Zehn Frauen - Hubertus Meyer-Burckhardt - E-Book
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Zehn Frauen E-Book

Hubertus Meyer-Burckhardt

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Beschreibung

 Außergewöhnliche Frauen, erstaunliche Geschichten, beeindruckende Lebenswege  In seinem Podcast »Meyer-Burckhardts Frauengeschichten« auf NDR Info begrüßt der Gastgeber Gesprächspartnerinnen, die aus einem ungewöhnlichen Leben berichten können. Es ist eine Sammlung unterhaltsamer und tiefgründiger Gespräche, die den Horizont erweitern und das Herz öffnen. Diese Frauen haben mit ihren Geschichten besonders beeindruckt:  Barbara Becker, Senta Berger, Ann-Marlene Henning, Nina Hoss, Caren Miosga, Katrin Sass, Britta Steffen, Stephanie Stumph, Insa Thiele-Eich, Christiane Woopen.  Zehn Gespräche waren ursprünglich geplant, doch das Interesse Meyer-Burckhardts endete damit nicht. Ein elftes Interview rundet die Auswahl ab: Sängerin  Annette Humpe  stand hier Rede und Antwort – und machte, wie alle anderen, Neugier auf mehr.

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Seitenzahl: 357

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Impressum

© eBook: 2022 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2022 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

Gräfe und Unzer Edition ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, www.gu.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Projektleitung: Simone Kohl

Lektorat: Thomas Schmitz, Martin Kulik

Covergestaltung: ki36 Editorial Design, Sabine Krohberger, München

eBook-Herstellung: Viktoriia Kaznovetska

ISBN 978-3-8338-8300-2

1. Auflage 2022

Bildnachweis

Coverabbildung: Stephan Pick

Illustrationen: Jessine Hein, die Illustratoren

Fotos: Stephan Pick

Syndication: www.seasons.agency

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Wichtiger Hinweis:

Die Informationen in diesem Buch stellen die Erfahrungen und die Meinung der Autorinnen dar. Sie wurden von ihnen nach bestem Wissen erstellt und mit größtmöglicher Sorgfalt geprüft. Sie bieten jedoch keinen Ersatz für persönlichen kompetenten medizinischen Rat. Weder die Autorinnen noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.

»Ich habe Fragen gestellt, um dann zuzuhören, besser: hinzuhören.«

»In diesem Buch, das Sie in den Händen halten, sind nur Gesprächspartnerinnen versammelt. Ich unterhalte mich nämlich lieber mit Frauen als mit Männern … Warum: weil Frauen, nach meiner Beobachtung, zunächst die Person in den Mittelpunkt eines Gedankenaustausches stellen, dann irgendwann die Funktion, die sie gegebenenfalls bekleiden …

„Meine“ hier versammelten elf Frauen sprechen für sich. Ich habe Fragen gestellt, um dann zuzuhören, besser: hinzuhören. All diese Gespräche sind für mich jederzeit erinnerlich, also unvergesslich. Es waren zauberhafte Momente, Stunden, für die ich dankbar bin.«

Vorwort

Wir schenken uns Zeit, wir tauschen Gedanken aus, wir leihen das Ohr. Wenn die deutsche Sprache versucht, der Kostbarkeit eines Zusammentreffens zweier Menschen gerecht zu werden, dann verwendet sie bezeichnende Bilder. Bilder, die mit dem Materiellen nichts, rein gar nichts zu tun haben.

Im Gespräch „schenken“ wir einander Zeit, wir „tauschen“ uns aus, wir „leihen“ dem anderen ein Ohr. Und erst wenn wir dem Gesprächspartner, dem wir ja auch Vertrauen geschenkt (!) haben, unter Umständen etwas Unwahres unterstellen, wenn wir also eine Schwindelei vermuten, dann erst verwenden wir einen Begriff aus der materiellen Welt: Das „kaufen“ wir ihm oder ihr dann nicht ab.

Ein Gespräch setzt Mut voraus.

Bevor wir im Privaten von „meinem Partner“ sprechen, vergeht sehr viel Zeit. Da sind wir vorsichtig. Auch der Partner im Beruflichen, etwa der Partner in einer Rechtsanwaltskanzlei, muss sich in Geduld üben, bevor er sich Partner nennen darf. Nur im Gespräch sind wir freigiebiger, entscheidungsfreudiger, ja vielleicht eben doch auch mutiger. Führen wir ein Gespräch mit einer anderen Person, dann nennen wir diese Person sofort Gesprächspartner beziehungsweise Gesprächspartnerin.

Und hier in diesem Buch, das Sie in den Händen halten, sind nur Gesprächspartnerinnen versammelt. Ich unterhalte mich nämlich lieber mit Frauen als mit Männern. Es mag Ausnahmen geben, aber meine Aussage stimmt gleichwohl in ihrer Grobkörnigkeit. Warum? Weil Frauen, nach meiner Beobachtung, zunächst die Person in den Mittelpunkt eines Gedankenaustausches stellen, dann irgendwann die Funktion, die sie gegebenenfalls bekleiden. Bei Männern ist es genau andersherum. Männer stellen zuerst ihre (beruflichen) Erfolge und Siege ins Schaufenster und gelegentlich ist man froh und dankbar, wenn man dann hinter der Fassade überhaupt noch eine Person findet. Oft begegnet einem dann das große Schweigen. Und nicht jedes stille Wasser ist zwingend tief.

All diese Gespräche sind für mich jederzeit erinnerlich, also unvergesslich.

Ich habe Fragen gestellt, um dann zuzuhören, besser: hinzuhören. All diese Gespräche sind für mich jederzeit erinnerlich, also unvergesslich. Es waren zauberhafte Momente, Stunden, für die ich dankbar bin.

Deshalb bin ich sehr glücklich, dass mich Gräfe und Unzer in die Lage versetzt, diese Gespräche, die eigentlich für das Radio, den Podcast auf NDR Info, geführt worden sind, nun in Buchform vorliegen. Schön, dass ich mein Glück mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, „teilen“ darf. Schon wieder ein Verb, das mit dem Materiellen nichts zu tun hat.

Hubertus Meyer-Burckhardt

PS: Ich möchte mich im Übrigen sehr bei Bettina Breitling, Eva Dotterweich, Ulrich Ehrlenspiel, Simone Kohl, Doris Schiederig und Thomas Schmitz bedanken.

Barbara Becker

Als junger Werber in Düsseldorf habe ich mal mit dem berühmten Fotografen Ross Feltus zusammengearbeitet. Der Mann hatte immerhin für die „Sunday Times“ gearbeitet, für den „Stern“, für Rodenstock. Er war eine Klasse für sich in dieser Zeit. Sein feines Lächeln ist mir in Erinnerung geblieben. Obgleich er ein eher zurückhaltender Charakter war, „besetzte“ er mit seinem Charisma den Raum. Er war einfach da, war präsent!

Barbara Feltus, die heute Barbara Becker heißt, wird dies von ihm geerbt haben. Man kann sich ihrem Charme nicht entziehen; sie zieht einen vielmehr in ihren Bann. Barbara Schöneberger gibt freimütig zu: „In die Frau habe ich mich verliebt.“ Nachvollziehen kann ich es. Und … ich habe mit ihr eine Premiere erlebt: Über 60 Frauen habe ich für die FRAUENGESCHICHTEN porträtiert. Jede dieser Frauen durfte drei Musikstücke mitbringen, die in ihrem Leben eine Rolle gespielt haben. Alle Frauen haben, während sie „ihre“ Songs gehört haben, vielleicht ein wenig gelächelt, sich an etwas erinnernd, hie und da etwas gesagt. Barbara Becker war die erste Frau, die bei mir zu Gast war, die aufstand und … tanzte! Mit sich selbst. Sehr sinnlich. Und das an einem grauen Samstagmorgen im Hörfunkstudio des NDR an der Rothenbaumchaussee. Das heißt was!

Ich freu mich unglaublich, Barbara Becker gibt mir die Ehre, herzlich willkommen, Barbara.

Danke, Hubertus!

Liebe Barbara, es ist ein grauer Samstagmorgen in Hamburg. Wir haben gestern Abend gemeinsam mit Barbara Schöneberger die NDR Talk Show aufgezeichnet. Wenn ich spätnachts nach Hause fahre, dann denke ich noch mal über meine Gesprächspartner nach. Auch über dich habe ich nachgedacht und mich gefragt, wer ist diese Barbara Becker? Und da man sich ja vor Assoziationen nicht schützen kann, kam mir der Gedanke, dass sie vermutlich eine Suchende ist, eigentlich sogar ein suchendes Kind. Ist das pathetisch oder habe ich vielleicht recht?

Du hast sicher recht und ich habe gerade schon überlegt, ob ich dich unterbreche. Wer ist diese Barbara Becker? Vielleicht kannst du mich anrufen, wenn du es weißt, dann gebe ich dir meine Nummer. Tatsächlich weiß ich heute mehr über mich als noch vor einem Jahr beziehungsweise vor 10 oder 20 Jahren. Aber ich bin wirklich noch auf der Suche, um herauszufinden, wer ich bin und was ich will … und was das alles hier soll.

» Ich bin wirklich noch auf der Suche, um herauszufinden, wer ich bin und was ich will. «

Auf das Kind Barbara sind wahnsinnig viele Eindrücke eingeströmt. Du bist in Heidelberg geboren, übrigens ist ein anderer Amerikaner – das wissen die wenigsten –, der große Jackson Browne, „Running on Empty“, auch in Heidelberg geboren, war dann aber sehr schnell weg, wie du auch.

Ganz schnell.

Ich denke an ein Kind, das in Heidelberg geboren wird, in Pforzheim lebt und dort eine glückliche Kindheit verbringt – glückliche Tage in Pforzheim.

Finde ich auch besser, dass du das so sagst: Glückliche Tage.

Glückliche Tage in Pforzheim – schöner Filmtitel. Wenn du an deine Kindheit zurückdenkst, was ist die vorherrschende Empfindung, was der vorherrschende Eindruck?

Da habe ich natürlich mehrere Eindrücke, aber der erste ist immer, dass ich wie in einer Enklave gelebt habe. Ich bin in der Waldorfschule groß geworden, wir waren ein bisschen sippenhaft unterwegs. Die Freunde kamen auch aus der Waldorfschule und alle anderen fanden das ein bisschen merkwürdig, nicht nur das mit der Eurythmie, sondern auch mit der Ernährung und überhaupt. Ich fühlte mich da sehr aufgehoben und insgesamt, wenn ich so an meine Kindheit denke, spüre ich schon auch Wehmut. Ich habe mich immer gefühlt, als würde ich nicht wirklich dazugehören. Ich hab’ das später erst verstanden. Natürlich bin ich nicht irgendwann aufgewacht und hab’ auf einmal verstanden, dass ich einfach schon äußerlich nicht dazugehöre oder, besser gesagt, vor allen Dingen äußerlich nicht dazugehöre, dass ich eigentlich viel am Rand stand.

Du warst im Schulbus in Karlsruhe das einzige schwarze Mädchen. Wir haben in der NDR Talk Show gestern auch über Rassismus gesprochen, freilich nur am Rande. Ich habe hingegen vor ein paar Tagen auf 3sat eine sehr interessante Diskussion gesehen, moderiert von Gert Scobel, und da fiel das Zitat „Rassismus ist Vorurteil und Macht“.

Du hast es gestern schon so schön in der Talkshow gesagt, dass natürlich für dich als weißer Mann das Ganze, diese ganze Welt gemacht ist, dass du durch alle Türen gehen kannst. Natürlich ist nicht jeder gleich und es gibt Leute mit Vorteilen und eben Leute, die benachteiligt sind, das hast du wirklich treffend gesagt, das hat mich sehr berührt, dass du da deine Position kennst und damit auch deine Verantwortung. Ich glaube, dass ich mit dem Rassismus immer schon zu kämpfen hatte. Viele von meinen Freundinnen sehen das ganz anders, weil sie gemerkt haben, dass ich öfter im Mittelpunkt stand, aber ich würde mich heute wirklich anders betrachten. Ich habe das eingeatmet wie Luft oder wie so eine Atmosphäre, eigentlich aber wie einen Gestank. Diese Blicke, die Belustigungen, die kleinen Witze. Und dann wirst du natürlich konditioniert und bist einfach irgendwann müde, wenn du jahrelang darüber erzählst, aber es ist tatsächlich eine Aufgabe. Und bis nicht alle mitgenommen werden und nicht mehr in der Ecke stehen, werde ich darüber sprechen.

Wir müssen definitiv darüber sprechen. Ich glaube, der Rassismus begleitet diese Welt im Grunde seit der Antike. Aristoteles hat den griechischen Bürgern die Vernunft attestiert, aber den Sklaven diese Vernunft nicht zugesprochen, sie galten als minderwertig. Ich frage mich auch, wie man dem Rassismus endgültig Einhalt gebieten kann. Mächtige Gruppen schreiben schwachen Gruppen Eigenschaften zu wie: „Juden können gut mit Geld umgehen“, „Schwarze können gut tanzen …“

Singen und tanzen. Bitte das Singen nicht vergessen.

» Ich habe mich immer gefühlt, als würde ich nicht wirklich dazugehören. «

Du bist aber trotz allem optimistisch. Du lebst in Amerika und kommst oft nach Deutschland. Hast du das Gefühl, dass es sich ein bisschen verbessert, dass es sich in eine gute Richtung bewegt? Wir achten ja zum Beispiel das erste Mal sehr auf unsere Sprache, wir reden beispielsweise nicht mehr vom Zigeunerbaron oder vom Mohrenkopf.

Auf jeden Fall. Es gibt allerdings Leute, die in dieser sogenannten Cancel Culture sagen, es geht nicht darum, was man wo überhaupt noch sagen darf. Ich denke, dass da auch anderen Leuten wehgetan wird, denen wir zuhören müssen, wo wir lernen müssen, auf unsere Sprache zu achten. Ich finde es auch schön, dass du darauf hinweist, wie lange das schon her ist, dass man meint, es gäbe unterschiedliche Intelligenzgruppen unter den Menschen. Und das ist tatsächlich nach wie vor gerade in Amerika so gewollt, dass education, also Bildung, etwas kostet und damit dann dieses System systematischen Rassismus betreiben kann, damit es schwierig wird, aus diesem gewollten Ghetto heraustreten zu können. Das ist für mich ein großes Problem, da ich ja aus einer Welt gekommen bin, die für mich frei war. Ich durfte alles, wenn ich es wollte und wenn ich mich angestrengt habe. Und ich merke nun – ich lebe bereits seit 20 Jahren in Amerika –, dass es eben nicht so ist, dass du die gleichen Rechte hast von Anfang an, wenn du als schwarzes Kind in Amerika geboren bist. Und ja – darüber kann man sich den ganzen Tag aufregen.

Eine Definition von Rassismus lautet: absichtsvolles Verletzen. Ich verletze dich mit Absicht, nicht versehentlich. Du hast wunderbare Großeltern gehabt in einer etwas wirren Kindheit. Deine Mutter ist Lehrerin gewesen an Waldorfschulen, dein Vater war der berühmte Ross Feltus, ein großartiger Fotograf, den ich hier einmal deutlich erwähnen möchte. Ich habe ihn als junger Werber noch kennengelernt.

Er hat auch die ersten Bilder von Claudia Schiffer gemacht.

Er hat für „People“ und im Prinzip für alle großen Magazine gearbeitet. Ich habe ihn in Düsseldorf im Rahmen einer Zusammenarbeit erlebt und erinnere mich wirklich sehr gern an Ross Feltus. Aber die Frage sei eine andere: Welche Erinnerung verbindest du mit deinen Großeltern?

Ich bin tatsächlich sehr viel bei meinen Großeltern gewesen und verbinde damit ganz unterschiedliche Sachen. Ich war mit meinem Großvater viel in großen Gärten, wie in Würzburg im Schlossgarten, und wir haben dort, gerade im Rosengarten, die Jahreszeiten betrachtet. Daher kommt wahrscheinlich auch meine Liebe zum Wald. Ich war dann später mit meiner Mutter auch sehr viel im Wald, da wir nicht in Urlaub fahren konnten. Oder meine Großmutter hat Kartoffelknödel gemacht und sie in der Wäscheschleuder geschleudert – diese Geräusche höre ich immer noch. Dann haben sie Sand auf den Balkon geschüttet, damit ich mit meiner Schwester darin spielen konnte. Wir hatten grundsätzlich Sachen zum Anziehen, die sie selbst gemacht hatten und die immer irgendwie zusammenpassten, wie bei Zwillingen. Sie haben mir auch das Dirndl genäht, in dem ich später eingeschult wurde. Ich verbinde also ganz normale Sachen mit den beiden.

Ich höre sehr deutlich raus, dass sie sich unglaublich Gedanken gemacht haben, was deiner Seele guttut.

Ja, ich glaube, dass man mich sehr unterstützt hat. Ich war bei den beiden wie in einer kleinen Bubble aus Liebe, denke ich. Dass ich dort so aufgehoben war, war tatsächlich auch ein großer Safe Space für mich.

Die sichere Blase, in die du dich immer wieder zurückgezogen hast. Ich beobachte, dass Menschen, die sich diskriminiert fühlen, häufig in Performanceberufe gehen, in der Hoffnung, dass sie dort mehr Applaus, mehr Anerkennung bekommen. Vielleicht glauben sie auch, sich für irgendwas entschuldigen zu müssen, und fangen dann an, in Entertainmentberufe zu gehen.

Es ist wohl so. Du kannst sicher tanzen, du kannst sicher singen und wir brauchen noch eine, die entsprechend aussieht, um das Ganze ein bisschen international zu gestalten. Das war sicher auch bei mir der Fall. Damals, ich weiß nicht, ob du dich an „Hathaway“ erinnerst, „Shoutout“, mit dem haben wir früher gemodelt, er und ich in der Gruppe, um die ganze Sache ein bisschen internationaler zu gestalten. Das gab es im Osten auch, wir haben vorhin schon mal darüber gesprochen mit meiner Freundin Ariane, die mich hierhin begleitet hat. Und es ist tatsächlich so, dass man uns so ins Bild gesetzt hat, um vielleicht auch ein anderes Bild nach außen zu tragen.

Du bist auf der Waldorfschule gewesen. Deine Mutter war ja auch Lehrerin an einer Waldorfschule. Und da ich selbst damals eine Freundin hatte, die auf einer solchen Schule war, weiß ich, dass Waldorfschüler sehr kreativ angeleitet werden – kannst du deinen Namen tanzen?

Eurythmie meinst du. Ich muss sagen, ich hab’ all das gerne gemacht und hatte vor allem sehr gute Lehrer. Und ich weiß wirklich um die Bedeutung, was das mit einem Kind machen kann, wenn es einen guten Lehrer hat, das kann dann nämlich irgendwann eine Leidenschaft werden. Ich habe wahnsinnig gerne Eurythmie gemacht. Das finden manche Leute unglaublich komisch, aber ich mache teilweise heute noch zur Konzentration meine Heileurythmie oder manchmal einfach zu klassischer Musik. Viele Sachen sind ja auch ähnlich, eben tänzerisch. Ich mache gerade eine App, die heißt „Fasziale Schwungbewegung“ und ist für Menschen, die sich gerne ein bisschen tänzerisch und rhythmisch bewegen möchten.

Die Faszien sind Muskeln?

Nein, Faszien hat jeder Mensch überall im ganzen Körper als sogenannte Faszienketten, die alle Organe und Muskeln umhüllen. Die müssen, bevor du dich überhaupt bewegen willst oder eine Bikinifigur bekommen möchtest, mit Bauch-Beine-Po-Übungen gedehnt werden, und das machst du am besten mit dem Gummibandeffekt, nämlich mit den Schwungbewegungen. Dadurch wird zusätzlich auch noch Serotonin ausgeschüttet und du bist glücklich, weil du dir wieder selbst die Schuhe zubinden kannst, ganz normal vom Sofa aufstehen kannst oder den sogenannte Schürzengriff machen kannst.

Frau Becker, ich hab’ es mir gemerkt. Ich lege aber Wert darauf, dass ich die Schuhe noch selbst zubinden kann. Liebe Barbara, wir machen ein kleines Spiel. Ich sage dir nacheinander zehn Begriffe und du antwortest bitte sehr spontan, was dir dazu einfällt. Wenn dir dazu nichts einfällt, sagst du einfach: weiter.

Weiter.

Familie. Die Besten. Freiheit. Ist das Einzige, was zählt. Heimat. Mit den Besten. Gott. Ist überall. Essen. Alles. Trinken. Mehr. Söhne. Die Besten. Männer. Die Zweitbesten. Musik. Die gesamte von … bis.

Es ist guter Brauch bei Meyer-Burckhardts Frauengeschichten, dass wir immer einen Song von Rod Stewart spielen, und der ist heute sehr amerikanisch. Wir spielen „Great Day“.

[Lied wird gespielt]

Es ist ein Jammer, dass dies keine Fernsehshow ist, denn Barbara Becker hat während des ganzen Songs getanzt und Georg, unser Toningenieur, hat vergessen, die richtigen Knöpfe zu drücken. Du bist, wie Barbara Schöneberger gestern sagte, einfach die erotischste Frau, die ich je gesehen habe.

Ich hab’ tatsächlich noch eine Liebeserklärung bekommen, aber sie hat mir auch gesagt, dass sie in festen Händen ist.

Ist sie!

Ich bin mit ihr verabredet.

Aber da geht was!

Ja, sie hat gesagt, sie ist in mich verliebt. Ich liebe sie schon lange.

Ich bin mit dem Ehemann befreundet, ich lenke ihn ab.

Mit Golfen – da ist man lange weg.

» Bei uns ist alles ein bisschen Patchwork und meine Freunde zähle ich auch dazu. «

Du hast gerade gesagt, Familie ist das Wichtigste, das Beste. Ist die Familie dein Hort, sind das vor allem deine beiden Söhne?

Die engste Familie besteht natürlich aus mir und meinen Kindern, da wir zu dritt auf einem anderen Platz der Erde gewohnt haben, wo ich jetzt immer noch lebe. Dann selbstverständlich meine Mutter, meine Schwester und meine beiden Halbbrüder, die eigentlich meine richtigen Brüder sind. Und noch andere, bei uns ist alles ein bisschen Patchwork, das kenne ich schon ein bisschen länger, und meine Freunde zähle ich auch dazu. Natürlich ist auch der Vater ein Teil dieser Familie, das ist ganz wichtig.

Wie ist das? Ich stelle mir das sehr, sehr schwer vor. Wir haben hier ein eisernes Prinzip: Ich frage persönlich, aber nie privat.

Was ist denn da der Unterschied?

Privat ist intim, persönlich ist das, was du ohnehin preisgegeben hast. Du warst mit Boris Becker verheiratet und Boris war ja quasi Deutschlands nationales Erbe.

Ist er immer noch.

Kann man überhaupt eine Ehe führen, die permanent im Fokus der Öffentlichkeit stattfindet? Und wenn ja, wie?

Du meinst eine für immer?

Na ja, zumindest für ein paar Jahre. Du warst immer die Frau an seiner Seite, du hast ihn permanent begleitet. Ihr wart im Buckingham Palace, ihr wart bei Nelson Mandela, bei Muhammad Ali. Gibt es aus dieser Zeit eine Begegnung, an die du dich besonders gerne erinnerst? Wahrscheinlich Mandela?

Natürlich Mandela! Er war für uns alle eine Art Vaterfigur, eben der, der sich für uns in den Wind gestellt hat, der sein eigenes Leben, seine ganzen guten Jahre, seine Kinder, seine Ehe in die zweite Reihe gestellt hat, um für Freiheit und Frieden zu kämpfen – für uns. Deswegen war er das Idol. Niemals werde ich auch nur eins seiner Worte, die er gesagt hat, vergessen. Ich hatte wirklich das große Glück, viele wichtige und interessante Menschen zu treffen, konnte viele Sachen lernen, mitnehmen und aufschreiben.

Ich habe Boris Becker zweimal in meinem Leben getroffen. Ehrlich gestanden hätte ich nicht gedacht, dass er tatsächlich doch das ruhige Gespräch sucht, dass er auch gerne zuhört. Und dass er, wenn er Vertrauen gefasst hat, doch bereit ist, über verschiedene Dinge zu sprechen.

Ich kenne ihn ja nur so und finde es schön, wie du das beobachtet hast. Er ist ein sehr tiefgründiger Mann und auch jemand, dem man gerne zuhört. Er weiß einfach sehr viel.

Ich will nur eine Frage zu Boris stellen. Er ist ein Mann, dessen ganze Jugend, man muss ja fast sagen Kindheit, vor den Augen der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Jeder Irrtum, jeder Seitenweg, alles wurde penibel beobachtet. Du warst ihm eine Ehefrau, bist die Mutter seiner Kinder, aber warst du ihm am Ende auch so etwas wie eine mütterliche Freundin?

Nein, ich bin wirklich nur das eine Jahr älter, ich weiß nicht, ob man das sieht.

Ich meine jetzt im Hinblick auf …

… ob ich was gekocht habe?

Habt ihr Gespräche geführt, wo du schon mal gesagt hast: Boris, mach das so, mach es nicht so, das kannst du nicht machen …?

Als Partner gibt man natürlich Rat. Ich weiß nicht, ob das mütterlicher Rat ist. Aber bei einigen Sachen, die er gemacht hat, da konnte ich ihm nicht wirklich weiterhelfen. Weißt du, dass ich ganz schrecklich Tennis spiele?

Das wäre noch eine Frage gewesen.

Da konnte ich ihm wirklich nicht helfen. Ich muss sagen, diesen Mut, den man haben muss, um alleine für sich verantwortlich zu sein, wenn’s drauf ankommt: 0:40, zwei Sätze zurück und dann drei Asse zu schlagen – da hab’ ich schon überlegt, wer er ist, wie er das macht. Bis heute ist mir da nichts eingefallen, wie, also …

… welche Nervenstärke er hat?

Ja, und überhaupt. Wie man konstituiert sein muss, was da im Kopf passiert und wie der Fokus so sein muss. Also ich meditiere ja auch ein bisschen, aber das ist noch mal eine komplett andere Geschichte.

Bleiben wir beim Thema Meditieren. Du hast vorhin einen interessanten Satz gesagt „Gott ist überall“. Das ist ein altes Bild des Mystizismus: Gott ist in den Pflanzen, Gott ist in den Bäumen, in den Tieren, im Menschen, in mir, in dir. Ist das der Gedanke, der dich durchs Leben trägt, dass das Göttliche allgegenwärtig ist, vielleicht auch da, wo man es am Ende nicht vermutet?

Gerade da ist es auch. Ich denke, dass wir als Menschen, als Lebewesen alle dasselbe tun wollen, und ich glaube, das ist das, was the Buddha Mind oder der Gottgedanke, der Gottesfunke in uns ist, und das möglichst, ohne unser Ego zu leben, wäre natürlich die Idee. Für mich ist Gott tatsächlich in jedem Menschen und in allem, was ich sehe.

Hast du deine beiden Söhne religiös erzogen? Habt ihr beispielsweise gemeinsam gebetet, als sie kleiner waren?

Ich bete tatsächlich jeden Tag. Andere Leute sagen dazu meditieren. Ich bete, ich meditiere, ich habe eine Art Ritual oder Rhythmus gefunden, wo ich andocken kann bei mir, an die Stärke oder an die Kraft. Diesen Moment, den ich habe, wo ich connecte … was wäre ein deutsches Wort?

» Für mich ist Gott tatsächlich in jedem Menschen und in allem, was ich sehe. «

Wo du dich verbindest.

Danke schön, ich glaube, ich bin heute mit dem amerikanischen Fuß aufgestanden.

Es ist aber auch noch sehr früh, ein grauer Samstagmorgen.

Ein paar Ausreden gibt es immer. Es ist tatsächlich so mit der Sprache, es kommt und es geht. Gestern habe ich noch gedacht, dass Ralf Moeller jetzt auch wieder besser Deutsch spricht, weil er bereits eine Weile hier war.

Ralf Moeller hatte gestern in der Talkshow so einen leichten Ruhrpottslang drauf, was ich sehr sympathisch fand.

Über deine Kinder spreche ich übrigens deshalb, weil du über die „ausgeflogenen“ Kinder ein Buch gemacht hast, gemeinsam mit Christiane Soyke. „Mama allein zu Haus: Wie geballte Freundinnen-Power uns vor dem Empty-Nest-Syndrom bewahrte“. Ein Buch über das Loslassen, über die Fähigkeit, loszulassen.

Oder über den Versuch.

Ich weiß nicht, ob du meine Meinung teilst, dass die Liebe zwischen Mann und Frau im positiven Sinne immer etwas Egoistisches hat. Man möchte auf seine Kosten kommen. Aber die Liebe zu einem Kind ist eine völlig selbstlose Liebe und umso schmerzhafter, wenn diese selbstlose Liebe eines Tages keine Erwiderung mehr erfährt.

Sie erfährt eine andere Erwiderung, würde ich sagen, man muss dann vielleicht richtig zuhören oder reinhören. Tatsächlich ist dieses Verlassenwerden anders, als wenn ein Partner uns verlässt. In diesem Fall haben wir uns nicht losgelassen als Menschen, sondern die beiden sind auf ihrem Weg unterwegs beziehungsweise sind in ihre Welt gegangen. Meine Aufgabe verändert sich und auch das Zusammenleben ist anders. Man trifft sich und verabredet sich anders. Das Schöne bei erwachsenen Kindern ist, dass sie immer zurückkommen. Natürlich ist es kürzer als im normalen Alltag, aber sie kommen zurück und sie wollen dann auch Zeit mit dir verbringen oder mit mir – ich weiß gar nicht, warum ich in der dritten Person hier spreche. Also: Sie wollen Zeit mit mir verbringen.

Darf man aus Kinderzimmern Gästezimmer machen?

Es sind schon eine ganze Weile Gästezimmer draus geworden. Bei mir ist fast immer das Haus voll, Gott sei Dank. Im Moment wohnt auch gerade jemand in Elias’ Kinderzimmer.

Gibt es eine Tageszeit, wo du die Jungs besonders vermisst?

Ich vermisse sie immer. Wir müssen nicht ständig zusammen sein, aber ich liebe die Zeit mit ihnen, weil ich natürlich dann auch Musik höre und es wird gemalt. Es ist wahnsinnig inspirierend, sie bringen immer neue Sachen mit nach Hause oder neue Leute. Die Zeit ist so unglaublich schnell vorbeigegangen. Ich habe gestern noch mit ein paar Leuten aus deiner Redaktion gesprochen, die auch Kinder haben, ganz kleine oder auch pubertierende, und wo man momentan gerade mit diesem Homeschooling durchdreht und denkt, es hört nie auf. Ich habe das Gefühl, mich nur kurz umgedreht zu haben und dann sind meine Jungs schon ausgezogen. Also ich musste lernen, mich wieder neu zu sehen und mir selbst einfach auch zu genügen. Wie du es gerade schon richtig beschrieben hast, habe ich tatsächlich lange Zeit nichts anderes gemacht. Auch wenn ich viel gearbeitet habe, aber die Kinder standen immer im Fokus und das größte Stück von mir haben sie bekommen. Jetzt darf ich anders helfen. Ich werde weiter gebraucht, aber ich habe sehr viel Zeit, mich um mich selbst zu kümmern – und das ist eine schöne Aufgabe.

Mich um mich selbst kümmern … Männer sind ja im Vergleich zu Frauen, glaube ich, relativ simpel gestrickt.

Wenn du das sagst.

» Ich musste lernen, mich wieder neu zu sehen und mir selbst einfach auch zu genügen. «

Ich glaube, Väter erleben sich nicht.

Georg findet das nicht (schaut hinüber zu Georg, der am Mischpult sitzt).

Georg, unser Toningenieur, findet das nicht, aber ich will begründen, warum ich das glaube. Wenn Kinder die Familie verlassen, entdeckt der Vater sich nicht neu. Er vermisst die Kinder sicherlich, er hält Kontakt zu ihnen, aber es gibt keine neue Männlichkeit, die man an sich entdeckt als Mann. Bei Müttern, denke ich, gibt es doch den Versuch, die Weiblichkeit neu zu entdecken, wenn die Kinder weg sind. Das erzählen mir zumindest Freundinnen immer wieder, die in deiner Situation sind. Trifft das auf dich zu?

Ich denke, es geht nicht so sehr um die Weiblichkeit, sondern es ist eigentlich mehr eine Sinnfrage. Die Überlegung, für wen mache ich jetzt weiter und wer bin ich überhaupt? Deswegen war es so schön, als du anfangs gesagt hast, wer ist diese Frau? Da habe ich gedacht: Oh mein Gott, Hubertus, du bist schon so nah dran, erzähl mir, wer ich bin.

Ich habe aber auch trauernde Männer kennengelernt, weil sich auch in der Ehe, wenn man denn eine hat, etwas verändert oder das Verhältnis zur Partnerin ganz anders wird. Wenn die Kinder ausziehen, verändert sich einfach viel und das Trauern bleibt nicht nur den Müttern überlassen. Was bei mir natürlich wegfällt, ist, dass ich allein zu Hause sitze. Ich bin nicht einsam, ich kann allein bestimmen und ja, das musste ich erst herausfinden.

Das ist eine neue Freiheit, die man üben muss.

Genau.

Gleichwohl gibt es sicherlich Zeiten in der Pubertät, wo man die Kinder, Entschuldigung, eigentlich …

… an die Wand klatschen wollte.

Ja, wo man sagt: Mein Gott, warum ist er so? Ich kenne das auch von meinem Sohn. Der hat mich doch vor zwei Jahren noch geliebt, ich war sein Hero und nun bin ich Zero.

I love it. Ich habe angefangen, Bücher zu lesen, in denen beschrieben wurde, was in der Zeit zum Beispiel mit den Hormonen passiert, und ich habe dann einfach verstanden, dass sie gar nicht anders können. Da fehlt einfach noch was, dieses Gehirn ist noch nicht ausgereift. Dieser Abnabelungsprozess, der ja dann passiert, bereitet einen vor auf das, was kommt: Abnabeln, um dann anders zurückzukommen. Es braucht diese Veränderung.

Aber es war ja so, dass beide Kinder sofort gegangen sind.

Am Tag danach.

Am Tag nach dem Abitur, der Graduation, was auch immer.

Graduation.

Da sind sie beide raus? Dann gibt es diesen einen Tag, an dem man sozusagen die Postkutsche, das Taxi oder das Auto wegfahren sieht, man dreht sich um, geht ins Kinderzimmer und fängt an zu weinen. Das war bei mir so, obwohl ich nicht sehr nah am Wasser gebaut bin. Ich habe mich im Kinderzimmer auf das Stühlchen gesetzt und gedacht: Ich vermisse ihn. Und vor allen Dingen die gemeinsame Zeit.

Mir geht es immer wieder so. Wenn sie beide da sind, das ist zwar selten, geht es mir natürlich am besten. Auch wenn nur einer da ist, ich halte wirklich die Zeit an. Ich halt’ sie einfach an. Ich habe gemerkt, dass die Zeit wirklich zum Dehnen bereit ist. Man kann sich richtig reinsetzen, sie länger und breiter machen. Ich husche nicht mehr über den Tag hinweg, sondern er wird ausgebreitet und eingeatmet mit allem. Er wird wirklich zum Genuss gemacht. Aber manchmal überkommt es mich auch, so wie du es gerade beschrieben hast, wie du auf dem Stühlchen sitzt, da hätte ich schon fast wieder geheult.

Ich hatte die beste Mutter der Welt, aber sie neigte leider dazu, als ich die ersten Studentenbuden hatte, die natürlich dementsprechend aussahen, sich da, ich sag’ mal „einzubringen“.

Das kenne ich.

Sie sagte dann: Junge, ich komm’ mal vorbei und mache etwas Ordnung. Ich musste viel Überzeugungskraft aufbringen, um zu sagen: „Mami, alles will ich, aber das genau nicht.“ Ich befürchtete natürlich auch, dass sie auf irgendwelche Fundstücke der letzten Nächte traf, die mir unangenehm gewesen wären. Bist du so eine Mutter, die Studentenbuden renoviert?

Ich habe beides. Elias, der mich immer dabeihaben möchte, ob einkaufen, einrichten oder einräumen. Bei Noah ist es inzwischen so, dass ich auch schon mal was mitbringen darf.

Mit Elias bist du auch viel gereist, oder?

Mit Noah war ich auch viel unterwegs, in Afrika und Asien beispielsweise. Aber mit Elias ist es wirklich so, dass er mich oft dabeihaben möchte und auch meinen Geschmack gut findet.

Wie schön! Noah ist Maler, er ist Künstler. Und natürlich entdeckt man als Mutter sicherlich Facetten an den Kunstwerken, wo man sagt: Das hat mein Sohn gemacht, das ist mein Sohn, der ist aus mir herausgekommen, der war doch gerade noch so klein, und jetzt? Ist das manchmal auch erschreckend?

Ich muss sagen, er hat sich wirklich komplett aus sich heraus entwickelt und ist gerade in Berlin in einer Phase und in einer Umgebung, die er brauchte und wo er auf nahrhaften Boden getreten ist. Ja, ich steh’ dann staunend davor, genau wie du gerade sagtest, und bin natürlich sein größter Fan, ist klar.

Reden wir mal uncharmanterweise über das Älterwerden. Ich sage nicht das Alter, denn vor mir sitzt die schönste Frau, die je das Gelände des NDRs betreten hat. Wie erlebst du es?

Du hast jetzt gerade deine Brille abgenommen.

Uns trennt vor allen Dingen in Coronazeiten so eine lächerliche Scheibe hier.

Und die ist nicht mal geputzt.

Richtig, und das an einem grauen Samstagmorgen. Formulieren wir es anders: Wie erlebst du das Vergehen von Zeit?

Ich erlebe das jeden Tag neu und bin jeden Tag mit noch mehr Lust dabei, muss ich sagen. Natürlich hätte ich gern die Zeit zurück, zum Beispiel als wir neben dem Telefon gewartet haben, als man das noch nicht mitnehmen konnte – die Zeit hätte ich auch gern zurück. Aber ansonsten muss ich sagen, ich liebe auch das Altern. Wenn mir weniger wehtun würde, wäre es noch besser, aber ich finde das Leben insgesamt sehr schön. Das Altern und das Älterwerden gehört nun mal dazu und ist auch richtig. Die Kinder, die gestern mit uns in der Sendung saßen, erleben eine ganz andere Welt, schauen auf eine ganz andere Welt und gehen in eine ganz andere Welt. Und wir, die wir nicht zurückblicken, aber die wir schon an einer anderen Stelle stehen, mit nicht weniger Kraft, aber mit einer anderen Hoffnung. Mir ist das bewusst geworden, auch mit meinen Kindern, dass diese Zeit den Kindern gehört. Ich ziehe mich auch ein bisschen zurück. Nicht auf die Altenbank, aber in meine Zeit zurück. Diese Zeit, die jetzt mir gehört, in der ich mich noch mal neu erfinden und entfalten darf, ist eine wichtige Zeit. Man betrachtet die Dinge anders, weniger gehetzt, weniger von Selbstzweifeln getrieben, mit mehr Liebe zu sich selbst. Ich finde Altern schön.

Du sagtest gerade, ich zitiere dich: „Eine Zeit, wo ich mich neu finden darf.“ Finden setzt suchen voraus. Wonach suchst du?

Bliss! Tatsächlich Glück.

» Ich liebe das Altern. Ich finde Altern schön. «

Ich bin ein Mensch, der Zitate sammelt. Und zwar, weil ich es liebe, wenn jemand sprachlich auf eine großartige Idee gekommen ist, auf die ich nicht gekommen bin. Und der große deutsche Dichter Novalis hat gesagt: „Glück ist das Talent für das eigene Schicksal.“ Hast du Talent für dein Schicksal?

Vielleicht hat meine Mutter mir das früh beigebracht oder ich habe es an ihr gesehen: Wenn das Leben auf mich zukommt, habe ich die Möglichkeit, so zu reagieren, wie ich es kann. Also ich kann mein Glück selbst schmieden, das Schicksal schmieden – wie heißt dieser Spruch?

Jeder ist seines Glückes Schmied.

Vielen Dank, wäre mir gleich eingefallen. Es ist tatsächlich so, dass ich das Gefühl habe, inzwischen besser mit dem, was mir von außen oder auch von innen entgegenkommt, umgehen zu können, und dass ich das Glück und auch das Gute im Auge behalten möchte. Wirklich immer das volle Glas, wirklich immer: ja! Nicht beschweren, sondern wie geht’s weiter? Next. Und auch nicht die Vergangenheit mitschleppen, sondern sich im Hier und Jetzt bewegen. Ich habe natürlich das große Glück, dass ich zum einen hier geboren bin, in einer Gesellschaft, wo ich sehr viele Möglichkeiten habe und hatte als Frau, als schwarze Frau. Und dass ich es natürlich als meine Aufgabe sehe, anderen Frauen, anderen Menschen, die am Rande stehen, meine Hand zu reichen, dass ich sie mitnehmen kann und ihnen die Hoffnung geben kann, dass es auch gut ausgehen kann.

Wenn wir schon mal Besuch aus Florida, genauer aus Miami, haben, würde ich gerne ein bisschen über amerikanische Mentalität versus deutsche Mentalität sprechen. Warum möchte ich das? Nachdem du gestern bei uns in der NDR Talk Show warst, habe ich mir noch ein paar Mails angeschaut, die nach der Sendung reingekommen sind. Da gab es schon die eine oder andere Mail, wo gesagt wurde: Na ja, die Barbara Becker hat gut reden. Ihr geht’s finanziell sehr gut, sie kann im Prinzip gar nicht beurteilen, wie es mir als alleinerziehender Mutter mit wenig Geld geht. Da mag etwas dran sein, aber ich werde immer sehr allergisch, wenn ich bei uns Deutschen diese gewisse Neigung zum Sozialneid erkenne – zum Beispiel, wenn Menschen sagen: „Der oder die kocht ja auch nur mit Wasser!“ Dieser Satz wird immer mit einem Ausdruck der Erleichterung ausgesprochen, nie mit Bedauern, wie: „Gott sei Dank, genauso mittelmäßig wie ich selbst.“ Erlebst du Amerika anders? Erlebst du Amerika in der Beziehung offener oder ist das eine Illusion, gibt es dort denselben Sozialneid wie in Deutschland?

Den gibt es in Amerika genauso, aber es wird wahrscheinlich anders darüber gesprochen. In den prägenden Jahren, also die, die man für immer mitschleppt und wo es um Traumata oder Prägungen geht, haben meine Schwester und ich uns beispielsweise auch gegenseitig die Salami vom Brot geklaut.

Meine Mutter hat auch drei Kinder allein großgezogen. Ich war erst mit meinen Kindern allein, als sie schon etwas älter waren, und ich hatte natürlich finanzielle Unterstützung vom Vater. Auch wenn es mir finanziell sehr gut geht, habe ich doch nie vergessen, und werde es auch niemals tun, dass meine Mutter sich meine Geigenstunden vom Munde abgespart hat, sie immer dieselben Klamotten hatte, sich nichts gegönnt hat und alles in die Kinder gesteckt hat. Das ist eine Sache, die man auch nicht loswird. Das ist ein Teil meiner Kindheit und deswegen kann ich sehr gut mitfühlen. Natürlich lebe ich heute anders, aber trotzdem sehe ich mit wachen Augen und höre mit offenen Ohren, was in den Menschen vorgeht, denen es nicht gut geht.

Zwei Freundinnen von mir aus der Schulzeit sind mit amerikanischen Männern verheiratet und leben mit ihren Familien in Amerika. Ich habe sie beide mal gefragt, ob es irgendwas gibt, was sie vermissen, wenn sie in Massachusetts und in Ohio durch die Stadt gehen. Beide haben komischerweise die gleiche Antwort gegeben, als ob sie sich abgesprochen hätten, was aber nicht der Fall war: „Ja, die Tiefe der Verbindungen. Man sagt sehr schnell ‚friend of mine‘, aber die deutsche Freundschaft, das ist etwas, was es da so nicht gibt.“ Haben sie recht?

Das ist so, aber ich denke, insgesamt müssen wir Freundschaften pflegen. Auf meinen Deutschlandreisen spüre ich schon, dass die Leute tiefsinniger oder tiefgründiger sind. Dieses oberflächliche Geplänkel – das merke ich auch im Gespräch mit dir – ist deutlich weniger als in Amerika. Es geht wirklich mehr um das Sich-dem-anderen-Zeigen und um eine gewisse Verletzlichkeit, die man untereinander hat. Dinge werden angesprochen, nicht um Menschen zu nahe zu treten, sondern um herauszufinden, wer sie sind. Ich glaube, das ist in Amerika oftmals nicht so oder einfach weniger. Meine Freundinnen sind eher international, ich habe nur eine einzige amerikanische Freundin, die allerdings auch tiefgründiger ist. Miami an sich ist ja irgendwie auch eine Enklave von Rübergemachten oder Zugereisten. Sehr viele kommen aus Südamerika beziehungsweise aus der ganzen Welt.

Ich habe einige Filme in Amerika koproduziert, habe für zwei amerikanische Firmen gearbeitet, war insgesamt also sehr, sehr oft in den USA und habe somit eine Nähe zur amerikanischen Mentalität. „Let’s have a real good time“ – dementsprechend haben die Amerikaner beispielsweise die große Bereitschaft, schnell mal zu feiern. Da sind wir, glaube ich, etwas spaßbefreiter hier im Norden.

Das ist richtig.

Wir haben schon übers Älterwerden gesprochen und ich habe mit Vergnügen gelesen, dass zu deinem 41. Geburtstag niemand Geringerer als Lionel Richie „Three Times a Lady“ gesungen hat. Wie kam es denn dazu?

Es war tatsächlich so, dass ich mit 40 dachte, echt alt zu sein. Mit 40 war ich noch verheiratet, mit 41 dann geschieden, zum zweiten Mal. Da habe ich gedacht, jetzt bin ich so wahnsinnig alt geworden und zum 40sten hatte ich ein Riesenfest, und nun? Da hab’ ich Lenny angerufen und hab’ gesagt …

… Lenny Kravitz, ein Freund von dir?

Ja, genau. Und ich frage ihn also: Was soll ich nur machen? Sagt er: Komm nach New York, wir machen was ganz Kleines, nimm die Kinder und wir feiern allein. Es begann dann morgens damit, dass er mich zu einem Gospelbrunch schickte mit den Kindern, die er angerufen hatte. Dann hat er die ganze Zeit gesagt: Du weißt nicht, was ich noch für dich geplant habe. Irgendwann sind wir dann zu ihm gegangen, die Tür ging auf und am Klavier saß Lionel mit einem riesengroßen Strauß weißer Rosen, wirklich riesengroß. Ich glaube, danach habe ich nur noch einmal so viele Rosen bekommen.

Es gab auch Champagner, Dom Perignon?

Genau, es gab Dom Perignon aus der ganz großen Flasche.

Also ein ganz kleines Fest.

Ja, wenn ich dann mal meine Biografie schreibe …

… dann ist das das erste Kapitel.

Auf jeden Fall eins davon, denn diese Bilder gibt es tatsächlich noch. Meine Kinder waren auch dabei, die kannten Lionel allerdings damals noch nicht. Es war herrlich! Die Party war klein, aber mehr als fein. Ich denke heute immer noch: Was für ein schönes, feines, kleines Fest.

Ich mache jetzt was ganz Gemeines. Wir spielen für dich, Barbara, etwas von The Commodores. Und zwar den einzigen Hit, wo Lionel Richie nicht der Lead Vocalist war, nämlich „Night Shift“.

Schön, dass du das kennst, Hubertus! Ich möchte eigentlich auch nur mit Leuten reden, die diese Lieder kennen.

[Lied wird gespielt]

Das war „Night Shift“ von den The Commodores, der erste große Hit ohne Lionel Richie, der für dich zum 41. Geburtstag Klavier gespielt hat. Aber warum habe ich ihn gespielt? In „Night Shift“ geht es um die Nachtschicht, es geht um den Tod. Hast du Angst vorm Tod?

Ich mach gerade jeden Donnerstag mit meinen Freundinnen einen Kurs, bei einem Mönch, der in Kanada lebt, aber aus Laos kommt. Der Kurs heißt „Happy life, happy death“, und da er noch nicht zu Ende ist, ist die Angst vor dem Sterben auch noch da. Das Wissen, dass wir alle einmal gehen müssen, und zwar allein, so wie wir allein gekommen sind, lässt uns, glaube ich, bewusst werden, dass wir uns mehr und mehr mit dem Jetzt anfreunden müssen.

Wenn dir bewusst ist, dass jeder Atemzug, jeder Tag gezählt ist, dann ist es wichtig, mit wem du deine Zeit verbringst, und dann haben wir irgendwann auch nichts mehr zu bereuen. Denn wir haben diese Zeit, die wir hatten, genutzt. Allerdings habe ich noch kein ganz klares Bild davon. Ich möchte natürlich 120 Jahre alt werden, möglichst gesund und genau so, wie es jetzt ist. Ich habe den Wunsch, zu leben, aber ich weiß natürlich, dass das Sterben dazugehört. Und deshalb muss man sich auch noch einmal anders mit dem Alter auseinandersetzen.

» Wenn dir bewusst ist, dass jeder Atemzug, jeder Tag gezählt ist, dann ist es wichtig, mit wem du deine Zeit verbringst. «

Der Mönch kommt jeden Donnerstag für ein oder zwei Stunden?

Er kommt für eine Stunde per Zoom.

Per Zoom, okay! Aber wie darf ich mir das vorstellen? Lest ihr religiöse Texte, besprecht ihr etwas, singt ihr, atmet ihr, was macht ihr da?

So schön, als wärst du dabei gewesen, Hubertus, wirklich. Genau das: Wir fangen an mit dem Atem, denn damit beginnt und endet alles – der erste und der letzte Atemzug. Letztendlich geht es nur ums Atmen. Wir fangen an mit Chanting, dem Singen, also mit Purification.

Reinigung?

Ja, Reinigung. Durch die ganzen Chakren und dann meditieren wir. Es ist ganz lustig, weil es nicht unbedingt eine guided Meditation ist.

Keine geführte Meditation.

Genau, entschuldige, dass du immer den Übersetzer machen musst. So sorry!

Ach, ich bin der Anwalt des Publikums.

Nein, das muss nicht sein, ich spreche ja eigentlich auch Deutsch.

Tröstet es dich im Dialog mit diesem Mönch, wenn er dir sagt – ich weiß nicht, ob er das tut –, dass man wiedergeboren wird?

Ich denke, Religion an sich dient schon als Hilfe oder als Stütze für dieses Chaos, für das Leben – was immer Leben bedeutet. Wir haben keine Kontrolle über das, was uns wichtig ist, sitzen hier sozusagen nackt und sind sehr verletzlich insgesamt. Ich weiß nicht, ob ich nach Trost oder nach Ruhe suche.

Du suchst dir immer wieder Schutzräume und definierst das auch: Ich ziehe mich zurück, um mich zu schützen.