Ziemlich bunte Zeiten - Angelika Schwarzhuber - E-Book
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Ziemlich bunte Zeiten E-Book

Angelika Schwarzhuber

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Beschreibung

Je bunter, desto besser!

Der junge Spitzenkoch Ben arbeitet in einem Delikatessenladen am Chiemsee. Als Seelentröster für das Freundinnen-Trio Anna, Ilona und Zoe ist er unersetzlich. Nach einer gescheiterten Beziehung hat er die Nase von der Liebe gestrichen voll. Doch bei einem Auftrag für eine schwierige Kundin steht plötzlich der Astrophysiker Florian vor ihm – und nun liegt es an den drei Freundinnen, ihrem Ben auf die Sprünge zu helfen, damit er sein Glück findet.

Charmante Freundschaftsgeschichten mit genau der richtigen Prise Humor – verpassen Sie nicht die anderen Bände der »Freundinnen vom Chiemsee«-Reihe!

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Buch

Der junge Spitzenkoch Ben arbeitet in einem Delikatessenladen am Chiemsee. Als Seelentröster für das Freundinnen-Trio Anna, Ilona und Zoe ist er unersetzlich. Nach einer gescheiterten Beziehung hat er die Nase von der Liebe gestrichen voll. Doch bei einem Auftrag für eine schwierige Kundin steht plötzlich der Astrophysiker Florian vor ihm – und nun liegt es an den drei Freundinnen, ihrem Ben auf die Sprünge zu helfen, damit er sein Glück findet.

Autorin

Angelika Schwarzhuber lebt mit ihrer Familie in einer kleinen Stadt an der Donau. Sie arbeitet auch als erfolgreiche Drehbuchautorin für Kino und TV, unter anderem für das mehrfach mit renommierten Preisen, unter anderem dem Grimme-Preis, ausgezeichnete Drama »Eine unerhörte Frau«. Zum Schreiben lebt sie gern auf dem Land, träumt aber davon, irgendwann einmal die ganze Welt zu bereisen.

Von Angelika Schwarzhuber ebenfalls bei Blanvalet erschienen:

Liebesschmarrn und Erdbeerblues ∙ Hochzeitsstrudel und Zwetschgenglück ∙ Servus heißt vergiss mich nicht ∙ Der Weihnachtswald ∙ Barfuß im Sommerregen ∙ Das Weihnachtswunder ∙ Ziemlich hitzige Zeiten ∙ Das Weihnachtslied ∙ Ziemlich turbulente Zeiten ∙ Das Weihnachtsherz ∙ Ziemlich runde Zeiten ∙ Die Weihnachtsfamilie

Angelika Schwarzhuber

Ziemlich bunte Zeiten

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2023 by Blanvaletin der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Redaktion: Alexandra Baisch

Covergestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung einer Illustration von Max Meinzold

LH · Herstellung: sam

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-29387-1V002

www.blanvalet.de

Für Leon Johannes.

Mögest Du in einer friedlichen, toleranten und bunten Welt aufwachsen.

Kapitel 1

Zwei auf einem Turm

»Bitte, Ben …«

»Komm schon!«

»Aber … ich … ich kann nicht mehr!«

»O doch! Du kannst, Ilona!«, feuerte ich sie an.

Ihr lautes Schnauben klang allerdings tatsächlich etwas beängstigend. Sollten wir besser abbrechen? Doch eigentlich hatten wir es fast geschafft.

»Du musst nur noch ganz kurz durchhalten!«, ließ ich deswegen nicht locker.

»Nur … eine … klitzekleine … Pause!«, bat sie und japste vor jedem Wort nach Luft.

»Na gut!«, willigte ich ein. Schließlich wollte ich sie anspornen und nicht riskieren, dass sie mir noch umkippte.

Sie blieb so abrupt auf der Treppe stehen, dass ich fast in sie hineingelaufen wäre.

Als sie sich zu mir umdrehte, war ihr Gesicht knallrot, und der Schweiß rann ihr über die Schläfen, an denen dunkelblonde Haarsträhnen klebten. Sie hielt sich am Geländer fest und schloss die Augen.

»Alles okay?«

Sie nickte.

»Du bist ein Sklaventreiber, Ben Fuchs!«, murmelte sie nach ein paar Sekunden.

»Erstens bist du alles andere als eine Sklavin, meine liebe Ilona Heubach, und zweitens warst du damit einverstanden, dass wir auf den Turm steigen.«

»Weil du nicht lockergelassen hast!«

»Weil du mir dankbar sein wirst, wenn wir da oben stehen. Das wird ein unvergessliches Erlebnis, du wirst schon sehen!«

»Trotzdem – eine Schnapsidee bei 29 Grad schon am Vormittag!«

Womit sie nicht ganz unrecht hatte. Es war erst kurz nach zehn, und mein T-Shirt war jetzt schon durchgeschwitzt. Aber es gab nur diese eine Gelegenheit, und die hatten wir nutzen wollen.

Ilona öffnete wieder die Augen, während zwei junge Frauen in knackigen Shorts und schulterfreien Shirts an uns vorbei nach oben marschierten und sich dabei so locker unterhielten, als würden sie gemütlich durch die Stadt bummeln.

»In meinem nächsten Leben komme ich nicht mehr als unsportliches Moppelchen, sondern als durchtrainierte Sportskanone auf die Welt!«, beschloss Ilona und schaute den beiden seufzend hinterher.

»So unsportlich bist du jetzt auch wieder nicht. Und überhaupt – es gibt einen enormen Spielraum zwischen Sportskanone und Couchpotato, meine Liebe. Du musst es also auch in deinem nächsten Leben nicht so extrem angehen. Außerdem bin ich über die kleine Pause auch ganz froh«, übertrieb ich ordentlich, damit sie sich besser fühlte.

»Du?« Sie lachte ungläubig. Natürlich nahm sie mir das nicht ab.

»Neben der Arbeit im Laden und den vielen Abendveranstaltungen komme ich ja leider kaum mehr zum Trainieren. Und wenn ich endlich mal eine freie Minute habe, dann …«

»Dann bist du ein ziemlich gefragter Babysitter«, vollendete Ilona meinen Satz.

»Genau. Und ich mache das alles auch sehr gern!«, beteuerte ich. Tatsächlich war ich ganz vernarrt in meine Patenkinder und glücklich, möglichst viel Zeit mit ihnen zu verbringen.

Und ich liebte auch meinen Job in Ilonas Delikatessenladen in Prien am Chiemsee. Besonders den dazugehörigen Catering-Service, den wir in fast zwei Jahren erfolgreich ausgebaut hatten.

Obwohl meine Chefin Ilona mit ihren knapp dreiundfünfzig Jahren meine Mutter sein könnte, war sie eher wie eine ältere Lieblingsschwester oder gute Freundin für mich, mit der man in jeder Lebenslage buchstäblich durch dick und dünn gehen konnte.

»Ohne mich wärst du schon längst oben!«, riss sie mich aus meinen Gedanken.

»Ohne dich wäre ich gar nicht hier. Außerdem ist es schöner, mit dir an meiner Seite langsam nach oben zu kommen, als ganz allein schon längst oben zu sein.«

»Für eine philosophische Analyse deiner Worte fehlt mir im Moment die Energie, aber es ist lieb, was du gesagt hast.«

»Und so war es auch gemeint.«

Sie lächelte.

»Komm, bringen wir es hinter uns!«

»Okay!«

Langsam setzten wir uns wieder in Bewegung. Stufe für Stufe.

»Du machst das super!«, lobte ich sie. »Jetzt haben wir es wirklich gleich geschafft.«

Sie hob den Kopf.

»Was … was ist … das denn?«, rief sie ächzend, als sie das letzte Stück sah.

Bis ganz nach oben kam man nur über eine steile Metallleiter und musste zum Schluss noch durch eine Art Luke hinaussteigen. Ein älterer Mann vor uns versuchte gerade, nach draußen zu klettern, blieb aber mit seinem großen Rucksack in dem engen Durchgang stecken. Erst als er wieder zwei Stufen nach unten stieg, den Rucksack abnahm und ihn als Erstes oben aus der Luke schob, klappte es.

»Das kann doch … echt nicht wahr sein!«, schimpfte Ilona und klang genervt.

»Tut mir leid, das hab ich auch nicht gewusst. Wenn du lieber wieder runter …«

»Jetzt wieder runter? Also aufgeben? O nein! Garantiert nicht!«, unterbrach sie mich entschlossen. »Jetzt habe ich mich schon bis fast nach oben gequält, da mache ich doch auf den letzten Metern keinen Rückzieher mehr!«

Ich lächelte. Nichts anderes hatte ich erwartet. Das war eben Ilona, wie ich nicht zum ersten Mal feststellen konnte. Auch, wenn ihre Freundinnen oder ich sie manchmal fast buchstäblich ein wenig anschieben mussten, so stellte sie sich am Ende doch immer ihren Herausforderungen.

»Super! Und zur Belohnung gibt es später ein Eis.«

»Das versteht sich von selbst!«

»Na, dann hoch mit dir!«, feuerte ich sie an. »Soll ich dich zur Sicherheit an den Beinen halten und dann schieben?«

»Nur, wenn du einen Tritt ins Gesicht riskieren möchtest. Ich bin superkitzelig in den Kniekehlen und kann für nichts garantieren, falls du mich dort versehentlich berühren solltest.«

Ich kicherte.

»Das wusste ich ja noch gar nicht!«

»Woher auch? Das posaune ich schließlich nicht in die ganze Welt hinaus.«

»Ich bin jedenfalls gleich hinter dir und pass auf dich auf.«

»Danke!«

»Gerne!«

»Wobei – wenn ich abrutsche und auf dich drauffalle, dann bist du platt wie ein Pfannkuchen und wirst mir wohl kaum mehr helfen können.«

Sie prustete los, und ich lachte ebenfalls bei dieser Vorstellung. Sie besaß einen großartigen Humor und nahm sich auch selbst gern auf die Schippe. Trotzdem wollte ich nicht, dass sie sich immer so klein machte – oder in diesem Fall eher so groß – oder besser gesagt so schwer. Ich mochte sie einfach und wollte, dass sie sich so wohlfühlte, wie sie nun mal war, eine vermeintliche Idealfigur hin oder her.

»Von wegen platt wie ein Pfannkuchen. Ich bin doch kein Krisperl, das nichts aushält!«, hielt ich deswegen dagegen. »Außerdem wirst du nicht runterfallen. Die Leiter hier ist kaum steiler als die Zugleiter zu deinem Speicher. Da bist du schließlich auch noch nie abgestürzt!«

Sie warf mir einen kurzen Blick zu und nickte dann.

»Du hast recht, Ben. Na gut, jedenfalls kannst du von Glück sagen, dass ich meine Beine rasiert habe und heute vor allem keinen Rock trage!«, witzelte sie erneut, während sie in ihren knielangen Shorts langsam die ersten Sprossen nach oben stieg.

»Ich wäre schon nicht gleich blind geworden!«, beteuerte ich, und wir prusteten wieder los. Es war herrlich, mit Ilona albern zu sein.

Schließlich erklomm Ilona das letzte Stück problemlos und völlig ohne meine Hilfe, und wir hatten es geschafft. In über fünfzig Metern Höhe standen wir ganz oben auf dem sogenannten Bell Tower und waren beide überwältigt von dem herrlichen Blick auf die mittelalterliche Altstadt von San Gimignano und die sanften Hügel der Toskana.

»Wow – die Mühe hat sich wirklich mehr als gelohnt!«, schwärmte Ilona, nachdem sich ihr Atem wieder verlangsamt hatte.

»Auf jeden Fall! Man kann sich kaum sattsehen an dieser schönen Gegend.«

»Und wie witzig das ist mit diesen vielen Türmen hier!«

»Man nennt San Gimignano nicht umsonst das Manhattan der Toskana!«

Schon auf der Herfahrt hatte uns die ungewöhnliche Skyline der kleinen Stadt in der Provinz Siena begeistert, die von Weitem tatsächlich ein wenig an New York erinnerte.

»Dabei waren es früher noch sehr viel mehr Türme. Das kann man sich jetzt gar nicht mehr vorstellen! Zweiundsiebzig Geschlechtertürme. Jede einflussreiche Familie wollte damals den höchsten haben!«, erinnerte sich Ilona an die Infos aus dem Reiseführer, und obwohl ihre Stimme am Ende einen etwas schlüpfrigen Tonfall angenommen hatte, verkniff sie sich eine Anspielung über den ewigen Wettbewerb darüber, den größten – in diesem Fall höchsten Turm – zu haben.

Ich ging ebenfalls nicht darauf ein und ergänzte: »Davon sind immerhin noch fünfzehn Türme übrig geblieben.«

Ilona sah sich lächelnd um und seufzte dann zufrieden.

»Danke, dass du nicht lockergelassen hast, Ben.«

»Ich bin mir sicher, du hättest auch ohne mich nicht aufgegeben.«

»Ohne dich wäre ich gar nicht erst auf diesen Turm gestiegen«, erklärte sie.

»Da siehst du mal, wie glücklich du dich schätzen kannst, mich zu haben, liebe Ilona. Ich bin ganz hervorragend darin, dich anzutreiben. Manchmal muss man seine Grenzen ein wenig ausreizen. Nur so kann man seinen Horizont erweitern.«

Sie nickte.

»Und das buchstäblich!«

Schweigend genossen wir eine Weile lang das traumhafte Panorama und machten dann Fotos von der wunderbaren Landschaft.

»Entschuldigung?«, sprach uns in diesem Moment eine junge Frau von der Seite an.

»Ja?« Ich wandte mich zu ihr und einer weiteren jungen Frau um. Es waren die beiden, die uns vorhin so leichtfüßig auf dem Weg nach oben überholt hatten.

»Könntest du vielleicht ein Foto von mir und meiner Schwester machen?«, bat sie mit einem unüberhörbaren hessischen Dialekt, den ich sehr mochte. Offenbar hatten sie mitbekommen, dass auch wir uns auf Deutsch unterhielten.

»Klar!«

»Danke!«

Lächelnd reichte sie mir ihr Handy. »Ich bin übrigens die Pamela.«

»Und ich die Nele«, erklärte die andere und warf schwungvoll ihre dunkelbraune Mähne nach hinten.

»Okay … Dann stellt euch mal auf, Pamela und Nele!«, sagte ich. Mir war vorhin schon aufgefallen, dass die beiden mir immer wieder unmissverständliche Blicke zugeworfen und getuschelt hatten. Doch für einen Flirt waren sie bei mir an der falschen Adresse.

Die Schwestern stellten sich nebeneinander, steckten die Köpfe zusammen und lächelten mit etwas übertriebenem Schmollmund in die Kamera. Ich knipste.

»So. Fertig!«

»Kannst du vielleicht noch welche machen, bei denen wir da drüben stehen?«, bat Nele.

»Sicher.«

Wir gingen auf die gegenüberliegende Seite des Turms, und sie setzten sich erneut in Pose.

Ich bemerkte Ilonas amüsierten Blick und erwartete, jeden Moment einen Kommentar von ihr zu hören, doch zu meiner Überraschung blieb der aus.

»So, das war’s!«, sagte ich schließlich, nachdem ich zur Sicherheit gleich mehrere Fotos geschossen hatte.

Pamela kam auf mich zu, und ich gab ihr das Handy zurück. Sie und ihre Schwester sahen sich rasch die Bilder an.

»Super! Danke!«, flötete Nele. »Das war echt ziemlich süß von dir.«

»Kein Ding.«

»Von wo kommst du denn her?«, wollte Pamela wissen, die unsere Begegnung wohl noch ein wenig länger hinauszögern wollte.

»Vom Chiemsee!«, antwortete Ilona, die sich nun doch ins Gespräch einmischte. »Aus Prien, um genau zu sein!«

»Cool! Da war ich mal bei einer Klassenfahrt. Nele und ich kommen aus Kassel.«

»Dort soll es auch sehr schön sein«, meinte ich und überlegte, wie ich die beiden am besten wieder loswerden konnte. Sie machten zwar einen ganz netten Eindruck, doch eigentlich wollte ich hier in Ruhe mit Ilona den Ausblick genießen.

»Vor allem der Bergpark Wilhelmshöhe«, sagte Nele.

»Ich mache gern auch ein Foto von dir und deiner Mutter, wenn du das möchtest«, bot Pamela an.

Meiner Mutter?!

Ilonas Augenbrauen zogen sich bedrohlich zusammen, und sie öffnete schon den Mund, um zu protestieren, da legte ich einen Arm um sie und zog sie an mich.

»Ein schönes Foto von uns beiden wäre doch toll, nicht wahr, mein Liebling?«

Als die Frauen verdutzt aus der Wäsche guckten, fuhr ich fort. »Ilona und ich sind gerade auf Hochzeitsreise«, erklärte ich und gab meiner angeblichen frisch Angetrauten einen liebevollen Kuss auf die Wange.

»Klar, Schatz!«, spielte sie sofort bei meiner Schwindelei mit und schmiegte sich noch enger an mich. »Wobei ich ja immer viel lieber Selfies von uns beiden mache, mein Tiger!« Sie unterstrich ihre Worte mit einem kehligen Gurren.

Ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut loszuprusten.

»Ich weiß, mein Kätzchen!«, schaffte ich es dennoch zu sagen und zwinkerte ihr lasziv zu.

Den Schwestern schien es völlig die Sprache verschlagen zu haben.

Ich reichte Pamela mein Handy, und Ilona und ich lächelten breit, als sie ein Foto von uns machte.

Danach schienen die beiden es auf einmal sehr eilig zu haben. Sie verabschiedeten sich und verschwanden durch die Luke nach unten.

»Da haben wir die Schwestern wohl etwas überfordert«, begann Ilona vergnügt. »In ihrer Welt ist es sicher unvorstellbar, dass ein so unverschämt attraktiver junger Mann wie du mit einem Moppelchen wie mir zusammen ist, das vom Alter her tatsächlich deine Mutter sein könnte.«

»Meine liebe Ilona, ich sag dir jetzt mal was: Wenn du nicht einen so tollen Freund hättest und ich auf Frauen stehen würde, dann würde ich bei dir vermutlich tatsächlich in Versuchung geraten … mein Kätzchen!«

Sie verpasste mir einen Klaps gegen die Schultern.

»Autsch!«

»Red keinen solchen Unsinn … Trotzdem süß, dass du das sagst … mein Tiger!«

Wir kicherten erneut, und ich hoffte, dass sie den Spitznamen schnell wieder vergessen würde.

»Schau mal, das Foto von uns beiden ist aber wirklich schön geworden!« Ich zeigte ihr am Handy die Aufnahme, die Pamela gemacht hatte.

»Tatsächlich! Da schaue ich mal nicht aus wie das Michelin-Männchen … Sollen wir es in unsere WhatsApp-Gruppe schicken?«, schlug Ilona vor.

»Das machen wir!«

Vor ein paar Monaten hatten Ilona und ihre beiden besten Freundinnen, die Zahnärztin Zoe und deren Mitarbeiterin Anna, mich zu ihrer exklusiven Chatgruppe hinzugefügt.

»Wir sind so etwas wie die drei weiblichen Musketiere vom Chiemsee – und jetzt haben wir mit dir auch noch unseren hübschen d’Artagnan«, hatte Ilona damals erklärt.

Diese besondere Ehre verdankte ich dem Umstand, dass ich mit allen drei Frauen auf unterschiedliche Weise eng verbunden war:

Ilona war meine Chefin und gute Freundin.

Anna war die Schwiegermutter meines Bruders, und sie kannte mich schon als kleinen Jungen und besten Kumpel ihrer älteren Tochter Leonie, die inzwischen meine Schwägerin war.

Und Zoe – nun, die lebensfrohe Zahnärztin hatte mich zu einem Zeitpunkt, als sie noch davon ausging, künftig eine alleinerziehende Mutter zu sein, zu einem der Paten ihres Sohnes Sebastian gemacht. Inzwischen war sie mit ihrem Zahnarztkollegen Hendrik verheiratet, und die beiden hatten noch einen weiteren Sohn, Tommy, den sie adoptiert hatten, nachdem dessen Eltern bei einem Brand in Uganda ums Leben gekommen waren.

Seitdem ich in der Chatgruppe der drei Freundinnen mitmischte, erfuhr ich die spannenden Neuigkeiten aus erster Hand und holte mir selbst auch immer wieder mal Rat bei den drei Frauen und tauschte mich mit ihnen aus.

Ein eher praktischer Grund, dass sie mich dazugeholt hatten, war sicherlich auch, dass ich häufig als Babysitter für Tommy und Sebastian einsprang. Manchmal auch dann, wenn die drei Freundinnen zu einem gemütlichen Frauenabend in ihrer Lieblingspizzeria Dolce Vita in Prien am Chiemsee verabredet waren. Somit war ich stets über ihre Pläne auf dem Laufenden und konnte gleich Bescheid sagen, ob ich an den besagten Tagen Zeit hatte oder nicht!

Kaum hatten wir das Foto geschickt, kam schon eine Rückmeldung von Anna: Schönes Foto – Nächstes Mal nehmt ihr mich bitte mit.

Klar doch!, tippte ich.

Von Zoe kam eine Sprachnachricht:

»Super, dass ihr so eine tolle Zeit habt. Aber jetzt schnell nach Hause mit euch. Tommy und Sebastian brauchen ganz dringend ihren Lieblingsbabysitter Ben!«

Ich drücke auf den Knopf, um ebenfalls eine Sprachnachricht aufzunehmen.

»Hey, Zoe, wir machen uns gleich auf den Heimweg und werden …«, begann ich, da redete Ilona dazwischen:

»Zuerst werden wir noch ein Eis essen. Hier soll es nämlich das angeblich beste Gelato der Welt geben. Das lasse ich mir gewiss nicht entgehen, nur damit Ben so schnell wie möglich deine Schreihälse verhätscheln kann, meine liebe Zoe!«

»Hör einfach nicht zu, Ilona meint das nicht so!«, fügte ich rasch hinzu.

»Tut sie doch – auch wenn es die süßesten Schreihälse der Welt sind«, beteuerte meine Chefin.

Bevor sie noch mehr sagen konnte, schickte ich die Nachricht ab.

»Das war ja klar, du unersättliche Naschkatze, dass du beim Thema Eis nicht Nein sagen kannst. Aber ich will kein Jammern von dir hören, wenn du wieder zugenommen hast«, schickte Zoe eine neue Nachricht, und im Hintergrund war nun tatsächlich das Schreien des fast sieben Monate alten Babys zu hören.

Ilona nahm mir rasch das Handy aus der Hand und sprach eine weitere Nachricht auf:

»Wenn du mir so kommst, dann werde ich die eingelegten Artischocken, die ich extra für dich mitbringen wollte, selbst essen.«

»Wage es bloß nicht!«, kam es von Zoe zurück. Sie liebte Artischocken.

»Na gut, aber dafür musst du das nächste Essen im Dolce Vita bezahlen. Und jetzt kümmere dich endlich um den kleinen Herrn Petrides!« – das war der Spitzname von Baby Sebastian, der noch aus der Zeit von Zoes Schwangerschaft stammte. »Das kann man ja gar nicht mit anhören, wie der arme kleine Kerl heult! Und gibt ihm und Tommy ein Küsschen von Tante Ilona.«

Die selbst kinderlose Ilona war gemeinsam mit mir Patin des Jungen, und sie liebte den Zwerg wie auch dessen ein Jahr älteren Bruder Tommy, als wären es ihre Enkelsöhne.

Eine weitere Nachricht kam von Zoe zurück:

»Der Kleine schreit nur, weil er sich über den Lautsprecher deine Stimme anhören muss. Und jetzt iss dein Eis, damit du wieder bessere Laune bekommst.«

Ilona grinste und schickte ein Smiley mit Herzchen in die Gruppe.

»Ihr zwei …« Amüsiert schüttelte ich den Kopf und nahm ihr mein Handy weg.

Diese Sticheleien waren allerdings ganz normal zwischen Ilona und Zoe. Während die beiden es total genossen, einander zu foppen und auf die Palme zu bringen, versuchte die harmoniesüchtige Anna immer wieder vergeblich, zwischen ihnen zu schlichten und zu vermitteln.

Kapitel 2

Eiszeit und besondere Wünsche

Nach unten ging es erstaunlich schnell. Die Aussicht auf ein Eis schien Ilona zu beflügeln. Nachdem wir den Turm verlassen hatten, war es zur berühmten Gelateria Dondoli auf der Piazza della Cisterna nur ein Katzensprung.

Ich deutete auf das Schild über dem Eingang des kleinen Ladens, vor dem eine mindestens fünfzehn Meter lange Schlange anstand. Und das bereits am Vormittag. Also gab es mehr Leute, die genau wie wir um diese Tageszeit schon Lust auf Eis hatten.

»Gelato World Champion!«, las ich. »Da bin ich jetzt aber mal gespannt, ob das tatsächlich so gut schmeckt.«

»Ich auch. Chris hat mir erzählt, dass der Besitzer des Ladens einer der besten Gelatiere der Welt sein soll und vielfach für seine Eissorten ausgezeichnet wurde.«

Chris war Ilonas Freund, mit dem sie eine Fernbeziehung führte. Die beiden hatten sich vor knapp zwei Jahren kennengelernt. Damals hatte Ilona zusammen mit Anna und Zoe die Biomanufaktur Alessia in der toskanischen Maremma besucht, um die Geschäftsverbindung zu vertiefen. Dabei hatten Ilona und der gebürtige Österreicher Chris sich nach einigen Turbulenzen ineinander verliebt. Da Ilona noch nicht bereit war, ihre Zelte am Chiemsee abzubrechen, und Chris seine Familie auf dem toskanischen Hof weiterhin unterstützen wollte, pendelten die beiden seitdem regelmäßig alle paar Wochen hin und her. Dies verbanden sie jeweils mit den Lieferungen von Produkten vom Biohof für unseren Delikatessenladen und das Catering.

Dieses Mal hatte ich Ilona zum ersten Mal begleiten dürfen, um mir vor Ort selbst ein Bild zu machen und alle kennenzulernen. Wir hatten vier großartige Tage mit Chris, seiner Schwester Claudia und Alessia, der namensgebenden Mitbesitzerin des Biohofes verbracht.

»Weißt du schon, was du möchtest?«, riss Ilona mich aus meinen Gedanken.

»Noch nicht. Du?«

»Ich auch nicht. Aber was ich sicher weiß, ich nehme drei Kugeln. Immerhin hatte ich heute bis auf einen Cappuccino noch kein Frühstück.«

»Da schließe ich mich an! Eis zum Frühstück – das haben wir auch nicht alle Tage.«

»Umso mehr werde ich es genießen!«

Es dauerte fast zehn Minuten, bis wir in dem überraschend kleinen Laden endlich vor der Theke standen. Die Auswahl war riesig und verlockend, und die Verkäuferinnen hatten alle Hände voll zu tun, die Kundschaft zu bedienen.

Es gab alle möglichen klassischen und auch einige sehr experimentelle Sorten, da konnte einem die Entscheidung wirklich schwerfallen. Doch da hinter uns die Schlange immer länger wurde, blieb keine Zeit für lange Überlegungen.

Ilona bestellte je eine Kugel Vanille, Pfirsich und Limoncello. Ich Schokolade, Brombeere mit Lavendel und Haselnuss. Natürlich in einer knusprigen Waffel.

Mit dem Eis in der Hand spazierten wir die wenigen Meter bis zum mittelalterlichen Steinbrunnen in der Mitte des Platzes und setzten uns auf die Stufen. Schon vor einer Weile hatten sich Wolken vor die Sonne geschoben, und ein leichter Wind war aufgekommen. Dadurch war die Hitze erträglicher geworden.

»Ob es das beste Eis der Welt ist, kann ich natürlich nicht sagen. Aber es ist auf jeden Fall das beste Eis, das ich je gegessen habe«, schwärmte ich und leckte genussvoll über das cremige Haselnusseis.

»Hm. Es ist wirklich richtig, richtig lecker!«, beteuerte Ilona. »Aber das selbst gemachte Kastanieneis, das ich bei meinem ersten Besuch in der Toskana bei Alessia gegessen habe, hat mir noch einen kleinen Ticken besser geschmeckt.«

»Echt?«

»Echt!«

»Vielleicht komme ich beim nächsten Mal auch in diesen Genuss«, meinte ich und leckte rasch über den Rand des Hörnchens, damit mir das schmelzende Eis nicht über die Finger tropfte.

»Oder wir lassen uns das Rezept von ihr geben und probieren es selbst aus. Ich habe doch sowieso vor, mir eine Eismaschine zu kaufen.«

»Falls Alessia das Rezept herausrückt.«

»Ich rufe sie an, sobald wir zurück sind, und frage sie. Aber Alessia ist so ein Schatz – ich bin mir sicher, sie wird nicht Nein sagen.«

»Alessia ist wirklich besonders«, stimmte ich ihr zu. Ich hatte die letzten Tage ziemlich viel Zeit mit der quirligen Italienerin verbracht. Sie hatte mir die Olivenhaine, die Gemüsebeete und Gewächshäuser gezeigt, und wir hatten gemeinsam ein paar neue Rezepte für mediterrane Aufstriche und Antipasti ausprobiert, die Ilona und ich für den Delikatessenladen in großen Stückzahlen orderten. Am meisten Spaß hatten wir jedoch dabei gehabt, für das gemeinsame Abendessen im Patio zu kochen, wobei wir uns gegenseitig Tipps gaben und ein paar besondere Rezepte verrieten.

»Die vier Tage auf dem Hof sind viel zu schnell vergangen«, sagte ich.

Ilona seufzte.

»Ja, wem sagst du das? … Ich wäre auch gern noch länger geblieben.«

Doch die Kundschaft im Laden wollte versorgt und der Cateringservice am Laufen gehalten werden, deswegen waren wir zeitlich leider eingeschränkt.

Vor Kurzem hatte Ilona mit Martina immerhin eine weitere feste Angestellte im Geschäft und zwei flexible Teilzeitkräfte eingestellt, die je nach Bedarf im Laden, aber vor allem beim Catering einsprangen. Nur so war es überhaupt möglich gewesen, dass Ilona und ich die Fahrt nach Italien gemeinsam hatten machen können.

Und wenn ihr Studium es zuließ, half auch Annas jüngste Tochter Emma im Laden mit. Sie war eine leidenschaftliche Hobbyköchin, und ich hatte mit ihr gemeinsam schon unzählige Stunden in der Küche ihrer Mutter verbracht, um für die Familie besondere Gerichte zu zaubern. Emma war wie eine jüngere Schwester für mich und trotz ihrer erst 19 Jahre ein unglaublich kluges Mädchen, mit dem ich mich stundenlang in Gespräche über Gott und die Welt verlieren konnte.

»Hmmm, dieses Limoncello-Eis hat es aber wirklich in sich«, schwärmte Ilona. »Gut, dass wir einen Abstecher hierher gemacht haben.«

Ilonas Freund Chris hatte uns gebeten, auf der Heimfahrt zwei Kisten Olivenöl bei einem seiner Kunden in San Gimignano abzuliefern. Den Gefallen hatten wir ihm natürlich gern getan und den kleinen Umweg gleich mit einem kurzen Spaziergang durch die mittelalterliche Stadt verbunden.

»Ja … Der Blick vom Turm und das Eis waren es wirklich wert. Schade nur, dass wir nicht mehr Zeit haben, die herrliche Gegend hier näher zu erkunden.«

Ilona nickte.

»Wirklich schade. Volterra soll auch eine ganz tolle Stadt sein«, meinte sie.

»Und genau deswegen kommt sie auch auf meine Liste in Kategorie A.«

»Welche Liste? Und was bedeutet Kategorie A?«, fragte sie neugierig.

»Ich führe schon seit Jahren eine Liste, die in drei Kategorien unterteilt ist: Wünsche, die sich realistisch gesehen relativ einfach erfüllen lassen, kommen in Kategorie A. Wünsche, die sich eher schwieriger erfüllen lassen, aber nicht unmöglich sind, kommen in Kategorie B.«

»Und was steht in Kategorie C?«

»Wünsche, deren Erfüllung man selbst nicht beeinflussen kann und die manchmal vielleicht sogar ein Wunder brauchen, um wahr zu werden.«

»Ein Wunder?« Sie sah mich überrascht an.

Ich zuckte mit den Schultern.

»Ja, oder gute Mächte, besondere Umstände, göttliche Fügung oder glückliche Zufälle. Wie immer man es auch nennen mag.«

»Das ist ja spannend. Stehen viele Wünsche in dieser dritten Kategorie?«

»Eigentlich nur ganz wenige.«

»Aber du verrätst sie mir nicht?«

»Natürlich nicht.«

»Kannst du mir zumindest sagen, ob sich davon schon welche erfüllt haben.«

»Einige Wünsche haben sich tatsächlich schon erfüllt.«

Ich musste grinsen, als ich ihren Gesichtsausdruck sah, der mir verriet, dass sie vor Neugierde fast platzte.

»Irgendwie schön, so eine Liste«, sagte sie jedoch nur und knabberte an ihrem Waffelhörnchen.

»Zum Beispiel habe ich mir im letzten Jahr ganz fest gewünscht, dass es bei Zoe mit einer Schwangerschaft klappt«, verriet ich ihr nun doch.

»Das haben wir wohl alle.«

»Und es hat funktioniert. Schneller, als wir das alle für möglich hielten.«

Sie nickte. Wir lächelten und schwiegen dann einige Sekunden.

»Ben?«

»Ja?«

»Könntest du bitte für mich einen Wunsch in Kategorie B setzen?«

»Du meinst, schwierig, aber nicht unmöglich, ihn zu erfüllen?«

»Genau. Ich versuche immer, vernünftig zu sein, aber die Abschiede von Chris fallen mir jedes Mal schwerer.«

»Ich weiß.«

Ich legte ihr einen Arm um die Schultern und drückte sie an mich.

»Ich würde so gern mehr Zeit mit Chris verbringen, aber ich bringe es nicht fertig, den Chiemsee und euch alle zu verlassen und in die Toskana zu ziehen«, meinte sie und seufzte erneut.

»Das verstehe ich! Aber letztlich musst du auf dein Herz hören.«

Ilona lachte trocken.

»Mein Herz ist ein Kasperl. Das kann ich nicht ernst nehmen. Es kann sich nicht entscheiden und will jeden Tag was anderes.«

Ich lächelte aufmunternd.

»Dann bist du eben noch nicht so weit, eine Entscheidung zu treffen. Ich bin mir sicher, irgendwann kommt der Tag, und dann weißt du ganz genau, was zu tun ist. Aber wenn du möchtest, dann kommt das natürlich sehr gern auf meine Liste.«

»Danke. Das wäre echt super!«

Sie schob sich das letzte Stück der Waffel in den Mund, bevor sie sich mit der kleinen Papierserviette die Finger abwischte.

»Und jetzt muss ich noch was mit dir besprechen, das ich nicht mehr länger aufschieben möchte«, sagte sie.

»Was denn?« Ich sah sie neugierig an.

»Seitdem du bei mir angefangen hast, hat das Geschäft sich wirklich super entwickelt. Und das ist maßgeblich auf dein Engagement zurückzuführen.«

»Es macht mir auch echt viel Spaß. Und mit dir als Chefin sowieso«, beteuerte ich und verputzte nun ebenfalls das letzte Stück meiner Waffel.

»Trotzdem. Ben, ich will nicht mehr länger deine Chefin sein!«

»Was?« Ich sah sie verdutzt an. »Du willst mich doch nicht etwa feuern?«, fragte ich in der Überzeugung, dass das ein Scherz sein musste.

Ihr Blick wurde ernst. Sie nickte.

»Doch. Das will ich. Ich möchte nicht mehr, dass du mein Angestellter bist.«

»Aber Ilona …«

Jetzt war ich etwas irritiert. Sie hatte doch eben beteuert, wie zufrieden sie mit meiner Arbeit war.

»Ich will deswegen nicht mehr, dass du mein Angestellter bleibst, weil ich dich gern als gleichberechtigten Geschäftspartner an meiner Seite hätte.«

Nun lächelte sie verschmitzt.

»Was?«

»Natürlich nur, wenn du das auch möchtest! Vielleicht willst du lieber ein eigenes Lokal eröffnen oder Schiffskoch werden oder was weiß ich?«

»Ilona Heubach! Du bist mir vielleicht eine …!«, begann ich, dann grinste ich breit. »Nein! Also, ich meine Nein, ich habe im Moment nicht vor, ein eigenes Lokal zu eröffnen und auch sonst nichts.«

»Und? Willst du einsteigen?«

»Und ob ich das will!«, beteuerte ich. »Stell dir vor, damit erfüllt sich sogar einer meiner Wünsche aus der Kategorie B.«

Ilona grinste.

»Wirklich?«

»Ja! Ich habe sehr gehofft, dass du mir das einmal anbieten würdest. Und ich habe tausend Ideen, was wir noch alles machen könnten. Natürlich habe ich Ersparnisse, die ich ins Geschäft einbringen kann, wenn ich bei dir als Partner einsteige«, erklärte ich eifrig.

»Das besprechen wir alles in Ruhe. Über das Vertragliche werden wir uns sicherlich einig«, meinte Ilona, und ich jubelte innerlich.

»Ich könnte mir keine bessere Geschäftspartnerin vorstellen als dich, Ilona.«

»Dito! Und wenn ich den Laden künftig mit in deinen Händen weiß, dann kann ich vielleicht ab und zu auch mal länger bei Chris bleiben. Zumindest wäre das für meine Beziehung eine Lösung, die mir erst mal ein wenig mehr Zeit mit ihm ermöglichen könnte, bis wir irgendwann dann doch in der Lage sind, eine endgültige Entscheidung zu treffen.«

»Das lässt sich alles machen«, rief ich, und in meinem Überschwang zog ich sie fest an mich und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

In diesem Moment verließen Pamela und Nele gerade die Gelateria mit je einem Becher Eis in der Hand. Ich bemerkte ihre Blicke, als sie uns am Brunnen entdeckten.

Sie mussten uns wirklich für ein sehr glückliches Paar halten. Und das waren wir auch. Wenn auch in völlig anderer Hinsicht, als die beiden annahmen. Ilona und ich waren beste Freunde, und in ganz naher Zukunft würden wir auch gleichberechtigte Partner unseres kleinen florierenden Unternehmens sein.

»Ich bin echt so happy, dass du Lust hast!«, sagte Ilona strahlend. »Dann können wir uns ja auf der Rückfahrt schon mal einen neuen Namen für Ilonas Delikatessenladen überlegen.«

»Machen wir. Apropos Rückfahrt – vielleicht sollten wir uns jetzt wirklich langsam auf den Weg machen!«, schlug ich vor. Nach dieser schönen Nachricht konnte ich es kaum mehr erwarten, nach Hause zu kommen und mich in die Arbeit zu stürzen.

»Ja. Lass uns aufbrechen!«

Mit flotten Schritten gingen wir zu unserem Lieferwagen, den wir auf einem Parkplatz ganz in der Nähe abgestellt hatten.

Bevor wir in den Wagen stiegen, der voll mit Olivenöl, Gebäck, Käse, Pasta, diversen Essigsorten, Pesto, Gelees und eingelegtem Gemüse aus dem Biohof und regionalen Weinen war, hatte ich das Gefühl, noch mal etwas sagen zu müssen, und nahm ihre Hand.

»Meine liebe Ilona …«

»Das wird jetzt aber kein Heiratsantrag?«, unterbrach sie mich mit einem gespielt besorgten Blick.

»Nicht ganz«, sagte ich. »Aber vielleicht eine besondere Erklärung, die längst einmal fällig ist … Weißt du noch, vor knapp zwei Jahren, als ich nach meiner Trennung total fertig war?«

»Wie könnte ich das vergessen? Du warst echt ein Häufchen Elend. Wir hatten alle Hände voll zu tun, dich aufzumuntern.«

Diese Beschreibung traf es wohl ziemlich genau.

»Anna und Zoe haben darauf gedrängt, dass ich in deinem Laden einspringe, damit ihr drei gemeinsam in die Toskana fahren konntet. Es war das Beste, das mir passieren konnte. Zu dem Zeitpunkt hätte ich niemals gedacht, wie sehr das mein Leben verändern würde.«

»Und auch meines!«

»Danke, Ilona. Für damals. Und für dein Angebot heute.«

»Ich danke dir, Ben, dass du eingesprungen und bei mir geblieben bist und dass du heute mein Angebot angenommen hast.«

»Ich freue mich echt wie ein Schnitzel auf unsere weitere Zusammenarbeit!«, erklärte ich grinsend.

»Ich mich erst!«

Wir umarmten uns noch einmal ganz fest und stiegen dann in den Wagen.

Kapitel 3

New York

Die Zeit während der Heimfahrt zum Chiemsee verging wie im Flug. Wir besprachen unsere zukünftige Zusammenarbeit als Partner, spannen viele Ideen und grübelten über einen neuen Firmennamen. Wir hatten zwar einige Ansätze, aber eine zündende Idee war nicht dabei.

»Da fällt uns sicher bald was ein«, sagte Ilona kurz vor Mitternacht, nur wenige Kilometer von unserem Ziel entfernt, und gähnte.

»Klar doch. Es eilt ja nicht.«

Auch ich war inzwischen doch schon ziemlich müde und froh, dass wir gleich zu Hause wären. Trotzdem mussten wir noch die Ware aus dem Wagen in den Lagerraum und die frischen Produkte aus der akkubetriebenen Kühlbox, die wir extra für den Lieferwagen angeschafft hatten, in die Kühlung räumen.

Dann verabschiedeten wir uns.

»Gute Nacht, mein zukünftiger Kompagnon!«

»Gute Nacht, meine zukünftige Kompagnera … oder wie heißt die weibliche Form?«

»Keine Ahnung … Und das ist mir auch egal. Ich bin jetzt viel zu müde, um darüber nachzudenken!« Ilona gähnte erneut herzhaft.

»Bis morgen, Ilona!«

»Bis morgen, mein Tiger!«

Sie zwinkerte mir zu, ging nach oben in ihre Wohnung über dem Laden, und ich machte mich auf den kurzen Fußweg zu mir nach Hause.

Doch als ich eine halbe Stunde später im Bett lag, konnte ich trotz der Müdigkeit ewig nicht einschlafen und wälzte mich nur von einer Seite auf die andere. Schließlich stand ich auf, holte eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und ging hinaus auf den kleinen Balkon. Es war eine dunkle Nacht, kein einziger Stern war am Himmel zu sehen. In der Toskana war es sehr heiß gewesen, doch hier im Chiemgau war es für fast Ende Juni tatsächlich etwas kühl, und ich zog mir noch rasch einen Pullover über mein T-Shirt. Trotzdem tat die frische Luft nach der knapp zehnstündigen Autofahrt gut. Ich nahm einen großen Schluck Bier und ließ meine Gedanken schweifen.

Ich war begeistert über die Aussicht, bald Mitinhaber des Geschäftes zu sein, und freute mich riesig auf die Herausforderung, die diese neue Position mit sich bringen würde. Gleichzeitig war mir unverhofft auch ein wenig melancholisch zumute. Nicht ganz zwei Jahre waren es her, seitdem ich angefangen hatte, bei Ilona zu arbeiten. Und genau so lange war ich nun schon Single. Die meiste Zeit kam ich super damit klar und hatte ohnehin so viel um die Ohren, dass ich vermutlich gar keine Zeit für eine neue feste Partnerschaft gehabt hätte. Doch in diesem Moment gestand ich mir ein, dass in meinem Leben womöglich dennoch etwas fehlte. Ich fühlte mich einsam. Das war ein Gefühl, das ich normalerweise gar nicht kannte und auch nicht haben wollte. Vielleicht war Einsamkeit ja auch das falsche Wort, und ich sollte es durch den Begriff Sehnsucht ersetzen. Sehnsucht nach einem Menschen, der mich nach diesen paar Tagen ungeduldig erwartet und mit einer Umarmung willkommen geheißen hätte. Wie schön wäre es jetzt, die Freude über die neue berufliche Perspektive mit einem Partner zu teilen und ein wenig zu feiern.

Ich seufzte und fragte mich, ob ich mich überhaupt je wieder verlieben würde. Doch wollte ich das eigentlich? Mich noch einmal auf einen anderen Menschen einlassen, ihm völlig vertrauen und gemeinsam Pläne für die Zukunft schmieden? Und dadurch riskieren, wieder so verletzt zu werden wie bei der Trennung von der – wie ich damals dachte – großen Liebe meines Lebens? Auch wenn ich es mir selbst nicht eingestehen mochte, so hatte ich immer noch daran zu knabbern, wie übel ich damals betrogen und abrupt aus meinem vermeintlich perfekten Leben gekickt worden war.

Natürlich wollte ich nicht als enthaltsamer Mönch leben, aber vielleicht war es ja besser, keine feste Partnerschaft mehr einzugehen, um nicht wieder diesen Schmerz zu riskieren, der mich damals völlig aus der Bahn geworfen hatte.

Ich nahm einen weiteren Schluck Bier und versuchte, die sentimentalen Gedanken zu verdrängen. Eigentlich hatte ich doch auch als Single ein schönes Leben mit all den tollen Menschen, die mir ans Herz gewachsen waren. Mir ging es gut! Richtig gut sogar. Doch trotzdem war da dieses Sehnen …

Ich seufzte wieder und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche.

Sollte ich den Wunsch nach einer neuen Partnerschaft auf meine Liste setzen? So unwahrscheinlich, wie mir das derzeit erschien, kam dafür jedoch höchstens Kategorie C in Frage.

Meine Gedanken wurden von einer Nachricht auf meinem Handy unterbrochen. Sie war von Emma.

Hi, Ben, noch wach?

Hellwach!

Gleich darauf klingelte mein Handy.

»Hey, Hexlein, was ist los?«, fragte ich Annas jüngste Tochter und war froh über die Ablenkung, während ich mit der inzwischen leeren Bierflasche zurück ins Wohnzimmer ging und die Balkontür schloss.

»Ben, es gibt supercoole Neuigkeiten!«, rief die Neunzehnjährige, und die Aufregung in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

»Du hast dich verliebt!?«

»Ach was – Tüddeldingskram! Es ist viel viel cooler! Sogar megastisch cool!«

Ich unterdrückte ein Lachen über ihre speziellen Wortneuschöpfungen und machte es mir auf dem cognacfarbenen Ledersofa bequem, das meine Eltern mir bei ihrem Umzug nach Griechenland überlassen hatten. Es stammte noch von meinem Großvater und war eines der wenigen Möbelstücke, die ich nach meiner Trennung von Bernhard in die neue Wohnung mitgenommen hatte.

»Cooler und megastischer, als sich zu verlieben?«, fragte ich.

»Verlieben kann man sich ja ständig. Und überall. Fast jeder Mensch verliebt sich irgendwann, meistens sogar mehrmals. Das ist ja keine Hexerei und etwas völlig Normales. Aber ich werde …« Sie machte eine spannungsgeladene Pause.

»Was denn nun?«

»Halt dich fest! Ich werde mein Studium in München schmeißen und nach New York gehen!«

»Wie bitte – was wirst du?«, fragte ich völlig perplex und rutschte auf dem Sofa ganz nach vorn.

»Brauchst du ein Hörgerät?«, zog sie mich auf.

»Eher ein paar Sekunden Zeit, um das mal eben sacken zu lassen!«

Emma lachte übermütig.

»Du willst wirklich nach Amerika gehen?«

»Yep. Und du musst mir bitte helfen, das meiner Mama und Omi beizubringen.«

Ich schluckte.

»Ich? Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«

»Doch. Du bist wie ein älterer Bruder für mich, und ich brauch dich, Ben. Wenn du dabei bist, dann fällt es mir nicht so schwer, ihnen zu sagen, dass ich bald für zwei Jahre weg bin.«

»Okay … Dann erzähl mal, Hexlein, wie kam es denn dazu?«

»Gut! Jetzt wirst du aber echt gleich Augen machen!«, warnte sie mich vor.

»Das tu ich jetzt schon. Nachdem du so lange überlegt hast, was du studieren willst, dachte ich, dass Archäologie genau das Richtige für dich ist. Und jetzt willst du das Studium wieder aufgeben?«

»Na ja. Vielleicht ist es eher ein schlechtes Zeichen, wenn man für so eine Entscheidung so lange braucht. Wobei, das Studium macht mir schon auch Spaß.«

»Aber die antiken Kulturen können dich offenbar nicht völlig begeistern?«

»Nicht, wenn ich die Wahnsinnschance bekomme, an einer renommierten privaten New Yorker Musikakademie aufgenommen zu werden.«

Mir verschlug es die Sprache.

»Bist du noch da, Ben?«

»Äh. Ja. Wie kommt das denn jetzt?«, fragte ich ehrlich verblüfft.

»Ich weiß, ich habe immer gesagt, dass ich Musik nur als Hobby machen möchte. Aber das habe ich eigentlich nur gesagt, weil ich Angst hatte, dass mir die Musik vielleicht irgendwann nicht mehr so viel Spaß machen könnte, wenn ich damit meine Brötchen verdienen muss.«

»Und was hat deine Meinung geändert?«

»Letztes Mal an Fasching, da haben wir doch mit unserer Band Crazyblubb in Didis Oberstübchen gespielt.«

Didis Oberstübchen war eine gemütliche Musikkneipe in der Nähe von Rosenheim, in der regelmäßig Konzerte und kulturelle Veranstaltungen stattfanden.

»Ich kann mich erinnern«, sagte ich, auch wenn ich selbst an diesem Tag nicht dort gewesen war, und ging zum Kühlschrank, um mir noch ein Bier zu holen.

»Tja und da … also da …«, sie zögerte plötzlich.

»Was war da, Emma?«

Sie lachte etwas nervös.

»Na ja. Stell dir vor, an dem Tag war auch Jo bei unserem Konzert.«

»Jo? Du meinst jetzt aber nicht etwa Jo Ranke?«, hakte ich nach.

Jo Ranke war ein international bekannter Komponist und für die Filmmusik zu einem Blockbuster sogar schon einmal für einen Oscar nominiert gewesen. Er hatte viele Jahre sehr erfolgreich in Hollywood gelebt und gearbeitet, bis er vor etwa zwei Jahren zurück in seine alte Heimat an den Chiemsee gekommen und dort in das Haus seiner verstorbenen Eltern gezogen war.

»Doch. Genau den meine ich«, sagte Emma und fuhr schnell fort: »Jo kam nach dem Konzert zu uns und hat uns gratuliert. Er fand unseren Auftritt voll gut. Wir haben uns damals lange unterhalten, und er meinte, dass ich eine ganz besondere Stimme habe.«

»Man muss nicht Jo Ranke sein, um das festzustellen«, beteuerte ich. Emma hatte ihr außergewöhnliches Talent nicht nur als Sängerin in der Band, sondern auch im Schulchor und bei zahlreichen Sologesangsauftritten bei verschiedenen Veranstaltungen gezeigt. Wir alle hatten sie nach dem Abitur fast schon bekniet, eine musikalische Ausbildung zu machen, doch bisher hatte sie das immer abgelehnt.

»Ist dieser Ranke etwa dafür verantwortlich, dass du jetzt nach New York gehen willst?«, fragte ich etwas ungehalten. »Du weißt, dass er für deine Mutter ein rotes Tuch ist.«

Jo war Annas erste große und unglückliche Liebe gewesen, wie ich bei Gesprächen mit den drei Freundinnen erfahren hatte. Nach seiner unerwarteten Rückkehr an den Chiemsee hatte er Annas Gefühlsleben ein zweites Mal ordentlich durcheinandergewirbelt, was zu ziemlichen Verwicklungen geführt hatte.

»Inzwischen findet Mama ihn überhaupt nicht mehr soooo schlimm«, verteidigte Emma ihn. »Und er hat echt was drauf! In seinem Studio …«

»Du warst bei ihm in seinem Studio?«, unterbrach ich sie aufgebracht. Immerhin war Jo Ranke nicht nur für seine Musik, sondern auch dafür bekannt, dass er sich gern mit Frauen umgab, die oft nicht mal halb so alt waren wie er.

»Jetzt krieg dich mal wieder ein, Ben«, sagte Emma, nun etwas sauer. »Ja. Ich war bei ihm zu Hause in seinem Studio. Aber ich steh ganz bestimmt nicht auf ein Sugar-Daddy-Verhältnis! Traust du mir so was wirklich zu?«

»Eigentlich nicht, aber …«

»Außerdem weiß Jo, wer meine Mama ist«, unterbrach sie mich, »und er verhält sich mir gegenüber total okay. Es ging rein um Musik! Auch wenn viele ihn nicht leiden können, in der Sache ist er ein Vollprofi.«

Ihre ehrliche Empörung beruhigte mich etwas.

»Tut mir leid, Hexlein. Ich will einfach nur …«

»… dass es mir gut geht!«, unterbrach sie mich erneut. »Weiß ich doch. Und das lieb ich ja auch so an dir, Ben. Aber du musst dir wirklich null Sorgen machen.«

»Na gut!«, lenkte ich ein. »Dann erzähl mal weiter.«

»Also, Jo hat mir von dieser Akademie erzählt und dass sie dort in jedem Jahr ein besonderes Stipendium vergeben und man sich auch aus dem Ausland bewerben kann. Er hat mir vorgeschlagen, dass ich es versuchen soll. Ich habe in seinem Studio zwei meiner eigenen Songs und einen Covertitel aufgenommen, und er hat mir auch bei dem Bewerbungsvideo und den ganzen Formalitäten geholfen.«

»Das ist ja wirklich sehr nett von ihm. Aber wieso hast du sonst keiner Menschenseele was davon erzählt?«

»Leo weiß es.«

»Ach ja? Und ist deine Schwester die Einzige?«

»Keine Ahnung, ob sie es Timo gesagt hat. Ich dachte doch nie im Leben, dass ich das Stipendium wirklich bekommen würde. Ehrlich nicht. Aber heute Abend kam der Anruf aus New York. Von über zweihundert Bewerbern haben sie mich ausgewählt, Ben. Stell dir das vor! Mich!«

»Das überrascht mich gar nicht, Emma, du bist nämlich echt gut!«

»Und sie bezahlen mir sogar den Hinflug und ein Zimmer in einer WG mit anderen Schülern der Akademie, also muss ich mich nicht darum kümmern.«

Ich konnte die unglaubliche Freude und Aufregung in ihrer Stimme hören. Und es war ja auch eine echt große Sache, so wie sie das schilderte.

»Das ist wirklich, wirklich, wirklich großartig, Emma! Ich freue mich mega für dich!«

»Danke, Ben.«

Für ein paar Sekunden herrschte Stille, bis sie weitersprach:

»Weißt du, ein klein wenig hab ich schon Bammel davor, aber es ist auch ein ziemliches Abenteuer, oder?«

Ich lachte leise.

»Das ist es bestimmt! Und ein wenig Bammel ist völlig in Ordnung, bei einer so großen Sache. Trotzdem weiß ich, dass du das wuppen wirst, Hexlein.«

»Jetzt muss ich es nur noch Mama und Omi beibringen …«

Das würde nicht ganz so einfach werden, weil letzten Herbst schon Annas Tochter Leo und mein Bruder Timo mit meiner kleinen Nichte Lena Charlotte nach Wien gezogen waren. Obwohl Anna immer versuchte, es zu überspielen, so wussten wir doch alle, wie traurig sie insgeheim darüber war, dass sie ihre kleine Enkeltochter damit nur noch alle paar Wochen sehen konnte. Ich konnte das sehr gut nachvollziehen, denn als Patenonkel hätte ich die kleine Le-Lo, wie ich Lena Charlotte nannte, ebenfalls gern viel öfter gesehen. Wenn nun auch noch Emma für zwei Jahre nach New York ging … Dann würde sie nicht nur Anna sehr fehlen, sondern auch mir. Aber die Chance, die New York für sie darstellte, war tatsächlich unglaublich.

»Schade, dass deine Schwester nicht hier ist, um uns zu unterstützen. Aber irgendwie kriegen wir das schon hin!«, versprach ich.

Trotzdem war ich mir ziemlich sicher, dass Anna nicht sonderlich begeistert darüber wäre, dass Jo Ranke seine Finger hier mit im Spiel hatte.

Kapitel 4

Dolce Vita

»Auf Ilona und Ben!«, rief Anna am nächsten Tag in der Pizzeria Dolce Vita, und wir stießen mit Pinot Grigio – und Mineralwasser für Zoe, die immer noch stillte – auf die zukünftige Geschäftspartnerschaft an.

Ilona hatte es sich nicht nehmen lassen, ihre beiden Freundinnen Anna und Zoe und mich einzuladen, um unser gemeinsames Vorhaben gebührend zu feiern.

»Das ist wirklich eine super Entscheidung, Ilona!«, sagte Anna und fächelte sich mit der Speisekarte Luft zu, weil sie wohl wieder einmal eine ihrer Hitzewellen vertreiben musste, die sie schon seit Jahren plagten. »Wenn man Ben als Copiloten mit an Bord hat, kann absolut nichts schiefgehen!«

»Sehe ich genauso!« Zoe nickte.

»Danke, ihr beiden!« Ich warf ihnen Luftküsschen zu.

»Ja, das wird alles ganz großartig. Leider haben wir bis jetzt noch keinen passenden neuen Namen für den Laden gefunden!«, meinte Ilona. »Falls euch was einfällt, wir sind für jeden guten Vorschlag dankbar!«

»Das kann doch nicht so schwierig sein«, meinte Anna.

»Ist es aber«, bestätigte ich. »Wir zerbrechen uns schon die ganze Zeit den Kopf darüber.«

Und darüber, wie ich dir am besten beibringe, dass deine jüngste Tochter am Ende des Sommers für zwei Jahre nach Amerika gehen wird, liebe Anna.

Emma und ich hatten die letzte Nacht noch lange über ihre Pläne gesprochen, und ich musste mehrmals versprechen, bis zum Gespräch mit ihrer Mutter und Großmutter Stillschweigen zu bewahren. Ich hatte allerdings keine Ahnung, ob ich das wirklich bis zum Wochenende für mich behalten konnte. Am liebsten hätte ich Ilona eingeweiht und sie um Unterstützung oder zumindest um ihren Rat gebeten, wie wir die Sache am besten angehen sollten.

»Du siehst aus, als ob dir gerade ein passender Name durch den Kopf ginge, Ben!«, riss Anna mich aus meinen Überlegungen und interpretierte meine Miene dabei völlig konträr zu meinen Gedanken.

Ich fühlte mich irgendwie ertappt und schüttelte rasch den Kopf.

»Leider nicht.«

»Wie wär’s denn mit Genießen mit Ilona und Ben