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Jil Eileen Füngeling lebt ihren Traum und entdeckt als Reisebloggerin die schönsten Orte der Welt, bis ein schlimmer Unfall alles erschüttert. In der afrikanischen Wüste kracht ein entgegenkommendes Auto in ihren Wagen und verletzt sie schwer. Im Krankenhaus kämpft Jil um ihre Zukunft. Wird sie je wieder gehen können? Mit unglaublichem Mut stellt sie sich schmerzhaften Therapien und einem neuen Alltag. Jil gibt alles für ihr großes Ziel, eines Tages wieder gehen und die Welt bereisen zu können.
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Seitenzahl: 370
Veröffentlichungsjahr: 2025
Titel
Cover
Titel
Vorwort
Wenn das Leben dich ruft, folge ihm
Hakuna Matata – Auf den Spuren der Löwen
Der Augenblick, der alles veränderte
Wenn nur Liebe hilft
Coming Home – Auch gebrochene Flügel finden zurück
Durch Schmerz gezeichnet, von Hoffnung getragen
Man wächst an dem, was einen zerbricht
Narben schreiben die Geschichten des Lebens
The strongest lioness – Der Weg zurück zu mir
Wenn das Leben rückwärts läuft
Welcome to the thing called life
Stelle deine Träume über deine Ängste
Grenzen existieren nur im Kopf
Wenn Wunder geschehen
Glaube versetzt Berge
Was du glaubst, wird wahr
I’m a real tough kid
Where To Next?
Danksagung & Schlusswort
Just like the moon,I go through phases.
Hier sitze ich nun – auf sandigem Boden mit Blick auf das Meer. Ich höre das Rauschen des Wassers, spüre die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut und merke, wie mir der Wind der niederländischen Küste um die Ohren pfeift. Auf den ersten Blick wirkt alles vertraut. Und doch ist nichts mehr so, wie es einmal war. Während ich diese Zeilen schreibe, kehre ich in Gedanken zu der wohl schwierigsten Zeit meines Lebens zurück. Das ist meine Geschichte – die einer jungen Frau, die während einer ihrer Abenteuerreisen fast alles verlor. Die Geschichte einer, die das Leben liebt und deren eigenes sich innerhalb von Sekunden für immer veränderte.
Seit Jahren tue ich genau das, was mich erfüllt: reisen. Die letzten waren aber vor allem von einem geprägt: meiner Reise zurück ins Leben. Zwischen »aufgeben« oder »weitermachen« wählte ich, wieder aufzustehen. Also begab ich mich trotz unzähliger Herausforderungen und entgegen jeder medizinischen Prognose auf den Weg zu mir zurück – auf den Weg in Richtung Heilung.
Die folgenden Zeilen sollen erreichen, dass jeder an sich glaubt. Egal, wie unmöglich es scheint. Dieses Buch will Hoffnung schenken – vor allem jenen, die gerade danach suchen. Am Tiefpunkt angekommen, habe ich für mein Leben gekämpft. Und ich weiß: Du kannst das auch!
»
Diese Reise hat mein Leben auf den Kopf gestellt«, hörte ich mich mit einem Mikro in der Hand vor rund 200 Menschen sagen. Mein Herz pochte. Während ich mich umsah, blickte ich in zahlreiche Gesichter, die gespannt meinem Vortrag lauschten. Hinter mir eine große Leinwand mit eindrucksvollen Bildern. Sie zeigten mich tanzend in einem Kindergarten in Afrika, sitzend in einem Jeep auf Safari, surfend am Strand von Sri Lanka oder jubelnd auf der langen Treppe der Wanderung »Stairway to Heaven« in Hawaii. Knapp zwei Jahre vor diesem Augenblick, in dem ich mich als Speakerin auf einer großen Bühne wiederfand und Menschen von meinen Reiseerlebnissen berichtete, hatte ich eine der größten Entscheidungen meines Lebens getroffen: »Ich werde die Welt bereisen!« Damit hatte ich – mehr als je zuvor – meine Träume über meine Ängste gestellt. So hatte sich das Jahr 2018 als eines meiner mutigsten und bedeutungsvollsten Jahre entpuppt. Ich hatte Job und Wohnung vorerst aufgegeben, die meisten meiner persönlichen Sachen verkauft und meinen Freunden, meiner Familie und dem Land, das ich mein Zuhause nannte, für ein Jahr den Rücken gekehrt. Ganz allein. Ich, das kleine blonde Mädchen vom Dorf, das voller Ängste gewesen war und kaum ein Wort Englisch gesprochen hatte, war zu einer Weltenbummlerin geworden. Und: Die Weltreise veränderte alles! Nach meiner Rückkehr startete ich mein eigenes Business, reiste weiter um den Globus und war plötzlich in einer ziemlich glücklichen Beziehung. Das Abenteuer, in das ich als 22-Jährige gestartet war, war mit meiner Rückkehr nach Deutschland noch lange nicht vorbei. Es wurde noch viel besser.
Von Afrika über Amerika bis Asien und Ozeanien: Durch die einjährige Reise 2018 habe ich die Schönheit unserer Erde, aber auch mich selbst besser kennengelernt. Die Zeit allein führte mich auf komplett neue Wege: Ich traf auf unterschiedliche Menschen und Kulturen, fällte meine eigenen Entscheidungen, übernahm Verantwortung und stärkte mein Selbstvertrauen. Ich reiste für ein Jahr der Sonne hinterher und trug sie gleichzeitig auch in meinem Herzen. Mit dem Tag meines Aufbruchs war ich fest entschlossen, mein Glück von nun an selbst in die Hand zu nehmen. Ich bereiste 26 Länder in zwölf Monaten, lebte ausschließlich aus einem Backpack, war low budget unterwegs, ernährte mich hauptsächlich von Haferflocken und schlief meistens in den günstigsten Hostels – manchmal sogar auf einer kaputten Matratze hinter der Rezeption. Zu Fuß erkundete ich zahlreiche Großstädte, aber auch kleinere Orte. Ich besichtigte jahrhundertealte Sehenswürdigkeiten, verweilte an traumhaften Sandstränden, bestieg riesige Berge und wurde mit atemberaubenden Ausblicken belohnt. Fast jeden Abend beobachtete ich die untergehende Sonne – früh morgens sah ich manchmal auch, wie sie aufging. Täglich trugen mich meine beiden Füße ins nächste Abenteuer. Währenddessen brauchte ich weniger zum Leben denn je. Und: Ich war nie glücklicher.
Jeden Tag schrieb ich Tagebuch und verewigte meine unglaublichen Erlebnisse auf Bildern und in Videos. Als ich beschloss, sie mit anderen zu teilen, füllte ich meinen Instagram-Account regelmäßig mit neuen Reiseinhalten. Anfangs waren es hauptsächlich Freunde und Familie, die ich mit meinen Posts erreichte. Doch mit der Zeit verfolgten auch andere Menschen meine Reise um die Welt und ließen sich von meinen Travel-Erlebnissen inspirieren. Als ich ein Jahr später nach Deutschland zurückgekehrt war, war die Anzahl meiner Follower auf mehr als 40.000 Menschen angewachsen. Damit hatte ich bei Weitem nicht gerechnet. Neugierig verfolgten sie meinen Weg – sogar über das Auslandsjahr hinaus. Täglich bemühte ich mich, mit meinen Postings einen Mehrwert zu schaffen und andere zu ermutigen, ihre Träume Realität werden zu lassen. Ich zeigte die schönsten Orte dieser Erde, erzählte, wie ich es dorthin geschafft hatte, und gab meine Erfahrungen weiter. Da sich meine Solo-Weltreise durch mein Social-Media-Profil derart herumgesprochen hatte, erhielt ich schließlich Nachrichten von großen Firmen, die für Werbekooperationen mit mir zusammenarbeiten wollten. Dass ich zusätzlich die Möglichkeit bekam, als Speakerin Vorträge über meine Weltreise zu halten, übertraf alles. Ich konnte mein Glück kaum fassen. War ich gerade etwa dabei, meine Passion für das Reisen zum Beruf zu machen? Doch nicht allein mein berufliches Leben entwickelte sich seit der Weltreise rasch voran. Auch privat kam vieles in die Gänge. Die »Forever-alone-Single-Jillo« hatte jetzt nämlich Jaimy an ihrer Seite. Der große, dunkelblonde, blauäugige Holländer war mir bei meiner Weltreise in einem Hostel in San Diego über den Weg gelaufen und sofort ins Auge gefallen. Schon bei unseren wenigen Verabredungen an der Westküste Amerikas hatte sich herausgestellt, dass er und ich möglicherweise das perfekte Match sein könnten. Wir teilten dieselben Interessen, hatten den gleichen Humor und dazu eine ziemlich ähnliche Vorstellung davon, wie wir unser Leben gestalten wollten: voller Abenteuer! Nach ein paar Wochen Funkstille besuchte er mich nach meiner Rückkehr nach Deutschland endlich in meiner Heimat. Für unser offizielles zweites Date waren wir gemeinsam sogar nach Israel geflogen – wie aufregend! Jaimy war genauso voller Reiselust wie ich. Daher träumten wir recht schnell davon, wie es wohl wäre, eines Tages gemeinsam die Welt zu bereisen. Schließlich wurden wir zu »JJ« – einem Paar, das nun eine Fernbeziehung führte. Trotz einer Entfernung von knapp über 250 Kilometern fanden wir Wege, uns regelmäßig zu sehen: Mal besuchten wir einander in der Heimat, mal reisten wir gemeinsam in verschiedene Länder. Dass Jaimy jetzt Teil meines Lebens war, war genauso unverhofft und vielversprechend wie alles andere, was sich seit meiner Rückkehr entwickelt hatte. Wie gesagt, die Weltreise hat mein Leben für immer auf den Kopf gestellt. Nichts war mehr so, wie es einmal gewesen war.
Seit ich zurück in Deutschland war, spürte ich, dass mein altes Leben nicht mehr zu mir passte. Ich wollte nicht zurück in den klassischen Alltag mit Festanstellung und Fünftagewoche. Ich wollte nur noch raus. Raus aus dem Hamsterrad und rein in das nächste Abenteuer. Also entschied ich mich, dem Leben, das jetzt nach mir rief, zu folgen, und setzte schließlich alles auf eine Karte: Anstatt in meinen alten Job als Abteilungsleiterin eines großen Möbelhauses zurückzukehren, machte ich mich mit einer eigenen Firma als Vollzeit-Reisebloggerin selbstständig und investierte meine gesamte Zeit in das Reisen. Es war, als wäre es zu meiner Lebensaufgabe geworden, die Welt zu entdecken und andere mit meiner Abenteuerlust anzustecken. Und: Ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen. Von nun an war ich frei – frei in der Gestaltung meines Alltags, frei in meinen Entscheidungen und vor allem frei darin, mich zu dem Menschen zu entwickeln, der ich schon immer sein wollte. Während ich die schönsten Ecken dieser Erde entdecken durfte, wuchs meine Lebensfreude stetig mit jedem neuen Tag. Ich zog allein durch Spanien, Marokko und Italien und ging Surfen auf Guadeloupe, einer kleinen Insel in der Karibik. Ich erkundete für sechs Wochen Ghana und Südafrika mit einem Backpack, wo ich in Sodwana Bay meinen lang gewünschten Tauchschein machte. Wann immer Jaimy von seiner Arbeit als Process Operator am Rotterdamer Hafen freibekam, begleitete er mich. Gemeinsam fuhren wir mit einem geliehenen Van durch Island, Frankreich und die Schweiz. Wir machten eine Rundreise durch Jordanien und besichtigten die Felsenstadt Petra, eines der sieben Weltwunder der Neuzeit. Beruflich flogen wir auf die Malediven und lebten in dem luxuriösesten Hotel, das ich je kennengelernt habe – im krassen Gegensatz zu den Absteigen meiner Weltreise. Unsere gemeinsamen Leidenschaften und Interessen machten es uns leicht, meinen Job und unsere Beziehung miteinander zu verbinden. Waren plötzlich all meine Wünsche Realität geworden? Viele Lücken, die ich lange Zeit in meinem Leben verspürt hatte, wurden seit meinem großen, einjährigen Aufbruch gefüllt. Was auch immer die Weltreise mit mir und meinem Leben gemacht hat – ich wünschte mir, aus diesem Traum niemals aufzuwachen. Währenddessen arbeiteten Jaimy und ich fleißig daran, uns schon bald unseren nächsten Traum zu erfüllen: die gemeinsame Weltreise. Jaimy beantragte bei seinem Arbeitgeber ein Sabbatjahr und erhielt kurz darauf die Genehmigung. Auch ich hatte alle meine Jobs so organisiert, dass sie mit einer baldigen Weltreise vereinbar sein würden. Nichts stand der Verwirklichung unseres Traumes noch im Weg. Doch dann kam unerwartet alles anders.
Schlagartig brachte die Covid-19-Pandemie die Welt zum Stillstand. Und ehrlich gesagt: So wie viele andere hatte auch ich zunächst keine Ahnung, was das für die gesamte Menschheit bedeuten würde. Das Wort Pandemie war mir bis dahin kaum ein Begriff gewesen. Auch von einer Ausgangssperre hatte ich nur im Zusammenhang mit Hausarrest gehört – früher als Teenager, wenn ich mal wieder über die Stränge geschlagen hatte. Doch dass ein Virus namens Covid-19 ausbrechen und jeden von der gesamten Welt abschotten würde – damit hatte wohl niemand gerechnet. Für mich, als selbstständige Reisebloggerin, die davon lebte, die Schönheit der Erde zu entdecken, fühlte es sich anfangs wie das Ende meines Traumlebens an. Musste ich meinen Job und damit das Reisen fürs Erste wieder an den Nagel hängen? Es trudelte eine Jobabsage nach der nächsten herein – weltweit verstand niemand so recht, was überhaupt los war. Und vor allem – wie lange sollte all das so gehen? Die Unsicherheit traf mich, genau wie alle anderen, hart. Doch anstatt mich entmutigen zu lassen, suchte ich nach einem Weg, mir das, was ich mir aufgebaut hatte, nicht wieder zunichtemachen zu lassen. Ich nutzte die niemals enden wollende Zeit in den eigenen vier Wänden sinnvoll und teilte mehr aus meinem Alltag. Glücklicherweise erhielt ich jetzt statt der Reise-Kooperationen mehr Kooperationsanfragen für Lifestyleprodukte, die ich auch zu Hause umsetzen konnte. Währenddessen lebten Jaimy und ich noch immer in unterschiedlichen Ländern. Unsere Treffen wurden zunächst zu einer echten Herausforderung. Manchmal war ich einige Wochen am Stück bei ihm in den Niederlanden und musste mich nach meiner Heimreise erst einmal in eine wochenlange Quarantäne begeben. Doch als sich die Regelungen mit der Zeit etwas gelockert hatten, setzten Jaimy und ich kurz entschlossen einen Plan in die Tat um: Wir schnappten uns einen Matratzen-Topper, bepackten mein Auto und fuhren einfach los. Unkompliziert und pragmatisch reisten wir durch Deutschland, aber auch durch die Niederlande. Wir brachten das Abenteuer zurück in unser Leben – so, wie es die Umstände eben erlaubten. Währenddessen gewannen wir eine wichtige Erkenntnis: Warum hatten wir vorher nie gesehen, wie viele schöne Ecken unsere Heimatländer zu bieten haben? Wir hielten in kleinen, zauberhaften Städten in den Niederlanden und entdeckten die besonderen Wanderrouten und Berglandschaft im Süden Deutschlands. Aber auch der Norden und Osten überraschten uns mit traumhaften Stränden und unberührter Natur. Dann, einige Monate später, war es trotz vieler Einschränkungen und Regelungen wieder möglich, innerhalb von Europa zu reisen. Sollten wir es wagen, den nächsten Schritt zu gehen?
Weil das Fernweh uns packte, beschlossen wir, nach Mallorca zu reisen. Die Freude darüber, endlich wieder ein bisschen selbstbestimmter leben zu können, war riesig. Doch trotz der Lockerungen konnten wir immer noch nur darüber spekulieren, ob wir wie geplant in wenigen Monaten in unsere Weltreise starten könnten. Würden die Regelungen es bis dahin erlauben, auch außerhalb Europas zu reisen? War es sicher? Und wie gut könnte die medizinische Versorgung in den jeweiligen Ländern überhaupt sein? Hunderte Fragen und keine Antworten auf das, was über unser kommendes Jahr entscheiden sollte. Schließlich hatte Jaimy sein Sabbatjahr schon fix vereinbart und einfach so verschieben konnte er es auch nicht. Dann kam mir ein Gedanke: Was, wenn wir unser gespartes Geld für die Weltreise in etwas anderes investieren? »Jaimy, ich habe die beste Idee!«, platzte es eines Tages aus mir heraus. »Wir kaufen uns von unserem Ersparten einen Kastenwagen, bauen ihn selbst aus und reisen damit durch Europa.« Seitdem ich auf meiner Weltreise mit einem Camper durch Neuseeland gefahren war, träumte ich davon, eines Tages meinen eigenen Van auszubauen. Und jetzt, inmitten all dieser Unsicherheiten, schien der Moment dafür gekommen zu sein. Jaimy sah mich mit großen, funkelnden Augen an. Sofort merkte ich, dass er begeistert davon war. Der Gedanke an diesen Plan rief ein starkes Kribbeln in mir hervor. Und so begann ein neues Kapitel – ein Van, eine Reise durch Europa, Jaimy und ich.
Wenige Wochen nach der spontanen Idee sollte es so weit sein. Mit den Autoschlüsseln in der Hand führten wir einen Glückstanz vor unserem neuen Mercedes Sprinter auf. Dieses Auto war unser ganz persönliches Glück auf vier Rädern. Genau genommen war es aber auch unser erstes gemeinsames Zuhause. Die Ladefläche des Wagens, die bald zu einem Wohnraum werden sollte, war noch komplett frei. Für uns bedeutete das, dass wir jetzt Kreativität und handwerkliches Geschick beweisen mussten. Doch ehrlich gesagt hatten wir zunächst keinen blassen Schimmer, wie der Ausbau eines Vans funktionieren sollte. Die Kombination aus Jaimy und mir erschien mir jedoch perfekt: Jaimy kannte sich mit Handwerk aus und ich war gelernte Einrichtungsberaterin. Sollte klappen, oder? Wir mieteten eine Garage in den Niederlanden an, die jetzt unsere Werkstatt war. Im Prozess kamen wir schnell an unsere Grenzen: Rost entfernen, Dämmung sicherstellen, Elektrik und Wasserleitungen verlegen, Bodenplatten und Wandverkleidung fertigstellen und so vieles mehr, von dem wir anfangs absolut keine Ahnung hatten. Doch unser Helfer namens Google unterstützte uns darin, unsere Wissenslücken zu schließen. Wir verbrachten Monate voller Arbeit in der Garage, in der wir unser Herzensprojekt Schritt für Schritt in die Realität umsetzten. Währenddessen stand die Welt um uns herum noch immer nahezu still. Die vielen Monate während der Covid-Hochphase, in denen es war, als würde man das Leben verpassen, nutzten Jaimy und ich, um tatkräftig an unserem Traum zu arbeiten. Wir steckten all unsere Zeit und Energie in den Ausbau – und das zehn bis zwölf Stunden am Tag. Nach vier Monaten harter Arbeit, Kopfzerbrechen, zahlreichen Verzweiflungs-, aber auch Erfolgsmomenten war unser Traum von Van endlich fertig. Glücklich und voller Vorfreude sangen und sprangen Jaimy und ich mit unseren dreckigen Latzhosen durch die Garage. Und so tauften wir unser neues Zuhause auf den Namen »JJ van de Van«.
Unser JJ van de Van sah nicht nur unheimlich schick aus, er war auch extrem praktisch. Denn schließlich hatten wir ihn extra so konstruiert, dass wir autark sein konnten. Damit war es möglich, überall zu stehen, wo es erlaubt war – auch an freien Stellplätzen ohne Strom- und Wasserversorgung. Ein Zuhause, das uns Freiheit brachte. Stolz auf das, was wir in den letzten vier Monaten auf die Beine gestellt hatten, sollte unsere Reise losgehen. Raus aus der verhältnismäßig riesigen Bude und rein in unseren zehn Quadratmeter kleinen Van. Zuerst fuhren wir in Richtung Süden, immer der Sonne hinterher. Es war Februar und in Deutschland noch ungemütlich und kalt. Die ersten Wochen verbrachten wir auf der französischen Insel Korsika und danach auf der italienischen Insel Sardinien. Die Corona-Vorschriften machten jede Einreise kompliziert: Wir brauchten immer einen neuen offiziellen Corona-Test und jedes Land hatte unterschiedliche Einreisebestimmungen und Ausgangssperren. Manchmal war diese schon ab 18 Uhr, sodass wir dann nicht einmal mehr mit dem Van unterwegs sein durften. Da es an Touristen mangelte, waren die meisten Campingplätze komplett lahmgelegt. Doch durch die Solaranlage auf dem Dach und die großen Batterien konnten wir uns ein paar Tage selbst mit Strom versorgen. Wir hatten einen großen Wassertank im Van, den wir hin und wieder an den Tankstellen befüllten, um unsere eigene Dusche und das Waschbecken nutzen zu können. Es war schön, so frei und unabhängig zu sein. Manchmal fühlte es sich an, als gäbe es nur uns zwei.
Als diese Zeit vorbei war, fuhren wir weiter bis Slowenien. Vor uns lag eine Balkanreise. Nach den warmen Temperaturen auf Korsika und Sardinien war es hier, vor allem nachts im Van, oft ordentlich kalt. Die vielen Berge und faszinierenden, klaren Seen machten allerdings auch diesen Trip besonders. Dann landeten wir schließlich in Kroatien. Überraschenderweise zog uns dieses Land so sehr in seinen Bann, dass aus den geplanten drei Wochen Aufenthalt ganze acht wurden. Es gab wunderschöne kleine Inseln, zahlreiche Nationalparks und ein kristallklares Meer. Durch die Pandemie waren viele der Sehenswürdigkeiten, bei denen es normalerweise vor Touristen wimmelte, menschenleer. Von Kroatien ging es weiter nach Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Albanien – Länder, die merkwürdigerweise nie auf meiner Bucketlist gestanden hatten und mich trotzdem ins Staunen versetzten. Wir spazierten durch idyllische Städte, sahen verlassene Strände und wanderten durch weite Berglandschaften. Als wir schließlich in Griechenland waren, entdeckten wir damit eines meiner Lieblingsländer der Van-Reise. Wir erkundeten Insel für Insel und hielten an unglaublichen Stellplätzen mitten in der Natur. Oft standen wir direkt am Meer und wachten jeden Morgen mit der schönsten Aussicht über das im Sonnenlicht funkelnde Wasser auf. Es war das ultimative Freiheitsgefühl: anzuhalten, wo es uns gefiel, und das eigene Zuhause immer dabeizuhaben. In Athen ließen wir schließlich unseren Van zum ersten Mal für eine Woche am Hafen stehen und begaben uns auf einen Segeltrip. Die Tage auf dem Wasser waren magisch: Wir lernten, wie man segelt, sahen fast täglich Delfine, die neben dem Boot auf- und absprangen, beobachteten die schönsten Sonnenauf- und -untergänge über dem Meer und erlebten die Welt aus einer völlig neuen Perspektive. Jaimy und ich glaubten, nicht glücklicher sein zu können. Alles war perfekt!
Die letzten Wochen unserer Reise verbrachten wir in Italien. Dort ließen wir uns treiben, erkundeten Städte, Dörfer und italienische Landschaften. Dieses Land ist einfach immer einen Besuch wert. Nicht nur wegen der hübschen Orte, sondern auch wegen des Essens, der Menschen und der gesamten Atmosphäre. Pizza, Pasta und Gelato – ich hätte mich den ganzen Tag davon ernähren können. Und dann, nach insgesamt acht Monaten Van-Life, ging unser Roadtrip allmählich zu Ende. Traurig darüber, dass unser wohl schönstes gemeinsames Jahr, und damit auch Jaimys Sabbatjahr, nun vorbei war, traten wir die Rückreise in unsere Heimatländer an. Rückblickend waren die Investition unserer Ersparnisse in den Van, der monatelange Ausbau und damit die Erfüllung unseres Traumes das Beste, was wir während der Pandemie hätten machen können. Eines ist sicher: Mit dem eigenen Van durch Europa zu reisen, das ist ein ganz besonderes Lebensgefühl! Weil wir fast immer allein gewesen waren, und das mitten in der Natur, waren wir die meiste Zeit isoliert und damit automatisch weniger gefährdet, uns selbst oder andere anzustecken. Und das Beste: Unser JJ van de Van gehörte jetzt zu uns. Jaimy und ich versprachen uns fest, dass die nächste Van-Reise nicht lange auf sich warten lassen sollte. Schließlich war die Freiheit, die wir in unserem gemeinsamen Zuhause in den letzten acht Monaten erlebt hatten, unbezahlbar.
Nach dem Ende des Sabbatjahres startete Jaimy zurück in seinen Vollzeitjob als Process Operator. Sein Schichtdienst und die vielen Überstunden, die er oft machte, brachten für uns als Paar einen großen Vorteil mit sich: Manchmal konnte er sich einige Zeit am Stück freinehmen und mich weiter auf Reisen begleiten. Zum Beispiel waren wir gemeinsam für vier Wochen mit dem Backpack in Mexiko unterwegs. Dort entdeckten wir Mexico City, Puerto Escondido, Tulum und Inseln wie Isla Holbox und Isla Mujeres – Mexiko war so vielseitig und bezaubernd, dass jedes unserer Interessen in dieser Zeit gestillt werden konnte. In Puerto Escondido, einem supercoolen Surferort, lebten wir in einem Surfcamp direkt am Meer. Es dauerte nicht lange, bis wir uns wie zu Hause fühlten. Jeden Morgen starteten wir damit, mit einem Brett unter dem Arm ins Wasser zu laufen und die vielen großen und kleinen Wellen zu reiten. Immer mit dabei: meine Angst vor dem Meer. Doch seit ich meinen Tauchschein in Südafrika gemacht hatte, hatte ich gelernt, sie besser zu kontrollieren, weswegen mich vom Surfen nichts mehr abhalten konnte. Auf dem Wasser war ich einzig und allein im Moment – frei von Gedanken und glücklich mit dem Blick über den Ozean. In Tulum tauchte ich noch einmal mit einer Sauerstoffflasche in die Unterwasserwelt ab. Wir besichtigten verschiedene Salzgrotten und natürlich Chichén Itzá – ein weiteres der sieben Weltwunder der Neuzeit. Ich hatte die beeindruckende Maya-Stätte bereits 2016 mit Kimi, meiner Zwillingsschwester, besucht. Doch es war etwas ganz Besonderes, diesen Ort nun auch Jaimy zu zeigen. Schließlich, wenige Monate nach der Mexiko-Reise, ging es für uns in das nächste Abenteuer, was nicht kontrastreicher hätte sein können: nach Erzurum in der Türkei.
Wusstet ihr, dass man in der Türkei Ski fahren kann? Ich jedenfalls nicht. Was ich aber wusste, war, dass Skifahren meine allergrößte Leidenschaft ist. Als ich beruflich zum Skifahren nach Erzurum eingeladen worden war, bekam ich sofort Herzchen in den Augen. Nichts kommt für mich an dieses unsagbare Gefühl heran, auf zwei Brettern einen Berg voller Schnee hinunterzusausen. Jetzt die Möglichkeit zu haben, noch unentdeckte Pisten unsicher zu machen, war ein riesengroßes Geschenk. Erzurum hatte ein fantastisches Skigebiet, was auch für fortgeschrittene Fahrer wie mich genügend zu bieten hatte. Dazu waren die Pisten bis spät in die Nacht geöffnet, wodurch wir bei den Abfahrten nicht nur traumhafte Sonnenuntergänge, sondern auch einen klaren Sternenhimmel erlebten. Als wir nach dem Ski-Abenteuer weiter nach Istanbul aufbrachen, ging es mir kurz nach unserer Ankunft schlagartig schlecht. Es war, als hätte ich mir eine Erkältung eingefangen, nur dass es viel schlimmer war. Ein Corona-Schnelltest im Hotel bestätigte, was ich befürchtet hatte: positiv. Auch Jaimy blieb nicht lange verschont. Krank und völlig erschöpft verkrochen wir uns in unserem winzigen Hotelzimmer in Istanbul – ohne Essen und ohne Medikamente. Wir schliefen fast 16 Stunden täglich. Uns fehlte jegliche Kraft – sogar um uns hin und wieder ins Badezimmer zu schleppen. Mit Fast-Food-Essen vom Lieferdienst und ohne Medikamente, die Linderung versprechen könnten, war es eine echte Qual, in einem fremden Hotelzimmer zu verharren. Auch wenn uns klar gewesen war, dass wir uns jederzeit hätten anstecken können, war die Realität härter als das, was wir erwartet hatten. Natürlich wäre es angenehmer gewesen, in den eigenen vier Wänden gesund zu werden, statt in einem fremden Land in einem Hotelzimmer eingesperrt zu sein. Trotzdem waren wir nach unserer Genesung wieder bereit, in das nächste Abenteuer zu ziehen. Krank werden konnten wir überall – auch zu Hause. Also ging es für einen weiteren Job nach Finnland. Der Städtetrip durch Helsinki führte uns weiter nach Lappland – davon hatte ich schon ewig geträumt. Ich konnte es nicht fassen, endlich dort zu sein. Die Gegend war unheimlich naturbelassen und idyllisch. Alles um uns herum war von einer dicken Schneedecke umhüllt. In Levi fuhren wir bei minus 15 Grad Ski. Auch wenn es verflucht kalt war, war es das Magischste, was ich je erlebt hatte. So magisch, dass mir Tränen die Wangen hinunterliefen, während ich die Piste entlangfuhr. Ich war so fucking dankbar. Was für ein besonderes Leben hatte ich mir da aufgebaut? Konnte das alles wahr sein? Genau das war mein Job! Ich träumte nicht länger mein Leben – ich lebte meinen Traum. Und das jeden einzelnen Tag und in vollen Zügen. Neben den Ski-Ausflügen machten wir eine Fatbike-Fahrradtour und drehten eine Runde mit Huskys oder einem Jetski durch den Schnee. Wir schliefen in einer kleinen Hütte unter einem Glasdach, durch das wir im Liegen die Nordlichter beobachteten. Wie viel toller konnte das alles bitte noch werden?
»Ich löse alles auf!«, beschloss ich eines Tages, nachdem mich der Ruf meines Herzens dazu ermutigt hatte, von nun an Vollzeit zu reisen. Von 365 Tagen war ich im letzten Jahr ohnehin mindestens 300 Tage unterwegs gewesen. Miete für eine Wohnung zu bezahlen, die sowieso kaum bewohnt wurde, machte für mich kaum mehr Sinn. Also sortierte ich wieder einmal aus, was nicht mehr zu mir gehörte, verkaufte meine Möbel, besorgte mir einen Lagerraum für das, was ich unbedingt behalten wollte, und schloss die Türen meiner Dreizimmerwohnung in Deutschland für immer hinter mir zu. Ohne festen Wohnsitz und mit wenig Hab und Gut zog ich zurück in unseren Van. Damit begann nicht nur die nächste Reise, sondern auch ein komplett neuer Lebensabschnitt: Von nun an war ich eine Vollzeit-Weltenbummlerin, wie sie im Buche steht. Jaimy verabschiedete sich ziemlich zeitgleich von seinen WG-Mitbewohnern in Breda und zog vorerst zurück zu seinen Eltern. All das mit gutem Grund: Wir wollten Geld sparen. Denn trotz unseres Van-Kaufs und des gelungenen Plan B war der Traum einer gemeinsamen Weltreise für Jaimy und mich noch lange nicht vergessen. Im Gegenteil – kaum dass Corona und die vielen Einschränkungen weniger präsent geworden waren, erwachte er zurück zum Leben. So begannen wir, sechs Monate nach der Van-Tour, unsere Weltreisepläne ein zweites Mal zu konkretisieren. Ob es dieses Mal wohl klappen würde? Wir setzten alles daran, uns schon jetzt auf unser Ziel im kommenden Jahr vorzubereiten: Geld ansparen, Routen planen, Jobs organisieren. Dann, nach etwa zwölf Monaten, würde Jaimy seinen aktuellen Job aufgeben, mit mir die Welt bereisen und sich, genau wie ich, selbstständig machen. Jaimy als Fotograf und ich als Content Creator – das könnte der perfekte Weg in unser gemeinsames Traumleben sein, dachten wir. Doch bis dahin mussten wir geduldig sein. Während Jaimy weiter in den Niederlanden arbeitete, machte ich mich, zunächst zusammen mit unserem Familienhund Benny, in unserem mehr als sieben Meter langen Sprinter auf den Weg in den Süden. Frankreich, Spanien und Portugal. Auf ging’s in meinen allerersten Van-Solo-Trip!
Über Belgien fuhr ich in Frankreich von Norden bis Süden entlang der Atlantikküste. Dass Benny mich in den ersten Wochen meiner Reise begleitete, machte den gesamten Trip noch viel außergewöhnlicher. Gemeinsam erkundeten wir verschiedene Dörfer, Städte und Strände. Von dort führte es mich nach Nordspanien. Die Natur war wunderschön urwüchsig. Schon während der Fahrten zwischen den vielen grün bewachsenen Bergen entlang des Meeres geriet ich ins Staunen. Ich wanderte durch zahlreiche Nationalparks, die so voller Magie waren, dass ich mich kaum daran sattsehen konnte. Ich ging im kühlen Wasser des Atlantiks surfen und erwischte die für mich perfekten Wellen. Der Vibe der Menschen und Orte, in denen etliche Vans mit Brettern auf dem Dach durch die Gegend fuhren, färbte sofort auf mich ab. Unseren über sieben Meter langen Van ganz allein zu fahren, stellte mich gleichzeitig aber auch vor eine Herausforderung. Vor allem in Städten oder kleinen Dörfern, in denen unser JJ van de Van gerade so auf die Spur der schmalen Straßen passte. Nicht selten wurde ich mit meinen eigenen Ängsten konfrontiert – zum Beispiel meiner Angst vor der Dunkelheit. Doch anstatt mich davon einschüchtern zu lassen, bemühte ich mich, vor Sonnenuntergang am nächsten Spot anzukommen und dann alles gut zu verschließen. Jeder meiner Träume, die ich mir bislang erfüllt hatte, ging immer mit dem mutigen Schritt aus meiner Komfortzone einher – so auch dieser. Und genau darauf war ich mächtig stolz. Klein Jillo war wieder allein auf Tour und stellte sich ihren Ängsten.
In dieser Zeit besuchte Jaimy mich nur, wenn er Urlaub hatte. Dann kam er dorthin, wo ich mit unserem Van gerade stand. Zum Beispiel nach Portugal. Hier hatte es mir besonders gut gefallen. Die vielen Klippen, das Meer, die kleinen Surferorte und auch große Städte wie Porto oder Lissabon zogen mich in ihren Bann. Als ich schließlich an der Algarve den südwestlichsten Punkt Europas erreicht hatte, machte ich mich über die Südküste Spaniens langsam auf den Weg nach Hause. Seitdem ich losgezogen war, waren mittlerweile fast drei Monate vergangen. Da Jaimy und ich uns in dieser Zeit nur selten gesehen hatten, spürten wir beide eine ziemlich starke Sehnsucht nacheinander. Es war fast, als hätten wir uns in dieser Zeit ein klein wenig aus den Augen verloren. Also beschlossen wir, uns für den Sommer ein Airbnb in Scheveningen zu mieten, um dort für ein paar Wochen zusammen zu sein. Dieser für uns beide noch ganz neue Ort war genau richtig, um Heimatgefühl und Urlaubsatmosphäre miteinander zu verbinden: Wir lebten direkt am Meer und spürten jeden Tag einen faszinierend lebendigen Vibe, der mich das Reisen in dieser Zeit kaum vermissen ließ. Außerdem waren wir nicht allzu weit von Jaimys Arbeit, aber auch nicht von Deutschland entfernt. Mit tat es gut, wieder näher bei meiner Familie und meinen Freunden zu sein, nachdem ich die letzten Jahre so viel unterwegs gewesen war. Jaimy und ich genossen unsere Zweisamkeit, aber auch die Zeit mit unseren Liebsten. Wir grillten regelmäßig am Strand, liefen zum Sonnenuntergang ins Meer, besuchten fast jedes Wochenende ein Festival oder eine Beachparty, auf der wir uns die Füße platttanzten, und fast immer herrschte traumhaft schönes Wetter. Ich kaufte mir mein erstes Longboard und fing an zu skaten. Da Scheveningen auch einer der wenigen Orte in den Niederlanden ist, an denen man surfen kann, übten wir zusätzlich an unseren Surf-Skills und bereiteten uns auf das vor, was uns auf der Weltreise schon bald erwarten sollte. Unsere Wohnung war nur wenige Minuten zu Fuß vom Strand entfernt, sodass wir barfuß und im Wetsuit mit dem Board unter dem Arm zum Strand gingen. Scheveningen selbst war ein Ort voll positiver Energie – die Menschen waren offen, freundlich und immer aktiv. Es gab viel zu unternehmen und ich fühlte mich dort so wohl wie lange nicht mehr an einem Ort, an dem ich längere Zeit verbrachte. Zusammengefasst: Wir hatten den allerbesten Sommer! Schließlich, als die Tage zum September hin langsam wieder kürzer wurden, hatte Jaimy seinen letzten Urlaub. Seine offiziell letzten freien Tage, bevor er sich zu Beginn des kommenden Jahres für immer von seinem Job verabschieden würde, um mit mir auf unsere bislang größte gemeinsame Reise zu gehen. Doch bis es so weit sein sollte, lag noch ein anderes lang ersehntes Abenteuer vor uns: Namibia.
Mit klopfenden Herzen und breitem Grinsen im Gesicht bestiegen wir am Frankfurter Flughafen die Maschine für unseren zehnstündigen Flug nach Windhoek, Namibia. Diese Reise war für Jaimy und mich ein wahr gewordener Traum: faszinierende Wildtiere, die Weite der Wüste und ein Leben inmitten der Natur Afrikas. Wir hatten ewig auf dieses Abenteuer hingefiebert. Neben vielen anderen besonderen Erlebnissen erwartete uns unsere erste gemeinsame Safari. Durch meine Freiwilligenarbeit im Krüger Nationalpark während meiner Weltreise wusste ich bereits, wie besonders es ist, mitten durch die Wildnis zu fahren und die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten. Seitdem gibt es für mich kaum etwas Schöneres. Jaimy hingegen war ein absoluter Safari-Neuling. Umso mehr freute ich mich, dieses unglaubliche Erlebnis in einem Land, das wir beide noch nicht kannten, schon bald mit ihm teilen zu können. Vor uns lag ein 16-tägiger Roadtrip in einem SUV mit Dachzelt, in dem wir die meiste Zeit übernachten sollten. Acht Tage Safari, acht Tage Küste, Wüste und Felslandschaften. Unser Zuhause auf vier Rädern war die perfekte Möglichkeit, um von Ort zu Ort zu fahren und unseren Schlafplatz an den schönsten Spots aufzuschlagen. Wir waren es zwar gewohnt, in einem Van zu leben – doch wie würde das Reisen in einem Auto mit Dachzelt werden? Auch diese neue Erfahrung machte den gesamten Trip noch spannender.
Obwohl wir gern nach dem Motto »Go with the flow« leben, hatten wir kaum eine andere Reise so lange und intensiv geplant wie diese. Namibia ist groß und es gibt einiges zu entdecken. Die oft verlassenen Straßen und Wege sind lang und wir wussten, dass wir viel Zeit im Auto verbringen würden. Um jeden Tag voll und ganz ausnutzen zu können, hatten wir daher einen genauen Plan unserer Route. Wir wollten in diesen 16 Tagen so viel wie möglich sehen. Auch die Campingplätze und Unterkünfte waren teilweise bereits gebucht. Da wir in der Hauptsaison reisten, waren einige von ihnen lange vorher belegt gewesen. Bis zum Tag vor der Anreise hatte ich täglich die Buchungssysteme gecheckt oder Mails an die Betreiber der Campingplätze und Lodges geschrieben. Tatsächlich hatten wir dadurch ganz spontan noch freie Schlafplätze in den besten Unterkünften ergattert. Alles lief nach Plan. Freiheit, wir kommen!
Unser erster Stopp in Windhoek war die Autovermietung. Nachdem man uns vor Ort den Gebrauch des Wagens ausführlich erklärt hatte, wurden wir mithilfe eines langen, detaillierten Videos auf die Risiken während des Fahrens in Namibia hingewiesen. Mehrfach warnte man darin vor den schlechten Straßenverhältnissen und den Gefahren der kilometerlangen, abgelegenen Straßen, die dazu verleiteten, die eigene Geschwindigkeit zu unterschätzen. Betont wurde auch, dass Autounfälle in Namibia oft tödlich enden – deutlich häufiger als in ganz Europa. »Mit einem Niederländer am Steuer kann mir nichts passieren!«, witzelte ich herum, denn Jaimy könnte nicht vorsichtiger und vorausschauender sein. Dennoch wollten wir diese explizite Warnung unbedingt ernst nehmen. Also versprachen wir uns, in den kommenden Tagen besonders behutsam zu sein. Wir verstauten unser Gepäck im Kofferraum, setzten uns zum ersten Mal auf die bequemen Sitze unseres Leihwagens und fuhren endlich los. Unser Wildlife-Programm sollte starten.
Von der Autovermietung ging es weiter Richtung Erindi Private Game Reserve, das erste Wildschutzgebiet unserer Reise. Glücklicherweise waren wir es bereits gewohnt, im Linksverkehr zu fahren, wodurch die Umstellung leichtfiel. Der Weg nach Erindi ließ früh erahnen, was auf uns zukommen würde: leere Straßen, keine Zivilisation. Mein Bauch kribbelte vor Neugier auf das, was uns erwartete. Endlich waren wir an dem Ort angekommen, auf den wir uns so lange gefreut hatten. Die Unterkunft des Reservats lag mitten im Grünen und war umgeben von großen schlammigen Wasserlöchern. Auf dem Gelände gab es viele kleine Hütten mit strohgedeckten Dächern. Jede von ihnen hatte eine eigene Terrasse mit Blick auf das angrenzende Wasserloch. In einer davon sollten wir übernachten. Unsere gemütliche und im afrikanischen Flair eingerichtete Lodge hatte ein großes hölzernes Himmelbett und ein sauberes Badezimmer, das wir vor den kommenden Tagen, dem Leben im Dachzelt ohne eigene Sanitäranlagen, noch einmal auskosten wollten. Ich stellte mein Gepäck ab, ließ den Blick zufrieden durch das Zimmer wandern und schaute zum ersten Mal nach draußen auf unsere Terrasse. Ich stutzte. Träumte ich etwa? Ich öffnete die Glastür und ging nach draußen. Während die warmen Sonnenstrahlen Afrikas meine Nase küssten, entdeckte ich am Wasserloch, nur wenige Meter von uns entfernt, die erste Elefantenherde. Vor lauter Freude stockte mir der Atem. Jaimy folgte mir staunend. Dann legte er von hinten glücklich seine Arme um mich. Unsere Herzen pochten, während wir für einige Minuten einfach nur dastanden und den Moment in uns aufsaugten. Das war das Zeichen – wir waren in Afrika angekommen.
Gegen Mittag startete unsere erste Game-Drive-Safari. Obwohl wir eine lange Anreise hinter uns hatten, waren wir hellwach. Gemeinsam mit einem professionellen Guide und vier weiteren Gästen aus der Lodge fuhren wir in einem halb offenen Safarifahrzeug mitten durch die Wildnis. Während der Fahrt beobachteten wir aufmerksam unsere Umgebung. Nicht immer konnte man sicher sein, wilde Tiere zu entdecken. Schnell war der Vorbereitungsstress der letzten Tage vergessen. Der Kontrast zu dem, was nur ein paar Stunden hinter uns lag, konnte deutlicher nicht sein. Jaimy und ich waren mitten im Hier und Jetzt – hoffnungsvoll auf der Suche nach wilden Tieren.
Nach nicht allzu vielen Minuten des Wartens schlenderten plötzlich zwei große Elefanten mit wackelnden Ohren im zeitlupenartigen Gang über den sandigen Boden. Aufgeregt hielten wir an, betrachteten sie aus nächster Nähe und ließen uns von ihnen verzaubern. Ihre graue, rissige Haut war staubbedeckt und wirkte trocken. Mit nachlassendem Fahrtwind spürte auch ich die Dürre Namibias auf mir. Unbeeindruckt von uns stapften die Elefanten hintereinander vom rechten Rand der Straße über die Fahrbahn. Auf der anderen Seite entdeckten wir weitere von ihnen. Vielleicht war es sogar genau die Herde, die wir nur kurze Zeit zuvor am Wasserloch vor unserer Terrasse beobachtet hatten. Als wir nach einigen Minuten langsam weiterfuhren, bemerkten wir schließlich eine Giraffenherde an einem Baum, die genüsslich von den Blättern naschte. Ihre großen, grazilen Gestalten begegneten uns während der Fahrt durch das Wildschutzgebiet immer wieder. Als wir an einem kleinen Fluss landeten, badeten Nilpferde im Wasser und Krokodile am gegenüberliegenden Ufer in der Sonne. Bei jedem Tier, das wir entdeckten, schlug mein Herz Purzelbäume. Jedes Mal hielten wir an, beobachteten, staunten, schossen Fotos und verloren uns im Moment. Auch die Atmosphäre im Safarifahrzeug war magisch. Wir wussten nie, wer oder was im nächsten Moment vor uns stehen würde. Jaimy und ich konnten unser Glück kaum fassen, schon an unserem ersten Tag so viele Tiere zu sichten. Ebenso fassungslos waren wir, als nur wenige Meter von uns entfernt ein Leopard anmutig und elegant an unserem Jeep entlangschlich. Kurz darauf legte er sich in direkter Nähe auf dem Boden ab. Wir waren erstaunt, dass es ihn nicht störte, wie nah wir ihm waren. Immer wieder sah er mit seinen eindrucksvollen Augen und einem tiefen Blick in unsere Richtung. Der Guide erklärte uns dann, dass der Leopard uns und den Jeep nicht voneinander unterscheiden kann. Daher griff er auch nicht an, denn wir in dem Auto waren viel größer als er. Still und leise sah ich zu ihm hinüber, staunend über seine einzigartige Schönheit.
Mit untergehender Sonne färbte sich der Himmel allmählich pink. Der Guide schlug vor, vor der Dunkelheit einen Halt zu machen und aus dem Jeep auszusteigen, um Tee zu trinken und Plätzchen zu essen. So ganz geheuer war mir diese Idee allerdings nicht. Obwohl ich früher während meiner Freiwilligenarbeit mitten im Busch gearbeitet hatte, war ich nun doch ein wenig besorgt. Was würden wir tun, wenn auf einmal ein wildes Tier aufkreuzen würde? Ich beschloss, zwar mit aus dem Wagen auszusteigen, doch mich mit meiner Tasse Tee und dem Plätzchen in der Hand mit dem Rücken zum Jeep zu stellen. Von dort bewachte ich aufmerksam die weitläufige Umgebung. Und: Ich konnte mich kaum daran sattsehen. Einzigartige Möglichkeiten wie diese konnte ich mir trotz meiner Sorgen keinesfalls entgehen lassen. Immerhin hatten wir einen professionellen Guide dabei. Das Glücksgefühl nach so einer Erfahrung war es mir immer wieder wert, meine Ängste hintanzustellen. Macht nicht genau dieser Mut unser Leben so lebenswert?
Bis in die Dunkelheit fuhren wir in dem Jeep weiter durch die Wildnis. Mittlerweile hielten wir mit einer Taschenlampe Ausschau nach leuchtenden Tieraugen. Manchmal schaltete ich das Licht aus, um den funkelnden Sternenhimmel besser sehen zu können. Der erste Tag unserer Abenteuerreise war ein voller Erfolg. Schnell war auch Jaimy von der Faszination einer Safari überwältigt gewesen. Nach der Tour aßen wir zufrieden in unserer Unterkunft zu Abend. Dabei hatten wir direkten Blick auf ein weiteres Wasserloch um das Gelände herum. Es dauerte nicht lange, bis wir vor unserem Restaurant die nächste Elefantenherde und Nashörner mit ihren Kälbern erblickten. Schnell eilten wir nach draußen auf die Terrasse. Wir reizten diesen ersten, besonderen Tag in Namibia so lange aus, bis wir unsere Augen nicht mehr aufhalten konnten. Schließlich gingen wir, beseelt von den wundervollen Erlebnissen, zu Bett.
Nach dem ereignisreichen Tag und unserer ersten magischen Safari sollte es zeitnah für uns weitergehen. Nach nur wenigen Stunden Schlaf standen wir am Morgen gegen 6 Uhr auf, um vor unserer Weiterfahrt noch eine frühmorgendliche Safari in Erindi mitzunehmen. Da die Wildtiere vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang am aktivsten sind, stehen die Chancen, sie zu entdecken, zu diesen Zeiten ganz besonders gut. Müde, aber gespannt auf das nächste Abenteuer, schlichen wir uns leise aus unserer Unterkunft. Draußen war es stockduster und eisig kalt. Trotz des T-Shirts, den zwei Pullovern, der Jacke und der langen Hose, in die ich mich im Zwiebel-Look hineingequetscht hatte, legte ich mir, angekommen im Safari-Wagen, eine Wolldecke über die Beine. Mit unseren Ferngläsern in der Hand fuhren wir anschließend los. Der nachtkalte Fahrtwind pfiff in mein müdes Gesicht. Ich kuschelte mich an Jaimy. Alles, was wir hörten, waren der laufende Motor des Jeeps und immer lauter zwitschernde Vögel, die allmählich aus ihren Nestern krochen. Dann beobachtete ich in der Ferne die ersten Sonnenstrahlen, die langsam hinter der Felslandschaft hervorkamen. Der gesamte Horizont erblühte in orangefarbenen Tönen. Als es heller wurde, erwachten auch die Wildtiere. Während wir die Schönheit Afrikas erlebten, waren wir glücklich, durch Erzählungen des erfahrenen Guides auch einiges über die Tiere und die Natur lernen zu dürfen. Wir wussten schon jetzt, dass wir diese Reise nie vergessen würden.
Mit aufgehender Sonne wurde es allmählich wärmer. An unserem nächsten Halt, einem kleinen Wasserloch, sahen wir eine Hyäne. Einige Meter weiter entdeckten wir einen Gepard, der erhaben durch die Wildnis stolzierte. Sein gepunktetes Fell funkelte im Sonnenlicht. Nicht nur die Tiere waren unglaublich zu beobachten. Auch die Landschaft wirkte wie gemalt. In den Morgenstunden war die Atmosphäre besonders schön. Alles begann zu leben. Als wir unser erstes Warzenschwein sahen, dachte ich an Pumba aus dem Film »König der Löwen« und begann zu singen. »Hakuna Matata. Diesen Spruch sag’ ich gern. Es heißt, die Sorgen bleiben dir immer fern.« Guten Morgen, du wundervoller Fleck Erde!
Die Route zu unserem nächsten Ziel führte Jaimy und mich mit unserem Leihwagen offroad von der Lodge nach Okonjima mitten durch das Wildschutzgebiet. Dort, wo wir kurze Zeit vorher noch mit einem professionellen Guide unterwegs gewesen waren, sollten wir nun zu zweit allein fahren – unsere erste Self-Drive-Safari. Vor der Weiterfahrt packten wir unser Gepäck zusammen und prüften noch einmal den Reifendruck. Ich spürte, dass ich zugleich positiv aufgeregt und doch auch ein wenig nervös wurde. Wir hatten keine Ahnung, was uns im Wildschutzgebiet erwarten würde. In der verlassenen Weite Namibias und zwischen den wilden Tieren würden wir zum ersten Mal auf uns allein gestellt sein. Dementsprechend angespannt fuhren wir los. Als wir die erste Giraffe zwischen den verbrannten, kahlen Ästen der Bäume entdeckten, realisierten wir, dass diese sich so surreal anfühlende Situation echt war. Das war keine normale Straße – wir befanden uns mitten in der Wildnis Afrikas. Plötzlich bremste Jaimy ab. Genau auf unserer Fahrbahn sahen wir in der Ferne einen riesigen Elefanten.
Langsam fuhren wir weiter in seine Richtung. Für uns gab es keinen anderen Weg als an ihm vorbei. Dann blieben wir stehen, verhielten uns ruhig und beobachteten seine Reaktion. Wir spekulierten über seine Körperhaltung und Gesten. Damit hatte ich schon Erfahrung durch die Freiwilligenarbeit im Krüger Nationalpark. Daher wusste ich auch, dass Elefanten die gefährlichsten Tiere waren, wenn man im Auto sitzt – er war drei Mal so groß wie unser Wagen und könnte uns im Handumdrehen zertrampeln. Zudem wirkte er leider nicht besonders gelassen. Aufmerksam und konzentriert warteten wir darauf, dass er verschwand. Selbst nachdem er sich nach ein paar Minuten an den Straßenrand fortbewegt hatte, hatten wir zu viel Respekt vor ihm, um weiterzufahren. Nach einer guten halben Stunde fuhr ein weiteres Auto mit zwei Leuten vor. Sie hielten neben uns an und wollten sichergehen, ob alles in Ordnung sei. Wir waren erleichtert, mit dieser ungewohnten Situation jetzt nicht mehr allein zu sein. Gemeinsam beschlossen wir, hintereinander und in Schrittgeschwindigkeit an dem Elefanten vorbeizufahren. Ich spürte eine nervöse Anspannung in meiner Brust. Auch meine Hände waren verschwitzt. Wie würde er auf uns reagieren? Während wir uns ihm näherten, ließ ich ihn keine Sekunde aus den Augen. Kurz bevor wir an ihm vorbeigefahren waren, packte er mit seinem Rüssel einen großen Ast und warf ihn unmittelbar neben uns auf die Straße. Sein Handeln schien eine Warnung zu sein – wir mussten schnellstmöglich verschwinden.
»Das war knapp!«, seufzte ich erleichtert, als wir unversehrt an dem Elefanten vorbeigekommen waren. Während der Weiterfahrt drehte ich mich noch einmal nach hinten zu ihm um. Auch Jaimy stand der Schweiß auf der Stirn. Doch so heikel diese Situation auch war, ebenso lehrreich war sie für uns: Wir mussten nicht nur vorsichtig sein, um uns zu schützen, sondern auch, um den Tieren und ihrem Zuhause Respekt zu schenken.