Gestrandet im Weihnachtsglück - Clare Lydon - E-Book

Gestrandet im Weihnachtsglück E-Book

Clare Lydon

0,0

Beschreibung

Zwei Frauen, ein Schneechaos und ein gemeinsamer Roadtrip. Morgan Scott möchte Weihnachten bei ihrer Familie in Devon verbringen. Ali Bradford ebenfalls. Über zwanzig Jahre haben sie sich nicht gesehen, bis sie sich jetzt zufällig am Flughafen in Glasgow gegenüberstehen. Doch bevor sie überhaupt abheben, macht ein Schneesturm allen Plänen einen Strich durch die Rechnung: Flug gestrichen, sämtliche Züge und Busse ausgebucht. Aus purer Verzweiflung tun sich Morgan und Ali zusammen, um irgendwie nach Hause zu kommen und starten einen chaotischen Roadtrip quer durch Großbritannien. Zwischen Schneechaos, Pannen und unerwarteten Begegnungen kommen alte Erinnerungen zurück und mit ihnen Gefühle, von denen Ali dachte, sie längst hinter sich gelassen zu haben. Ein herzerwärmender sapphischer Liebesroman voller Humor, winterlicher Romantik und dem Zauber der Feiertage – für alle, die an zweite Chancen glauben und sich in Geschichten voller Weihnachtsmagie verlieren möchten.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 411

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Über das Buch

Über Clare Lydon

Von Clare Lydon außerdem lieferbar

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Epilog

Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen

Über das Buch

Zwei Frauen, ein Schneechaos und ein gemeinsamer Roadtrip.

Morgan Scott möchte Weihnachten bei ihrer Familie in Devon verbringen. Ali Bradford ebenfalls. Über zwanzig Jahre haben sie sich nicht gesehen, bis sie sich jetzt zufällig am Flughafen in Glasgow gegenüberstehen.

Doch bevor sie überhaupt abheben, macht ein Schneesturm allen Plänen einen Strich durch die Rechnung: Flug gestrichen, sämtliche Züge und Busse ausgebucht. Aus purer Verzweiflung tun sich Morgan und Ali zusammen, um irgendwie nach Hause zu kommen und starten einen chaotischen Roadtrip quer durch Großbritannien.

Zwischen Schneechaos, Pannen und unerwarteten Begegnungen kommen alte Erinnerungen zurück und mit ihnen Gefühle, von denen Ali dachte, sie längst hinter sich gelassen zu haben.

Ein herzerwärmender sapphischer Liebesroman voller Humor, winterlicher Romantik und dem Zauber der Feiertage – für alle, die an zweite Chancen glauben und sich in Geschichten voller Weihnachtsmagie verlieren möchten.

Über Clare Lydon

Ihren ersten Roman schrieb Clare Lydon bereits in der Grundschule und bekam dafür 9.5 von 10 Punkten. Bis heute weiß sie nicht, aus welchem Grund ihr dieser halbe Punkt abgezogen wurde. Zu wenige Lesben vielleicht? Das kann man ihr heutzutage natürlich nicht mehr vorwerfen.

Clares Sternzeichen ist Jungfrau. Sie ist ein großer Fußballfan, gilt als Königin des Karaoke und liebt Curly Wurlys über alles. Außerdem hatte sie noch nie eine Katze und ergreift vor sämtlichen Heimwerkertätigkeiten schreiend die Flucht. Derzeit lebt sie mit ihrer Frau in London.

Von Clare Lydon außerdem lieferbar

Noch einmal für die Liebe

Wer verliebt sich schon in eine Prinzessin?

Was das Herz sich wünscht

Weil es immer noch Liebe ist

Biete Hoffnung, suche Glück

Das Gefühl von Liebe

Bevor du sagst »Ich will«

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage

E-Book-Ausgabe 2025 bei Ylva Verlag, e.Kfr.

ISBN (E-Book): 978-3-69006-087-5

ISBN (PDF): 978-3-69006-088-2

Dieser Titel ist als Taschenbuch und E-Book erschienen.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Copyright © der Originalausgabe 2022 bei Custard Books

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2025 bei Ylva Verlag

Die Nutzung unserer Werke für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG behalten wir uns explizit vor.

Übersetzerin: Übersetzungen-Berglern

Übersetzungslektorat: Mona Gabriel

Korrektorat: Claudia Volland

Satz & Layout: Ylva Verlag e.Kfr.

Bildrechte Umschlagillustration vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock; AdobeStock

Grafiken vermittelt durch Freepik

Coverdesign: Ilona Gostyńska-Rymkiewicz

Kontakt:

Ylva Verlag, e.Kfr.

Inhaberin: Astrid Ohletz

Am Kirschgarten 2

65830 Kriftel

Tel: 06192/9615540

Fax: 06192/8076010

www.ylva-verlag.de

[email protected]

Amtsgericht Frankfurt am Main HRA 46713

Kapitel 1

Morgan beugte sich weiter vor. »Was ist das Ziel Ihres Projekts, Cinnamon? Wie soll das Unternehmen davon profitieren?« Cinnamon … Mmh. Zimt. Sobald Morgan den Namen der Frau ausgesprochen hatte, die mit ihr am Besprechungstisch saß, überkam sie das Verlangen, in eine Zimtschnecke zu beißen. Aber während eines Business-Meetings wäre das wirklich unangebracht.

Sie warf einen kurzen Blick auf Cinnamon, die mit gerunzelter Stirn nachdachte. Mit ihren blonden Haaren, dem weißen Rock und der weißen Jacke würde sie sich gut auf der Spitze eines Weihnachtsbaums machen. Eigentlich fehlten nur noch die Flügel. Und doch hatte sie während des Meetings bewundernswerten Kampfgeist bewiesen. Cinnamon würde sich auf keinen Fall zu einer Dekofigur machen lassen. Sie mischte mit und wollte auch mitbestimmen.

»Ziel ist es, dass jeder sofort etwas mit unserem Namen anfangen kann. Die Marke soll in aller Munde sein.«

So wie der Geschmack dieser herrlich süßen Zimtschnecken auf Morgans Lippen.

Cinnamon hob fragend die linke Augenbraue. War das die richtige Antwort gewesen?

Morgan setzte ihr bestes Pokerface auf. Sie war nicht hier, um Antworten zu geben. Sie war hier, um zu vermitteln. Zumindest für die nächsten sieben Minuten und 54 Sekunden.

»Und Sie, Antonio. Was wollen Sie erreichen?«

Antonio warf Cinnamon einen vernichtenden Blick zu und lächelte dann charmant in Morgans Richtung. »Wie meine Kollegin möchte auch ich das Beste für das Unternehmen. Aber auf meine Art kommen wir schneller zu agileren Ergebnissen.«

Morgan musste zugeben, dass Antonio die richtigen Schlagworte verwendete. Aber in diesem Raum würde er damit keine Pluspunkte sammeln.

»Agilere Ergebnisse?«, fragte Cinnamon verächtlich. »Genau das meine ich. Hör auf, in Rätseln zu sprechen, Antonio.«

Morgan hob eine Hand und blickte von Cinammon zu Antonio. »Wir haben nur noch fünf Minuten. Ich denke, Sie hatten beide Gelegenheit, Ihre Standpunkte darzulegen. Ihre Bedenken sind berechtigt, aber dabei sollten wir es im Moment belassen. Schreiben Sie jetzt die drei Dinge auf, die Sie streichen, und die drei Dinge, die Sie weiter diskutieren wollen. Auf dieser Basis werden wir im Januar weiterarbeiten. Vielleicht kommen wir dann zu einer Entscheidung.«

Cinnamon atmete tief durch und schüttelte den Kopf. »Mir wäre lieber, wir könnten das vor der Weihnachtspause klären, damit ich es nicht über die ganzen Feiertage mit mir herumschleppe.«

Morgan verschränkte die Arme vor der Brust. »Das können Sie gern tun, wenn Sie beide Ihre Hausaufgaben machen und sich ohne mich treffen. Tatsächlich wäre mir das sogar am liebsten.«

»Das haben wir ja versucht, bevor wir Sie als Vermittlerin eingeschaltet haben. Sie sind nicht ohne Grund hier.« Antonio warf Cinnamon einen finsteren Blick zu.

»Vielleicht sind Sie in den letzten drei Tagen weiter gekommen, als Sie denken«, antwortete Morgan. »Vielleicht können Sie beide sich auch ohne mich einigen.«

Cinnamon seufzte. »Das wäre wohl ein Weihnachtswunder.«

Der Timer, den Morgan an ihrem Handy eingestellt hatte, piepste los. Sie tippte kurz mit dem Finger darauf, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Okay. Die Zeit ist um. Das war gute Arbeit heute. Falls Sie beide es schaffen, einen Kompromiss zu finden, würde das ganze Büro, mich eingeschlossen, wieder an den Zauber der Weihnacht glauben. Ich würde gern noch bleiben und helfen«, (das war gelogen) »aber ich habe Pläne für Weihnachten. Und um diese umzusetzen, muss ich den weiten Weg nach Devon zurücklegen.« Sie nahm ihren grauen Lederrucksack und packte Laptop, Kabel und Notizzettel ein. »Falls es Ihnen gelingt, wäre ich arbeitslos. Aber diesen Verlust kann ich verschmerzen.« Sie hielt kurz inne. »Warum gehen Sie nicht zusammen einen Glühwein trinken und besprechen die Details?«

Cinnamon gab einen erstickten Laut von sich. »Steht diese Strategie im Schlichtungshandbuch?« Sie wirkte nicht überzeugt.

Morgan lächelte sie an. »Nein. Das ist eine Lebensstrategie. Mit einem Glas Wein geht fast alles besser.« Sie schlüpfte in ihre Jacke, einen marineblauen Colani. »Ich wünsche Ihnen beiden frohe Weihnachten, und ich hoffe, dass wir uns im neuen Jahr nicht wiedersehen.«

~ ~ ~

Mit einem Lächeln auf den Lippen ging Morgan die Argyle Street entlang und zog sich den Schal enger um den Hals. Der Wind war wirklich beißend. Würde es zu Hause angenehmer sein? Das musste es einfach. 775 Kilometer (plus einige seltsame Vokale und Konsonanten) trennten Glasgow in Schottland von ihrer Heimatstadt Dartmouth im Süden Englands. Und dazwischen lagen Welten. Ja, sie war dort aufgewachsen, hatte der Stadt aber gleich nach dem Studium den Rücken gekehrt. Jetzt war Weihnachten, und sie fuhr nach Hause. Wie jedes Jahr.

Ein Stück vor ihr blickte ein großes beleuchtetes Rentier auf eine Gruppe von Weihnachtseinkäufern herab, die versuchten, in letzter Minute vor dem Fest noch das perfekte Geschenk zu finden. Morgan konnte die Panik, die diese Gruppe von Menschen ausstrahlte, beinahe spüren. Sie dagegen hatte ihre Einkäufe fast alle erledigt. Was hatte vor so vielen Jahren in ihrem Zeugnis gestanden? ›Morgan ist stets gut vorbereitet, stets bereit.‹ Daran hatte sich in den zwanzig Jahren, die seitdem vergangen waren, nicht viel geändert.

War das ein eher trauriger Tatbestand? Das Urteil der Jury stand noch aus.

Es duftete nach gerösteten Maronen. Morgan blickte zu den schwarzen Wolken hinauf und atmete tief die kalte Luft ein. Der Wetterbericht sagte leichten Schneefall voraus. Sie verzog das Gesicht, und ein flaues Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. Mit leichtem Schneefall konnte sie leben. Aber mit starkem Schneefall, der dazu führen würde, dass ihr Flugzeug am Boden bleiben musste? Eher weniger. Das kam in Schottland leider öfter vor. Aber darüber würde sie sich keine allzu großen Sorgen machen. In ihrem Job predigte sie die Macht der positiven Gedanken, und die würden auch sie heute sicher nach Hause bringen.

Sie rückte den Rucksack auf ihrer Schulter zurecht und griff in ihre Manteltasche. Erleichtert stellte sie fest, dass ihr Handy noch da war. Zwei hatte sie in diesem Jahr schon verloren. Das war ihr vorher noch nie passiert. Sie hatte keine Ahnung, womit sie die Handygötter verärgert hatte, aber das Ende vom Lied war, dass sie nun ständig ihre Taschen kontrollierte. Sie würde nicht noch ein Gerät verlieren, denn abgesehen von den Unannehmlichkeiten war das ein ziemlich teurer Spaß. Gerade als sie die Hand wieder aus der Tasche nehmen wollte, begann das Handy zu vibrieren. Sie zog es heraus und sah den Namen ihrer Schwester auf dem Display.

»Hallo, Schwesterherz.« Morgan machte einen Schritt nach links, um einem Pärchen auszuweichen, das Händchen hielt. Die beiden würden ihr bestimmt keinen Platz machen. Was war das nur mit Pärchen und ihren Revieransprüchen? Es nervte sie jedes Mal.

»Auch hallo«, antwortete Annabel.

Morgan sah ihre Schwester vor sich: an der marmornen Kücheninsel ihrer Eltern, das dunkle Haar zu einem unordentlichen Knoten geschlungen, ihr großer Bauch im Weg.

»Ich wollte nur wissen, ob es bei morgen bleibt. Mum macht gerade den Teig für die Mince Pies und die Plätzchen. Sie wollte sichergehen, dass du nicht in letzter Minute noch einen Auftrag angenommen hast, um noch mehr Probleme irgendwelcher Unternehmen zu lösen.«

Morgan lächelte. Es stimmte, sie war unermüdlich für ihren Job im Einsatz. Es gab immer Beziehungen, die gekittet, und Schulungen, die gehalten werden wollten. Aber die Weihnachtszeit hatte sie sich freigeschaufelt, und jeder wusste, dass sie ab sofort nicht mehr zur Verfügung stand. Sie würde sich einen schönen Weihnachtsurlaub gönnen. Und das Beste war, dass sie die gesamte erste Woche nur mit ihrer Familie verbringen würde. Morgan konnte es kaum erwarten.

»Nö. Keine weihnachtlichen Notfälle in letzter Minute. Außer dass ich immer noch kein Geschenk für Josh habe. Was wünscht er sich denn?« Der Mann ihrer Schwester war begeisterter Radfahrer, aber Morgan hatte ihm schon so ziemlich alles zum Geburtstag oder zu Weihnachten geschenkt, was es in diesem Bereich gab. Eine Uhr in Form eines Fahrradreifens, ein personalisiertes Multifunktionswerkzeug, einen Flaschenhalter mit Monogramm und mehr Socken, Tassen und T-Shirts mit Fahrradmotiven, als ein Mann jemals brauchen konnte.

Annabel seufzte. »Nichts. Er hat mir ein Kind gemacht, und deshalb sind meine Füße jetzt so dick wie Wassermelonen. Allein dafür hat er kein Geschenk verdient. Außer vielleicht eine Schleimsuppe. Oder eine Vasektomie. Das überlasse ich dir.«

Morgan lächelte. Ihre Schwester redete immer, wie ihr der Schnabel gewachsen war. »Als Beziehungsexpertin muss ich dir sagen, dass das keine gute Basis für ein glückliches Zuhause wäre.«

»Du mich auch.«

»Okay, dann eine Flasche Whisky.« Darüber würde sich Josh sicher freuen.

»Klar, er darf ja Alkohol trinken.« Annabel schnaubte. »Eine Schwangerschaft ist eine spezielle Art von Folter, das kann ich dir sagen. Wer auch immer sich das ausgedacht hat, wurde auf übelste Art von einer schrecklichen Frau sitzen gelassen. Und es war definitiv ein Mann.«

»Aber am Ende kommt ein süßes kleines Wunder dabei heraus. Habe ich schon erwähnt, dass ich Unmengen an Geschenken für den Zwerg gekauft habe?«

»Ich sollte wohl sagen, das hättest du nicht tun sollen, aber das wäre gelogen. Kauf noch ein Geschenk für den Zwerg und vergiss Josh. Oder kauf doch einen Whisky, und ich trinke ihn, sobald ich unser kleines Wunder zur Welt gebracht habe. Ich verstecke ihn unter dem Bett. Den Whisky. Nicht den Zwerg. Du lebst ja am perfekten Ort für richtig guten Whisky.«

»Siehst du? Ich wusste, du würdest etwas Positives finden.« Morgan blickte nach links und rechts. Beide Ampeln waren rot und die Hauptstraße frei. Um zum Taxistand zu gelangen, musste sie die Straße überqueren. Sie machte den ersten Schritt und sah im selben Moment aus dem Augenwinkel etwas Dunkles auf sich zukommen.

Sie blieb stehen, blickte nochmals nach rechts und wurde beinahe von einem Radfahrer gerammt, der ohne Licht und ohne reflektierende Kleidung unterwegs war.

Schnell sprang Morgan zurück, und der Radfahrer kurvte um sie herum. Sie stießen nicht zusammen, aber das Handy fiel ihr aus der Hand. Morgan schrie auf, und das Auto, das sich von links näherte, bremste. Sie eilte zur anderen Straßenseite, wo sich ihr Handy im Rinnstein um sich selbst drehte.

Verdammte Radfahrer.

Damit war die Sache entschieden. Josh würde einen Whisky bekommen.

Mit klopfendem Herzen bückte sie sich und hob ihr Handy auf. Verdammt! Das Display war kaputt und blieb schwarz. Frustriert trat sie auf den Bürgersteig, bevor ein weiterer Radfahrer sie über den Haufen fahren konnte. Morgan hielt sich das Handy ans Ohr und hoffte, dass ihre Familie noch in der Leitung war.

»Hallo?« Stille. Super. Jetzt dachten sie bestimmt, dass Morgan ihr Leben auf den gefährlichen Straßen Glasgows ausgehaucht hatte. Ihre Familie konnte ohnehin nicht verstehen, wieso sie so weit weg lebte. Wenn sie hier den Löffel abgab, würden sie das Schottland nie verzeihen.

Sie steckte ihr Handy wieder ein und reihte sich in die Warteschlange für die Taxis ein. An einem 21. Dezember, an dem alle Welt mit Einkaufstaschen beladen nach Hause wollte, war die Schlange nicht gerade kurz. Sie sollte den Bus nehmen. Aber es war zu kalt, die Woche zu lang und zu anstrengend gewesen. Außerdem war sie gerade fast gestorben. Sie hatte sich ein Taxi verdient. Ihre Freundin Crystal würde sagen, sie solle laufen. Aber Crystal war hier geboren und aufgewachsen. Sie besaß nicht einmal einen Mantel. So waren die Schotten eben. Morgan dagegen würde immer die zarte Pflanze aus dem Süden bleiben.

Eine Viertelstunde später saß sie auf dem Rücksitz eines Taxis. Der Fahrer fragte sie, ob sie Fußballfan sei. Schon, aber für Plymouth Argyle aus Devon würde er sich vermutlich nicht sonderlich interessieren. Morgans Gedanken wanderten zum nächsten Tag. Sie hatte ein elektronisches Flugticket gekauft, für das sie natürlich ihr Handy brauchte. Hätte das Display an einem noch blöderen Tag kaputtgehen können?

Schnell erstellte sie eine geistige To-do-Liste, die sie vor ihrem Flug am nächsten Tag noch abarbeiten musste.

1. In einem Handyladen das Display reparieren lassen.

2. Eine Nachricht an Ryan schicken. Er sollte ein ernstes Wörtchen mit Cinnamon und Antonio reden.

3. Das Handy ihres Nachbarn Harry ausleihen und ihrer Familie Bescheid geben, dass sie noch lebte.

Kapitel 2

Ali Bradford versuchte seit einer gefühlten Ewigkeit Getränke an der Bar zu bestellen, aber der Barkeeper übersah sie geflissentlich. Anscheinend bediente er nur Frauen mit langen Haaren. Mit langen blonden Haaren, genauer gesagt. Die Welt war wirklich ungerecht. Durstige, kurzhaarige, lesbische Frauen wurden mitten im Trubel diverser Firmen-Weihnachtsfeiern anscheinend nicht bedient. Ali hatte die Feier ihrer eigenen Firma geschwänzt. Sie feierte lieber mit ihren Freunden, bevor sie sich morgen auf den Weg nach Hause machte. Oder sie würde mit ihnen feiern, wenn man sie jemals bedienen würde.

Sämtliche Mitarbeiter hinter der Bar ignorierten sie weiterhin. Sie wollte gerade kapitulieren und ihre Freundin Sasha an die Bar schicken – mit ihren langen Haaren hätte sie vielleicht mehr Glück –, als der Mann neben ihr den nächsten Barkeeper auf sie aufmerksam machte.

Ali blinzelte überrascht. »Danke.« Es gab doch noch Kavaliere auf dieser Welt. Sie bestellte ein Peroni für sich, ein Coors Light für Sasha und ein Glas Soave für Tobias (sträflich unterschätzt, wie er immer sagte). Sie hielt ihre Karte ans Bezahlterminal, nahm ihre Getränke und trug sie zum Tisch.

Sasha runzelte gerade die Stirn und sagte: »Es sind Weihnachtsbäume, oder?«

Tobias schüttelte den Kopf, und die dunklen Fransen seines Ponys fielen ihm in die Augen. »Nö.« Er stützte den Kopf in die rechte Hand und blickte ihre Freundin an. »Versuch’s noch mal.«

Sasha spitzte nachdenklich die Lippen und schnippte dann mit den Fingern. »Adventskalender.«

»Wieder falsch!« Tobias liebte Ratespiele, Sasha hingegen hasste sie. Tobias nahm Ali den Wein aus der Hand. »Danke, Süße!« Dann blickte er wieder Sasha an.

»Worüber redet ihr?« Ali setzte sich auf die rote Lederbank und schob ihre Mäntel näher zur Wand, um sich etwas mehr Platz zu verschaffen.

Die Feiernden am Tisch hinter ihr brachen in Hurrageschrei aus.

Sie war definitiv zu nüchtern für diese Bar.

»Welche Weihnachtstradition wir von den Holländern übernommen haben«, sagte Tobias. Er leerte sein angefangenes Glas Wein und grinste Sasha süffisant an.

»Und ganz offensichtlich hasse ich dieses Spiel«, sagte Sasha.

»Ja, offensichtlich«, antwortete Ali.

In dem Moment erklangen die ersten Takte von Last Christmas von Wham!, was mit allgemeinem Jubel quittiert wurde. Ali versuchte vergeblich, die Gruppe am Nebentisch zu ignorieren. Sie hielt ihre Bierflasche fest, die jedes Mal vibrierte, wenn ihre Nachbarn auf den Tisch schlugen.

Tobias und Sasha unterbrachen ihr Gespräch und beobachteten mit großen Augen das Geschehen hinter Ali. Sie drehte sich um und sah, dass ihre Tischnachbarn auf den Bänken standen und den Text des Weihnachtsklassikers mitbrüllten, als ob sie George Michael persönlich wären. Ali wollte zwar keine Hiobsbotschaften überbringen – an Weihnachten überbrachte man nur Freudenbotschaften, oder? –, aber ihr Gesang erinnerte eher an Andrew Ridgeley als an George.

»Handelt es sich vielleicht um die Tradition, sich auf Weihnachtsfeiern sinnlos zu betrinken und Weihnachtsklassiker zu verhunzen?« Ali drehte sich wieder zu ihren Freunden um.

Tobias lachte. »Netter Versuch, aber ich glaube, diese Tradition haben wir selbst ins Leben gerufen.«

Sasha zuckte mit den Schultern und nippte an ihrem Bier. Noch vor einem Jahr hätte sie so etwas keinesfalls getrunken, aber die kalorienarme Variante machte die Sache akzeptabel. »Ich gebe auf. Und ich hasse dich. Jetzt sag schon.«

»Die Tradition, Milch und Kekse für den Weihnachtsmann rauszustellen, stammt von den Holländern.« Tobias grinste, als ob das doch wohl klar sein müsste.

»Darauf wären wir nie gekommen!« Ali griff unter den Tisch, um zu prüfen, ob ihre Taschen noch da waren. Sie hatte noch ein paar Last-minute-Weihnachtseinkäufe erledigt, bevor sie sich morgen auf die lange Heimreise machen würde. Zu dieser Jahreszeit beneidete sie ihre schottischen Freunde immer. Ihre Familien lebten in derselben Stadt. Alis Familie jedoch lebte am anderen Ende Großbritanniens. Viel weiter konnte man nicht mehr fahren, ohne ins Meer zu stürzen.

Der Song ging zu Ende, und wieder wurde gejubelt.

Ali blickte erneut hinter sich und sah einen Tischnachbarn wie ein Häufchen Elend auf dem Boden liegen. Vermutlich ein festliches Gläschen Sherry zu viel. Am besten gewöhnte sie sich gleich daran, denn im Pub ihrer Familie kam so etwas auch des Öfteren vor.

»Hast du alles für die lange Reise nach Hause vorbereitet? Das ist das letzte Weihnachten vor deinem großen Umzug, oder?« Tobias’ Fragen holten sie ins Hier und Jetzt zurück.

»Nein.« Sie hatte noch nicht mal gepackt. »Ich muss noch Geschenke einpacken, darum kann ich auch nicht lange bleiben.«

Sasha verdrehte die Augen und tippte mit einem mattweiß lackieren Fingernagel auf Alis Handgelenk. »Die Geschenke angeschickert einzupacken ist ebenfalls eine Weihnachtstradition. Bleib noch ein bisschen, trink noch was und genieß dein Leben. Wir werden uns nächstes Jahr kaum sehen, wenn du nach New York ziehst, oder?«

Ali blickte kurz aus dem Fenster und sah, dass der angekündigte leichte Schneefall eingesetzt hatte. Hoffentlich konnte der Flughafen die Startbahn schneefrei halten.

»Wir sehen uns noch oft. Ich ziehe ja erst Mitte Januar um.«

Aber davor ging es nach Hause. Dieses Weihnachten würde seltsam werden, aber sie war fest entschlossen, es so normal wie möglich zu gestalten. Obwohl es schon jetzt unvorstellbar anders war.

»Wann geht dein Flug?«, fragte Tobias.

»Mittags.«

Er hob sein Glas. »Dann lasst uns anstoßen. Uns allen frohe Weihnachten. Und mir natürlich ganz besonders, da ich die Feiertage in Alis Wohnung verbringen werde. Ich, Snowy und Liebe braucht keine Ferien auf Dauerschleife.«

Tobias passte in der Woche, in der Ali nicht zu Hause war, auf ihre Katze auf. Falls er und die Katze das überlebten und er auch nicht versehentlich die Wohnung in Brand steckte, würde er im nächsten Jahr dauerhaft dort einziehen.

Ali stieß mit ihm an und sah ihn dabei streng an. »Auf Snowy aufzupassen ist eine ernste Angelegenheit. Sie ist, wie auch ihr Mensch, ein sehr zartes und feinfühliges Wesen.« Sie hielt kurz inne. »Und ich hasse es, dass ich es noch einmal sagen muss, aber ich fürchte, es ist notwendig: kein Sex in meinem Bett.«

Er sah sie unschuldig an. »Nur mit mir selbst. Versprochen.«

~ ~ ~

Ali füllte Whiskas in Snowys Napf und rümpfte dabei die Nase. Sie versuchte, den üblen Geruch zu ignorieren. Anschließend holte sie Snowys Trockenfutter und schüttelte die Blechdose. Wie erwartet erschien ihre Katze innerhalb weniger Sekunden in der Küche.

»Für deine Brekkies kommst du immer sofort angerannt, nicht wahr, mein Mädchen?« Ali beugte sich nach unten und streichelte das weiße Fell ihrer Katze, die ihr schnurrend um die Beine strich. Sie stellte das Futter auf die Fressmatte, und Snowy machte sich genüsslich darüber her. Damit war Ali vergessen. Snowy hatte ja keine Ahnung, dass sie ihr Frühstück erst in einer Woche wieder von ihrem Menschen bekommen würde.

Ali ging durch ihre schwarz-weiß geflieste Küche und blickte durch die Terrassentür hinaus auf das schneebedeckte Gras. Es sah wunderbar weihnachtlich aus. Irgendwann einmal würde sie Weihnachten gern hier verbringen. Sie hatte eine Katze und ein Zuhause. Aber sie wünschte sich eine Freundin, mit der sie beides teilen könnte. Dann hätte sie auch eine Ausrede, einmal über die Feiertage hierzubleiben. Es war nicht so, dass sie nicht gern nach Hause nach Devon reiste, aber es wäre schön, die Feiertage einmal ohne Hektik zu verbringen und in dem Zuhause zu genießen, das sie sich geschaffen hatte. Vielleicht im nächsten Jahr. Vielleicht war sie dann aber auch noch in New York City. Wer wusste schon, was die Zukunft bringen würde?

Snowy kam zu ihr und drückte sich an Alis rechte Wade.

Ali ging in die Hocke und streichelte sie. So ein Liebesbeweis war ganz untypisch. Vielleicht ahnte Snowy doch, dass Ali sie gleich verlassen würde.

»Wirst du ein braves Mädchen sein und Onkel Tobias auch keinen Ärger machen, während ich weg bin? Aber nicht zu brav. Weck ihn ruhig mal mit einer toten Maus auf. Das kannst du gern erledigen, solange ich nicht da bin.«

Ali hob Snowy hoch und drückte ihr einen Kuss in den Nacken.

Unbeeindruckt von so viel Zuneigung zappelte Snowy herum, bis Ali sie wieder absetzte, und ging zurück zu ihrem Fressnapf.

Ali blickte auf die Küchenuhr. 7:30 Uhr, und sie hatte immer noch nicht gepackt. Sie nahm den Stapel frisch gewaschener Kleidung vom Küchentisch, trug ihn ins Schlafzimmer und legte ihn in eine Hälfte des Koffers, der bereits aufgeklappt auf sie wartete. Dann ging sie zu ihrer Kommode, einem wahren Schmuckstück aus Teakholz aus den 1950ern, die sie in einem Secondhand-Laden um die Ecke gefunden hatte. In Finnieston, Glasgows Hipster-Viertel, konnte man viele solcher Schätze entdecken. Sie öffnete die Schublade mit ihrer Unterwäsche, nahm fünf Höschen in die eine und einige Paar Socken in die andere Hand und drehte sich wieder um. Snowy saß in der noch leeren Kofferhälfte. Ali lachte. Was hatte es nur mit Katzen und Koffern auf sich?

»Du kannst nicht mitkommen. Darüber haben wir doch schon gesprochen, erinnerst du dich?«

Ihr Handy piepste und eine Nachricht von Tobias erschien auf dem Display.

Du fliegst morgen, richtig?

Idiot.

Ich fliege heute, und das weißt du genau.

Stimmt. Heute ist der Tag, an dem ich den Schlüssel zu meinem Weihnachts-Bumspalast bekomme. Ich habe schon mit Snowy gesprochen. Sie sagt, solange ich eine Parade von hübschen jungen Männern durch die Wohnung führe, an denen sie sich reiben kann, ist alles okay für sie.

Ali verdrehte die Augen.

Bist du wenigstens schon aufgestanden?

Tobias lebte in einer WG mit zwei weiteren Mitbewohnern zwei Stockwerke über ihr. Das machte es einfach, in ihre Wohnung zu ziehen. Sollte er etwas vergessen, wäre das überhaupt kein Problem.

Ich bin in 20 Minuten da. Setz schon mal Teewasser auf.

Ali warf ihr Handy aufs Bett und hob Snowy hoch, die das gnädig mit sich geschehen ließ. Sie hatte gehofft, ohne weiße Katzenhaare auf ihren Klamotten nach Hause zu reisen. Aber der Zug war abgefahren. »Du hast echt Glück, dass du so süß bist, weißt du das?«

Sie ging ihre Liste durch und packte weiter. Pullis, Schmuck, Parfüm. Foundation, um ihre dunklen Augenringe abzudecken. Das neue Shirt mit Rentier-Aufdruck, mit dem sie am ersten Weihnachtstag ihre Mum beeindrucken wollte.

Ihr Handy klingelte, und sie runzelte die Stirn.

Sie nahm den Anruf an, ohne aufs Display zu sehen. Das konnte nur Tobias sein.

»Ich fliege immer noch heute, und du darfst immer noch keinen Sex in meinem Bett haben.«

Für einen Moment herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. »Ich weiß ja nicht, wen du erwartet hast, aber hier spricht deine Mutter.«

Ali errötete und prustete los. »Oh. Mist.«

»Das war jetzt weniger eloquent.«

»Entschuldige. Ich dachte, es ist Tobias.«

»Richte ihm bitte aus, dass auch deine Mutter der Ansicht ist, dass er keinen Sex in deinem Bett haben darf.«

Ali lachte. »Das mache ich. Wieso rufst du an? Wir sehen uns doch in ein paar Stunden.«

»Ich habe eben diesen reizenden Meteorologen auf BBC gesehen. Er ist übrigens schwul. Das sehe ich sofort. Jedenfalls sprach er über Schnee in Schottland, und ich wollte wissen, ob dein Flug pünktlich startet.«

Ali ging zum Fenster, schob die Jalousien mit Zeigefinger und Daumen auseinander und blickte hinaus. Sie sah eine dünne Schneedecke, aber keine nennenswerte Schneepracht. »Es hat letzte Nacht aufgehört zu schneien. Insofern sollte es keine Probleme geben. Aber ich gebe dir natürlich Bescheid, falls sich etwas ändert.«

»Das ist gut«, antwortete ihre Mum. »Nicole und Harrison kommen später vorbei. Wir freuen uns alle schon sehr auf dich.«

Ali wurde flau im Magen. War das eine Stichelei gewesen? Nein. So etwas tat ihre Mum nicht. Aber es spielte keine Rolle. Sie hatte so oder so schreckliche Schuldgefühle.

»Stuart holt dich am Flughafen ab.«

Ali musste schlucken. Das war ungewöhnlich. Aber in diesem Jahr war alles anders, nicht wahr? Sie war zu lange weg gewesen, das war ihr klar. Aber es war Weihnachten. Ein Grund mehr, nach Hause zu fahren. »Das ist toll. Hör zu, Mum, ich muss auflegen. Tobias wird jeden Moment hier sein, und ich muss Snowy überreden, meinen Koffer zu verlassen.«

»Okay. Dann bis später. Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen!«

Ali lächelte und legte auf. Sie hatte keine Ahnung, ob und wie sie mit allem klarkommen sollte, aber sie wollte trotzdem nach Hause. Ihr Besuch war lange überfällig.

Kapitel 3

Morgan konnte ihr Glück kaum fassen. Nachdem der Taxifahrer sie an einem Handyladen in der Nähe des Flughafens abgesetzt hatte, hatte sie die Angestellten dort bekniet und um eine möglichst schnelle Reparatur gebeten. Nun kam eine Frau mit einem schicken Kurzhaarschnitt und einem breiten Lächeln auf sie zu und gab Morgan ihr Handy zurück. Ob es doch Weihnachtswunder gab?

»Sie haben Glück. Unser Techniker konnte das Display wiederbeleben. Es ist so gut wie neu.« Morgan nahm das Handy, hielt es auf Armeslänge vor sich und betrachtete es so ehrfürchtig wie ein Neugeborenes. Irgendwie war es das ja auch. Am liebsten wäre sie über den Ladentisch gesprungen, um der Frau einen Kuss auf die Lippen zu drücken. Aber das käme sicherlich nicht so gut an. Vor nur 35 Minuten war sie aufgeregt und verzweifelt hier angekommen. Aber nun war ihre Verbindung zum Rest der Welt wiederhergestellt, und sie fühlte sich wieder als ganzer Mensch.

»Vielen Dank! Ich kann gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet.« Morgan blickte auf die Uhr. Sie musste jetzt wirklich los. Schließlich galt es einen Flug zu erwischen und eine Familie in die Arme zu schließen. Sie bezahlte ihre Weihnachts-Wundertäterin, gab ihr einen Extrazehner Trinkgeld und hastete aus dem Geschäft. Die Räder ihres Koffers ratterten über den unebenen Bürgersteig. Sie winkte ein weiteres schwarzes Taxi heran, wuchtete ihren Koffer hinein und atmete erleichtert auf, als der Fahrer schwungvoll losfuhr.

Zehn Minuten später kamen sie schlingernd vor dem Abflugbereich des Glasgower Flughafens zum Stehen, nachdem sie eine Vollbremsung machen mussten, um nicht mit einem anderen Taxi zusammenzustoßen.

Morgan riss einen Arm hoch, um sich abzustützen, und konnte gerade noch verhindern, auf den Boden zu rutschen. Ihr Ellbogen hatte weniger Glück und machte schmerzhafte Bekanntschaft mit der Tür des Taxis, bevor Morgan zurück in ihren Sitz geschleudert wurde. Sie fluchte im Stillen vor sich hin und sah vor ihrem inneren Auge, wie Schimpfwörter wie Sprechblasen in einem Comic über ihr aufstiegen. Sie atmete tief durch und umklammerte ihren Ellbogen, während sie darauf wartete, dass der Schmerz nachließ.

Ihr Fahrer riss die Autotür auf und ging mit großen Schritten auf das andere Taxi zu. Dabei brüllte er etwas in breitestem Glasgower Dialekt, das Morgan nicht verstehen konnte. Da er dabei wild gestikulierte, vermutete sie aber, dass es sich nicht um freundliche Weihnachtswünsche handelte.

Sobald Morgan ihren Arm wieder beugen konnte, ohne vor Schmerz das Gesicht zu verziehen, öffnete sie die Tür und stieg ebenfalls aus. Sie war dankbar, noch am Leben zu sein. Morgan zog ihren stabilen schwarzen Samsonite-Koffer aus dem Wagen, ließ ihn mit einem Rumms auf den Bürgersteig fallen und schob ihn näher an das Flughafengebäude. Dann drehte sie sich wieder um, um den Taxifahrer zu bezahlen.

In diesem Moment stieg eine Frau aus dem anderen Taxi. Sie trug schwarze Stiefel, die nicht ganz zugeschnürt waren, einen grünen Dufflecoat und einen senffarbenen Schal. Ihre Frisur, ein Undercut, die Haare oben etwas länger, war perfekt gestylt. Und sie hatte eine queere Ausstrahlung, die ihresgleichen suchte. Morgan betrachtete sie kurz und zog die Augenbrauen hoch, als sie sah, wie die Frau einen identischen schwarzen Samsonite aus dem Taxi hievte und ihn neben Morgans Koffer stellte.

Sie musterten sich gegenseitig.

»Black Friday?«

Morgan verzog fragend das Gesicht.

Die Frau zeigte auf ihren Koffer. »Der Samsonite. Ich habe meinen am Black Friday bei Amazon gekauft.«

Morgan lachte. »Ach so. Ja, ein echtes Schnäppchen.« Irgendwie kam ihr die Frau bekannt vor. Sie war sicher, dass sie nicht mit ihr geschlafen hatte – daran würde sie sich definitiv erinnern –, aber vielleicht jemand aus ihrem Freundeskreis? Egal. Für einen Gesprächseinstieg war das sowieso kein geeignetes Thema. Hatte Morgan einen leichten Akzent gehört? Sie war sich nicht ganz sicher.

»Dann bis Freitag auf ein paar Drinks!«, rief Morgans Taxifahrer und ging zurück zu seinem Wagen.

Morgan blinzelte. Einen solchen Ausgang des Gesprächs zwischen den beiden Fahrern hatte sie nicht erwartet. »Möchten Sie mit Karte zahlen?«, fragte er und setzte sich wieder hinters Steuer.

Morgan nickte und holte ihre Mastercard aus der Geldbörse.

Die andere Frau (die Morgan immer noch nicht einordnen konnte) hielt ebenfalls ihre Karte hoch, ging zu ihrem Taxi und lehnte sich durch das offene Fenster hinein, um zu bezahlen.

Morgans Taxi hatte ein fest installiertes Bezahlterminal im Fond, daher ging sie zurück, um noch einmal einzusteigen. Dummerweise blieb sie dabei an der Einstiegsleiste hängen, stolperte und fiel direkt auf ihren verletzten Ellbogen.

Jäher Schmerz durchzuckte sie, als ob jemand ein Messer in ihren Arm gestoßen hätte. Sie rollte sich auf die Seite und umklammerte wieder ihren Ellbogen. Herrgott noch mal! Wieso hatte sie in den letzten 24 Stunden nur so viel Pech? Aber wenigstens schneite es nicht. Immer schön optimistisch bleiben. In ein paar Stunden wäre sie zu Hause und würde die leckeren Mince Pies ihrer Mum naschen. Dafür musste sie sich nur wieder aufrappeln und in ihr Flugzeug steigen.

Der Fahrer blickte sie durch die Plexiglasscheibe an. »Schlagen Sie sich gerade selbst k. o. da hinten?«

Morgan lachte leise. Ja, es sah wohl ganz danach aus. Sie stemmte sich hoch, beglich ihre Schulden, sprang aus dem Wagen und schlug die Tür zu.

Sie hoffte nur, die mysteriöse Frau hatte von alldem nichts mitbekommen. Das würde sie aber nie erfahren, denn bis auf ihren schwarzen Koffer war der Bürgersteig leer.

Die andere Frau hatte bezahlt und war gegangen.

Und Morgan war beinahe enttäuscht.

~ ~ ~

Da Morgan ein Ticket mit Priority Boarding gekauft hatte, war sie unter den ersten Personen, die das Flugzeug betraten. Sie hasste es, in einer Schlange zu stehen, und nutzte jede Möglichkeit, dem zu entgehen. Der Flug würde zwar nicht lange dauern, aber sie reiste gern so bequem wie möglich. Das kam sicher daher, dass sie als Kind sämtliche Ferien beim Camping in Devon und Cornwall verbracht hatte – meistens im Dauerregen. Wenn Morgan jetzt reiste oder Urlaub machte, hatte das so wenig mit den damaligen Ferien zu tun wie nur irgend möglich. Sie schob sich den engen Gang entlang und lächelte einem älteren Mann zu, der in diesem Moment seine Schiebermütze abnahm. Er sah aus wie der Opa aus einem Samstagabendfilm.

»Fliegen Sie über Weihnachten nach Hause?«, fragte er und nahm seinen grauen Schal ab.

»Ja. Sie auch?« Vermutlich würde jeder in diesem Flugzeug diese Frage mit Ja beantworten.

»Ich besuche meine Tochter und ihre Familie«, antwortete er in breitem Glasgower Dialekt. »Sie sind nach Devon gezogen. Viel weiter weg geht es nicht mehr. Ich versuche, es nicht persönlich zu nehmen.«

Morgan lächelte. Ihre Mum und ihre Schwester hatten das Gleiche gesagt, als sie nach Schottland gezogen war.

Sie machte es sich in ihrem Sitz bequem und blätterte im Bordmagazin und im Bordmenü. Sie hatte zwar zu Hause gefrühstückt, aber Flugzeuge hatten irgendetwas an sich, was sie dazu brachte, noch etwas essen zu wollen. Zumindest ein Kaffee und eine Kleinigkeit dazu mussten sein. Vielleicht ein Schinkenbrötchen mit Ketchup? Oder doch ein KitKat? Oder beides?

»So sieht man sich wieder.«

Morgan blickte hoch und blinzelte. Die mysteriöse Frau war zurück. Sie stand direkt vor ihr. Ein Gesicht wie ein Kunstwerk – scharfkantige Wangenknochen und umwerfende braune Augen, um die sich Lachfältchen bildeten, als sie Morgan zulächelte.

Morgan war fasziniert und zugleich neugierig. Wer war diese Frau? Dieses Gesicht. Es kam ihr so unglaublich bekannt vor.

Vielleicht hatte sie doch mit ihr geschlafen?

»Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass erst unsere Taxis beinahe ineinanderkrachen und wir dann im selben Flugzeug nach Exeter sitzen?« Vermutlich weniger als ein Prozent.

Deshalb schloss sie auch keine Wetten ab.

»Ich würde sagen, das geht gegen null.« Die Frau lächelte Morgan noch einmal freundlich an und nahm ihren Platz auf der anderen Seite des Gangs ein. Sie nahm ihren gelben Schal ab. Er sah selbst gestrickt aus. Hatte sie ihn von ihrer Oma bekommen? Ihrer Mum? Ihrer Freundin?

Morgan versuchte, sie nicht anzustarren. Sie wollte gerade fragen, ob sie sich irgendwoher kannten, als sich eine Familie mit kleinen Kindern zwischen sie schob. Als die Familie an ihnen vorbei war, wandte Morgan ihre Aufmerksamkeit wieder dem Bordmenü zu. Sie kannten sich sicher nicht. Wie albern von ihr. Die Frau hatte einfach nur ein besonderes Gesicht.

»Du erkennst mich nicht, oder?«

Also ging es nicht nur ihr so! Morgan legte das Bordmenü weg und sah die Frau nochmals genauer an. Perfekte Frisur, ein fragendes Lächeln, glatte Haut, lässige Vibes. Sie sah aus wie eine Fernsehmoderatorin. Privatfernsehen. Möglicherweise Frauenfußball.

»Du kommst mir total bekannt vor, aber ich komme nicht dahinter.« Morgan verzog entschuldigend das Gesicht. »Es tut mir leid, aber ich fürchte, du musst mir auf die Sprünge helfen.«

Die Frau lächelte und legte eine Hand auf ihr Herz. »Ali Bradford. Nicoles Schwester. Wir waren auf derselben Schule. Hawthornes Academy.« Sie lächelte Morgan strahlend an. »Und ich vermute, du fliegst über die Feiertage nach Hause?«

Ali Bradford? Als Morgan Ali Bradford zuletzt gesehen hatte, hatte sie noch völlig anders ausgesehen. Wirklich komplett anders. Damals hatte sie lange Haare, eine Zahnspange und null queere Ausstrahlung gehabt. Aber jetzt … Ali konnte vermutlich sämtliche Flugzeuginsassen bekehren, wenn sie es darauf anlegte.

»Ja, ich fliege nach Hause. Du auch?« Etwas Besseres fiel Morgan unter diesen Umständen auf die Schnelle nicht ein.

Ali Bradford. Ihre Schwester Nicole war während ihrer Schulzeit Morgans beste Freundin gewesen. Und Ali war einfach die kleine Schwester in Nicoles Schlepptau. Aber in der Zwischenzeit war Ali verdammt erwachsen geworden.

»Ja. Zurück zur Scholle. Mit allem, was dazugehört.« Alis Lächeln wirkte etwas gezwungen.

Morgan war fast jedes Jahr zu Hause gewesen, hatte aber The Rising Sun, den Pub von Alis Familie, nur selten besucht. Sie hatte zwar Nicole getroffen, Ali aber bestimmt zehn Jahre nicht gesehen. Morgan hatte immer gewusst, dass Ali lesbisch war, aber so hatte sie früher nie ausgesehen. Als könnte sie in einem Moment die Tabelle der englischen Frauenfußball-Liga herunterbeten und dich im nächsten in ein Sushi-Restaurant entführen, gefolgt von einer unvergesslichen Nacht.

»Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Bestimmt zehn Jahre oder länger. Du siehst so verändert aus.«

»Habe ich früher so schlimm ausgesehen?«

Hatte Morgan sie beleidigt? Verdammt. Sie schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Nur …« Ihr fehlten die richtigen Worte.

»Mehr Haare?« Ali zog eine Braue nach oben. »Weniger queer?«

Morgan lachte. Ja, als sie Ali zuletzt gesehen hatte, hatten ihre kastanienbraunen Locken über den halben Rücken gereicht. Nicht, dass man nicht langhaarig und queer sein konnte. Aber Alis neuen Look fand Morgan einfach umwerfend. »Du hast damals schon fantastisch ausgesehen, aber jetzt siehst du doppelt fantastisch aus.«

Ali schenkte ihr ein breites Lächeln. »Geschickt abgelenkt. Das muss ich dir lassen, Morgan Scott.«

Morgan strahlte sie an. Sie mochte, wie Ali ihren Namen aussprach. Als ob sie jemand Berühmtes wäre. »Irgendwie habe ich jetzt das Gefühl, dass mir eine Veränderung auch gut stehen würde.« Sie strich sich über die blonden Haare, die immer noch dieselbe Länge hatten wie damals, als Ali sie zuletzt gesehen hatte.

»Du siehst toll aus, wie du bist.« Ali blickte ihr kurz in die Augen, sah dann aber schnell weg. Dann griff sie nach dem Bordmenü und begann, darin zu lesen.

»Warst du in letzter Zeit oft zu Hause?«

Ali schüttelte den Kopf. »Zuletzt im Sommer.«

»Ich war dieses Jahr auch nur einmal dort. Die Arbeit lässt mir kaum Zeit.«

Mehr und mehr Passagiere kamen an Bord und suchten ihre Sitzplätze, und die beiden unterbrachen ihr Gespräch. Morgans Freundschaft mit Nicole beschränkte sich seit einiger Zeit darauf, sich einmal im Jahr auszutauschen. Und um ehrlich zu sein, war das beiden genug. Nicole hatte es erwähnt, als Ali zum Studium nach Edinburgh zog. Das war aber alles gewesen.

Morgan wartete das Ende der Durchsage ab, dass das Boarding abgeschlossen sei. Dann nahm sie die Unterhaltung wieder auf.

»Was machst du in Glasgow?«

Ali steckte das Menü zurück in die Sitztasche vor sich. »Ich lebe hier.«

Tatsächlich? Das war neu. »Ich auch. Wie bist du hier gelandet?«

»Ich war zwar in Edinburgh auf der Uni, aber ich habe mich in Glasgow verliebt. Okay, die Sonne könnte öfter scheinen, aber man kann nicht alles haben, oder?«

»Vor allem keine Sonne.« Morgan stand kurz auf, um einen Herrn zum Sitz neben ihr durchzulassen. Er bedankte sich nicht einmal. »Und was machst du in Glasgow?«

»Ich arbeite für eine Softwarefirma, die Apps für das Gastgewerbe programmiert. Ich habe eine Marktlücke gesehen und wollte gleichzeitig meinen Eltern das Leben erleichtern. Man hat mich eingestellt, um eine solche App zu entwickeln.«

Damit hatte Morgan nicht gerechnet. »Habe ich schon davon gehört?«

Ali schüttelte den Kopf. »Sie ist für die Industrie. Problemlösungen für die Wirtschaft.«

»Das klingt clever und interessant. Du hinterlässt Spuren.«

Ali lächelte verlegen. »Und was machst du? Du und meine Schwester wart unzertrennlich, als ich klein war. Ich dachte damals immer, du wirst bestimmt mal DJane oder Filmstar.«

Morgan lachte. »Wirklich?« Wie kam Ali nur auf so etwas?

Ali nickte. »Du hast doch früher das Schulradio moderiert, oder?« Sie errötete. »Und die Schulversammlungen auch. Niemand konnte dich zum Schweigen bringen, also dachte ich, du würdest dir bestimmt einen Job suchen, bei dem man viel reden muss.«

»Auf gewisse Weise habe ich das auch. Ich arbeite mit Unternehmen und Menschen, um Unstimmigkeiten oder Probleme aus der Welt zu schaffen. Eine Kommunikationsexpertin, wenn du so willst.«

»Dann war meine Vermutung gar nicht so falsch.«

»Ich schätze nicht.«

Das Flugzeug rollte die Startbahn entlang. Morgan lehnte sich in ihrem Sitz zurück und schenkte Ali ein ›Wir müssen uns nicht die ganze Zeit unterhalten, wenn du keine Lust hast‹Lächeln. Sie kramte in ihrem Rucksack nach ihren Kopfhörern. Sie hatte sich einen Podcast über Beziehungen heruntergeladen, den sie eigentlich während des Flugs hören wollte. Ob es sehr unhöflich war, sich die Kopfhörer ins Ohr zu stecken, wenn sie und Ali sich eben noch unterhalten hatten?

Sie konnte ihre Kopfhörer nicht ertasten und nahm den Rucksack auf ihren Schoß, um einen Blick hineinzuwerfen. Der Flug dauerte fast eineinhalb Stunden. Es war schön, Ali zu treffen, aber die gängigen Small-Talk-Themen hatten sie bereits durch. Sie lebten beide in Glasgow. Worüber könnten sie sich sonst noch unterhalten?

Aber sie konnte ihre Kopfhörer einfach nicht finden. Wenn das so weiterging, musste sie sich vielleicht doch den ganzen Flug über unterhalten.

»Meine Damen und Herren, hier spricht ihre Flugkapitänin. Leider hat unsere Maschine eine kleine technische Störung. Unser Start verzögert sich daher kurz, bis die Angelegenheit behoben ist. Wir entschuldigen uns für die Verzögerung und wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt an Bord.«

Verdammt. Jetzt brauchte sie ihre Kopfhörer umso dringender.

»Ich dachte, der Schnee würde uns am Abheben hindern. Mit einer technischen Störung hatte ich nicht gerechnet.« Ali lächelte angespannt.

»Die Kapitänin sagte, es würde nicht lange dauern. Ich hoffe, das stimmt.«

Morgan fischte ihr Handy, ihre Geldbörse, ein Päckchen Taschentücher und drei Stifte, einer davon ohne Kappe, aus ihrem Rucksack. Vorsichtig tastete sie mit den Fingern den Stoff im Inneren ab und stellte erleichtert fest, dass sie nicht tintenverschmiert wieder zum Vorschein kamen. Wenigstens war der Stift nicht ausgelaufen. Sie würde ihn aber lieber nicht wieder zurücklegen. Stattdessen steckte sie ihn in die Tasche an ihrem Vordersitz. Morgan überlegte. Sie hatte die Kopfhörer zuletzt auf ihrem Nachttisch liegen sehen. Vermutlich lagen sie dort immer noch. Sie seufzte, stellte den Rucksack wieder auf den Boden und machte eine Flugbegleiterin auf sich aufmerksam.

»Entschuldigen Sie bitte.« Morgan schenkte ihr ihren schönsten Augenaufschlag. »Sie haben nicht zufällig Kopfhörer an Bord? Ich scheine meine zu Hause vergessen zu haben.«

Die Flugbegleiterin lächelte Morgan freundlich an und schüttelte den Kopf. Ihr Pony sah aus wie bei einer Legofigur. »Ich bedaure, aber auf Kurzstreckenflügen haben wir keine Kopfhörer an Bord.« Ihr spanischer Akzent ließ Morgan lächeln, denn sie musste sofort an eine Affäre mit einer Spanierin denken, an die sie nur schöne Erinnerungen hatte.

Morgan nickte und blickte auf das Namensschild der Frau. »Kein Problem.« Sie holte eine Schachtel Cadbury’s-Hero-Schokolade aus ihrem Rucksack und gab sie der Flugbegleiterin. »Hier, die sind für Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen. Frohe Weihnachten, Arianna.«

Ariannas Lächeln verwandelte sich von höflich-reserviert zu strahlend. »Das ist aber nett von Ihnen! Vielen Dank.«

»Sehr gern.« Unzählige Geschäftsreisen hatten Morgan gelehrt, dass eine Schachtel Pralinen oder ein wenig leckere Schokolade einen Flug um einiges bequemer machen konnten.

Und siehe da: Nach ein paar Minuten kehrte Arianna mit einer Tüte mit Kopfhörern zurück. Sie beugte sich zu Morgan hinunter und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich habe doch welche gefunden. Aber wir haben nur dieses eine Paar dabei. Also behalten Sie es bitte für sich.«

Morgan strahlte sie an. »Sie sind die Beste. Vielen Dank.«

Arianna ging weiter, und Morgan steckte die Kopfhörer in die Buchse an ihrem Handy.

»Wow. Ich bin beeindruckt. Funktioniert das immer?«

Morgan blickte kurz zu Ali hinüber. »Nicht immer. Aber fast jeder mag Schokolade, oder? Wenn ich jemandem eine kleine Freude damit machen kann, ist das doch schön. Und manchmal bekomme ich auch etwas zurück.« Sie hielt die Kopfhörer hoch.

»Ja, definitiv eine Kommunikationsexpertin.«

Morgan grinste. »Jahrelange Übung.«

Kapitel 4

Morgan Scott! Verdammt!

Okay, cool bleiben, Ali. Morgan durfte auf keinen Fall wissen, dass eine jüngere Ali praktisch den Boden unter ihren Füßen angebetet hatte. Alis Schwester Nicole war immer tierisch genervt gewesen, weil Ali ihnen praktisch überallhin folgte. Ihre Eltern dachten, Ali würde das tun, weil sie ihre große Schwester so verehrte, was auch nicht ganz falsch war. Aber noch mehr als Nicole hatte Ali immer Morgan verehrt.

Damals war für sie ganz klar: Wenn ich erwachsen bin, will ich so witzig sein wie Morgan Scott. Außerdem hätte sie auch gern einen so coolen Namen gehabt. Im Vergleich zu Morgan Scott war Alison Bradford ziemlich langweilig. So hieß vielleicht eine Grundschullehrerin. Aber Morgan Scott klang nach einem berühmten Filmstar, der in unzähligen Blockbustern mitgespielt hatte.

Und jetzt saß sie mit ihr im selben Flugzeug.

Ali versuchte krampfhaft, ruhig zu bleiben, was nicht einfach war.

Okay. Sie war keine zwölf mehr, und Morgan Scott war kein Filmstar und auch keine DJane.

Trotzdem. Morgan zu treffen, katapultierte Ali zurück in die Zeit, in der sie ein junges Mädchen gewesen war, das für eben diese Morgan geschwärmt hatte.

Erst Jahre später hatte Ali verstanden, was der wahre Grund gewesen war, aus dem sie Morgan wie ein kleines Hündchen ständig nachgelaufen war. Morgan Scott war Alis erster großer Schwarm gewesen. Sie war drei Jahre älter und lebte in einer anderen Welt, einer glamourösen Welt, von der Ali nur träumen konnte. Morgan hatte coole Freunde (abgesehen von Nicole), sie moderierte im Schulradio, die Menschen blickten zu ihr auf. Sie hörten zu, wenn sie etwas sagte. Ali saugte jedes Wort auf, das Morgan von sich gab. So lange, bis Morgan mit achtzehn Jahren die Schule verließ und auf die Universität wechselte. Die fünfzehnjährige Ali hatte zwar immer gewusst, dass dieser Tag kommen würde, aber sie war trotzdem traurig, als sie ging.

Und jetzt saß diese Morgan neben ihr und unterhielt sich mit Ali, als sei es das Normalste auf der Welt. Das war es aber nicht. Ali mochte mittlerweile 35 Jahre alt sein, aber in Morgan Scotts Nähe würde sie immer das stotternde, errötende zwölfjährige Mädchen bleiben.

Morgan hatte mittlerweile ihre Kopfhörer aufgesetzt. Damit war der Unterhaltungsteil des Fluges vermutlich beendet, aber das war Ali gerade recht. Sie brauchte Zeit, um sich wieder zu sammeln. Ob ihre Wangen so rot waren, wie sie befürchtete? Gut, dass sie keinen Spiegel hatte, um das zu überprüfen.

Sie blickte zum vorderen Teil des Flugzeugs, wo sich das Bordpersonal angeregt und mit viel Kopfschütteln unterhielt. Würde diese technische Störung doch länger dauern, als man ihnen gesagt hatte?

Sie sah kurz zu Morgan, die versuchte, die Kabel ihres brandneuen Kopfhörers zu entwirren, die sich schon nach kürzester Zeit verheddert hatten.

Ali lehnte sich hinüber. »Kann ich helfen? Du bist vielleicht sehr gut darin, die Probleme von anderen zu lösen, aber ich bin dafür ziemlich gut im Lösen von solchen Knoten.« Sie zeigte auf Morgans Kopfhörer.

Morgan zögerte kurz. Dann zog sie den Stecker aus der Buchse und reichte Ali den Kopfhörer. »Das wäre toll. Danke dir. Keine Ahnung, wie ich es geschafft habe, sie derart zu verheddern. Ist wohl ein Talent von mir.«

Ali sagte nichts, als sie Morgan den Kopfhörer abnahm.

Ihre Finger berührten sich kurz, und Ali stockte der Atem.

Die zwölf Jahre alte innere Ali stieg auf einen Stuhl und reckte jubelnd die Fäuste in die Luft. Ich habe Morgan Scott berührt!

Die 35 Jahre alte Ali presste die Lippen aufeinander, ignorierte die Hitzewelle, die in ihr aufstieg, entwirrte vorsichtig die Kabel des Kopfhörers und gab ihn Morgan zurück.

»Danke.« Morgan blickte ihr kurz in die Augen.

Was sie wohl sah? Ali hatte keine Ahnung. Sie bewegte die Zehen in ihren Schuhen und betete darum, dass ihr Kopf mittlerweile nicht hochrot angelaufen war. Die Chancen standen 50:50. Sie war so froh, dass der Flug nur kurz war, denn sie war sich ziemlich sicher, dass sie nicht lange in Morgans Nähe sein konnte, ohne etwas wirklich Dämliches von sich zu geben.

Die Lautsprecher knisterten kurz, dann erklang erneut die Stimme der Flugkapitänin.

»Liebe Fluggäste, ich habe leider schlechte Nachrichten für Sie. Unsere Maschine ist im Moment nicht flugtauglich. Zum Glück haben wir von diesem Umstand erfahren, solange wir noch am Boden waren. Da stimmen Sie mir sicher zu. Es läuft aber nun leider darauf hinaus, dass Sie das Flugzeug wieder verlassen müssen. Bitte haben Sie etwas Geduld, während wir in der Zwischenzeit versuchen, Sie anderweitig an Ihr Ziel zu bringen. Ich kann mir vorstellen, dass das nicht die Neuigkeiten sind, auf die Sie gehofft hatten, aber sehen Sie es von der positiven Seite. Heute ist erst der 22. Dezember, sodass wir noch drei Tage bis zum großen Tag Zeit haben und Sie hoffentlich alle rechtzeitig zu Hause sein werden, um den Weihnachtsbraten gemeinsam mit Ihren Lieben genießen zu können. Ich möchte mich noch einmal vielmals bei Ihnen entschuldigen, aber die Sache liegt nicht mehr in unserer Hand. Bitte folgen Sie nun den Anweisungen des Bordpersonals. Vielen Dank!«

Ali runzelte die Stirn und sah Morgan an. »Keine guten Neuigkeiten.«

Morgan seufzte, stöpselte die Kopfhörer wieder ab und steckte sie zurück in die Plastiktüte. »Nein, aber wie die Kapitänin sagte, haben wir zum Glück noch Zeit, um nach Hause zu kommen.«

Ali nickte. »Viel Zeit. Wie viel Reiseverkehr kann kurz vor Weihnachten schon sein?«

~ ~ ~

Die Passagiere verließen das Flugzeug und wurden mit Bussen zurück zum Terminal gebracht. Ali schrieb eine Nachricht an ihre Familie, um sie auf dem Laufenden zu halten. Dann steckte sie das Handy zurück in ihren grünen Dufflecoat. Tobias sagte immer, sie sähe damit aus wie ein grüner Paddington-Bär. Damit hatte sie kein Problem. Sie mochte den Paddington-Bären. Und Marmeladenbrote mochte sie auch.