Zauberhafte Weihnachtszeit - Ilse Ammann-Gebhardt - E-Book

Zauberhafte Weihnachtszeit E-Book

Ilse Ammann-Gebhardt

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Beschreibung

Jubel · Trubel · Lichterglanz – eine Reise durch 100 Jahre Weihnachtsfeste von Ilse Amman-Gebhardt. Alle Jahre wieder kommt diese wunderbare Zeit, in der Lichter leuchten, Düfte nach Tannengrün und Spritzgebäck durch die Häuser wehen, alle Menschen ein Stück näher zusammenrücken und einem besonderen Tag entgegenfiebern: Heiligabend. Ob in der Bescheidenheit des Krieges, während der Wirtschaftswunderzeit oder in den guten Jahren der 2000er – Weihnachten bleibt immer unvergleichlich. Ilse Ammann-Gebhardt blickt zurück auf 100 Jahre Weihnachtserinnerungen, die sie selbst erlebt hat oder die ihr zugetragen wurden. Sie berichtet, wie wertvoll ein Waffeleisen für eine Kinderschar sein kann, wie Gott manchmal auch den Wunsch nach wunderweichen Frotteetüchern erfüllt oder wie die Rückkehr eines Mannes zum schönsten Weihnachtsgeschenk wird. Die Kurzgeschichten der Autorin begeistern seit vielen Jahren Brunnen-Leserinnen und -Leser

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Ilse Ammann-Gebhardt

ZAUBERHAFTE

Weihnachtszeit

Erinnerungen aus 100 Jahren

Die Bibelzitate sind folgenden Übersetzungen entnommen:

Lutherbibel, revidiert 1984, durchgesehene Ausgabe,

© 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

Lutherbibel, revidiert 2017,

© 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

Die Bibel in heutigem Deutsch. Die Gute Nachricht des

Alten und Neuen Testaments,

© 1982 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

(Diese Bibelübersetzung ist in einer revidierten Fassung erhältlich:

Gute Nachricht Bibel, durchgesehene Neuausgabe,

© 2018 Deutsche Bibelgesellschaft)

Hohe Nacht der klaren Sterne

Text & Melodie: Hans Baumann (1914–1988)

© Voggenreiter Verlag OHG, 53343 Wachtberg (Germany)

© Möseler Verlag

Die Zitate in der Geschichte „It’s a wonderful life!“

stammen aus folgender Quelle:

Das große Norman Vincent Peale Buch, Hrsg.: Michael von

Görden, © Heyne Verlag, Ausgabe 1997, Seiten 96–100

© 2021 Brunnen Verlag GmbH, Gießen

Lektorat: Carolin Kotthaus

Umschlag- und Innenbilder: Adobe Stock

Umschlaggestaltung: Daniela Sprenger

Satz: DTP Brunnen

ISBN Buch 978-3-7655-3811-7

ISBN E-Book 978-3-7655-7623-2

www.brunnen-verlag.de

Inhalt

Zauberhafte Weihnachtszeit

Und davon möchte ich Ihnen in diesem Buch erzählen …

Weihnacht – in Krieg und Frieden

Zur Heiligen Nacht

Als wäre gar kein Krieg

Hohe Nacht der klaren Sterne

Solang die Sterne am Himmel stehn …

Sterne kreisen weltenfern

Fünf kleine Herzwaffeln

Weihnachtsseligkeit

Weihnacht – für Klein und Groß

Kinderseligkeit

Diese große, turbulente Familie!

Der Weihnachtsengel

„Ob er kommen wird …?“

Weihnacht

Wunderweiche Frotteetücher

Das Überraschungsgeschenk

Ein unerklärliches Sehnen

Silvesternächte

Weihnacht – es muss doch etwas dran sein

Zu Betlehem in dieser Nacht

Weiße Rüben im Advent

„Ich wünsch’ mir nur eins …“

Keine Weihnacht ohne Engel

Emilie – der Weihnachtsengel Gottes

Blau-silbern ist schön!

Die unglaubliche Weihnachtsgeschichte

Liebe ohne Schranken

Weihnachten – ein Kind in Windeln gewickelt

„… kennt auch dich und hat dich lieb!“

Traumschloss im Schnee

Jesus – ein Mensch wie wir

Ein Kind – in Windeln gewickelt!

„Merry Christmas, Freunde!“

Ein einziges Wort kann Wunder wirken

„It’s a wonderful life!“

Weihnachten – ?

Weihnacht –die biblische Chronologie

Die chronologische Geschichte der Geburt Jesu

Zauberhafte Weihnachtszeit

Wir Kinder hatten eine schöne, fast sorgenfreie Kindheit, ob vor oder während des Krieges.

Der Himmel wölbte sich über dem Dorf wie eine blaue gläserne Kuppel, deren Ränder sich ringsumher auf die Hügel senkten. Unter diesem blauen sonnigen Himmelszelt und eingebunden in Familie, Nachbarschaft und die Dorfgemeinschaft waren wir glücklich. Was da draußen, außerhalb der gläsernen Kuppel geschah, war weit, weit weg und nicht vorstellbar. Wir hörten davon, doch es berührte unsere Kinderherzen recht wenig.

Diese Jahre hatten ihren eigenen Zauber, ihren eigenen wunderbaren Rhythmus und ihre besonderen Zeiten. Eigentlich war jede Zeit eine besondere Zeit, denn das Jahr unterschied nicht nur die vier Jahreszeiten und die Festtage – es gab laufend Höhepunkte, auf die man sich freuen konnte.

Aber Weihnachten – das war etwas völlig anderes. Es war und blieb für mich immer der Höhepunkt und gleichzeitig der Orientierungspunkt: Dann war wieder ein Jahr vorbei und ein langes, langes neues Jahr begann – bis endlich wieder Weihnachten wurde.

Die langen Sommerspiele gab es jetzt nicht mehr. Am Morgen, wenn wir zur Schule gingen, war es noch dunkel. In unsere Wintermäntel gehüllt, dicke Wollmützen auf dem Kopf, stapften wir durch Kälte und Schnee. Die Tage waren kurz und am Nachmittag wurde schon Abend.

Als wir etwas größer waren, glaubten wir heimlich nicht mehr so recht an Nikolaus und Christkind, obwohl der Glaube daran sehr schön war. Doch konnte es geschehen, wenn die Sonne rot hinter den Hügeln unterging und ihr Gold und Rot flammend in den Himmel warf, dass ein Kind plötzlich ausrief:

„Das Christkind bäckt Zuckerzeug!“

Zuckerzeug klingt noch heute richtig zuckrig und knusprig schön in meinen Ohren. „Das Christkind bäckt Zuckerzeug“ klang wie ein Zauberwort: Augenblicklich standen wir alle still und schauten wie gebannt nach Westen, wo der Himmel sich über den Hügeln mit Gold und Purpurrot überzog. Im Himmel – das war klar – stand die große Ofentür offen, und heller Feuerschein drang zu uns heraus – es musste wunderschön dort sein.

Ich stand und schaute – und träumte Kinderträume aus vergangenen Jahren. Da hatte Mama mich früh zu Bett gebracht und geheimnisvoll erklärt, dass das Christkind käme, um ihr Zuckerzeug backen zu helfen.

„Aber nicht durchs Schlüsselloch schauen, sonst ist es weg!“

Ich habe nie – Ehrenwort! –, nie durchs Schlüsselloch geschaut.

„Und schön schlafen, nicht rufen!“

So blieb ich brav liegen und lauschte noch lange den Geräuschen aus der Küche, bis der Schlaf mir die Augen schloss.

Jetzt aber, beim Anschauen des Abendrots, war bei uns Kindern das Stichwort gefallen, und die folgenden Wochen waren erfüllt von Geheimnis und Flüstern und Plätzchenduft. Wir berieten, was wir unseren Eltern und Großeltern basteln könnten, und waren sehr beschäftigt damit; doch arg viel kam nicht dabei heraus. Und Geld, etwas zu kaufen, hatten wir Kinder damals alle nicht.

In diesen Tagen verschwanden auch plötzlich unsere Puppen und keiner wusste, wohin.

„Vielleicht hat sie das Christkind geholt?“, meinte Mama.

Alles war voller Geheimnis. Manchmal durfte man tagsüber die Küche nicht betreten. Von drinnen hörte man das Rattern der Nähmaschine und andere verdächtige Geräusche. Bald war jetzt auch die Zimmertür abgeschlossen, und man durfte nicht mehr allein hinein, denn die Schränke bargen Dinge, die man nicht sehen sollte. Auch nicht sehen wollte, denn dann wäre Weihnachten nur noch halb so schön gewesen.

Der Nikolausabend war bereits ein kleiner Vorgeschmack auf Weihnachten. Angespannt saßen wir in der warmen Küche, warteten und bangten und sangen „Niklaus ist ein guter Mann“, einen Vers nach dem andern.

Man wusste nie, ob nicht ein vermummter Nikolaus sogar ins Haus kam oder aber heftig am Fensterladen klopfte und rüttelte. Denn das zumindest geschah immer. Dann sangen wir noch lauter, noch verzweifelter. Wenn aber das Rütteln, die seltsam unmenschlichen, drohenden Töne draußen aufgehört hatten, gingen Mama oder Oma zum Fenster, um nachzusehen, ob der Nikolaus uns „nicht vielleicht doch“ etwas gebracht hätte. Und tatsächlich stand draußen für jeden ein Teller auf der Fensterbank und es lagen Zuckerzeug, ein Lebkuchen mit aufgeklebtem Nikolausbild, ein Apfel und ein paar Nüsse darauf. Die Spannung fiel ab …

Wenn das alles aber aufgegessen war, blieb nur noch die Erinnerung daran und das Verlangen, an Weihnachten einen ganzen Berg davon zu bekommen. Aber bis dahin gab es nichts mehr.

Es waren zauberhafte, aufregende Zeiten! Nach schier endlosem Warten und Entgegenfiebern, Tagen voller Arbeit und Vorbereitungen bei den Großen, zog gegen Abend auf einmal Festtagsstimmung ins Haus.

Die Arbeit ruhte, alles Rennen und Rumoren versank. Die Weihnachtsglocken begannen auf den beiden Dorfkirchen voll und feierlich zu läuten und wir wussten: Der Heilige Abend ist da.

Wir Kinder warteten aufmerksam und gespannt … Ein Glöckchen bimmelte süß und hell, zuerst ganz leise, die Tür öffnete sich wie von Zauberhand und aus dem dunklen Flur traten wir ins Zimmer, das im warmen, sanften Weihnachtsglanz erstrahlte. Mit sieben oder acht Jahren konnte man sich nur an drei, höchstens vier Weihnachtsfeste erinnern – und das war im Leben bisher das Allerschönste auf der Welt gewesen. Froh und laut sangen wir ein Lied nach dem anderen, Oma und Opa immer auch mit dabei. Papa spielte Gitarre und seine kräftige Stimme füllte unseren kleinen „Chor“. Ich wartete schon immer auf „Ihr Kinderlein kommet“, denn da sang Papa wunderschöne hohe Schnörkel hinein.

Ach – Weihnachten war jedes Jahr zauberhaft und schön. Der schönste Tag des Jahres.

Zudem gab es Geschenke, Teller voller Zuckerzeug und – man höre und staune – auch die Puppen tauchten wieder auf. Mit schönen neuen Kleidern saßen sie unter dem Lichterbaum und lächelten einen an. Das eingedrückte Auge oder der zerbrochene Arm waren wie durch ein Wunder wieder ganz heil. Und Weihnachten war ja ein Wunder, jedes Jahr neu.

Ich kann mich nicht erinnern, auch nur ein Mal an Weihnachten enttäuscht gewesen zu sein. Was für mich zählte, waren nicht so sehr die Geschenke, sondern der still leuchtende Christbaum mit seinen silbernen und weißen Kugeln, den weißen Kerzen, Lametta und ein wenig Engelshaar. Welch ein Schimmern und Glänzen!

Vor allem aber rührten mich die zarten und bewegenden Lieder, die man nur an diesem einen Abend des Jahres als Familie sang, diese schöne, frohe und unnachahmliche Weihnachtsstimmung.

Mit diesen wunderbaren Festtagen voller Hochstimmung, Gottesdienstbesuchen, gutem Essen und Besuchen hin und her ging für mich das Jahr zu Ende und ein neues begann. Ganz gleich, was es an einzelnen besonderen Erlebnissen bringen würde – der Rhythmus des Jahres war immer der gleiche. Man wusste schon genau, was wann kommen würde. Immerzu hatte man etwas, worauf man sich freuen konnte. Und das nächste, heiß ersehnte Weihnachtsfest kam ganz bestimmt

– als Krönung und Höhepunkt des Jahres.

Und davon möchte ich Ihnen in diesem Buch erzählen …

… von Erlebnissen in der Advents- und Weihnachtszeit bis zum Dreikönigstag und von Begebenheiten, die ich mit anderen in dieser oder jener Weise teilte. Einzelne Geschichten wurden von mir schon sehr bald aufgeschrieben und gesammelt. Ich habe sie chronologisch geordnet, und dabei staunend entdeckt, dass sie sich damit „locker“ und gut lesbar in ein ganzes Jahrhundert fügen.

Über all den Weihnachtszeiten meines Lebens lag immer etwas von dem Weihnachtszauber meiner Kindheit und von der unfassbaren Größe und Schönheit der Botschaft, dass Gott uns seinen Sohn sandte, „damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben“ (Johannes 3,16).

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern Freude, Entspannung und ein neues Weihnachtsgefühl beim Lesen. Sicher werden in diesen Tagen auch in Ihnen fast vergessene und doch lieb gewordene Erinnerungen wach, die Ihr Herz zu wärmen vermögen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine frohe und reich gesegnete Weihnachtszeit!

Ilse Ammann-Gebhardt

Weihnacht – in Krieg und Frieden

Zur Heiligen Nacht

Ich ging im dunklen Wiesengrund

am Abend hin, für mich so ganz allein,

schwarz stand der Wald, der Wind war stumm,

da fing es lautlos an zu schnei’n.

Die weißen Flocken schwebten sacht,

mir war, als ob der Himmel leise sang –?

Es läutete zur Heil’gen Nacht

der fernen Glocken weicher Klang.

Sie weckten die Erinnerung

in mir an alte, längst vergangne Zeit,

als Hirten hörten die Verkündigung

vom Heil, von Frieden und von Freud’.

Die Botschaft ist ja nicht so alt,

dass sie nicht heut’ das Herz ergreift und rührt,

und in uns tönt und leise widerhallt,

vom Heiland, der zum Himmel führt.

Da wird mein Herze seltsam weich,

und weiß und weißer glänzen Flur und Feld.

Ich fühle mich beschenkt – so überreich,

und Gottes Friede senkt sich auf die Welt.

Als wäre gar kein Krieg

1916

Wunderbar – das Weihnachtsfest musste einfach wunderbar werden!

Seit Wochen hatte Anna „geschuftet wie ein Pferd“. Im Oktober hatte sie beim Bauern im Tagelohn Kartoffeln ausgemacht. Dafür hatte sie von ihm Kartoffeln und Mehl bekommen. Zucker und Margarine hatte sie schon seit Langem aufgespart.

Jetzt stand Weihnachten vor der Tür und manchmal zog abends der Duft von Weihnachtsgebäck durchs Haus. Alles war vorbereitet wie in alten Zeiten: Sie hatte die Puppen der Kinder neu ausstaffiert, sogar einen Puppenwagen erstanden und manches mehr. Es war einfach wunderbar, denn Heinrich würde von der Front in Urlaub nach Hause kommen – er würde staunen! Sie hatte sich so abgerackert für dieses Weihnachtsfest 1916, dass man nichts vom Krieg merken würde.

Heinrich kam. Müde, ausgehungert, verdreckt stand er vor ihr. Die Fahrt von Russland war weit und beschwerlich gewesen. In unendlich langen Monaten und nass verregneten, eiskalten November- und Dezemberwochen mit frühem Schnee war ihnen der Krieg zur Hölle geworden. Nur das Wissen, an Weihnachten zu Hause zu sein, hatte ihn aufrechterhalten.

Endlich wieder einmal baden können, in einem sauberen, weichen Bett schlafen! Endlich wieder einmal Anna und die Kinder in die Arme schließen – seine alte Mutter … Erfahren, wie es ihnen ging, und an Weihnachten, dem Fest aller Feste, zu Hause sein. Alle Gedanken an Krieg, Russland hinter sich lassen …

Schlafen, schlafen, nur schlafen …

Die Kinder überfielen den Vater mit ihrer Liebe, erdrückten ihn fast. Anna stand dabei und wischte sich die Tränen ab …

Heinrich badete, zog weiße weiche Unterwäsche an, ein weißes Hemd, seine bequeme graue Wollhose. Doch er fühlte sich zum Sterben elend. Er sagte es nicht, denn Anna und die Kinder waren in allzu fröhlicher Weihnachtsstimmung. Anna hatte es immer verstanden, diese Tage mit Duft und Geheimnis und froher Erwartung zu erfüllen. Das wollte er ihnen nicht verderben.

Heiligabend. Die Kinder saßen mit dem Vater in der warmen Wohnküche, sie sprachen leise und lauschten. Allzu leicht hätte man das Bimmeln des Glöckchens überhören können. Doch da war es – ein leises, süßes silbernes Bimmeln!

Die Kinder wagten kaum zu atmen, dann gingen sie langsam in die dunkle Diele. Aus der Wohnzimmertür fiel warmer, heller Lichtschein, und das Glöckchen klang aus.

Langsam, zaghaft traten sie durch die offene Tür, und dort schimmerte der schönste Weihnachtsbaum. Weiße Kerzen flackerten und spiegelten sich in silbernen Kugeln und Lametta. Mitten in die Verzauberung hinein begann die Mutter leise zu singen: „Stille Nacht, heilige Nacht …“

Die Kinder fielen mit ihren klaren Stimmen ein, sie sangen ein Lied nach dem andern. „Freue dich, o freue dich, du Christenheit“ klang es.

Da drehte sich Heinrich wortlos um, ging hinaus und zur Küche hinüber.

Anna war entsetzt. Wusste er denn nicht, was er ihr und den Kindern damit antat? Warum sang er nicht, freute sich nicht mit? Sie hatte sich doch alles so schön ausgedacht, so schön vorbereitet! Aber – warum war er gegangen?

Anna machte ihr Herz hart. Sie sprach nicht mit ihrem Mann über diesen Punkt und er schwieg, erklärte nichts, entschuldigte sich nicht. Doch dann kam ein Abend, an dem Heinrich sein Herz ein wenig öffnete:

„Weißt du, wenn man Wochen und Monate in Russland in Dreck und Schlamm liegt, Tod und Gefahr ringsum, und dann heimkommt und das sieht und hört – als wäre überhaupt kein Krieg!“

Er schüttelte den Kopf. Wie sollte er das erklären?

Doch Annas Herz war noch immer hart:

„Weißt du denn, wie es mir und den Kindern in diesen Jahren ging? Weißt du, wie ich mich abgerackert habe für dieses Weihnachtsfest? Geschuftet, gespart, mir jeden Pfennig abgeknausert …“

Er wusste es nicht. Sie wusste es nicht.

„Du kannst dir nicht vorstellen“, versuchte er noch einmal, „was es bedeutet, wenn es heißt: Auf in den Nahkampf! – Mit aufgepflanzten Bajonetten!“

Heinrich sah all die schrecklichen, blutigen Szenen vor sich: Männer, die sich gegenseitig buchstäblich abschlachten – der oder ich! Man hatte keine Wahl, denn daheim waren Frau und drei Kinder! Dabei hatte er immer ein weiches, mitfühlendes Herz gehabt.

Aber Anna hatte keine Vorstellung davon, wie seine Tage in Russland aussahen. Der Krieg, die Entbehrungen, die unendlichen Sorgen dieser Jahre machten die Herzen der Menschen hart, damit sie überhaupt durchkamen.

Die Tage vergingen, doch als die bevorstehende Trennung bewusst wurde, fühlten die Herzen nicht mehr hart. Sie waren weich, ganz weich. Anna spürte schon jetzt die Reue um jede verlorene Stunde. Sie musste ihren Mann wieder ziehen lassen. Und Heinrich musste gehen, Heim und warmen Herd, seine Frau und drei schmerzlich vermisste Kinder zurücklassen. Ein Abschied, der beiden das Herz fast zerriss.

Wussten sie, ob sie sich je wiedersähen?

Oft hat Anna im Alter von diesem Weihnachtsfest erzählt, und wir spürten ihr Bewegtheit ab. Annas Augen schimmerten weich und wissend, wenn sie davon sprach.

Dennoch war Anna auch viel Schönes und etwas sehr Beglückendes von dem Urlaub geblieben: Am 20. September 1917 erblickte ihrer beider Sohn Friedel das Licht der Welt, den sie und Heinrich sehr liebten.

Hohe Nacht der klaren Sterne

1942 / 1945

Wir waren Kinder von sieben, acht Jahren und begierig auf das Leben. Begierig auf alles Neue, das wir sahen und hörten, wie Kinder eben sind.

Was wir in der Schule hörten und erlebten, drang in unsere Herzen, unser Denken ein: vom Hitlerbild über dem Pult in den Klassenräumen, dem gemeinsamen Hitlergruß mit erhobener, schräg ausgestreckter Hand am Morgen bis hin zu offener bis unterschwelliger national-sozialistischer Beeinflussung.

Kinderseelen sind wie feuchter Ton: Man kann ihn formen und die Form auch verändern, solange er noch feucht ist. Und Kinder sind nicht urteilsfähig; sie übernehmen, was Eltern und Lehrer – die ganze Umwelt – ihnen anbieten. So war es auch damals, als wir Kinder waren. Und es war Krieg!

Viele Väter, Söhne und Brüder, so viele Nachbarn und Verwandte waren als Soldaten eingezogen worden. Auch mein Papa. Einige waren schon gefallen, viele kämpften in diesen Tagen in Schlamm, Regen und Schnee an schweren Fronten oder waren seit Wochen im todbringenden Kessel von Stalingrad eingeschlossen. Wie Papas Freund Arthur und sein Cousin Ludwig und Mamas Bruder Heinrich.

O hoffentlich lebten sie noch, hoffentlich!

Hoffentlich war dieser schreckliche Krieg bald aus!

Hoffentlich hörten die Bombennächte in den Städten, all die unbegreifliche Zerstörung bald auf! Hoffentlich!

Die vierte Kriegsweihnacht stand bevor. Zehntausende Päckchen waren, mit Liebe, mit Tränen und Herzblut gepackt, unterwegs zu den Frontsoldaten, die sich zu keiner Zeit so verzweifelt innig nach Hause sehnten wie gerade an Weihnachten. Die Herzen waren weich – hier wie dort.

In jenen Tagen schaute ich mir immer wieder mit Wehmut und Mitgefühl eine schöne, klare Weihnachts-Fotokarte in Schwarz-Weiß an, von deren Art es viele ähnliche gab: