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Nicholson Baker

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Beschreibung

Die Stimme der Begierde: ein erotischer Klassiker Zwei Menschen telefonieren bis tief in die Nacht, gestehen sich ihre intimsten Träume, Geheimnisse und Wünsche. "Nicholson Bakers meisterhafte Telefonsex-Novelle" (STERN) "ist kein Buch über den Verfall der Lust, sondern ein fulminantes Kabinettstück voller kleiner Lüste und Erregungen, eine Verführung zum elektronischen Sex." (Stuttgarter Zeitung)

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Nicholson Baker

Vox

Roman

Aus dem Englischen von Eike Schönfeld

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Die Stimme der Begierde: ein erotischer Klassiker

 

Zwei Menschen telefonieren bis tief in die Nacht, gestehen sich ihre intimsten Träume, Geheimnisse und Wünsche.

 

«Nicholson Bakers meisterhafte Telefonsex-Novelle» (Stern) «ist kein Buch über den Verfall der Lust, sondern ein fulminantes Kabinettstück voller kleiner Lüste und Erregungen, eine Verführung zum elektronischen Sex.» (Stuttgarter Zeitung)

Über Nicholson Baker

Nicholson Baker wurde 1957 in Rochester, New York, geboren. Er studierte u.a. an der Eastman School of Music und lebt heute in South Berwick, Maine. Er hat zahlreiche Romane und Sachbücher veröffentlicht. 1997 erhielt er den Madison Freedom of Information Award, 2001 den National Book Critics Circle Award für «Der Eckenknick», 2014, zusammen mit seinem Übersetzer, den Internationalen Hermann-Hesse-Preis.

Für M.W. B.

«Was hast du an?» fragte er.

Sie sagte: «Ich habe ein weißes Hemd mit kleinen Sternchen an, grünen und schwarzen Sternchen, dazu eine schwarze Hose, Socken so grün wie die Sternchen und schwarze Sneakers für neun Dollar.»

«Was machst du gerade ?»

«Ich liege auf dem Bett, es ist gemacht. Das ist ungewöhnlich. Ich habe heut morgen das Bett gemacht. Vor ein paar Monaten hat mir meine Mutter eine Tagesdecke aus Chenille geschenkt, genauso eine, wie wir früher hatten, und ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie immer noch unbenutzt herumlag, und heute morgen hab ich sie schließlich aufs Bett drapiert.»

«Ich weiß nicht, was Chenille ist», sagte er. «Ist das so eine Art Seide?»

«Nein, Baumwolle, Baumwollchenille. Es hat so kleine Büschel, mit konventionellen Mustern. Wie in einer Frühstückspension.»

«Oh oh oh, Büschelmuster. Da bin ich aber beruhigt.»

«Warum?» fragte sie.

«Seide hat so was … da fallen einem gleich Anzeigen für einen Hostessenservice ein, wo der Text in so einer nachgemachten Achtzehnte-Jahrhundert-Schrift gesetzt ist – Für den verwöhnten Herrn – so in der Art. Oder Deliques Intimates, kennst du den Katalog?»

«Den kriege ich ungefähr einmal die Woche.»

«Genau, die reine Sintflut. Spitzenfiligran, Aubrey Beardsley – nein danke. Dazu fällt mir nur ein: Madam, der Seidenhüftslip, den Sie da tragen, bekommt bestimmt Flecken.»

«Da hast du recht», sagte sie. «Mir hat mal einer so ein exotisches Wäscheteil geschenkt, nicht von Deliques, aber etwas in der Art, Seide mit Spitze. Ich werde ganz … ich werde sehr feucht, wenn ich erregt bin, es ist schon fast peinlich. Dieses Wäschedings wurde also klitschnaß. Er sagte, der Mensch, der es mir gekauft hatte, sagte: ‹Was soll's, wirf's weg, einmal getragen.›» Aber ich weiß nicht, ich dachte, vielleicht will ich es noch mal anziehen. Eigentlich ist es nämlich ganz schön, Seide zu tragen. Also ging ich damit zur Schnellreinigung. Ich sagte nichts weiter dazu, ich stopfte es einfach in einen ganzen Haufen Arbeitssachen. Ich kriegte es zurück mit einem kleinen Schildchen dran, auf dem ein tanzendes Männchen mit tragischem Gesichtsausdruck und einem Hut war, das sagt, du weißt schon: ‹Sorry! Wir haben getan, was wir konnten, wir haben zu außergewöhnlichen Maßnahmen gegriffen, aber die Flecken auf diesem Kleidungsstück gingen einfach nicht raus!› Ich sah es mir an, und es war ganz komisch, da waren fünf Punktflecken drauf, kleine Ovale, nicht unten, wo ich naß gewesen war, sondern weiter oben, vorn.»

«Seltsam.»

«Und der Typ, von dem ich es hatte, war nicht auf mir gekommen. Er kam woanders – da bin ich mir ganz sicher. Ich hab also die Theorie, daß jemand in der Schnellreinigung … »

«Nein ! Bringst du deine Sachen immer noch dahin ?»

«Na, sie liegt halt günstig.»

«Wo wohnst du ?»

«In einer Stadt im Osten.»

«Oh. Ich in einer Stadt im Westen.»

«Wie schön.»

«Es ist wirklich schön», sagte er. «Von meinem Fenster aus kann ich eine Straßenlampe mit ganz vielen Dornlöchern drin sehen, von den Serviceleuten – ich meine natürlich einen hölzernen Telefonmast mit einer Straßenlampe dran –»

«Klar.»

«Und ein paar Häuser. Die Straßenlampe wird per Fotozelle aktiviert, und zu sehen, wie sie angeht, das ist wirklich was Schönes.»

«Wie spät ist es bei dir?»

«Ähm–zwölf nach sechs», sagte er.

«Ist es schon dunkel ?»

«Nein. Bei dir?»

«Nicht ganz», sagte sie. «Richtig dunkel finde ich es erst, wenn die kleinen Lämpchen auf meinem Stereoreceiver das Hellste im Zimmer sind. Das stimmt zwar so nicht ganz, aber es klingt gut, findest du nicht? Mit welcher Hand hältst du den Hörer?»

«Mit der linken.»

«Was machst du mit der rechten?»

«Meine rechte Hand ist … im Augenblick liegen meine Finger auf der Erde einer Topfpflanze, die mir jemand geschenkt hat und die nicht so richtig wird. Ich wühle so ein bißchen mit den Fingern in der Erde.»

«Was für eine Pflanze?»

«Weiß ich nicht mehr», sagte er. «In der Erde stekken ein paar polierte runde Steinchen. Ah, Moment, da ist das Schildchen. Nein, das ist bloß das Preisschild. Eine anonyme Geheimpflanze.»

«Du hast mir noch nicht gesagt, was du anhast», sagte sie.

«Ich habe… ich trage, na ja, einen Bademantel und Gummilatschen mit blauer Sohle und roten Haltern. Es sind meine ersten Gummilatschen – ich meine, seit ich hierhergezogen bin. Sie sind gut zum Aufwachen morgens. Am Wochenende zieh ich sie immer an, geh damit runter an die Ecke und kauf die Zeitung, und das Gefühl dieses Riemens da im Schritt der Zehen – Mann, das bringt dich hoch, da fängt der Tag gleich richtig an. Das ist, als würdest du den Füßen Zaumzeug anlegen.»

«‹Stehst› du auf Füße?»

«Nein nein nein nein nein nein. Bei Frauen? Nein. Füße sind neutral. Ungefähr so wie Ellbogen. Was mich betrifft, ich… »

«Was?»

«Also, ganz oft, kurz bevor ich komme, richte ich mich gern so auf den Fußballen auf. Das hat was mit der Anspannung der Beinmuskulatur und der, äh, der Arschmuskeln zu tun, es läßt alle Nerven zusammenspielen, es ist, als käme ich mit den Beinen. Andererseits fühle ich mich dabei manchmal wie ein HighSchool-Lehrer, der auf den Hacken wippt, oder wie ein Demagoge, der sich auf die Zehen stellt und etwas über die Vorsehung hinausbrüllt.»

«Und dann, wenn du mit deinem relevé ganz oben bist, kommst du in ein Papiertuch», sagte sie.

«Genau.»

«Was wir nicht alles für die Liebe tun. Ich kannte mal jemand, einen Arzt, der erzählte mir, daß er beim Masturbieren gern hyperventiliert, wie ein Hundebaby. Er ging das Ganze sehr wissenschaftlich an. Er meinte, das Hyperventilieren reduziert das ionisierte Kalzium im Blut, ändert die Nervenleitfähigkeit, macht dieses, tut jenes. Einmal hab ich's ausprobiert. Er meinte, wenn du fast soweit bist, nachdem du gehechelt und gehechelt hast, hi-a-hi-a-hi-a, dann mußt du was namens Valsalva machen, wobei du die Luft tief einziehst und die Kehle zupreßt und fest drückst, und wenn du es richtig machst, dann sollst du einen wahnsinnigen Orgasmus kriegen – kribbelnde Glieder, kribbelnde Haarwurzeln, kribbelnde Zähne, ich weiß auch nicht, halt die ganze Palette. Bei mir ist mit dieser Technik nicht viel rausgekommen, aber er war so ein Riese, wilder Riesenbart, Riesenarme, er aß mit Vorliebe große Fleischkloß-Croques, die mit dieser orangefarbenen Schmiere – und er war so groß und so unschuldig und eigentlich ziemlich schüchtern, so daß die Vorstellung, wie er da japst –»

«Mit zugekniffenen Augen.»

«Genau, über sein Geschlechtsteil gekauert, obwohl ich sagen muß, daß ich mir sein Geschlechtsteil nie so richtig vorstellen konnte, aber allein die Vorstellung, wie er da absichtlich, freiwillig vor sich hin japst und schluckt, hat genügt, um mir selbst zu dem einen oder anderen Augenblick der Lust zu verhelfen.»

«Ooo. Da auf deinem Bett?»

«Da auf meinem Bett.»

«Aber ohne die Chenille-Tagesdecke.»

«Ohne die Chenille-Tagesdecke, die, wie ich gerade sehe, kleine weiße Fusseln auf meiner Hose hinterläßt, hm, hm, hm, weg da, ihr. Siehst du, eine pompöse Seidensexydecke von Deliques wäre eben doch praktischer gewesen.»

«Also, na gut, nein, ich sehe ja ein, daß die Sachen von Deliques sexy sein können», sagte er. «Strapse und so. Mir bringt das zwar nicht viel – das ganze viktorianische Gehabe mit diesem abartig verkniffenen Grienen stößt mich einfach ab –, aber ich muß doch zugeben, als dann Woche für Woche die Kataloge kamen, Frühherbst, Herbst, Spätherbst, dieser anhaltende Schwall halbnackter Frauen, der mir aus der Post entgegenquoll, auf so teurem Papier, mit den Kußmäulchen und so, das hat mich dann doch interessiert.»

«Aha, jetzt gibst du's also zu», sagte sie. «Die männlichen Models sehen aber auch ganz gut aus.»

«Na ja, bei mir waren es aber nicht diese Winzigwinzigmieder und solche Geschichten. Ich sag dir, was es war. Es war dieses eine Bild von einer Frau in einem weiten grünen Hemd, sie lag auf dem Rücken, die Beine in der Luft, an den Knöcheln gekreuzt, und sie trug Tights. Keine schwarzen Tights. Ich war, ich war völlig hingerissen von diesem Bild. Ich weiß noch, wie ich von der Arbeit nach Hause kam und am Küchentisch saß und ungefähr… zehn Minuten lang dieses Bild betrachtete, die kleine Beschreibung der Tights las, wieder das Bild anschaute, las, schaute. Sie hatte sehr lange Beine. Hatte ich denn jemand, dem ich diese Tights kaufen konnte? Nein, eigentlich nicht. Zu der Zeit nicht. Sie hatten so eine bestimmte Webart, nicht Chenille, nicht Chenille. Pointelle! Sie trug diese beige-grünen Pointelle-Tights. Weißt du, für mich ist das Wort ‹Tights› viel erregender als bloß Strumpfhose. Jedenfalls ging ich ins Wohnzimmer und stellte das Telefon auf den Boden, und dann legte ich mich neben das Telefon auf den Boden und betrachtete einfach das Foto, blätterte den Rest des Katalogs durch, aber von hinten, wieder zurück zu diesem Bild, bis mir vom Hochhalten allmählich die Arme erlahmten, also legte ich mir den Katalog aufgeschlagen auf die Brust, und ich geriet in reine Ekstase und rollte den Kopf auf dem Teppich hin und her. Wenn du den Kopf auf dem Boden hin und her rollst, dann steigert das im allgemeinen das Gefühl der Ehrfurcht oder Verwunderung, das du gerade hast. Aber leider kein Kribbeln in den Gliedern.»

«Nein.»

«Und ich esse auch nicht massenweise FleischkloßCroques. Das heißt, gelegentlich mag ich auch mal ein Fleischkloß-Croque, mit Pilzen – ich möchte mich nur abgrenzen von, du weißt schon… »

«Oh, mach dir da keine Sorgen», sagte sie. «Dein Akzent ist völlig anders als seiner, und deine Stimme ist ganz… unwiderstehlich.»

«Freut mich zu hören. Ich war nervös, als ich anrief. Meine Temperatur ist glatt um zehn Grad gesunken, als ich mich entschloß, die Nummer zu wählen.»

«Ach, wirklich. Wo hast du denn die Anzeige gesehen?»

«Ähm, in einem Herrenmagazin.»

«In welchem ?» fragte sie.

«Komischerweise ist mir das peinlich. In Juggs. Dem Tittenmagazin. Wo hast du die Anzeige gesehen?»

Eine Pause trat ein. «Forum.»

«Was steht in deiner?» fragte er.

«Mal sehen», sagte sie. «Da ist eine Strichzeichnung von einem Mann und einer Frau, beide einen Hörer in der Hand, und drüber steht JEDERZEIT. Mir hat die Zeichnung gefallen.»

«Die Anzeige hab ich auch schon mal gesehen», sagte er. «Sie ist ganz anders als meine. Auf meiner ist ein Farbfoto von einer Frau, um deren Bein eine Telefonschnur gewickelt ist, und ein Arm bedeckt irgendwie die Brüste, und über der Telefonnummer steht MACH'S, DANN KOMMT'S. Aber diese Anzeige hat gegenüber den anderen einfach was unbestimmbar Exklusiveres, liegt das am Layout oder der Type, mit der die Telefonnummer gedruckt ist, und das trotz diesem üblichen Frau-plus-Telefon-Bild, und ich dachte, vielleicht lockt das eine andere Sorte Anrufer an. Obwohl, Jungejunge, dieser Schwall von arschlochmäßiger Männergeilheit in der Leitung, als du angefangen hast zu reden, das war ja nicht gerade Kanapeegeplänkel. Der eine Typ, der ständig dazwischenquatschte – ‹Lutscht du gern einen großen Schwaanz?› – ‹Wie groß und braun sind deine Nippel?› Aber schließlich rufen wir ja auch nicht an, um Kanapeegeplänkel zu betreiben.»

«Ich hätte nichts dagegen – plänkel ruhig. Aber du hast schon recht. Jedenfalls sind wir nun hier, ‹allein zu zweit›, wie es so schön heißt, im berühmten Glasfaser-‹Hinterzimmer›.»

«Wie wahr.»

«Also weiter», sagte sie. «Du hast mir gerade erzählt, wie du auf dem Boden liegst und den Kopf hin und her rollst.»

«Ach ja, richtig. Also, ich lag da auf dem Boden, den Katalog aufgeschlagen auf der Brust, hin und weg von diesen Tights, und eine Vorstellung, eine Vorstellung von erregender Fiesheit nahm in meinem Stammhirn Gestalt an. Ich hatte eine Vision, wie ich abspritzte, während ich die Tights bestellte, genaugenommen war es eine Vision, wie, wie… »

«Wie?»

«Wie ich in der Badewanne liege, dabei aber am Telefon die Frau von der Bestellannahme bei Deliques habe, die, weißt du, so eine nette unschuldige Stimme hat, eine alberne, aber liebenswerte, übermäßig krause Dauerwelle, ein leichtes Näseln, glattes Gesicht, frischgewaschene Jeans, schnieke Söckchen, aber womöglich trägt sie einen von Deliques' feinsten ‹Fusion-Bodys› mit einem V-förmigen Spitzenbesatz oder so was über dem Schoß, den sie mit Angestelltenrabatt gekauft hat, und ich in der Badewanne, was lächerlich ist, weil ich nie bade, aber ich bin eben in der Badewanne und bewege mich ganz vorsichtig, damit sie nicht das kleinste wassermäßige Plitschplatsch hört und merkt, daß ich das tragbare Telefon mit ins Bad genommen habe und halb unter Wasser bin, und dann sagt sie: ‹Ich sehe schnell mal nach, ob wir das auch wirklich auf Lager haben, Sir›, und während dieser Pause stemme ich mich aus dem Wasser und richte den Hörer gewissermaßen auf meinen Werner Heisenberg, damit sie ihn irgendwie sehen kann oder seine Vibrations mitkriegt, und in dem Moment, als sie sagt: ‹Ja, die Pointellestrumpfhose in Beige ist da›, komme ich in vollkommener Stille, wobei ich eine Schlumpfgrimasse ziehe.»

«Das ist ja furchtbar.»

«Ich weiß, aber ich weiß auch nicht, ich lag halt da auf dem Wohnzimmerboden. Oft lege ich mich da nicht hin.»

«Hast du denn auch, während du dir das vorgestellt hast, mit dir… gespielt?»

«Natürlich nicht! Ich hatte eine Hand am Telefon, hab einfach mit den Zahlentasten rumgemacht, sie gestreichelt, und die andere lag auf dem aufgeschlagenen Katalog auf meiner Brust. Jedenfalls dachte ich dann, es wäre mir peinlich, Tights für mich selbst zu bestellen – womöglich käme die Frau von der Bestellannahme noch auf die Idee, ich sei ein Transsexueller, wo ich doch überhaupt kein Transsexueller bin, ich bin ein Telefonklitist.»

«Ein obszöner Anrufer.»

«Genau. Und ich fing an, mir zu überlegen, für wen ich sie bestellen könnte, und dann fiel mir die Frau bei der Arbeit ein, eine sehr nette Frau, für manche vielleicht etwas unscheinbar, aber sehr nett, die einmal mich und einen anderen Typen damit verblüfft hat, daß sie aus heiterem Himmel eine Geschichte über Freunde von ihr erzählte, die gerade in einem Museum groß Hochzeit feierten, als ein paar Diebe mit einem Lieferwagen ankamen, sämtliche Hochzeitsgeschenke einluden und damit wegfuhren.»

«Die Hochzeitsgeschenke waren ausgestellt?» fragte sie.

«Ja.»

«Aha, tja, das war wohl ein Fehler.»

«Dafür wurden sie dann auch bestraft. Jedenfalls war eines der Geschenke, erzählte uns die Frau von der Arbeit, so eine Sexschaukel, die man offenbar an einem Haken an der Decke aufhängt, so daß die Frau… »

«Ja, ich weiß», sagte sie.

«Und die Frau von der Arbeit hatte über die Schwierigkeiten gewitzelt, die geklaute Sexschaukel bei einem Hehler loszuwerden, und ich erinnerte mich wieder, wie sie über dieses abstruse Gerät geredet hatte, und deshalb wollte ich ihr die Tights bestellen, so daß sie, wenn sie eines Tages von der Arbeit nach Hause käme, sagen würde: ‹He, was ist das denn, ein schmales Päckchen von Deliques für mich?› Sie würde es aufmachen und die Plastikverpackung mit der Strumpfhose darin herausziehen, und dann hätte sie den Bestellschein in der Hand, und irgendwie hätte ich die Frau bei der Bestellannahme überredet, daß ich meinen Namen nicht auf dem Schein wollte.»

«Na klar.»

«Sie weiß also, sie hat einen heimlichen Verehrer. Und auf dem Packschein ist dann die Printoutzeile, wo draufsteht, alles in Abkürzungen: 1 P PTL TIGHTS, BE, SM, $ 12.95, und ich stellte mir vor, wie sie auf den Packschein sieht und denkt: ‹Na so was, aber vielleicht sollte ich doch wenigstens sehen, ob sie auch paßt.›»

«Ah, Moment», sagte sie. «Nein, was ihr daran auffällt, ihr fällt auf, daß… »

«Sag schon», sagte er.

«Daß auf dem Packschein über der Ziffer eins – ein Paar Tights – so ein Kontrollzeichen ist, mit dickem Bleistift.»

«Stimmt, da ist so was.»

«Und sie schaut sich das Kontrollzeichen genauer an, und sie stellt sich vor, daß eine Männerhand es gemacht hat, eine überraschend kultivierte Hand, weil im Versandhaus Deliques ein Streik war, und da mußte die Geschäftsleitung von Deliques als Notmaßnahme anstelle der normalen Packerinnen, die natürlich in der Mehrzahl Laotinnen mittleren Alters sind, die männlichen Models aus dem Katalog einsetzen. Und die männlichen Models, die waren gerade alle mitten bei den Katalogaufnahmen, als der Ausstand begann, und deshalb tragen sie genau die Sachen, die sie beim Fototermin anhatten, also die üblichen auberginefarbenen Paisley-Boxershorts und Bademäntel von Henri Rousseau und Pyjamas von Erté und so; aber sie hatten nicht die Zeit, sich umzuziehen, man hat sie barfuß in dieses riesige Lagerhaus gescheucht, weil die Firma mit Bestellungen bombardiert wurde. April war der härteste Monat. Also – ein männliches Model nimmt den Bestellzettel von der Frau entgegen, betrachtet ihn, schaut auf den Namen darauf – wie heißt sie ?»

«Jill.»

«Schaut auf den Namen, Jill Smith, nimmt dann den Bestellzettel, zerknüllt ihn an dem Meerrettich in seinen Seidentaft-Boxershorts und reicht ihn an das nächste männliche Model weiter, einen umwerfenden Bauern mit seltsam schlitzäugigen Nippeln, der ihn glattstreicht, betrachtet, ah, Jill Smith, die Arschbacken zusammenklemmt und ihn an den nächsten Typen weiterreicht, der ihn glattstreicht, betrachtet, in eine Ecke beißt und ihn an den nächsten Typen weiterreicht, und so weiter die ganze Reihe männlicher Models durch, einer breitschultriger und festbäuchiger als der andere, bis der Bestellschein schließlich zum letzten gelangt, der auf einem Zinken des Gabelstaplers sitzend eingeschlafen ist, ein sehr viel zierlicherer Herr mit einem wunderschönen Hals samt sanft pulsierender Vene darin, in den man am liebsten reinbeißen möchte, so gut sieht er aus, und natürlich trägt er einen Lendenbeutel aus grüner Moiréseide, den der Zinken des Gabelstaplers vor- und hochgeschoben hat. Dieses männliche Model erhebt sich nun, schmatzt schläfrig, betrachtet den Zettel, besteigt den Gabelstapler und fährt in Schlangenlinien los zu dem fernen Gewölbe, wo die Pointelle-Tights lagern.»

«Und?»

«Und er kommt zu dem Kartonberg, der mit BEIGE bezeichnet ist, und er läßt den Gabelstapler bis zur höchsten Palette surren, hebt sie ab und vvvvvvvvr holt sie runter, und er bricht den Deckel auf… »

«Womöglich mit dem Schwanz.»

«Nein, nein, mit seinen kräftigen, kultivierten Händen», sagte sie. «Das Packband macht pap! pap! pap!, als er den mächtigen Karton aufreißt. Aber wo du das sagst, während er hineinlangt, tief in den Karton voll mit… mit einer Tonne Baumwollpointelle, drückt sein Schwanz tatsächlich dagegen, er drückt und drückt, und er fängt an, an den Fesseln des Lendenbeutels zu zerren. Dann steigt er also wieder auf den Gabelstapler, legt sich die Tights auf den Schoß und fährt zurück. Ja, und während er weg war, haben Todd, Rod, Sod und Wadd, die andern männlichen Models, natürlich alles Heteros, die da in einer Reihe standen und auf ihn warteten, an Jill Smith gedacht, wie sie diese Tights anhat, und inzwischen sind ihre Kolben alle beinhart, und sogar dem verpennten Gabelstaplerfahrer, vielleicht wegen der beigen Strumpfhose auf dem Schoß, ist es peinlich, auszusteigen, weil er eine unverhohlene Erektion hat, die nun so groß und knochenhart geworden ist, daß sie richtig aus seinem Lendenbeutel herausragt. Er nimmt mit leicht schwankendem Schwanz seinen Platz in der Reihe der männlichen Models ein, und er hält sich die Tights ans Gesicht und haucht einmal hinein, nickt dann, nimmt einen Bleistift mit einer überraschend scharfen Spitze und setzt ein Kontrollzeichen über die Ziffer eins auf dem Packzettel. Er reicht die Tights an den nächsten weiter – inzwischen haben alle männlichen Models ihre Scham voreinander abgelegt, und sie stehen alle da, die verschiedenen Glieder ragen in verschiedenen Winkeln aus den verschiedenen Bademänteln, Boxershorts und Sexslips heraus. Der Typ mit dem Gabelstapler reicht sie also an den nächsten weiter, der die Tights fast wie bei einem Ritual nimmt und sie sich um den Schwanz herumwickelt, einmal fest zieht, sie dann wieder abwickelt und ein weiteres Kontrollzeichen genau auf das erste über der Ziffer eins auf dem Packzettel setzt. Und er reicht die Tights an den nächsten weiter, der sie sich ebenfalls um den Schwanz wickelt, in vielen Windungen, sie ist sehr lang, und auch er setzt sein Kontrollzeichen auf das vorangegangene, und so geht's die Reihe durch, aufwickeln abwickeln Kontrolle, aufwickeln abwickeln Kontrolle, und der letzte faltet die Tights mit geschickten zarten Bewegungen, die seine gewaltigen Unterarme Lügen strafen, schiebt sie in das hauchfeine Plastiktütchen und setzt das letzte Kontrollzeichen über die Ziffer eins, so daß es jetzt aussieht, als wäre das Kontrollzeichen nur mit einem einzigen stumpfen Bleistift gemacht worden, wo es doch in Wirklichkeit neun Kontrollzeichen waren. Und so machen sie, während sie unisono ‹Die Wolgaschiffer› summen, das Päckchen mit Jill Smiths Adresse darauf fertig und schicken es an sie ab.»

«Na ja, vielleicht ist es tatsächlich so passiert», sagte er. «Aber in Wirklichkeit gab es bei Deliques gar keinen Streik, als ich anrief. Allerdings war der Computer ausgefallen.»

«Aha, dann hast du also doch angerufen?» sagte sie. «Das war aber sehr ungezogen. Im Bad?»

«Nein, das kam mir dann doch etwas sehr umständlich vor. Ich hab vom Wohnzimmerboden aus angerufen. Als erstes brachte ich mich in einen glaubwürdigen Schwellzustand, dann wählte ich die kostenfreie 8ooer-Nummer.

«A-ha… »

«Eine Frau meldete sich und sagte so was wie ‹Hallo und willkommen bei Deliques Intimates, hier spricht Clititia, womit können wir Ihnen heute dienen?› Sie hatte eine junge hohe Stimme, genau wie ich sie mir vorgestellt hatte. Na ja, mein fünfunddreißigkommafünf Zentimeter langer Spermadübel schrumpfte sogleich auf weniger als sieben Zentimeter. Also das Gegenteil dessen, was eigentlich passieren sollte. Ich sagte ihr, was ich bestellen wollte, und sie sagte, der Computer sei ausgefallen, aber sie würde die Bestellung ‹per Hand› aufnehmen, ja ? Warum war ich nicht Lustmolch genug, um ihr darauf mit einer Anzüglichkeit zu kommen ? –einfach was Simples wie ‹He, he, Süße, ich hoffe doch, du machst alles per Hand›. Statt dessen sagte ich bloß : ‹Jungejunge, da haben Sie ja einen ziemlichen Ärger am Hals.› Ich gab ihr meine Adresse, meine Kreditkartennummer, und sie sagte: ‹Das hab ich, Sir, und möchten Sie heute abend vielleicht noch etwas anderes bestellen?› – ‹Tja, ich weiß nicht so recht, aber da ist eine Frau, für die hätte ich eigentlich gern noch etwas, bloß einen ganz einfachen Slip, aber ich weiß nicht so recht.› Ich sagte: ‹Sie haben da doch auf Seite 38 diese sogenannten Deliques Minimes. Haben Sie das ? Haben Sie den Katalog vor sich?› Sie sagte ja. Ich sagte: ‹Schön. Ich glaube, ich sehe nicht so ganz den Unterschied zwischen diesen Minimes und den sogenannten Nadja-Slips auf Seite, äh, 46. Für das bloße Auge wirken sie identisch.› Sie sagte: ‹Einen Moment bitte›, und ich hörte, wie sie den Katalog durchblätterte, und unternahm einen letzten kühnen Versuch, mir einen abzuwichsen, denn die Vorstellung, wie sie eingehend die Bilder von den Frauen in den winzigen gewichtslosen Slips studierte, dazu das Dunkel der Schamhaare, die genau da durch das Material hindurch zu sehen waren, während ich zur gleichen Zeit an meinem Ende der Leitung auf genau dieselben griffigen Schamhaarwölbungen schaute, hätte mir zum sofortigen Abspritzen genügen müssen, aber ich weiß auch nicht, sie war so verbindlich, und ich wußte, daß sie höchstwahrscheinlich gar nicht gern wissen wollte, daß ich hier lag, um… Schließlich wollte sie ja keinen Job, bei dem Männer sie anriefen und ein paar Artikel bestellten, nur damit sie… stimmt's ? Das hatte sie ja wohl überhaupt nicht im Sinn gehabt, als sie den Job annahm, oder zumindest aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Als sie dann endlich sagte: ‹Tja, der Nadja-Slip sitzt etwas tiefer auf der Hüfte›, eine Aussage, bei der jeder normale Abfiedler doch mit Leichtigkeit kommen müßte, denn was impliziert das ? Es impliziert ihre eigene Hüfte, es impliziert, daß der Nadja-Slip auf ihrer Hüfte gesessen hat. Jedenfalls schaffte ich es nicht mal da, ihn oben zu halten. Also sagte ich: ‹Aha, ja, nein danke, ich schau mal, wie die Tights ankommen, und bestelle die Minimes später.› Und eine Woche später war ich dann also Besitzer einer Strumpfhose. Ich habe sie immer noch, unausgepackt. Gib mir deine Adresse, und ich schick sie dir gern weiter.»

«Warum gibst du sie nicht Jill?» fragte sie.

«Ach, aus tausend Gründen. Aber das war noch gar nicht das Ende. Kaum hatte ich nach der Bestellung wieder aufgelegt, wurde er natürlich sofort wieder steif, und ich überlegte einen Augenblick und drückte dann die Wahlwiederholungstaste, und eine andere Frau meldete sich, mit einer viel tieferen und smarteren Stimme, ihr Name war so etwas wie Vulva, und ich sagte : ‹Vulva, ich habe eine Frage, die vielleicht etwas unkonventionell klingt, und Sie müssen sie nicht beantworten, wenn Sie nicht wollen. Aber es interessiert mich einfach, na, die Männer, die aus Ihrem Katalog bestellen, meinen Sie, einige von denen sind auf subtile oder vielleicht gar nicht so subtile Weise obszöne Anrufer?» Sie lachte und sagte: ‹Gute Frage.› Und dann kam eine lange Pause, eine sehr lange Pause. Ich sagte: ‹Hallo?› Und in dem Moment wußte ich, daß ich es versaut hatte – ich wußte, daß der Ton meines Hallo, dieses leicht Piepsige in meiner Stimme, das sexuelle Erregung verriet, das potentielle Einvernehmen, das ich mit Vulva vielleicht hätte haben können, zerstört hatte. Als ich ihr die Frage stellte, hatte ich nämlich ganz selbstbewußt geklungen.»

«Was hat sie dann gesagt?»

«Sie sagte bloß, in einem förmlicheren, aber immer noch freundlichen Ton: ‹Ich glaube, ich werde Ihre Frage nicht beantworten.› Und ich sagte: ‹Schön, verstehe, okay, alles klar.› Und sie sagte: ‹Wiedersehn.› Nicht ‹Auf Wiedersehen› – da war noch immer dieser kleine Rest amüsierte Intimität. Hätte sie auf Wiedersehen gesagt, ich wäre am Boden zerstört gewesen.»

«Was hast du dann gemacht?»

«Ich habe mich aufgesetzt, mir eine Pizza bestellt und Zeitung gelesen. Du siehst also, ich bin eigentlich gar kein obszöner Anrufer. Ich kann keinen Orgasmus unterdrücken.»

«Hoho. Ich schon», sagte sie.

«Ehrlich? Na ja, ich meine, körperlich kann ich es schon.»

«Ich weiß, was du meinst.»

Eine Pause trat ein.

«Ich höre Eiswürfel», sagte er.

«Cola Light.»

«Ah. Erzähl mir mehr. Erzähl mir von dem Zimmer, in dem du bist. Erzähl mir, was für Ereignisse dich dazu gebracht haben, diese Nummer zu wählen.»