Xeyos Tränen - Katica Fischer - E-Book

Xeyos Tränen E-Book

Katica Fischer

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Beschreibung

Die Yden - eine Spezies, die von ihren Schöpfern mit großer Intelligenz, einer Fülle mentaler Fähigkeiten und grenzenloser Regenerationsfähigkeit ausgestattet wurden - leben zunächst glücklich und zufrieden auf einem Planeten, der 'Roter Garten' genannt wird. Da sie praktisch unsterblich sind, sehen sie sich nach einiger Zeit aufgrund ihrer stetig größer werdenden Zahl gezwungen nach neuen Lebensräumen zu suchen. Ein infrage kommender Planet ist schnell gefunden. Allerdings warten im 'Blauen Garten' einige Probleme auf sie, die zunächst gelöst werden wollen.

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Katica Fischer

XEYOS TRÄNEN

Yden-Reihe I

Roman

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutsche Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die Personen und Handlungen in diesem Roman sind allesamt fiktiver Natur. Eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt, sondern rein zufällig entstanden.

Alle Rechte, einschließlich des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten.

Copyright © 2020 Katica Fischer

www.katica-fischer.de

Einbandgestaltung: K. Fischer

Fotos: clipdealer.de

Bereitstellung und Vertrieb:

Epubli (Neopubli GmbH, Berlin)

Ein möglicherweise hilfreicher Hinweis

Liebe Leserin

Lieber Leser

Dieses Werk ist der erste Teil einer Trilogie. Es ist eine fantastische Geschichte, die ein Vater seiner todkranken Tochter erzählt, um sie zu unterhalten und ihr gleichzeitig ein wenig von der Angst zu nehmen, die mit dem nahenden Ende immer großer wird.

Da in diesem Roman sehr viele Charaktere mitwirken, wurden am Ende des Buches unter den Punkten „Namen und individuelle Verbindungen“ sowie „Register“ einige Worterklärungen zusammengestellt. Dies kann Ihnen möglicherweise weiterhelfen, wenn es für Sie beim Lesen unübersichtlich oder verwirrend wird.

Prolog

„Erzähl mir eine Geschichte Dad.“ Yza war sechzehn und somit kein kleines Mädchen mehr, dem man vor dem Schlafengehen noch ein Märchen erzählte. Aber sie liebte es, der Stimme ihres Vaters zu lauschen, denn die war tief und wohltönend, was ihr stets ein Gefühl absoluter Geborgenheit vermittelte.

„Was willst du denn hören, Liebling?“ Bryan setzte sich in den bequemen Sessel, der gleich neben dem Bett seiner Tochter stand, und lächelte sie liebevoll an.

„Etwas Schönes“, erwiderte sie leise. „Etwas, was mich vergessen lässt, dass ich jeden Tag schwächer werde.“

Yza war krank.

Todkrank, um genau zu sein.

Und da man im Krankenhaus nichts mehr für sie tun konnte, hatten ihre Eltern und ihre Geschwister einstimmig entschieden, dass sie die Zeit, die ihr noch blieb, zu Hause im Kreise ihrer Familie verbringen sollte.

„O. K., Schatz.“ Bryan lehnte sich entspannt zurück, denn er dachte nicht daran, sich kurzzufassen. Ganz im Gegenteil wollte er noch so oft und so lange wie möglich mit seiner Jüngsten zusammen sein. Auch wenn er noch nie besonders gut darin gewesen war, sich Geschichten auszudenken oder gar aufzuschreiben, hatte er sich in den vergangenen zwölf Tagen einige lustige Sachen einfallen lassen, um sie abzulenken und zum Lächeln zu bringen. Doch für heute hatte er sich etwas überlegt, was ihr möglicherweise einen Teil ihrer Angst vor dem unausweichlichen Ende nehmen konnte. Er selbst hielt sich nicht für besonders gläubig, war aber dennoch der festen Überzeugung, dass das Universum keine Seele verloren gab, sondern an einen Ort zurückführte, an welchem sie Frieden und Versöhnung mit dem eigenen Schicksal finden konnte. Allein darum war er jetzt sehr gefasst und in der Lage, so zu tun, als stünde Yza auf der Schwelle zu einem neuen Leben. „Heute will ich dich in eine Welt entführen, die dir gefallen wird“, begann er. „Schließe die Augen und hör zu.“

1 - Erwachen

Zu einer Zeit, als noch kein Pulsschlag die eisige Finsternis des Universums störte, erwachten zwei aus purer Energie bestehende Wesen, die über eine logisch funktionierende Intelligenz und enorme mentale Fähigkeiten verfügten.

Das erste Geschöpf, welches sich selbst Ydur nannte, erzeugte anfangs bei jedem Gedanken nur einige wenige Lichtpunkte, welche seine Umgebung kurzzeitig erhellten und dadurch einen Raum offenbarten, der grenzenlos und auf den ersten Blick vollkommen leer schien. Doch mit der Zeit wurde daraus eine dauerhaft leuchtende Aura, deren Leuchtkraft beständig zunahm, je intensiver sich Ydur mit Fragen beschäftigte, die nicht nur seine Existenz betrafen. Und so erkannte das Wesen schließlich, dass es inmitten einer endlos erscheinenden Staubwolke weilte, in der sich nichts regte, solange es selbst keinen Versuch machte, irgendetwas verändern zu wollen. Also begann es zu experimentieren und stellte dabei fest, dass es anhand seines bloßen Willens nicht nur die einzelnen Staubpartikel in Bewegung bringen konnte, sondern auch imstande war, diese in eine bestimmte Richtung zu lenken oder auf der Stelle innehalten zu lassen. Zudem fand es heraus, dass die einzelnen Teilchen keineswegs gleich waren. Dieser Erkenntnis folgend begann es damit, seine Umgebung intensiv zu erforschen und gewann dadurch das Wissen, dass in seiner Umgebung viele verschiedene Elemente zu finden waren, die man miteinander verbinden und so Neues erschaffen konnte.

Ydurs Experimente hatten zur Folge, dass hin und wieder auch organisches Leben entstand. Allerdings existierten diese Schöpfungen nur kurze Zeit, denn die unbarmherzige Kälte des Raumes ließ sie relativ schnell wieder zugrunde gehen.

Das zweite Wesen nannte sich Enai. Es konnte zwar selbst kein Licht erzeugen, nahm die Gegebenheiten seines Existenzbereiches aber so deutlich wahr, als gäbe es keine Dunkelheit. Zudem verströmte es mit jedem Gedankenimpuls Wärme, die seine unmittelbare Umgebung beeinflusste.

Mental genauso umfangreich begabt, wie Ydur, nutzte Enai die eigenen Talente anfangs ausschließlich dazu, aus dem kosmischen Staub kompakte Kugeln zu formen, die es Sterne nannte und die es dann so stark erhitzte, dass sie in Brand gerieten und zu rot glühenden Feuerbällen wurden. Allerdings passte bei einigen Sternen die Zusammensetzung ihrer Masse nicht, sodass sie schnell wieder auseinanderfielen, wobei auch ihre Leuchtkraft schwand. Andere hingegen barsten aufgrund ihrer wärmeempfindlichen Anteile in Millionen Stücke, die dann unkontrolliert nach allen Seiten wegschossen. Also dachte das Geschöpf über dieses Problem nach und kam relativ bald zu der Erkenntnis, dass nicht nur eine sorgfältige Auswahl der zu verwendenden Komponenten zu treffen, sondern auch eine bessere Kontrolle seiner Kräfte nötig war, damit die Existenz- und Wirkungsdauer seiner Schöpfungen erhöht wurde.

Sowohl Ydur als auch Enai waren zunächst der Meinung, jeder von ihnen sei die einzige, sich seiner selbst bewusste Lebensform inmitten einer Finsternis, die keine Grenzen und schon gar kein Ende aufwies. Als sie schließlich aufeinander aufmerksam wurden, näherten sie sich vorsichtig einander und erkundeten dann voller Neugierde, wie der andere wohl beschaffen und mit welchen Fähigkeiten er ausgestattet sei.

Der Phase des Kennenlernens folgte bald eine Zeit des Vergleichens, wobei beide Geschöpfe erstaunliche Erkenntnisse gewannen. Enais glühende Geschosse konnten von Ydur gezielt gesteuert und letztlich auch zum Stehen gebracht werden, sodass sie zu Fixpunkten wurden, an welchen man sich orientieren konnte. Die Strahlungswärme, welche diese Sterne an ihre Umgebung abgaben, wirkte sich schon bald auf deren Umgebung aus, was wiederum dazu führte, dass die von Ydur erschaffenen Organismen immer länger existieren konnten. Als dem ersten Geschöpf aufging, dass Wasser eine große Rolle bei seiner Arbeit spielte, begannen es damit, jeden Eisklumpen einzusammeln, den es ausfindig machen konnten, um sein Werk mithilfe der Feuchtigkeit zu verbessern. Dabei regte sich immer öfter etwas Unbekanntes aber sehr angenehmes in seinem Bewusstsein. Und diese Empfindung benannte es nach einiger Zeit mit ‚Freude‘.

Eine Zeit lang machte es Ydur und Enai großes Vergnügen, ihr Können immer wieder unter Beweis zu stellen. Und so füllte ihre beständig anhaltende Lust am Erschaffen das Universum sowohl mit glühenden, hell leuchtenden Sternen, als auch mit Planeten, die zwar ein heißes Inneres aber auch eine feste äußerliche Kruste besaßen. Zudem ergab es sich, dass einige dieser heißen Brocken beim Erkalten Gase absonderten, die am Ende eine Art schützende Hülle bildeten, die den Verlust des gerade erst gesammelten Wassers verhinderten. Dies wiederum führte dazu, dass auf diesen besonderen Planeten eine ungeheure Vielfalt von organischem Leben angesiedelt werden konnte.

Es hätte auf immer und ewig so weitergehen können. Doch eines Tages versuchte Enai vergeblich, es Ydur gleichzutun und einen seiner Sterne auf einem bestimmten Punkt anzuhalten. Doch mit jedem gescheiterten Versuch steigerte sich das Wesen in eine unbeherrschte Frustration hinein. Als es seiner grenzenlosen Enttäuschung schließlich Luft machte, vernichtete der von ihm ausgesandte Feuersturm einige Planeten, auf welchen mittlerweile die schönsten und artenreichsten Gärten zu finden waren.

Zutiefst verärgert, weil es meinte, man habe sein Werk absichtlich zerstört, zog sich Ydur daraufhin in einen weit entfernten Teil des Universums zurückzog, um seine Trauer über die Vernichtung zu verarbeiten.

Enai versuchte unterdessen die Zerstörung wiedergutzumachen, denn es war zutiefst entsetzt darüber, was es angerichtet hatte. Da es aber nicht imstande war, alles wieder so zu gestalten, wie es zuvor gewesen war, fühlte es sich bald zutiefst deprimiert. Und weil es sich nun wie ein völlig nutzloses Geschöpf vorkam, streifte er allein durch die unendlichen Weiten des Raumes und fühlte sich alsbald so einsam, dass er am liebsten nicht mehr existieren wollte.

Ydur ging es nicht besser. Dennoch benötigte das Geschöpf eine geraume Zeit, um sich zu einem Entschluss durchzuringen. Als es sich schließlich auf die Suche machte und den ehemaligen Spielgefährten voller Selbstverachtung und Todessehnsucht vorfand, wurde es unvermittelt von der Angst überwältigt, in Zukunft und für alle Zeiten wieder ganz allein sein zu müssen.

„Ich kann nicht vergessen, was du getan hast.“ Die keineswegs angriffslustig klingende Botschaft in gewohnter Weise an sein Gegenüber sendend, ließ Ydur seine Aura gleichzeitig ein wenig dunkler erscheinen, denn es wollte damit zusätzlich betonen, dass es immer noch enttäuscht war. „Aber ich verzeihe dir, weil ich sehe, dass du dein Tun bereust.“

„Ja“, bestätigte Enai. „Es tut mir wirklich sehr leid. Ich wollte sein wie du. Aber jetzt weiß ich, dass das nicht möglich ist, weil jeder von uns ein einzigartiges Individuum ist.“

„Wir sollten nicht länger ohne Plan vorgehen“, schlug Ydur daraufhin im versöhnlichen Tonfall vor. „Es wäre viel klüger, wenn wir uns auf ein bestimmtes Ziel konzentrieren und etwas schaffen würden, woran wir uns lange Zeit gemeinsam erfreuen können. Na, was denkst du?“

„Es gibt nichts, was meine zerstörerische Kraft erschaffen könnte“, erwiderte Enai immer noch traurig. „Ich bin zu nichts nütze.“

„Du hast offenbar nur wenig gelernt, seit wir uns kennen“, stellte Ydur fest. „Wenn du nämlich genauer aufgepasst hättest, wäre dir längst aufgefallen, dass wir eigentlich zusammengehören. Wir sind im Grunde zwei Teile einer Einheit, die nur als Ganzes einen Sinn ergibt. Ich kann ohne Wärme nichts wachsen lassen, weil ich das Eis nicht wegtauen und dieewige Kälte nicht verscheuchen kann. Und du brauchst mein Licht, damit du siehst, was du wärmen aber nicht verbrennen sollst.“

Darauf hatte Enai keine Erwiderung parat. Und da es ohnehin nichts Besseres vorhatte, ließ es sich auf den Vorschlag Ydurs ein. Also verschmolzen die beiden zu einem einzigen Ganzen, wobei sie zu einer sengend heißen und grell gleißenden Lichtgestalt wurden, deren Glanz für einen Augenblick selbst die entferntesten Winkel des Universums erreichte. Dabei geschah auch noch etwas anderes, doch das sollten sie erst später erkennen.

Einer Feuerwalze gleich, die mit rasender Geschwindigkeit durch die Finsternis raste, ließen sich die Gefährten eine lange Zeit sorglos dahintreiben. Als ihnen jedoch bewusstwurde, dass sie durch ihre Verschmelzung und den damit einhergehenden Zusammenschluss ihrer Kräfte zu einem infernalischen Todessturm geworden waren, der alles zerstörte, was auch immer ihm in den Weg geriet, erschraken sie sehr. Daher riet Ydur, dass sie fortan an Ort und Stelle stehen bleiben sollten, damit nichts und niemand mehr Schaden durch sie nähme. Gleichzeitig besann es sich auf seine ursprüngliche Absicht und schuf dann mit seinem Gefährten mehrere große Feuersterne, welche weit heller leuchteten und dabei viel mehr Wärme verströmten als alle Sterne vor ihnen.

„Wir wollen sie Sonnennennen“, schlug es vor. „Jede von ihnen soll zum Zentrum einer Planetengruppe werden, die wir zu Gärten machen können.“

„Ja, das machen wir“, stimmte Enai voller Vorfreude zu. „Vielleicht kannst du dann …“

„Wir können alles tun, was uns gerade einfällt“, unterbrach Ydur, wohl wissend, was Enai gerade dachte. „Ist dir denn nicht aufgefallen, dass wir uns seit unserer Verschmelzung verändert haben?“

Enai verstand zunächst nicht. Doch dann ging ihm auf, was Ydur meinte.

„Wir sind ein Geschöpf, das alle Kräfte in sich vereint“, stellte es verwundert fest.

„Ganz genau“, bestätigte Ydur. „Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen uns, denn wir sind jetzt eine untrennbare Einheit.“

In der Folgezeit entstanden neue Welten, die, angefüllt mit den verschiedenartigsten Kreaturen, den Geist der Gefährten erfreuten und zu ständig neuen Aufgaben ermutigten. Doch trotz aller Schaffensfreude fühlten sie immer öfter eine seltsame Leere in sich, die sie sich zunächst nicht erklären konnten. Doch dann ging ihnen auf, dass sie immer noch das einzig intelligente Wesen waren, inmitten eines zwar artenreich ausgestatteten aber allein von Instinkten gesteuerten Universums. Diese Erkenntnis wiederum führte zu der Frage, wozu sie sich überhaupt so viel Mühe gemacht hatten, wo doch keines der primitiven Lebewesen ihr Werk wirklich bewunderte oder gar um dessen Fortbestand bemüht war.

„Auch wir sollten Nachkommen haben“, erklärte Ydur eines Tages. „Wenn wir einen kleinen Teil von uns selbst opfern, werden daraus bestimmt ein paar neue Wesen entstehen, die sowohl unsere Fähigkeiten als auch unser Wissen in sich vereinen. Und die können uns dann helfen, die Gärten zu pflegen, die wir bisher angelegt haben. Vielleicht haben sie auch Freude daran, selbst neue Gärten anzulegen und mit Leben zu füllen, was bestimmt spannend wird.“

„Das ist wirklich ein guter Einfall von dir“, stimmte Enai erfreut zu. „Unsere Nachkommen sollen unser Schaffen pflegen und stets mit Vernunft und Fürsorge darüber wachen, dass unsere Schöpfungen erhalten bleiben und der Kreislauf des Lebens nicht gestört wird.“

*

Die Gebun bestanden wie ihre Schöpfer aus reiner Energie. Sie waren mit umfassenden mentalen Kräften ausgestattet, hatten jedoch wesentlich weniger Macht. Auch wurden sie mit eigenen Namen versehen, damit man sie unterscheiden konnte. Sie existierten und wirkten zunächst nach den Regeln, die man für sie erstellt hatte. Allerdings dauerte es nicht lange, bis sie untereinander Streit anfingen, weil jedes Wesen bedeutender sein wollte, als alle anderen.

Ydur und Enai, die nach wie vor über allen anderen Geschöpfen standen, also die höchste Macht im Universum verkörperten, sahen sich den Zwist unter ihren Nachkommen eine Weile tatenlos an. Als es jedoch so schlimm wurde, dass die Gebun sogar bereit schienen Gewalt gegen ihren jeweiligen Gegner anzuwenden, was einen gigantischen, alles zerstörenden Energiesturm und somit auch einen empfindlichen Verlust von Lebensenergie ausgelöst hätte, schritten sie ein. Und so wurde jedes Gebun in einen bestimmten Teil des Universums verbannt, wo es so lange allein an seinem ihm bestimmten Platz bleiben sollte, bis es vollständig von Egoismus und Rücksichtslosigkeit frei war. Damit es jedoch nicht vor lauter Langeweile auf dumme Gedanken kämen oder gar den Sinn seiner Bestrafung vergäße, sollte es anhand seiner Arbeit beweisen, dass er tatsächlich willens war, die Schöpfung seiner Erzeuger nicht nur zu bewahren, sondern auch selbst weiterzuentwickeln und somit zu bereichern.

Die Gebun lehnten sich zunächst mit allen Mitteln gegen ihre Schöpfer auf. Als jedoch ersichtlich wurde, dass ihre Kräfte nicht ausreichten, um den Bann zu überwinden, der sie an Ort und Stelle fesselte, gab sich eines nach dem anderen geschlagen. Nichtsdestotrotz gärten in einigen der Zorn weiter, was dazu führte, dass diese Gebun keine friedvolle und bunte, sondern schattenreiche und wilde Gärten schufen, die sie mit ebensolchen Kreaturen füllten.

2 - Die Yden

Eotan war eine vielfältig ausgestattete, klimatisch und geologisch ausgewogene Welt, die sich inmitten eines Haufens anderer, noch nicht gestalteter Planeten um einen riesigen Feuerball drehte. Dieses Sonnensystem und der darin befindliche ‚Rote Garten‘ gehörten Gebun Rye, einem Wesen mit vielen positiven aber auch einigen negativen Eigenschaften.

Eingedenk der Tatsache, dass das Wohlwollen seiner Erwecker allein davon abhing, wie die gestellte Aufgabe bewältigt wurde, hegte und pflegte Rye das ihm anvertraute Gebiet mit aufopferungsvoller Aufmerksamkeit. Doch hin und wieder wurde er von einem selbstgerechten Zorn heimgesucht, angesichts der vermeintlichen Ungerechtigkeit seitens seiner Erwecker, sodass er in Raserei geriet und vieles wieder zunichtemachte. Als ihm jedoch aufging, dass er damit nicht nur die Grundschöpfungen der Höchsten Macht, sondern auch seine eigene Rückkehr zu Seinesgleichen ernsthaft gefährdete, erkannte er endlich, was genau ihm fehlte. Er und die anderen Gebun waren sehr gesellige Geschöpfe, die das Alleinsein nicht lange ertragen konnten. Da er nun aber zwangsweise zum Einsiedler gemacht worden war, gab es nur eine Möglichkeit für Abhilfe zu sorgen. Er musste sich einen intelligenten Ersatz schaffen, bevor ihn der Wahnsinn vollends übermannte!

Rye selbst war weder richtig greifbar noch wirklich sichtbar. Da er aber seine Ersatzgefährten nicht nur spüren oder bloß deren Gedanken hören wollte, formte er aus Wasser und dem Staub seines Roten Gartens zwei Geschöpfe, die er sowohl mit hoher Intelligenz als auch mit Kräften ausstatten wollte, die den seinen ähnlich waren. Sie sollten verschiedene Wahrnehmungssinne haben, damit sie ihre Umwelt auf ganz unterschiedliche Weise erkunden konnten, um durch Erfahrungen zu lernen. Zudem sollte ihre Dualität sicherstellen, dass keines von ihnen an Einsamkeit leiden musste, wenn er selbst mal anderweitig beschäftigt war. Das erste Geschöpf sollte groß und stark sein. Das Zweite hingegen sollte etwas feingliedriger wirken, weil er einen sichtbaren Unterschied haben wollte, um sie besser auseinanderhalten zu können.

Sobald sein Werk vollbracht war, blies Rye den beiden Staubwesen Leben ein. Dabei verlieh er ihnen nicht nur große Intelligenz und umfangreiche mentale Fähigkeiten, sondern auch grenzenloses Regenerationsvermögen, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein. Danach überlegte er lange, welche Bezeichnung er ihnen geben sollte, und benannte sie schließlich als Yden. Das bedeutete in seiner Sprache Kinder des Feuerlichtes und stellte zugleich eine Verschmelzung der beiden allerersten Namen im Universum dar. Danach gab er ihnen individuelle Rufnamen.

Vyane und Xeyo waren sehr hochgewachsene, aufrecht gehende Geschöpfe mit wohlproportionierten Körpern, langen silbrig glänzenden Haaren und hellen Augen. Ihre Haut schimmerte in einem hellen Alabaster-Ton, wurde jedoch bei starker Erregung oder tiefer Konzentration um einige Nuancen dunkler. Gleichzeitig zeigten sich dann auf der gesamten Körperoberfläche rote, eigentümlich anmutende Zeichen, was zum einen als Identitätsmerkmal und zum anderen als ein Zeichen von emotionaler Erregung oder großer Anstrengung gewertet werden konnte. Allein ihre selbstbewusste Eigenständigkeit verärgerte ihren Erschaffer zunächst so sehr, dass er schon kurz davor war, sie wieder zu Staub zu zermalmen. Doch dann ging ihm auf, dass sie sich im Grunde nicht anders verhielten, als er selbst es getan hatte, bevor er in die Verbannung geschickt worden war. Und da sie sich nicht wirklich respektlos verhielten, ließ er sie gehen, damit sie sich aus eigener Kraft weiterentwickelten. Selbst ihre Versuche, weiterhin mit ihm zu kommunizieren, blockte er zunächst ab. Als er jedoch begriff, dass er nun wieder genauso isoliert und einsam war, wie zuvor, gab er sein stures Verhalten auf.

*

Das erste Yden-Paar brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass es mehr Unterschiede zwischen ihnen gab, als man auf den ersten Blick erkennen konnte. Mit ihrem Äußeren hatte dies jedoch nicht unbedingt zu tun, denn ihre Erscheinung war, abgesehen von Körpergröße und Kraft identisch. Dennoch stuften sie sich alsbald selbst als weiblich oder männlich ein, denn die Geschöpfe in ihrer Umwelt wurden auch in diese Kategorien unterteilt. Die einzig niederschmetternde Erkenntnis war, dass sie offenbar keine Fortpflanzungsorgane besaßen und darum die einzigen Exemplare ihrer Spezies bleiben würden.

Das war natürlich ein Irrtum, denn Rye war ein Perfektionist. Und da er nicht gewollt hatte, dass sich seine Ersatzgefährten wie Tiere vermehrten, sollte ihre Reproduktion anders vonstattengehen. Aus diesem Grund gab es im Bereich der untersten Spitze ihres Brustbeins ein winziges Knötchen, das zunächst keine Beachtung fand, weil es in keinster Weise störte. Erst nach vielen Jahren begann dieses vermeintliche Geschwür in regelmäßigen Abständen anzuschwellen und eine kleine Menge zäh wirkender Flüssigkeit abzusondern.

Vyane und Xeyo waren zunächst ratlos, machten sich dann aber keine weiteren Gedanken darüber, weil es ja nach wie vor nicht wehtat und auch nicht störte. Als es dann zufällig geschah, dass dieser Vorgang bei beiden gleichzeitig eintrat und ihre Sekrete sich vermischten, entstand daraus ein organischer Körper, der innerhalb kürzester Zeit zu einem Geschöpf heranwuchs, welches ihnen zum Verwechseln ähnlich war. Weil es jedoch weder einen Herzschlag aufwies, noch atmen wollte, war das erste Yden-Paar sehr enttäuschte.

„Ihr müsst ihm Leben einhauchen und sein Herz zum Schlagen bringen, damit er hernach von euch lernen kann, warum er ins Leben gerufen wurde“, empfahl Rye. „Zögert nicht, denn es bleibt euch wenig Zeit, bis er wieder zerfällt.“

Und so erweckte das erste Yden-Paar ihren ersten Nachkommen. Diesem folgten nach einer gewissen Zeit weitere Individuen, die dann auf gleiche Weise Nachwuchs hervorbrachten. Dabei sorgten sie mithilfe ihres eigenen Atems nicht nur dafür, dass ein neues Leben begann. Sie gaben dabei auch ihre Fähigkeiten weiter. Der einzige Unterschied bestand darin, dass die Yden der nachfolgenden Generationen die mentalen Gaben von Vyane und Xeyo als einzelne Talente und meist in abgeschwächter Form besaßen.

*

Aufgrund ihrer eigenen Fähigkeiten und den idealen Umweltbedingungen ging es den Yden hervorragend. Ihre Häuser waren so stabil, dass sie nur alle tausend Jahre erneuert werden mussten. Und die Natur produzierte über das gesamte Jahr hinweg so viel Nahrhaftes, dass eine Vorsorge für schlechte Zeiten nie in Betracht gezogen werden musste. Verletzungen heilten von selbst und verlorene Gliedmaßen wuchsen nach. Allein die Herstellung ihrer Kleidung löste so manchen Wettbewerb unter den Yden aus, denn jeder wollte etwas Besonderes haben, das er vorzeigen konnte. Zudem stellte die Suche nach dem seltenen und meist im sehr unwegsamen Gelände wachsenden Flachs eine höchst willkommene, weil aufregende Abwechslung dar, die man gerne mit einem Fest abschloss. Die glänzenden, violett schimmernde Fasern, die man aus den langen, dünnen Ästen der Sträucher gewann, ließen sich gut zu Fäden verspinnen, die man anschließend zu Stoffen verwob, die so leicht waren, dass man sie kaum auf der Haut spürte. Selbstverständlich wäre es möglich gewesen, das begehrte Rohmaterial von den sogenannten Suchern und Transporteuren herbeischaffen zu lassen. Da die hypervisuell und telekinetisch begabten Yden aber für wichtigere Unternehmungen gebraucht wurden, blieb es jedem selbst überantwortet, die Dinge für sein leibliches Wohl zu besorgen oder eigenhändig zu produzieren.

Allein die Kommunikation mit Rye blieb dem Dyonaten-Paar, also den ersten Yden vorbehalten, denn nur Vyane und Xeyo konnten die machtvolle Stimme ihres Schöpfers vernehmen, ohne Schaden zu erleiden.

Je mehr Köpfe das Yden-Volk aufwies, umso weiter breiteten sich die Yden auf Eotan aus. Dabei wanderten sie zumeist in Gruppen weiter, um immer wieder neue Gemeinschaften zu gründen. Und da sie sich immer weiter vom Dyonaten-Sitz entfernten, wollten sie bald jemanden in ihrer Mitte haben, der nach wie vor für Recht und Ordnung sorgen sollte. Also wählten sie ihr jeweils hochrangigstes Mitglied zu ihrem Anführer, den sie ‚Senator‘ nannten – unabhängig davon, ob es sich um eine Yden-Frau oder einen Yden-Mann handelte. Es dauerte auch nicht lange, bis man die Gemeinschaften nach ihren Anführern benannte, um die Verbände voneinander unterscheiden zu können.

Die Kommunikation untereinander funktionierte dennoch perfekt, denn die meisten waren hochbegabte Telepaten, die sich selbst über große Distanzen hinweg verständigen konnten. Nur die persönlichen Kontakte wurden seltener, je weiter die Betroffenen voneinander entfernt waren. Doch dann stellte man fest, dass eine Reise nicht nur körperliche Anstrengung erforderte, sondern auch viele interessante Eindrücke mit sich brachte, sodass immer mehr Yden ihren Alltagstrott für einige Zeit hinter sich ließen, um Eotan zu erkunden und Neues zu erleben.

*

Wayonis, der dritte von Xeyo erweckte Yden-Mann, war der Erste, der auf die Idee kam, dass man einen Coriut vielleicht als Lasttier nutzen könnte, um sich selbst das Tragen der piekenden Flachs-Gebinde zu erleichtern. Wie man die kräftigen aber äußerst scheuen Vierbeiner, die oftmals eine Schulterhöhe von vier Meter erreichten, dazu bringen sollte, zu gehorchen, war ihm anfangs noch nicht ganz klar. Er hoffte jedoch, dass man mit Geduld und nicht nachlassender Beharrlichkeit mehr erreichen konnte, als durch mentale und somit gewaltsame Kontrolle des animalischen Bewusstseins. Als es ihm dann tatsächlich gelang, einen Coriut einzufangen und an seine ständige Anwesenheit zu gewöhnen, wurde dies zunächst bloß belächelt, denn es wusste noch keiner, was er eigentlich vorhatte. Sobald er jedoch mit einem voll bepackten Tier zu seiner Gefährtin zurückkam, hörten die spöttischen Bemerkungen schlagartig auf. Er hingegen dachte schon über eine weitere Verwendung der Tiere nach, wobei er schnell darauf kam, dass deren enorme Kraft ausreichte, um einen erwachsenen Yden zu tragen. Zudem entdeckte seine Gefährtin Alyana recht bald, dass die feinen aber relativ langen Haare, die sich aus dem Fell des Coriuts lösten, sobald man darüber strich, hervorragend dazu eigneten, versponnen und zu neuen Stoffen verwebt zu werden.

Unterdessen widmete sich Sodyan, der zweite von Xeyo erweckte Yden-Mann völlig andersgearteten Herausforderungen. In seinem Kopf schwirrten nämlich unzählige Ideen von hilfreichen Vorrichtungen herum, die den Alltag des Volkes noch angenehmer machen könnten. Allerdings vermochte er seine Fantasien nicht so aufzuzeichnen, dass es von anderen nachvollziehbar gewesen wäre, da ihm das Talent dazu fehlte. Daher ließ er die Konstruktionspläne von Leonyd, dem elften von Xeyo erweckten Yden-Mann, auf eine Schiefertafel bannen, bevor er anhand seiner mentalen Gabe die benötigten Materialien zusammentrug. Nun, große Geduld war nicht Sodyans Stärke. Daher brauchte es einen weiteren Helfer, der ihn bei der Vollendung unterstützen sollte.

Cotany, Nachkomme von Nyod, dem vierten von Xeyo erweckten Yden-Mann, war zunächst wenig begeistert über die Ehre, die ihm widerfuhr. Da er aber ein allseits geachteter Baumeister war, stimmte er schließlich mangels glaubwürdiger Ausrede zu. Allein die Tatsache, dass Leonyd mit von der Partie war, versöhnte ihn ein bisschen, denn er verehrte den gebildeten und gerechten Yden-Mann mehr als seinen eigenen Erzeuger.

Der Wissensdurst und die Experimentierfreude der Yden schien kein Ende nehmen zu wollen. Entsprechend viele Erkenntnisse und Errungenschaften wurden gewonnen und für alle zugänglich gemacht. Die Weiterentwicklung einzelner Erfindungen erfolgte nicht selten aus purer Langeweile oder aufgrund der Frage, wie man ein bestimmtes Problem lösen könnte.

Einer dieser Impulse war der Wunsch, Energiequellen zu finden, die jederzeit und ohne eigene mentale Anstrengung für ausreichend Licht und Wärme sorgten, damit man sich von primitiven Lampen und rußenden Öfen verabschieden konnte. Dabei kam man relativ schnell zu der Erkenntnis, dass man die natürliche Elektrizität, die bei Gewittern entstand und sich in Form von Blitzen entlud, durchaus auch selbst herstellen und kontrollieren konnte. Und so entstanden bald Wind- und Wasserkraftanlagen, die immer größere Ausmaße annahmen, je mehr elektrischer Strom verlangt wurde. Am Ende baute man riesige Kernkraftanlagen, um den stetig wachsenden Bedarf zu decken, denn diese schienen weit effizienter zu sein, als alle anderen Energieproduzenten.

Eine andere Eingebung führte dazu, dass man Transportmittel entwickelte, um noch schneller und bequemer zu den Yden zu gelangen, die auf der Suche nach einem schöneren Zuhause weggezogen waren. Der Kutsche, die von einem Coriut-Gespann über mehr oder weniger ebene Wege zu den jeweiligen Zielen gezogen wurde, folgte irgendwann ein leichter Segler, der allein durch den Willen seines Lenkers in die Luft gehoben und dann von den Winden davongetragen wurde. Diese wiederum wurden schon bald durch neue Fluggeräte ersetzt, die mehrere Leute befördern konnten. Die aerodynamischen Gleiter wurden schließlich als das Transportmittel der ersten Wahl angesehen, wenn man schnell von einem Ort zum anderen wollte, denn diese Art des Reisens war unabhängig von Straßen und zudem viel schneller. Es brauchte auch nicht viel, um die einfach konstruierten Flieger in Betrieb zu nehmen. Der Ondor, also ein Yde mit außergewöhnlich stark ausgeprägten telekinetischen Kräften musste bloß genügend Konzentration aufbringen, um das beladene Fluggerät von der Oberfläche abheben und in eine bestimmte Richtung schweben zu lassen. Das einzige Problem bestand darin, dass es nur eine begrenzte Anzahl von Ondore gab, die fähig waren, ihre Kräfte über längere Zeitspannen hinweg wirken zu lassen. Zudem benötigten diese Yden eine ausreichend lange Regenerationszeit und eine spezielle Ernährung, was ihren Einsatz nur in gewissen Abständen möglich machte. Also sann man auf Abhilfe und entdeckte dabei ein Phänomen, das man sogleich zu nutzen wusste. Setzten sich nämlich mehrere, besonders mächtige Ondore bewusst in einem Zirkel zusammen, um ein Fluggerät zu bewegen, schienen sich ihre Kräfte zu bündeln, sodass selbst große Objekte über weite Entfernungen bewegt werden konnten. Dabei wurde auch offenbart, dass sie bei ihrem zielgerichteten Zusammenwirken weit weniger Energie verbrauchten und darum auch schneller wieder einsatzbereit waren. Um sie besser von den anderen Telekineten unterscheiden zu können, gab man ihnen den Namenszusatz ‚Tax‘.

Als Wayonis schließlich ein vom Yden-Willen und Wind unabhängiges Antriebssystem erfand, welches per elektrischer Energie betrieben werden konnte, wurde das Fliegen noch schneller und die Fluggeräte immer größer. Und so entwickelte sich die Technologie auch in anderen Bereichen immer weiter. Manchmal gab es Erfindungen, die zum Wohle des Volkes eingesetzt werden konnten. Doch oft genug stellte sich nach einiger Zeit heraus, dass die vermeintlich gute Neuerung völlig überflüssig, im Grunde sogar schlecht war, weil durch sie Arbeiten entfielen, die ehedem ein befriedigender Bestandteil des täglichen Lebens gewesen waren. Darum wurden diese Neuheiten wieder aufgegeben, denn Langeweile war etwas, was niemandem wirklich guttat.

3 - Zu viele

Da die Yden nicht dem Zyklus allen Lebens unterlagen, wurden es immer mehr, die sich die für ihre körperliche Regeneration erforderlichen Ressourcen Eotans teilen mussten. Daher wurde es bald notwendig, gezielt dafür zu sorgen, dass die reifen Fruchtstände von Wildpflanzen für die Zeit ihrer Ruhephase in entsprechender Menge und sicher vor Umwelteinflüssen oder Ungeziefer eingelagert wurden. Es mussten auch Felder angelegt werden, die man mit eigens dafür entwickelten Kulturpflanzen versehen konnte. Außerdem züchtete man Büsche und Bäume, die weit mehr Nüsse und Früchte trugen, als ihre wilden Verwandten. Trotzdem kam es immer häufiger zu Streitereien, die immer erbitterter wurden, je enger man zusammenrücken musste. Zudem vertrieben sich viele ihre Langeweile durch allerlei alberne Späße auf Kosten anderer, was wiederum für Ärger sorgte.

Mittlerweile im Besitz vieler verschiedener Waffen, die man ehedem allein für die Verteidigung gegen die aggressiven Geschöpfe Eotans genutzt hatte, richtete man diese nun auch gegen seinen Streitgegner oder den Nachbarn, der angeblich mehr für sich beanspruchte, als ihm zustand.

Zu Beginn des ersten Krieges, der mehrere Jahre dauerte, nutzten die Yden ihre Fluggleiter noch ausschließlich als Transportmittel für Nahrung und Waffennachschub.

Bei Ausbruch des zweiten Krieges, der zwar kürzer aber ungemein brutal verlief, schossen bereits unbemannte Transporter durch die Luft, deren Ladeflächen mit unzähligen Brandbomben beladen waren, die sowohl die Häuser als auch die Felder des Gegners zerstörten. Diesmal wurden auch automatische Waffen verwendet, die ihr Ziel aus großer Entfernung anvisieren und dann so übel zurichten konnten, dass eine Regeneration mehrere Wochen dauerte.

Im dritten Krieg verstreuten die Flugzeuge schließlich Bomben über dem Gebiet des jeweiligen Kampfgegners, die gefüllt waren mit hochgiftigen Chemikalien, Gasen und Abfällen aus den Atomkraftwerken, was dazu führte, dass nicht nur die Wälder und Felder verseucht wurden, sondern auch die Luft und die Flüsse. Danach dauerte es kein Jahr, bis von der ehedem üppig blühenden Natur Eotans kaum noch etwas übrig war. Entsprechend groß war die Not, die das Volk der Yden schwächte. Dennoch kämpften sie weiter gegeneinander, weil keiner eingestehen wollte, dass er möglicherweise im Unrecht war.

In dieser Zeit wurde erkennbar, dass es durchaus Unterschiede zwischen den Individuen gab. Standen sich nämlich Yden aus der gleichen Generation gegenüber, um sich zu bekämpfen, konnte einer dem anderen keinerlei nennenswerten Schaden zugefügt, da sie sich ja ebenbürtig waren. Bei anderen Konstellationen wurden die Körper der später erweckten Kämpfer teilweise so geschädigt, dass sie sich nicht mehr aus eigener Kraft erholen konnten und daher von Heilern behandelt werden mussten, die spezielle Wiederherstellungsverfahren beherrschten. Aber auch da gab es Fälle, wo selbst die magische Kraft der Heiler nicht half, sodass die Verletzten unwiderruflich körperlich beeinträchtigt blieben. Dieses Phänomen deckte auch auf, dass es in der Tat eine Rangordnung gab, die allein durch den Zeitpunkt der Erweckung eines jeden Yden bestimmt wurde. Ja, schon Angehörige der ersten Generation nach Xeyo, also seine direkten Nachkommen, schienen nicht mehr so mächtig und unverwundbar, wie ihr Erzeuger. Es war daher möglich, einen gezielt ausgewählten Krieger nachhaltig außer Gefecht zu setzen und so die gegnerische Partei für einen längeren Zeitraum zu dezimieren.

Als ein Yde zufällig dahinterkam, dass er den Körper seines Widersachers anhand einer schnell durchgeführten Enthauptung außerstande setzten konnte, sich zu regenerieren, wurden immer mehr Yden Opfer von heimtückischen Überfällen. Dabei war es nicht länger von Bedeutung, welchen Rang die jeweiligen Rivalen hatten. Und so waren es bald Tausende, die auf den Schlachtfeldern liegen blieben und den Boden mit ihrem Blut tränkten. Die bei ihrem Tod gewaltsam freigesetzten Lebensfunken schossen einer nach dem anderen halt- und ziellos in die unendlichen Weiten des Weltraumes davon, um sich in der Finsternis zu verlieren.

Die Vernichtung so vieler Leben zwang Rye schließlich dazu, nach einer Lösung zu suchen, denn er wollte nicht hinnehmen, dass sich seine Schöpfung selbst auslöschte. Es ging dabei ja nicht nur um die Tatsache, dass seine gespendete Lebensenergie unwiederbringlich verloren ging. Die Yden legten auch den Roten Garten in Schutt und Asche, was er keineswegs akzeptieren oder gar weiter mit ansehen wollte, denn am Ende würde er wieder von Neuem anfangen müssen.

Obwohl ihm bewusst war, dass seine Strafe auch Unschuldige und Friedliebende treffen würde, nahm Rye den Yden zunächst alle Waffen und Maschinen. Danach bedeckte er ganz Eotan mit einer Wolke aus reinigender Energie, die jede Strahlung neutralisierte. Anschließend ließ er es regnen, bis alles Gift fortgespült und in den tieferen Bodenregionen versickert war, wo es keinen Schaden mehr anrichten konnte. Am Ende nahm er ihnen auch die Fähigkeit, neue Individuen zu erschaffen, um so sicherzustellen, dass sich ihre Population nicht mehr vergrößerte.

*

Vyane brauchte eine geraume Weile, bis ihr klar wurde, dass die Entwicklung der Yden allmählich zum Stillstand gekommen war, denn sie war vollauf damit beschäftigt gewesen, ihren Gefährten zu unterstützen, der sich nach wie vor darum bemühte, den hart erkämpften Frieden und die mehr oder weniger erzwungene Einigkeit im Volk zu erhalten. Da sie das aber nicht einfach so hinnehmen wollte, flehte sie ihren Schöpfer an: „Bitte, Rye, wir brauchen neue Individuen!“

„Ihr seid genug“, erwiderte der Gebun im unnachgiebigen Tonfall.

„Aber wenn keine neuen Individuen dazukommen, wird das Volk bald in Starre fallen und nur noch vor sich hinvegetieren“, begehrte sie auf. „Wir brauchen frische Impulse, damit unser Geist nicht in gleichbleibender Eintönigkeit ertrinkt!“

Da hatte sie nicht ganz Unrecht, gestand sich Rye ein. Dennoch wollte er nicht zulassen, dass sich die Yden erneut unkontrolliert vermehrten und dann wieder aufeinander losgingen, nur weil Eotan ihnen zu eng wurde.

„Wenn der Rote Garten wieder so ist, wie er einmal war, reden wir noch einmal darüber“, wich er aus.

„Ist das ein Versprechen?“, wollte Vyane wissen.

„Ja.“ Man konnte über vieles reden, stellte der Gebun für sich fest. Aber das hieß noch lange nicht, dass man auch Forderungen erfüllte, die absolut indiskutabel waren.

Rye hätte wissen müssen, dass Vyane nicht nachgeben würde, denn er kannte sie ja lange genug. Aber er vertraute darauf, dass sie diesmal seine Entscheidung akzeptieren und hernach etwas anderes ersinnen würde, um zu verhindern, dass das Yden-Volk in geistige und somit unproduktive Trägheit verfiel. Entsprechend gereizt reagierte er, als man ihn erneut darum bat, dem Volk neue Individuen zu erlauben.

„Nicht auf Eotan!“

„Dann werden wir uns aufteilen und einen weiteren Lebensraum suchen.“ Vyane wusste, die eigene Unnachgiebigkeit konnte furchtbare Folgen für sie haben. Nichtsdestotrotz stand sie mit hocherhobenem Haupt da, die Augen auf die Sonne richtend, in dessen Zentrum sie ihren Schöpfer wähnte. „Bienen teilen sich auch auf und machen sich auf die Suche nach einem neuen Zuhause, wenn das alte zu eng geworden ist.“

„Du weißt nicht, was du redest“, wies Rye sie im gereizten Tonfall zurecht.

„Doch, das weiß ich“, beharrte Vyane. „Meine Schenktochter Alyana hat die Sterne studiert, bevor du alle Gerätschaften vernichtet hast, die sie dazu brauchte. Und sie sagt, da ist ein Planet, der vielleicht infrage kommen könnte.“

„So? Sagt sie das?“ Rye hatte Mühe, weiter ruhig zu bleiben.

„Sie hat ihn Aquitan genannt, weil er so blau ist, wie unser Ozean“, umging Vyane eine direkte Antwort. „Ihren Berechnungen nach muss er doppelt so groß sein, wie Eotan. Außerdem ist sie überzeugt, da, wo Wasser ist, ist auch Leben möglich.“

Rye hätte nun bestätigen können, dass die erfahrene Astronomin recht hatte, denn niemand wusste über den Blauen Garten besser Bescheid, als er selbst. Allerdings sah er gar nicht ein, warum er dies tun sollte. Die Yden waren seine Schöpfung, die gefälligst dort zu bleiben hatte, wo er sie haben wollte. Dass diese Einstellung im Hinblick auf die schwierige Situation des Yden-Volkes nicht nur kindisch, sondern auch unvernünftig war, wollte er in diesem Augenblick nicht wahrhaben.

„Selbst wenn das alles stimmen sollte – wie wollt ihr dorthin kommen?“ Er wäre zwar in der Lage gewesen, alle Yden innerhalb kürzester Zeit auf jeden x-beliebigen Planeten in seinem Sonnensystem zu bringen, zog diese Option jedoch gar nicht erst in Betracht, weil er jegliche Kooperation in dieser Sache von vorneherein ausschloss.

„Wayonis und Sodyan werden bestimmt eine Lösung finden“, antwortete Vyane unterdessen.

Daraufhin beendete der Gebun das mentale Zwiegespräch, ohne eine Erwiderung formuliert zu haben.

*

Zutiefst verärgert, weil man seine Haltung einfach nicht akzeptieren wollte, kümmerte sich Rye lange Zeit nicht mehr um seine Ersatzgefährten. Doch dann begann er die Gespräche mit dem ersten Yden-Paar zu vermissen, sodass er schließlich nachsah, was sie so trieben.

Dass mittlerweile wieder Frieden im Volk herrschte, auch wenn dieser allein durch Xeyos Einfluss und sein strenges Regiment aufrechterhalten wurde, freute ihn. Als er jedoch gewahr wurde, dass Leonyd, Wayonis und Sodyan eine ganze Reihe von Plänen gemacht hatten, die mittlerweile so weit fortgeschritten waren, dass es nur noch darum ging, genügend Material für die Raumschiffe herbeizuschaffen, vergaß er seine frohe Laune.

„Ihr wollt also Eotan wirklich verlassen?“, sprach er Vyane an.

Die Dyonata hatte bereits registriert, dass ihr Schöpfer präsent war. Allein darum zuckte sie ausnahmsweise nicht vor Schreck zusammen als seine Stimme in ihrem Bewusstsein widerhallte. Zudem hatte sie gelernt, dass sie ihn nicht wirklich fürchten musste, und reagierte daher relativ gelassen auf seine angriffslustig klingende Frage.

„Du hast uns dein Ohr und dein Auge lange verweigert“, stellte sie fest, statt die übliche Begrüßung zu gebrauchen, die sonst immer ihren tiefen Respekt deutlich gemacht hatte. „Nun, es ist wahr. Ein Teil des Volkes wird aufbrechen, sobald die Schiffe fertig sind.“

„Ein Teil des Volkes?“ Rye ärgerte sich zwar immer noch über das eigenmächtige Verhalten der Yden, fühlte jetzt aber auch Neugierde in sich wachsen. „Also wollt ihr euch tatsächlich aufteilen?“

„Ja, wir haben mittlerweile zwei Parteien hier“, erläuterte Vyane. „Die einstigen Kriegsgegner haben sich leider so weit voneinander entfernt, dass eine Aussöhnung nicht mehr möglich ist. Darum haben wir alle Städte und sonstigen Siedlungen besucht und jeden einzelnen Yden nach seiner Meinung gefragt. Dabei hat sich herausgestellt, dass über die Hälfte auf Eotan bleiben will. Aber die anderen haben dafür gestimmt, nach Aquitan aufzubrechen, auch wenn das bedeutet, dass sie dort vielleicht nie ankommen werden. Und jetzt sind wir dabei, Schiffe zu bauen, die imstande sind, mitsamt unseren Leuten durch den Weltraum zu fliegen.“

„Ihr wollt also hunderte Individuen in enge Blechdosen stopfen und auf eine ungewisse Reise schicken, deren Dauer ihr gar nicht einschätzen könnt.“ Ryes Tonfall hätte nicht abfälliger klingen können. „Wenn sie nicht erfrieren, werden sie verhungern und verdursten.“

„Nein, das werden sie nicht“, erwiderte Vyane ruhig. „Sie werden nämlich schlafen. Wayonis hat Kryostase-Kapseln entwickelt, in welchen die einzelnen Individuen so lange bleiben werden, bis Aquitan erreicht ist. Es ist daher nicht notwendig, große Mengen an Vorräten mitzunehmen, denn es werden auf jedem Schiff nur ein paar von uns wach bleiben. Die jeweilige Schiffscrew wird in besonders geschützten Bereichen untergebracht werden und sich um alles kümmern. Allein die Frage der Energieversorgung ist noch nicht geklärt. Aber auch dieses Problem werden wir lösen, denn es sind ziemlich viele kluge Köpfe unter uns.“

Die Idee, alle erforderlichen Elemente außerhalb jeglicher Reichweite für die Yden zu bringen und ihnen somit die Grundlage für die Verwirklichung ihres Planes zu entziehen, verwarf Rye sofort wieder. Er war definitiv nicht dumm! Im Grunde hätte er über kurz oder lang selbst dafür sorgen müssen, dass die Situation für das Volk besser wurde. Also durfte er sie nicht behindern. Nein, er musste sie sogar unterstützen, gestand er sich ein. Allerdings wollte er nur dann eingreifen, wenn es absolut notwendig wurde, weil er gespannt darauf war, wie sie die scheinbar unmögliche Aufgabe lösen würden.

„Wirst du eine von denen sein, die auf die Reise gehen?“, wollte er wissen.

„Nein“, gestand Vyane. „Xeyo und die, die aufbrechen wollen, erwarten zwar von mir, dass ich mich anschließe, scheinen meine Unterstützung aber nicht wirklich zu brauchen, denn sie haben ganz klare Vorstellungen davon, wie sie ihr Dasein auf Aquitan gestalten wollen. Vielmehr glaube ich, dass die Zurückbleibenden jemanden brauchen, der sie leitet. Außerdem …“ Sie zögerte kurz, weil sie nicht wusste, wie sie ihre Gefühle beschreiben sollte. „Xeyo war mir stets ein guter und treuer Gefährte“, fuhr sie schließlich fort. „Aber mein Herz hat sich schon lange für einen anderen entschieden.“

Rye war durchaus in der Lage, verschiedene Gefühle zu empfinden. Freude, Trauer und Ärger waren ihm daher bekannt. Auch wohlwollenden Besitzerstolz kannte er, denn diesen empfand er beim Anblick eines jeden seiner Geschöpfe. Doch Liebe zu einem gleichartigen Wesen war etwas, was er nicht begreifen konnte, weil er sie selbst noch nie erlebt hatte.

„Du willst deinen Gefährten aufgeben, nur weil dir ein anderer besser gefällt?“, fragte er.

„Das hat nichts mit Gefallen zu tun“, verteidigte sich Vyane. „Ich habe Xeyo immer gerngehabt. Aber für Lyander würde ich mein Leben hergeben.“

„Welchen Sinn hätte das?“, wunderte sich Rye.

„Gar keinen“, gab sie zu. „Aber so ist es nun einmal.“ Sobald Lyander sie in seine Arme schloss und seine Stirn gegen ihre legte, wollte sie nirgends anders sein. Und wenn er mit seinen Fingern ihr Haar und ihren Wangen streichelte, oder die roten Zeichen auf ihrer Haut nachmalte, dann war das einfach wundervoll. Sie verging fast, wenn er seine Finger mit ihren verflocht und gleichzeitig in ihre Augen sah. Dann wurde sie von einem so schönen Wärmegefühl erfasst, dass es unmöglich war, noch einen vernünftigen Gedanken zustande zu bringen. Sie hätte tatsächlich alles getan, wenn er es verlangt hätte. Aber er wollte gar nichts. Er wollte bloß in ihrer Nähe sein.

„Also gut.“ Auch wenn er furchtbar gerne das Thema Liebe weiter erörtert hätte, um besser verstehen zu können, bezwang Rye seine Neugierde. Stattdessen ließ er sie wissen, dass die Yden von nun an tun und lassen könnten, was auch immer ihnen gefiel, solange sie die Höchsten Macht und deren Werk achteten.

„Du hast uns neue Individuen versprochen“, rief Vyane ihm in Erinnerung.

„Nein, das habe ich nicht“, stellte Rye richtig. „Ich habe gesagt, wir können darüber reden, sobald der Rote Garten wieder so ist, wie er einmal war. Aber das ist er nicht. Und er wird es auch nie wieder sein, weil viele Tiere und Pflanzen durch euch unwiederbringlich verloren gegangen sind.“

Vyane fühlte jäh Ärger in sich entstehen und wollte erwidern, dass er sie bewusst getäuscht habe, indem er ihre Hoffnung zu neuer Größe wachsen ließ. Allerdings wagte sie es am Ende dann doch nicht, ihrer wütenden Enttäuschung freien Lauf zu lassen. Stattdessen verabschiedete sie sich in aller Form, um hernach ihre ursprüngliche Arbeit wieder aufzunehmen. Wie und wann sie ihrem Gefährten ihren Entschluss mitteilen sollte, wusste sie noch nicht. Aber sie durfte nicht mehr allzu lange warten, ermahnte sie sich.

*

Obwohl offiziell Frieden herrschte, kam es immer wieder zu Übergriffen, die nicht selten auch tödlich ausgingen. Daher strengten sich Xeyo und die sogenannten Aufbrechenden noch mehr an. Und so wuchsen in der Umgebung des Dyonaten-Sitzes die Halden, auf welchen die benötigten Materialien zusammengetragen wurden. Allerdings rief das Extrahieren von Thyranium, einem Strahlen abweisenden, hitzebeständigen Metall, schon bald den Unmut der sogenannten Zurückbleibenden hervor, weil sie der Meinung waren, dass die Aufbrechenden nicht das Recht hätten, das gesamte Vorkommen dieses seltenen Rohstoffes für sich zu beanspruchen. Sicher, für den Bau der zehn gigantisch großen Raumtransporter brauchte man einen Werkstoff, welcher größtmögliche Stabilität und somit Schutz garantierte. Dennoch hätten es einige lieber gesehen, wenn es auf Eotan verblieben wäre, damit man es für bessere Zwecke nutzen konnte. Ein anderer Grund für Feindseligkeiten war die Tatsache, dass praktisch der Großteil der mächtigsten Yden der ersten und zweiten Generation nach Xeyo und Vyane zu den Aufbrechenden gehörte. Dabei ging es aber eher darum, dass man die Chance zum Aufstieg in der Hierarchie und somit auch zur Macht Gewinnung verlor, denn wenn kein bedeutender Yde mehr da war, konnte man sich auch nicht mehr mit ihm zusammentun, um seinen eigenen Rang aufzuwerten.

Nach einer ermüdenden Diskussion mit einigen Yden der zweiten Generation entschied Vyane, dass sie nun endlich für Klarheit sorgen musste. Sie wollte jedoch zuerst mit Xeyo sprechen, damit er nicht womöglich von anderen erfuhr, was sie beabsichtigte. Dass er ihr Vorhaben nicht einfach so akzeptieren würde, war ihr klar. Auch wusste sie, dass er sie seit Anbeginn als einzige, nicht austauschbare Gefährtin betrachtete, sodass er kaum bereit sein würde, sie aufzugeben. Dennoch sagte sie ihm, dass sie ihn nicht begleiten würde.

Xeyo schien zunächst sprachlos und sah seine Gefährtin nur mit vor Überraschung geweiteten Augen an. Allein der schmerzliche Ausdruck darin machte deutlich, dass er ihre Worte zu deuten wusste.

„Sie brauchen jemanden, der sie lenkt.“ Vyane war erfahren genug, ihre Gefühle so zu beherrschen, dass sie weder ihren Verstand beeinträchtigen, noch von ihrem Gegenüber per Telepathie oder Empathie erfasst werden konnten. „Wenn man sie allein lässt, werden sie einen neuen Krieg anzetteln.“

„Du wirst nicht verhindern können, dass sie das tun.“ Er verstand, mit welchen Befürchtungen sie sich herumplagte. Dennoch wollte er die sichere Erkenntnis noch nicht an sich heranlassen, dass er sie verlieren sollte. „Was auch immer ihnen in den Sinn kommt, sie werden es tun, ohne dich nach deiner Meinung oder deiner Erlaubnis zu fragen.“

„Das mag schon sein“, erwiderte sie. „Dennoch könnte ich möglicherweise das Schlimmste verhindern, indem ich einfach nur da bin.“

Er hatte bereits eine unwirsche Entgegnung auf der Zunge, biss sich aber im letzten Moment auf die Unterlippe. Nein, entschied er, er würde nicht betteln. Selbst wenn er fortan ohne Gefährtin weiter existieren musste, würde er akzeptieren, dass sie ihrem Willen folgte. Wenn ihr das Volk wichtiger war, als er, sollte sie getrost bleiben und dabei zusehen, wie die Yden auf Eotan ihren eigenen Untergang vorantrieben. Und das würden sie garantiert tun, weil ihr Egoismus nämlich grenzenlos war!

Xeyo war schon kurz davor, den Raum zu verlassen, da realisierte er, dass da noch etwas Unausgesprochenes zwischen ihnen stand, sodass er mitten im Schritt stoppte, um sie fragend anzusehen. Sie sah anders aus, stellte er überrascht fest. Sie strahlte förmlich, was ihre gesamte Erscheinung in einem zarten Goldton leuchten ließ.

„Das Volk ist nicht der einzige Grund, nicht wahr?“ Woher er diese Erkenntnis nahm, wusste er selbst nicht. Dennoch war er sich jetzt absolut sicher, dass sie auch noch einen anderen Grund für ihre Entscheidung hatte. Selbstverständlich hätte er auf telepathische Weise in Erfahrung bringen können, was in ihr vorging. Aber das wollte er nicht. Er wollte, dass sie es laut aussprach.

Vyane war für einen Moment versucht, seinen Verdacht durch ein Lachen und ein unaufrichtiges ‚Aber ja doch!‘ abzuwehren. Da ihr aber bewusst war, dass er irgendwann doch die Wahrheit erfahren und dann noch verletzter sein würde, entschied sie, dass der jetzige Augenblick genauso gut sei, wie jeder andere, um endlich reinen Tisch zu machen.

„Es ist wahr“, begann sie. „Wir haben ein Volk ins Leben gerufen und lange Zeit zusammen geleitet und beschützt. Aber jetzt ist es an der Zeit, auch an unsere eigenen Bedürfnisse zu denken. Ich war dir bis jetzt eine loyale Gefährtin. Aber in meinem Herzen hast du immer nur den Platz eines lieben Freundes gehabt.“

„Warum hast du das nie gesagt?“, wollte er wissen.

„Es war nicht wichtig“, antwortete sie.

„Und wieso ist es jetzt anders?“, fragte er.

„Weil ich liebe“, erwiderte sie. „Ich …“

„Liebe? Was meinst du damit?“ Er kannte Zuneigung und wohlwollenden Besitzerstolz. Doch diese Bezeichnung für eine Emotion hatte er bisher noch nie gehört.

„Ich …“ Sie schluckte hart, bevor sie fortfuhr: „Es ist ein Gefühl, das ich bisher nicht kannte. Aber seit ich Lyander begegnet bin, möchte ich immer an seiner Seite sein und alles mit ihm teilen, was ich zu geben imstande bin.“

„Und das hast du mit mir nicht gewollt?“ Xeyo wusste nicht, was genau in seinem Inneren überwog. Zum einen war er schockiert, weil er nicht bemerkt hatte, was in ihr vorging. Zum anderen war er traurig, dass sie ihn einfach so ziehen lassen wollte, obwohl sie so vieles gemeinsam bewältigt hatten. Allerdings fühlte er auch wütende Bitterkeit in sich wachsen, angesichts der Tatsache, dass sie bereit war, für einen anderen etwas zu tun, wofür er selbst offenbar nicht wichtig genug war.

„Liebt er dich auch?“ Das Wort war ihm immer noch genauso fremd, wie die Emotion, für die es verwendet wurde. Nichtsdestotrotz gebrauchte er es jetzt, denn er hatte mittlerweile begriffen, dass es bei diesem Gefühl um weit mehr ging, als um bloße Zuneigung oder pflichtbewusste Loyalität innerhalb einer Partnerschaft.

„Ja, das tut er“, antwortete Vyane.

„Dann soll es so sein.“ Xeyo hatte kaum zu Ende gesprochen, da wandte er sich auf dem Absatz seiner Stiefel ab und ging, um sich für eine lange Zeit in die Wälder zurückzuziehen, wo er seinen Empfindungen freien Lauf lassen und gleichzeitig nachdenken konnte. Ehedem davon träumend, auf dem neuen Heimatplaneten alles besser machen zu wollen, sah er nun keinen Sinn mehr darin, einen Neuanfang zu starten. Sicher, da gab es genügend Yden-Frauen, die ihn gern zum Gefährten genommen hätten. Allerdings verspürte er nicht die geringste Lust, Vyane durch eine andere zu ersetzen. Ja, er dachte sogar daran, ebenfalls auf Eotan zu bleiben, weil er den Wunsch nicht mehr verspürte, Aquitan kennenzulernen, oder sich den Problemen zu stellen, die dort auf ihn warteten. Sobald ihm jedoch klar wurde, dass er sich damit selbst einer unerträglichen Situation ausgesetzt hätte, blieb er bei seiner ursprünglichen Absicht. Ja, Aquitan war weit genug weg, redete er sich selbst gut zu. Sehr große Entfernungen bewirkten nicht nur eine nachhaltige Unterbrechung der telepathischen Verbindungen. Sie halfen sicher auch über Verluste hinweg!

*

Die Konstruktionspläne für die Raumtransporter schienen fast identisch mit den Blaupausen für die Fluggeräte, die man für den letzten Krieg gebaut hatte. Allerdings waren die Ausmaße der Schiffe um ein Vielfaches größer, weil in ihrem Inneren genügend Platz für hunderte in Kryostase liegende Passagiere, lebenserhaltende Technik und Proviant für diejenigen sein musste, die die Reise im Wachzustand bewältigen sollten.

Die Außenhülle der Raumfähren sollte aus einer sorgsam zusammengefügten, metallenen Doppelwand bestehen, in welche eine dichte aber dennoch leichte Isolierschicht eingearbeitet werden musste. Allein die sogenannte Steuereinheit, wo die wache Crew untergebracht werden sollte, wollte man direkt in den Bug einfügen. Dieser Bereich musste eine weitere Isolierung gegen die Kälte erhalten, die man im All erwartete, und zudem genügend Platz bieten, damit sich die einzelnen Individuen auch mal in ihren privaten Schlafraum zurückziehen konnten. Auch Sichtluken waren nur in diesem Bereich vorgesehen, und sollten bei Bedarf durch Schutzschilde verschlossen werden.

Die Baupläne waren mehrfach geprüft und hätten im Grunde sofort umgesetzt werden können. Da aber die Frage nach der Energieform, welche die Schiffe vorantreiben sollte, noch nicht geklärt war, musste zunächst erörtert werden, wie viel Platz man für das Antriebssystem brauchte. Diskutiert wurde dieses Problem bei einer Zusammenkunft in Sodyans Haus, wo dessen Gefährtin Myrani ein karges Abendessen servierte, bevor sie sich zu den Männern setzte.

„Für flüssige oder gasförmige Brennstoffe bräuchten wir entsprechend große Tanks, was im Hinblick auf die Länge unserer Reise bedeuten würde, dass wir dafür sehr viel Platz schaffen müssten“, stellte Lerys fest.

„Kernspaltung wäre eine Option“, schlug Wayonis vor.

„Nein“, winkte Leonyd ab. „Wenn wir diese Technologie mitnehmen und auf dem neuen Heimatplaneten installieren, gehen wir Gefahr, dieselben Fehler zu machen, die wir schon hier begangen haben. Nein, wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen.“

„Aber das ist doch …“, wollte Wayonis aufbegehren.

„Ich weiß“, unterbrach Leonyd. „Du siehst nur das Positive darin. Aber ich kann mich einfach nicht damit abfinden, dass diese Form der Energiegewinnung auch als absolut tödliche Waffe eingesetzt werden kann. Ich möchte nicht noch einmal riskieren, dass meine Felder zu verseuchtem Boden werden, auf dem nicht einmal mehr Dornenhecken wachsen wollen.“

„Wir könnten die Anlagen ja nach der Landung vernichten“, schlug Sodyan vor.

„Du weißt selbst, dass das nicht funktionieren würde“, winkte Leonyd ab. „Wir sind uns jetzt noch vielleicht einig darüber, dass wir keine höher entwickelte Technologie, sondern nur die Kraft unseres Geistes und unserer Hände nutzen wollen. Aber wenn wir ankommen und die Aufbrechenden darauf bestehen, die mitgebrachte Technologie weiterzunutzen, statt sie zu vernichten, wird es wieder zu Meinungsverschiedenheiten kommen. Willst du wirklich, dass wir in der neuen Heimat genau da weiter machen, wo wir hier aufgehört haben?“

„Was dann?“, wollte Wayonis wissen.

„Elektrische Energie lässt sich auch durch Fotovoltaik oder Bewegungsdynamik gewinnen.“ Wayonis war klar, dass man dafür nicht nur entsprechende Vorrichtungen an den Außenhüllen der Raumschiffe anbringen müsste, sondern auch Speichereinheiten im Inneren notwendig wären. Wie genau man das alles umsetzten sollte, war ihm jetzt noch nicht ganz klar. Allerdings war er überzeugt davon, dass ihm dazu schon bald etwas Hilfreiches einfallen würde. „Ich denke mal, dass wir die meiste Energie für den Start brauchen werden. Danach fällt dann nicht nur die Schwerkraft, sondern auch der Großteil des Luftwiderstandes weg, sodass die Schiffe leichter vorangetrieben werden können. Selbst für die Kryotanks bräuchten wir nicht mehr so viel Strom, wenn wir die entsprechenden Decks nur während der Inspektionszeiten auf erträgliche Temperaturen aufheizen. Allein die Energieversorgung der Lebenserhaltungssysteme muss ich noch überdenken, denn die müssen tausend prozentig funktionieren, wenn wir dieses Abenteuer unbeschadet überleben wollen.“

„Wir könnten doch mit Swer reisen.“ Alyana war nicht nur Wayonis Gefährtin, sondern auch Astronomin. „Ich habe in der Vergangenheit die Flugbahn und das Verhalten dieses Kometen gründlich studiert und den Turnus seiner Wiederkehr genau dokumentiert. Daher weiß ich, dass er in etwa zwei Jahren wieder so nahe an Eotan vorbeikommen wird, dass man ihn schon mit bloßem Auge sehen kann. Wir müssten bloß die ideale Position in seinem Schweif erreichen, um mitgezogen zu werden.“ Im Nachhinein war sie heilfroh, ihre Aufzeichnungen keinem Datenträger einer Speichermaschine anvertraut zu haben, sodass sie jetzt auf Unmengen von sorgsam zusammengetragenen und schriftlich festgehaltenen Details zurückgreifen konnte. Also stand sie auf und holte ein großformatiges Buch herbei, welches sie umgehend durchblätterte, bis sie schließlich die gesuchte Seite fand. „Swer benötigt exakt fünfeinhalb Jahre, um den Kreis seiner Reise einmal zu vollenden. Dabei kommt er aber nicht nur bei uns vorbei, sondern auch an Aquitan.“ Sie deutete auf die Karte, auf welcher die einzelnen Planeten mitsamt ihren Trabanten zu sehen waren. „Rye reicht uns hilfreich die Hand. Also denke ich, dass wir diese ergreifen sollten.“

„Trotzdem brauchen wir einen Antrieb, der uns nicht nur in den Weltraum bringt, sondern in Swers Schatten auf Position hält, bis wir da sind“, gab Wayonis zu bedenken.

„Swer besteht zu neunzig Prozent aus Eis“, gab Alyana zurück. „Der Rest setzt sich aus verschiedenen Gasen zusammen, die man möglicherweise nutzen …“

„Wasserstoff“, unterbrach Wayonis sie. „Eis besteht bekanntlich aus Wasser“, fuhr er gleich darauf fort. „Wenn es uns gelingt, etwas von Swers Eis abzubrechen und in das Innere der Raumschiffe zu bekommen, könnten wir es zur Energiegewinnung nutzen.“

Das war gar keine schlechte Idee, dachte Lerys für sich. Aber auch nicht wirklich gut, denn Eis aus einem Kometen hatte noch niemand gewonnen – und schon gar nicht verarbeitet. Man wusste also gar nicht, ob es aus reinem Wasser oder möglicherweise doch aus einem Gemisch von säurehaltigen Flüssigkeiten bestand. Ganz abgesehen davon müsste man einen Lagerplatz dafür einrichten, weil es ja irgendwo bleiben musste, bis es gebraucht wurde. Daher stellte diese Variante der Energiegewinnung keine wirklich ideale Option dar. Nein, man brauchte auf den Schiffen Energielieferanten, die absolut verlässlich waren, weil die Lebenserhaltungssysteme jederzeit und tausend prozentig funktionieren mussten. Fotovoltaik und Bewegungsdynamik waren darum wirklich die besseren Varianten. Lichtkollektoren, die man bei Bedarf wie Segel ausfahren konnte, gab es bereits seit man die Elektrizität entdeckt und damit begonnen hatte, ihre Kraft für sich zu nutzen.

„Energieblasen“, schlug Myrani nach einigem Nachdenken vor.

„Wie bitte?“ Sodyan konnte mit dem Ausspruch seiner Gefährtin absolut nichts anfangen.

„Wir könnten doch die alte Methode anwenden, wie wir es bereits bei den ersten Seglern gemacht haben“, erläuterte sie ihre Idee. „Wenn wir pro Schiff mehrere Ondore-Tax als gemeinsam agierende Zirkel einsetzen, können wir die Raumfähren in eine Art Energieblase hüllen und in den Weltraum bringen.“ Bevor ihr Gefährte einen Einwand vorbringen konnte, sprach sie schnell weiter: „Und sobald wir dort sind, brauchen wir wahrscheinlich nur noch wenige Ondore-Tax, um sie zu steuern und voranzutreiben, bis wir so weit an Swer herangekommen sind, dass wir mitgezogen werden. Sie könnten auch dafür sorgen, dass wir uns während der gesamten Reise genau auf der Position halten, die für uns am ungefährlichsten ist.“

„Dann würden wir praktisch alle bedeutenden Ondore-Tax mitnehmen, die auf Eotan zu finden sind“, gab Leonyd zu bedenken. „Und ich weiß nicht, ob sie tatsächlich alle mitkommen wollen. Sie haben …“

„Die Idee stammt von ihnen selbst“, unterbrach Myrani. „Gylendis, die leitende Ondor-Tax des ersten Zirkels hat mich vor ein paar Tagen kontaktiert und mich wissen lassen, dass sie sich mit allen anderen Ondore-Tax beraten hat und mit ihnen zu dem Entschluss gekommen ist, dass sie lieber einen Neuanfang mit uns wagen wollen, als hierzubleiben und möglicherweise von einem machthungrigen Kriegstreiber für Dienste missbraucht zu werden, die gegen ihre politische und moralische Überzeugung sind.“

Leonyd dachte kurz nach, bevor er zu einer Erwiderung ansetzte: „Wir wissen um die erstaunliche Stärke der Ondore-Tax. Dennoch sollten wir bedenken, dass ihre Macht Grenzen hat. Es sind zehn schwere Schiffe, die hunderte von Yden tragen sollen.“

„Gylendis hat wohl geahnt, dass du diesen Einwand vorbringen würdest“, erwiderte Myrani ruhig. „Deshalb haben sich die Ondore-Tax zu einer Art Test bereit erklärt.“ Da ihr ihr Gefährte augenscheinlich mit einer Frage ins Wort fallen wollte, hob sie abwehrend eine Hand, um sich dann wieder Leonyd zuzuwenden: „Ihr wisst alle, dass die, die hier zurückbleiben wollen immer häufiger murren, weil wir angeblich fruchtbares Land mit unserem Material blockieren. Darum wollen Gylendis und ihr Zirkel ein Plateau in den Bergen schaffen, auf welches wir ausweichen und wo wir ungestört arbeiten können. Sie sagt, wenn ein Zirkel imstande ist, ein halbes Gebirge abzutragen und das gesamte Baumaterial für ein Schiff auf einmal von A nach B zu transportieren, dann kann es auch kein Problem sein, den fertigen Flieger in den Weltraum zu bringen.“

„Und was sagen die Zurückbleibenden dazu“, wollte Leonyd wissen. „Ich meine, sie werden dann ohne Ondore-Tax …“

„Sie werden sich mit den Ondore zufriedengeben müssen, die hierbleiben wollen“, unterbrach Myrani mit ruhiger aber unnachgiebiger Stimme. „Die Ondore-Tax wollen nämlich alle mit uns gehen. Und wir können niemanden gegen seinen ausdrücklichen Wunsch zurücklassen, nur weil dies von den Zurückbleibenden so gefordert wird.“

Leonyd nickte bloß, um so deutlich zu machen, dass er im Grunde der gleichen Meinung war. Aber im Stillen fürchtete er den Augenblick, da die Entscheidung der Ondore-Tax öffentlich bekannt gegeben werden musste, denn diese Offenbarung würde garantiert neuen Streit und vielleicht sogar erbitterte Kämpfe nach sich ziehen, die dann noch mehr Hass erzeugen würden.

*

Sobald Gylendis‘ Vorschlag angenommen und sogleich mit den Vorbereitungen für die Geländebegradigung begonnen wurde, dauerte es nicht lange, bis ein paar eng beieinanderstehende Berggipfel verschwanden, um Platz für ein riesiges Plateau zu machen, auf welchem schon bald geschäftiges Treiben herrschte. Es kam jedoch trotz aller Mühe und Umsicht vonseiten der Aufbrechenden genau so, wie es Leonyd befürchtet hatte. Sobald nämlich bekannt wurde, dass alle Ondore-Tax mit nach Aquitan reisen wollten, wurde das Schimpfen und Hetzen unter den Zurückbleibenden immer lauter, bis es schließlich in aggressive Angriffe auf die Bauleute und Behinderung der Abläufe mündete.

Es war Xeyo, der einen neuen Krieg verhinderte. Ohne jegliche Ankündigung im Dyonaten-Sitz erscheinend, wo gerade eine erbitterte Diskussion zwischen einigen Senatoren und Sippen-Oberhäuptern geführt wurde, sah er sich zunächst verwundert um. Als er schließlich begriff, dass ein Teil der aufgebrachten Wortführer ausschließlich von Egoismus getrieben wurden, forderte er mit donnernder Stimme Ruhe ein.

„Ich habe bisher stets versucht, eure Wünsche zu berücksichtigen“, herrschte er die an, die sich darüber beschwerten, dass man in böswilliger Absicht bisher gut funktionierende Sippen spalten und somit nur Unruhe stiften wollte. „Aber jetzt sehe ich, dass das ein Fehler gewesen ist. Ihr behauptet, es geht euch um Frieden und Einheit im Volk. Aber ich sehe, ihr fürchtet nur um euren eigenen Stand, weil euch die Gemeinschaftsmitglieder weglaufen! Und weil das so ist, werde ich auch keine Rücksicht mehr nehmen. Jeder, der mit uns gehen will, kann das tun. Und die, die hierbleiben wollen, werden das akzeptieren. Anderenfalls werdet ihr mich von einer Seite kennenlernen, die ihr bisher nicht zu sehen bekommen habt.“ Mehr musste er dazu nicht sagen, denn alle, Vyane eingeschlossen, vermuteten, dass ihr sanftmütiges Oberhaupt bereit sein könnte, seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen. Seine Macht kam schließlich direkt von Rye. Und allein diese Tatsache bedeutete, dass er durchaus in der Lage war, Yden-Leben zu beenden, ohne ein Schwert zur Hand nehmen zu müssen, um den Delinquenten zu enthaupten!

*