Willst du mit mir gehen, Herz? - Isabell Mezger-Schumann - E-Book

Willst du mit mir gehen, Herz? E-Book

Isabell Mezger-Schumann

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Beschreibung

Mit sich selbst liebevoll umzugehen, ist gar nicht leicht. Dieses Buch ist ein Werk von 14 Autor*innen, die darin extrem ehrlich ihr Herz ausschütten und ihre Reise von Selbstausbeutung, Druck und Ablehnung hin zu mehr Mitgefühl und Selbstannahme erzählen. Es warten 14 tiefgehende Geschichten auf dich, die dich inspirieren, deine Beziehung zu dir selbst zu hinterfragen und zu wandeln. Lass dich inspirieren, deinen eigenen Weg zu finden und schwierige Zeiten als Chance zu sehen, dir selbst wieder näher zu kommen.

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Seitenzahl: 154

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Isabell Mezger-Schumann (Hrsg.)

Willst du mit mir gehen, Herz?

14 Wege zu mehr Selbstmitgefühl.

Impressum

© 2020 Fairliebt Verlag, Isabell Schumann

Texte: Ann-Carolin Helmreich, Aurelia Hack, Elisabeth Ziegler, Eva Eulenstein, Jessica Jansen, Kathrin Strate, Katrin Krappweis, Lisa Schröter, Marvin Kopp, Olga Brüwer, Sina Knoell, Susanne Behrendt, Viktoria FiLov, Isabell Schumann (Hrsg.)

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44,

22359 Hamburg

Cover-Gestaltung: Indra Siemsen

Lektorat: Annika Hansen

ISBN:

Hardcover: 978-3-347-05914-6

Paperback: 978-3-347-05913-9

eBook: 978-3-347-05915-3

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes, ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

Liebes Selbstmitgefühl

Wer hinter diesem Buch steckt

Ann-Carolin Helmreich

Aurelia Hack

Elisabeth Ziegler!

Eva Eulenstein!

Jessica Jansen!

Kathrin Strate!

Katrin Krappweis

Lisa Schröter

Marvin Kopp

Olga Brüwer

Sina Knoell

Susanne Behrendt

Viktoria FiLov

Isabell Mezger-Schumann

Danksagung

Mehr über die Autor*innen

Liebes Selbstmitgefühl,

 

schön, dass du hier bist.

Wo warst du nur so lange? Manchmal kommst du uns für einige Minuten, Stunden oder gar Tage abhanden, bis daraus Monate und Jahre werden. Dabei wendet unser Herz so viel Kraft auf, immer wieder leise, dann lauter, die Frage zu stellen:

Willst du (wieder) mit mir gehen?

Es wartet sehnsüchtig auf deine Antwort. Auf ein: Ja, ich will!

Deine Antwort darauf ist ja oder zumindest vielleicht, deshalb hältst du gerade dieses Buch in Händen. Dein Herz hat dich hierher geführt - oder dein Kopf, der weiß, dass dein Herz danach schreit. Und der endlich mal eingesehen hat, dass nun dein Herz an der Reihe ist, zu dir zu sprechen.

Atme tief ein. Und tief aus.

Du darfst dich entspannen. Dich erwartet in diesem Buch keine Anleitung für mehr Selbstmitgefühl. Selbstmitgefühl zu praktizieren ist kein weiterer Punkt auf deiner To-do-Liste. Es geht nicht so sehr darum, etwas zu tun, um dich selbst mehr zu achten oder zu lieben. Es geht vielmehr darum, zu überprüfen, wie du mit dir selbst bist. In welcher Beziehung du zu dir selbst stehst.

Es geht darum, dass du immer lieber Zeit mit dir selbst verbringen magst und das annimmst, was du dann von dir selbst siehst und fühlst. Anzunehmen, wer du bist, wenn du nichts sein oder werden willst. Für dich selbst gut zu sorgen. Dich selbst zu fühlen. Deine Gefühle fühlen zu dürfen ohne Bewertung. Dich in die Arme zu nehmen und zu wiegen wie die liebende Mutter ihr Kind.

Selbstliebe ist in aller Munde. Ein Begriff, der zum Sammelbecken verschiedener Interpretationen und hoher Erwartungen geworden ist. Umjubelt, lässt sich gut verkaufen und klingt einfach himmlisch. Das Selbstmitgefühl ist zum Stiefkind der Selbstliebe geworden, dabei ist es mindestens genauso essentiell für ein glückliches Leben. Selbstmitgefühl ist praktischer und erleichtert den Zugang zur Selbstliebe.

Du kannst es dir so vorstellen: Liebe durchzieht unser Inneres wie die Flüsse unsere Kontinente. Selbstmitgefühl ist das Ufer, von dem aus wir in diese Flüsse springen oder Schritt für Schritt hinein waten können. Selbstmitgefühl gibt dir also den Zugang zu deiner inneren Welt, in der die Liebe regiert.

Es ist Zeit, diesen praktischen Zugang zur Selbstliebe wieder mehr zu nutzen. Stelle dir vor, wie wir alle, die nach mehr Selbstmitgefühl streben, einen Eis-Stand am Ufer aufbauen, damit es noch mehr Menschen an den Fluss zieht. Dieses Buch, das dem Selbstmitgefühl gewidmet ist, kann dieser Eis-Stand sein und dir den Weg ebnen.

Doch was bedeutet Selbstmitgefühl für dich? Wie würde sich dein täglicher Umgang mit dir selbst ändern, wenn du dir mehr Mitgefühl entgegenbringst? Wie würde sich dein Studium, dein Beruf, deine Jobsuche oder deine Selbstständigkeit verändern, wenn du dir selbst näher kommst? Und welchen Einfluss hat Selbstmitgefühl auf deine Partnerschaft, familiäre Beziehungen oder Freundschaften? Oder gar auf die Welt? Und was würdest du nicht mehr tun, wenn du mehr mit dir selbst fühlen würdest?

Vielleicht flüstert dir deine innere Stimme schon einige Antworten auf diese Fragen zu. Oder du bist jetzt neugierig geworden, welche Antworten wir darauf gefunden haben.

Die 14 Autor*innen dieses Buches nehmen dich mit auf ihre ganz eigene Reise hin zu mehr Selbstmitgefühl. In ihren so unterschiedlichen Geschichten wird deutlich, dass es genauso viele Perspektiven auf das Thema gibt, wie es Menschen auf der Welt gibt.

Dieses Buch dient dir als Quelle der Inspiration für deinen eigenen Weg zu mehr Mitgefühl mit dir selbst - und damit auch mit allen anderen Menschen und Wesen dieser Erde.

Beim Lesen wünschen wir dir viele Momente, in denen du mit dem Herzen liest und verstehst. Schließlich bist du deinem Herzen schon hierhin gefolgt, und vielleicht stellst du im Laufe des Lesens deinem Herzen die alles entscheidende Gegenfrage:

Willst du mit mir gehen, Herz? Es wird Ja sagen.

Wer hinter diesem Buch steckt

In diesen Seiten stecken die Geschichten von 14 Menschen. Was sie gemeinsam haben? Sie haben sich in ihrem Leben auf schmerzvolle und liebevolle Weise mit ihrem Selbstmitgefühl auseinandergesetzt - und sie engagieren sich auf der sozialen Coachingplattform Fair Coachings für Menschen mit geringem Einkommen. Für Azubis, Studierende, Arbeitslose, Alleinerziehende und andere, die sich mit einem kleinen Budget durch einen Coach auf ihrem Weg unterstützen lassen möchten.

Auf Fair Coachings finden sich Coachingangebote zu bezahlbaren Preisen. Engagierte Coaches und Trainer*innen stellen hier Workshops, Kurse, Webinare und Einzelcoachings mit Rabatten oder kostenfrei zur Verfügung. Wir nennen sie Fair Coaches.

Mit unseren Kooperationspartnern geben wir Workshops in sozialen Vereinen und Einrichtungen, um zum Beispiel Jugendliche oder Menschen mit Fluchthintergrund für ihre persönliche Entwicklung zu begeistern.

Im Herbst 2018 kam mir, Isabell Mezger-Schumann, bei einer Auszeit auf dem Land die Idee, mehr Menschen unterstützen zu können, als ich es mit meinen Coachingangeboten aktuell tat. Und zwar die Menschen, die sich Unterstützung auf ihrem Weg wünschen, aber nicht das nötige Geld für reguläre Coachingsätze haben.

Aus der fixen Idee, die mich Nacht für Nacht wach hielt und an meinen freien Tage meine Finger wund machte vom Tippen, wurde im Februar 2019 Wirklichkeit: Die soziale Coachingplattform www.fair-coachings.de war online - mit fairen Coachingangeboten von insgesamt 15 Coaches aus meinem Freundeskreis.

Schnell kamen mehr Coaches und Trainer*innen hinzu und es bildete sich ein Team von Unterstützer*innen um mich, sodass wir jetzt wirklich ein WIR sind.

Die Idee zu diesem Buch entstand an den stürmischen Herbsttagen, in denen wir uns für gewöhnlich alle mehr Zeit nehmen, den Blick nach Innen zu richten. Elf Fair Coaches und ein Teil unseres Teams haben an den kalten Tagen über ihren Texten für dieses Buch gebrütet, gewütet und mit der ein oder anderen Träne und ganz viel Mitgefühl schließlich den letzten Punkt gesetzt.

Zusammen mit unserer Community haben wir dieses Buch im Frühjahr 2020 realisiert. Durch eine Crowdfunding-Kampagne bestellten sich viele Menschen das Buch vor und ermöglichten uns damit, dieses Buch lektorieren, gestalten und drucken zu können. Der Prozess von der ersten Idee bis zu diesem Buch hat uns so viel Freude gemacht, dass es weitere Fair Coachings Bücher geben wird - unter dem neu gegründeten

Fairliebt Verlag.

Danke, dass du dieses Buch gekauft hast und uns dein Vertrauen schenkst. Vorhang auf für 14 ehrliche Geschichten über das Selbstmitgefühl. Willst du mit uns gehen?

In Wertschätzung,

Isabell Mezger-Schumann und die Autor*innen

 

Das Leben ist ein Fluss, in dem sich die Sonne spiegelt.

Ein goldener Fluss, der dich in Fülle hüllt.

Schwimme darin.

Und deine Energie fließt in jede Richtung.

Breitet sich aus und du bist im Fluss.

Du bist im Fluss des Lebens.

Das Leben ist ein Fluss, in dem sich die Sonne spiegelt.

Ein goldener Fluss, der dich in Fülle hüllt.

Mach die Augen auf und sieh hin.

Öffne die Arme und spüre.

Wiege deinen Körper.

Lass dein Herz sich öffnen.

Und treibe zurück zur Quelle.

Ann-Carolin Helmreich

Emotional & Mental Transformation Coach

Wohnt in Berlin

Bietet einfühlsame, bewusstseinserweiternde und humorvolle Begleitung für Menschen und Unternehmen in herausfordernden Zeiten an.

Ann-Carolin in drei Worten: Radikal ich. Sein.

,,Wir bekommen im Leben nicht das, was wir wollen. Sondern das, was wir brauchen. Und ich habe eine Wende in meinem Leben gebraucht, einen Schlussstrich. Etwas, das meine Welt regelrecht erschütterte, um aufzuwachen.“

 

Erdbeben

An meinem ersten Tag baute ich IKEA-Schreibtische zusammen. Dabei war ich euphorisch: Ich blickte voller Zuversicht auf ein neues Abenteuer. Mein Abenteuer. Gerade hatte ich meine kleinstädtische Welt in Hessen verlassen und war nach Berlin gezogen, in eine aufregende Stadt mit scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten. Ich war Mitte zwanzig und Mitbegründerin eines Start-ups, in dem ich eine Führungsrolle übernehmen sollte.

Ein wilder Ritt lag vor mir, der sieben Jahre andauern sollte. Schritt für Schritt sah ich dieses Unternehmen wachsen. Wie ein Fisch schloss ich mich dem Schwarm an und synchronisierte mein Dasein mit den Erwartungshaltungen meiner Umwelt. Ich entschied mich, stromlinienförmig mitzuschwimmen. Denn meine größte Angst war es, nicht gut genug zu sein. Nicht gut genug für diesen Job. Dabei hatte ich doch die einmalige Chance, Teil im Ökosystem Startup in Berlin zu sein.

Immer mehr Teammitglieder, ebenso jung und hungrig wie ich, kamen in meine Abteilung, bis sie schließlich der größte Bereich im Unternehmen wurde. Ich fühlte mich dadurch in dem bestätigt, was ich tat, und ich hatte ein freundschaftliches Verhältnis zu den meisten meiner Mitarbeitenden. Meine Welt drehte sich um diesen Job und ich genoss es.

Doch da gab es noch andere Meinungen: „Du bist irgendwie härter geworden, seitdem du Karriere machst.“ Sätze wie dieser von Freunden aus meiner Heimat trafen mich. Doch ich wehrte ihre Behauptungen schlagfertig ab - so wie alles, was in dieser Zeit nicht in meine neue Welt zu passen schien. Ich war zielorientiert, um keine

Antwort verlegen und angetrieben von Zielen, die immer unrealistischer zu werden schienen.

Das Management-Team spielte nach Regeln, die mir fremd waren: Männer-Regeln, mit viel Dominanz, politischen Nebenverabredungen und heftigen Auseinandersetzungen. Jeder von ihnen strotzte vor Durchsetzungskraft. Ich war die einzige Frau in diesem Team und beschloss, meine Weiblichkeit zu verstecken und mich dem Rudel anzuschließen. Ich wollte nicht noch mehr Baustellen aufmachen. Meine inneren Dialoge tat ich kopfschüttelnd ab. Das Unterdrücken meiner Gefühle und meiner Intuition wurde zur Regel, denn nur so glaubte ich, könnte ich einen guten Job machen. Etwas in mir dachte, dass der Stress und die permanente innere Anspannung der Preis waren, den ich zahlen musste. Die Wochen, in denen ich 70 Stunden arbeitete und meine Wohnung nur zum Schlafen aufsuchte, waren ein vermeintlicher Ausdruck meines Erfolgs.

Ich entfernte mich immer mehr von mir. Vergaß die vergangenen Jahre, in denen ich Zugang zu Meditation und Achtsamkeit hatte. Doch nun machte mir der Kontakt zu meinem Inneren unfassbar Angst. Negative Gefühle zuzulassen und zu leben, war etwas, das ich mir nicht zugestehen wollte. Ich drückte sie einfach weg und wurde immer härter zu mir.

Stattdessen lieber auf etwas anderes konzentrieren: auf die Erfolge, die Feiern, das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Immer das nächste Ziel im Blick. Den ganzen Tag Entscheidungen treffen. Für mich. Für mein Team. Für das Unternehmen. Mein tägliches Mantra hinterfragte ich nicht. Wer mich hinterfragte, den wies ich entschieden zurück.

Denn ich fühlte mich ja angekommen in meinem Job. Mein materieller Erfolg, meine große Lernkurve und mein tolles Team sind doch Beweis genug, sagte ich mir.

Das erste Beben – Der Körper schreit

Nach einem langen Tag im Büro stand ich abends um halb neun vor dem Supermarktregal und war überfordert. Meine Atmung wurde flacher und mein Magen verkrampfte sich. Ich hatte auf einmal das Gefühl, dass ich gleich zusammenbrechen und mich übergeben müsste. Mein Puls begann zu rasen. Die Wahl zwischen rotem oder grünem Pesto löste eine totale Krise in mir aus. Ich ließ den Einkaufswagen am Pastaregal zurück und hechtete zum Ausgang. Japsend stieg ich in meinem Wagen und atmete langsam aus und wieder ein. Schluckte schnell eine Pille gegen Übelkeit und wartete, bis es besser wurde. Diese rezeptfreien Tabletten, die eigentlich Reiseübelkeit unterdrückten, wurden meine ständigen Begleiter. Ohne sie ging ich nicht mehr aus dem Haus.

Die Attacken kamen wieder. Und wieder. Ich hatte keine Ahnung, was meinen Körper da heimsuchte. Panikattacken kannte ich nicht. Ich dachte, dass es mit meiner Verdauung zu tun hätte. Reizdarm oder so. Keinen Mut, zum Arzt zu gehen. Keine Zeit, mich damit auseinander zu setzen, dass ich nicht mehr so funktionierte wie früher.

Wenn ich krank zu werden drohte, putschte ich mich mit Aspirin Complex so hoch, dass ich aufgedreht in Meetings saß und die neuen Vertriebsziele wie bedrohliche Echos in meinem Kopf hallten. Zu ihnen gesellte sich dann wieder mein inneres Mantra: Ich muss meine Ziele erreichen. Es muss weitergehen. Für mich. Für mein Team. Für das Unternehmen.

Doch ab und zu holte sich mein Körper seine Portion Ruhe und schickte mich auf Zwangsurlaub ins Bett. Häufig wurde ich sofort krank, wenn ich in den Urlaub fuhr oder meine Eltern besuchte. Es waren kleine Oasen der Ruhe und der Einkehr, in denen mein Körper mir ein dickes, fettes Stoppschild aufzeigte. Vergebens.

Zwei Burnout-Warnungen meines Arztes schlug ich in den Wind. Ich buchte mich vier Tage in ein Wellnesshotel ein und gab viel Geld für Massagen und Anwendungen aus. Das musste reichen, um wieder fit zu werden und Leistung bringen zu können. Für mich. Für mein Team. Für das Unternehmen.

Verkrampft hielt ich an diesem äußeren Bild fest, denn ich hatte eine unfassbare Angst, wer ich ohne das alles sein würde.

Mein Selbstwert schien so fest verwoben mit dem, was ich viele Jahre lang aufgebaut hatte. Wenn mir das jemand nehmen sollte, dann würde alles zusammenbrechen. Manchmal malte ich mir nachts im Bett genau das aus.

Ich hatte Angst vor der Leere in mir.

Was würde danach kommen?

Wer war ich ohne das alles?

Wir bekommen im Leben nicht das, was wir wollen. Sondern das, was wir brauchen. Und ich habe eine Wende in meinem Leben gebraucht, einen Schlussstrich. Etwas, das meine Welt regelrecht erschütterte, um aufzuwachen.

Das zweite Beben – Die Abfindung

Sie entzogen mir die Vertriebsleitung. Ohne eine für mich befriedigende Erklärung. Dafür wurde ich in die Leitung der Personalentwicklung versetzt. Meine neue Aufgabe im Unternehmen war die persönliche Weiterentwicklung meiner Teammitglieder. Plötzlich war da ein Arbeitsmodell mit mehr Platz für mich und meine Selbstreflexion. Das war mein Startschuss, um wieder in Kontakt mit mir zu kommen.

Nach und nach merkte ich, dass ich jahrelang Dinge in dieser Firma getan hatte, die mir gar nicht entsprachen. Dinge gesagt hatte, weil sie von mir erwartet wurden, die mir aber innerlich zutiefst missfielen. Endlich fand ich meine Stimme wieder und wurde unbequemer, als ich es mich je zuvor getraut hatte. Ich sprach Missstände offen an und stellte mich vor die Menschen, die sich mir anvertrauten. Ein gefährliches Spiel, dessen war ich mir bewusst. Und so kam es dann, wie es kommen musste: Nach einem weiteren Konflikt wurde ich mit einer bescheidenen Abfindung und Vertragsauflösung vor die Tür gesetzt. Zwei Tage vor Weihnachten. Danke, das war’s!

Zwei Nervenzusammenbrüche und ein verzweifeltes Weihnachtsfest später saß ich im Flugzeug mit einem One-Way-Ticket nach Asien. Auf dem Konto war genug Geld, um monatelang reisen zu können.

Was danach sein würde, wusste ich nicht. Gefühle wie Erleichterung und Freiheit krochen langsam in meinen Körper.

Ich reiste durch einige Länder, die meiste Zeit alleine. Jeden Tag aufs Neue durfte ich Entscheidungen treffen. Nicht für das Team. Nicht für das Unternehmen. Nur für mich. Musste niemandem Rechenschaft ablegen. Durfte verweilen, beobachten und einfach nur sein. Ich begann zaghaft, wieder in Kontakt mit mir und meinen eigenen Bedürfnissen zu kommen. Ich hatte ja keine Ahnung, was da auf mich wartete, als ich in Kambodscha kurzentschlossen meiner Neugier und meinem Bauchgefühl folgte und einen Flug nach Kathmandu buchte.

In Nepal angekommen, besuchte ich einen Ashram. Das wollte ich immer schon mal erleben, seit ich den Film Hotel Very Welcome gesehen hatte. Also tauschte ich westliche Kleidung gegen eine rote Robe und stürzte mich ins Ungewisse. Ein straffer Stundenplan mit Yoga und sechs Stunden Osho Body Dynamic Meditation wurden mir gereicht. Für zwei Wochen stieg ich aus der Gesellschaft aus und ging in die Innenschau. Ich war bereit und ließ mich mit der Offenheit eines Kindes auf alles ein, was dort passierte.

Wenig später schmolz mein westlicher Panzer in den Parkettboden der Meditationshalle.

Ich weinte, schrie und spürte meine Wut.

Da waren sie auf einmal, die ganzen Gefühle, die ich nicht haben wollte. Und gleichzeitig war dieses tiefe Wissen in mir, dass gerade Heilung geschieht.

Heilung geschieht, wenn der Verstand nicht mehr die Führung übernimmt. Wenn ich den Kampf nicht mehr kämpfe. Mich dem Leben hingebe.

Ich habe mich hingegeben. Mich geöffnet und gemerkt, dass da eine zarte Seite in mir ist, die gesehen werden will. Und eine ganz starke Seite, die sich entspannen darf. Die Idee vom Selbstmitgefühl war geboren und hielt Einzug in mein Leben.

Das dritte Beben – Die Erschütterung meiner Welt

Wenige Tage nach dem Besuch im Ashram wollte ich nach Indien aufbrechen und noch mehr entdecken. Ich war gestärkt und hatte ein Stück zu mir selbst gefunden.

Doch es kam anders. Ein Jahrhunderterdbeben der Stärke 7,8 erschütterte Nepal. Es beendete tausende Menschenleben binnen weniger Minuten. Ich überlebte. In einem Hotel in Kathmandu kauerte ich vor meinem Bett, während die Erde fast zwei Minuten lang bebte und Häuser zusammenstürzten. Mein Hotel blieb stehen. Viele um mich herum nicht.

Das erste Mal reale Todesangst gehabt zu haben, hat mich geerdet. So sehr, wie nichts anderes es vermocht hätte. Da war sie nun, die Erschütterung meiner Welt, um die ich innerlich unbewusst gebeten hatte. Eingestürzte Mauern, Strommasten in Autodächern. Als ich durch die Straßen lief und das Ausmaß der Zerstörung sah, fasste ich einen Entschluss. Ganz gleich, wie kaputt es in mir und in dieser Stadt gerade aussah: Ich wollte bleiben, um mich zu heilen und den Menschen hinzugeben, die Hilfe brauchten.

Wir schliefen nun in Zelten. Dort fassten wir - eine handvoll Nepali und ich - den Entschluss, Geld für Zelte, Reis und Linsen zu sammeln, um in den Bergdörfern die schlimmste Not zu lindern. Ohne mein neu gewonnenes Selbstmitgefühl und den tiefen Kontakt zu mir wäre ich wohl schnell abgehauen. Der Militärflieger, der im Flugzeugbauch Touristen nach Indien mitnahm, flog jedoch ohne mich los. Ich blieb. Entschieden. In meinem ganz eigenen Schmerz und dem des Landes.

Unsere Hilfsorganisation “Garden of Hope Kathmandu” gibt es noch immer. Sie wird voller Stolz von den Menschen geleitet, mit denen ich sie damals aufgebaut hatte. Sie führt Touristen nicht nur durch Nepals atemberaubend schöne Natur und die Berge, sondern ermöglicht ihnen auch, an den richtigen Stellen zu helfen.

Die Angst ist für mich