Wer es wagt, verliert - Gudrun Leyendecker - E-Book

Wer es wagt, verliert E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

"Wer es wagt, verliert" ist ein hintergründiger Roman im Genre Soft-Crime mit überraschenden Entwicklungen und Wendungen. Abigail, Schlossherrin von Sal Maggiore ist die Schutzherrin der Institution NOVISSIMA SANITAS und wird gebeten einer Morddrohung nachzugehen, die im Kurhaus die Insassen beunruhigt. In ihrer Hand liegt es, über Aufenthalte und Entlassungen zu entscheiden. Liegt da ein Motiv für die Drohung?

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WER ES WAGT, VERLIERT

ist ein hintergründiger Roman im Genre Soft-Crime mit überraschenden Entwicklungen und Wendungen.

Abigail, Schlossherrin von Sal Maggiore ist die Schutzherrin der Institution NOVISSIMA SANITAS und wird gebeten einer Morddrohung nachzugehen, die im Kurhaus die Insassen beunruhigt. In ihrer Hand liegt es, über Aufenthalte und Entlassungen zu entscheiden.

Liegt da ein Motiv für die Drohung?

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

1. Kapitel

„Es tut mir leid, liebe Abigail“, beteuerte mir der Marschall. „Ich würde Ihnen die lästige Aufgabe gern ersparen, aber ich sehe hier keine andere Möglichkeit, als dass Sie sich selbst dieser Sache annehmen und die betreffenden Patienten begutachten.“ Er schenkte mir einen bedenklichen Blick, und ich überlegte, wie ernst ich die Sache nehmen sollte.

„Und diese Morddrohung steht wirklich damit im Zusammenhang?“ bohrte ich weiter.

Henry hob die Augenbrauen. „Verena berichtete zwar, dass es ein einmaliger Anruf gewesen ist, aber seitdem hat sie keine ruhige Minute mehr. Die Plätze hier in dem Sanatorium sind heiß begehrt, und die Gutachten, die den Genesenen erteilt werden, werden überall gelobt und von exquisiten Fachleuten bestätigt. Jeder Kranke möchte hier diesen besonders positiven Abschluss erreichen und hofft auf einen langen Aufenthalt. Da hat es natürlich die Klienten beunruhigt, dass Verena Breuer kurzerhand sogar einen Politiker vorzeitig entlassen hat. Oder sollen wir besser sagen, sie hat ihn hinausgeworfen?“

Ich seufzte hörbar. „Frau Breuer hat mir den Fall in allen Einzelheiten geschildert. Herr Frambesius hat sich wirklich allen Regeln hier widersetzt und nichts getan, was der Unterstützung seiner Genesung dienen konnte. Ich stehe voll hinter ihrem Beschluss. Mir ist es sehr daran gelegen, dass wir hier Kranken helfen, die auch wirklich gesund werden wollen, und die auch wenigstens ein bisschen mitarbeiten und versuchen, sich etwas einzufügen. Was sagt denn die Polizei zu dieser Drohung?“

„Kommissar Felix Reimer sieht die Sache sehr ernst und hat bereits eine Fangschaltung installieren lassen. Auch er will sich um unsere Patienten kümmern und mit unserer Erlaubnis einige befragen.“

Er nahm einen Schluck Kaffee und sah mich fragend an.

„Nach Möglichkeit möchte ich die Patienten da außen vor lassen“, wünschte ich mir. „Ich werde mich tatsächlich zuerst mit ihnen befassen und bei jedem einzelnen dann beurteilen, wen Felix befragen darf. Schließlich steht auch die Genesung der Patienten dabei auf dem Spiel. Aber ein psychologisches Gutachten, ein Urteil kann ich nicht abgeben, vielleicht habe ich eine gute Menschenkenntnis und einen gesunden Menschenverstand, aber keinerlei Ausbildung zu diesem Thema. Ich werde mich mit Frau Breuer besprechen müssen, denn ich halte sie für kompetent, auch wenn ich anfangs ihren Gesundheitsprüfungen recht skeptisch gegenüber stand.“

Der Marschall lächelte. „Sie hat zwar von Seminaren in der Schweiz gesprochen, aber ich bin immer noch nicht sicher, aus welcher Ausbildung sie diese seltsamen Prüfungen übernommen hat. Sie verlangt sehr viel von den Menschen, die von ihr dann als gesund bezeichnet werden. Vielleicht sprechen Sie auch noch mal mit ihr darüber?“

„Natürlich. Ich habe gerade meinen Papierkram im Büro erledigt, ein paar Abrechnungen gemacht. Da habe ich mir einen kleinen Spaziergang zum Sanatorium verdient.“

„Vielleicht sollte ich Sie lieber fahren“, überlegte er. „Ich möchte nicht, dass Ihnen noch etwas passiert. Schließlich haben Sie das ganze Projekt ins Leben gerufen und das Geld für das Sanatorium aufgebracht. Daher sind Sie letzten Endes auch für alles verantwortlich und damit vielleicht auch gefährdet.“

„Ach, Unsinn!“ widersprach ich ihm. „Für mich ist es nur wichtig, dass man den Menschen hier eine Hilfestellung bietet. Dafür habe ich hier auch die besten Kräfte eingestellt. Aber warum sollte mir jemand etwas tun? Wir haben hier schon sehr viele Genesene entlassen können. Vielleicht ist diese Drohung wirklich aus dem Personenkreis des entlassenen Politikers, der jetzt möglicherweise sauer ist. Und dabei haben wir uns so bemüht, dass es nicht in die Presse kommt. Ich weiß wirklich nicht, wie davon jemand Wind bekommen konnte. Wir müssen die undichte Stelle finden.“

„Ich werde mich darum kümmern“, versprach er, „aber bitte versprechen Sie mir jetzt auch, ganz vorsichtig zu sein. Schließlich sind Sie die Seele des ganzen Unternehmens.“

Ich enthielt mich einer Antwort, packte meine Papiere zusammen und verließ mit einem kurzen Gruß den Raum.

2. Kapitel

Ich wählte den Weg über die Wiesen zum Sanatorium und genoss den milden Herbst-Sonnenschein und den Blick auf den nahen sich bunt färbenden Wald. Ein Bussard kreiste über mir und wartete auf eine geeignete Mittagsmahlzeit.

Nach einer Viertelstunde hatte ich das große Anwesen erreicht, ein Sanatorium aus einem umgebauten alten Gutshof, der im Schatten etlicher großer alter Bäume in der Wärme des Mittags zu schlummern schien.

Die Eingangstür stand weit offen

Eine Pflegerin erschien und begrüßte mich mit einem ehrfürchtigen Knicks. „Ich weiß gar nicht, wie ich Sie anreden soll, gnädige Frau?“

Ich winkte ab. „Machen Sie sich darüber doch keine Gedanken! Ich bin eine ganz normale Frau. Sagen Sie einfach nur Frau Lessing zu mir, und dann ist es gut! Wissen Sie, ob ich Frau Breuer in ihrem Büro finden kann, oder gibt sie zurzeit eine Therapiestunde?“

„Sie sitzt gerade in ihrem Büro und trinkt eine Tasse Tee. Das weiß ich nämlich so genau, weil ich ihr gerade das Getränk serviert habe. Soll ich Sie dorthin begleiten, Frau Lessing?“

Ich hob abwehrend die Hand „Vielen Dank, Edwina! Das ist nicht nötig. Sie haben auch Ihre Mittagspause verdient. Ich kenne den Weg ja und finde mich hier zurecht.“

„Hm, ich dachte ja nur“, stotterte sie und druckste ein bisschen herum. „Die Patienten wissen ja von nichts, aber Frau Breuer hat uns, dass Personal schon eingeweiht und uns berichtet, was passiert ist.“

Ich stellte mich dumm. „Was meinen Sie denn damit?“

Sie atmete mit offenem Mund tief aus. „Ein Unbekannter hat doch die Therapeutin angerufen und ihr gesagt: „Wenn Sie in Zukunft weiter die Entscheidungen hier in „Novissima Sanitas“ treffen, dann müssen Sie mit dem Schlimmsten rechnen. Ihr Leben könnte in Gefahr sein. Überlassen Sie die Entscheidungen der Königin“.“

Ich seufzte. „Ein sehr mysteriöser Anruf, vermutlich hat sie den auch nicht auf dem Band gespeichert, oder?“

„Leider nicht. Das kam ja auch zu spontan und unerwartet. Bisher waren alle Menschen hier immer zufrieden. Die Klienten und auch alle anderen, mit denen wir es hier tun haben. Schließlich geht es hier auch nicht um Gelder von Krankenkassen oder um Steuergelder. Sie sind schließlich diejenige, die alles gestiftet und gesammelt hat. Da darf sich doch eigentlich keiner anmaßen, Ihnen oder Frau Breuer Vorschriften zu machen.“

Ich seufzte erneut „Leider gibt es immer wieder Menschen, die sehr kurzsichtig sind, und ich befürchte, dass sich hier irgendjemand benachteiligt fühlt. Gibt es hier vielleicht Neid unter den Kollegen?“

Edwina schüttelte leicht den Kopf und verzog das Gesicht. „Auf gar keinen Fall. Wir sind hier ein wunderbares, eingespieltes Team. Die Pfleger und Schwestern verstehen sich gut, und die Ärzte und Therapeuten erkennen Frau Breuer als Koryphäe an. Sie ist einfach genial, ein Naturgenie und wird von allen verehrt, genau wie Sie, Frau Lessing.“

Die vielen schmeichelhaften Worte gefielen mir nicht. Meinte sie das wirklich ehrlich, oder versuchte sie nur, vor mir einen guten Eindruck zu machen?

Ich wünschte ihr noch einen guten Tag und verabschiedete mich von ihr.

In Gedanken versunken eilte ich in das Büro am anderen Ende des Flurs.

Ein freundliches „Herein“ teilte mir nach meinem Klopfen mit, dass ich Verena nicht störte.

Leise öffnete ich die Tür, und an ihrem nachdenklichen Ausdruck erkannte ich, dass sie gerade grübelte. Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie mich sah.

„Da haben sie mich wirklich auf dem falschen Fuß erwischt, die Leute, die mir drohen“, platzte sie los. „Ich bin sonst bestimmt kein ängstlicher Typ. Im Gegenteil, ich habe all diese Mutproben selber ausgeführt, die ich meinen Klienten anbiete. Aber diese Drohung am Telefon ist so mysteriös, dass ich sie in keine vernünftige Kategorie einordnen kann. Ich schwanke da mit der Beurteilung hin und her. Will mich da nur jemand ärgern? Will mich damit jemand erschrecken oder aus meinem Gleichgewicht bringen? Will mir jemand meine Stärken nehmen? Oder gibt es tatsächlich jemanden, der so weit gehen würde und mich ausschalten möchte, egal auf welche Art und Weise? Und was, um Himmelswillen, habe ich falsch gemacht? Bisher hatte ich mit jedem Patienten eine Engelsgeduld. Sollte sich diese ganze Sache wirklich auf Herrn Frambesius beziehen, der sich an mir rächen will? Aber sag doch einmal ganz ehrlich, was hätte ich sonst mit ihm anfangen sollen? Du hast ihn doch auch gesehen, und du hast seine Akte gelesen. Hättest du anders gehandelt als ich?“

Ich schüttelte energisch den Kopf. „Du hast völlig richtig gehandelt. Er hat hier tatsächlich alles durcheinander gebracht durch seine egozentrische Art und Weise. Ein solches Therapiezentrum kann nur funktionieren, wenn hier auch gewisse Regeln eingehalten werden, auch von den Patienten. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen, er hat sich wirklich an nichts gehalten. Er hat Alkohol in Mengen getrunken und auch versucht, andere Klienten zum Alkoholgenuss zu überreden. Er ist gekommen und gegangen, wann er wollte und hat auch seine Therapiestunden in den meisten Fällen geschwänzt. All deinen Vorschlägen gegenüber hat er sich sehr ablehnend verhalten, und er hat versucht, jeden gegen diese Behandlungsmethoden aufzuwiegeln. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendjemanden gibt, der ihm dann nicht auch nahegelegt hätte, dieses Sanatorium zu verlassen.“

Verena schenkte mir ein Glas Wasser ein. „Ja, so denke ich auch. Ich könnte mir nach seinem Charakter auch ganz gut vorstellen, dass er in seinem Bekanntenkreis Menschen hat, die mir einmal ohne Bedenken am Telefon drohen, das passt zu dem Bild, das ich von ihm habe. Hier im Klinikum habe ich wirklich keine Feinde. Und alle Patienten sind so lieb und so dankbar. Ich komme sehr gut mit allen klar und werde respektiert. Trotzdem bitte ich dich, mir jetzt bei den Gutachten zur Seite zu stehen! Und bei dieser Gelegenheit kannst du dir die Menschen hier auch gleich etwas näher anschauen und dich davon überzeugen lassen, dass ich hier keine Feinde habe. Hilfst du mir also dabei?“

„Natürlich helfe ich dir dabei. Aber mein Urteil ist in der Öffentlichkeit bestimmt nicht viel wert, ich bin keine Psychologin.

Sie lächelte. „Das wird allgemein überbewertet, ein gesunder Menschenverstand tut es manchmal auch. Hast du etwas Zeit mitgebracht? Dann kann ich dir gleich meine erste Patientin vorstellen. Es muss ja für den Anfang kein langes Gespräch sein.“

Ich nahm einen Schluck Wasser. „Ich nehme mir jetzt einfach die Zeit“, entschied ich. „Im Schloss hat heute der Marschall sicher sonst noch etlichen Papierkram für mich. Hast du eine besondere Klientin ausgewählt?“

Wieder schenkte sie mir ein Lächeln. „Das ist eine trockene Alkoholikerin mit einem interessanten Lebenslauf. Ihre Genesung ist schon sehr weit fortgeschritten. Sie ist gerade draußen im Garten, steht vor einer Staffelei und malt. Dabei ist sie oft sehr gesprächig. Und du wirst sehen, die meisten meiner Klienten sind sehr gesprächig, besonders, wenn sie die Gelegenheit haben, etwas aus ihrem Leben erzählen zu dürfen. Das haben sie gern, dann sehen sie sich einmal im Mittelpunkt.“

„Hat sie auch unter der Anwesenheit von Frambesius gelitten? Hat er ihr auch Alkohol angeboten?“

„Ja, tatsächlich. Aber sie hat nicht nur einen Widerwillen gegen Alkohol, sie hasst es auch, die Kontrolle zu verlieren. Da hatte er bei ihr keine Chance.“

„Die Geschichte interessiert mich. Wenn man Angst hat, die Kontrolle zu verlieren, darf man sich nicht mit dem Alkohol einlassen. Wie ist es passiert, dass sie es trotzdem tat?“

Verena erhob sich. „Das sollst du selbst herausfinden, im Gespräch mit ihr. Ich werde dich jetzt zu ihr führen, und du wirst ganz gewiss kein Problem haben, mit ihr in Kontakt treten, denn sie ist nicht nur sehr gesprächig, sondern auch kontaktfreudig. Und wie viele Alkoholiker ist sie sehr gutmütig und liebt die Harmonie. Sie kämpft nicht gern, sondern versucht, die Welt mit Freundlichkeit etwas netter zu gestalten. Und wenn du sie um ein Gespräch bittest, wird sie dir das nicht abschlagen, denn sie ist bemüht, es vielen Menschen recht zu machen.“

„Ein Opfertyp?“

„Schau sie dir selbst an!“ riet sie mir und führte mich aus dem Zimmer.

3. Kapitel

Sally sah nicht so aus, wie sich die meisten Leute eine Alkoholikerin vorstellen. Ihr heller Hosenanzug wirkte elegant, ihre Lockensfrisur sah adrett und ihre Haut gepflegt aus.

Verena stellte uns vor und nickte der älteren Dame zu. „Jetzt hast du die Gelegenheit, der Grande Dame einmal etwas über dein Leben zu erzählen“, wandte sie sich an Sally. „Nachdem du hier so viel geleistet hast, wird dir das bestimmt Spaß machen.“

Bevor die ältere Dame etwas erwidern konnte, wandte sich die Therapeutin ab und kehrte ins Haus zurück.

Sally sah mich etwas verlegen an. „Haben Sie überhaupt Zeit für mich? Ich denke, Sie haben wohl etwas Besseres zu tun.“

Ich erinnerte mich an Verenas Worte: Diese Patientin möchte es gern allen Menschen recht machen. Vermutlich war sie ein Opfertyp, die Geschichte interessierte mich.

Ich setzte mich mit ihr auf die Bank, die neben der Staffelei stand und betrachtete das Bild, das eine Gartenpflanze zeigte, gemalt mit Aquarellfarben.

„Ich habe Zeit für Sie“, versicherte ich ihr. „Und die Blume auf dem Bild gefällt mir, sie sieht sehr lebendig aus. Hat Ihnen die Zeit bei Verena gut gefallen?“

Die Dame nickte. „Oh ja! Sie ist eine sehr gute Therapeutin und konnte mir viele Fragen beantworten, besser gesagt, sie brachte mich dazu, dass ich mir selbst einige Fragen beantworten konnte. Ich bin jetzt 63 Jahre alt, das ist für viele Menschen eine Wende im Leben. Früher wurde man in diesem Alter pensioniert, aber auch heute ist es noch eine wichtige Stufe im Leben des Menschen. Man kann noch einmal eine Entscheidung treffen, für oder gegen das Leben. Und ich habe mich dafür entschieden.“

„Sie sehen noch gar nicht so alt aus“, machte ich ihr ein ernst gemeintes Kompliment.

Sie lächelte. „Sie meinen wohl, weil man mir den Alkohol nicht gleich ansieht?! Ich war schon auf eine spezielle Art im Bereich der Süchtigen und weiß, dass ich wohl mein ganzes Leben lang auch gefährdet bin. Ich habe immer nur so viel getrunken, bis ich mich sehr, sehr gut fühlte. Am Anfang war das gar nicht viel. Ich habe nie so viel getrunken, dass ich nicht mehr wusste, was ich tat. Nein, davor hätte ich große Angst gehabt. Aber das Problem war eben dabei, dass der Alkohol ganz schön hinterhältig ist. Der Körper gewöhnt sich eben daran und braucht immer wieder mehr davon. Deswegen war ich am Ende auch vom Wein ein wenig entfernt und beim Cognac angelangt. Und wenn es die Gelegenheit möglich machte, auch schon am Vormittag. Dann war für mich der Tag in Ordnung, und ich konnte die Welt mit all ihren Problemen ertragen.“

„Und wie war der Anfang? Wann haben Sie das erste Mal etwas bemerkt?“

„Oh! Das merkt man nie so genau. Das entwickelt sich schleichend, und das hatte bei mir einen besonderen Grund. Schon als Kleinkind bekam ich häufig homöopathische Medikamente, und die waren alle auf Alkoholbasis. Ich glaube, dass ist der Anfang gewesen. Ein kleines Medizinglas mit dem alkoholischen Geschmack, dazu die Zuwendung der Eltern, vielleicht noch mit einem guten Wort: „Das hilft jetzt, jetzt wird alles gut“. Ich denke in diesen Augenblicken hat sich bei mir für später schon eingeprägt, dass dieses Geschmackserlebnis auf der Zunge etwas mit einem guten Gefühl zu tun hat. In diesen Augenblicken, hatte ich doch alles, was ich wollte, wenn es mir nicht gut ging. Meine Eltern kümmerten und sorgten sich um mich, sie unternahmen etwas, um meine krankhafte Situation zu verbessern, sie waren lieb und nett zu mir und zeigten mir, dass mit diesem Geschmack nun alles besser werden würde. Hinzu kommt natürlich meine ganze Persönlichkeit, in der in frühester Kindheit mein eigener Wille schon sehr stark gestaucht wurde, sodass ich es später erst lernen musste, mich durchzusetzen, wenn es nötig wurde. Ansonsten gab es keinen Alkohol in meiner Kindheit. Bei meinen Eltern gab es so etwas nur zu besonderen Anlässen, insofern bin ich da nicht vorbelastet. Können Sie mir so weit folgen?“

„Das klingt für mich sehr einleuchtend“, fand ich. „Und wie sind Sie auf diese Erklärung gekommen?“

„In langen Gesprächen mit Verena. Sie hat mich tatsächlich erst auf diese Idee gebracht. Den nächsten Kontakt mit dem Alkohol hatte ich erst, als ich mit einem leider recht nüchternen und kühlen Menschen verheiratet war. Da brachte mich meine Schwiegermutter wieder auf den Geschmack. Der Alltag war sehr schwierig mit meinem Mann, aber sonntags, da lud sie uns zum Essen ein und verwöhnte uns mit einem köstlich zubereiteten Menü. Natürlich gab es dazu auch guten Wein, und den gab es nur für sie und mich, als besondere Belohnung. Damit wollte sie mir auch eine besonders schöne Stunde bereiten, das deutete sie auch mit Worten an. Vermutlich hat es da bei mir im Gehirn geklingelt, und irgendetwas in mir hat sich an den früheren Kontakt mit dem Alkohol erinnert. Ein paar Jahre später kaufte ich den Wein dann selbst ein, um mir auch etwas Gutes zu tun, und ich spürte, dass ich damit einen Weg gefunden hatte, gelassener leben zu können.“

Ich nickte. „Das kann ich alles sehr gut nachvollziehen. Und was hat Sie dazu gebracht, mit dem Alkohol aufzuhören?“

„Er ist mir nicht bekommen. Ich habe mich nicht mehr wohl gefühlt, mein Blutdruck stieg, und ich denke, mein Herz hat darunter gelitten. Und plötzlich bekommt man dann Angst um sein Leben, die Situation hat mir dann gesagt, es kann alles nicht so weitergehen, und ich muss einiges in meinem Leben ändern. Ich habe es dann sogar allein geschafft, ohne ärztliche Hilfe. Aber das soll man mir nicht nachmachen, das ist nicht gut gewesen, und es war eine fast unerträgliche Zeit. Deswegen brauchte ich jetzt auch eine Therapie, die mir wieder ins normale Leben zurück geholfen hat.“

„Fällt es Ihnen denn jetzt nicht schwer, über all das zu sprechen?“ erkundigte ich mich.

Sie atmete tief. „Mit einem Fremden hätte ich jetzt nicht darüber gesprochen. Aber zu Ihnen habe ich Vertrauen, denn Sie haben mir ja diese Heilungsmethoden hier im Sanatorium erst ermöglicht. Natürlich, wenn man darüber spricht, erinnert es einen immer wieder, und es berührt mich schon. Soll ich Ihnen auch einmal ein Bild malen?“

Ich betrachtete erneut das Bild. „Es gefällt mir sehr gut. Drüben im Schloss habe ich noch ein paar leere Wände, und in meinem Büro könnte ich gut noch etwas Farbenfrohes gebrauchen. Haben Sie hier viel gemalt?“

Sie lächelte mich an, Stolz lag in ihrem Blick. „Ja, das Malen habe ich hier auch für mich entdeckt. Wir dürfen hier in den Werkstätten alles ausprobieren, und ich bin sehr glücklich darüber, dass ich jetzt ein bisschen kreativ sein kann.“

In diesem Augenblick ertönte ein lauter Gong. „Das ist für meinen Gymnastikunterricht“, verkündete sie mir fröhlich. Wir müssen jetzt leider unser Gespräch unterbrechen. Es hat mich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen. Soll ich Ihnen ein anderes Mal vielleicht noch mehr berichten?“

„Natürlich, gern“, beeilte ich mich zu sagen. „Von heute an werde ich mich persönlich auch um das Sanatorium und seine Gäste bemühen.“

Sie reichte mir erfreut die Hand. „Vielen Dank! Und dann auf Wiedersehen!“

4. Kapitel

Nachdenklich spazierte ich durch den Park, der das Sanatorium umgab. Ich hatte noch nicht viel von dieser Sally erfahren, aber ich hatte gesehen, dass es ihr mit einer Wandlung in ihrem Leben sehr ernst war. Wieder fiel mir Frambesius ein. Warum war er überhaupt hier gewesen? Hatte er sich einfach nur profilieren und hier stören wollen? Wollte er vielleicht diese Einrichtung irgendwie disqualifizieren und schlecht machen? Nach reiflicher Überlegung erschien es mir naheliegend, dass er etwas mit der Drohung zu tun hatte. Vielleicht sollte ich der Sache einmal nachgehen. Vielleicht sollte ich ihn einmal aufsuchen? Aus den Rosenbeeten drang mir süßer Duft entgegen, und ich lächelte unwillkürlich. Ob man hier auch Dufttherapien vornahm? Ich erkannte, dass ich viel zu wenig über mein eigenes Projekt wusste. So konnte das nicht weitergehen, auch ich hatte also etwas in meinem Leben zu ändern. Und was hatte das überhaupt mit den Prüfungen auf sich, von denen der Marschall gesprochen hatte?

Ich erinnerte mich, dass vor ein paar Tagen auch meine Köchin etwas verschleiert von recht ungewöhnlichen Experimenten gesprochen hatte. „Sehen Sie sich das lieber einmal selbst an!“ hatte sie mir geraten.

Gut, jetzt war ich einmal auf dem Gelände, jetzt hatte ich die Gelegenheit, ein bisschen nachzuforschen.

Hinten in der äußersten Ecke des Parks gab es einen Kräutergarten, hier fand ich Marisa, die junge Psychologin, die Verena häufig assistierte.

Sie grüßte mich erfreut. „Schön, dass Sie kommen, Abigail! Allerdings ist es vermutlich aus traurigem Anlass wegen der Morddrohung, nicht wahr? Ich bin sicher, dass Sie uns auf irgendeine Weise helfen können.“

„Ich werde es versuchen, Marisa. Was halten Sie denn davon? Haben Sie irgendeinen Verdacht?“

Sie sah mich mit großen Augen an. „Wir alle tippen auf Frambesius. Ihm hat es sicher nicht gefallen, dass ihn Verena kurzerhand entlassen hat, auch wenn sie absolut gute Begründungen für ihre Handlungsweise darlegen konnte. Ich, und auch die andern alle hier im Sanatorium glauben, dass er wütend ist und sich rächen will. Er ist ein Egozentriker und duldet im Allgemeinen keinen Widerspruch, und er glaubt, dass jeder vor ihm kriechen muss. Da kann er es sicher nicht ertragen, dass ihm Verena die Stirn geboten hat.“