Winterzauber im Café am Meer - Clara Morgenfeld - E-Book

Winterzauber im Café am Meer E-Book

Clara Morgenfeld

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Beschreibung

Winterzauber im Café am Meer – Wo Stürme Türen öffnen statt sie zu schließen Schneebedeckte Dächer, das Rauschen der Wellen und ein kleines Café voller Wärme – im verschneiten Küstendorf Sandhagen findet Lina mehr, als sie je gesucht hat. Nach den stürmischen Sommermonaten beginnt für Lina ein neuer Abschnitt. Das Café ihrer Tante Mimi ist inzwischen zu einem Ort geworden, an dem Menschen zusammenkommen, Geschichten teilen und Geborgenheit finden. Doch mit dem ersten Schneesturm kehren auch Zweifel zurück: Kann sie wirklich hierbleiben – fernab der Großstadt, fernab ihres alten Lebens? Während draußen Wind und Eis an den Fenstern rütteln, wächst drinnen ein Band der Nähe. Gemeinsam mit Ben, dem stillen Schreiner, Hella, der exzentrischen Operndiva, Finn, dem quirligen Teenager, und Paul, dem weisen Imker, erlebt Lina, wie aus Fremden eine Familie wird. Kerzenlicht, Winterherz-Kekse und die Stimmen des Dorfes füllen das Café mit Wärme – und mit Hoffnung. Doch als ein Brief aus Hamburg auftaucht, steht Lina erneut vor einer Entscheidung: Sicherheit und Karriere in der Stadt – oder das Herz und ein Neubeginn am Meer? Zwischen Schneestürmen, Kerzenlichtnächten und stillen Momenten mit Ben lernt sie, dass wahre Stärke nicht darin liegt, alles allein zu tragen – sondern den Mut zu haben, sich zu öffnen. Winterzauber im Café am Meer ist der zweite Band der gefühlvollen Reihe rund um das Café in Sandhagen. Ein Roman über Neuanfänge, Gemeinschaft und die Liebe, die selbst in den kältesten Tagen Wärme schenkt. Ein Buch für alle, die den Duft von frisch gebackenem Kuchen, das Knistern eines Kaminfeuers und das Flüstern des Windes lieben – und an die Magie der leisen Wunder glauben.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Winterzauber im Café am Meer

Wo Stürme Türen öffnen statt sie zu schließen

Clara Morgenfeld

Erste Auflage 2025

© 2025 Clara Morgenfeld

Alle Rechte vorbehalten

Erste Flocken - Das Dorf im weißen Kleid

Die erste Flocke fiel, während Lina gerade die Stühle im Café zurechtrückte. Sie sah sie aus dem großen Fenster schweben, langsam, als wolle sie das Dorf zärtlich berühren. Kurz darauf kamen weitere dazu, erst vereinzelt, dann dichter, bis Sandhagen wie in ein weißes Tuch gehüllt wurde. Es war, als hätte jemand den Atem angehalten, so still lag alles da.

Lina trat vor die Tür, wickelte den Schal enger um den Hals und atmete die klare Luft ein. Der Schnee knirschte schon leise unter ihren Schuhen, obwohl er gerade erst den Boden erreicht hatte. Das Café hinter ihr, mit seinen warmen Lichtern, wirkte in der beginnenden Dämmerung wie eine kleine Laterne am Rand des Platzes.

„Es beginnt also“, murmelte sie, und in ihrem Ton lag mehr als nur die Feststellung eines Wetterwechsels. Der Winter bedeutete immer auch eine neue Zeit, neue Geschichten, neue Prüfungen – und vielleicht auch eine Ruhe, die der Herbst ihr nicht gegeben hatte.

Auf dem Dorfplatz sammelten sich langsam die ersten Menschen. Frau Arends, die stets die Post brachte, stapfte vorsichtig durch den frischen Schnee. Herr Kröger, der Fischer, winkte ihr zu, mit Mütze tief in die Stirn gezogen. Kinder jauchzten, weil sie die ersten Schneebälle formten, auch wenn der Schnee noch zu locker war, um zu halten.

Lina lächelte unwillkürlich. Es war diese Mischung aus Alltag und Magie, die sie an Sandhagen liebte. Selbst ein Schneefall verwandelte den Ort in eine Bühne für kleine Wunder.

Im Café wärmte der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und einem Zimtgebäck, das sie spontan ausprobiert hatte. Als die Tür aufging, wehte die kalte Luft herein, gefolgt von einem Gast. Es war Frau Jansen, die ältere Dame, die immer mit einem kleinen Notizbuch kam. Ihr Mantel war mit Schneeflocken übersät, und ihre Wangen glühten.

„Ach, Lina“, sagte sie, während sie den Schal ablegte, „das Dorf sieht aus, als hätte es jemand in Puderzucker getaucht.“

„Und Sie mittendrin wie eine Kirsche auf der Torte“, erwiderte Lina schmunzelnd und brachte ihr eine Tasse heiße Schokolade.

Frau Jansen lachte, schlug ihr Notizbuch auf und begann zu schreiben. Sie war eine stille Beobachterin, manchmal mehr Zuhörerin als Erzählerin, doch ihre Worte hatten Gewicht. Lina wunderte sich oft, was genau sie darin festhielt – Gespräche, Stimmungen, Erinnerungen?

Die Fenster des Cafés beschlugen rasch von der Wärme innen und der Kälte draußen. Kinder drückten ihre Nasen an die Scheiben, um die Leckereien auf dem Tresen zu bestaunen, während die Eltern draußen noch mit Nachbarn plauderten. Bald würde das Café voller Stimmen sein, voller Wärme, voller Geschichten.

Ein leiser Seufzer entwich Lina. Sie liebte diese Momente, doch heute war da auch ein leises Ziehen in ihrer Brust. Der Schnee brachte Erinnerungen zurück – an Winter, die sie anders erlebt hatte, in Städten, in Rastlosigkeit, in Einsamkeit. Sandhagen schenkte ihr etwas, das sie lange nicht gekannt hatte: Zugehörigkeit. Aber manchmal war die Nähe der Menschen auch beängstigend. Denn je mehr man Teil eines Ortes war, desto mehr konnte man verlieren.

Sie schüttelte den Gedanken ab, als die Tür erneut aufging. Ben trat herein, mit Schnee im Haar und einer Tasche voller Holzscheite. Sein Blick fiel zuerst auf sie, dann auf den Raum voller Wärme, und für einen Moment schien er zu entspannen.

„Draußen wird’s ungemütlich“, sagte er knapp, stellte die Tasche ab und rieb sich die Hände.

„Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als es drinnen gemütlich zu machen“, erwiderte Lina.

Ben nickte, und während er das Feuer im Ofen nachlegte, fiel Lina auf, wie sehr er zu diesem Bild passte: der Mann, der aus der Kälte kam, um Wärme zu schenken, auch wenn er selbst manchmal wirkte, als könnte er sie am wenigsten annehmen.

Die ersten Gäste füllten den Raum, Stimmen mischten sich, Teller klirrten, und draußen verwandelte sich das Dorf immer mehr in eine stille Schneelandschaft. Von drinnen konnte man das Knirschen der Schritte auf dem Platz hören, das leise Lachen der Kinder, das Knacken der Äste unter der Last des Schnees.

Sandhagen hatte sein weißes Kleid angelegt. Und mitten darin stand Linas Café wie ein Herzschlag – warm, lebendig, voller Möglichkeiten.

Sie wusste nicht, was dieser Winter bringen würde. Aber während sie das Tablett mit dampfenden Tassen balancierte, spürte sie eine leise Gewissheit: Der Schnee würde nicht nur Dächer und Straßen bedecken, sondern auch alte Spuren, um Platz für neue zu machen.

Der erste Gast im Schneesturm

Der Schneefall, der am Nachmittag noch wie eine sanfte Decke über dem Dorf gelegen hatte, hatte sich bis zum Abend in einen dichten Sturm verwandelt. Wind fegte durch die Gassen, rüttelte an Türen und Fenstern, und die Lichter der Straßenlaternen wirkten nur noch wie matte Flecken im weißen Wirbel.

Lina stand am Fenster des Cafés und sah hinaus. Die Vorhänge hatte sie zur Hälfte geschlossen, doch sie wollte trotzdem einen Blick nach draußen werfen. Die Kälte schien durch das Glas zu dringen, und die Böen klangen, als wolle der Winter selbst anklopfen.

„Das wird eine lange Nacht“, murmelte sie und zog ihre Strickjacke enger um die Schultern.

Im Café brannte das Feuer kräftig im Ofen, der Duft von Zimt und Apfel erfüllte den Raum. Die meisten Gäste hatten den Heimweg längst angetreten, bevor das Wetter schlimmer geworden war. Nur Ben saß noch in der Ecke, ein Buch vor sich, und tat so, als störe ihn das Heulen des Windes nicht. Doch Lina wusste, er hörte auf jedes Geräusch.

Da ging die Tür auf. Mit einem kräftigen Ruck, als würde der Sturm selbst jemanden hineindrängen. Ein Mann trat ein, Schnee in den Haaren, der Mantel tropfte, die Schuhe waren von Eis verkrustet. Einen Moment blieb er einfach stehen, atmete schwer, und der Wind blies eine Handvoll Schneeflocken mit ihm ins Café.

„Entschuldigen Sie…“, begann er heiser, während er die Tür mühsam ins Schloss zog. „Der Sturm… hat mich überrascht.“

Lina eilte sofort zu ihm. „Kommen Sie herein, beeilen Sie sich. Hier ist es warm.“

Sie half ihm, den Mantel auszuschütteln, und hängte ihn an den Haken neben der Tür. Seine Hände waren eiskalt, fast blau, und sie schob ihm ohne ein weiteres Wort eine Tasse Tee hin, die sie schnell aufbrühte.

Der Fremde setzte sich schwer auf einen Stuhl, schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch, als hätte er einen weiten Weg hinter sich. Seine Gesichtszüge waren kantig, sein Haar dunkel, und seine Augen – als er sie öffnete – hatten ein seltsames Grau, das fast mit dem Sturm draußen verschmolz.

„Sie sind nicht von hier, oder?“ fragte Lina vorsichtig.

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich war… auf der Durchreise. Der Zug kam nur bis zur nächsten Station, und dann blieb mir nichts anderes übrig, als zu Fuß weiterzugehen.“

„Bei dem Wetter?“ Ben hatte sein Buch beiseitegelegt und kam näher. Seine Stimme klang nicht feindselig, aber wachsam.

„Es war keine Wahl“, erwiderte der Fremde ruhig. „Ich brauchte einen Ort, um zu bleiben.“

Ein kurzer Moment der Stille lag zwischen ihnen, während draußen der Wind gegen die Fenster schlug. Dann stellte Lina den Tee vor ihn.

„Dann bleiben Sie hier, bis der Sturm nachlässt. Wir lassen niemanden im Schnee stehen.“

Ein schwaches Lächeln huschte über das Gesicht des Mannes, dankbar und doch zurückhaltend. Er nahm die Tasse in die Hände, als wäre sie mehr als nur ein Getränk – eher eine Lebensrettung.

Die Minuten vergingen. Der Sturm draußen heulte weiter, drückte gegen die Mauern, doch drinnen entstand eine seltsame Ruhe. Der Fremde wärmte sich auf, Lina räumte leise Geschirr ab, und Ben blieb mit verschränkten Armen in der Nähe, so als wolle er aufpassen.

„Wie heißen Sie?“ fragte Lina schließlich.

Der Mann sah sie einen Augenblick lang an, als müsse er überlegen, ob er antworten sollte. „Jonas“, sagte er dann knapp.

„Ich bin Lina. Das ist Ben.“

Jonas nickte nur, trank von seinem Tee und sah aus dem Fenster, als suchte er etwas im wirbelnden Weiß.

Etwas an ihm ließ Lina nicht los. Nicht die Erschöpfung – die war verständlich –, sondern dieses Gefühl, dass er mehr mitbrachte als nur eine verschneite Jacke und kalte Hände. Eine Schwere lag in seinem Blick, als trüge er Geheimnisse, die kein Sturm überdecken konnte.

Und doch: er war da. In diesem Moment war er einfach nur ein Mensch, der Wärme brauchte. Und das Café, dachte Lina, war genau dafür gemacht.

Heiße Schokolade für kalte Hände

Der Sturm trommelte immer noch gegen die Fenster, als Lina in der Küche verschwand. Sie spürte, dass Jonas’ Körper zwar langsam auftauen mochte, seine Hände aber zitterten noch leicht, selbst während er die Teetasse hielt. Tee allein würde nicht reichen – sie wusste, was jetzt besser wäre: eine heiße Schokolade, dick und cremig, mit einer Prise Zimt.

Sie stellte den Topf auf den Herd, ließ die Milch erwärmen, während sie behutsam Kakaopulver, dunkle Schokolade und ein wenig Vanille unterrührte. Der Duft breitete sich aus und legte sich wie eine weiche Decke über den Raum. Für einen Moment verdrängte er das Heulen des Windes, das Knarren des Gebälks.

Als sie zurückkam, trug sie zwei Tassen auf einem Tablett – eine für Jonas, eine für Ben, der sich bisher zurückgehalten hatte, aber offensichtlich doch neugierig war.

„Hier“, sagte Lina und stellte die Tasse vor Jonas ab. „Das wärmt schneller.“

Jonas sah die dampfende Schokolade an, als sei sie mehr, als er verdient hätte. Seine grauen Augen blickten kurz zu Lina, dann wieder zur Tasse. „Danke“, sagte er leise. Seine Stimme hatte etwas Raues, wie vom Wind abgeschliffen.

Er legte beide Hände darum, schloss sie fast gierig um die Wärme. Der Dampf stieg ihm ins Gesicht, er atmete tief ein, als könnte er die Kälte in seiner Brust durch diesen Duft vertreiben. Dann trank er langsam, vorsichtig, und man sah, wie die Anspannung in seinen Schultern nachließ.

„Das ist das Beste, was ich seit Langem getrunken habe“, murmelte er schließlich. Ein schwaches, beinahe überrasches Lächeln huschte über seine Züge.

Ben schnaubte leise, trank aber ebenfalls aus seiner Tasse. „Sie scheinen sich nicht so leicht abschrecken zu lassen“, sagte er in einem Tonfall, der irgendwo zwischen Skepsis und Respekt lag. „Bei dem Sturm da draußen hätten viele einfach aufgegeben.“

Jonas hob den Blick. „Aufgeben war keine Option.“

Lina spürte, wie diese Worte im Raum hingen, schwerer, als sie es sollten. Da war mehr dahinter. Etwas, das Ben ebenso registrierte – seine Stirn zog sich kurz zusammen, bevor er schwieg.

Um die Spannung zu brechen, setzte sich Lina an den Tisch. „Viele Gäste sagen, unser Café sei ein Zufluchtsort. Manchmal glaube ich, es zieht die Menschen genau dann an, wenn sie es am dringendsten brauchen.“

Jonas nickte langsam. „Vielleicht haben sie recht.“ Er drehte die Tasse zwischen den Händen, als würde er in den braunen Schlieren eine Antwort suchen. „Manchmal findet man Orte, die einen für eine Weile… tragen. Auch wenn man es nicht geplant hat.“

Es klang fast wie ein Geständnis, aber er ließ es unvollendet, blickte wieder hinaus in den Schneesturm.

Ben, der ihn nicht aus den Augen ließ, fragte: „Und wohin wollten Sie eigentlich? Wenn der Sturm Sie nicht überrascht hätte?“

Jonas schwieg kurz, trank einen Schluck, bevor er antwortete. „Weiter an die Küste. Ein Ort, den ich… sehen musste.“ Er zuckte mit den Schultern, als sei es unwichtig. Aber Lina hörte, dass es nicht so war.

Die drei saßen eine Weile still. Nur das Knistern des Ofens füllte den Raum, dazu das gelegentliche Schlagen des Windes gegen die Scheiben. Die Tassen wurden langsam leer, und Jonas’ Hände hörten auf zu zittern.

Schließlich stellte er die Tasse ab, lehnte sich zurück und sah zu Lina. „Sie haben recht – dieser Ort hat etwas. Vielleicht ist es die Wärme. Vielleicht auch die Menschen darin.“

Lina spürte, wie ihre Wangen heiß wurden, und senkte den Blick auf ihre eigenen Hände. Es war nur ein Satz – und doch hatte er eine Tiefe, die sie nicht erwartet hatte.

Ben sah zwischen den beiden hin und her, als müsse er sich merken, dass dieser Abend der Beginn von etwas war, das er noch nicht einschätzen konnte.

Draußen tobte der Sturm, als wolle er die Welt in Weiß begraben. Doch drinnen, in diesem kleinen Café, hielt eine Tasse heiße Schokolade mehr, als man ahnen konnte: sie wärmte nicht nur kalte Hände, sondern auch etwas, das Jonas lange in sich verschlossen getragen hatte.

Und Lina wusste: Dieser Mann würde nicht so bald wieder verschwinden.

Erinnerungen am Kamin

Das Feuer im alten Eisenofen knackte und spuckte Funken, während draußen der Sturm unermüdlich durch die Gassen des Dorfes fegte. Im Café war es warm, ein kleiner, geschützter Kosmos, in dem die Welt draußen fast vergessen schien. Lina hatte die Vorhänge zugezogen, damit das Flackern des Kaminlichts den Raum noch weicher wirken ließ.

Jonas saß immer noch an seinem Platz, die leere Tasse vor sich, doch er schien gedanklich weit weg. Seine Augen hatten diesen Ausdruck, als würden sie auf etwas Unsichtbares schauen, etwas, das nur er sehen konnte.

Lina zögerte, bevor sie sich mit einem Schemel näher zum Kamin setzte. Sie wollte die Stille nicht zerstören, aber irgendetwas in Jonas’ Haltung berührte sie. Es war, als ob er selbst ein Teil dieser alten Wände wäre – jemand, der hierhergehörte, auch wenn er fremd war.

„An Abenden wie diesen“, begann sie leise, „erzählen die Gäste manchmal Geschichten von früher. Der Kamin bringt die Erinnerungen hervor, sagen sie.“ Sie lächelte vorsichtig, unsicher, ob sie ihn aus seinem Schweigen holen durfte.

Jonas hob langsam den Blick, sah ins Feuer und nickte, fast unmerklich. „Feuer macht das. Es zieht Dinge hervor, die man längst vergraben glaubt.“

Ben, der bisher am Tresen gestanden hatte, räusperte sich. „Dann passen Sie gut her. In Sandhagen gibt’s viele vergrabene Geschichten.“ Seine Stimme war rau, aber nicht feindselig. Mehr ein Hinweis, dass jeder hier mit etwas lebt, das er lieber nicht jeden Tag ausspricht.

Jonas lächelte schwach. „Vielleicht finde ich das ja heraus.“

Eine Weile lauschten sie nur dem Knistern. Lina dachte an die Winterabende ihrer Kindheit, als Mimi noch lebte. Wie oft hatten sie hier gesessen, Kakao getrunken und Mimis Geschichten gelauscht – manche heiter, manche voller Wehmut. Sie fragte sich, ob auch Jonas solche Erinnerungen hatte.

„Ich erinnere mich“, sagte sie schließlich, mehr zu sich selbst, „wie meine Großmutter hier saß und erzählt hat, dass jeder Winter seinen eigenen Klang hat. Manche klingen wie Lachen, andere wie Schritte im Schnee. Und manche…“ Sie stockte, dann fuhr sie fort, „… wie Türen, die man schließen muss.“

Jonas drehte den Kopf zu ihr, sah sie lange an. In seinen Augen spiegelte sich das Feuer, aber auch etwas anderes – ein kurzes Aufflackern, als hätte ihr Satz etwas in ihm berührt. „Sie hat recht“, murmelte er. „Manchmal muss man Türen schließen, selbst wenn man noch einen Blick zurückwerfen möchte.“

Lina spürte, wie sich ein Kloß in ihrer Kehle bildete. Es war, als hätte er nicht nur auf ihre Worte, sondern auch auf ihre eigenen Gedanken geantwortet. Sie nickte, ohne zu wissen, warum.

Ben brach die Stille. „Und welche Tür haben Sie zuletzt geschlossen?“

Die Frage hing schwer im Raum, und sofort bereute er sie. Jonas’ Gesicht veränderte sich kaum, doch sein Blick wurde starrer, tiefer. „Eine, die besser verschlossen bleibt.“ Seine Stimme war so leise, dass das Knistern des Holzes sie beinahe verschluckt hätte.

Lina wollte etwas erwidern, aber Jonas stand plötzlich auf. Er ging zum Fenster, zog den Vorhang ein Stück beiseite und starrte hinaus in den wirbelnden Schnee. „Manchmal“, sagte er nach einer Pause, „vergisst man, dass die Vergangenheit nicht immer draußen bleibt. Manchmal findet sie einen, selbst hier.“

Die Worte schickten einen kleinen Schauer durch Linas Rücken. Sie wusste nicht, was er meinte, aber sie fühlte, dass es wichtig war. Jonas ließ den Vorhang wieder fallen, kehrte zurück und setzte sich.

Es folgte keine weitere Erklärung. Er nahm nur die Hände wieder an die Tasse, als könnte er so an der Wärme festhalten, und schwieg.

Lina sah ihn an, wollte mehr wissen, doch etwas hielt sie zurück. Vielleicht, dachte sie, war dies nicht der Abend für Antworten. Vielleicht musste er erst spüren, dass er hier nicht nur ein Gast war, sondern jemand, dem man zuhören konnte – wenn er bereit war.

Ben wandte sich wieder seiner Arbeit zu, doch auch er war aufmerksamer, als er es zeigte. Er war keiner, der Menschen sofort vertraute, doch er wusste: Jonas trug etwas in sich, das größer war als eine einfache Reise im Schneesturm.

Das Feuer knisterte weiter, der Sturm tobte draußen, und drinnen hing eine Stille, die schwer und doch vertraut war. Erinnerungen hatten sich gezeigt – kleine Splitter, nicht mehr. Aber genug, um zu spüren, dass dieser Fremde nicht zufällig hier gestrandet war.

Und Lina ahnte: Die Antworten würden irgendwann kommen. Vielleicht schneller, als sie dachte.

Ein Blick, der mehr sagt

Der Sturm draußen wollte nicht nachlassen. Schnee klatschte gegen die Fensterscheiben, und das alte Café ächzte bei jedem Windstoß. Doch drinnen, zwischen Kaminfeuer und dem Duft von Kakao, hatte sich eine Ruhe ausgebreitet, die fast unwirklich war.

Lina saß noch immer auf ihrem Schemel, die Hände um eine eigene Tasse geschlungen. Jonas hatte seit Minuten kein Wort mehr gesagt, und doch spürte sie, wie sehr er anwesend war – nicht nur körperlich, sondern mit jeder seiner Gesten, jedem Atemzug.

Manchmal, wenn er ins Feuer sah, huschte ein Ausdruck über sein Gesicht, den sie nicht deuten konnte. Es war weder reine Trauer noch nur Nachdenklichkeit – eher ein Zwischenraum, ein Ort, an dem Erinnerung und Hoffnung sich trafen und stritten.

Lina wollte ihn nicht bedrängen. Sie wusste, dass es Momente gab, in denen Schweigen ehrlicher war als jedes Gespräch. Und doch zog es sie immer wieder zu seinem Gesicht.

Als Jonas irgendwann seinen Blick hob, traf er ihren. Nur einen Herzschlag lang – und doch fühlte es sich an wie eine Ewigkeit.

Da war nichts Oberflächliches in diesem Blick, kein höfliches Lächeln, kein Versuch, etwas zu verstecken. Es war, als sähe er sie wirklich – und zugleich, als würde er durch sie hindurch etwas erkennen, das sie selbst kaum benennen konnte.

Lina blinzelte, wollte wegschauen, doch sie konnte nicht. Der Moment hielt sie gefangen. Ihr wurde warm, nicht nur vom Feuer, sondern von etwas Tieferem, das durch diese stumme Verbindung in ihr aufstieg.

Ben räusperte sich hinter dem Tresen, und der Zauber löste sich wie feiner Schnee, der im Wind verweht. Jonas wandte sich wieder dem Kamin zu, Lina senkte hastig den Blick auf ihre Tasse.

Doch der Eindruck blieb.

„Manchmal“, sagte Jonas nach einer Weile, „muss man nichts sagen, um verstanden zu werden.“ Seine Stimme war ruhig, aber nicht gleichgültig. Fast so, als hätte er selbst überrascht festgestellt, dass er den Gedanken laut ausgesprochen hatte.

Lina atmete tief ein. „Und manchmal“, erwiderte sie leise, „fürchtet man gerade das – verstanden zu werden.“

Ihre Worte hingen im Raum wie ein feines Netz. Jonas drehte den Kopf, sah sie wieder an, und diesmal war sein Blick sanfter, weniger durchdringend. „Das kenne ich“, murmelte er.

Ben stellte mit etwas zu viel Nachdruck ein Glas ins Regal, und Lina wusste, dass er jedes Wort gehört hatte. Aber er schwieg, ließ den beiden diesen Raum.

Ein Windstoß ließ die Tür vibrieren, als wollte der Sturm selbst Einlass fordern. Jonas fuhr zusammen, doch nur kurz. „Es gibt Orte, an denen man etwas findet, was man nicht gesucht hat“, sagte er dann, fast beiläufig.

„Und was haben Sie hier gefunden?“ fragte Lina, ehe sie sich zurückhalten konnte.

Er antwortete nicht sofort. Stattdessen legte er die Hände auf die Lehne seines Stuhls, als müsse er sich erden. Dann sah er sie an, diesmal nicht flüchtig, sondern fest. „Einen Blick, der mehr sagt als Worte.“

Lina spürte, wie ihr Herzschlag schneller wurde. Sie wusste nicht, ob er von ihr sprach, ob er wirklich sie meinte – oder nur den Augenblick, das Kaminfeuer, die Wärme eines unerwarteten Zufluchtsortes. Aber der Gedanke ließ sie nicht mehr los.

Ben räusperte sich erneut. „Es wird spät. Der Sturm lässt heute niemanden mehr raus.“

„Dann bleibe ich“, antwortete Jonas ruhig, als wäre das längst entschieden.

Lina nickte stumm. Ein Teil von ihr war nervös, der andere erleichtert. Der Abend würde noch länger dauern – und sie spürte, dass es nicht nur der Sturm war, der ihn festhielt.

Draußen tobte der Wind, drinnen flackerte das Licht des Feuers. Und zwischen all dem hing etwas Unsichtbares in der Luft – ein unausgesprochenes Versprechen, das keiner von beiden wagte, in Worte zu fassen.

Ein Blick hatte genügt, um eine Tür zu öffnen, die vielleicht schon zu lange verschlossen gewesen war.

Wintervorbereitungen - Holz stapeln, Lichter hängen

Der Sturm der vergangenen Nacht hatte das Dorf tief eingeschneit. Am Morgen war die Luft klar und kalt, und jeder Atemzug formte kleine Wölkchen, die sofort wieder im Himmel verschwanden. Über Sandhagen lag eine Stille, wie sie nur nach Schneefällen möglich war – gedämpft, weich und beinahe feierlich.

Lina stand vor dem Café, den Schal bis über die Nase gezogen, und schob mit einem alten Besen die Stufen frei. Der Schnee knirschte unter ihren Stiefeln, und in der Ferne hörte sie schon das rhythmische Schlagen einer Axt. Ben war früh aufgebrochen, um Holz zu machen.

„Du fängst auch früh an“, sagte eine Stimme hinter ihr. Jonas stand da, die Hände tief in den Taschen seiner Jacke vergraben. Sein Haar war vom Wind zerzaust, und ein Rest Müdigkeit hing noch in seinen Augen.

„Der Winter wartet nicht“, antwortete Lina und zwang sich zu einem Lächeln. „Wenn wir nicht rechtzeitig Holz stapeln und Lichter aufhängen, frieren wir im Dunkeln.“

Er nickte, sah kurz zum Himmel, wo die Wolken wie schwere Wattebäusche hingen. „Darf ich helfen?“

Lina zögerte. Sie war es gewohnt, Dinge alleine oder mit Ben zu regeln. Doch etwas in Jonas’ Tonfall klang ernst, nicht wie ein Angebot aus Höflichkeit. „Wenn du magst – hinten liegen die Scheite. Ich will nachher die alten Lichterketten entwirren.“

Gemeinsam gingen sie zur kleinen Scheune neben dem Café. Dort hatte Ben bereits einen Stapel Holzscheite begonnen. Jonas griff ohne Zögern zu, hob die schweren Stücke an und schichtete sie sorgfältig. Lina beobachtete ihn heimlich. Es war, als wollte er sich beweisen – nicht mit Worten, sondern mit Taten.

„Du bist das nicht gewohnt, oder?“ fragte sie schließlich.

Er schüttelte den Kopf, ein kurzes, fast selbstironisches Lächeln auf den Lippen. „In der Stadt macht man die Heizung an und denkt nicht mehr drüber nach. Aber hier … fühlt sich das anders an. Ehrlicher.“

Lina nickte. „Man spürt, dass man etwas tut, das zählt. Ohne Holz kein Feuer, ohne Licht kein Abend.“

Sie zog währenddessen eine Kiste hervor, in der die Lichterketten aus dem letzten Jahr lagen. Natürlich hatten sie sich wieder hoffnungslos ineinander verheddert. Mit leiser Frustration begann sie, die Drähte auseinanderzuziehen.

Nach einer Weile trat Jonas näher. „Darf ich?“ fragte er.

„Du kannst es gern versuchen“, seufzte Lina und hielt ihm das Knäuel hin.

Er nahm es vorsichtig, als hielte er etwas Zerbrechliches. Minutenlang arbeitete er still, konzentriert, und tatsächlich löste sich Stück für Stück das Chaos. Als die erste Kette frei war, hob er sie triumphierend an. „Manchmal braucht es nur Geduld.“

Lina musste lachen, ein ehrliches, warmes Lachen, das ihr selbst überraschte. „Das sagst du so leicht.“

Gemeinsam hängten sie die Ketten unter das Vordach des Cafés. Bald baumelten kleine Lampen über den Eingang, noch dunkel, aber schon verheißungsvoll.

Ben kam schließlich mit einer weiteren Fuhre Holz zurück, die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Er musterte die Szene, sagte aber nichts. Nur ein kurzes Nicken in Jonas’ Richtung, dann stapelte er wortlos weiter.

Als sie die letzte Lichterkette befestigt hatten, trat Lina zurück und betrachtete ihr Werk. Der Eingang sah jetzt schon freundlicher aus, ein kleines Versprechen inmitten des Winters.

„Heute Abend testen wir sie“, sagte sie leise, fast mehr zu sich selbst.

Jonas nickte, und für einen Moment standen sie nebeneinander, die Hände kalt, die Gesichter gerötet von der frischen Luft – aber in beiden lag das Gefühl, dass dieser Winter nicht nur Frost und Dunkelheit bringen würde, sondern auch Licht, das man selbst entzünden konnte.

Alte Rezepte neu entdeckt

Der Schnee legte sich wie ein stiller Wächter um das Café. Drinnen war es dagegen warm, der Duft von Holzfeuer und ein Hauch von Schokolade hingen in der Luft. Lina stand in der kleinen Küche, die Hände tief im alten Rezeptbuch, das sie von ihrer Großmutter geerbt hatte. Die Seiten waren vergilbt, manche mit Kaffeeflecken übersät, und dazwischen lagen Zettel mit handschriftlichen Notizen.

„Schau mal, das hat schon Staub angesetzt“, murmelte sie und blätterte vorsichtig um. Worte in feiner, fast verschnörkelter Schrift blickten ihr entgegen: „Winterkuchen mit Birnen und Nelken“, „Gewürzmilch nach Art der Fischerfrauen“, „Honigbrot mit Wacholder“. Es waren Rezepte, die niemand mehr zu kennen schien.

Ben kam herein, stapfte die Stiefel an der Tür ab und schob seine Mütze aus der Stirn. „Du hast dir ja was vorgenommen.“

„Ich will den Winter schmeckbar machen“, sagte Lina entschlossen. „Nicht nur heiße Schokolade und Apfelkuchen. Etwas, das die Leute an früher erinnert.“

Ben setzte sich an den Küchentisch, streckte die Beine aus und betrachtete sie. „Das wird Arbeit.“

„Und genau das brauche ich“, entgegnete Lina, schon dabei, Mehl abzuwiegen. „Arbeit, die nicht nur die Hände beschäftigt, sondern das Herz.“

Während der Wind gegen die Fenster pfiff, füllte sich die Küche langsam mit einem betörenden Duft. Zimt, Anis und die schwere Süße von Honig vermischten sich mit dem Rauch des Feuers. Jonas, der aus der Kälte hereinkam, blieb im Türrahmen stehen. „Es riecht … nach Weihnachten“, sagte er leise, beinahe ehrfürchtig.

Lina lachte. „Es ist ein Rezept meiner Großmutter. Honigbrot mit Wacholder. Sie sagte immer, es würde die Menschen zusammenbringen.“

Jonas trat näher, sah neugierig in die Schüssel, wo Lina den dunklen Teig rührte. „Darf ich probieren?“

„Noch nicht.“ Sie grinste. „Das muss Zeit haben, sonst entfaltet es nicht seine Kraft.“

Der Nachmittag verging, während das Café nach und nach erfüllt wurde von kleinen Szenen, die wie selbstverständlich ineinandergriffen: Ben, der Holz nachlegte, Jonas, der half, die Backbleche vorzubereiten, Lina, die zwischen den Rezeptseiten kichernd alte Randnotizen las wie: „Vorsicht, nicht zu viel Nelke – sonst hustet Onkel Paul drei Tage.“

Als die ersten Gäste am frühen Abend kamen – zwei Fischer, eine alte Dame mit ihrem Enkel – wehte der Duft von frisch gebackenem Honigbrot durch den Gastraum. Lina schnitt vorsichtig die ersten Scheiben ab, das Brot noch warm, die Kruste glänzend.

Die alte Dame biss hinein, schloss die Augen und lächelte. „Das gab es früher bei meiner Mutter … ich hätte nicht gedacht, es je wieder zu schmecken.“

Ein leises Staunen breitete sich im Raum aus. Selbst Ben, der sonst zurückhaltend war, nickte anerkennend. „Du hast etwas geweckt, Lina“, sagte er leise.

Lina spürte, wie sich Wärme in ihr ausbreitete – nicht nur von den Flammen im Kamin, sondern von dem Gefühl, dass alte Dinge nicht verloren gehen mussten, wenn man ihnen ein Zuhause gab.

Später am Abend, als die Gäste lachten und das Brot schnell weniger wurde, strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn und dachte:

Vielleicht ist der Winter genau die richtige Zeit, um Vergessenes neu zu entdecken.

Eine helfende Hand

Am nächsten Morgen war das Café noch still, nur das Knacken des Holzes im Ofen durchbrach die Stille. Lina stand schon früh in der Küche. Ihre Hände waren rau vom vielen Arbeiten, die Augen leicht gerötet vom späten Abend zuvor. Sie wollte die Rezepte der Großmutter nicht nur nachbacken, sondern auch für den Winterabend im Dorf vorbereiten, der bald stattfinden sollte.

Als sie gerade den schweren Teig für das Wacholderbrot knetete, bemerkte sie nicht, dass jemand in der Tür stand. Erst als eine tiefe Stimme sagte: „Soll ich helfen?“, zuckte sie zusammen.

Es war Ben.

Er trat näher, ohne auf ihre überraschten Augen zu achten, krempelte die Ärmel hoch und stellte sich wortlos neben sie. Einen Moment lang wollte Lina protestieren – sie war es gewohnt, Dinge allein zu tragen –, doch der Blick auf seine rauen, geübten Hände ließ sie verstummen.

„Teig kneten kannst du?“, fragte sie schließlich skeptisch.

„Ich hab mehr geknetet, als du denkst“, antwortete Ben trocken, und für einen Augenblick huschte etwas über sein Gesicht, das nach Erinnerung aussah.

Gemeinsam arbeiteten sie Seite an Seite. Lina hörte, wie das gleichmäßige Pressen und Falten des Teigs sich fast wie ein Rhythmus anfühlte. Ein leiser Takt, der sie beide miteinander verband. Manchmal streiften sich ihre Hände, wenn sie gleichzeitig nach der Schüssel griffen, und jedes Mal huschte ein kleines, unausgesprochenes Lächeln über ihre Gesichter.

„Du musst nicht alles allein schaffen, Lina“, sagte Ben plötzlich, ohne sie anzusehen. „Manchmal … ist es leichter, wenn jemand mit anpackt.“

Seine Worte trafen sie unerwartet tief. Sie war es so sehr gewohnt, sich durchzubeißen, dass sie oft vergaß, dass Hilfe keine Schwäche war. Sie nickte nur, während sie Mehl über die Arbeitsfläche streute. „Danke.“

Kurz darauf tauchte auch Jonas auf, zog die Mütze vom Kopf und grinste breit. „Ich wusste es! Ihr zwei könnt nicht ohne mich.“ Ohne zu fragen, begann er, Teller aus den Schränken zu holen und die Tische zu decken.

Innerhalb einer Stunde war die Küche voller Leben: Lina, die Anweisungen gab, Ben, der wortlos und doch beständig half, Jonas, der mit seiner lockeren Art zwischendurch Witze einwarf. Was anfangs wie eine Last auf Linas Schultern gelegen hatte, verwandelte sich in ein Gefühl von Leichtigkeit.

Als der Duft der Brote aus dem Ofen stieg, hielt sie einen Moment inne. Sie sah auf ihre Hände, bedeckt von Mehl, und auf die beiden Männer, die sich in das Chaos eingefügt hatten, als wäre es das Natürlichste der Welt.

„Vielleicht“, dachte sie, „ist eine helfende Hand manchmal genau das, was einem zeigt, dass man nicht verloren ist.“

Später, als die ersten Gäste kamen, war das Café erfüllt von Wärme, nicht nur vom Kamin, sondern von einer stillen, fast unsichtbaren Gemeinsamkeit, die in der Küche geboren worden war.

Kleine Pannen mit großer Wirkung

Es war einer dieser Vormittage, an denen alles gleichzeitig zu geschehen schien. Das Café füllte sich schneller, als Lina erwartet hatte. Draußen fegte ein kalter Wind durch die Gassen von Sandhagen, und die Leute suchten Wärme, Geborgenheit – und Linas frisches Gebäck.

Sie hatte den Brotkorb gerade aus der Küche geholt, als Jonas mit einem Arm voller Tassen hereinstürmte. „Die Leute wollen mehr Kakao!“, rief er, während er mit dem Ellbogen die Tür aufstieß. In diesem Moment stolperte er über die Teppichkante, die schon seit Tagen einen kleinen Buckel hatte.

Das Scheppern der Tassen hallte durch den Raum, begleitet von einem schmerzhaften Stöhnen. Zum Glück waren die meisten leer – und doch kullerte eine quer über den Boden, bis sie vor Bens Stiefeln liegen blieb. Er hob sie wortlos auf, musterte Jonas mit erhobener Augenbraue und murmelte trocken: „Du bist wirklich ein Naturtalent.“

Ein leises Lachen ging durch die Reihen der Gäste. Die Stimmung kippte nicht etwa ins Genervte, sondern ins Amüsierte. Selbst die ältere Frau am Fenster, die sonst kaum ein Lächeln zeigte, schmunzelte in ihr Strickzeug hinein.

Lina war jedoch mitten im Stress, und als sie zurück in die Küche wollte, passierte es ihr selbst: Der Brotkorb, den sie zu voll beladen hatte, kippte nach vorn. Drei der goldbraunen Laibe rutschten heraus und landeten direkt auf dem Boden. Einer rollte sogar wie ein kleiner, sturer Ball quer durch den Raum.

„Ach, wie schade!“, rief eine junge Mutter lachend, deren Tochter sofort hinterherlief, das Brot wie einen Schatz aufhob und stolz zu Lina brachte. „Hier, das darf doch nicht verloren gehen!“

Die Gäste applaudierten, und Lina spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Sie hätte am liebsten im Boden versinken mögen – und gleichzeitig musste sie sich ein Grinsen verkneifen.

Ben stellte den Korb auf den nächstbesten Tisch, griff dann nach dem noch warmen Brotlaib und schnitt ein paar dicke Scheiben ab. „Dann machen wir eben gleich eine Verkostung“, sagte er schlicht. Er legte Butter und Salz daneben, und ehe Lina protestieren konnte, griffen die ersten Gäste zu.

Die Stimmung wurde lebendig, beinahe ausgelassen. Aus der Panne war ein Moment entstanden, der alle verband – ein gemeinsames Lachen, das das Café wärmer machte als jede Heizung.

Später, als sich der Trubel gelegt hatte und Jonas die Scherben zusammenfegte, sagte er grinsend: „Siehst du, Lina, ohne meine artistische Einlage hätten die Leute heute nur Kaffee getrunken und Kuchen gegessen. Jetzt haben sie eine Erinnerung mehr.“

Lina schüttelte lachend den Kopf. „Wenn du das nächste Mal wieder stolperst, dann hoffentlich über etwas weniger Zerbrechliches.“

Doch in ihrem Inneren war sie dankbar. Es waren oft diese kleinen Unfälle, die unvermutet das Beste hervorbrachten – Nähe, Leichtigkeit, und manchmal sogar ein Gefühl von Gemeinschaft, das tiefer ging als Worte.

Lachen trotz Kälte

Der Winter hatte Sandhagen fest im Griff. Über Nacht war eine neue Schicht Schnee gefallen, die Dächer trugen weiße Mützen, und die Bäume sahen aus, als hätten sie sich für ein Fest herausgeputzt. Der Atem stand in kleinen Wolken vor den Gesichtern, und jedes Geräusch wirkte gedämpft, so als hielte die Welt für einen Moment den Atem an.

Vor dem Café hatten die Kinder längst das Kommando übernommen. Während ihre Eltern drinnen bei Kaffee und Kuchen zusammensaßen, stürmten sie nach draußen, zogen Schlitten hinter sich her oder warfen Schneebälle mit fröhlichem Gekreische.

Lina trat an die Tür, ein Tablett mit dampfenden Tassen in den Händen. „Hier, für die mutigen Abenteurer!“, rief sie und stellte den Kakao auf den kleinen Holztisch am Eingang. Kaum hatte sie sich umgedreht, griff schon eine Kinderhand nach einer Tasse – und der erste Kakao-Milchschnurrbart zauberte allgemeines Gelächter hervor.

„Du siehst aus wie der Weihnachtsmann!“, rief eines der Mädchen, und schon begann eine Diskussion, wer von ihnen die schönste „Kakaobart-Version“ präsentieren konnte. Die Eltern, die durch die Scheiben zusahen, lachten mit, während sie das bunte Treiben wie ein Theaterstück verfolgten.

Ben stand etwas abseits, die Hände tief in den Taschen seiner dicken Jacke vergraben. Er beobachtete schweigend, doch als ein besonders beherzter Schneeball knapp an seiner Schulter vorbeiflog, konnte er nicht anders: Er bückte sich, formte selbst eine Kugel und warf sie zurück – gezielt, aber mit einem kleinen, fast verschmitzten Lächeln.

Das war der Auftakt zu einer regelrechten Schlacht. Kreischend rannten die Kinder auseinander, nur um gleich wieder zu neuen Angriffen anzusetzen. Lina blieb in der Tür stehen, lachte so sehr, dass sie sich kaum halten konnte. Denn zum ersten Mal seit Langem sah sie Ben nicht nur ernst oder zurückgezogen – sondern lebendig, fast verspielt, wie ein Teil dieser fröhlichen Unordnung.

Die Kälte schien niemanden zu stören. Die roten Wangen, das Glitzern in den Augen, die ausgelassene Energie – alles war größer, stärker als der frostige Wind. Lachen rollte wie Wellen durch die Gasse, mischte sich mit dem Knirschen der Stiefel im Schnee und dem dumpfen Plumpsen, wenn jemand rücklings in eine Schneeverwehung fiel.

Eine ältere Dame, die gerade aus dem Café kam, schüttelte lachend den Kopf, als ein kleiner Schneeball ihr knapp entging. „Na, na, ihr Racker!“, rief sie, aber in ihren Augen lag ein Leuchten, das Lina sofort auffiel. Es war, als würde selbst in den Erwachsenen ein vergessenes Stück Kindheit erwachen.

Später, als die Dämmerung einsetzte und die Laternen ihr warmes Licht auf die Straße warfen, rief Lina die Kinder zusammen. „Letzte Runde, dann ab nach Hause, sonst werdet ihr zu Schneemännern!“ Doch der Protest war laut, die Rufe voller Energie. Erst als sie mit einer neuen Runde Kekse lockte, gaben sie nach.

Drinnen im Café setzten sie sich in ihre warmen Jacken, die Gesichter strahlend, die Haare voller Schneeflocken, die langsam tauten und kleine Pfützen auf dem Boden hinterließen. Jonas reichte ihnen Servietten und tat so, als wäre das alles ein geplanter Spaß. „Das gehört zum Service“, meinte er trocken und brachte alle erneut zum Lachen.

Lina blieb einen Moment stehen und betrachtete die Szene. Sie fühlte, wie etwas in ihr leichter wurde – trotz der Kälte draußen, trotz all der Sorgen, die in ihr manchmal schwer wie nasser Schnee lagen. Dieses Lachen war ansteckend, ein Echo von etwas, das sie selbst lange vermisst hatte: die Gewissheit, dass Freude selbst in den kleinsten Momenten zu finden war.

Ben trat zu ihr, noch immer etwas atemlos von seinem kurzen Ausflug in den Schnee. „Das war … chaotisch“, sagte er, seine Stimme rau, aber nicht abweisend.

„Chaotisch, ja“, antwortete Lina, „aber genau das hat uns allen gutgetan.“

Er nickte langsam, und für den Bruchteil einer Sekunde meinte sie, so etwas wie Dankbarkeit in seinem Blick zu sehen – nicht nur für den Moment, sondern vielleicht auch für die Tatsache, dass sie ihn darin hineingezogen hatte.

Das Lachen des Tages hallte noch lange nach, selbst als die Kinder längst verschwunden waren und nur noch das Knistern des Kamins im Hintergrund zu hören war.

Geschichten im Schnee - Ein Kind erzählt

Der nächste Tag brachte nicht nur frostklare Luft, sondern auch einen besonderen Gast. Lina bemerkte ihn zuerst, als sie die Tür zum Café öffnete und den Schnee vor der Schwelle wegfegte: ein kleiner Junge mit einer dicken, gestrickten Mütze, die so tief ins Gesicht gezogen war, dass man fast nur seine Augen sehen konnte. Er war mit seiner Großmutter gekommen, die schwer an einem Korb voller Äpfel trug.

„Komm schon, Jonas“, sagte sie freundlich, „wir setzen uns drinnen auf.“

Der Junge nickte, doch bevor er das Café betrat, blieb er stehen, schaute auf den Schnee unter seinen Stiefeln und schien etwas zu überlegen. Erst als Lina ihn anlächelte, lief er hinein, als wäre er nun sicher.

Später, während die Großmutter leise mit Ben sprach, saß Jonas mit einem Stück Apfelkuchen am Tisch und schaute hinaus ins Weiß. Lina bemerkte, dass er dabei unablässig mit den Fingern über die Tischkante malte – Muster, die nur er verstand.

„Magst du den Winter?“, fragte sie vorsichtig, als sie die Teller abräumte.

Der Junge sah sie an, als überlegte er, ob sie wirklich bereit war, die Antwort zu hören. Dann nickte er und begann zu erzählen. Seine Stimme war leise, aber voller Bilder:

„Weißt du, im Schnee wohnen Geschichten. Man muss nur zuhören. Wenn man ganz still ist, hört man, wie die Bäume reden, und die Flocken erzählen, woher sie kommen. Manche sagen, sie sind Sterne, die runtergefallen sind, und wenn man sie auffängt, kann man sich was wünschen.“

Lina hielt unwillkürlich den Atem an. Dieses Kind sprach mit einer Ernsthaftigkeit, die weit älter klang als seine Jahre.

„Und was hast du dir schon gewünscht?“, fragte sie schließlich.

Jonas blickte wieder hinaus. „Dass Opa wiederkommt. Er hat mir immer Geschichten erzählt. Jetzt erzählt sie mir der Schnee.“

---ENDE DER LESEPROBE---