Wo dein Herz zuhause ist - Jana Lukas - E-Book
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Wo dein Herz zuhause ist E-Book

Jana Lukas

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Beschreibung

Zuhause ist, wo dein Herz höherschlägt

Felicia Sommerfeldt liebt ihr Zuhause – das alte Schulhaus am Starnberger See, mit dem sie die schönsten Momente ihres Lebens verbindet. Doch der Tod ihrer Großtante Leona zerstört den gemeinsamen Traum von einer Kochschule und Eventküche. Um wenigstens die alte Schule behalten zu können, die voller Erinnerungen steckt, entscheidet sich Felicia, Wohnungen im Haus zu vermieten. Ihre ersten Mieter sind Landschaftsarchitekt Ben Lindner und sein Hund Poldi, die das durchstrukturierte Leben in der alten Schule ordentlich durcheinanderwirbeln. Ben holt Felicia aus ihrer Erstarrung. Er tanzt mit ihr im Regen und küsst sie im Sonnenuntergang. Und während er den Garten der alten Schule unter seinem grünen Daumen zu neuem Leben erwachen lässt, beginnt auch Felicias Herz wieder zu erblühen.

Der erste Band der Alte-Schule-Saga

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Seitenzahl: 542

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Das Buch

Ben hatte sich verliebt. Auf den ersten Blick. Er hatte nur mal an dem Haus vorbeifahren und gucken wollen. Überrascht hatte er festgestellt, dass es sich bei der alten Schule um eine dieser alten Stadtvillen handelte. Was ihn wie magisch anzog, war der Garten hinter dem Haus, der von der Straße aus fast wie ein kleiner Park wirkte. Ein ziemlich verwilderter Park. Aber von der Art, die selbst von hier draußen sein Herz schneller schlagen ließ.

Das Tor war verschlossen, und auf sein Klingeln reagierte niemand. Schade. Es wäre zu schön gewesen, wenn er schon mit der Vermieterin über die Wohnung hätte sprechen können. »Poldi, komm«, rief er – und merkte erst auf halbem Weg zu seinem Pick-up, dass sein Hund genau das nicht tat. »Poldi?«, rief er.

Langsam ging er an der Buchenhecke entlang, die das Grundstück begrenzte, bis er die Holztür fand, die einen Spalt offen stand. Hier war sein Hund also eingebrochen. Mit einem rostigen Quietschen gab das Türchen den Blick frei in das grüne Reich, das sich dahinter verbarg. »Poldi!«, rief er noch einmal. Die Antwort war ein glückliches Bellen.

Ben folgte ihm, aber als er um die Hausecke bog, hatte Poldi die Frau im Hosenanzug bereits begrüßt. Auf seine Weise. »Mist«, murmelte Ben und verzog das Gesicht. Falls diese Frau hier was zu sagen hatte – und so sah sie aus –, hatte sein Hund ihre Chancen, hier einziehen zu dürfen, nicht gerade verbessert.

Die Autorin

Was tun, wenn man zwei Traumberufe hat? Jana Lukas entschied sich nach dem Abitur, zunächst den bodenständigeren ihrer beiden Träume zu verwirklichen und Polizistin zu werden. Nach über zehn Jahren bei der Kriminalpolizei wagte sie sich an ihren ersten romantischen Thriller und erzählt seitdem von großen Gefühlen und temperamentvollen Charakteren. Denn ihr Motto lautet: Es gibt nicht viele Garantien im Leben – aber zumindest in ihren Romanen ist ein Happy End garantiert. Immer!

JANA LUKAS

WO DEIN HERZ ZUHAUSE IST

ROMAN

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Originalausgabe 06/2022

Copyright © 2022 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Diana Mantel

Umschlaggestaltung: zero-media unter Verwendung von Trevillion Images / Drunaa; FinePic®, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-28656-9V003

www.heyne.de

Prolog

Starnberger Merkur – Samstagsausgabe – Immobilienteil

Wohnung zu vermieten – ein bisschen in die Jahre gekommen (also die Wohnung, nicht die Vermieterin).

Großzügiges Seegrundstück zur Mitbenutzung, Wasser gibt es also genug. Zumindest im See, im Bad lässt sich das nicht versprechen. Dafür ist die Miete erschwinglich, und die moderne Profiküche ein echter Traum für Kochbegeisterte.

Erwünscht sind unterhaltsame Mieter mit interessanten Hobbys sowie lockerer Einstellung zu Partys.

Haben Sie genug Vorstellungskraft und positive Energie, um das Potenzial dieser Traumimmobilie zu erkennen? Dann können Sie noch heute einziehen. Na ja, morgen reicht auch.

Klingt gut? Bewerbungen bitte ausschließlich per E-Mail an [email protected]

1

Nichts ließ sich mit diesem Anblick vergleichen. Der See glitzerte im frühen Morgenlicht vor den schneebedeckten Bergketten, über denen gerade erst die Sonne aufging.

Felicia Sommerfeldt nippte an ihrem Kaffee und betrachtete das Panorama, dem keine Postkarte gerecht werden konnte. Das Gebäude des Starnberger Bahnhofes in ihrem Rücken war nicht gerade eines der schönsten, die die Stadt zu bieten hatte. Über die Jahre war es ziemlich heruntergekommen, und die Metallbänke am Bahnsteig gehörten zur typisch unbequemen Variante der Deutschen Bahn. Aber dieser Blick entschädigte dafür, genau wie für das frühe Aufstehen.

Jeden Morgen, wenn Felicia am Gleis auf ihre S-Bahn nach München wartete, ließ sie sich vom See überraschen. Heute war er glatt und glitzernd. Die Berge, dank des Föhns, zum Greifen nahe. Manchmal tanzten Nebelschleier über das Wasser, und bei schlechter Witterung schlugen die stahlgrauen, aufgewühlten Wellen gegen die Uferpromenade, während die Wolken so tief hingen, dass man das Gefühl hatte, dagegenboxen zu können.

Felicia blickte einem Segelboot nach, das im frühen Morgenlicht lautlos über den tiefblauen See glitt, und trank noch einen Schluck Kaffee aus ihrem Thermobecher. Dann schloss sie die Augen und hielt ihr Gesicht in die Sonne. In ihrem Büro in München würde sie bis zum Nachmittag kein Tageslicht mehr zu sehen bekommen. Also versuchte sie, jetzt noch so viel wie möglich davon zu speichern.

Das Handy in ihrer Handtasche signalisierte eine eingehende Nachricht. Es hatte vorhin schon einmal geklingelt, was sie ignoriert hatte. Also zog sie es jetzt aus ihrer Tasche und warf einen Blick auf das Display. Eine WhatsApp von Mimi, der Empfangsdame der Steuerkanzlei, in der Felicia als Buchhalterin arbeitete. Ich habe die Annonce verfasst, wie besprochen. Hab sie dir gemailt. Bis gleich im Büro.

Felicia unterdrückte ein Seufzen. Die Annonce lag ihr schwer im Magen. Sie wollte die Wohnungen in ihrem Haus gar nicht vermieten. Genau genommen wollte sie einfach nur ihre Ruhe haben und alleine sein, bis der Schmerz über den Tod ihrer Großtante Leona abebbte. Aber die zweite Nachricht, die sie erhalten hatte, erinnerte sie noch einmal daran, dass sie keine Wahl hatte. Hast du mein Geld?, schrieb ihr Cousin Frederik.

Felicia atmete tief durch und trank noch einen Schluck Kaffee, ehe sie antwortete. Ich melde mich zum festgesetzten Termin bei dir. Und keinen Moment früher, fügte sie in Gedanken an die Gier ihres Cousins hinzu.

Noch hatte sie einen Monat Zeit, bis sie Frederik seinen Erbteil am alten Schulhaus auszahlen musste. Sie kam nicht umhin, die drei leer stehenden Wohnungen in ihrem Haus zu vermieten. Es waren nicht gerade Luxusunterkünfte, was sie zwang, deutlich unter dem Starnberger Mietspiegel zu bleiben. Aber mit diesem Geld, ihrem Nebenjob als Kochlehrerin – der mit etwas Glück bald wieder anlief – und dem, was sie als Buchhalterin verdiente, gewährte ihr die Bank hoffentlich den Kredit, den sie brauchte, um ihrem Cousin sein Erbe auszuzahlen. Nur so würde sie ihr Zuhause – und die schönsten Erinnerungen ihres Lebens – nicht auch noch verlieren.

Felicia warf noch einen Blick auf den See hinaus und öffnete die Mail mit der Annonce, die Mimi ihr geschickt hatte. Gleichzeitig einen Schluck Kaffee zu trinken war allerdings ein Fehler gewesen. Was sie las, erschreckte sie so sehr, dass sie sich verschluckte und im selben Moment einen Teil des Kaffees über den Blazer und die weiße Bluse ihres Hosenanzugs verschüttete. »Mist«, fluchte sie leise, als auch noch die einfahrende S-Bahn angekündigt wurde. Hustend wühlte sie in ihrer Handtasche nach den feuchten Tüchern, die sie immer dabeihatte, und versuchte, die Flecken auf ihrem Oberteil auszureiben. Mit wenig Erfolg.

Wenigstens war heute Freitag, und Felicia hatte keine Termine. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen, die dem Hustenanfall geschuldet waren, raffte ihre Sachen zusammen und suchte sich einen Platz in der um diese Tageszeit noch recht leeren Bahn. Da das Herumwischen an ihren Klamotten nicht viel brachte, griff sie wieder nach ihrem Handy. Ein bisschen in die Jahre gekommen, las sie noch einmal. Wasser gibt es genug. Zumindest im See, im Bad lässt sich das nicht versprechen? Was hatte Mimi sich dabei gedacht, die sanitären Anlagen so zu charakterisieren? Sie hatte ja recht. Die Bäder waren nicht gerade der letzte Schrei – es gab weder genügend Platz noch Regenschauer-Duschen. Aber trotzdem gab es keinen Grund, den Zustand der Apartments so ins Lächerliche zu ziehen. Und was, um Himmels willen, wollte Mimi damit andeuten, dass die Mieter die Profiküche mitbenutzen durften, die zur Kochschule gehörte? Das war unmöglich. War Mimi von allen guten Geistern verlassen, so einen Text zu verfassen? Sie hatte felsenfest behauptet, sich mit diesem Thema auszukennen. Felsenfest! Und dann schrieb sie so etwas! Felicia würde auf keinen Fall an Leute mit schrägen Freizeitbeschäftigungen vermieten. Schon gar nicht an jemanden, der einen Hang zum Partymachen hatte.

Felicia wechselte auf ihrem Handy zu WhatsApp. Danke für deine Mühe, Mimi, schrieb sie – weil sie gelernt hatte, jede Kritik mit etwas Positivem zu beginnen. Ich fürchte, den einen oder anderen Teil der Annonce müssen wir noch einmal neu formulieren (um nicht zu sagen: alles, fügte sie in Gedanken hinzu). Das können wir so auf keinen Fall stehen lassen.

Kaum hatte Felicia die Nachricht abgeschickt, kam die rasante Antwort ihrer Kollegin, die lediglich aus einem Upsi! und dem Emoji, das unschuldig die Arme hob, bestand.

Was Upsi?, schrieb Felicia zurück, als danach nichts weiter kam.

Plötzlich ließ sich Mimi Zeit und schickte ihre Antwort erst, als die S-Bahn bereits Gauting passiert hatte. Ich habe dir nur eine Kopie geschickt. Die Annonce ging schon raus an den Starnberger Merkur.

Du hast das abgeschickt??? Felicia konnte mit Emojis nicht wirklich etwas anfangen. Aber drei Fragezeichen erfüllten ihren Zweck auf jeden Fall und zeigten deutlich, wie schockiert sie war.

Ich finde sie ziemlich gut, verteidigte sich Mimi und schickte den Smiley hinterher, der die Augen verdrehte. Gefolgt von einem und ich habe schließlich Ahnung. Es folgten ein Emoji mit Sonnenbrille und das GIF einer verrückt aussehenden Frau, die auf die Tastatur eines Computers einhackte. Du wolltest doch junge, hippe Mieter. Und die bekommt man nur mit jungen, hippen Anzeigen. Logisch, oder?

Felicia seufzte. Sie ließ das Handy sinken und schloss für einen Moment die Augen. Wenigstens mussten sich die Mietinteressenten per Mail melden. Auf diese Weise konnte sie hoffentlich die Verrücktesten aussortieren, bevor sie zu einem Besichtigungstermin einlud.

*

Ben Lindners Fuß wippte im Takt zu Learn to fly von den Foo Fighters, während er Sonnenblumen aussäte. Auf Wunsch der Leiterin des Zwergenlandes hatte er seine Playlist leiser stellen müssen, als er es sonst bei der Arbeit tat, um die Kinder nicht zu stören – wobei sie vermutlich »verstören« meinte, weil sich kein kinderfreundlicher Nicht-Rock-Song in seiner Auswahl befand.

»Was für Samen sind das?«, wollte Annabelle wissen. Eine niedliche kleine Klugscheißerin, die immer zur Stelle war, wenn er sich um die Beete, Hecken und Bäume ihres Kindergartens kümmerte. Ben hatte früher mit ihrem Onkel Eric gekickt, bevor der für sein Geologie-Studium weggezogen und seitdem auf der ganzen Welt unterwegs war.

»Das wird eine Überraschung«, antwortete Ben mit geheimnisvoller Stimme. »Im Sommer wirst du sehen, was daraus entsteht.« Er gehörte nicht zu den Erwachsenen, die der Meinung waren, dass Kinder von den meisten Dingen sowieso keine Ahnung hatten und man sich nicht die Mühe machen musste, ihnen etwas zu erklären, wofür sie noch viel zu jung waren. Genau so hatte er seine Liebe zur Landschaftsgestaltung entdeckt: Indem er bei jeder passenden Gelegenheit in der Gärtnerei und Baumschule seines Onkels herumgehangen hatte. Dem magischen Ort seiner Kindheit. Wenn Annabelle von und zu Rabenstein wissen wollte, wie ein Garten funktionierte, erklärte er es ihr. »Bis dahin kannst du dich über die Pflanzen freuen, die schon blühen. Weißt du noch, wie die heißen?«

»Das ist eine Narzisse. Und das da Vergissmeinnicht.« Sie kam näher und kniete sich neben ihm in das Beet.

Ben zuckte kurz zusammen bei dem Gedanken an gute, dunkle, nährstoffhaltige Pflanzerde in Verbindung mit weißen Strumpfhosen und einem rosa Kleidchen. »Super erkannt. Weißt du auch noch, wie der Baum heißt, der in der Mitte des Beetes wächst?«

»Klar. Das ist eine Korkenzieherweide«, erklärte sie stolz. »Wo ist Poldi?«, wollte sie wissen, als er den nächsten Sonnenblumen-Samen in die Erde drückte.

»Der pennt. Hatte ’ne anstrengende Party letzte Nacht«, sagte Ben und brachte die Kleine damit zum Kichern. Tiere waren hier, abgesehen von den beiden Kindergarten-Hasen Fluff und Hoppel, nicht erlaubt. Außerdem buddelten sein Hund und er einfach zu gerne in der Erde. Ben, weil es sein Job war. Und Poldi – einfach, weil er Poldi war. Deshalb hatte er seinen Hund draußen lassen müssen. Da Leopold – wie sein Schäferhundmischling mit vollem Namen hieß – um diese Tageszeit aber gerne ein Nickerchen hielt, hatte er ihm eine Decke auf die Ladefläche seines Pick-ups gelegt, wo er zwischen den Pflanzen, die er in der Gärtnerei seines Onkels abgeholt hatte, schlief. »Steck den mal da drüben rein.« Ben drückte Annabelle einen Sonnenblumenkern in die Hand und wies mit dem Kinn auf die Stelle hinter zwei Stiefmütterchen. »Dann kannst du im Sommer jedem erzählen, dass das deine Pflanze ist.«

Annabelle betrachtete das Samenkorn. »Wenn du mir gleich sagst, was das ist, könnte ich es jetzt schon erzählen.«

»Das ist …« Ben stoppte und sah sie mit gespielt aufgerissenen Augen an. »Fast hätte ich es verraten!«

Annabelles Kichern wurde zu einem fröhlichen Lachen. Behutsam steckte sie den Samen in die Erde.

Ben ließ den Blick schweifen. Das Zwergenland brachte zwar nicht gerade viel Kohle ein, aber es hatte Spaß gemacht, den großen Garten so zu gestalten, dass die Kinder das ganze Jahr über etwas davon hatten. Hier konnten sie den Lauf der Jahreszeiten sehen. Schatten spendende Bäume im Sommer. Im Herbst konnten sie Kastanien sammeln und den Duft des Kuchenbaums bestaunen. Die hässlichen Maschendrahtzäune würden bald hinter den Ranken und den bunten Blüten der Kapuzinerkresse verschwinden. Besonders stolz war Ben auf den Wald aus Bambushölzern und Elefantengras, den er hinter dem Klettergerüst angelegt hatte und in dem die Kids Verstecken spielen konnten. Die Kindergartenleitung dazu zu überreden war ein hartes Stück Arbeit gewesen. Aber es hatte sich gelohnt. Die Kinder waren verrückt danach – und Ben sich sicher, dass sie den coolsten Garten aller Kitas in Starnberg hatten.

»O nein! Annabelle! Herr Lindner!«, ertönte auf einmal die leicht hysterische Stimme von Frau Bergmann hinter ihnen.

»Jetzt sind wir am Arsch«, flüsterte Annabelle und grinste Ben verschwörerisch von der Seite an.

Er war sich sicher, dass das ein Satz war, den es in ihrem Repertoire nicht geben sollte. Und dass sie nur auf einen besonderen Moment gewartet hatte, ihn anbringen zu können. Ben grinste zurück. »So was von!«, erwiderte er.

»Wie siehst du nur aus, Kind!« Mit in die Hüften gestützten Händen blieb die Erzieherin vor ihnen stehen und betrachtete die Erd- und Grasflecken auf der Kleidung des Mädchens. »Wie soll ich das nur deinen Eltern erklären?«

»Sagen Sie einfach, dass Annabelle sich für die Natur interessiert. Das ist Ihnen doch sicher lieber, als wenn sie in ihrem Alter zu Fridays-for-Future-Demos geht, oder?« Ben erhob sich ebenfalls, was dafür sorgte, dass Frau Bergmann zu ihm auf- statt auf Annabelle hinabsah.

»Ich bitte Sie! Das Mädchen ist fünf …«, begann sie, bis sie begriff, dass Ben sie auf den Arm nahm. »Na ja, lauf jetzt und wasch wenigstens deine Hände«, wies sie das Mädchen an.

»Servus, Ben«, rief Annabelle und rannte davon.

»Herr Lindner«, forderte die Kindergärtnerin seine Aufmerksamkeit, bevor er dem Mädchen ebenfalls einen Gruß hinterherrufen konnte. »Wir hatten Sie doch gebeten, die Kinder nicht in Ihren Beeten herumgraben zu lassen.«

»Ich werde kein Kind daran hindern, etwas zu lernen, wenn es neugierig ist. Das ist doch schließlich der Sinn eines Kindergartens. Wenn Sie ein Problem damit haben, suchen Sie sich einfach jemand anderen, der sich um die Beete kümmert.« Ben konnte es nicht verhindern, dass sich sein Herzschlag auf unangenehme Weise beschleunigte. Schließlich brauchte er diesen Job. Dringend. Zumindest im Moment noch. Aber der Kindergarten würde mit seinem schmalen Budget niemanden finden, der das Ganze zum gleichen Sklavenlohn übernehmen würde wie er.

Frau Bergmann ließ sich zu einem »Mmpf« hinreißen, weil sie sich dessen offenbar ebenfalls bewusst war.

Im nächsten Moment rettete ihn sein Handy vor einer weiteren Diskussion. »Tut mir leid, Frau Bergmann. Da muss ich rangehen.« Er biss in die Spitze seines Arbeitshandschuhs und zog ihn sich von der Hand. Dann schob er ihn in die Gesäßtasche seiner Jeans und nahm das Gespräch an, ohne einen Blick auf das Display zu werfen. »Lindner.«

»Ben! Hi! Hier ist Paul.«

»Hey. Wie läuft’s?« Ben sah aus den Augenwinkeln, wie Frau Bergmann zum Kindergarten zurückstakste. Gut, die war er los. Er begann, seine Gerätschaften zusammenzuräumen. Wenn er hier fertig war, würde er bei seinem Onkel Jo in der Gärtnerei vorbeischauen, seinem momentanen Stützpunkt. Vielleicht konnte er ihn oder seinen Cousin Sam sogar zu einem Feierabendbier überreden.

»Bist du noch auf der Suche nach einer bezahlbaren neuen Bleibe?«, wollte Paul wissen.

Ben richtete sich, seinen Spaten in der Hand, auf. »Hast du was für mich?« Er hatte so gut wie jedem erzählt, dass er auf der Suche nach einer Wohnung war.

»Du hast doch eine Prämie für einen Tipp ausgesetzt. Wie viel machst du locker?«

Ben verdrehte die Augen. Paul würde sich nie ändern. Wenn er nicht so gut gekickt hätte, hätten sie ihn schon als Fünfzehnjährigen aus der Mannschaft geschmissen, weil er aus allem ein Geschäft machte – zu seinen Gunsten.

»Ich meine, du bist ein Kumpel und so«, fuhr Paul fort. »Aber ich bin im Moment wirklich ein bisschen knapp und könnte eine Finanzspritze gut gebrauchen.«

Wer konnte das nicht? »Hör zu, wenn der Tipp was taugt, bekommst du einen Fuffi«, schlug Ben vor. Über den Tisch ziehen lassen würde er sich von Paul jedenfalls nicht.

»Klingt fair«, sagte sein alter Kumpel. »Die Annonce kam heute rein. Bisschen schräg das Ganze, wenn du mich fragst. Aber es geht um eine Wohnung in einer alten Schule. Großes Grundstück und so. Das ist doch das, wonach du suchst.«

»Hmm.« Ben begann mit seiner freien Hand, seine Werkzeuge zu reinigen.

»Ich schick dir die Anzeige und die Adresse. Dann kannst du dir das Haus schon mal von außen ansehen. Aber die Vermieterin möchte, dass man per Mail um einen Besichtigungstermin bittet.«

»Alles klar. Danke, Paul.« Ben beendete den Anruf und schob das Handy zurück in seine Hosentasche. Dann atmete er tief durch. Wenn diese Wohnung etwas taugte, war er ein wirklich großes Problem los.

2

Felicia rieb über ihre Schläfen, hinter denen heftige Kopfschmerzen tobten. Sie hatte den Tag über zwar keine Kundentermine gehabt, aber trotzdem kaum Luft holen können. In ihrer Pause hatte sie Mimi beschworen, den Druck der Annonce in der Samstagsausgabe der Zeitung zu verhindern, bevor sie mit einem Zupfkuchen-Joghurt an ihren Schreibtisch zurückgekehrt war. Die Rezeptionistin hatte später behauptet, dass sie die Anzeige nicht mehr zurücknehmen konnte. Felicia hatte ihr das allerdings nicht geglaubt. Und nein, es lag nicht nur daran, dass sie ein Kontrollfreak war, dass sie dann selbst versucht hatte, die Annonce zurückzuziehen. Aber beim Starnberger Merkur hatte auch sie niemanden erreicht.

Ihr blieb nur eine Möglichkeit: Die Mieter bereits per E-Mail auszusieben, um überhaupt nicht erst in die Verlegenheit zu kommen, einen Verrückten zur Besichtigung einzuladen. Auf der Heimfahrt von München nach Starnberg erstellte sie mit dem Laptop auf dem Schoß eine Excel-Liste mit Fragen für die potenziellen Mieter. Nur wer diese zufriedenstellend beantworten würde, bekam überhaupt eine Chance.

Dass sie die finanzielle Situation abfragte, war völlig klar. Ganz im Gegenteil zu den Dingen, die in der Annonce standen, würde sie nur jemanden nehmen, der geräuscharmen, harmlosen Hobbys nachging. Kein Schlagzeugspieler. Kein Mitglied des Fanfarenzuges. Keine Partys in der alten Schule. Natürlich mussten ihre künftigen Mieter sich auch gut mit Felicias Katze Elfriede verstehen. Und bestenfalls keine Allergiker sein, da sich Elfriede frei im Haus bewegte. Felicia blickte für einen Moment aus dem Fenster, nahm ihre Umgebung aber nicht wirklich wahr. Dann fügte sie ihrer Liste eine ganze Anzahl weiterer Punkte hinzu. Als die S-Bahn in Starnberg hielt, hatte sie das Gefühl, für die Miet-Interessenten gewappnet zu sein. Zuhause würde sie sich als Erstes kurz hinlegen und hoffen, dass ihre Kopfschmerzen verschwanden. Dann musste sie die Abrechnung fertig machen, die ihr Chef heute Abend noch brauchte. Und morgen, wenn der Starnberger Merkur erschien, würde sie einen Blick in den E-Mail-Account werfen, den Mimi für ihre Anzeige eingerichtet hatte. Vielleicht konnte sie bereits am Wochenende die ersten Besichtigungstermine vereinbaren.

Felicia schloss ihr Fahrrad los und radelte nach Hause, was genau sechseinhalb Minuten dauerte. Sie lehnte das Rad gerade gegen das Rosenspalier, das mehr oder weniger fest an der Hauswand hing und eine eher mickrige Rose stützte, als sie ein Geräusch hinter sich hörte.

Erschrocken fuhr sie herum, nur um im gleichen Moment von einem triefenden, braunen Monster angesprungen zu werden, das nach nassem Hund stank. Was um Himmels willen …? Das Tier platzierte seine riesigen, dreckigen Pfoten auf ihrer sowieso schon ruinierten Bluse. Felicia schrie entsetzt auf. Genau in dem Moment, in dem ihr das Vieh auch noch einmal quer über das Gesicht leckte. »Weg von mir!«, rief sie atemlos und wandte das Gesicht zur Seite, um es vor dem Hund in Sicherheit zu bringen.

Der Mann, der im nächsten Moment um die Hausecke bog, blickte so entsetzt drein, wie sie sich fühlte. »Poldi!«, rief er. »Hierher! Er tut nichts«, ergänzte er, an Felicia gerichtet.

»Ja, ja, ich weiß. Er will nur spielen«, gab sie zwischen zusammengebissenen Zähnen zurück und wischte sich mit dem Ärmel ihrer Anzugjacke das Gesicht ab, als das Monster endlich von ihr abließ und schwanzwedelnd zu seinem Herrchen trabte.

»Ist wirklich so.« Der Typ hob in einer unschuldigen Geste seine Arme. »Vielleicht ist er ab und zu etwas übereifrig. Aber im Grunde verteilt er nur Liebe. Im Überfluss.«

»Und Schmutz«, murmelte Felicia. Sie wischte an ihrer Bluse herum, verschmierte die Pfotenabdrücke aber nur. Ihr Gegenüber zog ein Bandana aus seiner Gesäßtasche und machte einen Schritt auf sie zu. Als er die Hand in Richtung der Dreckspuren auf ihrer Bluse ausstreckte, offenbar, um ihr zu helfen, schlug Felicia sie empört weg. »Was genau soll das werden?«, fauchte sie ihn an.

Wieder trat dieser überraschte Ausdruck in die Augen des Mannes, doch dann blinzelte er und brachte etwas Abstand zwischen sich und Felicia. »Sorry, da war meine Hilfsbereitschaft gerade schneller als mein Hirn.« Der Fremde fühlte sich eindeutig unbehaglich und kratzte sich verlegen am Hinterkopf, was ihre Aufmerksamkeit auf seine Frisur lenkte – beziehungsweise auf das Nichtvorhandensein selbiger. Er trug einen wilden Mopp sandfarbener Haare auf dem Kopf, die den Eindruck erweckten, schon lange mit keiner Schere mehr in Kontakt gekommen zu sein. Oder einer Bürste. Die helleren Strähnen, die sich durch die dicken, eigenwilligen Wellen zogen, hatte er mit Sicherheit der Sonne zu verdanken. Irgendwie passten sie zu dem Loch am Ellenbogen seines Kapuzenpullis, der dreckverschmierten Jeans und den reichlich zerkratzten Arbeitsstiefeln. Wie ein Surfer, der auf einer Baustelle jobbt, ging es Felicia durch den Kopf.

Langsam verblasste der Schock des Hundeüberfalls ein wenig. Was Felicia daran erinnerte, dass der Mann und dieses Tier sich auf ihrem Grundstück herumgetrieben hatten wie zwei Wegelagerer. »Wären Sie so nett, mir zu erklären, was Sie hier verloren haben?«

Der Baustellen-Surfer zuckte lässig mit den Schultern. »Ich möchte die Wohnung mieten, die in diesem Haus annonciert wurde«, sagte er.

»Wie können Sie …« schon davon wissen, beendete Felicia den Satz im Stillen und machte einen überraschten Schritt nach hinten. Erst das Rosenspalier stoppte ihre Bewegung. Dornen bohrten sich in ihren Blazer, verhakten sich in ihrem Haarknoten und begannen, an den streng zurückgebundenen Strähnen zu zupfen, sobald sie sich bewegte. Ihr Herz raste. Das Einzige, was ihr durch den Kopf ging, war der Gedanke, dass es zu früh war. Sie war noch nicht bereit! Ihre Excel-Tabelle war noch lange nicht fertig. Und überhaupt hatte sie diese Tabelle für die E-Mails konzipiert. Aber das hier war keine Mail. Das war ein Mann. In ihrem Garten. Mit einem riesigen Hund, dessen Sabber noch auf ihrem Ärmel trocknete. Sie musste vermieten, ja. Aber sie hatte gehofft, sich langsam an dieses Thema herantasten zu können. Indem sie die Mails las, die ihr die Kandidaten schickten. Pro-und-Contra-Listen erstellte, bis sie die perfekten Mieter gefunden hatte. Ein Mann mit Hund, der einfach hier auftauchte, war in ihrer Vorstellung nicht vorgekommen. »Wie kommen Sie darauf, dass ich eine Wohnung vermiete?«

Das Echo eines Grinsens hob seinen rechten Mundwinkel. »Weil Sie eine Anzeige geschaltet haben, die morgen in der Zeitung erscheinen wird.«

»Die zur Bedingung hat, dass man sich per Mail mit mir in Verbindung setzt und alle notwendigen Unterlagen wie Gehaltsmitteilung und Bonitätsauskunft eingescannt mitschickt. Wieso wissen Sie überhaupt jetzt schon davon?«

Wieder zuckte er lässig mit den Schultern, offenbar seine Standardantwort auf alles. Felicia ertappte sich dabei, wie sie ihn fasziniert anstarrte, obwohl sie ihn doch einfach nur unmöglich fand. »Ich komme viel rum in der Stadt«, sagte er. »Da bekommt man so einiges mit. Also habe ich mir gedacht, ich schau mir das Ganze mal an.«

Er hockte sich hin, um seinen Hund zu kraulen, der sich vertrauensvoll an sein Bein lehnte und mit heraushängender Zunge genüsslich die Augen zuklappte. Der Abstand ermöglichte es Felicia, sich wieder einen Schritt von der Hauswand wegzubewegen. Sie ignorierte das Gefühl, dass sich ihr von den Rosendornen zerzauster Haarknoten in seine Einzelteile aufzulösen begann. Inzwischen sah sie sicher so derangiert aus, dass ihr Gegenüber sie bestimmt nicht mehr ernst nahm.

»Sind Sie denn die Frau, die die Wohnung vermietet?«, fragte er, noch immer neben seinem Hund hockend.

»Heute bin ich die Frau, die keine Wohnung vermieten wird. Wie gesagt, wenn Sie hier einziehen möchten, schreiben Sie mich wie alle anderen per Mail an. Vielleicht haben Sie Glück.« Innerlich legte sie seine Bewerbung schon jetzt auf den Aussortiert-Stapel.

Der Mann erhob sich, blieb mit dem Blick für einen Moment an ihrer schmutzigen Bluse hängen und betrachtete dann seine zerkratzten Arbeitsstiefel. »Optisch passen wir auf jeden Fall schon mal zusammen. Das hätte man in einer Mail gar nicht gesehen.« Wieder dieses Schulterzucken. »Und was den Rest angeht: Ich passe hundertprozentig zu Ihrer Anzeige. Cool.« Er wies mit dem Daumen auf sich. »Partylöwe. Und damit genau der Richtige für Sie.«

Seine Worte klangen anzüglicher, als er sie vermutlich gemeint hatte. Trotzdem musste Felicia dagegen ankämpfen, dass ihr die Röte in die Wangen kroch. Jetzt war es an ihr, ihre Schultern zu heben und seine Geste zu wiederholen. »Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber das Ganze ist ein Irrtum. Meine Kollegin hat bei der Formulierung etwas falsch verstanden. Ich suche das genaue Gegenteil. Sie sind also definitiv nicht der Richtige.« Sie wollte sich schon umdrehen, aber der Typ hielt sie allen Ernstes am Ärmel zurück. Wenn jeder unpassende Mieter so anstrengend abzuwimmeln war, würde sie innerhalb einer Woche den ersten Nervenzusammenbruch ihres Lebens haben. »Was denn noch?«

»Ich bin ziemlich anpassungsfähig«, behauptete er. Wie eine Glühbirne knipste er sein Tausend-Watt-Lächeln ein. »Mein Name ist übrigens Benedikt Lindner. Meine Freunde nennen mich Ben.« Was Felicia egal war, da sie nicht vorhatte, sich mit ihm anzufreunden.

Er streckte ihr seine schwielige, nicht ganz saubere Hand entgegen. Felicia zögerte einen Augenblick, sie zu schütteln. Lediglich ihre gute Erziehung hinderte sie daran, einfach die Flucht zu ergreifen. »Felicia Sommerfeldt«, murmelte sie.

»Mein Aufzug überrascht Sie wahrscheinlich ein bisschen«, fuhr er fort, als hätte er ihr Zögern nicht bemerkt. Oder als störe es ihn nicht besonders. Er betrachtete das Loch im Ärmel seines Hoodies und blickte dann auf seine Jeans und Stiefel hinab. »So gehe ich natürlich normalerweise nicht zu einem Vorstellungsgespräch.«

Wenigstens merkte er selbst, dass sein Aufzug unmöglich war.

»Ich komme direkt von der Arbeit. Eigentlich wollte ich mir nur mal das Haus und das Grundstück ansehen. Dass wir uns gleich über den Weg laufen, hatte ich nicht erwartet. Aber wo ich schon mal da bin, kann ich mir meine zukünftige Wohnung ja auch gleich ansehen, und wir besprechen die Details.«

Für Ben Lindner schien Felicia Chinesisch zu sprechen. »Ausgeschlossen«, wiederholte sie. »Ich kann Ihnen keine Wohnung vermieten, für die Sie sich nicht per E-Mail beworben haben.«

Dieser Mann überforderte sie. Nicht nur mit diesen wilden Haaren, die ihren Blick immer wieder anzogen. Und mit seiner Größe und den breiten Schultern, die dadurch betont wurden, dass er seine Hände in die Hüften stützte. Sondern auch mit diesem Grinsen, dass die Winkel seiner dunkelbraunen Augen kräuselte. Sie hatte das Gefühl, als mache er sich über sie lustig. Ein Gefühl, das sie aus ihrer Jugend nur zu gut kannte. Ganz automatisch fühlte sie sich wieder wie die unzulängliche Träumerin, die zu verschlossen und zu schüchtern war, um sich gegen ihre Mitschüler zu behaupten – deshalb war sie immer wieder überrumpelt worden.

Ben Lindner schien sie wirklich nicht zu verstehen – oder verstehen zu wollen. »Ziemlich cooles Grundstück. Bisschen verwildert vielleicht, aber mit großem Potenzial«, ignorierte er ihre Versuche, ihn abzuwimmeln.

»Danke.« Felicia ließ den Blick zu den Hecken schweifen, die dringend einen Schnitt brauchten. Dahinter funkelte das Blau des Sees. »Wir haben uns erst einmal auf den Umbau des Hauses konzentriert. Für den Garten hatten wir noch keine Zeit.«

»Wir?«, fragte er.

Felicia schluckte. »Ich«, korrigierte sie. Für einen Moment hatte sie vergessen, dass Leona nicht mehr da war. »Ich bin noch mit dem Umbau des Hauses beschäftigt«, wiederholte sie und versuchte, ihrer Stimme einen festeren Klang zu geben. Es wurde Zeit, dass sie ihre Zurückhaltung zur Seite schob. »Aber jetzt möchte ich Sie wirklich bitten zu gehen.« Weder Mann noch Hund setzten sich in Bewegung. »Ich gehe jetzt. Es ist mir egal, ob Sie hier stehen bleiben.«

Ben Lindner breitete die Arme aus. Das Grinsen in seinem Gesicht vertiefte sich, als sie an ihm vorbeiging. »Sie haben es gerade selbst gesagt: Sie sind noch mit dem Haus beschäftigt. Also bin ich ein absoluter Gewinn. Solange Sie sich um den Umbau kümmern, hübsche ich Ihren Garten auf. Da wird auf jeden Fall eine Menge Arbeit zu erledigen sein.«

Gegen ihren Willen verlangsamten sich Felicias Schritte. Sie hatte die Haustür fast erreicht, als sie sich zu Ben umdrehte. »Sie haben Ahnung?«, fragte sie, noch immer skeptisch. »Sind Sie Gärtner?«

»So ähnlich«, gab er zurück und schob seine Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans. »Landschaftsarchitekt. Aber keiner von der Sorte, die ihr Leben am Reißbrett verbringen. Ich wühle gern mit meinen Händen in der Erde.«

Felicia kam nicht umhin, ihren Blick noch einmal über seine Erscheinung gleiten zu lassen. Wenn er gerade von seinem Job auf einer Gartenbaustelle kam, erklärte das den Schmutz und die zerkratzten Schuhe natürlich. Trotzdem … »Danke für dieses Angebot. Aber um den Garten kümmere ich mich, wenn ich so weit bin.« Ihr war klar, dass das Grundstück nicht mehr die parkähnliche Anlage war, mit der sich das Haus früher einmal rühmen konnte. Aber im Moment hatte Felicia schlicht keine finanziellen Mittel, um sich um dieses Thema zu kümmern. Sie hatte die winzige Terrasse hinter der Hausmeisterwohnung, in der sie lebte, in Ordnung gehalten. Auf der kleinen Natursteinmauer, die den Bereich vom Rest des Gartens trennte, hatte sie Leonas Kräutertöpfe für die Kochschule stehen. Dazu ein paar Frühjahrsblüher, um Farbakzente zu setzen. Mehr war nicht drin.

Ben legte den Kopf schräg und hielt ihrem Blick stand. »Frau Sommerfeldt, Sie können auf keinen Fall warten, bis Sie mit dem Haus fertig sind. Dann ist es vermutlich zu spät. Ich biete Ihnen an, dass ich mich in meiner Freizeit um den Garten kümmere. Quasi als Dankeschön dafür, dass ich Ihr Mieter sein darf.« Er lächelte siegessicher.

Felicia, die entschlossen auch die letzten Schritte zur Haustür überwunden hatte, hatte die Hand bereits auf die Klinke gelegt, als sie sich abermals langsam zu ihm umdrehte. »Was wollen Sie damit sagen, dann ist es zu spät?«

»Monilia Spitzendürre«, sagte er. Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht und machte einem ernsten Ausdruck Platz.

»Monilia … Was bedeutet das?« Felicia schluckte. Bitte nicht noch ein Problem, betete sie im Stillen.

»Eine Krankheit, die Obstbäume und Ziergehölze befällt. Ich habe sie an diesem Mandelbäumchen dort hinten entdeckt. Und wenn Sie nicht aufpassen und diese Krankheit bekämpfen …« Er sprach nicht weiter.

Aber das musste er auch nicht. Felicia hatte verstanden. Sie schluckte um den Kloß herum, der in ihrem Hals festsaß. Das Mandelbäumchen hatten Leona und sie gepflanzt, als sie beschlossen hatten, zusammen in die Zukunft zu gehen und ihre Träume zu verwirklichen. Träume, von denen nur noch Scherben übrig waren. Felicia lief los, vorbei an dem Mann und dem Hund, die noch immer dastanden, statt endlich zu verschwinden, direkt in Richtung Garten. Sie blieb vor dem Mandelbäumchen stehen. Ben hatte recht. Es sah wirklich nicht gut aus. Mit den Fingerspitzen fuhr sie über die trockenen Astspitzen. Verdammt! Plötzlich dankbar, dass der Landschaftsarchitekt ihr gefolgt war und hinter ihr stehen blieb, kniff sie die Augen zusammen. Sie schaffte es, die Tränen zurückzuhalten, die hinter ihren Lidern brannten. Noch.

»Keine Sorge«, sagte Ben leise hinter ihr. »Ich kann ihn retten. Wenn ich hier wohne, also vor Ort bin, wird das schon wieder.«

Er stand viel zu nah. Felicia machte demonstrativ einen Schritt zur Seite und schlang die Arme um ihre Mitte.

*

Ben hatte sich verliebt. Auf den ersten Blick. Nach Pauls Anruf hatte er nur mal an dem Haus vorbeifahren und gucken wollen. Überrascht hatte er festgestellt, dass es sich um eine dieser alten Stadtvillen handelte, als er vor dem verschnörkelten Metalltor stand, an dem ein etwas verblasstes Schild angebracht war, auf dem Küchennachhilfe stand. Hatte Paul nicht gesagt, die Wohnung befinde sich in einer alten Schule? Egal. Was ihn wie magisch anzog, war der Garten hinter dem Haus, der von der Straße aus fast wie ein kleiner Park wirkte. Ein ziemlich verwilderter Park. Aber von der Art, die selbst von hier draußen sein Herz schneller schlagen ließ.

Das Tor war verschlossen, und auf sein Klingeln reagierte niemand. Schade. Einen Moment stand er noch unschlüssig vor dem Haus, dann wandte er sich zum Gehen. Es wäre zu schön gewesen, wenn er schon mit der Vermieterin über die Wohnung hätte sprechen können. »Poldi, komm«, rief er – und merkte erst auf halbem Weg zu seinem Pick-up, dass sein Hund genau das nicht tat. »Poldi?«, rief er.

Entfernt hörte er ein Bellen und kehrte wieder zur Villa zurück. Als er erneut vor dem Tor stand, nahm er das unverkennbare Platschen wahr, das ihm sagte, dass Poldi den See des in der Anzeige erwähnten Seegrundstücks gefunden hatte. »Mist«, murmelte er. »Wie bist du denn da reingekommen?« Langsam ging er an der Buchenhecke entlang, die das Grundstück begrenzte, bis er die Holztür fand, die einen Spalt offen stand. Hier war sein Hund also eingebrochen. Er schob das Türchen ein Stück weiter auf. Mit einem rostigen Quietschen in den Angeln gab es den Blick frei in das grüne Reich, das sich dahinter verbarg. »Poldi!«, rief er noch einmal. Die Antwort war ein glückliches Bellen.

Seinem Hund schien es hier zu gefallen. Ben warf einen Blick über die Schulter, ob ihn ein Nachbar beobachtete. Dann bückte er sich unter dem wild wuchernden Pflanzenbogen hindurch und folgte Poldi in das Paradies, das sich hinter dem Haus verbarg. Er bahnte sich einen Weg durch das verwilderte Grundstück, bis er das verfallene Bootshaus am Seeufer erreichte. Poldi hatte sich bereits ins Unterholz der Büsche verkrümelt, aber Bens Blick blieb an dem Bootshaus hängen. Einer der kleinen Schuppen auf dem Wasser, die so typisch waren für den Starnberger See und nur über einen schmalen Steg erreicht werden konnten. Ben würde allerdings niemandem raten, einen Fuß auf die morschen Bretter zu setzen, es sei denn, man hatte nichts dagegen, im See zu landen.

Langsam drehte Ben sich einmal um die eigene Achse und betrachtete dann die Rückseite des Hauses. Jemand hatte eine kleine Sitzecke eingerichtet. Der Holzboden war mit einer silbergrauen Patina überzogen, die perfekt zu den Natursteinen passte, die den Bereich begrenzten. Auf dem Mäuerchen standen Kräutertöpfe und als Farbkleckse dazwischen hellblaue Vergissmeinnicht und Ranunkeln in Rot, Gelb und Orange. Im Gegensatz zum Rest des Gartens wirkten sie gut gepflegt, was die Terrasse wie eine zivilisierte Insel inmitten einer Wildnis wirken ließ.

Er war hergekommen, weil er dringend eine günstige Wohnung brauchte. Aber inzwischen hatte das Apartment eine noch höhere Anziehungskraft auf ihn, weil es in diesem Haus lag. Zu dem dieser Garten gehörte. Er musste hier einziehen. Weil er in – und an – diesem kleinen Park arbeiten wollte. Ben hörte die Bienen und Hummeln, für die dieser Stadtdschungel das blanke Paradies war. Er konnte sich vorstellen, wie der Fliederbaum zu blühen begann und die schweren Blauregen-Trauben von ihrem Spalier hingen. Die wild wuchernden Bäume und Sträucher in der hinteren Grundstücksecke müsste man ein wenig zurückschneiden, damit mehr Sonne durchkam und die Heckenmyrthe mehr Licht abkriegte. Mohn und Purpur-Sonnenhut unter den Bäumen am Seeufer. Mehrstufige Bepflanzung um die kleine, zugewucherte Sitzbank herum, die er entdeckt hatte.

Er sah seinen nassen, in diesem Zustand ziemlich zotteligen Hund auf der Terrasse hinter dem Haus. Schwanzwedelnd saß er auf dem grauen Holzboden und betete eine riesige orangefarbene Katze an, die hinter der Fensterscheibe saß und auf ihn herabschaute. Garfield in natura, ging es Ben sofort durch den Kopf.

»Komm jetzt, Poldi«, rief Ben leise. »Lass uns hier verschwinden.« Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er einfach so Hausfriedensbruch begangen hatte. Andererseits hatte er auf diese Weise den Garten entdeckt und herausgefunden, dass er unbedingt hier wohnen wollte. Jetzt musste er nur noch einen guten Eindruck auf die Vermieter machen und hoffen, dass er dieser doch etwas schrägen Annonce gerecht werden konnte. Er dachte noch einmal über die Anforderungen nach, als Poldi sich auf der Terrasse aufrichtete und die Ohren spitzte. Im nächsten Moment sprintete er davon, ohne auf Bens »Bleib hier« zu reagieren.

Ben folgte ihm, aber als er um die Hausecke bog, hatte Poldi die Frau im Hosenanzug bereits begrüßt. Auf seine Weise. »Mist«, murmelte Ben und verzog innerlich das Gesicht. Falls diese Frau hier was zu sagen hatte – und so sah sie aus –, hatte sein Hund ihre Chancen, hier einziehen zu dürfen, nicht gerade verbessert.

Poldi hatte die Frau völlig überrumpelt – und sie sah nicht begeistert aus. Okay, von einem jungen, aber riesigen Hund angesprungen zu werden, mochte niemand. Aber sie wirkte zum einen nicht nur wie eine Hundefeindin, sie hatte auch etwas Steifes, Distanziertes an sich. Trotzdem faszinierte sie Ben irgendwie. Selbst wenn sie sich gerade aufrichtete, was sie tat, nachdem die Rosendornen ihre Frisur und Jacke freigegeben hatten, reichte sie ihm nicht einmal bis zum Kinn. Die Haare, die von den Rosen in Mitleidenschaft gezogen worden waren, standen wie kleine, kupferfarbene Federn von ihrem Hinterkopf ab. Ihre Figur erinnerte an eines dieser sexy Pin-up-Girls aus den Fünfzigerjahren. Ben war sich sicher, dass der strenge Hosenanzug diesen Eindruck aufheben sollte – seiner Meinung nach unterstrich das Outfit diesen Effekt allerdings eher.

Nicht, dass er der Frau das sagen würde – Felicia Sommerfeldt. Sie hatte sich zwar nach Poldis wilder Begrüßung mit knirschenden Zähnen vorgestellt, ihn inzwischen aber schon mehrmals aufgefordert, endlich von ihrem Grundstück zu verschwinden. Und sie verlangte, dass er per Mail auf ihre Annonce antwortete. Aber in ihren Augen konnte er schon jetzt lesen, dass sie nicht an Poldi und ihn vermieten würde.

Was in der Anzeige stand, schienen nun doch nicht die Anforderungen zu sein, um hier einziehen zu können. Eher das Gegenteil. Vielleicht hatte Paul sich hier auch einen kleinen Spaß mit ihm erlaubt. Trotzdem: So schnell würde Ben nicht aufgeben. Er war ein Kämpfer. Und wenn der Kampf fair war, hatte er auch kein Problem damit zu verlieren. Aber das hier war eine Situation, die alles andere als fair war. Er hatte nur mal einen Blick auf das Haus werfen wollen. In seinen erdverschmierten Jeans, Arbeitsstiefeln und seinem Kapuzenshirt, mit dem er heute zu allem Übel auch noch an der Spitze eines Metallspaliers hängen geblieben war und ein Loch hineingerissen hatte. Dazu Poldis rüpelhafter Auftritt. Aber dieser Garten … Er schluckte, als sich Felicia Sommerfeldt schließlich zur Tür umwandte und nicht einmal auf sein Angebot einging, den Garten kostenlos wieder herzurichten. Er war ein ehrlicher Typ, und der Gedanke, der ihm durch den Kopf ging, kratzte ein wenig an dieser Charaktereigenschaft. Ein winziges bisschen. Er würde Felicia Sommerfeldt damit nicht schaden. Schließlich bekam sie einen vorbildlichen Mieter – na gut, mit einem leicht übermütigen, wasserverliebten Hund –, der ihren Garten in ein Paradies verwandeln würde. Manchmal heiligte der Zweck eben die Mittel, redete er sich seinen Schachzug selbst schön.

Seine potenzielle Vermieterin schien jedenfalls ziemlich an ihrem Mandelbäumchen zu hängen und sah ihn mit ängstlich aufgerissenen Augen an, als er die Spitzendürre erwähnte. Was das betraf, hatte er nicht gelogen. Er hatte im Vorbeigehen gesehen, dass es diese Pflanze erwischt hatte. Allerdings war das halb so dramatisch, wie er es darstellte. Ohne die Worte auszusprechen hatte er Felicia suggeriert, dass sich die Baumkrankheit in ihrem gesamten Garten ausbreiten würde. Tatsächlich ließ sich die Monilia aber mit ein paar gezielten Schnitten an den betroffenen Ästen beheben. Bevor Felicia das googeln und herausfinden würde, dass sie das Problem leicht selbst lösen konnte, würde Ben sie dazu bringen, ihm die Wohnung zu vermieten. »Ich kann ihn retten«, sagte er zu ihrem Rücken, als sie sich wieder zu ihrem Mandelbaum umdrehte. »Wenn ich hier wohne, vor Ort bin, wird das schon wieder. Ich werde mich gleich morgen früh um die Monilia kümmern. Versprochen.« Felicia antwortete nicht und starrte über ihr Bäumchen hinweg auf den See hinaus. Also schob Ben ein »Wollen Sie mir die Wohnung zeigen?« hinterher.

3

Ben hatte es geschafft. Poldi und er betraten hinter Felicia Sommerfeldt das Haus. In dem Moment, in dem sie das Licht in dem kühlen, dämmrigen Hausflur einschaltete, wurde ihm wieder bewusst, was sein eigentliches Anliegen war: Er brauchte eine bezahlbare Bleibe. Zumindest so lange, bis sein Geschäft einigermaßen lief. Sein Cousin Sam beschwerte sich nicht, dass er auf seiner Couch pennte. Sie hatten sich schon immer sehr nahe gestanden, und es machte Spaß, zusammen Bundesliga zu schauen oder Playstation zu zocken. Nicht nur Sam war großzügig, auch Bens Onkel Jo und seine Tante Tessa, die ihn in ihrer Gärtnerei ein und aus gehen ließen und für jedes Projekt ein gutes Pflanzenangebot machten. Alle drei hatten ihm und seiner Firma zum bestmöglichen Start verholfen, nachdem er mit vierunddreißig endlich aus der Studenten-WG ausgezogen war. Aber er wollte diese Großzügigkeit nicht länger als notwendig ausnutzen. Er wollte also nicht nur den Garten – er brauchte auch die Wohnung.

»Ich weiß nicht, ob sich Ihr Hund mit meiner Katze verträgt«, holte Felicia ihn aus seinen Gedanken.

»Poldi ist mindestens so umgänglich wie ich«, ließ er seinen Charme spielen und hoffte, dass sein Hund es genauso machte. Als er sich nach ihm umblickte, konnte er ihn nirgends entdecken. Ben sprach ein stilles Stoßgebet, dass Poldi sich nicht gerade ausgerechnet mit diesem Garfield anlegte, den er durch das Fenster gesehen hatte. Denn dann hätten sie beide vermutlich wirklich keine Chance mehr, hier einzuziehen.

Felicia schien gegen seinen Charme immun zu sein. Ihr Blick sagte deutlich, dass sie ihn kein bisschen für umgänglich hielt. »Kommen Sie«, forderte sie ihn auf. »Ich zeige Ihnen das Haus.«

Ben blickte sich noch einmal um. »Ist das eine Knittl-Villa? Von außen sah sie so aus.« Auch wenn die bunten Kleiderhaken neben den beiden Türen auf der linken Seite des Flurs merkwürdig weit unten hingen, was wirklich eher an eine Schule als ein Herrenhaus erinnerte. Von außen war der Stil jedoch unverkennbar gewesen. Zierfachwerk, das keinem statischen Zweck diente. Ornamente, die die Giebel schmückten, und Laubsägearbeiten an den Holzbalkonen im zweiten Stock.

»Nicht von Baumeister Knittl selbst«, sagte Felicia. »Aber sie ist seiner Bauweise nachempfunden. Das Haus wurde 1873 von einer Familie von Kaufleuten erbaut.«

»Dann haben hier geschäftstüchtige Starnberger gelebt. Ich habe gehört, dass es eine alte Schule gewesen ist«, konnte sich Ben seine Feststellung nicht verkneifen.

Felicia hob den Kopf und lächelte ihn an. Zum ersten Mal, seit sein Hund sie überfallen hatte. Und, verdammt, ein Lächeln stand diesem schönen Gesicht mit den großen, blaugrünen Augen gut. »Das war das Haus tatsächlich mal und ist es auf gewisse Weise immer noch. Ich weiß nicht, wie es in die Hand des Freistaates gelangt ist, aber in den Sechzigerjahren wurde die Villa zu einer Volksschule umfunktioniert und wurde später zu einer Mittelschule. Bis diese in den Achtzigerjahren aus allen Nähten zu platzen drohte und der neue, deutlich modernere Schulkomplex gebaut wurde. Meine Großtante war hier Lehrerin, genau wie ihr Mann. Nachdem die Schule geschlossen wurde, hat sie das Haus gekauft und diesen Teil hier unten«, sie wies auf die Türen links von ihm, »zu einer Kochschule umfunktioniert. Dieser Raum hier vorn würde sich für Festempfänge wie Hochzeiten oder Familienfeiern eignen, aber ich konnte ihn noch nicht auf Vordermann bringen.«

Ben zog die Tür weit genug auf, um einen Blick in den Raum zu werfen, der ein einziges Chaos aus Gerümpel beherbergte.

»Meine Großtante ist vor zwei Monaten gestorben und hat mir das Haus vererbt.« Unbehaglich rieb sich Felicia über die Arme. »Aber für mich alleine ist es viel zu groß.«

»Dein Verlust tut mir leid«, sagte Ben. Zu spät wurde ihm bewusst, dass er einfach zum Du übergegangen war.

»Danke«, murmelte sie. »Lass uns mit der Besichtigung weitermachen.«

Ben hatte den Eindruck, dass sie noch sehr unter ihrem Verlust litt. Das war also mit Sicherheit nicht der richtige Zeitpunkt nachzubohren, auch wenn er die Sache mit der Kochschule interessant fand. Es erklärte das verblichene Schild am Tor, Küchennachhilfe hatte darauf gestanden. »Was ist hinter dieser Wand?«, fragte er und klopfte mit den Fingerknöcheln gegen den Putz rechts neben sich.

»Das ist eine kleine Bücherei. Leona, meine Großtante, hat sie geöffnet gelassen, nachdem die Schule dichtgemacht hat. Die Nachbarn kommen noch immer, holen sich etwas zum Lesen und bringen hin und wieder auch mal eine neue Bücherspende vorbei. Der Raum ist nur Donnerstagnachmittag geöffnet. Du kannst dich gerne bedienen, wenn du etwas zum Lesen suchst.« Sie drehte sich wieder um und wies auf die Tür hinter der Treppe, die ins Obergeschoss führte. »Da hinten wohne ich. Das ist die ehemalige Hausmeisterwohnung.«

Ben führte sich den Grundriss des Hauses vor Augen. Dann gehörte die kleine Terrasse mit der Natursteinmauer zu ihrer Wohnung.

Felicia nahm die Treppe in Angriff, bevor Ben einen Blick in die Kochschule werfen konnte. »Ich vermiete insgesamt drei Wohnungen, die sich alle hier oben befinden.«

»Drei?« Ben versuchte sich wieder an seinem charmanten Lächeln. »Und ich bin wirklich der Erste? Dann kann ich mir ja eine aussuchen.«

*

Gerade hatte Felicia noch darüber nachgedacht, wie sie Ben Lindner loswerden konnte, und im nächsten Moment hatte er versprochen, ihr Mandelbäumchen zu retten. Und noch einen Augenblick später zeigte sie ihm das Haus und war mit ihm per Du. Sie war sich noch immer nicht sicher, ob es eine gute Idee war, ihn als künftigen Mieter in Betracht zu ziehen. Sein Hund war irgendwo in den Tiefen der alten Schule verschwunden, kaum dass sie die Tür geöffnet hatte. Sie schwor sich, dass sie Ben trotz allem in jedem Fall ablehnen würde, wenn dieser Poldi ihrer Elfriede Angst machte. »Zwei Apartments liegen im ersten Stock, eins im zweiten«, erklärte sie, als sie die knarzenden, ausgetretenen Holztreppen hinaufstieg, über die jahrzehntelang so viele Kinderfüße hinauf- und hinuntergerannt waren. »Hier rechts liegt das ehemalige Rektorenzimmer. Das wird für kleinere Events genutzt. Ein Bekannter bietet hier Whiskey-Tastings und Weinproben an«, erklärte sie auf Bens neugierig hochgezogene Augenbrauen hin.

Natürlich ließ er es sich nicht nehmen, die Tür zu öffnen und den Kopf hineinzustecken. »Wow«, hörte sie ihn beeindruckt sagen, bevor er die Tür ganz aufzog und den Raum betrat. »So hat das Büro meiner Rektorin nicht ausgesehen.«

»Das du vermutlich gut kanntest, weil du viel Zeit dort verbracht hast?«

»Hey.« Ben drehte sich zu ihr um und grinste sie an. »Du hast ja Humor.«

»Das war Ironie«, korrigierte Felicia ihn.

»Eine Form von Humor«, gab er zurück, betrachtete aber bereits die dunklen Kirschholz-Regale, die mit alten Wälzern gefüllt waren. Mit den Fingern trommelte er auf der Lehne eines der ledernen Clubsessel.

»Du solltest dich auf jeden Fall zu einem dieser Tastings anmelden«, sagte Felicia und wischte ein paar Staubpartikel von dem Regalbrett, auf dem eine komplette dreißigteilige Brockhaus-Enzyklopädie aufgereiht stand. »Sie nennen sich ›Termin beim Direktor‹.«

Er zeigte mit dem Finger auf sie. »Ironie, ich weiß. Aber trotzdem lustig.«

»Na komm.« Felicia drehte sich um und verließ das Zimmer. »Eine Wohnung ist hier vorn, die andere da hinten. Dazwischen liegt das ehemalige Lehrerzimmer. Aber ich warne dich. Das ›in die Jahre gekommen‹ in der Anzeige war ernst gemeint.«

Ben antwortete nicht. Er hatte den Kopf bereits durch die Tür des ersten Apartments gesteckt. Dann öffnete er die Tür zum Lehrerzimmer. »Habe ich mir auch anders vorgestellt«, sagte er, als er die Tür wieder schloss.

»Hier haben es sich die Handwerker, die die Klassenzimmer in Wohnungen umgebaut haben, in ihren Pausen immer ein bisschen gemütlich gemacht«, entschuldigte Felicia das Lehrerzimmer, das ein bisschen an eine Chill-out-Area erinnerte, allerdings im Stil der Achtzigerjahre.

Ben war schon weitergegangen und hatte die letzte Tür auf der linken Seite geöffnet. Anders als bei den Räumen davor, war er hier sofort im Zimmer verschwunden. Felicia folgte ihm und fand ihn auf dem verglasten Balkon, auf dem neben einem zerbrochenen Klappstuhl nur ein altes, verschnörkeltes Metallregal stand, von dem die weiße Farbe abblätterte. Außer ein paar leeren Blumentöpfen war hier nichts zu finden.

Ben hatte die Hände in die Hüften gestützt und sah sich um. »Das ist es«, hörte sie ihn murmeln. Dann schien ihm wieder einzufallen, dass er nicht allein war, und er drehte sich zu ihr um. »Ein Wintergarten? Das ist ja der Hammer.«

»Hier wurde früher Biologie unterrichtet«, erklärte Felicia ihm, dass es sich schlicht um eine zweckmäßige bauliche Veränderung handelte. »Der Balkon wurde verglast, damit hier auch im Herbst und Winter noch Pflanzen gezogen und in den Unterricht einbezogen werden konnten.«

»Und genau das werde ich auch machen.« Ben strahlte über das ganze Gesicht.

Felicia konnte sich nicht dagegen wehren und erwiderte das Lachen. »Biologieunterricht geben?«, fragte sie, erstaunt über sich selbst. Wo war ihre Abneigung gegen diesen Mann geblieben? Wahrscheinlich hatte er sie mit seiner Begeisterung über das Haus und sein Wissen über Knittl völlig eingenommen. Aber das war ja genau das, was sie wollte. Einen Mieter, der das alte Haus zu schätzen wusste, auch wenn die Wohnung nicht so komfortabel war wie die Apartments in diesen neu hochgezogenen Wohnkomplexen.

»Pflanzen ziehen. Dieser Balkon ist absolut perfekt dafür.«

Felicia war sich nicht sicher, ob er das immer noch dachte, wenn im Sommer die Sonne mit voller Wucht auf das Glas knallte. »Du möchtest hier einziehen?«, fragte sie vorsichtshalber noch einmal nach. Obwohl er sie völlig überrumpelt hatte, fühlte sie, wie sich langsam ein wenig Erleichterung in ihr breitmachte. Ben wirkte anständig. Er war Landschaftsarchitekt, also würde es keine Probleme mit der Miete geben. Und wenn sie bereits eine Wohnung vermietet hatte, musste sie sich nur noch zweimal in diese stressige Situation begeben, sich für einen Mieter zu entscheiden.

»Auf der Stelle«, sagte er.

»Wahrscheinlich hast du eigene Möbel«, sagte Felicia. »Aber wenn du noch etwas brauchst, kannst du dich in den Abstellräumen und dem Keller gern bedienen.« Sie wand sich zur Treppe um. »Allerdings kann ich dir die Wohnung wirklich nur vermieten, wenn es keine Probleme zwischen deinem Hund und meiner Katze gibt. Elfriede bewegt sich ziemlich frei im ganzen Haus.«

Ben tat so, als lausche er angestrengt. »Ich kann weder einen knurrenden Hund noch eine fauchende Katze hören.«

»Lass uns lieber nachsehen.« Felicia kehrte ins Erdgeschoss zurück. Die Tür zu ihrer Wohnung stand einen Spalt offen. Wofür Bens Hund verantwortlich sein konnte. Allerdings schaffte das auch Elfriede, wenn sie auf die Klinke sprang.

Felicia schob die Tür ganz auf und betrat ihre Wohnung. Sie entdeckte die Tiere sofort. Elfriede saß auf einem ihrer Lieblingsplätze, der Fensterbank neben der Hintertür, die auf ihre Terrasse führte. Poldi saß auf dem Boden, die Vorderpfoten ebenfalls auf der Fensterbank abgelegt, sodass sein Kopf neben ihrem war. Einträchtig hockten sie so da und betrachteten eine Amsel, die über die Natursteinmauer ihres Gartens hüpfte.

»Damit dürfte der Deal wohl besiegelt sein«, sagte Ben hinter ihr. Er blickte ihr über die Schulter, und Felicia konnte seinen Duft wahrnehmen. Baumwolle und Erde. Gemischt mit dem Geruch von frisch gemähtem Gras.

Langsam atmete sie aus. Ben hatte recht. Offenbar hatte sie gerade die erste ihrer drei Wohnungen vermietet.

*

Bens Cousin Sam schimpfte wie ein Kesselflicker, als sie Bens wenige Möbel aus seinen Studenten-WG-Zeiten, seine Aktenordner und die Kartons mit Materialproben in den ersten Stock der alten Schule hinaufschleppten. Aber die Wohnung beeindruckte ihn, das konnte Ben an dem Ausdruck im Gesicht seines Cousins sehen. »Schiefe Wände und unebene Böden«, brummte Sam. »Aber ganz schön viel Charakter. Diese Wohnung ist ein echter Glücksgriff. Zumindest könnte es ein Schmuckstück werden, mit ein wenig Farbe und ein paar mehr Möbeln, als du im Moment hast. Aber dieses Bad«, er warf einen Blick in die winzige, äußerst spartanische Nasszelle und schüttelte den Kopf, »ist wirklich erbärmlich.«

Ben zuckte mit den Schultern. In Bezug auf das Bad hatte in der Annonce im Starnberger Merkur auf jeden Fall die Wahrheit gestanden. Das Bad in seiner letzten WG war deutlich größer gewesen als das hier, aber da seine Mitbewohner ein ambivalentes Verhältnis zum Putzplan gehabt hatten, genoss er es, dieses picobello saubere Bad ganz für sich allein zu haben, ganz egal, dass das warme Wasser nur ein Rinnsal war und sich außer der schmalen Dusche, einem Waschbecken und der Toilette nichts in diesem Raum befand.

»Nicht einmal eine Halterung für Handtücher oder Klopapier gibt es hier«, ergänzte Sam seine Beobachtungen.

Ben war es egal, dass er die Klopapierrolle auf das Fensterbrett stellen musste. »Dafür ist dieser Wintergarten ein absoluter Traum.« Er hatte die Pflanzen, die er aus allen Teilen der Welt mitgebracht oder aus Samen und Setzlingen selbst gezogen, gehegt und gepflegt hatte, auf die steinerne Balkonbrüstung und in das alte Metallregal gestellt.

»Kein Widerspruch.« Sam grinste. Sie sahen Poldi dabei zu, wie er sein großes, graues Hundekissen so lange schob und zog, bis er es auf dem ausgeblichenen Holzboden des Balkons platziert hatte, wo er jetzt sein erstes Nickerchen im neuen Zuhause hielt. »Poldi hat sich jedenfalls schon den besten Platz ausgesucht. Na los.« Er schlug in die Hände. »Bauen wir dein Bett auf.«

Sam behielt recht mit seiner Bemerkung über den Boden. Sie benötigten ganz schön viel Pappe, die sie unter den linken hinteren Bettfuß schoben, damit das Bett einigermaßen gerade stand.

Felicia hatte Ben angeboten, sich bei den Möbeln zu bedienen, die noch in den Abstellräumen herumstanden. Also stellten sie zwei alte Schulbänke zu einem Esstisch zusammen, was bei Sam zu einem Heiterkeitsausbruch führte, weil sie, genau wie die Stühle, viel zu niedrig für erwachsene Männer waren.

»Vorerst geht es«, verteidigte Ben die Kombination. »Ich kann mir ja bei Gelegenheit was Neues zulegen. Obwohl … irgendwie mag ich es, so wie es ist.« Mit den Zeigefingern vollführte er einen kleinen Trommelwirbel auf der Oberfläche eines Tisches, an dem sich vermutlich Generationen von Kindern durch Klassenarbeiten und Diktate gequält hatten. Mit dem dunkelblauen Sitzsack statt einer Couch (weil die nie in sein WG-Zimmer gepasst hätte) gab seine neue Bleibe ein etwas schräges Bild ab. Alter Krempel kombiniert mit seinem supermodernen Schreibtisch und einer winzigen Küchenzeile. Und ansonsten sehr viel Platz.

Sie bauten Bens Arbeitsplatz und seine Computerbildschirme an der gegenüberliegenden Wand auf, an der sie auch seine riesige Pinnwand aufhängten. In den weißen Billy-Regalen, die schon ein paarmal mit Ben umgezogen waren, verstauten sie seine Unterlagen, und eine weitere Schulbank bildete die Unterlage für Bens Modell eines begrünten Stadtviertels, über das er seine Masterarbeit geschrieben hatte.

»Noch ein wenig übersichtlich, aber ich kann das Potenzial erkennen«, bediente sich Sam der Worte, die seine Mutter Tessa für diese Wohnung gewählt hätte, als er schließlich Bens Schreibtischstuhl in den Raum gerollt hatte. »Ich bin gespannt auf den Garten.«

Ben führte seinen Cousin herum, diskutierte mit ihm Bepflanzungs- und Rodungsideen, eben ganz die zwei Garten-Nerds, die sie nun mal waren. Sie warfen ein paar Bälle für Poldi, der sie nur holte, wenn sie im Wasser landeten, damit sich der Spaß auch lohnte. Er ließ es sich nicht nehmen, das Apportieren mit einem kleinen Schwimmtraining zu verbinden und sich dann ausgiebig zu schütteln, sobald er aus dem Wasser kam und wieder neben ihnen stand.

Ben wollte Felicia, die ihm erzählt hatte, dass sie noch arbeiten müsse, nicht stören, indem sie sich unnötig lange im Garten herumtrieben. Also tranken Sam und er das Bier, das sich sein Cousin für die Umzugshilfe verdient hatte, auf den zwei Treppenstufen, die zur Haustür führten. Um in Bens neuer Wohnung herumzusitzen, war dieser milde Frühlingsabend jedenfalls viel zu schön.

»Was ist mit den Ausschreibungen?«, fragte Sam, nachdem sie angestoßen hatten und auf Bens Pläne zu sprechen gekommen waren. »Hast du schon irgendwas gehört?«

»Leider noch nicht.« Ben trank einen Schluck Bier und lehnte sich dann zurück. Den Unterarm auf die Treppenstufe hinter sich gestützt sah er Poldi dabei zu, wie dieser am Gartentor herumschnüffelte. Er hatte sich für drei große Landschaftsarchitektur-Projekte beworben. Wenn er auch nur eines bekommen würde, wäre er zumindest die Sorge los, wie er sich die nächsten Monate über Wasser halten sollte. »Die Ausschreibungen sind abgeschlossen, aber sie haben sich noch nicht gemeldet.«

»Sie müssen dich einfach nehmen«, sagte Sam mit Nachdruck. »Besonders diese hippen Jungs aus München. Das sage ich jetzt nicht, weil wir verwandt sind, sondern weil du einfach unschlagbar bist, wenn es um das Begrünen von Gebäudefassaden und Dächern geht.«

Ben hoffte, dass Sam recht behielt und er den Zuschlag bekam. Er hatte verdammt viel Zeit in den Begrünungsentwurf für die Dachterrasse von No Limits, einem Münchener Start-up, investiert. Ganz abgesehen davon, dass diese Form der Gestaltung sein Steckenpferd – und nicht zu vergessen: die Zukunft – war. Und er brauchte den Auftrag für sein Portfolio. Seit seinem Studienabschluss konnte er noch nicht viel vorweisen. Die Bepflanzung eines Kindergartens war mit Sicherheit nichts, womit er große Auftraggeber an Land ziehen konnte. Die anderen beiden Projekte, für die er einen Vorschlag eingereicht hatte, die Parkanlage einer Villa und der zentrale Platz einer Neubausiedlung, würden sich in seiner Reputation auch gut machen. Aber sein Herz schlug am heftigsten für das Bürogebäude in München.

Als hätte Sam seine Gedanken gelesen, schlug er ihm auf die Schulter. »Du bekommst den Auftrag«, sagte er noch einmal fest. »Wenn diese Start-up-Typen erst einmal mit dem kleinen Paradies auf ihrem Dach angeben, werden die drum herum auch eins wollen und nachziehen.«

Ben seufzte. »Das wäre ein fantastischer Dominoeffekt.« Und ein wirklich schöner Traum. So weit wollte er jedenfalls im Moment überhaupt noch nicht denken. Wenn er es schaffte, eines der Projekte an Land zu ziehen, wäre er ein glücklicher Landschaftsarchitekt. Er wollte noch einen Schluck Bier trinken, verharrte jedoch, die Flasche auf halbem Weg zu seinem Mund, als er den Typen sah, der durch das offene Hoftor trat und direkt auf sie zuschlurfte. »Was …?«

Sam sog theatralisch den Duft ein, der vor dem Kerl herwehte. »Noch ein Pflanzenfreund«, kommentierte er die deutliche Marihuanafahne trocken. Sie passte perfekt zu der Bongo-Trommel, die der Typ unter dem Arm hielt, der Mütze in Jamaica-Farben und den Rasta-Locken.

»Jo, Leute«, grüßte er sie. »Hier soll eine Wohnung frei sein.« Er sprach ein wenig schleppend.

Ganz egal, was in der Zeitungsannonce stand oder was Felicia sich tatsächlich von ihren Mietern wünschte: Das hier war bestimmt nicht, was sie suchte. »Tut mir leid, Kumpel«, sagte Ben. »Die Wohnung ist schon weg.«

»Echt jetzt, Alter?« Der Kiffer ließ die Schultern hängen. »Die war doch noch gar nicht auf dem Markt.«

Ben zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Sorry Mann. Du weißt ja, wie das ist. Kaum entscheidest du dich zu vermieten …« Er schnippte mit den Fingern, was den Typen aus seiner Trance riss, denn er zuckte zusammen, und seine Trommel schlug mit einem unschönen Geräusch auf dem Boden auf.

»Schon klar, Alter.« Der Typ nickte und hob umständlich seine Trommel auf. »Hare Krishna.« Er tippte sich an die Mütze und stolperte davon.

»Ja, dir auch«, murmelte Sam und grinste in sein Bier.

Der Kiffer war erst ein paar Meter die Straße hinaufgewankt, als eine Joggerin an ihm vorbeilief und ebenfalls geradewegs auf das Haus zuhielt. Deutlich zielbewusster und fokussierter als ihr Vorgänger. In dem Moment, in dem sie das Tor erreichte, hielt ein bunt gestreifter Mini-Van neben ihr, und eine weitere Frau sprang heraus.

Die Joggerin blieb vor Ben und Sam stehen. »Vermietet ihr eine Wohnung?«, fragte sie und blickte zu der Frau aus dem gestreiften Van hinüber, die Farben offenbar liebte. Denn sie fuhr nicht nur ein sehr grelles Auto, sie trug zu ihren roten Ballerinas einen bunt geblümten Rock. »Bist du auch wegen der Besichtigung hier?«