Warten auf ein Wunder - Anna McPartlin - E-Book
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Anna McPartlin

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Beschreibung

Der neue Roman der Autorin des Bestsellers «Die letzten Tage von Rabbit Hayes» – ein bewegendes Porträt von Mutterschaft und einem dunklen Kapitel irischer Geschichte: den Magdalenenheimen. Dublin, 2010. Caroline glaubt, alles verloren zu haben: den Traum, Mutter zu werden, und darüber auch ihre Ehe. Eine Selbsthilfegruppe führt sie mit drei verwandten Seelen zusammen: Natalie, deren Lebensgefährtin keine Kinder möchte. Janet, die von ihrem Mann betrogen wird. Und die toughe Ronnie, die ihre Geschichte nicht preisgeben mag. Cork, 1976. Catherine ist 16 und schwanger - die Tochter des Schweinebauern schwanger vom Sohn des Richters, ein Skandal. Als sie in ein wahrhaft furchtbares Heim für ledige Mütter gebracht wird, will Catherine nur eines: ihr Kind retten - und behalten. Und sie weiß bald, dass sie dafür alles riskieren muss. Zwei Frauen, getrennt durch viele Jahrzehnte, vereint durch eine gemeinsame Hoffnung. Anna McPartlin erzählt dramatisch, witzig, rührend und lebensnah wie keine Zweite.

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Seitenzahl: 533

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Anna McPartlin

Warten auf ein Wunder

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Sabine Längsfeld

 

Über dieses Buch

Was es heißt, eine Mutter zu sein, eine Tochter, eine Freundin. Was es heißt, eine Frau zu sein.

Dublin, 2010. Caroline glaubt, alles verloren zu haben: den Traum, Mutter zu werden, und darüber auch ihre Ehe. Caroline ist allein mit ihrem Schmerz. Fast allein. Eine Selbsthilfegruppe führt sie mit drei verwandten Seelen zusammen: Natalie, deren Lebensgefährtin keine Kinder möchte. Janet, die von ihrem Mann betrogen wird. Und die geheimnisvolle Ronnie, die ihre Geschichte nicht preisgeben mag.

Cork, 1974. Catherine ist 16 und schwanger. Ihr Freund will nichts mehr von ihr wissen, und ihre Eltern schämen sich für sie. Als sie in ein wahrhaft furchtbares Heim für ledige Mütter gebracht wird, will sie nur eines: ihr Kind behalten. Und sie weiß bald, dass sie dafür alles riskieren muss.

Vita

Anna McPartlin wurde 1972 in Dublin geboren. Nach der Schule studierte sie ziemlich unwillig Marketing. Nebenbei stand sie auch als Comedienne auf der Bühne, doch ihre wahre Liebe galt dem Schreiben, das sie bald zum Beruf machte. Bei der künstlerischen Arbeit lernte sie ihren späteren Ehemann Donal kennen. Mit ihm lebt sie heute in Dublin. Bereits ihr Debüt «Weil du bei mir bist» war international ein Bestseller. Mit dem Roman «Die letzten Tage von Rabbit Hayes» rührte und begeisterte sie unzählige Leserinnen und Leser und landete einen Riesenerfolg.

 

Sabine Längsfeld übersetzt bereits in zweiter Generation Literatur verschiedenster Genres aus dem Englischen in ihre Muttersprache. Zu den von ihr übertragenen Autor:innen zählen Anna McPartlin, Sara Gruen, Glennon Doyle, Malala Yousafzai, Roddy Doyle und Simon Beckett.

Für jede Frau, die kämpft. Du bist nicht allein. Irgendwann wird es besser. Gib nicht auf.

PrologMai 2010

Caroline saß zusammengekrümmt hinter dem Lenkrad. Sie wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt.

Nemo Problemo.

Inzwischen schwamm sie quasi in Blut, aber sie blieb ruhig.

Alles in bester Ordnung, wunderbar.

Ihre Hände zitterten, die Beine waren schwach. Sie umklammerte das Lenkrad, machte sich bereit für die eine, alles mit sich reißende Welle, den großen Krampf, der sich anfühlte, als würde ihr jemand einen Grillspieß in den Hintern schieben.

Könnte schlimmer sein, ich könnte in Flammen stehen.

Mit geschlossenen Augen konzentrierte Caroline sich auf ihre Atmung, ganz bewusst, langsam ein und aus, ein und aus.

Jetzt …

FUCKKKKKKKKKKK.

Jawoll, das war’s.

Sie war froh, dass sie bei sich zu Hause in der Auffahrt stand. Beim letzten Mal war sie gerade auf der M50 unterwegs gewesen – um ein Haar wäre sie einem Lastwagen mit chemischem Gefahrguthinweis hintendrauf geknallt und hätte die halbe Autobahn lahmgelegt. Sie hatte die fette Schlagzeile auf der Titelseite bildlich vor sich gesehen: Menstruierende Frau jagt Dublin in die Luft.

Sie atmete weiter durch den lähmenden, erbarmungslosen, kaum auszuhaltenden Schmerz hindurch und wartete den nächsten kurzen, scharfen Stich ab, ehe sie auch nur den Versuch unternahm, ins Haus zu gelangen. Daves Auto war nicht da. Das war ungewöhnlich: Normalerweise kam er vor ihr nach Hause. Wahrscheinlich war er noch auf einen Seelentröster im Pub, ehe er einen Fuß über die Schwelle setzte. Verständlich. Sie hatte selbst eine Flasche Wein im Kofferraum. Sie hatte vor, bis auf Weiteres jeden Abend zu trinken.

Eigentlich trank Caroline während der Woche keinen Alkohol, doch auch abgesehen von dem allmonatlichen Blutbad herrschten im Augenblick mildernde Umstände. Am Vorabend, um Punkt neunzehn Uhr, war Bruno gestorben, ihr über alles geliebter Hund. Gestern um diese Zeit war er noch am Leben. Er hat sich an mich gekuschelt, und ich hab ihm seine kleinen Öhrchen gekrault, so wie er es am liebsten mochte. Er war ganz ruhig.

Sie blieb sitzen und wartete, bis die Uhr im Auto auf 19:00 sprang. Unter Schmerzen und mit einer Apokalypse im Höschen flüsterte sie: «Schon ein Tag ohne dich, Buddy. Ruhe in Frieden. Mami liebt dich.»

Sobald Caroline im Haus war, lief sie nach oben in den ersten Stock. Sie zog sich aus und ging unter die Dusche. Zusammengekrümmt saß sie in der Duschwanne, den Rücken an die kalten Kacheln gepresst, und sah zu, wie das Wasser erst rot und dann immer heller in den Abfluss lief. Caroline war todmüde. Ihr wunder Bauch stand in Flammen, und alles tat ihr weh. Sie wollte einfach nur eine Zeitlang sitzen bleiben.

Irgendwann stand sie doch wieder auf. Als sie wieder trocken und angezogen war – ein loses Oberteil und eine der bequemen schwarzen Elastikhosen, die für Tage wie diesen reserviert waren –, fing sie langsam an, sich Sorgen zu machen. Dave war immer noch nicht zu Hause. Ein Problem bei der Arbeit? Stau auf der M50? Oh Gott! Ein Unfall?

Sobald sie die Küchentür öffnete und ihr Blick auf Brunos Hundebettchen in der Ecke fiel, auf die ordentlich darin aufgereihten Spielsachen, waren sämtliche Ängste vergessen. Plötzlich verspürte sie den überwältigenden Drang, Bruno zu riechen, und schon fand sie sich auf den Knien wieder, seinen Hundegeruch einatmend. Mein kleiner Junge. Eine Minute lang, vielleicht auch ein bisschen länger, hockte Caroline auf dem Küchenfußboden und umarmte und küsste Brunos kleines Bettchen. Dann kam sie wieder zu sich, pflückte sich ein verirrtes Hundehaar vom Mund und rappelte sich mühsam wieder hoch.

Als sie, eine Hand auf dem Bauch, die andere auf dem Rücken, zum Wasserkocher humpelte, um sich eine Wärmflasche zu machen, fiel ihr Blick auf den Zettel an der Kühlschranktür. Nichts ahnend trat sie näher.

Der Zettel war in der Mitte zusammengefaltet. Darauf stand in großer, unordentlicher Krakelschrift ihr Name. Ein Magnet mit einem Schaf und der Aufschrift «Ich bin Schaf auf dich» hielt ihn an Ort und Stelle. Caroline zog an dem Zettel, und der Magnet fiel zu Boden. Sie bückte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht, um ihn wieder aufzuheben. Während sie sich mühsam wieder aufrichtete, fiel ihr Blick auf die ersten Worte:

Caroline, es tut mir leid.

Was zum …? Sie ließ den Magnet fallen und las weiter:

Ich kann das nicht mehr.

Ich liebe dich, aber es ist aus.

Dave

XXX

Justin O’Halloran weiß, wie ich heiße

Catherine

Ich wurde 1959 geboren, und als ich aufwuchs, war Irland noch sehr anders als heute. Ich komme aus einer ländlichen Kleinstadt – die Tochter eines Schweinemästers. Wir waren nicht arm, aber auch nicht reich. Ich wusste, was Arbeit war, aber wir hatten immer genug zu essen und anzuziehen. Wir waren fünf Geschwister – vier Jungs und ich.

An Charles, meinen ältesten Bruder, erinnere ich mich kaum noch. Er kam geistig und körperlich so schwer behindert zur Welt, dass meinen Eltern nahegelegt wurde, ihn ins Heim zu geben. Es gab nur ein einziges Foto von ihm, als Baby im Arm meiner Mutter. Es stand bei uns zu Hause im Wohnzimmer auf dem Kamin.

Nach Charles kam ich, gefolgt von Mickey, der breit und stark war und mit vierzehn schon fast eins neunzig groß. Als Nächster kam Ronan – zwischen den beiden lag nicht mal ein Jahr, trotzdem hätten sie unterschiedlicher nicht sein können. Ronan war weder so groß noch so stark wie Mickey, was deshalb schlecht für ihn war, weil die beiden sich ständig prügelten. Mein Vater ging nie dazwischen. Er mochte Prügeleien. Er sagte immer: «Wenn du nicht den Kürzeren ziehen willst, musst du besser werden.» Anderthalb Jahre nach Ronan kam Tim.

Nach Tim kam die Gebärmutter meiner Mutter: Sie hing inzwischen quasi in Fetzen. Wir waren alle große Brocken gewesen und uns auszutragen Schwerstarbeit. Der Arzt sagte, es sei ein Wunder, dass meine Mutter die Geburten ihrer Kinder überlebt hatte. Rein körperlich war ihr das gelungen – was ihre Psyche betrifft, bin ich mir nicht so sicher. Meine Mutter war nicht der warmherzigste Mensch auf Erden, aber wenn sie wollte, konnte sie nett sein. Und mein Dad … Wenn ich an meinen Dad denke, erinnere ich mich eigentlich nur an Schufterei auf dem Hof.

Ich weiß nicht mehr, wann ich anfing, Justin O’Halloran zu beobachten. Die Jungenschule lag direkt neben der Mädchenschule, und wir konnten den Jungs durch die Maschen im Netz, das den Zaun bedeckte, beim Fußball zusehen. Justin sah unfassbar gut aus – breitschultrig, mit schwarzem Haar und großen, braunen Augen. Außerdem war er sehr sportlich und ein toller Spieler. Er trug die Haare wie Elvis und war definitiv der bestaussehende Junge der Mannschaft – und der Schule, ja, der ganzen Stadt. Ich glaube, ich war schon lange, ehe wir uns kennenlernten, in ihn verliebt. Jedenfalls träumte ich von ihm, seit ich etwa dreizehn war. Ich verrate nicht, was wir in meinen Träumen machten, jedenfalls sprach ich beim Aufwachen zur Buße immer ein Gegrüßet seist du, Maria.

Damals war ich schön. Das wusste ich natürlich nicht, und im Nachhinein macht mich der Gedanke traurig, dass ich nicht in der Lage war, es beizeiten zu erkennen. Meine Mutter war ein echter Rotschopf; mein Vater hatte früher mal schwarze Haare auf dem Kopf, hatte die Pracht aber schon mit fünfundzwanzig endgültig verloren. Meine Brüder waren alle blond und sommersprossig, aber ich sah aus wie meine Mum – ein typisch irisches Mädchen mit roten Haaren, blassem Teint und grünen Augen. Obwohl ich groß und schlank war wie mein Dad, besaß ich ein hübsches Paar Brüste und runde Hüften, die zum Kinderkriegen gemacht waren – zumindest beschrieb mich so der Arzt bei einer Untersuchung, was meiner Mutter Wut und Schamesröte ins Gesicht trieb. Ich war vierzehn.

«Hör ja nicht auf dieses Gerede über Brüste und Kinderkriegen, verstanden?», hatte sie gesagt, als wir nach dem Arztbesuch wieder auf der Straße standen.

Als Justin und ich zum ersten Mal miteinander sprachen, kam ich gerade mit einer Tüte kugelrunder Lutschbonbons aus einem Laden. Er lehnte lässig an der Motorhaube eines Autos. Er sah zu mir rüber und sagte: «Hallo, Catherine.»

Maria Mutter Gottes. Ich dachte, ich würde an Ort und Stelle tot umfallen – und genau das wäre ums Haar auch passiert.

Ich versuchte gleichzeitig zu winken, «Hallo» zu stammeln und dabei auch noch einzuatmen. Dabei schoss das kugelrunde Lutschbonbon, das ich mir eben in den Mund gesteckt hatte, direkt meine Kehle runter, blieb auf halber Strecke stecken und drosselte jegliche Luftzufuhr. Ich lief puterrot an und begann direkt an Ort und Stelle kläglich zu ersticken.

Justin sprang auf, war wie der Blitz an meiner Seite und fing an, mit den Fäusten auf meinen Rücken einzutrommeln. Das kugelrunde Lutschbonbon kam wieder aus meinem Mund geschossen und traf den Hund des Ladenbesitzers mitten auf die Schnauze. Der fing wütend an zu bellen, und Justin stellte sich zwischen uns, um mich vor dem Untier zu beschützen. Fairerweise muss ich dazusagen, dass es sich um einen altersschwachen Jack Russell handelte, aber ich wäre vor Sauerstoffmangel und angesichts Justins Heldentat trotzdem fast in Ohnmacht gefallen.

Mit wackligen Knien und Justins Hilfe gelang es mir, mich auf die Motorhaube zu setzen. Seine Hand lag auf meiner Schulter. Ich trug drei Lagen Stoff übereinander, die oberste ein dicker Dufflecoat, aber ich konnte trotzdem seinen starken Griff auf meiner Haut spüren.

Justin O’Halloran fasst mich an!!! Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für mich.

«Geht’s dir gut?», fragte er, als mein Atem sich wieder so weit beruhigt hatte, dass ich zu einer Antwort in der Lage war.

«Ja … danke … Du hast mir das Leben gerettet», stammelte ich.

«Hab ich, oder?» Er grinste.

Dann beugte er sich quer über mich, angelte sich aus der braunen Papiertüte seinerseits ein Lutschbonbon und warf es sich in den Mund. Ich war zutiefst beeindruckt.

«Ich hab dich schon mal gesehen», sagte er.

«Ich hab dich auch schon mal gesehen.» Jeden Tag, seit ich denken kann.

«Du heißt Catherine Sullivan», sagte er.

Ich nickte und platzte fast vor Freude, weil er tatsächlich wusste, wie ich hieß. Justin O’Halloran weiß, wie ich heiße! Oh, ich danke dir, heiliger Judas Thaddäus der hoffnungslosen Fälle und ausweglosen Situationen.

«Dein Vater hat eine Schweinemast.»

Ich nickte stumm, peinlich berührt; sein Vater war Richter.

«Ich bin Justin O’Halloran», sagte er, und dann streckte er mir die Hand hin. «Schön, dich kennenzulernen.»

Als unsere Hände sich berührten, sprühten zwischen uns bewusstseinsverändernde, Schmetterlinge freisetzende, elektrische Funken. Ich war sprachlos. Ich stand kurz vor der Ohnmacht, mein Magen schlug Purzelbäume, und ich hatte Angst, ich hätte mir ins Höschen gemacht.

Er begleitete mich nach Hause, um sicherzugehen, dass es mir gut ging. Am Gatter zur Zufahrt zu unserem Hof, eingebettet zwischen weiten Feldern und weidenden Schweinen, standen wir da und verabschiedeten uns.

«Können wir uns mal wieder unterhalten?», fragte er.

Ich nickte so heftig, dass er zu lachen anfing. Ich war verlegen und kam mir ein kleines bisschen dumm vor.

«Okay, komm morgen nach dem Spiel an den Zaun, dann können wir reden.»

Ich nickte ein bisschen weniger enthusiastisch, und dann war ich weg, rannte den langen, gewundenen Weg nach Hause. Als ich den Hof erreichte, schlängelte ich mich zwischen ein paar Schweinen hindurch und blieb sogar stehen, um ein oder auch zwei oder drei zu tätscheln.

«Hallo, Marilyn Monroe. Hallo, Neil Diamond. Hallo, John Wayne.»

«Du siehst glücklich aus», sagte Dad, der gerade mit einem großen Eimer Schweinefutter aus dem Schuppen kam.

«Ich bin glücklich, Dad», sagte ich und warf ihm einen Luftkuss zu, wie ich es Marilyn Monroe (die Schauspielerin, nicht das Schwein) auf den Stufen eines Flugzeugs hatte tun sehen, im Schwarz-Weiß-Fernseher bei meiner besten Freundin Rose.

Dad lachte nur.

«Keine Ahnung, wo wir dich herhaben», sagte er.

Das wusste ich selbst nicht so genau. Niemand hatte sich je die Mühe gemacht, mir zu erklären, wo ich hergekommen war.

Erstes KapitelCaroline

Das Treffen begann immer Punkt zwanzig Uhr, da gab es kein Vertun. Caroline schlich sich um drei Minuten nach in den Raum, was hieß, dass sie sich nicht mal mehr einen Becher Kaffee oder wenigstens einen trockenen Mürbekeks aus der offenen Blechdose mit dem weinenden Kind auf dem Deckel nehmen konnte. Ihr Hund war tot, soeben hatte ihr Ehemann sie verlassen, und ihre Gebärmutter versuchte immer noch, sich aus dem Staub zu machen, mit ihrem Magen huckepack.

Es war gerade mal anderthalb Stunden her, dass ihr Leben in Stücke zersprungen war. Sie war versucht gewesen, das Treffen sausen zu lassen und stattdessen bis ans Ende aller Zeiten zu einer Kugel zusammengerollt auf dem Küchenfußboden liegen zu bleiben – aber dann war sie aufgestanden, hatte Wasser gekocht und in die Wärmflasche gefüllt, war ins Auto gestiegen und mit der brühend heißen Wärmflasche auf dem Bauch zu dem Treffen gefahren.

Und hier war sie nun. Sie winkte mit der Wärmflasche und schlich im Eingeständnis ihrer Verspätung mit gesenktem Kopf an ihren Platz im Stuhlkreis. Sheena, eine nüchterne Frau vom Land Anfang fünfzig, nickte, um zu signalisieren, dass sie die angedeutete Entschuldigung akzeptierte. Caroline wusste, dass Sheena, was Zeitthemen betraf, sehr streng war, und sie führte hier das Zepter.

Sheenas Blick wurde weich, als sie sich wieder der Frau zuwandte, die gerade sprach. Die Frau hieß Janet und war eine Mischung aus Mädchen von nebenan und irischer Schönheitskönigin. Sie war, was Carolines Dad als Flüsterfrau bezeichnen würde. Wenn Janet sprach, mussten alle sich vorbeugen.

«Der Arzt sagt, ich bin bereit für den nächsten Versuch …»

«Wie bitte?»

Eine ihr unbekannte Frau, die bis jetzt hinten an der Wand gestanden hatte, kam mit selbstbewussten Schritten nach vorn. Sie war groß, schlank und muskulös, eine echte Athletin. Die langen, dunklen Haare waren zu einem unordentlichen Knoten zusammengebunden. Sie war nicht hübsch. Sie war beeindruckend. Caroline konnte nicht sagen, wie alt sie war.

«Der Arzt sagt, ich bin bereit für den nächsten Versuch», wiederholte Janet.

«Ich kann Sie nicht verstehen.» Die Frau schnappte sich einen Stuhl, zog ihn geräuschvoll in den Kreis und setzte sich.

Wer ist das denn, bitte?

Obwohl sie lächelte, wirkte die Frau aggressiv. Sie agierte mit einem Selbstvertrauen, das normalerweise von Vertrautheit herrührt, aber Caroline hatte sie noch nie hier gesehen, und sie kam seit zwei Jahren regelmäßig zu den Treffen.

Janet holte Luft und hob ein wenig den Kopf. «Ich sagte, der Arzt sagt, ich bin bereit für den nächsten Versuch!»

«Oh, wie schön für Sie.» Die Frau saß jetzt zwischen den anderen.

«Was sagt Jim dazu?», fragte Sheena. Sie schenkte der Neuen für ihr störendes Verhalten nicht mal einen bösen Blick. Stattdessen nickte sie ihr lächelnd zu.

Caroline runzelte die Stirn. Ernsthaft?

«Jim sagt, er ist noch nicht wieder bereit, nicht nach dem, was beim letzten Mal passiert ist …»

Es wurde sehr still. Die Frauen, die Janets Geschichte kannten, senkten die Köpfe. Diejenige, die ihre Geschichte nicht kannte, Frau Trampeltier, fragte: «Was ist denn beim letzten Mal passiert?»

Ach, Mist, dachte Caroline. Geht das wieder los. Caroline hatte mit einem Sturzbach Tränen gerechnet, doch stattdessen antwortete Janet der Frau und sprach dabei noch leiser als sonst.

«Ich hatte eine Molenschwangerschaft.»

«Was ist das?», fragte die Frau.

«Das befruchtete Ei war nicht lebensfähig.»

«Und?»

Das Trampeltier ging Caroline langsam ernsthaft auf die Nerven.

«Das nennt sich gestationsbedingte Trophoblasterkrankung», sagte Janet. Sie flüsterte nur noch.

«So wie diese Tumore mit Haaren und Zähnen?»

«Das, was du meinst, nennt sich Teratom», sagte Natalie.

Natalie war ihr gruppeneigenes wandelndes Lexikon. Nicht auf besserwisserische Weise – Caroline mochte sie. Natalie gehörte einfach zu den Menschen, die Wissen automatisch aufsaugten und abspeicherten. Natalie war eine kleine, zierliche Frau, die tagsüber als Versicherungsstatistikerin arbeitete und ihre Freizeit damit verbrachte, bei Pubquiz-Abenden in Dublin, Kildare und Meath abzuräumen. Natalie war ein echter Hai.

«Keine Haare, keine Zähne, eigentlich nur ein Gewebeklumpen, wie eine Traube Weinbeeren.» Janet seufzte lauter, als sie sprach. «Wir haben ihn Derek genannt.»

«Woher wusstet ihr, dass es ein Er war?», wollte das Trampeltier wissen.

«Gar nicht, aber Jims Vater entstammt einer langen Linie von Dereks. Seine älteren Geschwister hatten nur Mädchen, und wir wussten, was von uns erwartet wurde, falls wir einen Jungen bekommen. Aber er ist ein Dickschädel, und, na ja … alles Schlechte hat auch sein Gutes und so.»

Das Trampeltier fing an zu lachen. Und zwar richtig. Aus heiterem Himmel stimmte Janet mit ein. Caroline war nicht klar, warum, aber plötzlich musste sie ebenfalls lachen. Vielleicht war es Hysterie, aber das war ihr egal – ihr Leben lag in Scherben, und wenn sie nicht mitlachte, fing sie nur wieder an zu weinen. Sie vermutete, dass es Janet genauso ging.

Eine Frau nach der anderen fing an zu kichern. Caroline wusste nicht, ob sie darüber lachten, dass Janet ihrer Blasenmole den Namen Derek verpasst hatte, um ihrem Schwiegervater eins auszuwischen, oder ob es an dem ansteckenden Gelächter des Trampeltiers lag, jedenfalls lachte schließlich sogar Sheena mit.

Sheena hatte es normalerweise mehr mit Tee und Empathie als mit der humorvollen Seite des Lebens. Sie war eine ernsthafte Frau, aber sie war auch unglaublich nett. Sie hatte jeden einzelnen Verlust und jede einzelne Enttäuschung jeder einzelnen Teilnehmerin der Selbsthilfegruppe für unfruchtbare Frauen mit durchlitten. Sie selbst war inzwischen über das gebärfähige Alter hinaus und hatte die Gruppe vor vielen Jahren ins Leben gerufen, als sie selbst verzweifelt ein Kind wollte und niemand ihr erklären konnte, weshalb ihr Mann und sie nicht schwanger werden konnten. Unfruchtbarkeit ungeklärter Ursache. Es war eine brutale, einsam machende Diagnose, die drohte, ihre Ehe zu zerstören – doch so weit kam es nicht. Sheena hatte die Gruppe gegründet, um anderen zu helfen, denen es genauso ging.

Als das Gelächter schließlich abebbte, bat Sheena die Neue, der Gruppe ein bisschen von sich zu erzählen.

«Wir sind hier übrigens alle per Du», sagte sie.

«Ich bin Veronica – fünfunddreißig Jahre alt, Pilotin und stehe total auf Speed …»

«Auf Drogen?», fragte Sheena irritiert.

«Nein. Geschwindigkeit. Autorennen.»

«Ach so.»

«Alle nennen mich Ronnie.»

«Bist du verheiratet, Ronnie?», fragte Sheena.

«Nein.»

«Aber du hättest gerne Kinder?»

«Ja.»

«Und du hast Schwierigkeiten, schwanger zu werden.»

«Es ist unmöglich.»

«Nichts ist unmöglich», sagte Sheena, was ein bisschen ironisch war angesichts der Tatsache, dass dieser Satz für sie selbst ja auch nicht gegolten hatte.

«Wäre es okay, wenn ich heute Abend nur zuhöre?», fragte Ronnie.

«Gar kein Problem», sagte Sheena. «Du bist uns willkommen.» Sie forderte die anderen auf, Ronnie mit einem Applaus in der Gruppe willkommen zu heißen, und wandte sich dann mit einem Nicken in Richtung Wärmflasche an Caroline. «Caroline, wie geht es dir?»

«Wie sehe ich denn aus?» Sie versuchte zu lächeln, aber ihre Augen füllten sich sofort mit Tränen. Mist.

«Schrecklich», sagte Sheena.

Caroline seufzte. «Bruno ist gestorben», sagte sie, und ehe sie sich zusammenreißen konnte, liefen ihr die Tränen übers Gesicht.

 

Vor drei Jahren hatte der Tierarzt bei Bruno Demenz diagnostiziert. Im Rückblick hatte es angefangen, als Carolines friedliebender kleiner Terrier sich im Alter von dreizehn plötzlich blutrünstig auf vorbeikommende Jogger gestürzt hatte. Allen anderen im Park drohte keine Gefahr – Kinder, Spaziergänger, Fahrradfahrer, alles kein Problem –, sobald jedoch ein Jogger an ihm vorbeilief, schüttelte Bruno den Kopf und fing an zu knurren. Und dann ging es los. Er rannte hinterher, so schnell seine müden alten Beine ihn ließen, und versuchte, die Zähne in die nächste Wade zu schlagen. Also kam Bruno an die Leine, und sein Verhalten war zwar noch befremdlich, aber kein großes Problem mehr. Jogger waren Caroline sowieso schon immer etwas auf die Nerven gegangen.

Etwa ein Jahr nachdem er angefangen hatte, Jogger zu terrorisieren, fing Bruno an, sich für Ecken zu interessieren. Er suchte sich eine Ecke und starrte stundenlang die Wand an. Er wurde ein bisschen distanzierter, ein bisschen weniger freundlich.

Bruno war Carolines bester Freund gewesen. Wenn sie das Haus verließ, setzte er sich ans Fenster, um zu warten, bis sie wiederkam, und wenn sie zu wund war, um aufrecht zu sitzen, kuschelte er sich an sie; er wusste immer ganz genau, wohin er sich legen musste, um ihr möglichst viel Trost und Wärme zu spenden. Seit er sechs Wochen alt war, war Bruno ihr Kumpel gewesen, ihr treuer Schatten, und Caroline sein Ein und Alles. Natürlich liebte Bruno Dave auch, aber nicht so wie sie. Bruno wusste, dass Caroline ihn mehr brauchte. Er machte das Unerträgliche für sie erträglich.

Langsam fing ihr geliebter Hund vor ihren Augen an zu schwinden. Er reagierte aggressiv, wenn man ihn berührte, hatte ständig Angst, war verwirrt und gereizt. Am Ende lief er ganze Abende in der Küche im Kreis, bis er schließlich zusammenbrach. Sie wusste, dass es grausam war, ihn am Leben zu lassen, aber sie liebte ihn und wollte ihn nicht gehen lassen. Und mehr noch – sie wollte nicht diejenige sein, die die Entscheidung traf.

Sie hatte gehofft, sein Herz würde von allein aufhören zu schlagen. Ab und zu, an den seltenen Tagen, wenn er zuließ, dass sie ihn im Arm hielt, flüsterte sie: «Es ist okay, weißt du? Du darfst gehen. Mami liebt dich. Ich bin so dankbar für dich. Du bist mein allerbester Freund. Einen besseren Hund als dich hätte ich mir nicht wünschen können.» Sie hatte ihm die Erlaubnis gegeben – und er ging trotzdem nicht. Selbst in seinem geschwächten, verzweifelten Zustand blieb er bei ihr. Ab und zu nahm sie ihn hoch, um ihn daran zu hindern, gegen die Wand zu rennen, und umarmte ihn. Dann erkannte er sie wieder, nur eine Millisekunde lang, und legte den kraftlosen Kopf auf ihre Schulter. Sie drückte ihm einen Kuss auf sein struppiges Gesicht. Ich liebe dich. Und er machte sich los und sprang von ihrem Arm und rannte gegen die nächste Wand.

Dave ertrug es nicht, darüber zu sprechen. Der Tierarzt stellte ihnen ein Rezept für ein Benzodiazepin zur Beruhigung aus und damit er schlafen konnte (der Hund, nicht Dave). Das half etwas, aber nicht sehr. Ein halbes Jahr später ging es ihm immer noch schlecht, und zusätzlich war er auch noch benzosüchtig. Ideal war was anderes. Caroline hatte all ihren Mut aufbringen müssen, um mit Dave zu sprechen.

«Bitte, Dave, wir müssen ihn gehen lassen.»

«Oh, nein. Das ist nicht richtig. Er geht seinen eigenen Weg.»

«Bitte, zwing mich nicht dazu, dich anzubetteln, meinen eigenen Hund um die Ecke bringen zu dürfen.»

«Er will leben.»

«Er will mit dem Schädel durch Wände, Dave!»

«Ich kann das nicht, Caroline.»

«Bitte, Dave.»

«Scheiße.» Dave hatte den Blick auf Bruno gesenkt, der in der Ecke lag und schlief, zusammengekrümmt und flach atmend. «Er ist doch unser Junge», flüsterte er, und sie nickte.

«Genau deshalb. Er leidet. Bitte, Dave.»

Und dann, vor sechsundzwanzig Stunden, hatten sie vor der Tierarztpraxis in Daves Wagen gesessen. Bruno war ruhig und still gewesen, als hätte er es gewusst, als sei er bereit, als wollte er gehen. Caroline schnupperte an ihm und musste zugeben, dass Bruno wirklich alt war und nach Katzenklo roch, aber das war ihr egal, sie atmete seinen Geruch trotzdem so tief ein, wie sie konnte.

«Mami liebt dich.»

Dave hatte nur starr geradeaus gesehen. Er konnte nicht sprechen.

Sie hatten einen Termin vereinbart, und der Tierarzt wusste, weshalb sie kamen. Sie saßen allein im Wartezimmer, Caroline hielt Bruno fest an sich gedrückt, und Dave kraulte ihm den Kopf.

«Das machst du gut, mein Junge, ganz toll. Alles ist gut», wiederholte er ständig.

Als der Tierarzt das Wartezimmer betrat, fing Carolines Herz an zu rasen, sie drückte ihren Hund noch ein bisschen fester an sich, ihre Augen brannten, und ihre Lippen zitterten. Dave sah aus, als würde er jeden Moment die Flucht ergreifen.

Der Tierarzt, ein freundlicher Mann namens Harry, ging vor ihnen in die Hocke und zauste Bruno das Fell.

«Es ist die richtige Entscheidung», sagte er.

Caroline und David brachten kein Wort heraus. Sie hatten beide mit Tränen und peinlichen Rotzblasen zu kämpfen.

Harry begleitete Caroline und Dave in einen Untersuchungsraum. Er nahm Bruno aus Carolines Arm und ging nach nebenan, um die Kanüle zu setzen, durch die er das Medikament spritzen würde, das Brunos Herz zum Stillstand brachte. Sie warteten darauf, dass er wiederkam.

«Ich bin fix und fertig», sagte Dave.

«Ich weiß, Liebling.»

Sie hielten einander im Arm, und sie spürte seine nasse Wange an ihrer. Sie wusste nicht, wessen Tränen ihren Hals hinunterliefen, jedenfalls war es kalt und unangenehm.

Als Harry wieder ins Zimmer kam, steckte eine Kanüle in Brunos vorderem Bein. Sie war mit einem roten Pflaster befestigt. Rot hatte Caroline an Bruno immer am liebsten gemocht. Der Anblick wäre fast zu viel für sie gewesen, doch dann lag Bruno wieder in ihrem Arm, immer noch ruhig, und wartete. Der Tierarzt hatte das Medikament bereits vorbereitet, es lag auf einem Metalltablett auf dem Untersuchungstisch. Caroline beobachtete, wie er sich auf sie zubewegte, während sie ihren Hund küsste und ihm dafür dankte, dass er nicht versuchte, die Flucht zu ergreifen.

«Danke, Bruno. Danke für alles. Mami liebt dich.»

Sie wusste selbst, wie lächerlich es klang, sich als seine Mami zu bezeichnen, aber das war ihr vollkommen egal. Ich bin seine Mami, und ich liebe ihn, und damit basta.

Harry zog sich Handschuhe an. «Sind Sie bereit?», fragte er.

Und natürlich waren sie nicht bereit, aber Caroline nickte trotzdem langsam.

Dave gab Bruno einen flüchtigen Kuss. «Guter, braver Junge, Bruno.»

«Also, Sie müssen keine Angst haben – es kann sein, dass Bruno sich ein bisschen wehrt, wenn ich ihm das Medikament spritze. Wenn die Wirkung einsetzt, ist es möglich, dass er ein Geräusch von sich gibt, dass er röchelt oder zuckt, und vielleicht entleeren sich auch Blase und Darm.»

Dave wich einen Schritt zurück.

«Sind Sie sicher, dass Sie ihn auf dem Arm behalten wollen?», fragte Harry.

«Ja.» Caroline hatte das Gesicht in Brunos Fell vergraben und ließ ihren Tränen freien Lauf. «Ich bin hier, Bruno.»

Bruno rührte keinen Muskel und sah nur starr geradeaus. Sobald das Medikament in seinen Blutkreislauf drang, war er fort – kein Röcheln, kein Zucken. Er starb einfach, ganz schnell und ganz still.

«Er war erschöpft, der arme Kerl», sagte Harry. «Das haben Sie gut gemacht. Lassen Sie sich Zeit.» Er ging aus dem Zimmer und ließ sie allein.

Nach einem Augenblick fassungsloser Stille fingen sie beide an zu schluchzen.

«Wir sollten was sagen», flüsterte Caroline mit erstickter Stimme und brennenden Augen.

Dave schniefte. «Und was?»

«Keine Ahnung … Was er uns bedeutet hat.»

«Okay.» Dave räusperte sich. «Lieber Bruno …»

«Das ist doch kein Brief, Dave!»

«Was soll ich denn dann sagen? Mach du doch, wenn du so schlau bist!»

«Du hast recht. Entschuldige. Sei einfach du selbst.»

Dave richtete sich auf und verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Er räusperte sich wieder.

«Also gut … Wir haben dich geliebt, Junge. Wir lieben dich immer noch. Wir werden dich immer lieben. Mach’s gut. Dein Daddy Dave.» Mit Tränen in den Augen sah er seine Frau an. «In Ordnung so?»

«Ganz wunderbar.» Sie fing wieder an zu schluchzen. «Sonst gibt es auch nichts mehr zu sagen, oder, Dave?»

«Nein, Liebling.»

«Nur dass ich ohne dich ganz verloren bin, mein Freund.»

«Das weiß er.»

«Wusste er mal», sagte sie, und dann streichelten sie beide weinend ihren toten Hund. Dave hielt ihre Hand und küsste sie. «Wir schaffen das, Caroline, wir haben uns.»

«Ich weiß», sagte sie, und sie wünschte so sehr, es wäre genug.

 

Auf der Heimfahrt gestand Caroline ihm schluchzend, dass sie doch noch einmal versuchen wollte, schwanger zu werden.

«Ich weiß, dass ich es versprochen habe. Ich weiß, dass wir gesagt haben, dass endgültig Schluss ist, weil wir schon genug durchgemacht haben. Ich weiß, dass es schwer ist, und ich weiß, dass es teuer ist und belastend, aber ich will es trotzdem noch mal versuchen.»

Dave schwieg. Sie spürte, dass er wütend wurde. Als er anfing zu sprechen, klang es wie durch zusammengebissene Zähne.

«Du hast es versprochen.»

«Und jetzt breche ich mein Wort.»

«Du bist achtunddreißig Jahre alt! Deine Eier sind Schrott, und du bist total durch den Wind. Wir haben es schon zu oft versucht. Ohne Erfolg. Ende Gelände.»

«Das könnte unsere Chance sein, David.»

Er lenkte den Wagen an den Straßenrand und stellte den Motor ab.

«Es ist immer noch Zeit. Ein einziges Mal noch. Bitte.» Caroline war sich nicht ganz sicher, worüber sie mehr weinte: ihren toten Hund oder ihr nicht existentes Baby.

Er sah sie an. «Wir haben gerade unseren Hund einschläfern lassen, du bekommst deine Periode, und wir besprechen das erst, wenn du deine Tage hinter dich gebracht hast.»

Sie hasste es, wenn er das machte. «Was für ein beschissener Schwachsinn, so was zu sagen!»

«Siehst du – jetzt wirst du pampig.»

«Ich werde pampig, weil du behauptest, mit mir könnte man nicht vernünftig reden, weil ich meine Tage bekomme …»

«Und deshalb wirst du pampig.»

«Tja. Dann press du doch mal unfreiwillig einen Klumpen Eisen aus dir raus. Mal sehen, wie pampig du dann wirst!»

«Wir waren uns einig, nach vorne zu schauen, unser Leben weiterzuleben, glücklich zu sein. Ich bin glücklich, Caroline.» Er sah ihr forschend in die Augen. «Und du?»

Und vielleicht lag es daran, dass sie eben ihren geliebten Hund auf dem Edelstahltisch einer Tierarztpraxis zurückgelassen hatte, oder daran, dass sie ihre Periode bekam, jedenfalls war sie nicht in der Lage, ihm darauf eine Antwort zu geben. Stumm stellte Dave den Motor an und legte den Gang wieder ein. Sie fuhren ohne ein weiteres Wort nach Hause zurück.

Am nächsten Abend hatte er ihr die Nachricht an den Kühlschrank gehängt und sie verlassen.

 

«Das mit Bruno tut mir sehr leid», sagte Sheena, und die anderen stimmten mit ein. Alle wussten, was Bruno ihr bedeutete. Caroline erzählte oft von ihm.

«Wer ist Bruno?», fragte Ronnie.

«Ihr Hund», sagte Natalie. «Ein Terrier, sechzehn gemeinsame Jahre. Er war ihr Fels in der Brandung.»

Ronnie wirkte wenig beeindruckt. «Oh.»

Caroline wischte sich die Tränen weg. «Es geht mir gut. Alles wird gut. Es war besser so.»

«Besorg dir einen neuen», sagte Ronnie.

Caroline verspürte den überwältigenden Drang, diesem schrecklichen Trampeltier an die Gurgel zu springen.

«Das ist das Gute an Tieren … Sie sind ersetzbar. Menschen nicht. Zumindest die meisten … Doch, Männer, Männer sind auch ersetzbar – oder geht das nur mir so?» Ronnie sah sich in der Gruppe um. «Was meint ihr?»

Caroline fing an zu schluchzen, nicht nur weil Ronnie einfach ihren toten Hund vom Tisch gewischt hatte, sondern weil ihr Mann nach achtzehn Jahren Ehe plötzlich weg war, und der war nicht ersetzbar. Achtzehn gemeinsame Jahre, achtzehn Jahre voller Liebe, Verlust, Freude, Traurigkeit, Hoffnung, Verzweiflung, Lachen – und das Ende dieser Ehe: ein Zettel an der Kühlschranktür, einen Tag nachdem ihr Hund gestorben war. In Carolines Kopf ploppte ständig wieder eine einzige Frage auf. Wer zum Teufel verlässt an einem Mittwoch seine Frau?

Sie fragte sich nicht, warum. Sie wusste, warum.

«Um über Ersatz zu sprechen, ist es noch ein bisschen zu früh», sagte Sheena taktvoll. Sie zupfte ein frisches Kleenex aus der Box auf dem Tischchen neben sich und ließ es über Janet und Natalie zu Caroline wandern. «Es wird alles wieder gut», sagte Sheena, «und wenn nicht, rufst du mich an.»

Caroline schnäuzte sich nickend. Dass Dave sie verlassen hatte, behielt sie für sich. Sie hätte es nicht über die Lippen gebracht – es war zu frisch, zu surreal.

«Alles gut, wirklich», sagte sie, froh, dass die Gruppe weitermachte.

Nach ihr ergriff Mary das Wort, eine Frau aus dem Stadtzentrum. Sie hatte soeben die erste Runde In-vitro-Fertilisation hinter sich, und in drei Tagen sollte der Bluttest stattfinden.

«Ich bin so nervös! Ständig denke ich, ich bin schwanger! Nein, ich bin nicht schwanger! Dann wieder, ja, ich bin’s! Dann wieder nein, bin ich nicht. Meine Nerven liegen völlig blank. Pete denkt, ich hätte den Verstand verloren.»

«Das ist absolut normal», sagte Sheena.

«Kann schon sein», antwortete Mary, «aber eins sag ich euch, wenn es nicht geklappt hat, spring ich von der Brücke, mitten in die Liffey.»

«Na, na, na, sag so was nicht», sagte Sheena. «Abgesehen davon ist sich ertränken schwerer, als man denkt – außerdem ist die Liffey unglaublich dreckig. Du willst doch nicht im Dreck sterben, Mary.»

«Nein. Nicht wirklich. Ich hab’s nicht so mit Gerüchen. Vielleicht stürze ich mich einfach von einem Hochhaus.»

«Das wirst du auch nicht tun.» Wieder beugten alle sich vor, um Janet zu verstehen. «In Cork ist mal eine Frau aus dem zweiten Stock gesprungen. Jetzt ist sie querschnittsgelähmt. Selbst wenn sie wollte, könnte sie’s nicht noch mal machen.»

«Jesus!», sagte Mary. «Ich sag doch nur, dass ich sterben will, wenn ich nicht schwanger geworden bin.»

«Ja, klar, das denkst du jetzt, aber dann ist es doch anders.» Caroline rutschte auf ihrem Stuhl herum. «Du wirst am Boden zerstört sein und wütend und verbittert ohne Ende, aber sterben willst du nicht. Im Gegenteil. Du willst nichts weiter, als dich dem ganzen Wahnsinn sofort noch mal von vorn auszuliefern.»

Acht Jahre, vier Operationen, sechs IVFs, ein toter Hund und ein Ehemann, der mich soeben verlassen hat, und sogar ich will noch mal von vorn anfangen. Schmerz durchfuhr sie. Ihr war ein bisschen mulmig. Was zum Teufel ist eigentlich los mit mir?

«Möchtest du, dass wir mit dir beten?», fragte Sheena.

«Entweder du bist schwanger, Mary, oder du bist es nicht», sagte Ronnie.

Caroline konnte einfach nicht erkennen, was für einen Dialekt die Frau sprach.

«Daran werden vier verfluchte Ave-Marias und ein Vaterunser auch nichts ändern.»

«Danke für deine Meinung, Ronnie, aber auch wenn ein Gebet vielleicht nichts am Ausgang ändert, mag es doch für die Seele tröstlich sein», sagte Sheena, so salbungsvoll sie konnte.

Ronnie schniefte, dann entfuhr ihr ein Rülpser. Sheenas Gesicht hätte besser zu einer erschrockenen Vierjährigen gepasst.

«Pardon», sagte Ronnie und zwinkerte niemand Bestimmtem zu.

Die Beterei war der einzige Teil der Gruppentreffen, mit dem Caroline nichts anfangen konnte.

«Also, Mary, ein Gebet?», fragte Sheena.

«Ihr seid großartig, danke», sagte Mary, und Ronnie streckte ihr die Daumen entgegen.

 

Als die Runde sich auflöste, steuerte Caroline auf den Kaffeetisch zu. Direkt vor ihr stand das Trampeltier.

«Nimmst du Milch?», fragte Ronnie und drehte sich zu ihr um.

«Nein. Danke.»

Ronnie schenkte zwei Becher Kaffee ein und reichte Caroline einen davon.

«Das mit deinem Hund tut mir leid. Ich hatte nie einen, ich fand Hunde schon immer ein bisschen nervig. Aber das sind Kinder schließlich auch, es sei denn …» Sie verstummte.

Caroline entspannte sich ein bisschen. «Ich weiß, was du meinst. Ich wusste früher auch nie genau, ob ich welche will, aber irgendwann war’s dann klar. Als sich rausstellte, dass ich keine kriegen kann, wollte ich plötzlich nichts anderes mehr.»

«Das ist doch Scheiße.»

«Ja. Ist es.»

«Ich will nicht unsensibel sein, und ich weiß, dass ich das manchmal sein kann, also bitte verzeih mir, aber wenn du wieder bereit dazu bist, da draußen gibt es jede Menge Hunde, die gerettet werden müssen. Du siehst aus, als hättest du eine Menge Liebe zu geben.»

Caroline schluckte die Tränen herunter. «Du bist gar nicht so eine trampelige Kuh, wie ich anfangs dachte.»

Ronnie schien ein bisschen geschockt, aber dann grinste sie.

«Danke. Und abgesehen von deinem Gejammer über einen toten Hund im Beisein einer Frau, die eine Mole namens Derek verloren hat, bist du auch gar keine ganz so schlimme Zimtzicke, wie ich am Anfang dachte.»

Caroline kicherte. «Guter Punkt.»

Ronnie hielt ihr den Becher hin, und Caroline stieß mit ihr an.

«Hat hier noch irgendwer ein bisschen Sinn für Humor, oder geht es bei euch immer so ernst zu?»

«Nicht dass ich wüsste.»

«Ich wette, Janet hat’s faustdick hinter den Ohren. Wenn sie nur den Mund aufkriegte.»

Caroline versuchte zu lächeln. Ronnie wurde ihr langsam tatsächlich sympathisch, aber sie musste trotzdem nach Hause. Ihre Hände fingen an zu zittern, und ihre Knie waren kurz davor, ihr den Dienst zu versagen.

Ronnie musterte sie von oben bis unten. «Geh nach Hause», sagte sie. «Bevor du uns zusammenbrichst.»

Caroline nickte. Sie stellte den halb vollen Becher zurück auf den Kaffeetisch. «War schön, dich kennenzulernen.»

«Ja. Ebenso.»

 

Später lag Caroline in Dunkelheit gehüllt still in ihrer Badewanne, den Blick auf eine flackernde Kerze gerichtet. Sie hatte Schmerztabletten genommen, um an dem Treffen teilnehmen zu können. Sie war zwar nicht ganz schmerzfrei, aber es ging ihr gut, die Wirklichkeit kam ihr an den Rändern ein bisschen ausgefranst vor. Ihr Gesicht spannte – die aufgetragene Pflegemaske wurde langsam trocken –, und in den kurzen schwarzen Bob war eine Haarkur geknetet. Sie lauschte der Stille und saugte die Leere des Badezimmers in sich auf.

Dave hat mich verlassen.

Sie hatte es versprochen – nach anstrengenden Operationen, nach quälenden Runden IVF, nach Hormonkuren und bitteren Enttäuschungen hatte sie ihm versprochen, dass das Thema endgültig erledigt war.

Sie hatte gelogen.

Caroline hatte sich alle Mühe gegeben, ihren Traum, Mutter zu sein, loszulassen, und hätten sie und Dave allein in einer Blase gelebt, wäre ihr das vielleicht sogar gelungen. Aber bei jeder freudigen Verkündung von Freunden und Verwandten, die ein Kind erwarteten, fiel es ihr schwerer zu lächeln. Der endlose Babytalk und das alberne Nachgeplapper all der ach so amüsanten Dinge, die die lieben Kleinen mal wieder von sich gegeben hatten, sorgten dafür, dass Caroline nur noch schreien wollte. Irgendwann gab es die eine Kindergeschichte, die das Fass endgültig zum Überlaufen brachte, und Caroline wurde klar, dass ihr scheißegal war, ob Klein Tommy schon aufs Töpfchen ging und sie nie kapieren würde, warum man zehn Minuten brauchte, um eine Geschichte zu erzählen, die damit endete, dass ein Kleinkind in einen Plastikpott kackte. Im Laufe der Jahre verwandelte sich ihre Eifersucht in gelangweilte Gleichgültigkeit oder Abneigung, und irgendwann konnte sie mit ihren alten Freundinnen nichts mehr anfangen. Die meisten Freundschaften verliefen im Sande.

Was die Beziehung zu ihren Schwestern betraf, war es noch schlimmer. Die hatten irgendwann die Strategie entwickelt, ihre Schwangerschaften so lange wie möglich vor Caroline geheim zu halten. Erst wenn es sich dann endgültig nicht mehr verbergen ließ, gestanden sie ihr, was für jeden Straßenköter längst offensichtlich war. Die große Verkündung fand üblicherweise beim Sonntagsbraten im Haus ihrer Mutter statt und hatte immer etwas Gönnerhaftes an sich. «Wir wussten einfach nicht, wie wir es dir sagen sollten …»

Michelle zum Beispiel, ihre jüngere Schwester, war immer nervöser geworden und hatte schließlich angefangen zu stammeln: «Ich meine, wir hatten gerade erst angefangen, es zu probieren. Ich habe jahrelang die Pille genommen und …», ehe ihre Mutter laut hüstelte und den Kopf schüttelte.

Caroline war tierisch genervt. Es stand ihr nicht zu, aber sie konnte es nicht ändern. Anstatt sich für ihre Schwester zu freuen, hatte sie nur Wut verspürt, während Michelle sich unnötig schuldig fühlte. Michelles Schwangerschaft belastete ihre Beziehung. Als das Baby dann auf der Welt war, drifteten sie noch weiter auseinander. Caroline sah ihren Neffen, der inzwischen vier war, so gut wie nie. Das Verhältnis zu ihrer anderen Schwester, Lisa, war ein bisschen besser. Sie hatte drei Kinder und lebte in Cork, was es einfacher machte, wenigstens hin und wieder zu telefonieren und in der endlosen Flut von Familienfotos ab und zu auf «gefällt mir» zu klicken.

Schließlich hatte sie sich so weit isoliert, dass Dave und Bruno am Ende alles waren, was sie außer ihren Eltern und ihrer Arbeit noch hatte. Die Gruppentreffen halfen ihr. Diese Frauen waren zwar kein Ersatz für verlorene Freundschaften, aber es war schön, Menschen zum Reden zu haben, die nachempfinden konnten, wie es ihr ging.

Trotz all des Stresses war Caroline in der Lage, an ihrem guten Job als Prozessanwältin in einer großen Dubliner Kanzlei festzuhalten. Sie hatte sich auf Vertragsrecht spezialisiert. Ihre Chefinnen räumten ihr die Möglichkeit ein, in Ausnahmefällen von zu Hause aus zu arbeiten, was ihr dank der Unterstützung ihrer wunderbaren Assistentin Nuala auch gelang. Egal, wie schlecht es ihr auch gehen mochte, vollgepumpt mit Schmerzmitteln, in der sicheren Umgebung ihres eigenen Bettes und umringt von Wärmflaschen, bekam sie alles hin. In fünfzehn Kanzleijahren hatte Caroline nur ein einziges Schlichtungsgespräch verpasst und noch nie einen Gerichtstermin. Ihr Job erfüllte sie zwar längst nicht mehr, aber das Gehalt und die Zulagen sprachen unbestreitbar für sich.

Sie hätte Daves Haltung respektieren müssen. Sie hatten genug durchgemacht.

Aber es ging einfach nicht. Was, wenn … Was, wenn jetzt der richtige Zeitpunkt für uns ist? Was, wenn unser Kind nur darauf wartet, geboren zu werden? Was, wenn …

Doch ihr Mann hatte von Was-wenns endgültig die Nase voll gehabt, und sie hatte es versprochen, und sie hatte gelogen.

Er hatte genug …

Die Luft im Bad fühlte sich stickig an.

Stumm, ohne ein einziges Geräusch, fing Caroline wieder an zu weinen, und der Tränenfluss durchweichte die getrocknete Schlammmaske auf ihrem Gesicht.

Endgültig …

Sie blieb in der Wanne liegen, bis das Wasser so kalt geworden war, dass die unzähligen Narben und Brandflecken von viel zu heißen Wärmflaschen auf dem geschwollenen Bauch hervortraten, rot und wund. Ihr tat immer noch alles weh, und ihre Beine wurden blau.

Was hab ich nur getan?

Die Geschichte von der traurigen Siobhan

Catherine

Justin und ich unterhielten uns fast die ganze restliche Woche durch die Lücken im Netz, das den Schulzaun verhängte. Die Gespräche waren immer nur kurz, aber sie reichten, um mich davon zu überzeugen, dass Justin der wichtigste Mensch auf der Welt war. Wir saßen da, zwischen uns der Zaun. Ich stellte mir vor, dass unsere Rücken sich berührten, und in mir bitzelte es vor Aufregung. Er wollte am Trinity College Jura studieren und Richter werden wie sein Dad. Ich wollte drei Kinder.

«Ich will auch, dass du drei Kinder hast», sagte er, und ich wäre fast gestorben vor Glück.

In der zweiten Woche trafen wir uns zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht und gingen zusammen ins Kino. Es war nur ein dunkles, eiskaltes, runtergekommenes Loch, aber wir saßen nebeneinander und hielten Händchen. Trotz des Modergeruchs und obwohl es vielleicht sogar Ratten gab, war ich im siebten Himmel.

«Darf ich dich küssen?», fragte Justin.

Ich danke dir, heiliger Sankt Judas Thaddäus der hoffnungslosen Fälle und ausweglosen Situationen …

Ich nickte, er küsste mich sanft, und in mir fing es an zu rieseln. Es fühlte sich so schön an, dass ich dachte, ich müsste mich übergeben.

Nicht spucken, nur bitte nicht spucken.

Danach küssten wir uns oft, und eines Tages legte er mir dabei die Hand auf den Busen – über der Bluse, über dem Strickpullover und meinem dämlichen dicken Dufflecoat, aber ich konnte es trotzdem fühlen. Ich küsste ihn heftiger, und dann war er plötzlich auf mir, und ich bekam einen Schreck, weil er so breit war und so schwer, und schubste ihn von mir runter.

«Entschuldige», sagte er und klopfte sich ab. «Ich konnte mich nicht mehr bremsen.»

«Ja», sagte ich und zupfte an meinen Anziehsachen. «Ich mich auch nicht.»

Ich lächelte ihn an, um ihm zu zeigen, dass es mir gut ging und alles wunderbar in Ordnung war. Ich wollte nicht, dass er schlecht von mir dachte, dass er mich für eine hielt, die leicht zu haben war. Ich wollte, dass er für mich dasselbe empfand wie ich für ihn. Pure Liebe.

«Das ist nicht schlimm. Sobald wir mit der Schule fertig sind, heiraten wir», sagte er, und ich dachte, ich würde vor Schreck einen Herzinfarkt kriegen.

Damals neigte ich zu Pathos. Justin O’Hallorans Ehefrau. Catherine O’Halloran! Nein, Mrs Catherine O’Halloran, oder Mrs Justin O’Halloran. Mutter der drei kleinen O’Hallorans! Meine Knie waren weich wie Gummi, und ich war froh, dass ich saß.

Schließlich kam ich wieder ein bisschen zur Vernunft, ehe mir endgültig sämtliche Gedanken zum Kopf rausflogen. Er war siebzehn und machte in diesem Jahr seinen Schulabschluss. Ich war fünfzehn und würde noch zwei weitere Jahre zur Schule gehen.

«Aber du gehst ans College und studierst Jura, und ich werde auf einem Schweinehof arbeiten.»

«Ich komme an den Wochenenden nach Hause. Außerdem werde ich in einem halben Jahr achtzehn, und dann kann mir niemand mehr sagen, was ich tun soll.»

Er klang so selbstsicher, dass ich ihm glaubte.

«Ich liebe dich, Justin», sagte ich. Und ich meinte es auch so.

«Ich liebe dich auch, Catherine.»

Und vielleicht meinte er es auch so – wenigstens in dem Moment.

 

Rose, meine beste Freundin, versuchte, mich zu warnen. «Lass dich nicht zu sehr mitreißen, Catherine», sagte sie zu mir, aber ich war gar nicht in der Lage, ihr zuzuhören. Sie redete nie schlecht über ihn, weil sie wusste, was ich für ihn empfand, aber sie ermahnte mich, vorsichtig zu sein. Sie sagte nicht, dass wir nicht zueinanderpassten oder dass ich in einer Traumwelt lebte. Sie wollte, dass ich glücklich war – aber sie sah auch, was ich nicht sehen konnte: dass ich für Justin O’Halloran niemals genug sein würde.

Geduldig hörte sie sich meine Tagträume über unsere Zukunft an und die albernen Geschichten über die belanglosen Kinkerlitzchen, die Justin sagte oder tat. Und in ihrem Zimmer, bei lauter Musik, damit ihre Mutter uns nicht hörte, erzählte ich ihr von den Küssen und den Berührungen. Sie wollte alles ganz genau wissen, aber gleichzeitig hatte sie Angst.

«Tu nichts, was du hinterher bereust, Catherine.»

«Mach ich nicht.»

«Du musst nein sagen.» Sie flüsterte, obwohl Eric Claptons I Shot The Sheriff durchs Zimmer dröhnte.

«Ich bin fünfzehn», sagte ich.

Ich bin mir nicht sicher, ob auch nur eine von uns wirklich wusste, wovon wir redeten. Außerdem gab es einen Teil in mir, dem klar war, dass ich alles tun würde, was Justin von mir verlangte. Davor hatte ich Angst. Ich durfte nicht riskieren, ihn zu verlieren, und ich wusste, dass ich auf einem sehr schmalen Grat unterwegs war. Aber ich hatte keine Ahnung, wo dieser Grat anfing oder endete.

«Oder willst du etwa enden wie die traurige Siobhan?», sagte Rose.

Wir alle kannten Geschichten von jungen Mädchen, die aus Städten und Vororten verschwunden waren, überall in Irland, ohne wirkliche Erklärung, im Schlepptau eine Spur aus geflüsterten Gerüchten und Angst. Auch in unserer Heimatstadt hatte es so ein Mädchen gegeben. Sie war eines Tages verschwunden, vor etwa zwanzig Jahren, damals war sie sechzehn. Sie gehörte zu den Burkes, und ihr Name lautete Siobhan.

Die Familie verriet nie, wohin sie gegangen war, aber hinter vorgehaltener Hand hieß es, sie hätte sich in andere Umstände gebracht – so wurde das damals genannt, sie hat sich in andere Umstände gebracht –, als wäre so was möglich, allein. Wenn es um Sex ging, waren Frauen Sünderinnen, und Männer wurden nicht nur von jeder Sünde freigesprochen, sondern fehlten vollkommen in dem Narrativ. Sie hatte sich in andere Umstände gebracht. Es hieß, Siobhans Eltern hätten sie weggeschickt, in ein Mutter-Kind-Heim.

Was in diesen Einrichtungen passierte, wusste niemand so genau, aber Theorien gab es viele, und sie waren alle gespickt mit Horror und Schrecken. Das Einzige, was wir sicher wussten, war, dass die Mädchen, die an solchen Orten landeten, Mädchen waren, die es zu meiden galt. Wer hinter jenen Mauern landete, verschwand von der Bildfläche, und das war auch gut so. Diese Mädchen waren gefallene Frauen, ein Schandfleck für Familien und Gemeinden. Wir stellten das ebenso wenig infrage wie Sonnenauf- oder -untergang. Es war nun mal so.

Viele Jahre später kehrte die arme Siobhan nach Hause zurück, und alle, die sie von früher kannten, sagten, sie hätte sich völlig verändert. Sie war nur noch Haut und Knochen, sie ging gebeugt, mit gesenktem Kopf, den Blick zu Boden gerichtet, die rauen Hände immer fest vor dem Bauch verschränkt. Sie mied jeden Blickkontakt und war so gut wie stumm. Das Reden übernahm ihre Mutter für sie. Sie war immer sauber und ordentlich und trug Kleider, für die sie eigentlich noch viel zu jung war. Als ich alt genug war, um sie zu bemerken, war sie seit mindestens zehn Jahren wieder zu Hause. Sie hieß bei allen nur die traurige Siobhan. Sie war noch nicht mal vierzig, aber sie hätte ebenso gut hundert sein können. Für uns war sie nicht einmal wirklich ein Mensch, eher die kaputte Puppe ihrer Mutter.

 

Zwei Tage vor dem Silvesterball wurde ich sechzehn Jahre alt. Mami hatte wunderschöne, crèmefarbene Seide gekauft, ihre alte Nähmaschine hervorgeholt und sich an dem Schnittmuster orientiert, das wir zusammen ausgesucht hatten. In nur einer Woche nähte sie mir das schönste Kleid, das ich je gesehen hatte. Der Saum war nicht ganz gerade und der Ausschnitt ein bisschen zu eng, aber es war trotzdem das Kostbarste, das ich besaß. Ich betrachtete mein Spiegelbild und stellte mir vor, seine Braut zu sein. Mrs Justin O’Halloran.

An unserer Schule fand in jedem Jahr ein Silvesterball statt, und ich war erst ein einziges Mal dabei gewesen. Ich hatte es geliebt. Der Ball ging bis Mitternacht, und als es zwölf schlug, fingen alle an zu jubeln und zu johlen und sangen stehend die Nationalhymne, ehe die Nonnen in ihre Trillerpfeifen bliesen und uns aus dem Gebäude geleiteten. Manche von uns stiegen in Busse und andere in die Autos von Eltern, die ihre eigenen Silvesterpartys verlassen hatten, um ihre Kinder nach Hause zu bringen. Die aus der Stadt gingen zu Fuß. Nachts zusammen nach Hause zu laufen, unterm Sternenhimmel, und dabei zu reden, war noch schöner gewesen als der Ball an sich.

Meinen sechzehnten Geburtstag verbrachte ich mit dem Wunsch, er möge endlich vorbeigehen, obwohl meine Familie ein Riesentrara um mich machte. Während ich den Schokoladenkuchen meiner Mutter verputzte, konnte ich an nichts anderes denken, als dass ich in zwei Tagen in Justins Armen liegen und mit ihm tanzen würde, vor den Augen meiner Freundinnen und vor der ganzen Schule.

An dem Abend trug ich mein wunderbar schief vernähtes Kleid, und als er mich sah, lächelte er sein wunderschönes, strahlendes Lächeln, und mein Herz schmolz. Ich tanzte in seinen Armen, und im Bruchteil einer Sekunde hatte der Saal mit allen, die darin waren, sich aufgelöst.

«Justin O’Halloran, halten Sie Abstand zu dem Mädchen!» Schwester Joan holte mich in die Wirklichkeit zurück. «Ich möchte zwischen Ihnen beiden mindestens fünf Zentimeter Abstand sehen, und zwar jederzeit.»

Sie zerrte uns unsanft auseinander, aber sowie sie uns den Rücken zugekehrt hatte, verschmolzen unsere Hüften und Brustkörbe und Wangen, und wir tanzten zu Franky Vallis Can’t Take My Eyes Off You und At Last von Etta James. Als es schneller wurde, bei Help von den Beatles oder Satisfaction von den Rolling Stones, setzten Justin und ich uns auf zwei Holzstühle, tranken Limonade und hielten Händchen. Wenn die Nonnen gerade nicht hinsahen, legte ich den Kopf auf seine Schulter.

Mrs Justin O’Halloran.

Ich sah Rose und meinen anderen Freundinnen beim Tanzen zu, sie kicherten und lachten. Rose kam zu uns rüber, um mich mit dazuzuholen.

«Geh nur», sagte Justin, und ich wollte eigentlich nicht, aber dann stand er auf und ging zu seinen Freunden.

Ich tanzte zwei Songs lang mit Rose und den anderen und beobachtete ihn dabei die ganze Zeit über Roses Schulter. Ich vermisste ihn, obwohl er nur ein paar Meter weit weg war.

«Ich vermisse dich», schrie Rose mir ins Ohr.

«Ich bin doch hier!»

«Wirklich?», fragte sie, und die Frage traf mich.

«Ich geb mein Bestes.» Plötzlich war ich sauer. Wieso kann sie sich nicht einfach für mich freuen?

«Er ist nicht der Mittelpunkt des Universums», sagte sie, und ich ließ sie stehen, weil er für mich genau das war.

Während meine Freundinnen tanzten und tratschten und kicherten, saß ich bei Justin und sah den wirbelnden Lichtern zu und dem Discjockey, der auf der Bühne des Schulsaals eine Nummer nach der anderen auflegte.

Später, als die Nonnen versuchten, uns auseinanderzutreiben, machten wir uns auf den Heimweg. Am Anfang waren wir noch Teil einer größeren Gruppe, Justins Freunde und meine, und es wurde geredet und rumgealbert. Manche ließen Zigaretten rumgehen, und andere tranken aus geschmuggelten Schnapsflaschen, die sie extra entlang der Strecke versteckt hatten, aber allmählich verabschiedete sich einer nach dem anderen, bis wir schließlich allein waren.

Arm in Arm gingen wir weiter, gegen die beißende Kälte eng aneinandergekuschelt. Die Sterne und der Nachthimmel versteckten sich hinter einer dicken Nebelschicht.

Halb erfroren blieben wir vor dem Haus seiner Großmutter stehen. Das Haus war umwerfend, es stand auf einem Hügel und überblickte die ganze Stadt. Justins Großmutter war vor vier Monaten gestorben, und das Haus stand leer.

«Es ist einfach gigantisch», sagte ich. Ich hatte dieses Haus immer schon geliebt.

«Ja, ist ganz nett.»

«Es ist mehr als nett – es ist ein Traum.» Ich grinste.

Das Gebäude hatte beeindruckende Mauern aus Stein, eine massive Haustür und große, holzgerahmte Fenster. Es war quadratisch und stand allein. Es war wunderschön.

«Möchtest du es von innen sehen?», fragte er.

Ich zögerte. Ich hatte mich schon immer gefragt, wie dieses Haus wohl von innen aussah, aber ich hatte auch Angst. Es war mitten in der Nacht. Wir waren allein. Ich wollte dringend aus der Kälte, und ich war auch aufgeregt, aber gleichzeitig wusste ich, dass ich nach Hause sollte. Was, wenn Mommy und Daddy noch wach sind? Sie werden mich vermissen.

«Komm schon», sagte er und zog unter einem Blumentopf den Hausschlüssel hervor. «Wahrscheinlich erbe ich es sowieso, und dann ist es schließlich eines Tages vielleicht deins.»

Heiliger Sankt Judas!

Damit hatte er mich am Haken. Ich folgte ihm in die riesige Eingangshalle. Er zog ein Päckchen Streichhölzer aus der Tasche und zündete eine Kerze an.

«Der Strom wurde abgestellt.»

«Das gefällt mir. Ich find’s romantisch.»

Und das war es auch. Zwei hormongebeutelte Teenager, allein in einem von Kerzen beleuchteten, alten Herrenhaus, verliebt, mit Genitalien, die lichterloh in Flammen standen. In der Situation wäre auch ein einzelnes Streichholz in einer Fledermaushöhle romantisch gewesen.

Er führte mich herum. Zuerst zeigte er mir das große, alte Wohnzimmer, wo die Möbel unter weißen Laken verborgen standen. Als Nächstes die Küche – die war weniger schön, als ich erwartet hatte, aber ich wusste sofort, was es brauchen würde, um sie wohnlicher zu gestalten. Dann fing er an, die große Freitreppe hinaufzugehen, und ich blieb zögernd unten stehen. Nur einen Moment. Kann ich ihm vertrauen? Kann ich mir vertrauen? Dabei wusste ich im Grunde weder, was von mir erwartet würde, noch, was alles passieren mochte. Ich wusste nur, wenn zwei Menschen «sich liebten», dann bekamen sie Kinder.

Justin drehte sich zu mir um, und seine Augen sahen im Kerzenschein aus, als würde er zwinkern. Als er mir die Hand hinstreckte, ließ ich meine Sorgen los und griff danach.

Er führte mich in ein großes Schlafzimmer im ersten Stock. Darin stand ein riesiges Bett voller Kissen und Decken.

Er setzte sich. «Gefällt’s dir?»

«Es ist genauso, wie ich es mir vorgestellt habe.»

«Gut.» Er lächelte. «Du hast nur das Beste verdient.»

Er zog mich in seine Arme, und wir fingen an, uns zu küssen. Es fühlte sich unglaublich gut an. Das weiche Bett schien uns förmlich willkommen zu heißen. Er öffnete den Reißverschluss meines Kleids und streifte die Träger von Unterrock und BH herunter. Plötzlich spürte ich einen Hauch Kälte an meinen Brüsten – aber nicht sehr lang, denn schon hielt er sie in seinen Händen, und es fühlte sich seltsam an, aber auch fantastisch.

Er bewegte sich untenrum, rieb sich an mir, und die Reibung machte etwas mit mir – es war aufregend, regelrecht elektrisierend, und ich schwöre, ich wollte nicht, dass er jemals wieder damit aufhörte. Ich wand mich unter der Wölbung in seiner Hose, und dann, ganz instinktiv, fasste ich zu seinem Reißverschluss, öffnete den Hosenstall und befreite die Wölbung. Und dann sprang dieses Ding mich plötzlich an, im Ernst, völlig aus dem Nichts. Ich erschrak fast zu Tode, aber schon zog Justin mir das Höschen runter, und ehe ich wusste, wie mir geschah, rutschte das Ding auch schon in mich hinein. Keine Fummelei, kein Rumgemache – eben noch hatte es sich aus seiner Hose rausgedrängelt, und eine Sekunde später war es in mir drin.

Am Anfang tat es ein bisschen weh, als hätte jemand mich gezwickt, dann spürte ich plötzlich, wie es feucht wurde. Ich hoffte inständig, dass ich ihn nicht angepinkelt hatte. Das wäre fürchterlich peinlich gewesen. Aber als er anfing, sich in mir zu bewegen, war diese Sorge schnell vergessen. Es tat noch ein bisschen mehr weh, dann plötzlich gar nicht mehr. Und dann war ich auf einmal oben, saß auf ihm und ritt ihn wie ein Pony. Es fühlte sich unfassbar gut an, ich wollte, dass es nie wieder aufhörte.

Was es aber tat, und zwar ziemlich schnell. Das Ding spuckte in mir drin etwas Warmes, Klebriges aus und fiel in sich zusammen wie ein nasser Lumpen. Oh! Ich blieb noch ein, zwei Momente auf ihm sitzen, unsicher, was ich tun sollte. Plötzlich wurde mir bewusst, dass meine Brüste zu sehen waren. Ich verschränkte die Arme, um sie zu bedecken, und sah mich hektisch in dem Zimmer um, wartete auf den richtigen Augenblick, um mich aus dieser peinlichen Lage zu befreien.

Er sah zu mir hoch und lachte. «Was tust du denn?»

«Das Zimmer bewundern», sagte ich, und das war nur halb gelogen. Ich bewunderte das Zimmer, aber gleichzeitig kämpfte ich gegen den Drang zu weinen. Ich wusste selbst nicht, warum.

«Willst du dich zu mir legen?»

«Ja bitte.»

Ich kletterte von ihm runter, und dann lag ich da und schaute an die Decke. Er angelte sich eine Zigarette aus seiner Jacke, zündete sie an und inhalierte. Ich mochte den Geruch von brennenden Zigaretten, auch wenn ich noch nie eine probiert hatte. Daddy sagte immer, wer Zigaretten raucht, der kann genauso gut gleich Geld verbrennen.

Beim Gedanken an meinen Vater schnürte sich mir der Magen zusammen. Ich musste nach Hause, und gleichzeitig wollte ich bei Justin bleiben.

«War’s schön?», fragte er nach ein paar Zügen.

«Ja. Und für dich?»

«Ja. Können wir das wieder tun?»

«Ich weiß es nicht», sagte ich. «Wir müssen aufpassen.»

Er drehte sich zu mir und sah mich an. «Wir heiraten doch sowieso, oder, Catherine?»

«Ja, ich weiß, aber …»

«Sobald ich mit dem College fertig bin, heiraten wir.»

«Aber bis dahin sind es noch dreieinhalb Jahre.»

Er lächelte. «Ich komme jedes Wochenende nach Hause, und du kommst mich in Dublin besuchen. Ich werde bei meiner Tante wohnen. Sie hat ein riesiges Haus an der South Circular Road mit einer großen roten Tür. Das kannst du gar nicht verfehlen.»

«Als würde deine Tante mich bei sich wohnen lassen.»

«Die wird gar nicht merken, dass du da bist – ich kann dich rein- und wieder rausschmuggeln, wann immer ich will.»

«Woher weißt du das?»

«Weil mein Bruder David das die ganzen drei Jahre, als er bei ihr war, genauso gemacht hat. Das Haus ist so groß, dass er sie kaum einmal in der Woche gesehen hat.»

«Aber was ist mit meinen Eltern? Die werden nicht wollen, dass ich nach Dublin fahre.»

«Das klappt, versprochen.» Er küsste mich leidenschaftlich, und ich glaubte ihm jedes Wort.

Zweites KapitelNatalie

Natalie mochte die Treffen. Sie lachte gern, und «Derek» hatte sie eine ganze Weile zum Grinsen gebracht. Trotzdem musste sie auf der Busfahrt nach Hause daran denken, was die arme Janet durchgemacht hatte. Ihr schauderte bei dem Gedanken.