Wie Spreu im Wind - Maryse Condé - E-Book
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Wie Spreu im Wind E-Book

Maryse Condé

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Beschreibung

Im Jahr 1861 nimmt die muslimische Armee von El-Hadj Omar die Stadt Segu ein. Die Bewohner müssen nun dem »einzigen wahren Gott« huldigen, die animistischen Traditionen werden unterdrückt. Zur gleichen Zeit dringt von Westen die Kolonialmacht Frankreich mit einem Söldnerheer immer weiter ins Innere Afrikas vor, die Christianisierung beginnt. Wie schon ihre Väter werden die Traorés Opfer der Machtkämpfe ihrer Zeit, geraten sie und ihre Frauen in verschiedene religiöse und politische Lager. Mit der alten Ordnung zerbricht auch die Familie. In ihrem historischen Roman erzählt Maryse Condé von Segu, der einst mächtigen Stadt der Bambara am Niger, und vom Schicksal der Familie Traoré. Noch einmal beschwört sie jene prächtige, geheimnisvolle Welt herauf, die in Afrika untergegangen ist.

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Über dieses Buch

In ihrem historischen Roman über das alte Afrika erzählt Maryse Condé von Segu, der einst mächtigen Stadt der Bambara am Niger, und vom Schicksal der Familie Traoré. Noch einmal beschwört sie jene prächtige, geheimnisvolle Welt herauf, die in Afrika untergegangen ist.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Maryse Condé (*1937 in Guadeloupe) studierte Literaturwissenschaften in Paris und lebte viele Jahre in Westafrika. Bis 2002 war sie Dozentin an der Columbia University in New York. 1988 wurde sie für ihre Familiensaga Segu mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet. 2018 erhielt sie den New Academy Prize für Literatur.

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Uli Wittmann, geboren 1948, promovierte in Ethnologie und Literaturwissenschaften. Er übersetzt aus dem Englischen und Französischen, u. a. Werke von J. M. G. Le Clézio, Philippe Djian, Ben Okri, Simone Schwarz-Bart, Alexis Jenni, Noëlle Châtelet und Michel Houellebecq.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Maryse Condé

Wie Spreu im Wind

Roman

Aus dem Französischen von Uli Wittmann

Der Segu-Zyklus (2)

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Die Originalausgabe erschien 1985 unter dem Titel Ségou: La terre en miettes bei Éditions Robert Laffont, Paris.

Die deutsche Erstausgabe erschien 1993 im Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln.

Originaltitel: Ségou: La terre en miettes (1985)

© by Éditions Robert Laffont, Paris 1985, 1998

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Moma Sport

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30846-6

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Version vom 23.11.2022, 19:48h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

WIE SPREU IM WIND

VorbemerkumgErster Teil — Der rechte Weg1 – Mutter, warum liebst du ihn mehr als mich …2 – Alles, was der Schehu im ›Kitab al-Farq‹ angeprangert …3 – Die drei Flüchtigen schleppten sich voran, ohne auf …4 – Die Götter überlassen nichts dem Zufall. Sie hatten …5 – Du musst uns von dem Tukulor befreien!«6 – El-Hadj Omar blickte den jungen Mann an …7 – Der Mansa Ali Diarra, gemeinhin auch Oitala Ali …8 – Ein Ergebnis hatte Mohammeds Vermittlungsversuch. Er öffnete Ali …9 – Das Volk von Segu versammelte sich vor dem …Zweiter Teil — Der irrende Strom1 – Was für ein unersättlicher, grausamer Herrscher ist doch …2 – Rauchsäulen stiegen jetzt am Himmel auf. Plötzlich wehte …3 – El-Hadj Omar hatte Segu nicht leichten Herzens verlassen …4 – Mohammed hätte gern in Sansanding Station gemacht …5 – Schwager, du hast mich zutiefst enttäuscht! Warum hast …6 – Bari Tyéro musterte argwöhnisch das düstere, gequälte Gesicht …7 – Die Oberhäupter der großen Bambara-Familien wurden mit Fußeisen …8 – Kumaré hatte sich vor dem Tor, das zu …Dritter Teil — Das andere Ufer1 – Dies Irae! Dies illae!«2 – Wie heißt du?«3 – Umgeben von seinen braffoFante-Kriegsherren., seinen Chronisten und seiner …4 – Die Trommeln verbreiteten im ganzen Fante-Land die Nachricht …5 – Die Insel Jamaika, die Samuel und Victoria im …6 – Das Stück Land war eine Steinwüste, ein Paradies …7 – James Ogilvy bewunderte die Beharrlichkeit der Frauen …8 – Das Dorf lag hoch oben auf den Felsen …9 – Geh immer geradeaus, dann kommst du nach Falmouth …10 – Die See umgibt die Insel. Sie ist die …Vierter Teil — Das bittere Blut1 – Mutter, warum erzählt man mir immer vom Vater …2 – Allah kennt die Wahrheit3 – Segu machte in jeder Hinsicht den Eindruck einer …4 – Artikel eins5 – Dieudonné kam über den Pfad, der sich kaum …6 – Die Anwesenheit der Franzosen in Kita und die …7 – Bissmillahi rramani rrahimi!«8 – Würdest du eine Sklavin heiraten?«9 – Die erste Frau des Fa eines großen Anwesens …10 – Als Omar aufstand, musste er sich auf Issa …Fünfter Teil — Das Licht Allahs1 – Willst du mir das noch mein ganzes Leben …2 – Als Omar sich Timbuktu näherte, war er bereits …3 – Die Leute aus Mopti wateten in den Fluss …4 – Die Auseinandersetzung, die die religiösen Machthaber von Mopti …5 – Der Soldat Achmed Traoré vom Eingeborenen-Korps träumte davon …6 – Ein paar Tage nach dem Tod ihrer Stadt …7 – Ausgestreckt auf einer niedrigen Mauer, genoss der Soldat …Historische und ethnografische AnmerkungenWorterklärungen

Anmerkungen

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Vorbemerkumg

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist das Bambara-Reich Segu im heutigen Mali auf dem Höhepunkt seiner Macht. Sein Reichtum stammt aus dem Krieg, das heißt aus dem Handel mit Gefangenen, die als Sklaven verkauft werden, und aus den Steuern, die die unterworfenen Völker zahlen müssen, insbesondere die Fulbe, ein Nomaden- oder Halbnomadenvolk von Viehzüchtern. Die Bambara von Segu hängen einer animistischen Religion an und sind tief in ihrem Glauben verwurzelt. Dusika Traoré aus Segu ist adliger Abstammung und Oberhaupt einer einflussreichen Familie, die der königlichen Macht des Mansa nahesteht. Doch durch seine Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit verscherzt sich Dusika das Vertrauen der anderen Ratsmitglieder am königlichen Hof, denen es gelingt, den Zorn der Götter auf ihn zu lenken. Er verliert seine Stellung als Berater am Hof. Darüber hinaus werden vier seiner Söhne zum Werkzeug der Rache des Schicksals. Naba kommt als Sklave in Brasilien um, Malobali stirbt in einem Kerker des Königreiches Abomey im heutigen Benin, Sigas ganzes Leben ist nur eine Folge von Enttäuschungen, und Tiékoro vor allem, Dusikas Lieblingssohn, wird ein aufsehenerregendes Schicksal zuteil. In gewisser Weise ist Tiékoros Los symbolisch für das Schicksal des Reiches von Segu. Ganz allein entdeckt er den Islam, der zunächst nur unter bestimmten Gruppen, den Fulbe und den Somono, seine Anhänger hat. Tiékoro geht nach Timbuktu, um dort an der Universität Theologie zu studieren, und kehrt dann in seine Vaterstadt zurück, um den Monotheismus zu lehren. Er scheitert jedoch und stirbt unter dem Schwert des Henkers. Dennoch kann nichts den Vormarsch des Islam aufhalten. Von religiösem Eifer beflügelt, gründen die Fulbe den theokratischen Staat Massina. Zwischen den Bambara, die hartnäckig an ihrem animistischen Glauben festhalten, und den moslemischen Fulbe herrscht eine Zeit lang ein prekäres Gleichgewicht, das durch die Ankunft des Tukulor-Marabut El-Hadj Omar zerstört wird. Er nimmt eine noch unversöhnlichere Haltung als die Fulbe ein und ist entschlossen, die Ungläubigen von der Erdoberfläche zu vertreiben. Er erklärt den Dschihad, den heiligen Krieg. Das Reich von Segu, das sich für unbesiegbar gehalten hatte, ist von allen Seiten bedroht und muss, um zu retten, was zu retten ist, sich mit einem Teil seiner Feinde verbünden. Vom souveränen Königreich wird es zu einem Vasallenstaat der Fulbe. Mit vereinten Kräften will man sich dem siegreichen Vordringen El-Hadj Omars entgegenstellen.

Das Schicksal der Männer ist mit dem Krieg verbunden, es tauchen aber immer wieder markante Frauengestalten auf: Nya, die Mutter, Dusikas erste Frau, Mittelpunkt des Lebens im Anwesen. Sira, die Fulbe, die die Gefangenschaft nicht erträgt, und die Sklavinnen Nadie und Yassa lehnen sich alle auf ihre Art gegen das Schicksal auf, das man ihnen aufzwingen will.

Innerhalb der Familie Traoré wird der Widerstandsgeist gegen den Islam von Tiéfolo verkörpert, dem nach Sigas Tod die Rolle des Familienoberhaupts zufällt. Aber auch er muss sich vor der jüngeren Generation beugen, die im Geist des Islam aufgewachsen ist: Mohammed, Tiékoros ältester Sohn, und Malobalis Sohn Olubunmi, der nur davon träumt, die Heldentaten seines Vaters zu übertreffen.

Nabas Nachkommen dagegen gehen einen anderen Weg. Sie werden nicht mit dem Islam konfrontiert, sondern mit dem Katholizismus, den die Missionare nach Afrika gebracht haben. Das ist ein weiterer Aspekt der Auseinandersetzung, in dessen Mittelpunkt die Seele Afrikas steht.

Für das Verständnis des Textes unerlässliche Begriffe werden in einer Fußnote erklärt und sind in einem Glossar des Übersetzers zusammengefasst.

Erster Teil

Der rechte Weg

1

Mutter, warum liebst du ihn mehr als mich? Warum bist du so glücklich über seine Ankunft, dass du mich nicht mehr beachtest?«

Abdel Salam sprach mit weinerlicher Stimme und zerknüllte mit den Fingern die weiße Seide seines Kaftans. Er war fast zwölf, und dieses Gespräch war eigentlich fehl am Platz. Aber Maryem hatte dieses Kind nicht so erzogen, wie es die Zurückhaltung der Fulbe1 erforderte, und hatte auch nie seine Liebesbezeigungen unter Kontrolle halten können. Im Gegenteil. Sie brauchte sie und musste sich ihrer immer wieder vergewissern, um sich einzureden, dass ihr Leben dadurch wieder einen Sinn hatte. Sie drückte Abdel Salam ganz fest an sich und erklärte ihm zärtlich: »Ich liebe ihn nicht mehr als dich. Aber er hat so sehr gelitten! Als er so alt war wie du, ist sein Vater getötet worden. Dann hat er mit angesehen, wie sein Land in den Krieg hineingezogen wurde, und hat ein Bein verloren, als er es verteidigte. Dennoch kann er glücklich sein, dass er überlebt hat, während sein bester Freund neben ihm starb und sein Bruder verschollen ist! Er ist allein, krank an Körper und Seele. Das verstehst du doch, nicht wahr?«

Abdel Salam antwortete nicht. Das Gesicht gegen den warmen, duftenden Hals seiner Mutter gepresst, genoss er diesen Augenblick verbotenen Glücks. Bald würde er sie verlassen, zu seinen Kameraden in die Koranschule zurückkehren und unter dem strengen Blick eines Malam2 still sitzen müssen. Abdel Salam war nicht dumm. Doch wenn er Koranverse aufsagen oder seine Auffassungsgabe unter Beweis stellen sollte, legte sich Nacht über seine Gedanken und löschte sie nach und nach aus, während die Worte wie vom Wind verweht davonflogen. Dann stand er benommen da und schwieg, von den anderen ausgelacht. Maryem wiederholte: »Das verstehst du doch, nicht wahr?«

Abdel Salam nickte lustlos. Im selben Augenblick hörte man Schritte, die von den Teppichen im Nebenzimmer gedämpft wurden. Mutter und Sohn trennten sich schnell. Abdullahi trat ein. Sein Blick streifte Abdel Salam nur leicht. Und doch wusste das Kind, dass dem Vater nichts entgangen war. Weder die Tränenspuren auf seinen Wangen noch Maryems Verwirrung oder ihre durcheinandergeratenen Schleier. Abdel Salam hob seine Holztafel auf, die er auf den Boden gelegt hatte, und ging hinaus. Als Maryem und Abdullahi allein waren, sagte dieser erbost: »Wenn das so weitergeht, schicke ich ihn zu meinem Bruder nach Daura. Er bittet mich schon seit einem Jahr darum. Aus Schwäche habe ich bisher noch gezögert. Aber du gehst zu weit. Was willst du aus dem Jungen machen? Einen Weichling, der meinem Namen Schande macht?«

Maryem nahm die Zurechtweisung demütig hin. Denn sie hatte große Angst davor, ihr Mann könnte seine Drohung wahr machen und sie erneut den Ängsten aussetzen, die sie vierzehn Jahre zuvor ausgestanden hatte, als ihr erster Mann, Tiékoro, sie von ihrem Sohn Mohammed getrennt hatte. Um das zu vermeiden, war sie zu allem bereit und setzte eine Maske völliger Ergebenheit auf. Abdullahi sagte versöhnlicher: »Ich habe unserem Sohn eine bewaffnete Eskorte entgegengeschickt, damit ihm bei all diesen Maradawa3, die die Straßen unsicher machen, nichts zustößt.«

Wie aufmerksam Abdullahi doch trotz all seiner Starrheit und Sittenstrenge war! Und wie zartfühlend sein Herz sein konnte! Voller Dankbarkeit fragte sie ihn: »Wann, glaubst du, wird er bei uns sein?«

Aber obwohl sie versuchte, sich zu beherrschen, lag auch diesmal noch zu viel Leidenschaft in ihrer Frage, und Abdullahi, erneut verstimmt, entfernte sich mit den Worten: »Das weiß Allah allein!«

Als Maryem voller Verzweiflung über Tiékoros Tod und die Trennung von ihrem einzigen Sohn aus Segu zurückgekehrt war, hatte sie nur den Wunsch gehabt, ein Leben in Abgeschiedenheit und Gebet im Schutz der Mauern des Sultanpalastes von Sokoto zu führen. Doch sie war noch kein Jahr dort, als ihr Vater sie rufen ließ. Ein Mann hielt um ihre Hand an. Und was für ein Mann! Abdullahi, der Maaji4 des Emirs von Kano, der zu einem seiner jährlichen Besuche nach Sokoto gekommen war, um seiner Treuepflicht nachzukommen. Maryem war sprachlos. Ein Mann hielt um ihre Hand an? Wo hatte er sie gesehen? Etwa wenn sie in schwarze Schleier eingehüllt zu den Kultstätten eilte? Konnte sie denn noch Kinder zur Welt bringen? War sie nicht mit ihren fünfunddreißig Trockenzeiten eine alte Frau? Mit einer Mischung aus Neugier und insgeheimer Dankbarkeit hatte sie eingewilligt, diesen unerwarteten Bewerber zu treffen. Und als er vor ihr stand, groß, ein wenig gebeugt, den Blick noch vom blauen Schatten des Turbans verdunkelt, hatte sie gewusst, dass Allah ihr das Ende der Einsamkeit und des Leidens beschieden hatte. Ohne Angst hatte sie ihre Hand in die seine gelegt, die zugleich kräftig und sanft war, und war ihm zum Hügel Dalla gefolgt, auf dem sich die Stadt Kano erhebt.

Im folgenden Jahr war sie mit einem Sohn gesegnet worden. Zwei Jahre später mit einem zweiten. Aber dieser hatte die Welt nur kurz gesehen. Danach hatte sie kein Kind mehr geboren. Abdullahi hatte ihr deshalb keine Vorwürfe gemacht und sie mit der Ehre und dem Respekt behandelt, die einer ersten Frau zukommen, obwohl sie erst als vierte Frau ins Haus gekommen war. Seine anderen drei Frauen hingegen, die wie er von Fulbe-Würdenträgern abstammten, von Kampfgefährten des Reichsgründers Schehu5 Osman dan Fodio, ließen es sich nicht nehmen, bei jeder Gelegenheit daran zu erinnern, dass Maryem jahrelang in Segu, im Land der Fetischgläubigen, gelebt hatte. Dass sie dort durch die Nähe der Götzen befleckt worden war, dort Kinder zur Welt gebracht hatte, die halbe Bambara waren und deren Blut folglich mit allen möglichen Lastern behaftet war. Und dass sie sogar eine Zeit lang mit einem Abtrünnigen verheiratet gewesen war. Besonders die letzte Anschuldigung versetzte Maryem in Wut. Sie musste daran denken, wie sie vor Tagesanbruch aus dem Anwesen der Traoré in Segu geflüchtet war, sobald sie den Beschluss des Familienrats erfahren hatte, dass sie Siga zur Frau gegeben werden sollte. Hatte sie sich nicht genug Gefahren ausgesetzt, um den Pflichten ihres Glaubens gerecht zu werden? Manchmal hatte sie Lust, diesen Frauen von hoher Geburt Mörserkeulen und Kalebassen an den Kopf zu werfen. Umgeben von Sklaven, waren sie schmerzlos vom väterlichen Anwesen in das eines Ehemanns hinübergewechselt und wussten immer noch nicht, dass das Leben grausam und ungerecht sein kann. Anschließend bereute sie diese Anwandlungen, die einer Gläubigen unwürdig waren. Hat der Prophet nicht gesagt: »Gib deinem Zorn nicht nach?« Maryem ging hinaus auf den Hof, der an ihre Hütte grenzte. Sie achtete nicht auf das morgendliche Treiben, die Sklaven, die Kalebassen mit Hirsebrei trugen, die Kinder, die zur Koranschule eilten, die Frauen, die zu den Wasserhütten gingen. Sie dachte nur an ihren Sohn. Mohammed. Ihre letzte Begegnung hatte vierzehn Jahre zuvor im Anwesen von Cheiku Hamadu in Hamdallay stattgefunden. Damals war er ein kleiner Junge gewesen, der durch das fromme Leben als Bettler schwächlich geworden war! Was für ein Mann war wohl aus ihm geworden? Maryem wusste, dass man ihm ein Bein amputiert hatte und er somit in der Blüte seines Alters zum Krüppel geworden war. Für immer vorbei waren die siegreichen Kämpfe, die bewundernden Blicke und die Lobgesänge der Mädchen! O Gott, wie schwer ist es doch manchmal, dich den »Gnädigen und Barmherzigen« zu nennen! Maryem, die vom heiligen Ziel des Dschihad durchaus überzeugt war, da ihre Vorfahren den heiligen Krieg gegen die heidnischen Herrscher der Haussa-Staaten geführt hatten, hätte sich den Sieg der moslemischen Tukulor über die fetischgläubigen Bambara wünschen müssen. Und doch hasste sie El-Hadj Omar und seine Talibé6. Hatten nicht die Kugeln ihrer Gewehre, dieser teuflischen Waffen, die ihnen von den weißen Ungläubigen verkauft worden waren, das Bein ihres Sohnes durchbohrt? Die Fulbe und Bambara dagegen besaßen nur Pfeile, Säbel, Lanzen und Äxte, aufrichtige Waffen für aufrichtige Kämpfe.

Aufgrund seiner hohen Stellung wohnte Abdullahi mit seiner Familie innerhalb der Mauern des Emirpalastes von Kano, der großen Moschee gegenüber. Am Eingang stand ein schmuckloser Bau aus ockerfarbenen Lehmziegeln, in dem sich die Gräber der ersten Emire befanden, die alle Fulbe und Schüler von Osman dan Fodio gewesen waren. Sobald der Besucher durch das riesige Tor trat, vor dem die Wächter, auf ihre langen Lanzen gestützt, in gefütterten Kettenhemden standen, musste er dieser Totenstadt den Kopf zuwenden. Und dieses Gemurmel von Gebeten, vermischt mit dem Stampfen der Pferde, die von Stallknechten gehalten wurden, dem heiseren Brummen der Kamele und dem etwas düsteren Klang der kakaki, jenen langen Hörnern, die die Ankunft von hohen Gästen ankündigten, ergab eine auf harmonische Weise vielstimmige Musik, ein Symbol des pulsierenden Palastlebens. Kano gehörte zu den sieben Haussa-Städten, die von den Nachkommen der legendären Königin Daura erbaut worden waren. 1807, während des Dschihad des Fulbe-Schehu Osman dan Fodio, war Kano erobert und in das Reich eingegliedert worden, das Osman dan Fodio aufgebaut hatte. Eine mehr als fünfzig Fuß hohe Mauer wies auf den kriegerischen Ursprung der Stadt hin; diese war außerdem noch von einem Graben umgeben, der mit so dichten Dornensträuchern bepflanzt war, dass sie jeden Feind abschreckten. Zugang zur Stadt gaben dreizehn mit Metallstangen verstärkte Tore, die nach streng festgelegten Regeln geöffnet und geschlossen wurden, denn Kano hatte sowohl die zum Feind, die den Islam hassten, den Kano jetzt verkörperte, als auch jene, die die Reichtümer der Stadt begehrten. Da der Sarkin Kofa, von seinen Bogenschützen umgeben, die Tore gerade geöffnet hatte, hätte sich Maryem gern vor die Stadt gewagt, um wie ein Späher den Blick über die öde, trockene Ebene gleiten zu lassen, über der eine Staubwolke hing, die von den Hufen der Karawanenkamele oder den Pferden der Reiter aufgewirbelt worden war. Auch in dieser Gegend hatte der Islam nicht den Frieden gebracht, sondern hatte Streit unter Völkern, Familien, Nachbarn und Brüdern entfesselt. Obwohl Maryem zutiefst gläubig war, kamen ihr oft jene Worte wieder in den Sinn, die sie früher in Segu gehört hatte: »Der Islam ist wie ein Beil, das uns spaltet.« Und wenn sie an ihren verkrüppelten Sohn dachte, konnte sie nicht umhin, hinzuzufügen: »Er ist wie ein Beil, das uns Verletzungen zufügt, von denen wir uns nie wieder erholen.«

Sie, die früher vor nichts Angst gehabt hatte, war durch ihr Leben in der Abgeschiedenheit ängstlich geworden, zog den Schleier weiter über das Gesicht und blieb in den engen Gassen, wo überall Schafe und Federvieh waren und Kinder in völliger Freiheit spielten. Alle Augenblicke musste sie schwer beladenen Esels- und Sklavenzügen Platz machen, denn seit der Gründung der Stadt im 7. Jahrhundert war Kano immer eine Handelsmetropole gewesen. Die Stoffe aus Kano waren berühmt, wie auch die Arbeit der Färberinnen, deren riesige Bottiche mit trüber Flüssigkeit man sehen konnte. Wann würde Mohammed ankommen?

Der Weg von Hamdallay nach Kano war so weit und voller Gefahren. Überfälle von Sklavenjägern. Religionskriege. Was für Nachrichten hatte Mohammed aus Segu, wohin er seit der Schlacht von Kassakéri7, an der er teilgenommen hatte, nicht mehr zurückgekehrt war? In Kano verbreiteten die Reisenden nur wirre Gerüchte.

Sie sagten, Segu leiste immer noch Widerstand. Man erzählte, der Ausgang der Auseinandersetzungen zwischen den Bambara, ihren Verbündeten aus Massina und den Tukulor sei noch ungewiss. Alle waren auf der Hut. El-Hadj Omar wartete auf weitere Waffenlieferungen von den französischen Händlern aus Saint-Louis in Senegal. Hinter den Mauern aus Lehm rüsteten sich die Heere von Segu fieberhaft zum Kampf, die Schmiede stellten Wurfwaffen her: Wurfspieße und schmal- oder breitklingige Lanzen, deren Gebrauch ihnen die Fulbe aus Massina beigebracht hatten. Eines verstand Maryem jedoch nicht, und das war Mohammeds Einstellung zu Segu. Aus seinen Briefen konnte sie nicht entnehmen, warum er in einem solchen Augenblick nicht alles daransetzte, dort zu sein. Hatte er Angst vor der Stimmung von Vergeltung und Aufruhr, die dort herrschte, auch wenn er genau wusste, dass er selbst nie wieder an einem Kampf teilnehmen konnte? Tatsächlich war er in einem grauenhaften Zwiespalt. El-Hadj Omars Sieg über die Bambara würde den Zerfall und die Erniedrigung des Reiches seiner Ahnen bedeuten, der Sieg der Bambara über El-Hadj Omar dagegen die Niederlage des Islam.

Maryem gelangte an eines der Stadttore, wagte es aber nicht, vor die Stadt zu treten. Mein Sohn ist beinamputiert, mein sanftmütiger Sohn. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Gern hätte sie Mohammed einen Empfang bereitet wie eine Mutter, die ihren ältesten Sohn nach langer Abwesenheit wiedersieht. Voller Freude und strahlend vor Glück. Stattdessen war ihr Herz von Trauer erfüllt. Im Grunde war doch nur sein Körper beeinträchtigt, die nichtswürdige leibliche Hülle. Aber es tröstete sie auch nicht, sich das immer wieder einzureden. Maryem blieb lange stehen und suchte mit den Augen den Horizont ab. Ein Würdenträger auf einem Schimmel, gefolgt von seinen Trommlern und Musikern, ritt an ihr vorbei, und plötzlich schämte sie sich, dort im Staub zu stehen, mit hängenden Armen, wie eine Frau aus dem Volk. Schnell machte sie sich wieder auf den Weg zum Palast. Hatten die anderen Ehefrauen ihres Mannes ihre Abwesenheit bemerkt?

Zwei Tagesreisen vor Kano traf Mohammed am Ausgang des Dorfes Gudu auf die Gruppe von Männern, die ihn zur Stadt geleiten sollten.

Er hatte mit seinem Gefolge die Nacht bei einem Haussa-Adligen verbracht, der ihn für einen Fulbe hielt, ihn aber mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt hatte. Denn in Wirklichkeit war Mohammed weder ein Fulbe noch ein Haussa oder ein Bambara. Er war weder Moslem noch Fetischgläubiger. Er stand über den Streitigkeiten von Volks- und Religionsgemeinschaften. Er war nur noch ein Krüppel, der Mitleid einflößte. Wenn er sich auf seinen Krücken vorwärtsbewegte und dabei seinen Fuß durch den Staub schleifen ließ, änderte sich alles. Die Männer wandten den Blick ab. Die Augen der Frauen füllten sich mit Tränen, während die Kinder sich bemühten, nicht bestürzt aufzuschreien. Je geschickter er sich trotz des fehlenden linken Beins zum Gebet auf den Boden legte, wieder aufstand, aufs Pferd und vom Pferd stieg, desto mehr Neugier und Mitgefühl rief er hervor. Manchmal fragte er sich, ob er nicht besser in der Nähe einer Moschee um Almosen betteln sollte wie jene, die von Geburt an Krüppel waren, und ob sein Bemühen, es den gesunden Menschen gleichzutun, ihn nicht noch abschreckender und mitleiderregender machte. Bei der Schlacht von Kassakéri hatte sich die Übermacht der Tukulor als erdrückend erwiesen, da sie mit Gewehren bewaffnet waren. Zu Tausenden waren Bambara und Fulbe gefallen, ihr Blut war in Strömen geflossen und ihr Fleisch mit der aufgeweichten rötlichen Erde verschmolzen. Nach einer dreitägigen Schlacht hatten die Männer von El-Hadj Omar die Verwundeten aufgeteilt. Den Bambara hatten sie den Gnadenstoß versetzt und alle Fulbe nach Massina zurückgeschickt. Ein Zug von Tragen und Bahren, von gedemütigten, entwaffneten Männern hatte sich auf den Weg zu den Grenzen des Reiches von Amadu Amadu gemacht, wo hastig Lazarett-Hütten errichtet worden waren. Die Fulbe-Heilkundigen behandelten die mit blanken Waffen zugefügten Wunden mit großem Erfolg und verordneten wirksame Mittel gegen das Gift, mit denen die Pfeile versehen gewesen waren, doch sie verstanden es nicht, Kugeln zu entfernen und die schrecklichen Wunden zu versorgen, in denen das zerfetzte Fleisch bläulich anlief und eiterte. Daher war Amadu Amadu dem Rat von Cheikh al-Bekkay, seinem Verbündeten in Timbuktu, gefolgt und hatte arabische Wundärzte aus Marokko und Ägypten kommen lassen, die in der Kunst des Operierens und des Amputierens bewandert waren.

Mohammed kam inmitten von Männern, die vor Schmerz weinten und fantasierten, wieder zu sich. Aufgrund seines Aussehens hatten El-Hadj Omars Talibé ihn für einen Fulbe gehalten und nach Massina bringen lassen. Er stammelte: »Wo ist mein Bruder Alfa Gidado? Wo ist mein Bruder Olubunmi?«

»Alfa Gidado ist tot, aber wir kennen niemand, der Olubunmi heißt.«

Mohammed verlor erneut das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, wünschte er sich, tot zu sein, um nicht mehr den schrecklichen Schmerz ertragen zu müssen, den er auf der linken Seite spürte. Es schien ihm, als wäre die im Feuer rot glühend erhitzte Klinge eines Beils in sein Fleisch gedrungen, während ringsherum tausend spitze Pfeile bebten, deren Gift tropfenweise bis tief in seine Knochen sickerte. Er glaubte, laut zu schreien, gab aber nur ein kindliches Stöhnen von sich. Ein dunkelhäutiger bärtiger Araber kam zu ihm und sagte: »Du wirst dein Leben nicht verlieren. Ist das nicht das Wichtigste? Gibt es ein größeres Geschenk Gottes?« Dann erfuhr Mohammed, dass sein linkes Bein direkt unterhalb der Leiste amputiert worden war. Amputiert? Ein Krüppel? Glich er also jenen Unglücklichen, die in der Nähe der Moscheen herumlungerten und das Mitleid der gesunden Menschen erregten? Der arabische Arzt schüttelte den Kopf und sagte: »Nein. Bald werden wir dir zeigen, mit Krücken zu gehen!«

Krücken! Mohammed betrachtete entsetzt jene Bambusrohre, die die Gliedmaßen aus Fleisch und Blut ersetzen sollten. Einen Augenblick lang dachte er daran, sich umzubringen. Doch dann hasste er den Gedanken an diese Sünde und begann, geduldig den Aufruhr in seinem Herzen zu bekämpfen.

Begann, Tag und Nacht die Sure des Feigenbaums zu wiederholen: »Wahrlich, wir erschufen den Menschen in schönster Gestalt. Alsdann machten wir ihn wieder zum Niedrigsten der Niedrigen.«

Begann, seinen Schöpfer immer wieder zu loben. Die Zähne zusammenzubeißen, um keine Gotteslästerung über seine Lippen kommen zu lassen. Sein Herz, das einst ein friedlicher See gewesen war, der nur die Liebe widerspiegelte – die Liebe zu Gott, die Nächstenliebe und die Liebe zu seiner Familie –, wurde ein Meer der Verbitterung und der Verzweiflung. Nur eine Vorstellung konnte diese Stürme besänftigen: das Bild von Ayisha. Sehr schnell begann Mohammed, insgeheim Berechnungen anzustellen. Das Gesetz schrieb vor, dass die Frau im Fall des Todes ihres Mannes dem jüngeren Bruder des Verstorbenen zukam. Stand er nicht Alfa Gidado ebenso nah wie ein Milchbruder? Außerdem war er glücklicherweise ein paar Monate jünger als dieser. Er würde also wohl Ayisha überzeugen können, dass sie Gottes Willen nicht zuwiderhandelte, wenn sie ihn heiratete, und dass sie jederzeit mit ihm über den Verstorbenen sprechen, dessen Tugenden preisen und die Erinnerung an ihn lebendig halten könnte. Im Grunde wäre eine solche Heirat der beste Weg, jenem treu zu bleiben, den sie beide beweinten.

Sobald er sich mithilfe zweier Sklaven auf einem Eselsrücken halten konnte, machte er sich auf den Weg nach Hamdallay. Hamdallay! Wie viele Erinnerungen hatte er an diese Stadt! Dort war das Damal-Fakala-Tor, durch das er an dem Tag, an dem er sich das Leben hatte nehmen wollen, Gott möge ihm verzeihen, wie ein Wahnsinniger geritten war. Dort waren die Straßenecken, an denen er mit Alfa um Essen gebettelt hatte! Dort war die Moschee, in der er an der Seite seines Freundes gebetet hatte. Warum war er nicht mit ihm gestorben? Sie wären gemeinsam in das märchenhafte Dschanna gelangt! Dann erfüllte ihn ein schnöder Trost. Wer weiß, ob Gott ihn nicht nur mit der Absicht am Leben erhalten hatte, damit er Ayisha aufnahm! Alhaji Gidado, Alfas Vater, empfing Mohammed scheinbar mit der größten Zuneigung. Er war seit dem Tod seines Sohnes stark gealtert und hatte alle Ämter aufgegeben, die er früher bekleidet hatte. In Zukunft wollte er sein Leben nur noch im Gebet verbringen; er wies all jene ab, die zu ihm kamen, um seinen Rat zu erbitten, und behauptete, er sei nur ein armer Sünder. War das nicht der Grund, weshalb Gott ihm den Sohn genommen hatte?

Unter den Frauen des Hauses, die herbeieilten, um Mohammed zu begrüßen und zu bedauern, sah er Ayisha nicht. So verging eine Woche. Am achten Tag hielt Mohammed es nicht mehr aus und wagte seinen Gastgeber zu fragen: »Vater, was ist aus Ayisha geworden? Ich habe sie noch nicht begrüßt …«

Das Gesicht des alten Mannes verfinsterte sich, und er murmelte: »Ich mache mir große Sorgen um sie. Sagt nicht der Hadith des Propheten: ›Wisse, dass die Geduld dem Sieg folgt, die Freude dem Unglück und der Erfolg dem Elend?‹ Doch scheint es, als wünschte sich Ayisha nur den Tod. Wenn meine Frauen sie nicht zurechtwiesen, würde sie nicht einmal mehr etwas essen.«

Mohammed stotterte: »Könnte ich sie nicht sehen? Vielleicht bringt es ihr Linderung, wenn sie sich mit dem Freund und Bruder ihres verstorbenen Mannes unterhält?« Obwohl Alhaji Gidado noch in Erinnerung hatte, dass Mohammed damals die Hochzeit von Alfa und Ayisha gestört hatte, und auch die Gründe für diesen Skandal kannte, ließ er sich nichts anmerken und sagte nur: »Ich werde ihr deinen Wunsch mitteilen …«

Mohammed ließ seinen Blick über Alhaji Gidados Anwesen schweifen, das aus einer Ansammlung von runden, strohgedeckten Hütten bestand und von einem Zaun aus Hirserohr umgeben war. Obwohl Alhaji Gidado sehr hohe Ämter bekleidet hatte, war er der traditionellen Lebensweise der Fulbe treu geblieben und hatte sich nie ein mehrstöckiges Haus bauen lassen wie die anderen Würdenträger aus Hamdallay, die die Sitten der Bewohner von Dschenne und Segu nachahmten. Hinter den Hütten erstreckte sich eine zereiba8, in der ein Dutzend Kühe mit schönen Hörnern eingeschlossen waren. Zweimal am Tag wurden sie von Sklaven gemolken und aufs Weideland vor die Stadt geführt.

Wo versteckte sich Ayisha bloß?

Was machte sie?

Mohammed ergriff seine Krücken und versuchte, sich ohne Hilfe aufzurichten, aber da es ihm nicht gelang, rief er die Bozo-Sklavin herbei, die ihn aus einiger Entfernung beobachtete. Es war nicht das erste Mal, dass ihm dieses Mädchen auffiel, das sich so anders verhielt als die anderen. Nie rührte sie auch nur einen Finger, um ihm behilflich zu sein. Nie schenkte sie ihm die geringste Aufmerksamkeit, die geringste Zuvorkommenheit. Im Gegenteil, in ihrer Haltung spiegelten sich Ungeduld und Ungeniertheit, und ihr Blick schien Spott auszudrücken. Eines Tages war Mohammed eine seiner Krücken weggerutscht, sodass er im Hof mitten zwischen Kuhfladen und Stroh auf dem Hintern landete. Und das Mädchen war vor ihm stehen geblieben, ohne auch nur die Hand auszustrecken. Doch das war nicht das einzig Ungehörige an ihrem Verhalten. Obwohl sie in einem frommen Haus diente, lief sie oft mit nackten Brüsten und einem so eng geschnürten blau-weiß gestreiften Wickeltuch herum, dass sich ihr Po deutlich darin abzeichnete. Man spürte dennoch, dass es keine aufreizende Haltung war. Sie zeigte damit nur, wie frei sie sich fühlte. Mohammed fragte sie: »Wie heißt du?«

»Wenn du willst, kannst du mich Awa nennen.«

Nach dieser unverschämten Antwort entfernte sie sich und ließ dabei die Perlen ihres Hüftschmucks rasseln. Wenn Mohammed nicht nur ein Bein gehabt hätte, wäre er hinter ihr hergelaufen. Außer Ayisha hatte noch nie eine Frau seine Aufmerksamkeit erregt. Und wenn er an das geliebte Wesen dachte, stellte er sich im Übrigen keine körperliche Beziehung vor. Er sah sich im Geist in ihrer Hütte sitzen, während sie mit unbedecktem Kopf kam und ging, sich zu ihm setzte und endlos mit ihm über Alfa Gidado sprach. Von den Tagen in Hamdallay. Von Segu. Vom Krieg … Die Unruhe jedoch, die jetzt von seinem Körper Besitz ergriff, war ganz anders. Sein Penis, an den er nie dachte und der wie eine verwelkte Knospe zwischen einem Stumpf und einem abgemagerten Bein eingezwängt war, erwachte plötzlich zu neuer Kraft und pochte im rasenden Rhythmus seines Blutes. War das die Begierde nach dem Körper einer Frau? Mit fiebriger Erregung, wie er sie noch nie erlebt hatte, wartete er auf den Abend. Er bemühte sich, den Koran zu lesen, aber die göttlichen Sätze tanzten vor seinen Augen. Wenn er versuchte, sie mit lauter Stimme zu sprechen, war seine Kehle zugeschnürt wie bei einem Kind in der Koranschule, das aus Angst vor seinem Lehrer erstarrt. Awa kam nach dem icha9-Gebet und brachte auf einem Korbtablett die Kalebassen mit dem Essen. Scheinbar gleichgültig fegte sie gründlich den Boden, entrollte eine Matte und stellte die Kalebassen darauf. Anschließend ging sie fort, um Wasser zu holen, während Mohammed jeder einzelnen ihrer Bewegungen mit den Augen folgte und das Jagdfieber eines im hohen Buschgras auf der Lauer liegenden Jägers entdeckte. Die Beute entfernt sich, kommt zurück, bewegt sich im Kreis. Ganz wie es ihr passt! Und doch ist ihre Freiheit verwirkt …

Mit finsterem Blick musterte er die Kalebassen mit dem Essen und rief: »Wo ist denn mein ngaro-Tee?«

»Ich bringe ihn dir sofort, Herr!«

Er spürte genau, dass Awas Ergebenheit nur gespielt war und sie seine Verwirrung bemerkt hatte. Sie entfernte sich erneut und blieb so lange fort, dass er schon glaubte, sie wolle ihn zum Narren halten und käme nicht wieder. Er ließ die Perlen seiner Gebetsschnur durch die Finger gleiten. Aber was für ein demütigendes Gebet kam über seine Lippen: »Möge sie doch kommen, o Gott!«

Schließlich tauchte sie wieder auf. Sie hatte sich umgezogen und trug ein makellos weißes Wickeltuch, das in der Taille unter ihren spitzen Brüsten mit den großen auberginefarbenen Brustwarzen geknotet war. Als sie sich näherte, um ihm die Kalebasse mit ngaro zu reichen, drang ein Duft zu ihm, den er nicht hätte benennen können. Sein Herz schlug immer schneller, bis eine rasende Musik daraus wurde, die ihn völlig benommen machte. Er bemühte sich zu essen, bekam aber keinen Bissen herunter, und sie stapelte wie zum Zeichen ihres Sieges die noch vollen Kalebassen auf dem Tablett auf, um sie in die Küche zurückzubringen.

Er wartete erneut. Sie kam wieder und ging wie selbstverständlich in den hinteren Raum der Hütte. Nach einer Weile folgte er ihr, und ohne zu wissen, was er tat, legte er sich neben sie auf die Matte.

Als er es endlich wagte, sich ihr zuzuwenden, kam es ihm vor, als sei er am Ufer eines Sees, an dem eine unbekannte, ursprüngliche und bezaubernde Blume wuchs …

Buhari, der mit seiner Eskorte den Auftrag hatte, Mohammed und dessen Gefolge sicher nach Kano zu geleiten, gehörte der Kavallerie des Emirs an, der berühmten Einheit der barade, was zeigte, welch hohes Ansehen der Maaji Abdullahi genoss.

Buhari steckte genau wie sein Pferd in einer mit Baumwolle gefütterten Rüstung, sein Kopf war durch einen ebenfalls gefütterten Helm geschützt, der unterm Kinn von einer Metallkette gehalten wurde. Buhari stieg vom Pferd, warf sich nieder und ging dann auf Mohammed zu, der sich bei seinem Anblick ebenfalls anschickte, vom Pferd zu steigen. Als er seine üblichen Vorbereitungen traf, wandte Buhari den Kopf ab, während ihm die Worte des folgenden Gedichts in den Sinn kamen:

Sohn eines Edlen, bleib in deinem Sattel,

halte deine Lanze,

zieh in den Kampf,

du, der du an die Schulter der Pferde gewöhnt bist!

Wie sehr musste Mohammed darunter leiden, die Kraft und Beweglichkeit verloren zu haben, die der Stolz des Edlen sind! Buhari bemühte sich, nicht auf Mohammeds Bein zu starren, das in einem scharlachroten Stiefel aus weichem Leder steckte, und murmelte: »Sannu, Herr! Gebe Gott, dass du eine gute Reise hinter dir hast!« Mohammed gab ihm eine wohlwollende Antwort, dann stellte er ihm jene vor, die ihn begleiteten: »Meine Frau Awa. Mein Sohn Omar, den wir Anady10 nennen …«

Buhari war überrascht. Der Maaji Abdullahi hatte weder von einer Frau noch von einem Sohn gesprochen. Sollte das heißen, dass er selbst nichts von deren Existenz wusste? Buhari konnte nicht umhin, einen neugierigen Blick auf die Frau zu werfen, die einen solchen Lebensgefährten akzeptiert hatte. Aber er sah nur eine Gestalt, die in einen dunklen Burnus gehüllt war, nach der Art, wie sich Maurinnen kleiden. Er grüßte sie, ergriff die Zügel seines Pferdes und machte kehrt in Richtung Kano.

Wie die anderen sieben Haussa-Städte der Königin Daura hatte sich Kano nur zögernd zum Islam bekehren lassen. Schon gegen Ende des 14. Jahrhunderts hatten Händler, die aus dem Mali-Reich gekommen waren, zwar einen Sarki11 überredet, eine Moschee zu bauen, die fünf täglichen Gebete zu verrichten und moslemische Ratgeber zu nehmen, die sich um die Angelegenheiten des Reiches kümmerten, aber die neue Religion war nie über die Mauern des Königspalastes hinausgedrungen, und die Prediger, die in späteren Zeiten aus Timbuktu und den Ländern des Maghreb kamen, klagten weiterhin über die Sittenlosigkeit der Haussa-Herrscher. All das änderte sich mit dem Schehu Osman dan Fodio. Der islamischen Tradition zufolge erwählt Gott einmal in jedem Jahrhundert einen Gläubigen, damit dieser den Glauben der Menschen stärke und die Religion erneuere. Ein Gerechter! Ohne jeden Zweifel war der Schehu dieser von Gott gewählte Mann gewesen.

Nachdem er das Dorf Degel verlassen hatte, wo er mit seinen Eltern gelebt hatte, zog der Schehu über die Grenzen von Gobir nach Konni und Zamfara. Und er ließ das Feuer Gottes regnen. Er entthronte götzendienerische Haussa-Könige und ersetzte sie durch moslemische Fulbe. Er verbrannte die Sünder und die Halbherzigen auf dem Scheiterhaufen und erstaunte alle, die ihm begegneten, mit der Richtigkeit seiner Weissagungen. So sagte er zu Bawa, dem Krieger, der in den Kampf ziehen wollte: »Mächtiger Sarki, steig nicht in den Sattel!« Und Bawa fand am Fuße der Mauern von Tsibiri den Tod …

Jahrelang führte der Schehu den Dschihad. Und dann, als der Baum des Islam kräftige Wurzeln geschlagen hatte, zog sich der Schehu zurück, um sich ganz dem Gebet und der Kontemplation zu widmen. Nach seinem Tod wurde das Reich, das er aufgebaut hatte, aufgeteilt. Im Osten regierte sein Sohn Muhammad Bello, im Westen dessen jüngerer Bruder Abdullahi. Und seitdem gab es von Sokoto bis Zamfara, von Katsina bis Daura, von Kano bis Zaria oder Nupe und Bauchi mehr Moscheen als Sandkörner in der Wüste.

Eine schöne, lehrreiche Geschichte!

Und doch wusste Mohammed, als er sein Pferd über die staubige Piste lenkte, die zu der befestigten Stadt führte, dass das alles nur Schein war. Der Schehu Osman dan Fodio war kaum gestorben und das Reich geteilt worden, als auch schon der religiöse Niedergang begann. Wie in Massina nach Cheiku Hamadus Tod brachen überall Streit und Kampf um die politische Macht innerhalb der Sippen und Bruderschaften aus. Auch darin glich der Islam einem indigofarbenen Wickeltuch, das eine Frau zu oft gewaschen hat und dessen Farbe verblichen ist. Einige mochten sagen, dass diese Gegend den religiösen Eifer eines El-Hadj Omars brauchte, um das göttliche Feuer von Neuem anzufachen und dem Islam seine ursprüngliche Reinheit wiederzugeben. Mohammed konnte jedoch diese Ansicht nicht teilen. In seinem Geist herrschte nur Verwirrung.

Er konnte nicht ohne einen Schauder der Empörung an die vielen Unschuldigen denken, die der Tod im blühenden Alter dahingerafft hatte, und die Leichenberge im Talkessel von Kassakéri. Er hatte noch das Wehklagen der Verletzten in den Ohren, der Amputierten, die voller Entsetzen das Messer der arabischen Wundärzte überlebt hatten. Wenn sich das Reich Gottes auf Leiden, Verzweiflung oder den Tod von Menschen gründet, dann sollte man besser auf Gott verzichten! Gott ist nicht die Tränen einer Mutter wert, die ihren Sohn verloren hat! Gott ist nicht das Schluchzen einer Witwe wert, die sich über den leblosen Körper ihres Mannes beugt! Dann schreckte er vor seinen eigenen Gedanken zurück. Er holte seinen Koran hervor, vertiefte sich in die Lektüre der Suren und redete sich ein, dass El-Hadj Omar die Gebote des Korans nur wörtlich nahm.

»Du sollst die Menschen bekämpfen, bis sie bekennen, dass es keinen Gott gibt außer Ihm.« Sein Werk war gerecht und gut. Gerecht und gut? Eine Gazellenherde, die fast unter den Hufen der Pferde vorbeistob, riss Mohammed aus diesem ewigen Zwiespalt. Ringsherum bot sich ihm der vertraute Anblick der Steppe zur Trockenzeit. Fest in der Erde verwurzelt und stellenweise mit schwefelfarbenem Gras bedeckt, stellten die Baobabs ihre tragischen Stümpfe zur Schau. Zwischen ihren massigen, bizarr geformten Silhouetten erhoben sich Reihen von schlanken, hohen Palmyrapalmen. Die Sonne verbarg sich hinter einem grauen Wolkenschleier, aber nur um ihre Macht noch deutlicher zu beweisen. Die Luft war unbeweglich und sengend heiß. Mohammed bemühte sich, an das Glück zu denken, das ihn erwartete. Seit vierzehn Jahren hatte er seine Mutter nicht mehr gesehen. Zum letzten Mal hatte er sie in Hamdallay im Anwesen von Cheiku Hamadu getroffen. Jetzt kehrte er zu ihr zurück wie zu einer einzig wahren Zuflucht. Sie würde die Hände auf seine Stirn legen. Er würde die Augen schließen, während sie ihn mit Küssen überschüttete wie vor vielen Jahren, als er noch ein kleines Kind war, das aus der Wärme ihres Leibes geschlüpft war. Sie würde ihm Fragen stellen, deren Antworten er jetzt schon vorbereitete: »Mutter, ich habe sie geheiratet, weil ich nicht jenen Moslems gleichen wollte, die sich in der Sinnenlust und im Konkubinat ergehen. Um sie freizukaufen, habe ich Alhaji Gidado zehntausend Kaurimuscheln gezahlt, die Fa12 Ben mir aus Segu mit der Bitte hat senden lassen heimzukehren. Aber ich konnte nicht nach Segu zurückkehren, ohne dich zu sehen. Mutter, sie ist keine Bozo mehr und auch keine Sklavin. Sie ist meine Frau, und ich bitte dich, sie aus Liebe zu mir entsprechend zu behandeln.«

Dann fuhr er fort: »Mutter, die Frau, die ich liebe, hat sich mir erneut verweigert. Sie hasst und verachtet mich. Sie sieht in mir einen Bambara, der für den Tod ihres Mannes verantwortlich ist. Mutter, sind die Frauen verrückt oder grausam? Vergib mir, ich weiß nicht mehr, was ich sage …« Mohammed wusste nicht, welches Bild in seinem Gedächtnis ihn am meisten schmerzte: Das der Leichenberge im Talkessel von Kassakéri. Das der Überlebenden in den Lazaretten. Oder aber das von Ayisha, als sie ihn bei ihrer letzten Begegnung mit Beschimpfungen und Vorwürfen überhäuft hatte.

Was für eine Ungerechtigkeit! Hatte er nicht Alfa Gidado genauso geliebt wie sich selbst?

Als er ihre Hütte verließ, hatte er nicht einmal mehr die Kraft gehabt, sein Pferd bis zum Amba-See zu lenken, wie er es damals getan hatte. Er wünschte sich nur noch, in diesem sonnigen Hof zwischen den Hufen der Tiere und den Füßen der Sklaven hinzufallen. Wie in einem Traum war er in die Besucherhütte zurückgekehrt, in der er bei Alhaji Gidado wohnte, und hatte auf seinem Weg dorthin die Koranschule durchquert, die einer der Söhne von Alhaji Gidado leitete. Die Kinder, die auf Ziegenfellen saßen, blickten neugierig zu ihm auf, während ihr Lehrer die Zahlen und Diagramme seiner Lektion in die Asche zeichnete, die auf dem Boden ausgestreut war. Nicht weit davon stellte ein Gehilfe mit emsiger Miene Tinte aus einer Mischung von Gummiarabikum und Ruß her. Aber von alldem sah Mohammed nichts. Warum machte sie ihn dafür verantwortlich? Warum?

Mohammed hörte hinter sich Anady weinen, zügelte sein Pferd, bis er sich neben Awa befand, und fragte: »Was hat er?«

Sie zuckte die Achseln und sagte: »Wahrscheinlich stört ihn das Schaukeln des Pferdes …«

Obwohl sie noch keine lange Wegstrecke zurückgelegt hatten, gab Mohammed Buhari ein Zeichen, die Eskorte anzuhalten. Mohammed hatte sein Pferd gelehrt, seiner Stimme zu gehorchen, auf seinen Befehl niederzuknien und sich erst dann wieder aufzurichten, wenn er sein Gleichgewicht auf dem Rücken des Pferdes gefunden hatte. Mithilfe eines Gurtsystems, das für diesen Zweck entwickelt worden war, verstaute er seine Krücken an den Flanken des Tieres, konnte sie verschieben oder sich auf sie stützen, wenn es nötig war.

Awa sah ihn aufmerksam an. Seine relative Gewandtheit, diese Selbstständigkeit waren ihr Werk. Sie hatte ihm auf subtile Weise den Willen eingeflößt, von niemandem abhängig zu sein und auf jede Hilfe zu verzichten, auch wenn diese noch so gut gemeint war, denn die natürliche Neigung eines Krüppels sind Selbstmitleid und die Suche nach Anteilnahme. Wie sehr hatte sie sich Gewalt antun müssen, um nicht zu ihm zu eilen, wenn er stolperte, ihn nicht zu stützen und mit ihm über seine Misserfolge zu weinen! Aber jetzt wurde sie dafür belohnt, denn aus einem jammernden Wrack hatte sie einen Menschen gemacht, der sich jedem Gesunden durchaus gewachsen fühlte. Doch dieser Erfolg hatte sich gegen sie gekehrt. Eine gewisse Strenge und Kälte hatte sich schließlich in ihre Beziehung eingeschlichen. Nie ein Anflug von Zärtlichkeit. Nie ein liebevolles Wort. Mohammed nahm sie reichlich unsanft, als wollte er ihr beweisen, dass er wenigstens in jenen Augenblicken ihr Gebieter war, und sie empfand die Lust als eine Niederlage, die sie besser vermieden hätte.

Sie hatte gehofft, die Zeit werde ihr Werk tun, und Mohammed würde schließlich doch noch merken, wie unerschöpflich die Liebe im Herzen seiner Gefährtin war. Doch er wollte gar nichts davon wissen, hing lieber vergeblichen Träumen nach und wärmte die Erinnerung an eine unglückliche Liebe auf. Im Augenblick war Awa besonders niedergedrückt. Jene Mutter, der Mohammed jetzt über endlose Pisten durch Steppe und Flüsse entgegengaloppierte, war eine Fulbe von königlichem Geblüt. Wie würde sie eine Schwiegertochter aus dem Volk der Bozo aufnehmen, also aus einem Volk, das von den Herrschern in Massina versklavt und wie eine Ware behandelt worden war? Das war der Hauptvorwurf, den man Amadu Amadu machte und den man vor ihm seinem Vater und seinem Großvater gemacht hatte. Der Islam, zu dem sie sich bekannten, hinderte sie nicht daran, ihre Mitmenschen zu entwürdigen und zu erniedrigen, falls es sich um Völker handelte, die sie als niedriger stehend betrachteten. Von Vergeltungsdrang beseelt, hoffte Awa daher im Gegensatz zu jenen, die die Tukulor hassten, auf deren Sieg, von Nioro bis Bandiagara, von Segu bis Sikasso. Sie wusste im Übrigen, dass viele Bozo aufseiten der Tukulor standen und ihre privilegierte Stellung als »Herren des Wassers« ausnutzten, um die Tukulor mit Bootsleuten für den Transport der Krieger auf dem Joliba zu versorgen, und sie freute sich darüber.

Mohammed stieg vom Pferd, lehnte sich schwerfällig gegen das Tier, löste mit einer Hand die Krücken aus den Gurten und klemmte sie sich geschickt unter die Achseln. Anfangs hatte er von diesem ständigen Kontakt schlimme Geschwüre bekommen, die Awa mit Salben und Pflastern gepflegt hatte. Aber nach und nach war auch dieses Fleisch unempfindlicher geworden. Awa setzte sich auf ein Wickeltuch, das sie auf dem Boden ausgebreitet hatte, und der kleine Anady, den sie neben sich gelegt hatte, krabbelte auf seinen Vater zu. Er konnte noch nicht laufen, war ein anmutiges, kugliges Geschöpf, das immer in Bewegung war. Zum Spaß hielt ihm Buhari seinen mit Straußen- und bunten Vogelfedern geschmückten Helm hin, den er gerade abgenommen hatte. Erschrocken kroch das Kind schnell zu seiner Mutter zurück. Alle lachten, während Mohammed zärtlich spottete: »Na, willst du kein Soldat werden?«

Awa zuckte zusammen. Nein, ihr Sohn würde niemals Soldat werden. Sie würde es schon schaffen, ihm Hass auf die Waffen einzuschärfen, die töten, zerfetzen und Qualen verursachen. Und sie würde es auch schaffen, ihm Respekt für das einfache Leben beizubringen und somit die Verschiedenheit zu dulden. Plötzlich kamen ihr all diese Männer, die sie umgaben, wie Feinde vor, die ihr das Kind nehmen wollten, um es auf gefährliche Bahnen zu bringen. Sie blickte sie voller Entsetzen an. Nachdem sie vom Pferd gestiegen waren, legten sie ihre runden Schilde aus Elefanten- oder Büffelleder ab, aber trennten sich weder von ihren Lanzen noch ihren flachen Schwertern, die in gepunzten Lederscheiden steckten und ihnen gegen die Schenkel schlugen. Mit ihren großen Strohhüten, unter denen sie einen Turban trugen, gaben sie ein eindrucksvolles Bild ab.

Awa bemühte sich, ihr Entsetzen zu unterdrücken. Wovor fürchtete sie sich eigentlich? Waren nicht der Geist ihrer verstorbenen Mutter und der ihres Vaters ständig in ihrer Nähe, um sie zu verteidigen und zu beschützen? Sie waren ihr ganzes Leben lang an ihrer Seite gewesen. Und sie waren nur gestorben, um noch gegenwärtiger zu sein.

2

Alles, was der Schehu im ›Kitab al-Farq‹ angeprangert, die Fehler, die er den Haussa-Herrschern vorgeworfen hat, Unterdrückung, Korruption, Schwächen und Verstöße gegen die Vorschriften des Islam, all das lassen sich die Fulbe-Emire zuschulden kommen. Sie leben mit Haussa-Konkubinen, ohne sie zu heiraten, sie eignen sich die Besitztümer der Waisen an, sie verlangen übermäßig hohe Steuern für die Märkte, sie bestellen Vieh und bezahlen es nicht, sie erheben Wegegelder von Reisenden und Händlern.«

Ausgestreckt auf einem Diwan im marokkanischen Stil, berauschte sich Mohammed an Maryems Anblick, ohne ihren Worten zu lauschen. Wie schön sie war! Sie hatte immer noch dieselbe schlanke Taille und diese blitzenden Zähne in ihrem bläulichen Zahnfleisch. Nur das Netz von gewundenen, ein wenig geschwollenen Adern auf ihren Händen und jene dunklen Flecken auf ihrer nicht mehr ganz so samtigen Haut waren Anzeichen des nahenden Alters. Sie unterbrach sich und sagte mit jener Lebhaftigkeit, die immer kennzeichnend für sie gewesen war: »Aber ich rede und rede, und du schweigst. Hast du mir denn nichts zu erzählen?«

»Ich habe alles vergessen …«

Mohammed meinte es ernst. Wie durch ein Wunder waren all die Jahre des Leidens aus seinem Gedächtnis gelöscht, und er entdeckte ein nie gekanntes Gefühl des Friedens. Er war soeben zur Welt gekommen. Die hinkende Hebamme mit den krummen Beinen hatte sich gerade zurückgezogen, und er lag an der Brust seiner Mutter. Und so war die Zukunft noch im Keim wie die Frucht eines Baumes, und die Hoffnung grünte. Wenn er jedoch durch das Glück nicht so verblendet gewesen wäre, hätte er gemerkt, dass Maryem so viel erzählte, um zu verbergen, was sie wirklich dachte. Sein Anblick quälte sie, und es wäre ihr fast lieber gewesen, wenn er sich zurückgezogen hätte, damit sie sich ungestört ausweinen konnte. Was für eine traurige Zusammenkunft! Ein Sohn, der zum Krüppel geworden und vorzeitig gealtert war, eine Schwiegertochter, der man an jedem Gesichtszug die niedere Herkunft ablesen konnte. Blieb nur noch Anady, das kleine unschuldige Wesen voller Anmut! Maryem reichte Mohammed eine Schale mit Gebäck aus Johannisbrotmehl und beschloss, zum Kern der Sache zu kommen: »Was für Nachrichten hast du aus Segu? Weiß die Familie, was aus deinem Bruder Olubunmi geworden ist?«

Mohammed wurde unsanft in die Gegenwart versetzt. Jetzt war er leider kein Säugling mehr, der an der Brust seiner Mutter lag, und die verheißungsvolle Frucht hatte sich bereits in eine steinige Hülse verwandelt. Er murmelte: »Nein, niemand weiß es. Vielleicht ist er tot, und sein Leichnam ist im Talkessel von Kassakéri wieder zu Staub geworden. Oder die Tukulor haben ihn gefangen genommen und gezwungen, in einem ihrer Heere zu kämpfen. Ich frage mich, was schlimmer ist: als Gottloser zu sterben oder einem Gott zu dienen, dem man seine Seele verweigert?«

Er schwieg eine Weile, dann fuhr er fort: »Was für ein tragisches Schicksal haben mein Vater und seine Brüder gehabt! Müssen wir, ihre Nachkommen, denselben Weg einschlagen?«

Maryem unterbrach ihn: »Das Schicksal deines Vaters hätte gar nicht schöner sein können! Ein Heiliger! Ein Märtyrer des wahren Glaubens! Hast du vergessen, dass ein gerechter Tod die größte Ehre ist, die es gibt?«

Solange ihr erster Mann noch lebte, hatte Maryem ihn kaum geliebt. In allen seinen Handlungen hatte sie Heuchelei und Selbstgerechtigkeit entdeckt und sogar an der Aufrichtigkeit seines Glaubens gezweifelt. Als sie jedoch seinen Kopf unter dem Beil des Henkers hatte fallen sehen, begann sich eine Wandlung in ihr zu vollziehen, und nach und nach wurde ihr klar, dass sie einen außergewöhnlichen Menschen verkannt hatte. Und jetzt hegte sie den Traum, einmal nach Segu zurückzukehren, um sich auf sein Grab zu werfen und ihn um Vergebung zu bitten, dass sie an ihm gezweifelt hatte. Doch war das möglich?

Die Nacht brach herein. Aber Maryem dachte nicht daran, eine Dienerin zu rufen, um die Fettlampe anzünden zu lassen. Sie blieb auf dem Diwan liegen, ihrem Sohn gegenüber, glücklich darüber, dass die Dunkelheit ihren Gesichtsausdruck verbarg. Da Abdullahi viel in Richtung Mekka, Ägypten und Marokko gereist war, war die Einrichtung des Raums kostbar und vielfältig. Außer den Diwanen, auf denen dicke Baumwollstoffe lagen, war auch der Boden mit Teppichen aus dichter Wolle belegt, während die Wände schachbrettartig mit einer bunten Fülle von goldenen, purpurnen, türkisblauen, smaragdgrünen und saphirfarbenen zellijs13 aus Fes verziert waren.

Mohammed, der durch seine Erziehung in Hamdallay Kargheit und Entbehrungen gewohnt war, nahm Anstoß an diesem Luxus. Dennoch musste er zugeben, dass diese teuren Gegenstände einen Rahmen bildeten, der die Eleganz und vornehme Art seiner Mutter noch unterstrich und in Erinnerung rief, wessen Tochter sie war. Wenn er dagegen an seine Frau dachte, die so ganz anders war, sagte er sich, dass er die Gründe für seine Heirat hätte erläutern müssen. Doch er fand die Worte nicht. Erneut überkam ihn diese angenehme Benommenheit, der Wunsch, die Zeit anzuhalten und die schützende Wärme des Mutterleibs wiederzufinden.

Abdullahi kam herein, gefolgt von einer Sklavin, die die Lampen anzündete, und diese plötzliche Helligkeit verwirrte Mohammed, als sei er bei etwas Unschicklichem überrascht worden. Abdullahi wandte sich ihm zu und sagte höflich: »Würdest du bitte mit mir kommen?«

Mohammed griff in seiner Hast etwas ungeschickt nach seinen Krücken, sodass er zu Boden fiel und dabei die konische Vase umstieß, in der Maryem ihren Schmuck aufbewahrte. Perlen, Ringe, Halsketten aus Bernstein, Gold und Korallen rollten durch den Raum. Um ihre Verwirrung zu verbergen und um sich nicht anmerken zu lassen, in welchen Zustand das Gebrechen ihres Sohnes sie versetzt hatte, half Maryem der Sklavin bei der Suche nach dem Schmuck, und die beiden Frauen hoben emsig die Stoffe auf den Diwanen und die Teppiche hoch. Abdullahi dagegen rührte sich nicht, da er instinktiv spürte, dass es besser war, Mohammed nicht zu Hilfe zu eilen, und so kämpfte dieser eine endlose, grausame Weile lang gegen die eigene körperliche Schwäche an. Schließlich gelang es ihm, sich aufzurichten. Da nahm Abdullahi ihn beim Arm, als ob nichts geschehen sei, und die beiden Männer gingen hinaus.

Etwa zweitausend Menschen wohnten innerhalb der Palastmauern. Außer der Familie des Emirs und dessen Gefolge lebten dort auch einige sarauta14, die mit Verwaltungsgeschäften und manchmal auch mit politischen Aufgaben betraut waren. Einige Kavallerie- und Infanterieregimenter waren ebenfalls dort untergebracht, wenn auch die Mehrzahl der Truppen über das ganze Gebiet der Provinz verteilt war und nur im Falle eines Angriffs mobilisiert wurde. In dieser Menge sah man manchmal, erkennbar an ihren rituellen Hautritzungen, Haussa von reinster Abstammung. Aber infolge einer ständigen Vermischung von Fulbe und Haussa war es fast unmöglich geworden, mit Bestimmtheit festzustellen, wer welchem Volk angehörte. Die Verwirrung wurde dadurch noch größer, dass seit einiger Zeit alle Männer den schwarzen Schleier trugen, der früher nur den Fulbe, den Anhängern des Schehu, vorbehalten war.

Immer wenn Abdullahi und Mohammed an einer Gruppe von Leuten vorbeikamen, verstummte die Unterhaltung, und jeder blickte dem jungen Krüppel und diesem behänden, gesunden Mann reiferen Alters nach, die ein seltsames Paar bildeten. Abdullahi tat, als bemerke er diese Neugier nicht, und sagte: »Morgen bitte ich um eine Audienz beim Emir, und dann gehen wir zu ihm und begrüßen ihn. Er ist ein frommer und gottesfürchtiger Mann, was man nicht gerade von allen Würdenträgern des Kalifats behaupten kann. Manchmal frage ich mich, wodurch sich unsere Regierung von jener der Heiden unterscheidet.« Mohammed wusste nicht, was er darauf antworten sollte, denn ihm waren ganz ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen, als er in Hamdallay war. Es sah so aus, als würde das Werk der mujaddidun15 sie selbst nicht überleben. Abdullahi nahm ihn beim Arm, und Mohammed wunderte sich, wie heiß der Druck seiner Finger durch den Kleiderstoff hindurch zu spüren war. Ehrlich gesagt, empfand Mohammed wenig Sympathie für diesen Mann, der so gut den Platz seines Vaters eingenommen hatte und mit seiner Mutter eine Beziehung unterhielt, deren Innigkeit Mohammed erriet. Dennoch widerstand er der Versuchung, sich wie ein schmollendes Kind von ihm zu lösen, und ließ sich in die Richtung führen, die Abdullahi einschlug.

»Ich nehme dich zu einem meiner Freunde mit. Er ist nur ein einfacher Malam namens Idrissa, aber glaube mir, niemand in dieser Provinz ist Gott näher als er.«

Sie gingen durch das Palasttor und kamen in das Fulbe-Viertel, erkennbar an seinen leichten Strohhütten, die unter schönen Dattelpalmen und schlanken Palmyrapalmen standen. Der Himmel nahm eine dunkelblaue Färbung an, und bald würde die Stimme der Muezzins die Gläubigen zum icha-Gebet rufen. Abdullahi ergriff wieder das Wort. Die Stille verlieh seiner Stimme besondere Kraft und Eindringlichkeit. »Meinst du nicht, dass du durch deine Herkunft dazu geschaffen bist, eine Rolle in Segu zu spielen?«

Mohammed lachte bitter und sagte: »Eine Rolle? Was für eine Rolle kann ein Mann wie ich denn noch spielen? Du hast doch gesehen, wie ich mich eben bei meiner Mutter wie ein Wurm auf dem Teppich gewunden habe …«

Abdullahi erwiderte tadelnd: »Na, na, du sprichst, als könne unsere Religion nur durch Gewalt verbreitet werden. Glaub mir, das ist nicht das beste Mittel. Im Übrigen vergisst du, dass, wenn sich zwei Moslems mit dem Schwert in der Hand begegnen, der Angreifer und das Opfer ins Höllenfeuer kommen!«

Mohammed blickte ihn betroffen an. War dieser Satz nicht eine Kritik am Dschihad, der ein Gesetz Gottes ist? Muss sich der wahre Gott nicht mit Blitz und Donner der Schlacht durchsetzen? Gotteslästerung, das war eine Gotteslästerung! Abdullahi fuhr in noch ernsterem Ton fort: »Hör zu. Dein Vater war der erste Märtyrer des Islam in Segu. Dir steht es daher zu, in diesen Boden, den sein Blut fruchtbar gemacht hat, die Saat zu bringen. Dir und niemand anderem. Lass es nicht zu, dass El-Hadj Omars Männer dort dem wahren Gott zum Sieg verhelfen. Du hast einen Auftrag zu erfüllen. Halte dich nicht zu lange bei den Frauen auf.«

Aufgebracht über den letzten Satz, rief Mohammed: »Seit vierzehn Jahren habe ich meine Mutter zum ersten Mal wiedergesehen. In der Zwischenzeit habe ich die schlimmsten Leiden ausgestanden …«

Abdullahi unterbrach ihn schroff: »Alles Leiden kommt von Gott …«

Mehr noch als Mohammed wunderte sich Abdullahi selbst über seine Worte, denn er war ein taktvoller, zurückhaltender Mann, der getreu dem Hadith handelte: »Zu den Eigenschaften, die einen Menschen zu einem guten Moslem machen, gehört die Fähigkeit, sich nicht in Dinge einzumischen, die einen nichts angehen.«

Daher hatte er das Gefühl, jemand anders habe sich in seinen Körper eingeschlichen und gebe ihm diese prophetischen Weisungen ein. Auch Mohammed spürte, dass diese Worte das Echo eines Willens waren, der stärker als sie beide war. Er flüsterte: »Vater …«

Zum ersten Mal verwandte Mohammed Abdullahi gegenüber diese Anrede nicht nur aus Höflichkeit, sodass das Wort seine wahre Bedeutung annahm.

»… ich werde dir gehorchen und nach Segu zurückkehren!«

Zugleich erinnerte er sich an das letzte Mal, als sich ihm sein Vater Tiékoro gezeigt hatte. In der Nähe des Amba-Sees. Mohammeds Herz hatte nur aus Schmerz bestanden. Die dyi kono, Vögel der Regenzeit, flogen dicht über die Oberfläche des Sees und tauchten den Schnabel auf der Suche nach einem fetten burgu-Stängel ins Wasser. Eine große schwarzweiße Schlange tauchte auf einem Bett von Seerosen auf und schwenkte den flachen Kopf mit den bernsteinfarbenen Augen hin und her.