Warum die Sache schiefgeht - Karen Duve - E-Book

Warum die Sache schiefgeht E-Book

Karen Duve

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Beschreibung

Karen Duves furioser Essay über eine Menschheit, die dabei ist, sich selbst abzuschaffen. Ohne Frage: Wir stehen näher am globalen Kollaps als die meisten glauben. Weiteres Wirtschaftswachstum wird in den nächsten Jahren vielleicht noch zu mehr Wohlstand führen, längerfristig aber nur zu mehr Müll, mehr Hunger, mehr Tornados, mehr Dürrekatastrophen und mehr Überschwemmungen. Sehr viel mehr Überschwemmungen.Überleben ODER Beibehaltung des jetzigen Lebensstils – das ist der Entscheidungsradius, in dem wir uns bewegen. Schade nur, dass in Politik und Wirtschaft immer noch meist diejenigen das Sagen haben, die am allerwenigsten dazu geeignet sind. In ihre Positionen sind sie gekommen, weil sie Eigenschaften besitzen, die sich bei genauerer Betrachtung auch für eine Verbrecherlauf bahn eignen: Knallhartes Durchsetzungsvermögen, Risikobereitschaft, Selbstvertrauen und unbegrenzte Einsatzbereitschaft. Nette, verantwortungsvolle und sozial funktionierende Menschen schaffen es meist gar nicht erst bis in die Führungsetagen. Das ist ein Problem.Solange der technische Fortschritt und das Bankenwesen bloß ein überschaubares Maß an destruktiven Möglichkeiten boten, war es ein überschaubares Problem. In Zeiten von Klimawandel, Artensterben, Atombomben, Überbevölkerung, multiresistenten Keimen und unregulierten Finanzmärkten ist es eine Katastrophe.Karen Duve haut auf den Tisch und ihrem Leser die Fakten um die Ohren, die nicht nur zeigen, wie viel mehr in der hunderttausendjährigen Menschheitsgeschichte drin gewesen wäre, sondern auch, dass kurz vor zwölf endlich mal die anderen dran sein sollten.

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Seitenzahl: 145

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Karen Duve

Warum die Sache schiefgeht

Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Karen Duve

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

EinleitungEinsatzbereitschaftRisikobereitschaftSelbstvertrauenDurchsetzungsvermögenFrauen?Sintflut!Literaturverzeichnis
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Einleitung

Einige Forscher behaupten, wir könnten nicht anders. Uns bliebe gar nichts übrig, als widerstandslos in den Untergang zu schliddern. Das menschliche Gehirn sei eben nicht dafür ausgelegt, eine langfristige, noch nie da gewesene Katastrophe zu begreifen. Zudem nähre unser weiterhin komfortabler Lebensstil die Illusion, es sei doch eigentlich gar nichts los. Tatsächlich? Sind die Überschwemmungen noch nicht hoch genug, die Stürme nicht verheerend genug gewesen? Stand nicht in allen Zeitungen, dass die 22 wärmsten Jahre seit der Klimadokumentation in der Zeit nach 1980 gemessen worden sind?[1] Hat das etwa keiner mitgekriegt, dass Dörfer im Himalaya wegen Wassermangel durch Gletscherschwund aufgegeben werden müssen, während man überlegt, Dörfer in Italien aufzugeben, weil sie regelmäßig überschwemmt werden? Ist es denn völlig unerheblich, wenn der UN-Klimarat und der Club of Rome mit einer alarmierenden Studie nach der anderen darauf hinweisen, dass das Ausbleiben von konsequenten Maßnahmen – und zwar sofort, jetzt gleich, nicht erst in 20 Jahren! – die Menschheit unweigerlich in eine Katastrophe führen wird?

Wenn wir tatsächlich zu arglos sind, um uns das kommende Szenario auszumalen, warum werden dann inzwischen Reissorten entwickelt, die mehrere Überschwemmungen überstehen und es länger als 2 Wochen unter Wasser aushalten können? Warum plant man um Manhattan Flutschutzzonen mit Fahrradwegen auf Stelzen, warum konstruiert man an den niederländischen Küsten schwimmende Häuser und ganze Siedlungen? Kriegt man es an den Börsen etwa nicht mit, wenn Länder ihren Reis nicht mehr verkaufen, weil sie Angst vor Engpässen haben? Dass China in großem Stil Land in Afrika aufgekauft hat? Oder dass Indien die Grenze zu Bangladesch mit einer 4000 km langen Hochsicherheitsanlage befestigt hat? Offiziell wegen islamistischer Terroristen. Aber wenn im Jahr 2050 10 % der Landfläche Bangladeschs verschwunden sein werden und 5,5 Millionen Direktbetroffene sich aufgemacht haben, eine neue Heimat zu finden, wird dieser Zaun gewiss noch einmal von Nutzen sein. Fällt es denn wirklich niemandem auf, wenn die Tagesschau an 365 Tagen im Jahr Naturkatastrophen meldet, manchmal auch gleich zwei oder drei an einem Tag, und dass dabei immer wieder Superlative verwendet werden: die höchste Überschwemmung seit Beginn der Aufzeichnungen, wärmster Märztag aller Zeiten, schlimmster Sturm seit 60 Jahren, obwohl schon im letzten Jahr und in den Jahren davor laufend neue Wetterrekorde verkündet wurden? Allein 2013 waren es 880 Naturkatastrophen. Versicherungen in Deutschland mussten 7 Milliarden Euro für Schäden durch Sturm, Hagel und Flut ausgeben. In Australien haben bereits mehrere Agenturen angekündigt, für bestimmte Gebiete keine Immobilien-Versicherungen mehr anzubieten. Und die, die es noch tun, verlangen horrende Beiträge. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungen (GDV) warnt seine Mitglieder vor einer Häufung von Wetterkatastrophen, die in den nächsten Jahrzehnten auf sie zukommen. Die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC rät, bei langfristigen Investments – zum Beispiel in die Infrastruktur in küstennahe oder niedrig gelegene Regionen – »von pessimistischen Klimaszenarien auszugehen«. Vor allem Branchen mit hoher Abhängigkeit von Wasser und Energie seien damit gut beraten.

Alle, die es wissen wollen, wissen sehr gut, was da auf uns zukommt.

Weiteres Wirtschaftswachstum wird nur noch sehr kurzfristig zu mehr Wohlstand führen, längerfristig aber bloß noch zu mehr Klimaerwärmung, mehr Müll, mehr Hunger, mehr Dürrekatastrophen, mehr Waldbränden und mehr Überschwemmungen. Sehr viel mehr Überschwemmungen. Da sind sich die Wissenschaftler inzwischen einig.

Die Mächtigen und Einflussreichen dieser Welt sind sich ebenfalls einig, und tun – nichts. Vor die Aufgabe gestellt, zwischen dem Überleben der eigenen Spezies und dem Beibehalten des bisherigen Lebensstils zu wählen, haben sie sich für ihre kapitalistischen Kinkerlitzchen und den Untergang entschieden. Ein Wohlstand, der durch Ausbeutung von kolonialisierten Völkern entstanden ist, soll nun durch Generationenimperialismus – also das Weiterleben wie bisher auf Kosten der eigenen Kinder und Kindeskinder – so lange wie irgend möglich aufrechterhalten werden.

Deren Zukunft sieht düster aus: Die moderne Industriegesellschaft mitsamt ihrer Kultur wird untergehen wie das alte Rom, die Han-Dynastie, die indischen Maurya- und Gupta-Dynastien oder das Maya-Reich.[2] Mit der Hochkultur der Mayas ging es bergab, als für die immer zahlreicher werdende Bevölkerung nicht mehr genug Anbaufläche vorhanden war, um alle zu ernähren. Starke Rodungen hatten zu Bodenerosionen geführt, und was noch übrig geblieben war, war ausgelaugt. Zudem hatten die Rodungen vermutlich eine lokale Klimaveränderung mit verheerenden Dürren ausgelöst. Die Menschheit steht heute einer ganz ähnlichen Situation gegenüber. Nur finden die Veränderungen diesmal auf dem gesamten Planeten statt, und zu Überbevölkerung und Ausbeutung der Ressourcen kommen auch noch Umweltverschmutzung, eine perforierte atmosphärische Schutzschicht, Artensterben und eine Klimaerwärmung von nie gekannter Rasanz. 4 bis 6 Grad werden es bis zum Ende des Jahrhunderts sein, wenn wir weitermachen wie bisher. Bis zu einer Erwärmung von 2 Grad über das vorindustrielle Klima-Niveau[3]hinaus könnte man mit den daraus resultierenden Flutkatastrophen, Dürren, Hungersnöten, Tornadoschäden, Gletscherrückgängen, Ressourcenkonflikten und Flüchtlingsströmen möglicherweise und mit viel Glück noch irgendwie zurechtkommen. Das ist der Grund, warum immer wieder auf dieser 2-Grad-Begrenzung herumgeritten wird.

Was bei einer Erwärmung von 4-6 Grad und damit einem Anstieg des Meeresspiegels um über einen halben Meter auf uns zukommt?

Ein Klima wie in der Dampfsauna, falls es nicht gerade stürmt oder eine monatelange Dürre herrscht, das Versiegen von Flüssen, das Verschwinden von Seen, Überflutungen von Millionenstädten, die rasante Ausbreitung ansteckender Krankheiten, die zuvor nur im tropischen Raum existierten, die völlige Überforderung der Katastrophenschutzorganisationen und der ärztlichen Versorgungseinrichtungen, der Kollaps sozialer Strukturen und rechtsstaatlicher Verhältnisse, die Zerstörung von Infrastrukturen und Sicherungssystemen, dramatische Probleme weltweit bei der Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln, Anstieg der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen religiösen, ethnischen und politischen Gruppen, zwischen Clans, Nachbarn, regionalen Banden oder unterschiedlich gut versorgten Bevölkerungsschichten, Mord und Totschlag, Heulen und Zähneklappern. Die Erwärmung um 2 Grad Celsius mit ihren zarten Vorboten der Apokalypse wird dann bereits 2050 eingetreten sein.

 

In der Tierwelt ist Aussterben nichts Ungewöhnliches. Setzt man in einer Petrischale eine schmutzige Nährlösung an, gedeihen die Bakterien darauf ganz prächtig, vermehren sich und vermehren sich immer weiter, bis sie die ganze Schale füllen. Macht euch die Petrischale untertan! Und dann ist die Nährlösung aufgefressen und die Bakterien gehen allesamt ein. So läuft das. Auch bei größeren Tieren in größeren Habitaten.

Aber gilt das auch für die wunderbar komplexe, soziale und sonderbare Tierart Homo sapiens? Wir formulieren unsere Absichten in Sprache und Schrift, erreichen unsere Ziele mit Autos und befriedigen unsere Wünsche im Internet. Das unterscheidet uns von unseren grunzenden Vettern. Kann unsere Intelligenz, unsere Kultur, unser Wissen uns nicht davor bewahren, den folgenschwersten Fehler unserer Geschichte zu begehen? Anscheinend nicht. Die Erde ist ein gebildeter Stern mit sehr viel Wasserspülung geworden[4], aber davon mal abgesehen und bei Licht betrachtet, sind wir noch immer die alten Affen und unsere moderne Industriegesellschaft ist noch immer eine hierarchisch organisierte Primatengesellschaft, die sich an den jahrtausendealten Schimpansenregeln der Herrschaft und Unterdrückung orientiert. Bestrichen mit der Tünche der Zivilisation, aber letztlich Schimpansenregeln. Das erklärt auch, warum der Ton in den oberen Konzernetagen oft genug noch immer der gleiche ist wie seinerzeit auf den Bäumen.[5]

Man macht schließlich nicht deswegen Karriere, weil man intelligenter, kompetenter oder sozialer als andere ist, sondern weil man gemeiner, gieriger, aggressiver und schamloser ist. Abgesehen davon, dass sich ehrgeizige Egoisten sowieso schon häufiger als andere für Jobs bewerben, die mit Macht und Geld einhergehen, sind die Strukturen und Aufstiegsmuster der gegenwärtigen Politik- und Geschäftswelt solchen Leuten geradezu auf den Leib geschneidert. Personalmanager setzen bei der Einstellung von Trainees zwar immer noch ein Hochschulstudium voraus, aber die Abschlussnote ist längst nicht mehr so wichtig, und welches Fach man denn eigentlich studiert hat, oft sekundär. Selbst das Renommee der besuchten Universität zählt kaum. Ausschlaggebend ist die persönliche Einstellung des Bewerbers, sind Eigenschaften wie Einsatzwille bis zur Selbstaufgabe, Risikobereitschaft, unerschütterliches Selbstvertrauen und Durchsetzungsvermögen. Was uns da seit jeher als klassische Unternehmertugend gepriesen wird, würde sich bei genauer Betrachtung aber auch für eine Verbrecherlaufbahn eignen und ist in Wirklichkeit ein Problem. Solange der technische Fortschritt und das Bankwesen bloß ein überschaubares Maß an destruktiven Möglichkeiten boten, war es ein überschaubares Problem. In Zeiten von Globalisierung, Klimawandel, Überbevölkerung, multiresistenten Keimen, Atombomben und unzureichend regulierten Finanzmärkten ist es eine Katastrophe.

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»Oh, it’s lonely at the top.«

(Randy Newman)

Einsatzbereitschaft

Man muss keine antisoziale Persönlichkeitsstörung haben, um Manager (oder Politiker) zu werden, aber es hat gewisse Vorteile. Für Top-Positionen kommen nämlich nur Bewerber in Frage, die einen 16-stündigen Arbeitstag in Kauf nehmen.[6]Immer bereit »to go the extra-mile«, dürfen sie auch nicht aufmucken, wenn noch am Wochenende zusätzliche Leistung gefordert ist. Womöglich kommen noch ständig wechselnde Einsatz- und Wohnorte hinzu. Anfangs geht es alle paar Wochen in eine andere deutsche Konzernniederlassung, danach sechs Monate Indien und zwei Jahre Nigeria. Das Manager-Berufsethos orientiert sich an den »Gesetzen der italienischen Kreuzung: Wer anhält, verliert sofort die Vorfahrt«.[7] Man muss ein Getriebener sein, um daran Spaß zu haben. Aber wem die Regeln nicht passen, nach denen gespielt wird, der kann ja seinen Ball nehmen und nach Hause gehen. »Probleme, die sich mit Lebenspartnern und deren Karriereplanung ergeben, mit Kindern oder anderen Angehörigen, muss die künftige Führungskraft allein lösen – quasi als Aufgabe eines ›Private Managements‹. Der Erfolg beim Durchsetzen der hierfür gefundenen Strategie gilt im Unternehmen dann als Gradmesser für Führungsqualifikation.«[8] Sprich: Wer seine Ehefrau dazu bringt, auf die Karriere oder gleich ganz auf einen Beruf zu verzichten, und sich auch nicht darum schert, was es für die Kinder bedeutet, schon wieder die Schule zu wechseln und den gesamten Freundeskreis aufzugeben, der hat bei seinen Vorgesetzten schon mal gepunktet. Unser Wirtschaftssystem verlangt von seiner Führungselite, dass es über alle menschlichen Bindungen gestellt wird. Es ist mehr als familienfeindlich. Im Grunde benimmt es sich wie eine fiese Sekte. Dort legt man den frisch rekrutierten Sektenmitgliedern ja auch als Erstes nahe, den Kontakt zu Freunden und Familie abzubrechen. Die Trennung vom sozialen Umfeld sichert die Kontrolle über die Wertvorstellungen und das Selbstbild der Sektenmitglieder bzw. Politiker bzw. Führungseliten. Wer am Familienleben nur noch als Zaungast teilnimmt und »da draußen« keine Freunde mehr hat, die einen daran erinnern, was für eine Pfeife man eigentlich ist, verliert schnell die Bodenhaftung. Es gibt ja nur noch die Sekte/Firma und die eigene Karriere darin, also wird man anfällig, die einseitig verzerrte Sicht auf die Welt zu übernehmen, die man in jener Organisation vorfindet, wo der gedankliche und emotionale Austausch fast ausschließlich stattfindet. Banker und Manager entwickeln eigene Verhaltensweisen, eigene Codes, eine eigene Sprache, eigene Lebensräume. Letztlich werden dadurch auch Firmen und ganze Branchen zu Glaubensgemeinschaften. Wer erst einmal zum Inner Circle gehört, dem erscheinen die Meinungen und Einwände Uneingeweihter unendlich nebensächlich. Von solchen Führungskräften muss man nicht befürchten, dass sie bei ökologisch heiklen, aber ökonomisch vielversprechenden Projekten Solidarität mit den von ihrem Projekt betroffenen Menschen empfinden. Warum sollte jemand, der sich der Macht und des Geldes wegen von der Gesellschaft getrennt hat und in völlig anderen Sphären über ihr schwebt, sich großartig für das Wohl dieser Gesellschaft interessieren oder sich ihren Werten und Gesetzen verpflichtet fühlen?

Weil ein normaler, sozial funktionierender Mensch bestimmte Grundsätze und Regeln verinnerlicht hat?

Das ist richtig, aber sozial intakte Menschen wird man in den Führungsetagen nicht so oft finden. Solche Leute hegen nämlich im Allgemeinen eine starke Abneigung gegen die Vorstellung, dass das Leben nur noch aus Arbeit besteht. Kluge, kompetente und verantwortungsvolle Menschen, die Rücksicht auf die Karriereplanung ihres Lebensgefährten oder ihrer Lebensgefährtin nehmen wollen, Wert auf ein Familienleben und Freunde legen, gern mal ein gutes Buch lesen oder ein weitgefächertes Interessengebiet behalten möchten, werden bei den Stellenvergaben als wenig engagiert und unbeweglich von vorneherein aussortiert. Übrig bleiben diejenigen, denen familiäre und freundschaftliche Bindungen nichts bedeuten, die bereit sind, all das, was man gemeinhin unter Lebensqualität versteht, gegen den unwiderstehlichen Geruch von Geld, Status und Macht einzutauschen. Sie substituieren ihr Herz durch einen Stein – wie beim Hauff. Was sind schon Freundschaft, Liebe, Bildung und Kultur gegen die Aussicht, ein High Performer mit mehreren Millionen Euro Jahresverdienst zu sein?

Das Problem besteht nicht nur darin, dass die Netten aussortiert, sondern auch darin, dass die Falschen angezogen werden. Ein System, das den Bewerbern auf Spitzenpositionen in der Wirtschaft außer unheimlich viel Geld, Ansehen und Einfluss nichts weiter zu bieten hat und von ihnen erwartet, nahezu komplett auf ein Privatleben zu verzichten, selektiert nicht nur die ehrgeizigsten, sondern auch die raffgierigsten, rücksichtslosesten und niederträchtigsten Charaktere in diese Positionen. Hedgefondsmanager, die Firmen zerlegen, Spekulanten, die auf Lebensmittelpreise und sinkende Kurse wetten, Wirtschaftsführer, die Massenentlassungen mit einem Achselzucken erledigen. Natürlich muss nicht jeder, der sich auf eine Trainee-Stelle bewirbt, ein emotionaler Low Performer sein. Manche wollen es mit ihrer Berufswahl vielleicht bloß dem hartherzigen Vater oder der ehrgeizigen Mutter recht machen – oder ihre alternativ lebenden Gutmenschen-Eltern vor den Kopf stoßen. Manche denken vielleicht, dass so ein Job eine Möglichkeit ist, ihre Männlichkeit unter Beweis zu stellen, oder sie haben einmal eine derartige Demütigung erlitten, dass sie Sicherheit in der Macht suchen. Und natürlich kann man auch nicht ausschließen, dass es drei oder vier Menschen auf der Welt gibt, die sich deswegen einen einseitigen Angeberjob wie Börsenhändler aussuchen, weil sie sich nun einmal leidenschaftlich für Hedgefonds und Diskontsätze an sich interessieren. Was auch immer die Motive sein mögen: Diejenigen, die einen solchen Job am meisten wollen und am meisten dafür zu opfern bereit sind, müssen deswegen nicht zwangsläufig die Geeignetsten dafür sein. Fakt ist, dass von Macht, absurd hoch bezahlten Jobs und der Aussicht, sich auf kaum regulierten Märkten austoben zu können, auch emotional schwer gestörte Menschen angezogen werden. Psychopathen zum Beispiel. Psychopathen werden davon geradezu magnetisch angezogen und tummeln sich überproportional häufig in Chefetagen und allerhöchsten Ämtern. Nach dem amerikanischen Wirtschaftspsychologen Paul Babiak beträgt der Anteil bei US-Managern etwa 8 Prozent.[9] Eine höhere Psychopathen-Dichte als in Politik und im oberen Management findet sich nur noch in den Hochsicherheitstrakten amerikanischer Gefängnisse. Das ist jetzt nicht ganz so schlimm, wie es sich im ersten Moment anhört. Es bedeutet nicht, dass es in Politik, Bankwesen und Chefetagen nur so von grausamen Sexualstraftätern oder kaltblütigen Serienmördern à la Hannibal Lecter wimmelt. Psychopathen neigen zwar zu Gewalttätigkeit und Kriminalität, sie sind voll von Neid, Hass und Verachtung für andere – von Psychologen werden sie auch gern als Raubtiere in Menschengestalt bezeichnet –, aber nicht bei allen sind sämtliche Ventile voll aufgedreht.[10] Ihre eigentlichen Kerneigenschaften sind kompromissloser Eigennutz und Skrupellosigkeit, der hemmungslose Gebrauch anderer Menschen. Sie lügen, dass sich die Balken biegen, und das Einhalten von Recht und Gesetz ist für sie bloß eine Möglichkeit von vielen. Sie haben buchstäblich kein Gewissen, aber dafür ein grandioses Selbstbewusstsein. Und sie lieben Macht, Geld und das Zufügen von Leid aller Art. Es muss ja nicht immer gleich ein Tötungsdelikt sein, auch Mobbing kann viel Vergnügen bereiten. Wenn man sich einigermaßen intelligent anstellt und im richtigen Stadtteil aufgewachsen ist, muss ein ruchloses Naturell nicht unweigerlich zu einer kriminellen Karriere führen. Banker oder Bankräuber – das ist manchmal nur eine Frage der Umstände. Die sogenannten »erfolgreichen« oder auch »funktionellen« Psychopathen weisen zwar die Merkmale einer psychopathischen Persönlichkeit auf, insbesondere die Skrupellosigkeit, aber ihre Mittel sind andere. Statt aufgeschlitzter Leichen säumen bloß zertrampelte Seelen, zerstörte Existenzen oder völlig legal ruinierte Firmen ihren Weg. Ihr schwarzes Herz verbergen sie hinter großem Charme. Manche von ihnen kommen auch bloß deswegen nicht mit dem Gesetz in Konflikt, weil sie sich nicht erwischen lassen. Der berühmte englische Forensiker und Psychologe Paul Britton[11] ist der Ansicht, dass sich bei vielen Führungskräften aus der Wirtschaft die gleichen psychopathischen Muster nachweisen lassen wie bei Serienmördern. »Jim Kouri, der Vizepräsident der US National Association of Chiefs of Police, sieht das ähnlich. Eigenschaften, die man häufig bei psychopathischen Serienkillern antrifft – ein grandioses Selbstwertgefühl, Überzeugungskraft, oberflächlicher Charme, Rücksichtslosigkeit, fehlende Reue und die Fähigkeit, andere Menschen zu manipulieren –, sind, so Kouri, auch unter Politikern und Führungspersönlichkeiten weit verbreitet.«[12]

In einem Vergleich der in einem Persönlichkeitstest ermittelten psychopathischen Merkmale von englischen Führungskräften und den Insassen des britischen Broadmoor Hospitals, in dem einige der gefährlichsten Kriminellen Großbritanniens untergebracht sind, lagen die Chefs sogar vorn. Doch um Serienkiller zu werden, müssen Psychopathen auch noch extrem sadistisch veranlagt sein, und das sind die allerwenigsten. Ein Glück für uns, denn es gibt mehr von ihnen, als man glauben möchte. Etwa 1 % der Menschheit ist so veranlagt. In Deutschland laufen also immerhin fast eine Million herum.[13] Sie sind überall, in allen möglichen Berufen. Tendenzen zu Dominanz kann man ja notfalls auch als Polizist ausleben, als Altenpfleger oder Masseur findet man leicht kontrollierbare Opfer und im Fernsehen kann man sein übersteigertes Selbstwertgefühl pflegen. Man darf getrost davon ausgehen, dass man schon diversen Psychopathen über den Weg gelaufen ist und auch mit dem einen oder anderen bereits näher zu tun hatte – meist ohne es zu bemerken. Wenn man Pech hat, ist der eigene Ehepartner einer. Wie gesagt: Psychopathen können sehr charmant und liebenswürdig daherkommen. Von dieser hübschen Fassade abgesehen, sind sie jedoch eher unangenehm: manipulative Individuen, die nur die Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse kennen. Die Ursache liegt in ihrem Gehirn. Es handelt sich um einen Defekt im paralymbischen System, das für Impulskontrolle sorgt und moralische Entscheidungen trifft. Dort werden unsere Erfahrungen an Gefühle gekoppelt. Bei Psychopathen ist dieser Hirnbereich weniger aktiv und strukturell schwächer. Sie sind gar nicht in der Lage, Reue, Scham oder Mitgefühl zu empfinden. (Ein Fehler an der Amygdala.)