein Schlurren mit den Holzschuhen waren die äusseren Anzeichen ihrer Teilnahme.

Endlich kraute sich der Schulz in dem blonden Haar. „Nu laten’s man gaud sin, Herr, dat sin olle Kamellen, die vergeten’s bal, wenn’s von dat infamigte Snack nix mehr seihn un hüren!“

Koltitz wischte mit dem Taschentuch über Stirn und Kopf. Der Zug krankhafter Erbitterung trat stärker wie je in dem faltigen Gesicht hervor. Er lachte herb auf: „Ja, ja! vergessen! wenn ich von der ganzen Welt nichts mehr sehe und höre! Darum komme ich ja zu euch, Kinder! Hier, in eurer weltlichen Einsamkeit, will ich die Wunde ausbluten lassen, — hier sitzt sie! hier in der Brust, — ah — und das schmerzt tausendmal mehr wie die französische Kugel! ... Die Löcher, welche deutscher Undank in Herz und Seele reisst, die heilen und vernarben nicht, — nie, — niemals.“

Ein Aufstöhnen rang sich aus der Brust des Sprechers, dann hob er jäh den Kopf und sein Blick blitzte voll leidenschaftlichen Hasses durch das niedere Fenster, über die stille, sonnegoldene Ebene hinaus. „Hier ist’s am Ende der Welt, weiter hinaus konnte ich nicht, das Meer setzt die Grenze. Bis hierher bin ich vor den Menschen gelaufen, wie ein Paria, wie ein Geächteter, dem es auf der Stirn steht, dass man dem invaliden, abständigen Kerl kein Regiment geben konnte! — Bah, vielleicht erzählt man sich auch: Der Alte war ja ein zu dummes Luder — taugte nichts, drum hat man ihn weggejagt!“

„Nee, nee, Herr, so wat seggt keen Minschenseel’ nich! —

„Und warum nicht! Heute „Hosianna“ und morgen „Steinigt ihn!“ — wer den Rock ausgezogen hat, ist nur noch eine Vogelscheuche, mit welcher selbst die Spatzen auf dem Dach Schindluder treiben. — Will ihnen aber keine Gelegenheit dazu geben. Hier gefällt es mir, Kinder, ich bleibe bei euch. Bin ein guter, verträglicher Kerl, der keinem Menschen was in den Weg legt, nur die Uniformen machen mich rasend! Ich kann keine Uniform mehr sehen! ’s ist wie ein Stich durchs Hirn und lässt mich toll werden!“ —

Und Koltitz blickte so wild um sich, als fürchte er sich, solch eine verhasste Uniform möchte ihm auch hier wie ein Unglückshase über den Weg laufen!

„Nee, Herr, ok nich! — Soldatens hevven wi nich in Dorpe. De swart Lening ihr Hinnrich deint all in Hamburg, awerst he kümmt nich als Urlauber, he hätt keen Fenning op Reisen tau gahn!“

Wieder eine kurze Stille, der Oberst schien weit ab mit seinen Gedanken und die Bauern gafften schweigsam vor sich hin, wie Wiederkäuer, welche die ungewohnt viele geistige Nahrung, die man ihnen aufgetischt, erst verdauen müssen.

Endlich räusperte sich Peter Claasen. Er hatte die Empfindung, den alten Mann erst auf bessere Gedanken bringen zu müssen, ehe er in die gelbe Postschaise zurückstieg.

„Is ’n smuckes Hus, wat he but, Herr, rinklich grot förn einsamten ollen Mann wie he is.“ —

Koltitz schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht einsam, ich habe Frau und Kind.“ —

„All Dunnershagel!“ — Die Überraschung der kleinen Tafelrunde war so perfekt, dass dem Schulzen, ohne dass er’s wollte, der despektierliche Ausdruck entfuhr. Und dann starrten sich alle sprachlos an und wussten nicht, wie sie diese Neuigkeit schnell genug in sich verarbeiten sollten. Das Gerücht hatte den Obersten als alten Junggesellen verschrieen, man hatte es im Dorf als Thatsache genommen und sich damit abgefunden; nun kam’s wie ein Wirbelwind und riss den ganzen, mühseligen Aufbau Ellerndörper Phantasie wieder zusammen.

Jochen fasste sich zuerst. „Mit Respekt tau fragen, Herr, will de gnä’ Fru ok hier rut, an’s Enne der Welt komm’?“—

Koltitz sah plötzlich vergnügt aus. „Das versteht sich, Kinnings! Meine Frau und meine Tochter werden mich doch nicht allein hier sitzen lassen? Sind, Gott sei Dank beide sehr raisonnabele Frauenzimmer, pfeifen auch den Teufel auf die ganze miserable Welt! Aber gut sind sie, gut wie die lieben Engel im Himmel. Meine Alte war vielleicht zu gut zu mir, hat niemals den Pantoffel geschwungen — und das taugt auch nichts. Einem Wesen auf der Welt muss der Mann sich fügen können, in Liebe und Freundschaft und mit aller Vernunft! — Wenn einer überall nur das Kommandieren gewohnt ist, wenn er im Hause ebenso befiehlt wie in der Kaserne, dann wird er ein Eisenfresser, ein Dickkopf, der dann überall im Leben mit dem Kopf durch die Wand will ... Taugt nichts, taugt nichts. — Aber gut werdet ihr’s bei Mutterchen haben, o und erst die Erika! ja, wenn ich die beiden Frauensleute nicht gehabt hätte! — das Mädel hat mich am besten wieder zur Raison gebracht. — Gott lohn’s ihr und behüte sie vor einem Soldaten, soll nie eine Offiziersfrau werden, mein Lütting, wär’ schade drum.“ —

„Dat gnä’ Frölen is woll noch siehr jung?“ —

Koltitz nickte und griff in die Brusttasche. Er zog eine kleine rotlederne Tasche hervor und klappte sie auf. „Hier! seht’s euch selber an, ’s ist die Erika!“

Wunderlich, die Bauern erkannten den Sprecher kaum wieder. Rührende Zärtlichkeit strahlte auf dem runzligen Gesicht, die scharfen, hasserfüllten Augen leuchteten so weich, als ginge nur ein einziger, grosser Strom von Glück, Liebe und Vaterstolz durch sie hin. Der Schulze nahm die Photographie und hielt sie weit ab von den Augen. „Deiwel ja! Dat is ’n smucket Göhr!“ nickte er voll höchster Anerkennung.

„Un’ wat’n Zopp!!“ staunte Jochen.

„Wie ’n lütten Druvappel!“ stimmte sein Nachbar bei.

„Un Knoken hätt’ se! De arbeit för twee!“

Von Hand zu Hand ging das Bildchen und Jöschen wischte es zuvor an der Hose ab, um noch besser zu erkennen. Alle waren eitel Anerkennung.

Auch der Oberst blickte zum Schluss lange darauf nieder, in das runde, liebliche Gesicht mit den grossen Blauaugen. Die schauten ganz absonderlich drein, so seelenvoll und sinnig, als seien die Gedanken in dem Köpfchen den Jahren und dem stolzen Backfischzopf, welcher es schmückte, weit vorausgewachsen.

„Un siehr kluk is de lütte Dirn woll ok?“ fragte der Schulze nachdenklich.

„Mächtig klug! Hat Mutterwitz und helle Augen! Die schaut nicht blind um sich, und doch sieht ihr reines, ideales Gemüt alles nur gut und veredelt. Ist Zeit, dass sie hier heraus kommt, ehe die nichtsnutzige Welt ihren Kinderglauben mordet!“

Der Oberst schob das Bildchen in die Brusttasche zurück. Er war plötzlich vortrefflicher Laune, eilig und voll Ungeduld, dass der Hausbau schnell voranschreite. Ehe der Herbst das Laub über die Heide fegt, wollte er Einzug in der neuen Heimat halten.

Den Bauern drückte es schier das Herz ab, zu erfahren, ob der Oberst wohl allein das Gut bewirtschaften werde? —

Claasen hatte endlich den Mut, ihn nach langem Räuspern darum zu befragen.

Koltitz schien gern über seine Pläne zu sprechen. Er griff die Frage hastig auf und erzählte, dass er als Offizier zu wenig Erfahrung besitze, um ohne zuverlässige Stütze ein solches Risiko wagen zu können. Der Zufall komme ihm dabei zu Hilfe. Ein entfernter Vetter von ihm sei gelernter Landwirt, habe mit grossem Geschick ein Gut bewirtschaftet und sei erbötig, Ellerndörp auch für ihn zu verwalten und in Schwung zu bringen. Das solle dann die Lehrzeit für den Obersten sein. Ein Gestüt einzurichten, reize ihn persönlich unendlich. Er sei passionierter Pferdefreund und Züchter, habe als Kavallerist die nötigen Kenntnisse und erachte Ellerndörp als ganz besonders geeignet dazu.

Das solle sich aber alles erst mit der Zeit finden. Fürs erste lechze er nach Ruhe und Frieden, wolle vor allen Dingen den nächsten Winter behaglich hinter dem Ofen sitzen und zuhören, was der Seesturm draussen zu erzählen habe! —

Der alte Herr rieb sich schmunzelnd die Hände. Welch eine Wohlthat wird das sein, wenn es nicht alle zehn Minuten klingelt, um eine Visite zu melden! Welche Erquickung, wenn die Klatschbasen seine arme Frau nicht permanent mit Ungeheuerlichkeiten aufregen, wenn nicht mehr aller Augen voll ängstlicher Spannung an der Stirn des Divisionärs hängen, ob dieselbe Sturm oder Sonnenschein prophezeit! — Nun wird er sich nicht mehr auf Bällen und Diners langweilen, wird nicht mehr stundenlang bei Wind und Wetter in der Droschke sitzen, um Visiten zu fahren, wird sich nicht mehr die Gelbsucht an den Hals ärgern, wenn giftig süsse Teilnahme ihn fragt: „Herr Oberstleutnant, fühlen Sie sich denn jetzt etwas wohler? Ich hörte, Sie hatten einen neuen Anfall Ihres Leidens?!“ —

Nein, nun ärgert man ihn nicht mehr. Er hat den bunten Rock ausgezogen, den ein letztes Almosen noch mit dem Titel und Charakter des „Oberst“ geschmückt. Ein Oberst ohne Regiment; ein Reiter ohne Pferd. — Er wird’s vergessen. —

Still, ganz still und wundervoll gemütlich soll es in dem Gutshaus von Ellerndörp werden.

Mutterchen wird ihn hegen und pflegen, sie werden Freiherrn sein und endlich einmal thun und lassen können, was ihnen beliebt. Erika aber trägt Sonnenschein ins Stübchen, sie wird singen und lachen, wird Blumen pflegen und den Hühnerhof befehligen, sie wird sich mit Vetter Wigand gut, sehr gut vertragen, so gut ... dass ...

Ja, wenn die Gedanken des alten Herrn bis zu diesem Punkt gelangt waren, dann strich er jählings mit der Hand über die Augen und schmunzelte, sprang auf und rannte mit verklärtem Lächeln im Zimmer auf und ab. — Seine Pläne, seine Pläne! über alle andern sprach er, über diesen letzten nicht, aber er war ihm der liebste von allen.

Die Sonne sank tiefer. Blutrote Lichter flammten über die Heide. Da rollte und quietschte die gelbe Postchaise langsam wieder im Sande herzu.

Der Oberst sprang auf, er schüttelte reihum die Hände, derbe, rauhe, ehrliche Hände. „Treibt, Kinder! treibt die Arbeiter, dass das Haus wächst!“ nickte er zum Abschied. Und dann stieg er in die Post.

Die Bauern standen, die Mützen in der Hand, und schauten ihm nach.

„He is doch düchtig abstännig un’ klappricht!“ nickte Peter Claasen nachdenklich vor sich hin, „dat is nich gaud, wann so’n oller, miserablichter Kierl noch ’n Hus upricht!“

„Nee, dat duht nich gaud.“

„Un worüm nich, Vadder Claasen?“

Der Bauer machte eine kurze Bewegung mit der Hand, setzte die Mütze auf und wandte sich schweigend zum Gehen.

Da fragte keiner mehr, wussten sie doch alle, was er meinte. Nein, es thut nicht gut, die Erde aufzureissen und ein Haus zu bauen, ’s ist ein Aberglauben dabei. Eins aus der Familie muss in die offene Erde hinein. — Das gnä’ Frölen ist ein junges Blut und die Gutsfrau gesund und rüstig, — im Herbst aber fällt welkes Laub — und der Alte ist welk und morsch, wie ein Blättlein am Lebensbaum, welches ein Frost getroffen. —

Die Bauern von Ellerndörp gingen schweigsam nach Hause. Sie hatten heute mehr gehört und erfahren, wie sonst in einem Jahr. Das lastete auf ihnen. Ihr armer Verstand konnte es nicht ergründen, ob dem Obersten ein Unrecht geschehen, sie begriffen nur, dass er ein kranker Mann war, dem ein Leid widerfahren, und weil er nun zu ihnen gehörte, so war sein Kummer auch der ihre. — Das Gutshaus wuchs empor und die Bauern von Ellerndörp schüttelten ernst die Köpfe, — beim Richtfest war die Krone herabgestürzt, das bedeutet nichts Gutes.

II.

Schnee lag über der Heide.

In wundervoller Reine und Klarheit leuchtete das flache Land, so weit der Blick reichte, wenn die Sonne am Himmel stand und die ruhige Luft vor Kälte flimmerte; schöner aber noch war es, wenn Himmel und Erde verschmolzen in grauen Schleiern, wenn ein geheimnisvoll falbes Licht seine Schatten um die Rüstern und Schlehdornbüsche malte, — wenn die Raben mit melancholischem Schrei einsam die matten Schwingen regten.

Dann stand der Oberst am Fenster und starrte stundenlang hinaus in den Wirbeltanz der Flocken, hinüber zu den Dächern des Dorfes, welche wie spitze Schneehaufen emporragten. Wenn die bläulichen Rauchfahnen darüber hinkräuselten, wusste er, dass nun Modder Fieken oder Mutting Hanne die Suppe auf dem Feuer hatte. Und wenn das gedämpfte Bellen eines Hundes von der Dorfstrasse herüberklang, ein Bellen, welches von Haus zu Haus zu vollerem Akkord anwuchs, schrill und tieftönig, cholerisch und sanguinisch, kläffend und grollend, dann sah Koltitz nach der Uhr und nickte zufrieden vor sich hin. Die Post fuhr ein. Manchmal summte er dann in den Bart: „Und hat sie keinen Brief für dich, — mein Herz — mein Herz!“ und er rieb sich behaglich die Hände dazu und nickte ingrimmig vor sich hin: „Fehlte auch noch! Briefe! Zeitungen! Verfluchter Kram, der einem nur die Ruhe stört. Ich mag nicht wissen, wie’s draussen aussieht, ich habe die Brücke hinter mir abgebrochen. Mögen sich die Menschen raufen oder vertragen, mögen sie sich herumzanken, sich hassen oder lieben, — mich ficht es nicht mehr an. Hier hört die Welt auf, hier verklingt ihr Lärm. — Ah — und das ist schön, wunderbar schön. Narren sind alle, die es so haben könnten und sich dennoch zu Lasttieren der Welt machen. Was trägt’s ihnen ein, ihr Rennen, Jagen und Hasten, der wilde unbarmherzige Kampf um Phantome? Sie reiben sich auf, sie überstürzen ihre kurzen Lebenstage, sie haben keine Zeit, um glücklich zu sein. Narren sind sie, Narren! — Hier ist’s still, und wenn es einmal stürmt und braust, so ist’s draussen vor dem Haus, über die Schwelle weht kein Gifthauch mehr.“

Und gerade den Sturm, den rauhen, wilden Nordlandsturm liebte Koltitz über alles. Er nannte ihn sein Hoforchester, seine göttliche Kapelle, welche einzig und allein für ihn die zaubervollen Märchenweisen der Unendlichkeit spielte. Dann sass er im behaglichen Lehnstuhl am Fenster und lauschte.

Die Bäume im Garten ächzten und stöhnten, es pfiff und schrillte um die Fenster und wenn ein neuer Windstoss daherfuhr, klang es, als rolle sich das Weltmeer brausend über die Heide heran.

Das Feuer prasselte im Kamin, Funken stoben um die dicken Eichkloben, wenn sich Erikas rotüberflammtes Gesichtchen neigte, die Glut übermütig anzublasen und zu schüren! —

Ja, Erika! Sie liebte ihn auch über alles, den wilden, unhöflichen Gesellen, den Schneesturm, welcher ihr so ungalant das blonde Köpfchen zauste und ihr die wunderlichsten Geschichten erzählte! Der Vater hörte nur Melodieen aus ihm hervorklingen, das junge Mädchen aber verstand Worte, Lieder, Märchen — tausenderlei närrische Dinge, welche sie andern Tags weitererzählte, der Modder Dörten und dem Liesing, wenn sie am Spinnrad sassen und gar nicht satt werden konnten, des gnä’ Frölens wundervolle „Läuschen und Riemels“ anzuhören.

Wenn der Kuckuck in der Schwarzwälderin viermal seinen Namen gerufen, wurde der Oberst schon ungeduldig.

„Jettchen! liebes Jettchen — es schlägt schon viere? Wo bleibt das Rackerzeug wieder mit dem Kaffe? Verdammte Unpünktlichkeit! Lodderei infame! Da soll doch gleich ein Himmelschockneundonnerwetter —“ „Aber Maus! sei doch nicht so niedlich!“ klagte eine weiche Stimme voll zärtlichen Vorwurfs, „die Uhr geht doch zehn Minuten vor!“

Frau Jettchens schmächtige kleine Gestalt versank in dem hohen Polstersessel am Ofen. Ihr Kopf, schlicht frisiert und mit schwarzer Spitzenbarbe belegt, neigte sich Tag für Tag mit gleicher Emsigkeit über die feine Leinenstickerei, als sei Erikas Hochzeit bereits in nächster Woche, als müsse die Ausstattung über heut und morgen fertig sein.

Frau Oberst Koltitz war eine sehr sympathische Erscheinung, die verkörperte Güte und Sanftmut, still, aber reich an schönen und idealen Gedanken, welche sich in jedem Urteil über Welt und Menschen ebenso liebevoll und verklärend ausdrückten, wie ihr Mann sie voll schwärzesten Pessimismus verdammte. Wo er hasste, verzieh und liebte sie; wo er anklagte, wusste sie zu entschuldigen; wo er Verrat und Schlechtigkeit sah, enthüllte sie immer noch eine gute Seite, fand stets Gründe, das wirklich Schlechte selbst nachsichtig und mitleidig zu beurteilen.

Ihrem Mann gegenüber war sie etwas schüchtern, beinahe ängstlich. Sie fürchtete seine Heftigkeit und suchte sie durch liebevollen Vorwurf zu entkräften. Der Kosename „Maus“ hatte früher in der Garnison viel Heiterkeit erregt und die so gern lästernde Welt hatte schnell die Komik der Gegensätze herausgefunden. Wenn der leicht gereizte Gatte, grimmig wie ein Nussknacker, in kräftigster Weise losschimpfte, nichts weniger wie allerliebst anzuschauen in solchem Augenblick, gab es wohl keine verblüffendere Entgegnung seitens der Gemahlin, als ihr zärtliches „Aber Maus, sei doch nicht so niedlich!“ Und ebenso scherzhaft wirkte dieser nämliche Einwurf, wenn Koltitz, in guter Laune, die bedenklichsten Geschichten auftischte, bei deren saftiger Pointe Frau Jettchen jedesmal hold errötend lispelte: „Aber Maus, sei doch nicht so niedlich!“ Die kleine Frau war entschieden überzeugt von ihren Worten, aber die Schandmäuler der Gesellschaft hatten die „niedliche Maus“ bald zum geflügelten Wort gemacht.

Wie stets, beruhigte sich der Oberst auch diesmal schnell. Er zog sich einen Stuhl neben den Sessel seiner Frau und trommelte ihr liebevoll mit den Fingern auf den Rücken.

„Mache keinen Spektakel, Alte! Ist doch nicht meine Schuld, dass der donnerwettersche Kuckuckskasten vorgeht! Die Liese soll übrigens sofort zum Uhrmacher laufen —“

Der Sprecher verstummte unter dem eigentümlichen Aufblick der Gattin.

„Zum Uhrmacher? Bei diesem Schneesturm vier Meilen weit in die Stadt laufen? Ich fürchte, Väterchen, sie findet keinen, der heute abend noch mit ihr heraus watet!“

„So, so; Teufel ja, vergesse immer noch, dass wir ja Gott sei Lob und Dank in einer Atmosphäre atmen, die auf Meilen weit keine Stadtlust verpestet. Famos, Jettchen! gar zu gemütlich. Hör’ mal, wie es draussen heult, man könnte sich einbilden, es wären Wölfe; und jetzt prasseln wieder ein paar Ziegeln vom Dach — ausgezeichneter Sturm! Frisch und gesund! Der pustet mal kräftig durch und schleppt keine Bacillen und keinen Strassenstaub mit sich ’rum! Und wie kuschelig ist’s hier im warmen Stübchen! Keine verfluchte Corridorklingel, die einem alle Minuten auf die Nerven geht! Keine Ordonnanzen, keine Visiten, ich brauche nicht alle zehn Minuten in den kalten Uniformsrock zu fahren, weil so ein paar wurstige Menschen die Stuben voll Schneewasser trampeln wollen! Nicht wahr, Jettchen, du findest das auch ein molliges Leben? Jettchen, Herzchen ..... Himmelschockdonnerwetter, warum antwortest du denn nicht?!“

„Aber Maus!“ — Jettchen zog den erregten Mann liebevoll wieder auf den Stuhl, von welchem er aufgesprungen, nieder. „Ich zählte doch gerade die Kreuzchen hier — siehst du ... dieses Muster bedingt Aufmerksamkeit, — ein, zwei Kreuzchen ... Stich ... ein, zwei Kreuzchen ... Doppelstich —“

„Verdammte Kreuzchen! wirf sie in die Ecke, Jettchen, dieses monotone Gezähle kann einen ja rasend machen! Also hör ’mal, Jettchen, dass dich die Frau Generalin .. und der Gelbschnabel von einer Majorsprotze hier nicht mehr ärgern können, und dass der Hauswirt keinen Skandal mehr macht, weil die Frauenzimmer die Wäsche unausgerungen auf den Boden hängten und das Wasser bei Kalkulators durchtrippte ... he, Jettchen, kommst du dir nicht vor wie im Himmel?“

Frau Koltitz fädelte ueues Garn in die Nadel. „Gewiss, Mäuschen, es ist reizend, du weisst, dass ich mir eine solche Idylle wie die hiesige mein Leben lang brennend gewünscht habe! Ich habe dich ja, Väterchen, dich! und ich weiss dich glücklich und zufrieden, das ist die Hauptsache. Aber ...“

„Alterchen, gieb mir ’n Schmatz!“ — Koltitz nahm in derber Liebkosung den Kopf der kleinen Frau zwischen beide Hände und küsste sie voll Dankbarkeit. „So; und was meinst du nun mit deinem „Aber?“

Ein leiser Seufzer. „Die Erika, Männchen! Das arme Wurm ist noch zu jung für diese klosterhafte Einsamkeit.“