Wie ein Wurm im Meerrettich - Elisabeth Demur - E-Book

Wie ein Wurm im Meerrettich E-Book

Elisabeth Demur

4,9

Beschreibung

Es ist ja bekanntlich so, dass das Leben oft viel interessanter und aufregender ist als ein Roman. Dieses Buch ist ein Beweis dafür. Es geht um das außergewöhnliche Leben einer jungen Akademikerin in dem diktatorischen Staat Rumäniens der 60er Jahre. Ein Leben geprägt von dem unerschrockenen Kampf um die eigene Würde und die Würde ihrer Mitmenschen. Auf der einen Seite beschreibt die Autorin die Machenschaften des Staates, dem die Bevölkerung schutzlos ausgeliefert war. Auf der anderen Seite nimmt sie die Leser in die private Welt der Menschen mit, um klarer darzustellen, wie das Leiden die guten Charaktere veredelte und die schlechten Charaktere in Monster verwandelte. Das Buch beschreibt auch die spektakuläre und dramatische Flucht der Autorin von Bukarest in den Westen. Diese Flucht erzeugte damals große Bewunderung; sogar bis in die Abwehrdienstkreise des Westens.

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Elisabeth Demur

Wie ein Wurm im Meerrettich

Entkommen aus der Hölle Rumäniens

Biografischer Roman

AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG

FRANKFURT A.M. • WEIMAR • LONDON • NEW YORK

Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit. Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.

©2015 FRANKFURTER LITERATURVERLAG FRANKFURT AM MAIN

Ein Unternehmen der

FRANKFURTER VERLAGSGRUPPE

AKTIENGESELLSCHAFT

In der Straße des Goethehauses/Großer Hirschgraben 15

D-60311 Frankfurt a/M

Tel. 069-40-894-0 ▪ Fax 069-40-894-194

E-Mail [email protected]

Medien- und Buchverlage

DR. VON HÄNSEL-HOHENHAUSEN

seit 1987

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

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Dieses Werk und alle seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.

Nachdruck, Speicherung, Sendung und Vervielfältigung in jeder Form, insbesondere Kopieren, Digitalisieren, Smoothing, Komprimierung, Konvertierung in andere Formate, Farbverfremdung sowie Bearbeitung und Übertragung des Werkes oder von Teilen desselben in andere Medien und Speicher sind ohne vorgehende schriftliche Zustimmung des Verlags unzulässig und werden auch strafrechtlich verfolgt.

Lektorat: Dr. Dieter Meißl

ISBN 978-3-8372-1502-1

Inhaltsverzeichnis

Gewidmet

1. Das Verhör

2. Das Haus

3. Das Konzert

4. Opa Bernds Tod

5. Genosse Radu

6. Der Traum

7. Elisa

8. Die goldenen Münzen

9. Die Nachbarin

10. Roberto

11. Die Vorbereitung der Reise

12. Reise mit Enthüllung

13. Die Grenzkontrolle

14. Warten in Belgrad

15. Die Mutter

16. Vaters Rettungsplan

17. Warten in Wien

18. Die letzten Stunden in Wien

Epilog

Gewidmet

Meinem Großvater, der mich in der Not immer geleitet hat.

Meinen Eltern, die mir als Mitgift für das Leben die Liebe für meine Mitmenschen gegeben haben.

Meinem Mann, der die Stütze meines Lebens ist.

Meiner Herzensenkelin, Rosalia-Lena und ihren Eltern, die mir erlaubt haben, an der zarten Kindheit eines Engels Teil haben zu dürfen.

Meiner lieben Freundin Renate, für die große Unterstützung, die sie für mich war.

1. Das Verhör

Bukarest im Herbst 1966. Samstagabend.

Die Straßenbahn hielt quietschend an der Haltestelle St.-Vineri- Kirche. Als letzte stieg eine junge, schlanke Frau aus. Sie war mittelgroß, ihre kastanienfarbigen Haare waren kurz geschnitten.

Das Aussehen dieser Frau war widersprüchlich:

Sie war mit einem blauen Jeansoverall angezogen, den sie mit einem Ledergürtel eng an ihrem Körper hielt. An den Füßen trug sie Stiefel, die ziemlich dreckig waren. Ihre Arbeitskleider, die auf eine härtere physische Arbeit hindeuteten, passten nicht zu ihrem Gesicht mit den feinen Zügen und der hohen Stirn. Die großen dunkelbraunen, melancholischen Augen und ihre gut geformten Lippen mit feinen Falten an den Ecken weckten eher den Eindruck einer traurigen, noblen Dame von Gemälden des Mittelalters. Besonders auffallend waren ihre schmalen Hände mit langen, feinen Fingern, dessen ovale Nägel perlmuttweiß lackiert waren. Auf der linken Schulter trug sie eine Art große Einkaufstasche aus schwarzem Zeltstoff, mit einem soliden Reißverschluss versehen.

Ihr Gang war elastisch, sportlich und trotzdem auffallend langsam.

Die Frau ging entgegen der Fahrtrichtung auf der Straße entlang der Schienen, dann bog sie nach links in die kleine, schmale St.-Mina-Straße, und als sie an das Ende der Straße kam, blieb sie stehen.

„Das schwarze Auto ist bestimmt wieder da“, dachte sie.

„Später nach Hause zu kommen nützt auch nichts. Der Wagen würde immer noch da sein“, überlegte sie.

Die junge Frau gab sich einen Ruck und bog nach rechts in die Spätarul-Stelea-Straße. Obwohl die Straße nicht gut beleuchtet war, sah sie den Wagen vor ihrem Haus stehen.

Sie holte tief Luft und ging weiter. Als sie das Tor des Hauses erreichte, öffnete sich die hintere Tür der Limousine. Eine männliche Stimme sagte mit einem befehlenden Ton:

„Steigen Sie ein, Genossin Fabian!“

Ihr war klar, dass kein Widerstand helfen würde und stieg ein.

„Guten Abend, Genossin Ingenieurin“, sagte wie gewöhnlich der ältere Mann, der den Wagen lenkte.

„Guten Abend, Genosse“, sagte sie leise.

Der Wagen setzte sich in Bewegung. Die Fahrt dauerte normalerweise eine gute halbe Stunde. Da die Männer im Auto nie mit ihr sprachen, schloss sie die Augen und versuchte ihre Gedanken zu ordnen.

Es war das fünfte Mal, dass sie direkt vor ihrem Haus am Samstagabend abgeholt wurde. Irgendwann Sonntagnacht wurde sie dann wieder zurückgebracht.

Diese Situation beeinträchtigte erheblich ihren Lebensablauf. Die ganze Zeit lebte sie unter einer unerträglichen Spannung.

„Es muss mir etwas einfallen, es muss etwas geschehen, um diese Situation zu beenden“, dachte sie.

Ohne einen Ausweg zu finden, grübelte die junge Frau weiter, bis die Müdigkeit sie plötzlich erfasste.

Die Männer hörten ihre tiefe Atmung, aber keiner weckte sie. Jeder versuchte, es nicht zu bemerken.

Als der Wagen hielt, weckte sie der Offizier neben ihr.

„Wir sind am Ziel, Genossin Fabian“, sagte er bestimmend und ziemlich laut.

Sie machte die Augen auf und sah den Eingang des Hauptgebäudes der Sekuritate. Plötzlich verspannte sich ihr Körper und eine innere Unruhe erfasste sie.

Ihr Vater kam im Sommer, nach sechs Jahren Trennung, von West-Deutschland, um sie zu besuchen.

Damals, im Jahre 1960, hatten nur ihre Eltern die Ausreisegenehmigung bekommen und ihr Vater entschied auszureisen, obwohl er schon 53 Jahre alt war und ihre Mutter querschnittsgelähmt war.

„Wenn ich hier bleibe, kann ich dir nicht helfen aus dieser Hölle zu entkommen. Wenn ich im Westen bin, werde ich alles, absolut alles in Bewegung setzen, um dich rauszuholen, dessen kannst du sicher sein. Es bricht mir das Herz, dich hier allein zu lassen, aber es wird bestimmt nicht lange dauern, bis wir wieder zusammen sein werden“, sagte er fest überzeugt.

Keiner hätte gedacht, dass so eine lange Zeit vergehen wird, und dass nach diesem ersehnten Besuch in Lenas Leben die Hölle ausbrechen würde.

Die ganze Woche lebte sie mit der Angst, dass sie am Samstagabend, nach einer Woche harter Arbeit auf der Baustelle, wieder zum Verhör geholt werden würde. Dort quälten sie die Genossen von der Sekuritate immer wieder mit der gleichen Frage:

„Welche Spionage-Aktivitäten sie für den Westen durchzuführen hätte?“

Da sie immer die gleiche Antwort gab, dass ihr Vater nur aus Sehnsucht nach seinem einzigen Kind zu Besuch kam, benutzten die Genossen raffinierte Methoden, um sie „zur Vernunft“ zu bringen.

Die Offiziere der Sekuritate waren bemüht, keine physischen Spuren zu hinterlassen. Deshalb quälten sie sie jedes Mal, entweder mit Licht oder mit Geräuschen. Sie brachten „Genossin Fabian“ in ein dunkles Zimmer und in Abständen von zwei Minuten wurden ihre Augen mit einem Spot-Licht geblendet. Nach der dritten „Sitzung“ bekam sie kleine fliegende Punkte in den Augen, die nicht mehr verschwanden und auch Kopfschmerzen, die ohne starke Tabletten nicht zu stillen waren.

Als sie sich massiv beschwerte, änderten die Genossen ihre Methoden und verwendeten die Geräusche von Schlüsseln. Die Leute, welche die Geräusche erzeugten, wurden in kurzen Intervallen ausgewechselt, aber Lena Fabian war gezwungen, diese Geräusche stundenlang zu hören. Sie bekam Albträume sowie Ohrenschmerzen, und wenn jemand aus Versehen ein Schlüsselbund schüttelte, zuckte sie zusammen, wie vom Blitz getroffen.

Der Offizier, der sie abholte, brachte sie zu einem Zimmer im Keller, wo sie noch nicht gewesen war. In diesem Zimmer waren nur ein Tisch und zwei Stühle. Auf dem Tisch sah sie das erste Mal ein Glas Wasser stehen. Bei den vorherigen „Sitzungen“ musste sie immer nach Wasser verlangen.

Lena fragte sich jetzt, womit sie diesmal wohl gequält wird.

Sie setzte sich bewusst auf den Stuhl gegenüber der Tür, um eine Überraschung zu vermeiden.

Nach einer Weile merkte sie, dass etwas sie störte, aber sie konnte im ersten Augenblick nicht erkennen, was es war. Dann spürte sie einen langsam steigenden unerträglichen Druck auf ihren Ohren. Es gab für sie keine Erklärung, warum? So etwas hatte sie noch nie erlebt!

Die Panik überkam sie. Obwohl es im Raum kalt war, fing sie an zu schwitzen.

„Sie bringen mich um und keiner wird wissen, wie das geschah, keine sichtbaren Spuren werden gefunden! Das darf nicht passieren! Ich muss etwas tun! Nach Hilfe schreien, das hat keinen Sinn …“, dachte sie hastig.

„Ruhig weiter atmen, sich auf die Atmung konzentrieren, ruhig bleiben, ruhig bleiben …“, befahl sie sich selbst mit ihren letzten Kräften.

Sie musste gegen eine Ohnmacht ankämpfen. Lena mobilisierte ihre gesamte geistige und physische Kraft. Jede Muskelfaser ihres Körpers spannte sich an, wie bei einem Läufer, der sich in den Startlöchern befand. Die Situation wurde unerträglich!

Plötzlich hörte der Druck auf ihren Ohren auf. Ihr Körper fing langsam an, sich zu entspannen. In diesem Augenblick ging die Tür auf und der ihr bekannte Major kam herein.

„Guten Abend, Genossin Fabian!“ sagte er beinahe freundlich.

„Guten Abend!“ antwortete sie leise.

„Sind sie endlich bereit, mit uns zu kooperieren?“, fragte er sofort und setzte sich ihr gegenüber.

Sie überlegte einen Augenblick, um ihre innere Wut bändigen zu können und dann hörte sie sich sprechen, klar und deutlich. Wie von einem fremden Geist getrieben, sagte sie:

„Ich konnte Sie nicht überzeugen, dass mein Vater – nur von Sehnsucht und Liebe getrieben – zu Besuch nach Bukarest kam.“ Sie atmete noch mal tief durch.

„Sie konnten mich aber auch nicht überzeugen, zu sagen, dass mein Vater mit Spionageabsichten kam. Ich kann nicht lügen!“ Lena hob die Stimme und sah, wie der Offizier die Stirn runzelte.

„Mein Vater, der nur ein einziges Kind hat, würde eher sterben, als mich in Gefahr zu bringen. Sie können und wollen so etwas nicht glauben. Gut, wir haben jetzt eine Pattsituation. Selbstverständlich haben Sie bessere Karten in der Hand, weil ich Ihnen ausgeliefert bin.“

Sie konnte kaum glauben, wie es aus ihr heraussprudelte:

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag.“

„Ich bin sehr gespannt!“, erwiderte der Mann erstaunt und auch ironisch.

„Ich unterschreibe sofort eine Erklärung, dass ich bereit bin, mich hypnotisieren zu lassen, betäuben zu lassen, damit mein Wille ausgeschaltet ist. Sie können aus mir auch Hackfleisch machen, wenn Sie wollen, um aus mir die Wahrheit herauszuholen.“

Sie machte bewusst eine Pause und beobachtete den Offizier, der ein böses, verärgertes Gesicht zeigte. Jetzt war ihr alles egal.

„Danach will ich aber meine Ruhe haben, um mich auf meine Ingenieursarbeit auf der Baustelle konzentrieren zu können. Ich will nie mehr im Leben dieses Gebäude betreten müssen. Wenn dies sich noch einmal wiederholt, dann werde ich auf der Straße schreien, um die Menschen auf mich aufmerksam zu machen.“ Er wollte sie unterbrechen, aber sie fuhr fort mit derselben Energie und wiederholte die Bedrohung:

„Sie sollen mich danach lieber nicht mehr frei lassen, weil ich jedem erzählen werde, was Sie mit mir machen, wie sie mich quälen. Ich werde so lange erzählen, bis der Westen auf meinen Fall aufmerksam wird. Ich werde nicht mehr schweigen wie bis jetzt!

Ich habe Ihren Wunsch immer respektiert und niemandem etwas erzählt. Ich habe nicht nur geschwiegen, ich habe Ihretwegen sogar gelogen, um meine Abwesenheit an den Wochenenden zu erklären!“ Sie atmete hastig.

„Sie wissen sehr gut, dass ich mich korrekt verhalten habe. Aber jetzt ist Schluss, ich kann nicht mehr, ich ertrage das nicht mehr!“ Ihre Stimme versagte und sie hörte abrupt auf.

Der Major schaute sie mit einem finsteren Gesichtsausdruck an. Seine Augen funkelten.

Sie konnte in dem schwachen Licht nicht erkennen, was sie dort sah, ob das Zorn, Erstaunen oder sogar Hass war.

Alles auf „eine Karte zu setzen“ war ein sehr waghalsiges Verhalten und sie war erleichtert, dass sie es durchgestanden hatte.

„Was wird seine Reaktion sein?“, fragte sie sich, erstaunlicherweise ohne Angst.

Im Zimmer herrschte jetzt eine bedrohliche Stille.

Lena fing an, innerlich für sich zu beten. Außer Gott konnte ihr in dieser misslichen Lage niemand helfen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Nur nicht weinen“, dachte sie und versuchte krampfhaft, nicht zu weinen.

Der Major erhob sich plötzlich. Er verließ das Zimmer, ohne ein Wort zu sagen.

„Gott sei Dank!“, atmete sie erleichtert auf. Die Anwesenheit des Majors war ihr immer höchst unangenehm.

Nach einer Weile machte sich der Hunger bemerkbar. Ihr Magen fing heftig an zu knurren. Lena erinnerte sich, dass sie in ihrer großen Tasche einen alten, vertrockneten, kleinen Apfel hatte. Sie holte ihn heraus und fing an zu essen, so wie sie es gelernt hatte, während der Wanderungen mit Freunden in den Karpaten. Wenn der Proviant zu Ende ging, nahm man kleinere Bissen, die langsam gekaut wurden. Jetzt trank sie nach jedem Bissen einen Schluck Wasser und fing langsam an, sich besser zu fühlen.

Nach einer Weile schaute sie auf ihre Uhr. Es war schon drei Uhr in der Nacht. Erst jetzt merkte sie, wie hart ihr Stuhl war, und dass die Stuhllehne ihren Rippen wehtat. Sie zog den Stuhl näher zum Tisch und legte ihre Ellenbogen darauf. Das war das erste Mal, dass sie so eine unhöfliche Haltung einzunehmen wagte. Ihr Gesicht war entspannt. Sie schloss die Augen und dachte wieder an die Hilfe von oben. Sie flüsterte:

„Mach du Gott, was du denkst, dass das Beste für mich ist, genau das ist die richtige Formel“, dachte sie.

„Nicht, was ich denke, dass gut ist. Er weiß es besser als ich. Da oben hat Er einen besseren Überblick als ich …“, dachte sie weiter voller Hoffnung.

Ihre Großmutter Helene hatte ihr erklärt, als sie klein war, wie ein Gespräch mit Gott hoffnungsvoll geführt werden sollte. Immer wieder sagte sie:

„Liebling, Er weiß alles besser als wir, auf Ihn ist immer Verlass!“

Erst nachdem die ganze Familie während der letzten Jahre in den Westen ausgereist war, fing Lena wieder an, in ihrer Einsamkeit und Verzweiflung mit Gott zu reden. Es tat ihr sehr gut, früh am Morgen in ihrem Zimmer in der Nische, wo sich das schmale Fenster zum Tor befand, zu beten. Dort fühlte sie sich geborgen. Das war auch früher der Lieblingsplatz ihrer Mutter gewesen, die dort immer wartete, bis sie oder ihr Vater wieder nach Hause kamen.

Nach einer Stunde ging die Tür auf. Lena hatte sich schon vorher schnell auf dem Stuhl aufgerichtet. Sie war jetzt etwas erholt und ihre Sinnesorgane waren auf „scharfes Wahrnehmen“ geschaltet. Der Offizier kam herein und setzte sich.

„Wir werden Sie nicht mehr verhören. Denken Sie aber nicht, dass Sie die Gewinnerin sind. Wir werden Sie ständig beobachten. Sie wissen schon, uns entgeht nichts! Wir haben das Auge und das Ohr überall!“, sagte er bedrohlich.

„Ich weiß, ich weiß“, antwortete sie mit einem Seufzen.

„Bevor Sie nach Hause gehen, muss ich Sie nochmals darauf aufmerksam machen, dass Sie niemals Rumänien verlassen werden, niemals!“, betonte er mit eindringlicher Stimme.

„Sie dürfen auch in kein anderes sozialistisches Land, nicht einmal in die Sowjetunion reisen. Ihr Vater soll endlich aufhören, internationale Organisationen mit diesem Thema zu beschäftigen. Es ist besser für ihn und für Sie auch! Als er da war, haben wir Ihnen beiden erklärt, dass Sie Geheimnisträgerin höchsten Grades sind. Ist das schwer für Sie zu kapieren?“ fragte er verärgert und fuhr fort:

„Sie können noch einmal heiraten, obwohl Sie von Ihrem Mann schwer enttäuscht waren, Kinder haben, eine richtige glückliche Familie gründen. Warum leben Sie isoliert in Ihrer Wohnung, umgeben nur von alten Frauen? Gehen Sie hinaus, suchen Sie sich richtige Freunde, Parteimitglieder, die uns treu sind. Träumen Sie nicht mehr von dem goldenen Westen und dem reichen, schönen, intelligenten Mann, der auf Sie wartet! Seien Sie realistischer, Genossin! Wir wollen nur Ihr Bestes! Hören Sie auf uns!“ Er machte eine Pause.

Bevor er noch etwas sagen konnte, schaute sie ihm direkt in die Augen und fragte genau so resolut:

„Warum bin ich Geheimnisträgerin? Ich weiß es nicht! Warum? Erklären Sie mir endlich, um was es geht! Wie soll ich etwas verstehen und akzeptieren, wenn ich nicht weiß, um was es geht! Ich kenne kein Geheimnis, ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.“

Ihr Gesicht war knallrot vor Aufregung.

„Mein Vater hat mir auch vorgeworfen, dass ich vielleicht leichtsinnig war, und meine Nase in fremde, gefährliche Angelegenheiten gesteckt hätte. Ich habe aber immer zurückgezogen und vorsichtig gelebt. Ich kann mir nichts erklären. Bitte geben Sie mir nur einen kleinen Hinweis“, flehte sie.

„Es ist Ihr Glück, dass Sie keine Ahnung haben. Dieses beweist uns, dass Sie richtig abgeschirmt sind, dass sich keine undichte Stelle in Ihrer Umgebung befindet. Nehmen Sie das so entgegen, und stellen Sie keine Fragen mehr!“

Es war ein Befehl und sie verstand, dass das Insistieren nicht mehr angebracht war.

„Sie können jetzt nach Hause gehen. Ich bringe Sie zum Ausgang; dort wartet auf Sie das Auto.“

Sie gingen nebeneinander schweigend bis zur Ausgangstür.

Zu ihrer Überraschung streckte ihr der Mann seine Hand entgegen. Sie antwortete mit einem kräftigen Händedruck. Der Major schaute sie erstaunt an. Er hätte bei so einer zierlichen Hand nicht einen solchen Händedruck erwartet.

„Sie ist für eine Überraschung gut“, stellte er nachdenklich fest.

„Gute Nacht, Genossin, machen Sie Ihre Arbeit gewissenhaft, und vor allem bleiben Sie auf der Parteilinie.“ Er drehte ihr den Rücken zu, ohne auf eine Antwort zu warten.

Lena ging in die Dunkelheit hinaus und sah ein paar Meter weiter die schwarze Limousine, dessen Motor zu hören war.

Sie machte nur zwei Schritte in die Richtung, als sie wieder von der Angst geplagt wurde.

„Und wenn die ganze Schönrede nur ein Manöver war? Wenn sie jetzt von Bukarest weggebracht wird, um von der Bildfläche für immer zu verschwinden? Es sind so viele Menschen spurlos verschwunden …“, dachte Lena und fing an, leicht zu zittern.

„Ich werde aufpassen, ich kenne den Weg zurück, wenn er abweicht, dann springe ich aus dem Wagen“, überlegte sie auf dem Weg zum Wagen und stieg neben dem Chauffeur ein.

Es war derselbe etwas ältere Mann, der sie geholt hatte. Seine tiefe Stimme und ruhige Art kamen ihr von Anfang an irgendwie bekannt vor, er saß sonst immer mit dem Rücken zu ihr, deshalb konnte sie sein Gesicht nicht erkennen.

Sie richtete ihren Blick auf die Tür des Wagens, sie war nicht verriegelt. Das beruhigte sie nach einer Weile. Der Fahrer schien ihre Gedanken zu verstehen.

„Wir haben schon die Hälfte des Weges gemacht. Sie werden bald zu Hause sein“, sagte er mit sanfter Stimme.

„Woher kenne ich ihn?“ fragte sich Lena und schaute ihn von der Seite aufmerksam an. In der Dunkelheit konnte sie seine Gesichtszüge nicht so gut erkennen. Außerdem bedeckte ein dichter Bart einen großen Teil seines Gesichtes.

Lena schaute jetzt gespannt durch die Fenster. Sie kannte Bukarest sehr gut und konnte aus dem Gedächtnis ganze Bezirke von der Stadt zeichnerisch darstellen. Seit sechs Jahren, nach dem Abschluss des Studiums an der Fakultät für Maschinenbau der Technischen Universität für Erdöl und Gas, war sie bei dem Gas- Unternehmen Bukarest tätig. Dort war sie mit der Planung und Ausführung unterirdischer Gas-, Heißwasser- und Dampfrohrleitungen beschäftigt. Deshalb kannte sie die Straßen der gesamten Trasse zu ihrer Wohnung auswendig.

„Ich kenne die Trassen, das ist es. Das ist das Geheimnis“, dachte Lena.

Das verwarf sie aber schnell. Jeder Bürger konnte die Gräben sehen, wo die begehbaren Kanäle mit den Rohrleitungen verlegt wurden.

„Das ist doch kein Geheimnis. Beim Katasteramt kann sich jeder mit minimaler Begründung die Pläne holen“, seufzte sie enttäuscht.

Der Wagen blieb tatsächlich auf der ihr bekannten Route und Lena fing an, sich zu entspannen.

„Sie wissen nichts von Joan“, dachte sie zufrieden. Es war ihr gelungen, trotz ständiger Überwachung, ihre Liebesbeziehung zu Joan geheim zu halten.

Sie wusste, seitdem ihre Eltern Rumänien verlassen hatten, dass jede Person in ihrer Umgebung verdächtig war und mit Schwierigkeiten rechnen konnte.

Sie hatte während ihrer Ehe viel gelitten. Deshalb hatte sie sich mit der Einsamkeit abgefunden. Dann, bei einer Sitzung mit Ingenieuren von anderen Unternehmen, wurde ihr Joan vorgestellt.

Der schlanke, große Mann mit feinem Gesicht und gepflegter Sprache beeindruckte sie sofort. Seine ruhige, bescheidene Art tat ihr gut. Sie trafen sich danach bei offiziellen Anlässen „zufällig“ immer öfter. Joan war sehr belesen, liebte wie sie die klassische Musik und hatte die gleichen politischen Ansichten. Die Bekanntschaft mit ihm wäre nie weiter gegangen, wenn sie ihn nicht privat zufällig getroffen hätte. Sarina, eine ehemalige Gymnasiums-Kollegin, mit der sie gut befreundet war, eine „ungefährliche Parteigenossin“, lud sie und andere Freunde zum Geburtstag ein. Lena staunte, als sie Joan zwischen den Gästen entdeckte. Er war da mit einem Freund, der im selben Hochhaus wie Sarina wohnte.

An diesem Abend sprang der „berühmte Funke“ über. Sie spürte schon lange, dass er sie begehrte, aber sie wollte ihn in keine Schwierigkeiten bringen. Sarina, die ihr schon öfter mal sagte, dass sie sich unbedingt einen Freund zulegen müsste, brachte freudig auch die Lösung dafür. Als „Parteigenossin“ auf höherer Position besaß sie in dem Hochhaus eine schöne Wohnung neben der kleineren Wohnung ihrer Mutter. Sie stellte gerne ihre Wohnung Lena zur Verfügung und ging für diese Zeit zu ihrer alten Mutter, die glücklich über die Besuche ihrer Tochter war.

Damit keiner auf dumme Ideen kam, fing Joan zusammen mit seinem Freund an, fleißig Englisch zu lernen. So kam er immer mindestens zwei Stunden vorher ins Haus. Die beiden gingen auch nie zur gleichen Zeit aus dem Haus. Sie vermieden auch peinlichst, zusammen gesehen zu werden …

Obwohl Lena an Joan intensiv dachte, verfolgte sie sehr aufmerksam die Route des Wagens. Sie sah, wie die Dunkelheit der Nacht sich langsam zu lichten begann.

Da es Sonntag war, waren nur selten Menschen auf den Straßen zu sehen. Auch der Straßenverkehr war spärlich. Nur die trockenen Baumblätter, die einen dicken, rutschigen Teppich bildeten, waren sehr zahlreich. Dem Wind gelang es, ab und zu Blätter emporzuwirbeln.

Sie liebte diese Stadt mit den vielen Jugendstilgebäuden und den vielen Parks voller alter Bäume. Auch die Menschen, die hier lebten und hart für ihren Lebensunterhalt arbeiten mussten, liebte sie.

Der Wagen hielt langsam direkt vor ihrem Haus an. Lena stieg aus und zu ihrer Überraschung stieg auch der Fahrer aus. Er gab ihr die Hand und sagte beinahe flüsternd: „Gott mit Ihnen!“

Sie antwortete hastig: „Mit Ihnen auch!“

Bevor sie wegen der überraschenden, unerklärlichen Verabschiedung zu sich kam, war der Fahrer ins Auto gestiegen und um die nächste Ecke verschwunden.

Lena dachte: „Erstaunlich, ein gläubiger Sekurist.“

Im nächsten Augenblick wusste sie, wer der Mann war. Er war der einzige „menschliche“ Beamte, der ihre Mutter nach der Verhaftung im Jahr 1952 verhört hatte. Er trug damals keinen Bart, deshalb waren seine Gesichtszüge jetzt nicht erkennbar.

„Warum ist er nur Chauffeur?“ fragte sie sich erstaunt.

Lena drehte sich um und ging die paar Schritte zum schweren, eisernen Tor. Der Anblick des alten, schönen Jugendstilhauses füllte ihr Herz mit einer wohltuenden Wärme.

Dieses Haus hatte immer auf sie eine einmalige, beruhigende Wirkung ausgeübt.

Es war ihr Nest, in dem sie sich rundum beschützt fühlte, wo die Aura der vorigen Generationen für sie immer positiv spürbar war.

2. Das Haus

Das Haus – umhüllt vom Morgenlicht – sah aus wie in einem Märchen aus ihrer Kindheit. Es wurde am Anfang des 20. Jahrhunderts von ihrem Großvater gebaut, der Architekt war. Er machte sein Studium in Berlin und Wien und kam dann zurück zu seiner Familie nach Klausenburg in Siebenbürgen, wo er eine gute Stellung bei einem renommierten Architekten fand.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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