Wo ist mein Weg? Oder: Warum will ich leiden? - Doris Bernatek - E-Book

Wo ist mein Weg? Oder: Warum will ich leiden? E-Book

Doris Bernatek

4,7

Beschreibung

Doris Bernatek wurde 1955 in Witten an der Ruhr geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in Steinau an der Straße. In ihren letzten Lebensjahren verfasste sie dieses Buch, welches Ihre Lebensgeschichte wiederspiegelt und von ihrer großen Liebe zu ihrem Mann zeugt. Sie floh immer wieder aus dieser krankmachenden Beziehung, die von Suchtkrankheiten, wie Alkohol-, Spiel- oder auch Sexsucht geprägt war, um dann doch immer wieder zu ihm zurückzukehren. Die Autorin durchlitt mehrere Phasen schwerer Depressionen und auch weitere bedrohliche Krankheiten, bis sie ihren Weg aus diesem ständigen Leiden herausfand. Doris Bernatek möchte mit diesem Buch anderen Frauen Mut machen, sich aus unguten Beziehungen zu lösen und den eigenen, nicht immer einfachen Weg, zu beschreiten.

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Inhaltsverzeichnis

Zu mir und meiner Familie

Das Kennenlernen

Zu seiner Familie

Unser Leben (1. Teil)

Zwischenwort

Unser Leben (2. Teil)

Die Trennung 1997

Nachwort

Anmerkungen der Kinder

Was wurde aus jedem einzelnen

Ich musste klingeln, weil ich keinen Schlüssel dabei hatte. Mein Vater öffnete mir die Tür und fing sofort an auf mich einzuschlagen. Mein Vater, ein Klavierlehrer, der nicht mal spülte um seine zarten Hände zu schonen, prügelte mit diesen Händen auf mich ein! Damals war ich gerade 15 Jahre alt. Bis dahin bin ich relativ behütet und vor allem gewaltfrei aufgewachsen.

Was war passiert? Ich hatte einen „Verbrecher“ zum Freund. Einen Halbstarken, mit Lederjacke und Knastvergangenheit, der noch dazu neun Jahre älter war als ich!

Zu mir und meiner Familie

Ich bin die Älteste von fünf Kindern. Ich war ein „Unfall“, aber das erfuhr ich erst später. Der Satz meines Vaters: „Das tut man nicht, was sollen die Leute denken!“, zog sich wie ein roter Faden durch meine Kindheit und meine Jugend. Noch heute blockiert mich diese Mahnung oft. Wahrscheinlich war das der Grund, warum ich mich sofort in diesen Lederjackenrocker verliebt habe, der so ganz anders war als die Menschen, die ich bis dahin kennengelernt habe. Noch heute, 30 Jahre später, liebe ich diesen Mann. Doch ich habe mich vor drei Wochen von ihm getrennt, sonst wäre ich zugrunde gegangen.

Als meine Eltern sich 1954 kennenlernten, war meine Mutter 21 Jahre alt. Mein Vater war 44, verheiratet und hatte drei Kinder. Das Verhältnis der beiden und die ungewollte Schwangerschaft meiner Mutter war ein großer Skandal in der - ach so ehrbaren - Familie. Als ich fünf Jahre alt war, sind meine Eltern mit mir aus dem Ruhrgebiet in den kleinen hessischen Ort gezogen, oder besser geflohen, in dem ich heute noch lebe.

Sie hatten einen schlechten Start und von Anfang an große finanzielle Probleme.

Wir waren die Exoten in unserem Wohnviertel. Mein Vater war kein Arbeiter wie die anderen Nachbarn, sondern Musiklehrer. Er ging morgens mit Hut und Mantel aus dem Haus und nicht wie alle anderen in verbeulten Arbeitshosen. Keiner hatte ihn jemals beim Rasenmähen oder Straße kehren beobachten können. „Ich kann das nicht, ich muss meine Hände schonen.“ Alle Freunde, die ich kennen lernte hatten großen Respekt vor ihm, aber keiner fühlte sich in seiner Nähe richtig wohl. Ich habe meinen Vater geliebt, aber er war eben nicht der Vater, den wir Kinder gebraucht hätten. Und er war auch nicht der Mann, den meine Mutter gebraucht hätte.

Als nacheinander meine vier Geschwister auf die Welt kamen, zog sich mein Vater mehr und mehr aus dem Familienleben zurück. Sein Beitrag zur Erziehung bestand darin, uns pausenlos zu sagen, was wir nicht dürfen und uns zur Ruhe zu ermahnen, wenn er zu Hause unterrichtete.

Die einzige Kommunikation die ich zwischen meinen Eltern wahrnahm, war der Streit ums Geld oder um unsere Erziehung. Auch meine Mutter konnte mir keine Leichtigkeit vermitteln. Sie mühte sich jahrelang ab, um uns Kinder ohne Geld durchs Leben zu bringen. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, sehe ich meine Mutter immer nur in durchgeschwitzten Kittelschürzen und farblosen Haaren. Geld für Kleider oder gar den Luxus eines Friseurbesuches hatte sie selten.

Indessen gönnte sich mein Vater jedes Jahr vier Wochen Urlaub ohne Familie, um sich von seinem anstrengenden Beruf zu erholen. Schließlich hat er das ganze Jahr Kinder um sich, eigene und fremde. Da konnte er das im Urlaub nicht auch noch gebrauchen. Er hat immer Fahrradurlaub gemacht. Er durchquerte mit seinem Fahrrad und zwei Satteltaschen halb Europa. Einmal, als ich 13 Jahre alt war, durfte ich für eine Woche mit. Das war ein tolles, unvergessliches Erlebnis.

Meine Mutter hat oft noch nebenher gearbeitet und manchmal machte sie auch Heimarbeit. Das war sicher nicht einfach für sie, zumal es damals in unserem Haushalt noch keine elektrischen Hilfsmittel gab.

Lange Zeit hatten wir nicht einmal eine Waschmaschine. Die Wäsche wurde auf dem Herd in einem großen Topf gekocht, oder im Keller mit einem Waschbrett gewaschen. Da ich die Älteste war, habe ich, ohne dass es jemand gefordert hätte, die Verantwortung für den Haushalt und für meine Geschwister mit übernommen. Verantwortung für andere übernehmen konnte ich schon damals gut. Das war etwas ganz Selbstverständliches für mich. Wahrscheinlich habe ich deshalb nicht gemerkt, dass ich 30 Jahre lang die Verantwortung für meinen Mann übernommen habe.

Das Kennenlernen

Drei Monate nach meiner Konfirmation, ich war 14 und noch komplett unerfahren und in keinster Weise aufgeklärt (Sex und alles was damit zusammenhing, war ein Tabuthema bei uns zu Hause), bin ich Dieter zum ersten Mal begegnet. Er muss wohl gerade frisch aus dem Gefängnis gekommen sein, denn ich hatte ihn bis dahin noch nie in unserer kleinen Stadt gesehen.

Ich war in der Abenddämmerung auf dem Weg nach Hause und er kam mir entgegen. Als wir auf gleicher Höhe waren, schnipste er mir seine Zigarettenkippe vor die Füße, lachte mich an und sagte so was wie: „Hallo Kleine!“. Seitdem ging er mir nicht mehr aus dem Kopf. Noch heute wird mir ganz warm, wenn ich daran zurückdenke.

Wir hatten eine Eisdiele in unserer Stadt, in der ich mich oft mit Freunden traf. Eines Tages sah ich ihn dort wieder.

Er saß mir schräg gegenüber und ich merkte, wie er mich beobachtete.

Ich schaute immer öfter neugierig und fasziniert zu ihm hinüber. Meine Freunde sagten: „Der schaut dich immer an, der will was von dir!“

Irgendwann spielten wir zusammen Tischfußball und er drückte auf der Musikbox immer wieder das gleiche Lied. Als ich an diesem Abend nach Hause ging wusste ich, ich bin verliebt. Nach ein paar Tagen fragte er mich: „Willst du mit mir gehen?“ Ich weiß heute noch ganz genau, wie ich mich damals fühlte; tausend Schmetterlinge flatterten durch meinen Bauch. Ich dachte, was will dieser Kerl ausgerechnet von mir?

Und ich dachte an meine Eltern!!!!!

Ich wusste gleich, wenn ich ja sage, kommen Probleme auf mich zu. Aber es war schon zu spät!

Ich war damals sehr schüchtern und ohne Selbstbewusstsein (daran hat sich übrigens bis heute nicht viel geändert), außerdem zierte man sich damals als Mädchen noch etwas und so sagte ich ihm, ich überlege es mir. Einige Tage später trafen wir uns zufällig in der Stadt. Mein Herz klopfte so wild. Er kam auf mich zu und fragte: „Wie hast du dich entschieden?“

Wenn ich heute darüber nachdenke, war es damals schon genau wie heute. Mein Verstand sagte NEIN, aber mein Gefühl rief ganz laut JAAA. Also sagte ich nur ein Wort: positiv. Er schaute mich an, wir wechselten ein paar Worte und er ging weiter.

Später hat er mir etwas verschämt gestanden, das er nicht wusste was positiv bedeutet und sich erst mal schlau gemacht habe. Da ist zum ersten Mal ein Teil von seiner coolen Fassade abgebröckelt und es kam etwas von einem sehr liebenswerten, verletzlichen Menschen zum Vorschein. Von da an waren wir zusammen.

Heute weiß ich, damals mit 14 Jahren habe ich mein Leben aufgegeben noch bevor es richtig begonnen hat. Ich habe meine Seele verkauft für diesen Mann.

Und heute, 30 Jahre später, wird mir schmerzlich bewusst, dass ich gar nicht weiß wer ich bin.

Wenn man immer nur für andere lebt, nimmt man sich selbst irgendwann gar nicht mehr wahr, bis man irgendwann ganz verschwunden ist. Ab und zu hat mein Körper ganz massiv versucht auf sich aufmerksam zu machen, bis hin zu lebensbedrohlichen Dingen. Aber ich habe alles sehr konsequent ignoriert.

Wir waren jetzt also ganz offiziell zusammen. Das heißt, dass wir auch händchenhaltend durch die Straßen liefen. Man kann sich denken, dass es von Anfang an keine unbeschwerte Jugendliebe war. Und als uns zum ersten Mal eine Frau entgegenkam, die Mitglied im Kirchenchor meines Vaters war, wusste ich, jetzt hat der Kampf begonnen! Es dauerte auch nicht lange bis mich meine Eltern darauf ansprachen. Ich weiß nicht, ob mein Vater sich mehr Sorgen um mich oder um seinen „guten Ruf“ machte. Meine Eltern versuchten jedenfalls (was ich heute als Mutter sehr gut nachvollziehen kann), mir diese Freundschaft auszureden, doch als das nichts nützte, haben sie mir den Umgang mit diesem Mann verboten. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie jemals versucht hätten, mit mir vernünftig darüber zu reden, oder gar Dieter zu einem Gespräch einzuladen. Es kamen immer nur Vorwürfe, Verbote oder die hilflosen Versuche, mich mit Hausarrest und dergleichen zur Vernunft zu bringen. Ich kann mich erinnern, dass einmal sogar eine Frau vom Jugendamt da war um mit mir zu reden. Aber es hat alles nicht geholfen. Im Gegenteil – je mehr alle dagegen waren, umso mehr habe ich gedacht: Euch zeig ich´s und umso größer wurde meine Liebe.

Wir hatten keine Freunde. Dadurch, dass ich nur auf diesen Mann fixiert war, war mir natürlich die Möglichkeit genommen einen vernünftigen Freundeskreis mit Gleichaltrigen aufzubauen. Und Dieter hatte auch keine Freunde. Nur ein paar wilde Typen, die immer um ihn herum waren. Das wurde dann mein Umgang und da habe ich mich eigentlich auch ganz wohl und dazugehörig gefühlt. Aber ich habe immer in zwei Welten gelebt und das hat mich sehr belastet, auch wenn es mir damals nicht so bewusst war. Ein paar Wochen nach unserem Kennenlernen war ich mit der Schule fertig und es stellte sich die Frage nach meiner beruflichen Zukunft. Ich wollte Kinderkrankenschwester werden.

Da ich aber noch 14 Jahre alt war und diese Ausbildung erst mit 18 beginnen konnte, musste ich vier Jahre überbrücken. Was sollte ich tun? Das war ein Thema, über das ich mit Dieter nicht reden konnte. Eigentlich konnte ich mit ihm über gar kein Thema reden. Schon gar nicht über mich persönlich, weil er sich im Grunde gar nicht für mich und mein Wohlergehen interessierte. Für ihn war nur wichtig, dass ich mich so benahm und so lebte, dass er keinen Nachteil davon hatte. Sein Ego, seine verkümmerte Seele und sein Körper wollten befriedigt werden. Wenn das gegeben war, war es ihm im Grunde egal, wie es mir ging und was ich fühlte. Aber das alles habe ich – wie bereits gesagt – damals noch nicht so wahrgenommen.

Schon kurz nachdem wir zusammenkamen, gab er mir zu verstehen, dass wenn man zusammen geht, auch miteinander schläft. Ich war wahnsinnig verliebt in ihn und auch ein bisschen neugierig auf das, was da wohl kommt, denn ich war ja noch unerfahren. Außer ein bisschen knutschen und fummeln mit anderen Jungs war da noch nichts. Ich wusste auch nur aus der „BRAVO“ etwas über die Anatomie des Mannes. Und selbst die „BRAVO“ musste ich heimlich lesen. Für meinen Vater war das eine Schundzeitschrift, die er uns Kindern verboten hatte. Aber andererseits war ich noch gar nicht soweit, mit einem festen Freund richtigen Sex zu haben. Ich merkte, dass ich dazu noch zu jung und noch nicht bereit war. Ich hatte viel eher das Bedürfnis andere Dinge mit ihm zu erleben und vor allem mehr mit ihm zu reden, um ihn besser kennenzulernen. Im Stillen habe ich wohl auch gehofft, dass er sich mal mit der Situation in meinem Elternhaus auseinandersetzt und mit mir darüber redet, wie es mir dabei geht. Aber ich wollte ihn auch nicht enttäuschen oder gar verlieren. Und so sagte ich nicht Nein, sondern bat ihn um etwas Zeit. „Wie lange?“ fragte er.

Ich überlegte kurz wie viel Zeit wohl angemessen war, um nicht als verdorben zu wirken und entschied mich dann für drei Monate. Ihn muss diese Zeitangabe wohl sehr geschockt haben, denn er hat mich entsetzt und ungläubig angeschaut.

Ich ließ mich erst mal nicht davon abbringen. Natürlich hat es dann bis zum ersten Mal keine drei Monate gedauert. Denn – wie schon gesagt – seine Bedürfnisse waren wichtiger als meine. Unser erstes Mal fand in seinem Zimmer statt und war eine einzige Katastrophe. Ich war bis dahin zwei- bis dreimal bei ihm zu Hause gewesen. Die Diskrepanz zwischen unseren beiden Familien war riesig. Was sich in dieser kleinen, schmuddeligen Wohnung und in dieser Familie so alles abspielte, wusste ich damals noch nicht. Ich spürte nur, diese Menschen können nicht glücklich sein. Aber davon später…

Zurück zu unserem ersten Mal. Ich weiß noch, ich war sehr unsicher, total verklemmt und wusste überhaupt nicht was ich jetzt eigentlich machen sollte. Ich habe mich fast zu Tode geschämt. Aber Dieter hat sich – zumindest in dieser Beziehung – als sehr vorsichtig, sensibel und einfühlsam bewiesen. Er hat das Zimmer abgedunkelt, Musik angestellt und war sehr zärtlich und vorsichtig. Für mich war es einfach nur schrecklich. Kein Mensch hat mich auf das vorbereitet was dann kam. Ich habe die ganze Zeit bewegungslos dagelegen und als ich irgendwann etwas Feuchtes zwischen meinen Beinen spürte, wäre ich vor Scham fast im Erdboden versunken. Aber so ganz falsch kann es nicht gewesen sein, denn es kam keine Kritik. Nur ein zärtliches „Ich liebe Dich.“ Ich hätte gerne mal irgendwann mit ihm darüber geredet, aber ich habe nie gelernt über irgendetwas zu reden. In meiner Familie wurde entweder kritisiert oder totgeschwiegen. Man redete über Geld, Schule, Beruf oder Hausarbeit, aber niemals über Gefühle, Bedürfnisse oder Sex, zumindest nicht in der Gegenwart von uns Kindern.

Mein Mann hatte sowieso selten das Bedürfnis über irgendetwas zu sprechen, es sein denn, um sich Vorteile zu verschaffen. Dann konnte er mit seinen Worten Steine zum Schmelzen bringen.

Auch Verhütung war nie ein Thema. In dieser Zeit habe ich meinen Schutzengel sehr überstrapaziert. Viele Jahre ungeschützten Sex, ohne dass etwas passiert ist.

Doch…. einmal mit 15 hatte ich eine Fehlgeburt. Allerdings wusste ich das damals nicht und es hat mir auch nie jemand erklärt. Ich weiß noch, dass der Arzt im Krankenhaus meine Mutter damals lauthals als verantwortungslos beschimpft hatte und sie genauso laut zurückgebrüllt hatte, aber ich wusste nicht um was es ging. Erst viel später wurde mir klar, was damals mit mir los war, aber wie gesagt, hat niemand mit mir darüber geredet.

Auch danach hat keiner mit mir über Verhütung gesprochen, nach dem Motto: Das nicht sein kann, was nicht sein darf!

Wenn ich heute so zurückdenke, hat fast unsere ganze Freizeitgestaltung aus Schmusen und Sex bestanden. Ich hatte nicht sehr viel Freizeit damals. Ich durfte am Wochenende bis 22:00 Uhr raus und mittwochs bis 20:00 Uhr. Meistens haben wir diese Zeit nur genutzt um miteinander zu schlafen. Mein Mann war natürlich sehr erfahren in diesen Dingen und hat mir sehr behutsam alles beigebracht was Spaß macht und dazu gehört. Er war sehr zärtlich und phantasievoll. Im Laufe der Zeit habe ich auch Gefallen daran gefunden, doch es hat noch sehr lange gedauert bis ich mich dabei entspannen konnte. Einmal habe ich versucht mit ihm darüber zu reden, dass unser Liebesleben nicht sehr spontan sei. Es war so vorprogrammiert. Immer mittwochs, samstags und sonntags und wenn ich außer der Reihe mal Ausgang hatte - ging´s auch noch ins Bett. Ich sagte: „Wir können doch auch mal was anderes unternehmen.“ Er wurde sehr ärgerlich: „Ich kann doch nix dafür, wenn du sonst nicht raus darfst!“ schnauzte er mich an.

Ich glaube, es ist ihm nie in den Sinn gekommen einen Abend mit mir zu verbringen ohne dass wir ins Bett gegangen wären. Ich habe dann nie wieder davon gesprochen, denn ich wollte ihn nicht verärgern. Außerdem hatte ich ja keinen Maßstab und dachte wahrscheinlich das müsste so sein.

Erst viel später wurde mir bewusst, dass für ihn die sexuelle Befriedigung oberste Priorität hatte und heute noch hat. Natürlich braucht jeder Mensch das Gefühl geliebt zu werden, aber mein Mann ist davon abhängig.

In seiner Seele lebt immer noch das Kind, das bei seinem Vater vergeblich nach Zuneigung gesucht hat. Bei ihm ist es deshalb zur Sucht geworden. Um diese Sucht zu befriedigen, spielt er rücksichtslos mit den Gefühlen aller Beteiligten.

Zu seiner Familie

Manchmal saßen wir auch bei seiner Mutter in der Küche und haben geredet. In diesen Momenten habe ich sehr viel über die Familie und ihre Lebensweise erfahren. Seine Mutter war eine ganz liebe Frau, die ihr ganzes Leben lang sehr unter ihrem gewalttätigen Mann gelitten hat.

Die schwere Last die sie zu tragen hatte, drückte sie so nieder, dass sie ganz krumm wurde und ihre Schultern zum Schluss fast im rechten Winkel zu ihrem Unterkörper stand. Ich habe sie sehr gern gehabt und ich habe oft versucht ihr ein bisschen beizustehen, indem ich einfach nur bei ihr gesessen und mit ihr geredet habe.

Später habe ich manchmal für sie geputzt oder eingekauft, während andere Mädchen in meinem Alter ausgingen und ihren Spaß hatten. Aber darüber habe ich nie nachgedacht. Ich habe mich einfach wohl gefühlt in ihrer kleinen schmutzigen Küche.

Mein Mann hatte noch drei Geschwister. Sein jüngster Bruder war in einem Erziehungsheim, seine Schwester war verheiratet und sein älterer Bruder arbeitete damals irgendwo in einem Kohlebergwerk im Ruhrgebiet. Alle Kinder, einschließlich meines Mannes, waren Alkoholiker und kamen mit ihrem Leben nicht zurecht. Sie wurden alle geprägt von ihrem Vater, der in der Familie nur Angst und Schrecken verbreitet hat. Er war nie faul. Er hat sein Leben lang gearbeitet und Geld für seine Familie verdient. Dafür hat er sich aber auch das Recht herausgenommen zu trinken und im Suff seine Familie zu verprügeln oder auf andere Art zu tyrannisieren oder zu quälen.

Anerkannt war bei ihm nur wer saufen, prügeln oder klauen konnte ohne sich erwischen zu lassen. Andererseits konnte man aber für genau diese Dinge bestraft werden, wenn es ihm gerade in den Sinn kam. Dinge wie Liebe, Zärtlichkeit, Verantwortung oder das Ausleben von positiven Gefühlen gab es nicht in dieser Familie.

Unser Leben

(1. Teil)

Wäre ich etwas älter gewesen oder zu Hause besser auf das Leben vorbereitet worden, hätten bei mir wahrscheinlich alle Alarmglocken geläutet. Aber so habe ich in meiner Naivität gedacht, wir lieben uns und allein durch diese Liebe wird alles besser. Ich habe alles durch eine rosarote Brille gesehen. Aber ich habe auch damals schon den sanften, verletzlichen und sehr sensiblen und nach Liebe schreienden Dieter gespürt, der durch die psychische und physische Gewalt seines Vaters diese Eigenschaften tief in sich verkapselt hat. Ich habe geglaubt, durch meine Liebe zu ihm würde er seine Vergangenheit bewältigen können und zu dem Menschen werden, den er tief in sich versteckt hat. Das war natürlich ein Trugschluss.

Heute, nach 30 Jahren weiß ich, dass seine Seele schon zu sehr gelitten hatte, als das ein 15-jähriges Mädchen sie mit Liebe allein hätte retten können. Ich weiß bis heute noch nicht, wie er das damals alles gesehen hat. Hat er auch von einem anderen Leben geträumt? Oder hat er mich von Anfang an bewusst dazu missbraucht seine Wunden zu lecken? Hat er mich 30 Jahre lang belogen, wenn er versprach etwas zu ändern, nur um mich zu halten, obwohl er gar nicht wusste was er ändern sollte? Oder war ihm sehr wohl bewusst was mit ihm nicht stimmte und er hatte nur keine Kraft und keine Lust sein Leben in den Griff zu bekommen? Damals jedenfalls war ich einfach nur verliebt und habe ihn gegen jeden verteidigt, der versucht hat, mir die Augen zu öffnen.

Ich habe mir damals schon von ihm wehtun lassen und er hat mich sehr oft verletzt. Ich habe alles hingenommen und nie jemandem davon erzählt, um ihn nicht in einem schlechten Licht dastehen zu lassen. Lieber habe ich still gelitten. So war er zum Beispiel oft nicht da, wenn wir verabredet waren, oder aber er hat nach Alkohol stinkend seinen Rausch ausgeschlafen und hat gar nicht registriert, dass ich da bin. Das war für mich dann umso schlimmer, weil ich zu Hause oft wie eine Löwin gekämpft habe, um zu ihm zu kommen. Ich bin dann traurig wieder nach Hause gegangen, nur um am nächsten Tag wieder vor seiner Tür zu stehen. Jede Ausrede und jede Lüge von ihm war mir recht, wenn wir nur zusammenblieben. Ich war damals sehr stolz seine Freundin zu sein. Genauso wie ich auch heute noch stolz bin, seine Frau zu sein. Er ist heute noch ein ganz besonderer Mensch für mich, aber er schafft es nicht, seine Vergangenheit aufzuarbeiten, um ein freier Mensch zu werden. Nicht für sich selbst, nicht für seine Kinder und auch nicht für unsere gemeinsame Zukunft.

Ein Erlebnis von früher ist mir noch ganz besonders gut in Erinnerung: Wir hatten uns, was nicht oft vorkam, in einer Diskothek verabredet. Ich war im Bad um mich zum Ausgehen fertig zu machen.

Meine Mutter kam rein und sagte: „Du brauchst gar nicht weitermachen, du gehst heute Abend sowieso nicht weg. Pfui Teufel, dich so aufzudonnern, für so einen Kerl.“

Ich habe gedacht die Welt stürzt ein. Ich hatte mich so auf diesen Abend gefreut. Endlich mal was anderes als nur zusammen ins Bett zu gehen. Ich habe alles versucht, aber es war zwecklos.

Sie haben mich in meinem Zimmer eingesperrt. Ich war verzweifelt. Wenn man bedenkt, dass ich bis auf meine heimlichen Treffen mit Dieter eine sehr brave, fleißige und angepasste Tochter war, kann man vielleicht ermessen, was es bedeutete, was ich dann getan habe. Mein Zimmer lag über einer Garage. Ich bin mit dem Mut der Verzweiflung aus dem Fenster gesprungen. Zum ersten Mal habe ich mich ganz offen aufgelehnt. Ich bin dabei Tausend Tode gestorben, aber nichts war mir wichtiger als mit diesem Mann zusammen zu sein. Danach lief ich ca. 1 km auf dunklen einsamen Straßen zum Bahnhof (ich wäre auch 10 km gelaufen). Ohne Geld und ohne Fahrkarte fuhr ich mit dem Zug in den nächsten Ort zur Diskothek. Mein Herz klopfte wie wild. Gleich würde ich bei ihm sein. Ich machte die Tür zur Disco auf und nach kurzem Suchen fand ich ihn. Er war betrunken, hatte eine andere Frau im Arm, grinste mir höhnisch ins Gesicht und sagte: „Du kommst zu spät. Ich kann dich heute nicht gebrauchen. Geh nach Hause - kleine Mädchen gehören um diese Zeit ins Bett.“

Ich spüre heute noch wie ich mich damals gefühlt habe. Ich stand wie unter Schock und dachte, das ist das Ende der Welt. Der Mann für den ich gestorben wäre, hat mich in aller Öffentlichkeit gedemütigt.

Irgendwie bin ich zurück nach Hause gekommen.

Das war der Abend an dem ich klingeln musste, weil ich keinen Schlüssel dabei hatte. Ich weiß nicht mehr, was mehr weh getan hat, die Prügel meines Vaters oder die Demütigung meines Freundes.

Zwei Dinge von diesem Erlebnis sind übrigens sehr bezeichnend für meine Beziehung zu meinem Mann bis heute.

Bei meiner Aktion, vom Sprung aus dem Fenster bis zum öffnen der Tür der Diskothek, habe ich weniger daran gedacht, was es für Konsequenzen für mich hat, vielmehr habe ich mich die ganze Zeit gesorgt, dass mein Freund auf mich wartet. Es war für mich viel wichtiger, ihn zufrieden zu stellen, als an meine Bedürfnisse zu denken. Schon damals bin ich nicht auf die Idee gekommen, dass er mit so einer Situation erwachsen umgehen kann. Das mag für viele nicht nachvollziehbar sein, aber ich denke, das ist das typische Verhalten, das ein schwacher, suchtkranker Mensch in seinem Partner hervorruft. Der andere ist ja krank und schwach, also muss man selber bis über seine Grenzen hinaus funktionieren, um alles auszugleichen. Er kann ja nichts dafür. Das zweite ist, dass er mich maßlos verletzt und enttäuscht hat und ich ihm bedingungslos verziehen habe.

Es entzieht sich komplett meiner Erinnerung, was in den Tagen darauf abgelaufen ist, aber Tatsache ist, ich bin bei ihm geblieben. Es kamen aber noch sehr, sehr viele Verletzungen und Demütigungen. Ich habe sie alle hingenommen, entschuldigt und verziehen. Aber jede einzelne hat eine Narbe hinterlassen.

Mein Berufswunsch Kinderkrankenschwester zu werden hat sich nicht erfüllt. Ich habe ein Praktikum in einem Kinderkurheim in der Nähe begonnen. Dort hatte ich zwar ein Zimmer, aber wenn ich frei hatte wohnte ich zu Hause.

Meine Eltern waren wohl ganz froh, dass ich etwas aus der Schusslinie war und unter Aufsicht stand, denn die Kontrollen und Bestimmungen in diesem Hause waren sehr streng.

Übrigens auch der Umgang mit den kranken Kindern. Es gab dort einige gewalttätige Schwestern. Manchmal war es für mich kaum auszuhalten, wenn ich mit ansehen musste, wie die Kinder (zu ihrem eigenen Wohl natürlich) gequält wurden. Unterernährten Kindern wurde das Essen mit Gewalt in den Mund gestopft. Wenn sie würgten oder sich erbrachen, wurde das ignoriert oder es wurde einfach weitergemacht. Ein paar Mal habe ich zaghaft versucht diese Dinge zu kritisieren, aber ich war ja nur eine kleine Praktikantin, die keine Ahnung vom Umgang mit Kindern hatte. Auch zu Hause hat mich keiner richtig ernst genommen, wenn ich versucht habe davon zu erzählen. Abgesehen hiervon hat mir die Arbeit mit den Kindern großen Spaß gemacht.

Dieter hat mich dort ein paar Mal besucht, aber er kam natürlich nicht in das Gebäude rein. Wir standen im Garten und haben uns unterhalten. Manchmal gingen wir auch spazieren. Natürlich wurde das alles von der Heimleitung beobachtet und in meiner Akte vermerkt. Man muss sich das mal vorstellen, so ein nettes junges Mädchen und so ein wilder Kerl mit Elvis - Tolle, Lederjacke und Cowboystiefeln.

Dieter hatte damals noch keinen Führerschein, kam aber einmal mit einem Freund in dessen Auto um mich nach Feierabend abzuholen. Ich hatte nach Arbeitsende noch bis 22:00 Uhr Ausgang.

Wir fuhren zu ihm nach Hause und machten das, was wir immer machten: Wir gingen ins Bett. An diesem Abend überredete er mich bei ihm zu bleiben. Wir hätten noch nie eine ganze Nacht für uns gehabt und am nächsten Morgen würde ich pünktlich in der Klink sein, hatte er mir versprochen.

Es wurde dann auch eine sehr schöne Nacht, obwohl mich die ganze Zeit mein schlechtes Gewissen plagte. Aber um solche Nebensächlichkeiten machte sich Dieter keine Gedanken. Er hatte mich die ganze Nacht. Was das für mich bedeutete war nicht wichtig.

Ich kam am nächsten Morgen wirklich pünktlich vor Dienstbeginn in der Klinik an - aber die Leiterin hatte mich gesehen. Da ich total übernächtigt war, habe ich mich auf aufs Bett gelegt und bin eingeschlafen. Natürlich habe ich verschlafen und als die Schwester an meine Tür klopfte, war ich unfähig zu arbeiten und sagte ich hätte Kopfschmerzen. Damit war meine Karriere als Krankenschwester beendet. Meine Eltern reagierten recht gelassen. Sie haben keine große Sache daraus gemacht. Ich vermute, sie waren schon so gestresst von mir, dass sie keine Nerven für große Auseinandersetzungen hatten. Außerdem waren es immer peinliche Momente, wenn etwas Unangenehmes besprochen werden musste. Wir haben dann also gemeinsam überlegt, wie es weitergehen sollte. Ich wollte auf jeden Fall etwas Medizinisches machen und habe mich dann schließlich für den Beruf der Zahnarzthelferin entschieden. Damals war die Ausbildungssituation noch nicht so düster wie heute. Einige Wochen später hatte ich einen Ausbildungsplatz in einer etwas größeren Stadt, 40 Km entfernt. Ich hatte die richtige Entscheidung getroffen. Die Arbeit hat mir sehr viel Spaß gemacht. Mein Chef hatte seine Praxis im eigenen Haus. Er hatte zwei Kinder und wenn seine Frau mittags kochte, konnte ich gegen ein kleines Entgelt mitessen.

Den Rest meiner Mittagspause habe ich mit Spaziergängen verbracht. Manchmal bin ich auch durch die Kaufhäuser gestreift, aber viel Geld, um mir dort was zu kaufen, hatte ich nicht.

Von meinem kleinen Lehrlingsgehalt wurde ein Teil zurückgelegt für die spätere Aussteuer. Außerdem musste ich ja auch noch die Fahrkarte für den Zug bezahlen. Aber das hat mir nicht viel ausgemacht. Ich habe früh gelernt mit wenig auszukommen und das war auch gut so. Es sollte später nochmal sehr wichtig werden für mich, dass ich kein übersteigertes Konsumdenken hatte.

Irgendwann habe ich in den Kaufhäusern angefangen zu klauen. Es waren meist nur Kleinigkeiten, die ich gar nicht brauchte. Es ging mir nur um den Nervenkitzel. Heute denke ich, ich habe damit die Defizite in meinem Leben ausgeglichen. Zu dieser Zeit war mein Schutzengel wieder sehr beschäftigt, denn ich bin nie erwischt worden. Irgendwann hat mir das nicht mehr gereicht und ich habe angefangen meine Kollegin zu beklauen. Ihre Handtasche hing an der Garderobe, wo jederzeit jemand vorbeikommen konnte. Wahrscheinlich war es gerade das, was mich gereizt hat. Ich habe ihre Geldbörse aus der Tasche geholt und mir immer nur ein paar Pfennige rausgenommen. Es ging mir also nicht um das Geld, sondern wieder nur um den Reiz. Ich habe mich nicht sehr gut dabei gefühlt und ich konnte auch nicht verstehen, warum ich das mache. Irgendwann hat sie dann mal was gemerkt und ihr Kleingeld mit wasserfestem Stift markiert. Als dieses Geld bei mir gefunden wurde, war ich meine Lehrstelle los. Aber wieder hat niemand ein großes Theater gemacht oder gar die Dinge mal hinterfragt. Im Gegenteil - mein Chef hat mir noch genug Zeit gelassen mich nach einer neuen Stelle umzusehen. Und wieder hatte ich Glück. In meiner Stadt gab es eine Zahnärztin, bei der ich meine Lehre zu Ende machen konnte. Von da an war ich geheilt. Ich habe danach nie wieder geklaut.

Ein paar Wochen nach meinem Lehrstellenwechsel musste Dieter für drei Jahre ins Gefängnis. Wenn ich mich richtig erinnere, ging es um Dinge wie Einbruch, Diebstahl und Körperverletzung, die während seiner Bewährungszeit vorgefallen sind. Ich habe davon selten etwas mitbekommen. Im Verdrängen von unangenehmen Dingen war ich wohl damals schon gut. Ich habe ihm versprochen auf ihn zu warten und ihm treu zu bleiben.

Meine Liebe zu ihm war nach wie vor ungebrochen. Ich war sehr traurig als er weg war und ich hatte große Sehnsucht nach ihm. Aber da war noch ein anderes Gefühl. Damals hätte ich es nicht in Worte fassen können, heute weiß ich was es war - es war als hätte mir jemand meine Fesseln abgenommen.

Ich sagte ja schon, ich habe meine gesamte Freizeit mit ihm verbracht, habe nur für ihn gelebt und es war nicht immer einfach. Es war mir natürlich nicht bewusst, aber ich war als 15-Jährige mit diesem Mann und seinem Leben total überfordert. Jetzt, wo er weg war, konnte ich wieder frei atmen. Die Situation in meinem Elternhaus entspannte sich, weil meine Eltern natürlich davon ausgingen die Sache hätte sich damit von selbst erledigt. Ich konnte meine Freizeit wieder selbst gestalten. Ich konnte ausgehen und mit Freunden Spaß haben ohne dass mich jemand eifersüchtig beobachtete oder Besitzansprüche angemeldet hätte. Natürlich war es schon zu spät für einen „vernünftigen“ Freundeskreis. Das Leben mit Dieter hatte mich schon zu sehr geprägt. Ich konnte mit meinen ehemaligen Schulfreunden nichts mehr anfangen. Die waren mir alle zu brav und anständig und für sie war ich auch schon ein Außenseiter.

Die Leute mit denen ich zusammen war, waren auch nicht das, was sich mein Vater als geeigneten Umgang für mich vorgestellt hatte. Aber er sagte sich wohl, immer noch besser als dieser kriminelle Rocker.

Ich hatte damals eine Freundin (Monika, die übrigens heute noch meine einzige und liebste ist), die zu dieser Zeit bei den in Deutschland stationierten Amerikanern verkehrte. Manchmal bin ich mit ihr gefahren, wenn irgendwo Partys oder Tanzveranstaltungen waren. Einmal hätte ich mich fast in einen gutaussehenden Soldaten verliebt. Aus dieser Zeit stammt wohl auch meine Liebe zum Soul. Aber ich habe bald gemerkt, dass war nicht meine Welt. Oft habe ich in dieser Zeit auch abends bei Dieters Mutter in der Küche gesessen. Immer wenn sein Vater Spätdienst hatte, habe ich sie besucht. Wir haben geredet, Fernsehen geschaut und manchmal hat sie gesagt: „Komm Kind, wir trinken einen Schnaps.“ Ich habe mich in diesen Stunden bei ihr sehr wohl gefühlt.

Ich war Dieter dann immer ganz nah. Natürlich ist der Kontakt zu ihm nicht abgebrochen. Wir haben uns regelmäßig glühende Liebesbriefe geschrieben. Von ihm kamen wunderschöne Gedichte und herrliche, selbstgemalte Bilder.

Er hat mir in seinen Briefen von seinem Leben im Knast erzählt und er hat mir versprochen, er holt mir die Sterne vom Himmel, wenn er wieder draußen ist. Ich habe ihm jedes Wort geglaubt. Ich hielt mich für das glücklichste Mädchen unter Gottes weitem Himmel.

Kurz bevor ich Dieter kennen lernte machte meine Mutter mit meinen Geschwistern und mir Urlaub. Es war ein kleiner Ort in der Rhön. Wir wohnten in einem kleinen Gasthof, in dem abends die Dorfjugend verkehrte. Dort habe ich einen Jungen kennen gelernt den ich sehr süß fand. Er war zwei Jahre älter als ich und ich habe ihm wohl auch gefallen, denn er hat mich immer angelächelt. Was zwischen uns stattgefunden hat, waren die ersten zaghaft aufkeimenden Gefühle zwischen zwei unschuldigen Kindern.

Wir hatten uns ein bisschen ineinander verliebt. Wieder zurück aus dem Urlaub habe ich immer mal wieder an ihn gedacht, aber es waren nur flüchtige Gedanken. Eine schöne Urlaubserinnerung eben.

Im Sommer meines 15. Lebensjahres (Dieter war im Gefängnis), bin ich auf die Idee gekommen wieder in diesem kleinen Ort Urlaub zu machen. Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr begeisterte mich dieser Gedanke. Nur, wie bringe ich das meinen Eltern bei. Ich war ja erst 15. Sie ließen mich nie im Leben alleine verreisen. Nach längeren Diskussionen willigten sie zu meiner großen Überraschung schließlich ein. Sie wussten, ich bin bei den Wirtsleuten gut aufgehoben und sie dachten wohl auch, dass mich dieser Urlaub endlich ein Stück von Dieter wegbringen würde. Denn sie wussten, dass wir uns schreiben und haben alle seine Briefe heimlich gelesen.

Ich war sehr aufgeregt. Was dieser Junge wohl machte? Ob er mich noch kannte? Endlich war es soweit.

Ich weiß nicht mehr wer mich hinbrachte, jedenfalls wurde ich mit meinen Koffern an der Rezeption abgegeben, mit der Bitte, gut auf mich aufzupassen.

Genau wie beim letzten Mal kamen gegen Abend alle jungen Leute auf der Terrasse des Gasthofes zusammen. Ich gesellte mich dazu. Sie kannten mich alle noch und freuten sich mich zu sehen. Alle waren da, bis auf einen.

Ich fragte ganz beiläufig: „Gibt es den Harry noch?“ Sie grinsten und sagten: „Ja, der kommt auch noch, na der wird Augen machen.“