X-MH46 Die andere Welt - Doris Bühler - E-Book

X-MH46 Die andere Welt E-Book

Doris Bühler

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Beschreibung

Stress und Hektik bestimmen ihre Welt, ein Termin jagt den anderen, - aber genauso liebt Agneta Vanderbild ihr Leben. Bis sie von der "Krankheit" ihres Bruders Steven erfährt, von einer Krankheit, die den Patienten eine neue Welt auftut. Durch Steven kann sie einen ersten Blick in diese wundersame Welt werfen, in der Ruhe, Frieden und Liebe das Leben bestimmen. Obwohl sie sich anfangs dagegen wehrt, kann auch sie sich schließlich diesem Reiz nicht mehr entziehen und ist bereit, ihr reales Leben dafür aufzugeben.

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Inhalt

Kapitel

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Kapitel

I.

Ich hatte ein schönes Leben.

Gleich nach dem Studium war ich als Directrice im Mode-Unternehmen von Jocelyn Grobleben untergekommen und hatte es im Laufe der Jahre bis zur rechten Hand der Chefin gebracht. Dass das Mode-Lable Jocelyn, das ihren Namen trug, in aller Welt bekannt war und geliebt wurde, war ebenso mein Verdienst, wie der ihre. Wir versorgten die Damenwelt mit exklusiver und dennoch bezahlbarer Mode. Wir bestimmten, was getragen wurde und was in war. Wir gaben die Richtung an.

Ich war ein Workaholic. Meine Woche hatte mindestens sechs Tage, mein Tag oftmals 14 Stunden oder mehr. Durch meine Arbeit kam ich in der ganzen Welt herum, reiste von einer Modenschau zur nächsten, eröffnete Ausstellungen, leitete Fotoshootings, kümmerte mich um die neuesten Kataloge und darum, dass die Models fit und zur rechten Zeit zur Stelle waren. Jocelyn wußte, was sie an mir hatte, und das ließ sie sich etwas kosten. Dadurch hatte sich im Laufe der Jahre ein ganz beträchtliches Sümmchen auf meinen Konten angehäuft. Allerdings hatte ich kaum Zeit, das Geld auch auszugeben und mir etwas Ausgefallenes zu gönnen, dafür machte mir die Arbeit viel zu viel Spaß. Und auch die Hektik und das Getrieben sein gehörte dazu. - Ich war noch jung, erst fünfunddreißig, und ich dachte mir, dass mir für das Vergnügen auch später noch genügend Zeit blieb, wenn ich um Jahre älter und nicht mehr so belastbar und beweglich wäre.

Ich war nicht verheiratet, - auch das wäre mit meiner Arbeit für Jocelyn nicht vereinbar gewesen. Nicht, dass ich Männer nicht gemocht hätte. Oh doch, da gab es immer wieder mal einen, dem ich erlaubte, mir etwas näherzukommen. Den italienischen Mode-Zaren Giovanni DaLuca zum Beispiel, ein glutäugiger temperamentvoller Casanova, der einen Sommer lang mein Favorit gewesen war, oder den amerikanischen Großindustriellen Mark Westhusen. Aber heiraten oder mit einem von ihnen länger als notwendig zusammenzubleiben war für mich keine Option. Das mochte daran liegen, dass ich keinen von ihnen wirklich liebte. Inzwischen war ich sogar zu der Erkenntnis gekommen, dass ich einfach nicht fähig zu sein schien, einen Mann aus tiefstem Herzen zu lieben. Meine Arbeit ja, - die stand für mich immer an erster Stelle und bestimmte mein Leben, - aber die Liebe zu einem Mann...?

Genaugenommen gab es für mich nur drei Menschen, die mir - außer Jocelyn natürlich - wirklich wichtig waren und mir nahestanden, das waren meine Mutter, meine Schwester Ramina und mein Bruder Steven. Diese drei waren es dann auch, die dazu beitrugen, dass sich mein Leben eines Tages von Grund auf änderte und eine völlig neue Richtung nahm. Natürlich nicht von jetzt auf nachher, es brauchte seine Zeit. Im Nachhinein kann ich nicht einmal mehr genau sagen, welches Ereignis für meinen Wandel das entscheidendste war: Der Tod unserer Mutter, eine ernsthafte Unterredung mit Ramina über unseren Bruder Steven, - oder der Besuch bei Steven selbst.

Unsere Mutter war erst sechzig, als sie starb. Man sagte uns, irgendetwas mit ihrem Herzen sei nicht in Ordnung gewesen. Obwohl sie einst aus ärmlichen Verhältnissen gekommen war, hatte sie nie schwer arbeiten müssen. Als junges Mädchen war sie eine Schönheit gewesen und hatte unseren Vater so bezaubert, dass er sie auf der Stelle geheiratet und ihr die Welt zu Füßen gelegt hatte. Er konnte sich das leisten, - und er konnte es sich auch leisten, dass jedes von uns Kindern eine optimale Schulbildung und später die bestmögliche Ausbildung bekam.

Als er bei einem tragischen Unfall ums Leben kam, ließ er unsere Mutter als reiche, bestens versorgte Frau zurück, deshalb hielten wir Kinder, - alle inzwischen erwachsen und in verantwortungsvollen Positionen, - es auch nie für nötig, uns in besonderem Maße Sorgen um sie zu machen. Sie hatte alles, was sie brauchte: Eine Villa in einer der besten Gegenden unserer Stadt, Personal, das sich um alles kümmerte und medizinische Versorgung, wann immer sie notwendig war. Wir Geschwister telefonierten mit ihr, so oft es unsere Zeit zuließ, - wie es ihr jedoch wirklich ging, wie sie sich fühlte, was sie dachte, wovon sie träumte..., das wußte keiner von uns so genau. Mir wurde das erst nach ihrem Tode so richtig klar.

Wir hatten eine Firma damit beauftragten, ihren Haushalt aufzulösen. Da keiner von uns daran interessiert war, das eine oder andere ihrer wertvollen Stücke für sich zu behalten, ließen wir unbesehen alles verkaufen, was ihr gehört hatte, - ohne darauf aus zu sein, möglichst viel Geld dafür zu bekommen. Wir hatten ja selbst genug.

Und doch hatte es da etwas gegeben, was uns nach ihrem Tod in Staunen versetzte, weil wir uns im ersten Augenblick nicht erklären konnten, was es zu bedeuten hatte. Einer der Makler hatte nämlich in einem Geheimfach ihres Schreibtisches eine Mappe gefunden, die uns Rätsel aufgab. Darin gab es verschiedene handschriftliche Briefe und alte Fotos von einem Mann, den wir nicht kannten und die DVD eines Filmes, dessen Titel wir noch nie gehört hatten.

Unser Bruder Steven war damals schon krank und lebte in einem Pflegeheim, zur Beerdigung unserer Mutter hatte er jedoch kommen können. Da weder er noch Ramina irgendein Interesse an dem geheimnisvollen Fund zeigte, nahm ich ihn an mich, obwohl auch ich im Grunde nichts damit anzufangen wußte.

Wochen später traf ich mich mit Ramina, weil sie mit mir über Steven sprechen wollte. Es war schwierig für uns, einen Termin zu finden, der uns beiden passte, und erst im allerletzten Augenblick war es mir möglich gewesen, zwischen zwei Flügen ein paar Stunden für sie freizuhalten. Wir sahen uns im Restaurant des Flughafen-Hotels, sie hatte sich dort für eine Nacht ein Zimmer genommen.

Ramina war zwei Jahre jünger als ich, arbeitete als Privatsekretärin für den Chef eines großen Fernsehsenders, sprach fließend vier Sprachen und sah sehr hübsch aus. Lächelnd registrierte ich, dass auch sie ein Jocelyn-Modell trug.

„Agneta, ich mach mir ernsthaft Sorgen um Steven", begann sie, während sie nervös das Rotweinglas in ihrer Hand drehte.

Ich wunderte mich. „Er hat doch aber einen recht guten Eindruck gemacht auf Mamas Beerdigung", sagte ich.

„Das täuscht. Er hat diese neue Krankheit, ich weiß nicht, ob du schon davon gehört hast?”

Ich hob die Schultern. „Natürlich habe ich davon gehört, aber keiner konnte mir bisher genau sagen, was es damit auf sich hat. Nicht mal im Internet erfährt man Näheres. -Und Steven selbst wollte ich nicht danach fragen.”

„Soviel ich weiß ist es eine Nervenkrankheit", erklärte mir meine Schwester. „Man nennt sie GLaR-30, aber ich habe keine Ahnung, was diese Kennzeichnung bedeutet. Man sagt, dass es sich dabei um eine Art Realitätsverlust handelt.”

„Und wie äußert sich das?”

„Es heißt, die Patienten sollen immer wieder Phasen geistiger Umnachtung durchmachen.”

„Das ist ja furchtbar. Obwohl..., Steven kam mir eigentlich ganz stabil vor.”

„Wahrscheinlich hat er vorher die entsprechende Dosis an Medikamenten bekommen, um für eine gewisse Zeit durchzuhalten. Seit der Beerdigung sind aber auch schon wieder einige Wochen vergangen, möglicherweise ist die Krankheit bei ihm in der Zwischenzeit doch schlimmer geworden.”

„Hast du ihn schon einmal besucht in diesem Heim?“, fragte ich. „Vielleicht sollten wir mal zusammen hinfahren, darüber würde er sich bestimmt freuen. Auf diese Weise könnten wir uns auch ein Bild von seinem Gesundheitszustand machen und überprüfen, ob er wirklich die bestmögliche Pflege und Versorgung bekommt.”

Ramina schüttelte heftig den Kopf. „Oh nein, nein, das ist keine gute Idee. Ich habe ihm das an der Beerdigung vorgeschlagen, doch er hat vehement abgelehnt. Er will niemanden sehen, hat er gesagt, auch uns nicht. Er hat mich sogar gebeten, es auch dir noch einmal zu sagen: Keine Besuche! Daran sollen wir uns unbedingt halten.“

“Aber warum denn nur. Wir können ihn doch nicht einfach im Stich lassen und uns zukünftig nicht mehr um ihn kümmern.”

“Man hat das schon des Öfteren von Patienten gehört, die in einem Heim untergebracht sind“, sagte Ramina, „sie wollen keinen Kontakt mehr nach außen, nicht einmal mehr zu den nächsten Verwandten. Und vielleicht ist gerade das ein typisches Symptom dieser neuen Krankheit: Sie wollen in ihrer eigenen Welt leben, und was um sie herum geschieht, interessiert sie nicht mehr.”

Ich schüttelte den Kopf. „Wie traurig. Das passt so gar nicht zu Steven. Er war doch immer ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen, hat das Leben in vollen Zügen genossen.”

Ramina nickte. "Ja, das ist schrecklich. Wenn man bedenkt, wie sportlich aktiv er immer war, wie unternehmungslustig. Nun droht ihm nicht nur körperlicher Verfall, sondern auch geistig wird es mit ihm bergab gehen. Stell dir vor, eines Tages wird er uns vielleicht nicht einmal mehr erkennen.“

Vorsichtig fragte ich: „Glaubst du, dass dieses GLaR-30 ansteckend sein könnte?“ Ich dachte an unser letztes Treffen mit Steven. Wir hatten lange zusammengesessen und miteinander geredet, und wir hatten uns umarmt. Ich hatte keine Ahnung, wie und wodurch man diese Krankheit überhaupt bekommen konnte.

Doch Ramina schüttelte wieder den Kopf. "Nein, nein, ansteckend scheint es nicht zu sein, sonst wären mehr Menschen davon betroffen. Wie Steven dazu gekommen ist, kann ich mir allerdings auch nicht erklären, - wo er doch immer ein so starker und gesunder Mann war.“

Sie starrte eine Weile vor sich ins Leere. „Irgendwo habe ich sogar einmal gehört, dass es eine Erbkrankheit sein könnte, aber wirklich sicher ist das auch nicht. Wahrscheinlich ist es, wie mit vielen anderen Krankheiten auch: Sie fällt einen urplötzlich an, man weiß nicht, wieso und warum und kann auch nicht viel dagegen tun.”

“Da können wir nur hoffen, dass wir davon verschont bleiben.”

Meine Schwester nickte. „Stell dir mal vor, du müßtest Jocelyn verlassen“, sagte sie und strich lächelnd über den Ärmel ihrer Jocelyn-Bluse. „Und stell dir vor, es würde dir auf einmal keinen Spaß mehr machen, neue Modelle zu entwerfen und sie der Welt zu präsentieren.”

Ich schüttelte den Kopf. Der Gedanke war mir unvorstellbar.

In den darauffolgenden Tagen mußte ich viel an Steven denken, und ich machte mir große Sorgen um ihn. Er und ich, wir hatte seit unserer Kindheit schon immer einen besonders guten Draht zueinander gehabt. Im Grunde hing ich mehr an ihm, als an Ramina, die immer schon lieber ihre eigenen Wege gegangen war.

Warum mußte ausgerechnet er diese neue Krankheit bekommen? Und warum erfuhr man darüber nichts Genaues in den Nachrichten oder in den Zeitungen und Magazinen? Wahrscheinlich hatte Ramina recht, wäre es etwas, womit man sich infizieren könnte, würde man sicher mehr darüber wissen, und die Gesundheitsbehörden hätten längst Maßnahmen ergriffen. Sollte es aber tatsächlich eine Erbkrankheit sein, hatte Steven vielleicht inzwischen etwas darüber von seinen Ärzten erfahren. Ich mußte unbedingt mit ihm reden.

Ich beschloss also, ihn auch gegen seinen Willen zu besuchen, solange es noch möglich war. Auf jeden Fall aber wollte ich versuchen, mit seinen Ärzten zu reden, um zu erfahren, ob auch für Ramina und mich die Gefahr bestand, daran zu erkranken.

In diesen Tagen fiel mir auch wieder die Mappe ein, die unsere Mutter in einem geheimen Versteck aufbewahrt hatte, und die ich aus Zeitmangel damals nur schnell irgendwo in meinem Schreitisch abgelegt hatte, ohne mich weiter darum zu kümmern. Nun dachte ich, falls es sich bei Steven tatsächlich um eine Erbkrankheit handeln sollte, gab es möglicherweise Hinweise darauf, dass es sie früher schon einmal in unserer Familie gegeben hatte. Vielleicht fand ich etwas, wenn ich mir den Inhalt der Mappe einmal ein bisschen genauer anschaute? Es wäre immerhin möglich, dass unsere Mutter etwas darüber geheim gehalten hatte, um uns nicht zu beunruhigen. Ich öffnete also mein Schreibtischfach, nahm die Mappe heraus und betrachtete sie von allen Seiten. Sie war nicht beschriftet, sie war also an niemanden persönlich gerichtet. Doch sie wies Spuren auf, die belegten, dass sie schon oft zur Hand genommen worden war.

Ich zog den Inhalt heraus und breitete alles vor mir auf dem Schreibtisch aus. Es waren Briefe und Fotos, auch sie waren deutlich abgegriffen. Dazwischen kam eine CD zum Vorschein, die ich zunächst zur Seite legte, um mir als erstes die Briefe anzusehen. Willkürlich griff ich nach einem der Umschläge, das Blatt darin war von Hand geschrieben.

“Meine liebste Miranda“, las ich, "dich hat mir der Himmel geschickt.”

Miranda, das war unsere Mutter, und laut Datum, das am Beginn des Schreibens angegeben war, war sie beim Erhalt dieser Zeilen bereits 42 Jahre alt gewesen. Damals hatte Vater noch gelebt.

“Ich habe dir so viel zu verdanken. Mit deiner Hilfe ist es mir endlich möglich geworden, mein Projekt zu verwirklichen. Du hast immer an mich geglaubt, und das werde ich dir niemals vergessen. Sag auch deinem Mann tausend Dank, dass er dich in deinen Bemühungen, mir zu helfen, unterstützt hat.“

Ich seufzte, es schien also kein Liebesbrief zu sein, den Mama von einem anderen Mann erhalten hatte. Unser Vater hatte gewußt, dass es diesen Mann und diese Briefe gegeben hatte. Demnach gab es auch nichts Brisantes aufzudecken, und auch nichts, was mir Aufschluss über Stevens Krankheit geben konnte. Ich hatte das Interesse verloren, überflog die anderen Briefe nur und legte sie zur Seite.

Der Verfasser der Briefe hieß Jannis Brega, er war Schauspieler, und sein größter Wunsch war es gewesen, eines Tages in einem Film die Hauptrolle zu übernehmen. Es hatte jedoch weder einen namhaften Regisseur gegeben, der an ihm interessiert gewesen wäre, noch hatte er die nötigen Mittel gehabt, um selbst etwas Derartiges auf die Füße zu stellen. Doch unsere Mutter schien an ihn geglaubt zu haben, denn sie sorgte dafür, dass sein großer Traum in Erfüllung gehen konnte. Nicht nur, dass sie ihm die Hauptrolle in dem Film Gewitterregen vermittelt hatte, sie hatte diesen Streifen auch finanziert. Daher war es nicht verwunderlich, dass er ihr unsagbar dankbar war und sie grenzenlos verehrte.

Jannis Brega war ein gutaussehender junger Mann, wie man auf den beiliegenden Fotos sehen konnte: Groß und schlank, mit dunklem, ganz leicht gelocktem Haar, das ein etwas kantiges Gesicht umschloss. Im Gegensatz zu seinen Augen, die eine gewisse Kälte und Härte ausstrahlten, hatte er einen ungewöhnlich hübschen sanften Mund, der den Blick seiner Augen Lügen strafte. Den Fotos nach schien er damals etwa im gleichen Alter gewesen zu sein, wie wir Geschwister zu der Zeit, als wir die Mappe gefunden hatten, und ich fragte mich, was dieser Mann meiner Mutter wirklich bedeutet haben könnte. Wenn unser Vater von ihm wußte, warum hatte sie dann alle Hinweise auf ihn so gut versteckt? War er wirklich nur der talentierte junge Mann gewesen, dem sie hatte weiterhelfen wollen? Ohne jegliche Hintergedanken? Einfach nur, weil sie sein Potential erkannt hatte und an ihn glaubte?

Als Letztes nahm ich die beiliegende DVD zur Hand. Damit schien es um genau den Film zu gehen, der in dem Brief erwähnt worden war, denn der Titel lautete tatsächlich Gewitterregen, und auf dem Cover war ein Foto des Hauptdarstellers zu sehen, auf dem er eine blonde junge Frau in den Armen hielt.

Ich muß zugeben, dass dieser Film inzwischen doch ein wenig meine Neugier geweckt hatte. Ich wollte ihn mir ansehen, ging deshalb ins Wohnzimmer hinüber und legte ihn in den DVD-Player ein.

Ich weiß nicht mehr genau, was ich eigentlich erwartet hatte: Einen ganz gewöhnlichen Liebesfilm? Oder hoffte ich, etwas Geheimnisvolles, Mystisches oder gar kriminalistisch Spannendes zwischen den einzelnen Szenen zu entdecken? Etwas, das mit dem eigentlichen Film nichts zu tun hatte, das mir aber Aufschluss darüber geben würde, warum unsere Mutter auf diesen Mann gesetzt und diese DVD so gut vor aller Welt versteckt hatte?

Bevor ich auf Start klickte, holte ich mir aus der Küche eine Tüte Chips und etwas zu trinken, es sollte ein gemütlicher Abend werden. Doch ich war ziemlich gestresst gewesen an diesem Tag, und es dauerte nicht lange, bis ich anfing, gegen die aufkommende Müdigkeit anzukämpfen. Der Film hatte ganz banal begonnen, es ging um den Sohn eines Hamburger Fabrikanten, der sich in die Tochter des Mannes verliebt hatte, in dessen Hotel er regelmäßig übernachtete, wenn er geschäftlich in Berlin zu tun hatte.

Es war nicht die Schuld des Films, dass mir immer wieder die Augen zufielen und dass mir ganze Passagen verlorengingen. Letztendlich brach ich ihn ab und legte mich schlafen. Ich würde an einem anderen Tag, wenn ich mich ausgeruhter fühlte, auf die DVD zurückkommen und sie mir noch einmal ganz von vorn und dann sehr aufmerksam ansehen.

Das Seltsame war allerdings, dass ich im Laufe des nächsten Tages immer wieder das Gesicht von Jannis Brega vor mir sah, des jungen Mannes, der die Hauptrolle gespielt hatte. Es war dasselbe Gesicht wie auf den Fotos, und doch berührte es mich, nachdem ich ihn im Film gesehen hatte, weit mehr, weil er darin lebendig gewesen war. Ich sah wieder sein Lachen vor mir, das Grübchen in seiner Wange, das Zwinkern in seinen Augen, wenn er mit den Mädchen geflirtet hatte. Zwar hatte ich vom Inhalt des Films nicht sehr viel mitbekommen, aber dieses Gesicht sah ich immer und immer wieder vor mir und konnte es nicht vergessen.

Nachdem ich mir an einem anderen Tag den Film noch einmal angesehen hatte, ganz intensiv, vom Anfang bis zum Ende, mußte ich mir eingestehen, dass mich zwar das Werk an sich nicht unbedingt gefesselt hatte, dass mir aber dieser Mann gefiel. Sogar ein wenig mehr, als über das übliche Maß hinaus.

Doch Jannis Brega, wer war das überhaupt? Es war Jahre her, seit dieser Film gedreht worden war. Wer war er inzwischen? Lebte er überhaupt noch? War er einer der ganz großen Stars geworden? Ich recherchierte im Internet, konnte aber nichts über ihn finden. Es gab niemanden mit diesem Namen, und es schien, als hätte es ihn auch niemals gegeben.