Wohin gehen wir, mein Herz - Andrea Popp - E-Book

Wohin gehen wir, mein Herz E-Book

Andrea Popp

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Beschreibung

Ich bin so dankbar, dass ich mich mein Leben lang nie anpassen konnte, denn sonst würde ich jetzt nicht den Mut haben und etwas anderes machen, als die anderen. Ich erzähle ihnen von meiner Reise und wie bereits viele andere, bewundern sie meinen Mut, ganz alleine in einem Land, wie diesem zu reisen. Schon erinnere ich mich an einige dumme Aussagen von Bekannten, dass Mexiko gefährlich sei. Das einzige, dass ich als gefährlich betrachte, ist in der Routine des langweiligen Lebens, dass sie alle leben, überleben zu müssen und ich frage mich erneut: „Ist man denn wirklich mutig, wenn man verzweifelt irgendwo umherirrt, einem das eigene Leben schon egal ist und man nicht weiß, wo man hingehört?“ Wenn die Leute wüssten, dass ich nicht mutig bin, sondern einfach nur verloren, oder mein Herz mir keine andere Wahl lässt, als mich ständig voranzutreiben, würden sie so etwas vielleicht nicht denken, sondern mich eher für verrückt erklären. Die Sehnsucht nach einem Zuhause tut weh und ich möchte nicht wieder ziellos umherirren mit der Ungewissheit, ob ich heute ein Dach über dem Kopf haben werde, oder nicht. Und doch habe ich keine Wahl, denn mein Herz gibt mir auf schmerzhafte Weise zu verstehen, dass es Zeit ist, weiterzugehen. Schon wieder dieses Gefühl, nicht zu wissen, wo ich hingehöre, diese Heimatlosigkeit, selbst an den Orten, an dem alles viel zu perfekt scheint.... Was hast du mit mir vor, Leben? Wohin führst du mich, mein Herz? Wohin gehen wir? Antworte mir doch, bitte! Du schweigst schon so lange. Sag mir, wann werden wir endlich ankommen? Welchen Zweck hat das? Wozu? Wo soll ich ankommen? Wie ist dieser Ort? Ist es überhaupt ein Ort? Ich habe so viel gesehen, weiß nicht mehr, was ich tun soll, an was ich glauben kann und was sich richtig und falsch anfühlt...

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Wohin gehen wir mein Herz

Titel SeiteVorwortDer AufbruchEin EmpfangsbebenTrommelschläge meines HerzensTonantzins BewährungsprobeNeue FreundeBewusstseinsreiseWild und freiEnttäuschungenEin HoffnungsschimmerTrommelndes Herz, weinendes HerzDer richtige WegGefangen im LimbusSemana Santa- Die Heilige WocheWeitergehen

Titel Seite

Wenn uns das Leben,

das alle anderen leben, nicht erfüllt

dann sind wir nicht hierhergekommen,

um es zu leben und uns anzupassen

Wir sind hier, um etwas zu ändern

Nicht, um das Alte beizubehalten

Sondern

um etwas Neues zu erschaffen

Vorwort

Was weiß ein Fisch von dem Wasser, in dem er sein ganzes Leben lang schwimmt?

Albert Einstein

Um die Wahrheit zu erfahren, musst du gegen den Strom schwimmen und den Menschen widersprechen. Wenn du es bereits heraus aus der Strömung und ans Ufer geschafft hast, betrachtest du die Welt nun aus einem völlig anderen Blickwinkel. Die Erfahrung, die du jetzt machst, kann einerseits das schönste Geschenk sein, andererseits auch sehr schmerzvoll. Doch erst wenn du jeden Schmerz gespürt und alle Tränen geweint hast, wenn sie Tropfen für Tropfen dein Herz überschwemmt haben, dann kommt die Wahrheit. Der Schmerz ist nur eine Form des Universums, dich von dem Schlafzustand, in dem du dich befindest, aufzuwecken.

In meinem vorigen Buch habe ich bereits offenbart, wie ich durch den Schmerz die größten und wichtigsten Dinge im Leben erfahren und gelernt habe. Diese Lerneinheiten haben mich befreit. Mit Mich, meine ich die Seele – die ich bin. Die Seele, die meinen Körper nutzt, um auf der Erde etwas zu bewegen.

Mein Körper hatte die Kontrolle über mich, so wie der Körper Millionen anderer Seelen. Wir denken nicht darüber nach, was wir eigentlich sind. Wir haben keine Seele, sondern wir haben einen Körper. Was wissen wir schon von dem Leben, das wir leben? Wir leben es doch nur den anderen nach, so wie wir es von ihnen gelernt haben, aber es ist mehr ein Überleben, denn in unseren Leben geht es nur darum, irgendwie am Leben zu bleiben. Es ist uns egal, ob wir unser Leben leben oder nur überleben. Nur wenige von uns suchen noch nach demwahren Glück,machen sich auf die Suche nach demSinn, dervollkommenen Erfüllungihres eigenen Herzens.

Viele haben es schon akzeptiert, so wie es ist und denken, sie sindglücklich.

Vielleicht sind sie es ja auch – auf ihre Weise, aber wie können die Routine und ein sinnloses Leben, das nur darauf ausgerichtet ist, genug Geld und Dinge zu haben, eine abenteuerlustige Seele, die sich auf den langen Weg zur Erde begab, um dort ihre Erfahrungen zu machen und

uu wachsen, glücklich machen? Wenn man immer nur dasselbe und das tut, was alle anderen auch tun?

Uns wird eingeredet, dass wir Angst vor neuen Situationen haben müssen und wir werden durch diese Angst davon abgehalten, mutig zu sein und neue Dinge auszuprobieren. Dabei sind wir doch hierhergekommen, um auf Entdeckungsreise zu gehen und enden gefangen in unseren eigenen Körpern, die durch Gedanken gesteuert werden, welche nicht mal unsere sind, sondern die, die uns von anderen von klein auf in unsere Köpfe gepflanzt wurden.

In diesem Buch erzähle ich von einer Reise.

Ich suche noch immer nach diesem besonderen Etwas, dass mein Herz zu sich ruft. Ich weiß, dass ich etwas finden muss und dass die Routine und ein „normales Leben“mich nie glücklich machen könnten.

Ich bin schnell zu der Erkenntnis gekommen,

dass es keinen Ort auf der Welt gibt,

der weit entfernt ist

Außer ich reise dieselbe Distanz

Tief in meiner inneren Welt.

Der Aufbruch

Ich liebe diese tiefen, mysteriösen Wälder, die sich hinter unserem Dorf erstrecken. Sie sind meine Zufluchtsorte, meine Familie. Sie erinnern meine Seele an ein Gefühl, dass mein Körper nicht erinnert. Ich komme immer hier her, wenn ich traurig bin, mich verloren oder alleine fühle. Mit meinen 21 Jahren habe ich viel gelernt und doch noch nichts im Vergleich zu dem, was es noch zu lernen gibt. Erinnerungen, die ich manchmal nur für Sekunden verdränge, kommen wieder hoch. Es wird dunkel und der erste Stern lässt sich blicken, als ich im hohen Gras auf einem Hügel am Waldesrand liege. Meine Arme verschränkt über meinem Kopf, betrachte ich den leeren Himmel, der sich immer mehr mit Sternen füllt. Eigentlich sind die Sterne die ganze Zeit hier, nur dass wir sie tagsüber nicht sehen können. Vielleicht sollen wir auch nicht abgelenkt werden und uns nachts, wenn wir den Tag überstanden haben, wieder daran erinnern, dass wir nicht alleine sind. Oder es ist einfach deshalb, weil das Licht zu hell für unsere Augen ist. Die erste Variante gefällt mir trotzdem besser.

Da ist eine Sehnsucht in meinem Herzen, die nicht gestillt werden kann, solange ich hier bin, aber um ehrlich zu sein, ist es nicht nur eine, sondern so viele, dass, wenn jede Einzelne ein Stern wäre, es einer Milchstraße voller Sehnsüchte gleichen würde. Die Sehnsucht nach jemandem, mit dem ich diese Momente der Einsamkeit teilen kann. Die Sehnsucht nach Antworten, nach Freiheit, nach einem Ziel vor meinen Augen, aber vor allem die Sehnsucht auf irgendeine Weise irgendetwas Sinnvolles für diese Welt zu tun und etwas finden zu müssen, das weit entfernt ist. Diese Traurigkeit all dieser Sehnsüchte in meinem Herzen fühlt sich schön an, weil ich im selben Moment weiß, dass sie eines Tages gestillt werden. Ich bin unendlich dankbar, all das so stark in mir fühlen zu dürfen.

Mit dem Gefühl der Traurigkeit kommt auch dieses unglaubliche, enorme Gefühl des wahren Glücks, das ich fühlen werde, wenn der Moment da ist, an dem ich dieses Etwas, von dem ich nicht weiß, was es ist - gefunden habe. Hier als Mensch auf dieser Erde, außerhalb von mir selbst muss ich mich auf eine Suche begeben und darauf vertrauen, dass mein Herz mir den Weg zeigt.

Tränen steigen mir in die Augen, denn heute verabschiede ich mich für längere Zeit von meinem Wald. Voller Vorfreude erzähle ich den Bäumen, was passiert ist. Mein Herz fliegt frei und glücklich neben mir her, obwohl es auch zur gleichen Zeit abenteuerlustig in meiner Brust schlägt.

Wie wird es sein, in einem anderen Land? Eine völlig andere Kultur? Eine andere Sprache? Wie werden die Menschen sein? Sind sie zufriedener, weil die Sonne immer scheint, oder sind sie genauso unzufrieden und traurig, wie die Menschen in meinem Land? Wie sind die Wälder? Oder ist es ein richtiger Dschungel? Vielleicht muss man vorsichtig sein, weil es giftige Pflanzen oder gefährliche Tiere gibt. Was ist überhaupt eingefährliches Tier? Ein Tier, das Angst vor Menschen hat und sich zu verteidigen versucht? Ich bin sicher, mir passiert nichts und ich kann dort ebenso unbekümmert in den Wäldern umherstreifen, wie hier. Wie die Natur dort wohl duftet? Wie dort ein Sonnenuntergang aussieht? Ob der Mond von dort viel größer erscheint?

Die Freude, die mein Herz mir sendet, ist unbeschreiblich. Neue Düfte, Geschmäcker, neue Abenteuer und Erfahrungen. Ich bin so dankbar, dass ich mich mein Leben lang nie anpassen konnte, denn sonst würde ich jetzt nicht den Mut haben und etwas anderes machen, als die anderen. Nein, ich würde einfach nur das gleiche tun, wie alle. Arbeiten, essen, schlafen und das Ganze immer wieder von vorne. Ich würde mich nur auf meine freien Tage und den Urlaub freuen, um mir dann klar zu werden, dass ich auch an diesen Tagen nichts Sinnvolles für diese Welt tun kann.

Meine Zukunft hängt an einem seidenen Faden, denn auch meine Pension ist nicht abgesichert, wenn ich mich nicht für so ein Leben entscheide. Ich lächle bei der Vorstellung, und auch wenn meine Zukunft an einem seidenen Faden hängt, bin ich überglücklich, dass ich bis dahin nicht mit einem starken Seil gefesselt bin. Ich möchte mein Leben nicht absichern. Dieser dünne Faden ist stark genug, denn er ist aus Hoffnung, Vertrauen und Glaube gewebt. Ich glaube noch immer an Wunder und weiß, dass noch so viele in meinem Leben geschehen werden.

Es fühlt sich gut an, so unabhängig zu sein. Auch meine Eltern stehen hinter mir und als hätten sie schon mein ganzes Leben lang gewusst, dass es irgendwann so weit sein wird, akzeptieren sie meine Entscheidung ohne sie zu hinterfragen und sind glücklich, weil ich glücklich bin.

Nein, ich sorge nicht für meine Zukunft, in dem ich mein Leben lang nur zufrieden bin und sehnsüchtig auf Urlaube oder freie Tage warte. Ich sorge für die Zukunft, indem ich für meine Gegenwart sorge, denn ich möchte nicht nur zufrieden sein, sondern von ganzem Herzen glücklich und ich weiß, dass ich das nur erreichen kann, wenn ich es schaffe, das zu finden, wofür ich hierherkam.

Wenn es keinen Beruf für mich gibt, der sich wie meine Bestimmung anfühlt, muss ich ihn erschaffen. Ich vertraue darauf, dass das Schicksal mich auf die richtigen Wege leiten wird. Ich muss es einfach nur geschehen lassen. Alles was passiert, passiert aus einem bestimmten Grund, alles macht Sinn und ich glaube fest daran, dass mein Leben einen ganz besonderen Sinn hat.

Am Flughafen in Wien verabschiede ich mich von Papa, der mich hergebracht hat. Während einer Umarmung brechen wir beide unerwartet in Tränen aus. Unsere Beziehung ist besser geworden, aber diese Distanz ist noch immer da, weil ich mich als Kind vollkommen von ihm abgeschirmt habe. Die Umarmung tut gut und ich glaube sogar, dass es unsere erste richtige Umarmung ist. Vielleicht weinen wir deshalb, oder denken wir beide, dass wir uns das erste und das letzte Mal umarmen? An so etwas möchte natürlich niemand denken, aber seine Gedanken kann man nicht kontrollieren. Ich zumindest nicht.

Ich durchquere den Bereich, in den er nicht mehr mitkommen darf, drehe mich ein letztes Mal um und winke ihm lächelnd zu. Wie lange er wohl noch so dastehen wird? Ich weiß, dass er sich Vorwürfe macht, da er fast mein ganzes Leben verpasst hat, aber dank ihm, fehlte es mir nie an materiellen Gütern.

Ich mache mich auf den Weg zu meinem Gate, höre dabei wie immer eine traurige Melodie, die mich an so viele schöne Momente erinnert. Jetzt beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Ich vertraue darauf, dass alles gut wird, fühle mich beschützt und geborgen.

Die Türen des Flugzeugs schließen sich. Mein Herz rast aufgeregt. Ganz kurz kommt der Gedanke in mir hoch, dass ich vielleicht nur versuche, wegzulaufen und die Sehnsucht meines Herzens als Ausrede dafür benutze.

»Herzlich Willkommen auf dem Flug nach Mexiko City über Frankfurt«, begrüßt der Pilot die Passagiere. Ich kann ein unkontrolliertes Lächeln nicht vermeiden und noch immer nicht glauben, was ich hier mache. Ich spreche kein Wort Spanisch und fliege gerade in ein Land, in dem nur Spanisch gesprochen wird. Es muss aber auch ganz schön sein, das sinnlose Gerede der Leute mal nicht zu verstehen.

In dem Au-pair Portal, in dem ich mich angemeldet habe, erhielt ich vor drei Wochen eine Nachricht einer deutsch - mexikanischen Familie. Sie möchten, dass ich zu ihnen in die Berge nach Mexiko komme und dort ihre ein Jahr alte Tochter vier Stunden am Tag betreue. Dafür bekomme ich Unterkunft, Essen und ein kleines Taschengeld. Diese Menschen haben dort in den Bergen ein spirituelles Rückzugszentrum aufgebaut.

Ich kann mein Glück kaum fassen und jetzt schon kaum erwarten, die Berge und Wälder dort zu erkunden und auf Entdeckungsreise zu gehen.

Das Flugzeug hebt ab. Ein Lächeln ziert mein Gesicht und Tränen meine Augen, als ich vom Fenster die immer kleiner werdende Landschaft beobachte. Dort unten ist so viel, das ich so sehr liebe, aber an dem ich nun nicht mehr hänge.

Meine Eltern, die immer für mich da sind und sich mir kein einziges Mal in den Weg gestellt haben, meine kleine Schwester, die böse auf mich ist, weil ich sie alleine zurücklasse, mein Bruder, der sein Leben lebt und mit dem ich schon fast fünf Jahre keine Worte außer »Hallo« und »Tschüss« gewechselt habe. Meine liebste Freundin, die auf eine ganz andere Weise Teil meiner Familie ist. Wie sehr ich mir oft diese Zeit zurückwünsche, um jede Sekunde ganz langsam und intensiv zu genießen. Ich würde viel dafür geben, nur einmal noch so Lachen zu können, dass mir danach tagelang die Bauchmuskeln wehtun. Dann ist da noch ein Teil meiner Seelenfamilie, den ich auf eine ganz besondere und seltsame Weise liebe. Doch alles, was ich tun kann, ist zu hoffen, dass diese Seelen auf ihrer Reise glücklich sind. Die Erinnerung an alles, was ich so sehr liebe und jetzt zurücklasse, löst etwas schmerzlich Schönes in mir aus.

Auch der Schmerz ist ein Gefühl, für das wir dankbar sein müssen. Ich habe das Loslassen schon gelernt, aber jetzt muss ich es in dieser Realität umsetzen und es ist nicht einfach, aber es kann ein schöner Prozess sein, wenn man diese Lerneinheiten zu schätzen weiß.

Alles, was ich liebe, ist immer bei mir, erinnere ich mich.

Es gibt keine Trennung, keine Entfernung. Die Liebe ist überall und man kann sie nicht verlieren. Das Leben wird mich immer wieder daran erinnern, wenn ich es vergesse. Doch es zu leben ist schwieriger, als es zu wissen und deshalb tut es noch immer weh, obwohl ich weiß, dass ich das einzig Richtige mache. Es tut mir weh, sie alle zurückzulassen, aber ich muss jetzt mein Leben leben. Ich muss mich jetzt auf diese Reise begeben. Auf die Suche, nach dem Warum.

Warum hat mein Schicksal mich in dieses Flugzeug gesetzt? Ich kann es kaum erwarten, es herauszufinden.

Wann wird der große Moment da sein, an dem ich es endlich wissen werde? Was ist es, dass ich finden muss und die Sehnsucht meines Herzens endlich stillt?

Nach 18 Stunden Flug und einmal umsteigen kommen wir endlich in Mexiko City an. Ich bin erleichtert und zur gleichen Zeit nervös, denn ich habe mit dieser Familie zwar auf Skype eine Videounterhaltung geführt, aber vergessen, wie sie aussehen. Wenn ich doch nur ein Erinnerungsvermögen für Gesichter hätte!

Ich erinnere mich an meine Lehre im Baumarkt, als mich die Kunden etwas fragten, ich danach zu einem Mitarbeiter ging, um die Information einzuholen und als ich den Kunden dann wieder suchte, nicht mehr wusste, welcher es war. Menschen sehen aber auch alle gleich aus. Niemand hat mehr den Mut, anders zu sein.

Auf den Gängen am Flughafen stehen immer wieder Mitarbeiter, die für die Sicherheit verantwortlich sind.

Ihre Hautfarbe ist dunkel und sie haben einen großen Grinser im Gesicht, als sie mich und die anderen Passagiere empfangen.

Die ganze Zeit werde ich wie ein Familienmitglied begrüßt und angelächelt und kann es kaum glauben, welche Freude es in meinem Herzen auslöst. Die Menschen in meinem Land sind nicht so offen und herzlich.

Ich fühle, etwas, dass ich schon lange nicht mehr gefühlt habe. Dieses Gefühl, dass ich hier richtig bin und welches mich ungemein erleichtert.

Als Einzige von allen Passagieren, die mit mir von Bord gegangen sind, lächle ich glücklich und etwas verlegen zurück. Was ist denn mit den anderen? Warum sind sie so ernst? Freuen sie sich nicht über diese herzlichen Menschen an jeder Ecke?

Ich verstehe zwar kein Wort, aber ich mag die Mexikaner jetzt schon. Sie sind anders und ich maganders. Es wird sicher ein Riesenspaß, sich mit ihnen mit Händen und Füßen zu unterhalten.

Ich kenne nichts von dieser Welt, außer mein eigenes Land. Alles, was jetzt auf mich zukommt, sind neue Erfahrungen und ich bin so dankbar dafür, denn seitdem dieser Druck auf mir lastete, einen Job finden zu müssen, fühlte ich, dass ich stecken blieb, weil ich nichts mehr gelernt habe. Ich dachte, ich weiß schon alles, dabei weiß ich doch noch gar nichts.

Was soll ich denn schon noch großartiges in meinem Land lernen können, wenn ich so ein langweiliges Leben führe, das nur darauf ausgerichtet ist, als alter und schrumpeliger Mensch abgesichert zu sein? Ich soll mein ganzes Leben lang meine Zeit gegen Geld eintauschen, um dann nur ein paar Jährchen, die mir bleiben genießen zu können, wo ich mich danach wahrscheinlich noch nicht mal mehr bewegen kann, um das Bett zu verlassen?

Mein Pass wird abgestempelt. Das Geräusch des Stempels, der auf das Papier gedrückt wird, ist herrlich. Eine Stimme in mir ruft: »Geschafft! Jetzt geht das Abenteuer los!«

Ich verlasse die Ausgangstür und sehe viele Leute mit Schildern, die auf jemanden warten, den sie nicht kennen.

Der Anblick amüsiert mich, denn ich dachte eigentlich, dass das nur in den Filmen so wäre. Ich kenne die Welt ja nur von Filmen. Ob mein Name wohl auch auf einem dieser Schilder steht?

Ich erkenne niemanden und niemand erkennt mich, also setze ich mich auf eine Bank, warte und beobachte die Menschen. Ich erinnere mich nicht an die Gesichter der Familie und habe keinen Schimmer wie diese Leute aussehen. Verdammt! Hoffentlich erkennen sie mich.

Was ist, wenn es sie gar nicht gibt und es nur ein Scherz war? Was, wenn mich jemand entführt? Warum habe ich keine einzige Sekunde daran gedacht, dass so etwas überhaupt passieren könnte?

Ich vertraue so sehr auf meinen Schutzengel und mein Herz, die mich dorthin führen, wohin ich gehen soll, dass kein einziger negativer Gedanke es geschafft hat, zu mir durchzudringen. Ich muss weiterhin Vertrauen haben. Alles wird gut.

Ich weiß nicht, warum es weh tutHoffe nur auf ein Zeichen in deinen AugenDas mir sagt: Bleib.

Und doch weiß ich, ich würde nicht bleiben

Sondern mich auf die Suche begeben

Immer suchend

aber zu blind um es zu sehenDu warst immer da, genau neben mirIch gehe und sage auf Wiedersehen,

ich werde es niemals vergessenich glaube noch immer daran

dass eines Tages dieses Wunder geschieht

Wo kann ich hingehen, damit du mich findestWas muss ich tun, damit du mich fühlst

Was kann ich tun, um dich zu halten

So weit weg und doch so nahUnd ich weiß, du bist bei mir

Du warst schon immer da

Finde zu mir eines Tages

Wenn du bereit für ein Wunder bist

Warte ich auf dich

Unsere Herzen könnten beide gemeinsam schlagenUnd wir

wir werden einen Weg finden...

eines Tages...

Ein Empfangsbeben

Eine halbe Stunde ist vergangen, noch immer beobachte ich die Leute in der Hoffnung, ein bekanntes Gesicht zu erkennen, da spricht mich plötzlich ein Mann von der Seite an. Ja, das ist der von dem Video! Als ich ihn ansehe, frage ich mich, wie ich diese Erscheinung vergessen konnte. Fernando, der Familienvater hat graue lange Haare zu einem Zopf geflochten. Sein Aussehen erinnert mich an einen alten Indianer, obwohl seine Hautfarbe eigentlich viel zu hell dafür ist.

»Wie geht es dir? Wie war der Flug? Alles O.k.?«, fragter mich auf Englisch, da er Mexikaner ist, er kein Deutsch und ich kein Spanisch verstehe. Der Mann nimmt mir meinen Rucksack ab und ich watschle wie ein verlorenes Küken hinterher.

Als wir das Flughafengebäude verlassen, kommt eine Hitzewelle auf mich zu, wie ich sie noch nie zuvor gespürt habe. Es ist bereits 18:30 Uhr und die Sonne ist weg. Wie kann es um diese Zeit nur so heiß sein? Diese Hitze ist so angenehm, dass ich schon wieder ein Lächeln im Gesicht habe. Ja, hier könnte ich mich wohl fühlen!

Wir steigen in sein Auto und fahren los. Erst als ein kurzes Schweigen entsteht, denke ich wieder darüber nach, dass er auch ein Entführer sein könnte und alles nur gespielt war. Auch die deutsche Frau könnte eine von ihnen sein, um weiße, hübsche und leichtgläubige Mädchen anzulocken. Sogar die Kinder, die im Video mit dabei waren, könnten sie nur dafür besorgt haben. Verrückterweise denke ich jetzt sogar, dass auch, wenn es so wäre, es eben so sein soll. Es macht mich nicht nervös, diese Gedanken zu denken, im Gegenteil, ich vertraue meinem Herzen so sehr und dass es mich dorthin leitet, wo ich irgendwann ankommen soll.

Wir parken vor einem Restaurant, in dem ich nun die ganze Familie kennenlerne.

Natalie, ein acht jähriges Mädchen, ein sechs jähriger Junge, Alma, das Baby, auf das ich hauptsächlich aufpassen werde und Anna, die Mutter, die aus Deutschland kommt.

Natalie spricht relativ gut Deutsch, jedoch mit Akzent, ihr kleiner Bruder spricht gar nicht. Es ist kaum zu übersehen, dass beide Kinder in Mexiko aufgewachsen sind.

Alles scheint eigentlich ziemlichnormal.Die Familie ist echt und nicht gespielt, das erkenne ich sofort. Obwohl sie auch eine echte Familie sein könnten, die ein Spiel spielen.

»Jetzt reicht´s aber«, weise ich die Stimmen in meinen Kopf zurück und versuche das Abendessen zu genießen, obwohl ich überhaupt keinen Hunger habe und nur noch ins Bett möchte.

Wir übernachten in der Wohnung von den Großeltern in der Stadt, da wir morgen früh für ein paar Tage nachAcapulcoan den Strand fahren und es von hier aus näher ist. Von draußen hört man noch immer die Polizeisirenen. Es ist sehr laut und auf keinen Fall mit der Stille in meinem Dorf zu vergleichen. Die Luft ist anders und alles andere als rein. Auf dem Weg in die Wohnung erfuhr ich, dass die Polizei die Lichter und Sirenen die ganze Zeit über eingeschaltet lassen darf, nur um auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen. Ich dachte, es würde überall etwas passieren und schon erinnere ich mich an einige dumme Aussagen von Bekannten, dass Mexiko gefährlich sei. Das einzige, was ich als gefährlich betrachte, ist in der Routine des langweiligen Lebens, das sie alle leben, überleben zu müssen.

Noch immer zweifle ich nicht daran, dass die Entscheidung, hierherzukommen, die richtige war und langsam schlafe ich ruhig und zufrieden im leisen Wiegenlied der Polizeisirenen, die jetzt nur noch ganz weit weg zu hören sind, ein.

Zum Frühstück finde ich einen vollgedeckten Tisch, mit allen möglichen Köstlichkeiten vor. Es gibt sogar einen Angestellten, der uns alles bringt, sich um alle Arbeiten und den Haushalt kümmert. Ein echter Diener! Ich dachte, das gibt’s auch nur in den Filmen.

Die lange Fahrt zum Strand ist wie ein interessanter Kinofilm für mich. Ich betrachte die vorbeiziehende Landschaft, die so anders ist, als in meinem Land. Mal durchqueren wir Wüstengebiete, dann wird es wieder tropischer. Auf den Straßen stehen Leute, die etwas verkaufen, sogar Esel, Pferde und Kühe laufen dort einfach so herum, als würden sie niemandem gehören. Jedes Mal, wenn ich das Fenster runterlasse, nehme ich diese angenehme Hitze wieder wahr. Ich liebe diese Wärme. Schade nur, dass die anderen die Kälte im Auto bevorzugen und mir aufgrund der übertrieben kalten Klimaanlage schon wieder die Nase läuft.

Wir bleiben vor einer großen Halle stehen. Ich weiß nicht, was wir hier tun, aber folge einfach. In der Halle gibt es viele Bänke und Tische und Leute, die essen. Es ist wohl eine Art Restaurant. Wir werden angestarrt, setzten uns und ich weißnicht, was ich bestellen soll, weil ich nichts was auf der Speisekare steht kenne oder verstehe.

Ich überlasse Anna die Entscheidung. Sie bestellt mehrere verschiedene Speisen für mich und ihre Familie. Wir müssen uns aber, bevor wir essen, die Hände desinfizieren. Obwohl ich kein Sauberkeitsfanatiker bin und es nie war, lasse ich mich von den Kindern zum Waschbecken führen. Ich möchte nicht die Schuld einer Diskussion sein, in welcher die Kinder ihren Eltern mitteilen, dass ich es nicht mache und sie deshalb auch nicht mehr.

Ich freue mich darauf, neue Geschmäcker auszuprobieren, aber von dem, was auf dem Tisch landet, schmeckt mir nichts und ich esse nur widerwillig, weil ich irgendetwas essen muss.

Die Leute glotzen schon seit wir die Halle betreten haben, ohne Scham die ganze Zeit zu uns rüber. Muss wohl an den langen hellbraunen Haaren von Anna und Natalie, an dem blonden Baby und uns allen liegen, die wir sehr hellhäutig im Vergleich zu den ganzen dunkelhäutigen Mexikanern sind. Irgendwie wirken wir sogar schick angezogen, wenn ich die Menschen um mich herum betrachte. Einige haben Löcher in ihrer Kleidung, andere sehen so aus, als hätten sie sich schon ewig nicht mehr gewaschen. Ich fühle mich etwas unwohl, wenn ich denke, dass sie denken, dass wir denken, dass wir etwas Besseres sind, als sie. Immerhin haben wir uns auch als einzige unsere Hände desinfiziert...

Das Hotel, in dem wir nach zwei weiteren Stunden Fahrt ankommen, ist sehr luxuriös und ich meine damit nicht den Luxus, den die meisten Menschen kennen, ohne dabei einen einsamen, bequemen Strohballen am Feld unter dem Sternenhimmel oder meinen Wald miteinzubeziehen.

Schon das Restaurant von gestern Abend war so vornehm. Ich fühle mich etwas unwohl an diesen Orten, weil ich das Gefühl habe, nicht ganz reinzupassen. Die Menschen hier sind aber alle trotzdem so freundlich, bisher ist mir noch niemand mit einem ärgerlichen Gesicht über den Weg gelaufen.

Langsam beginne ich, mich mit Alma anzufreunden. Die Kleine krabbelt mir hinterher und gibt mir den Namen: »Didl Didl di«.

Vor dem Schlafengehen beobachte ich den Sonnenuntergang von meinem Zimmer aus. Die ganze Wand besteht aus einem einzigen Glasfenster. Wir befinden uns im zwölften Stock. Die Aussicht ist atemberaubend. Auf meiner Seite befindet sich nicht der Strand, sondern das Ende der Stadt und der Anfang eines dschungelartigen Waldes. Eine bessere Aussicht hätte ich mir gar nicht wünschen können.

Ich würde am liebsten sofort durch das Fenster gleiten, dorthin fliegen und mich in diesen Palmenwäldern verlieren. Die Sonne taucht den Himmel in ein zartes Gelb - Orange und mein Herz möchte sich nur noch dort draußen in der Welt auf die Suche begeben und dem Gefühl dieser unerträglichen, schönen Sehnsucht nach - was auch immer- folgen.

Ich kann nicht schlafen, verlasse das Hotel und gehe barfuß draußen am Stadtrand spazieren. Einige Arbeiter gießen dort spätnachts die Pflanzen vor den benachbarten Hotelanlagen, begrüßen mich mit einem freundlichen

»Hola!« und wollen mit mir ein Gespräch beginnen.

Ich ärgere mich, dass ich nichts verstehe und kann mich noch nicht einmal dafür auf Spanisch entschuldigen, aber trotzdem freue ich mich riesig darüber. Ich fühle mich hier schon mehr zu Hause, als ich mich jemals in meinem Land fühlte.

Am Morgen, gibt es Hummer, Meeresfrüchte, Obst, Gemüse und frisches Gebäck. Ich greife mir aber nur ein bisschen was von dem Obst und werde darauf aufmerksam gemacht, die Schale nicht mitzuessen, denn wer weiß, wer das schon aller in der Hand hatte. Es ist mir ehrlich gesagt scheißegal, aber um keinen negativen Eindruck zu machen, tu ich ihnen den Gefallen.

Ich will dankbar sein, hauptsache ich musste meine Hände nicht desinfizieren. Da die Hotelmitarbeiter meinen nächtlichen Spaziergang wohl gleich gepetzt haben, bittet mich Anna, zu meiner eigenen Sicherheit, nachts nur vor das Hotel an den Strand und nicht auf die Straße zu gehen. Mexiko sei nicht wie Österreich.

Das habe ich selbst schon bemerkt und es ist genau der Grund, warum ich es so liebe. Ich bedanke mich für ihre gut gemeinten Ratschläge und gehe in dieser Nacht wieder eine Runde am Stadtrand. Der Strand reizt mich nicht, er ist überall gleich langweilig, egal in welchem Land.

Die Warnhinweise gehen mir trotzdem durch den Kopf und lösen ungewollt einen Hauch von Unsicherheit in mir aus und ich versuche es wegzudrängen, oder in Adrenalin zu verwandeln, um mein Abenteuer noch viel spannender zu gestalten. Schon wieder wurde mir etwas in meinen Kopf gepflanzt, dass ich dort gar nicht haben will.

Mitten in der Nacht wache ich auf und kann nicht wieder einschlafen. Ich stelle mich vor das riesige Fenster und starre in den wolkenbedeckten Himmel. Fünf Minuten später bewegt sich plötzlich der Boden unter meinen Füßen und ich frage mich, ob ich schon wieder in eine andere Realität abtauche, dabei erlebe ich gerade das erste richtige Erdbeben meines Lebens und das schon am dritten Tag meiner Abenteuerreise!

Abenteuerkann man es jetzt wirklich schon nennen. Ich habe keine Angst, als das ganze Hotel zu wackeln beginnt und auch nicht, als die Kinder aufgeregt in mein Zimmer platzen und mit mir zusammen ins Zimmer ihrer Eltern laufen, wo sie dann ängstlich unter die Bettdecke kriechen.

Ich kann ihre Angst nicht nachempfinden, denn ich finde das alles einfach nur total spannend und aufregend. Ich muss versuchen, das Grinsen in meinem Gesicht zu unterdrücken, um nicht total gestört zu wirken.

Ich muss dort draußen noch etwas finden und deshalb weiß ich, dass mir nichts passieren wird. Dieses Vertrauen ist so groß, dass es so etwas wie Angst vor dem Tod nicht zulässt und auch wenn mein Körper sterben würde, wäre der Tod nur die Erlösung und der einzige Ausweg aus dieser Illusion, die ich Tag täglich erlebe.

Das Beben legt sich, ich gehe wieder in mein Bett und stoße dabei eine dezente, leise Lachattacke aus. Schön, dass hier wenigstens überhaupt irgendetwas Spannendes passiert. Das war genau das, was mir in meinem Leben immer gefehlt hat.

Am nächsten Morgen packen wir schon unsere Sachen, denn die Kinder haben Angst vor einem möglichen Tsunami. Nun werden wir endlich nachChalma, auf die Ranch in die Berge fahren. Ich kann es gar nicht erwarten, mein neues Zuhause kennenzulernen. In meinem Bauch ringen die Schmetterlinge, die ausbrechen wollen und es fühlt sich an, wie ein elektrisierendes Kribbeln. Ich bin verliebt in dieses Abenteuer, dass in meinem Herzen so viele schöne Gefühle hervorruft.