Ziemlich runde Zeiten - Angelika Schwarzhuber - E-Book
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Ziemlich runde Zeiten E-Book

Angelika Schwarzhuber

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Beschreibung

Wer braucht schon einen Mann, wenn man beste Freundinnen hat?

Die lebenslustige Zahnärztin Zoe hat alles fest im Griff, doch ein Mann an ihrer Seite fehlt ihr noch. Und so tröstet sie sich mit abenteuerlichen Reisen rund um die Welt. Bei einem Unfall auf den Kapverden kann Zoe dem Tod nur knapp von der Schippe springen. Nach dem Schreck ist klar: Wenn sie sich den Traum von Familie noch erfüllen möchte, muss sie schnellstens handeln, denn sie merkt, dass der Wunsch nach einem Kind immer größer wird. Glücklicherweise hat Zoe in Anna und Ilona tolle Freundinnen, die mit ihr durch dick und dünn gehen und sie in ihrem Vorhaben unterstützen. Plötzlich taucht jedoch ein Mann auf, der alles gehörig durcheinander wirbelt …

Charmant, witzig, berührend: Drei Freundinnen, wie sie jeder gern hätte! Lesen sie auch:
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Ziemlich turbulente Zeiten

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Buch

Die lebenslustige Zahnärztin Zoe hat alles fest im Griff, doch ein Mann an ihrer Seite fehlt ihr noch. Und so tröstet sie sich mit abenteuerlichen Reisen rund um die Welt. Bei einem Unfall auf den Kapverden kann Zoe dem Tod nur knapp von der Schippe springen. Nach dem Schreck ist klar: Wenn sie sich den Traum von Familie noch erfüllen möchte, muss sie schnellstens handeln, denn sie merkt, dass der Wunsch nach einem Kind immer größer wird. Glücklicherweise hat Zoe in Anna und Ilona tolle Freundinnen, die mit ihr durch dick und dünn gehen und sie in ihrem Vorhaben unterstützen. Plötzlich taucht jedoch ein Mann auf, der alles gehörig durcheinanderwirbelt …

Autorin

Angelika Schwarzhuber lebt mit ihrer Familie in einer kleinen Stadt an der Donau. Sie arbeitet auch als erfolgreiche Drehbuchautorin für Kino und TV und wurde für das Drama »Eine unerhörte Frau« unter anderem mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Zum Schreiben lebt sie gern auf dem Land, träumt aber davon, irgendwann einmal die ganze Welt zu bereisen.

Von Angelika Schwarzhuber ebenfalls bei Blanvalet erschienen:

Liebesschmarrn und Erdbeerblues ∙ Hochzeitsstrudel und Zwetschgenglück ∙ Servus heißt vergiss mich nicht ∙ Der Weihnachtswald ∙ Barfuß im Sommerregen ∙ Das Weihnachtswunder ∙ Ziemlich hitzige Zeiten ∙ Das Weihnachtslied ∙ Ziemlich turbulente Zeiten ∙ Das Weihnachtsherz

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Angelika Schwarzhuber

Ziemlich runde Zeiten

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Copyright © 2022 by Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover. Redaktion: Alexandra Baisch Umschlaggestaltung und -motiv: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung einer Illustration von Max MeinzoldLH · Herstellung: sam Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-27212-8V001www.blanvalet.de

Für Kurt

Kapitel 1

Ein völlig anderes Jahresende

»Das ist das erste Silvester seit sieben Jahren, an dem es keinen gemeinsamen Nachmittagsspaziergang auf der Fraueninsel gibt«, tönte meine beste Freundin Anna über die Boxen der Freisprechanlage des altersschwachen Leihwagens, in dem ich eine kleine Straße mit atemberaubendem Blick auf den Atlantik entlangfuhr. Erstaunlich, wie gut die Verbindung war, trotz der knapp fünftausend Kilometer Luftlinie zwischen dem Chiemgau in Oberbayern und den Kapverdischen Inseln westlich von Afrika, wo ich meinen Urlaub verbrachte.

»Und auch keinen Eierlikörpunsch von deiner Mama«, fügte ich hinzu und merkte, dass ich diese inzwischen sehr liebgewonnenen Rituale am Ende eines Jahres vermisste, und noch mehr Anna und ihre wunderbare und ein wenig chaotische Patchworkfamilie.

»Das holen wir nach, sobald du wieder zurück bist, Zoe«, versprach Anna.

»Unbedingt! Ist Ilona noch immer in der Toskana?«, erkundigte ich mich. »Ich hab schon ein paar Tage nichts mehr von ihr gehört.« Ilona war eine gemeinsame Freundin, wobei die Inhaberin eines kleinen, aber feinen Delikatessenladens in Prien am Chiemsee und ich uns erst im letzten Sommer näher angefreundet hatten. Wir kannten uns zwar schon viel länger, aber vorher gab es da – nun ja, umschreiben wir es freundlich – einige Unstimmigkeiten zwischen uns, die jedoch inzwischen Schnee von gestern waren.

»Ja, ist sie. Aber sie kommt gleich nach Neujahr wieder zurück … Bist du noch auf der Insel Boa Vista? Die Fotos, die du geschickt hast, sind ja atemberaubend.«

»Es ist wirklich paradiesisch dort. Inzwischen bin ich aber wieder auf Santiago.« Das war die vierte von mehreren Inseln des Archipels, die ich in den vergangenen zehn Tagen bereist hatte.

»Was hast du denn an deinem letzten Tag vor?«, wollte Anna wissen.

»Ich hoffe, dass es nur mein letzter Urlaubstag ist und nicht mein letzter Tag auf Erden«, sagte ich trocken.

»Ich meine natürlich den letzten Tag in diesem Jahr«, korrigierte Anna lachend.

»Wie beruhigend! Ich dachte schon, du willst deine Chefin loswerden«, feixte ich.

»Damit ich mir einen neuen Job suchen muss? Sicher nicht!«, beteuerte meine fünfzigjährige Freundin, die als medizinische Fachangestellte in meiner Zahnarztpraxis arbeitete und mehr als nur meine rechte Hand war.

»Also, was machst du heute?«

»Ich hab tatsächlich ein ziemlich volles Programm«, begann ich. »Gleich in der Früh war ich schon auf der Festung von São Filipe, und anschließend gab’s gegrillten Fisch in einem Restaurant am Strand.«

»Du lässt es dir ja echt gut gehen!«

»Und wie! Jetzt bin ich auf dem Weg ins Landesinnere nach Assomada, um einen riesigen alten Baum zu besichtigen. Stell dir vor, der Kapokbaum ist weit über 500 Jahre alt und hat einen Umfang von 40 Metern.«

»Wie toll! Schick mir ja viele Fotos.«

»Klar. Aber vorher mache ich noch einen kurzen Abstecher in die Igreja de Nossa Senhora do Rosário. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann handelt es sich dabei um die älteste Kolonialkirche der Welt. Sie wurde vor einem halben Jahrtausend erbaut.«

»Hach, es wäre so schön, jetzt mit dir die Insel zu erkunden. Stattdessen muss ich eine tote Maus entsorgen, die Conny vor die Terrassentür gelegt hat«, sagte Anna mit einem lauten Seufzer.

»Ein Beweis dafür, wie sehr dein Minitiger dich liebt, wenn du so besondere Geschenke bekommst.«

»Solange Conny nicht wieder einen Nager in meinen Brautschuhen versteckt …«

Bei der Erinnerung an Annas ziemlich turbulenten Hochzeitstag, der nur wenige Wochen zurücklag, lachte ich kurz auf.

»Wir gehen jetzt mal nicht davon aus, dass du so schnell wieder heiraten wirst und so etwas damit nicht noch einmal passiert«, prophezeite ich.

»Himmel nein! Ich habe mein Pensum mit zwei Hochzeiten mehr als erfüllt«, bekräftigte sie.

»Mir würde schon eine reichen«, murmelte ich und überholte einen Esel, der beidseitig mit fleckigen Wasserkanistern beladen war und von einem mageren Burschen geführt wurde.

»Das kommt schon noch«, meinte Anna aufmunternd. »Ich bin mir sicher, dass ich irgendwann auch auf deiner Hochzeit tanze.«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Nach allem, was ich unternommen habe, um jemanden zu finden, sehe ich da eher schwarz als ein weißes Brautkleid!«

»Manchmal geht das schneller, als man denkt.«

»Und manchmal so langsam, dass man irgendwann nur noch Gesundheitsschuhe zum Brautkleid tragen kann, weil die Gefahr, sich auf schicken Pumps die altersschwachen Hüften zu brechen, zu groß ist«, warf ich ein.

»Ach komm. Du bist sieben Jahre jünger als ich.«

»Nur knapp sieben Jahre!«

»Jetzt sei mal nicht so pingelig und hab ein wenig Geduld!«

»Geduld zählt nicht gerade zu meinen Tugenden, wie du weißt, aber immerhin bist du ein ganz gutes Vorbild für mich, Anna«, erklärte ich.

»Und schau, wie schnell es mit Ilona und Chris ging.«

»Tja, wenn sogar Ilona einen Mann gefunden hat – dann kann ich doch kein ganz hoffnungsloser Fall sein. Vielleicht lerne ich ja einen passenden Typen beim Silvestermenü im Hotel kennen. Es gibt sieben Gänge, und dazu spielt eine Live-Band Coladeira-Musik. Jedenfalls hab ich vor, heute ganz viel zu tanzen!«

»Wow – das hört sich um einiges aufregender an als unser Programm: Raclette essen und Kniffel spielen mit Paul und meiner Mutter«, meinte Anna.

»Darauf kannst du wetten!«

Doch kaum hatte ich es ausgesprochen, erfasste mich unvermutet etwas Wehmut, und mir kam der Gedanke, dass das doch eigentlich auch ein ganz gemütliches Programm wäre.

»Gehst du da alleine hin?«, wollte Anna wissen.

»Nein. Mit Holly. Ich hab sie auf der Insel Sal kennengelernt. Sie ist Reisebloggerin für Seniorenurlaube.«

»Seniorenurlaube?«

»Nicht so, wie du dir das vorstellst. Ältere Leute heutzutage sind viel unternehmungslustiger, als man denkt. Von wegen gemütlich Kaffeefahrt und Spaziergänge am See. Tangotanzkurse, Höhlenwanderungen und Bikertouren durch die Wüste sind angesagt. Gestern war sie sogar beim Kitesurfen.«

»Gut zu wissen. In unserem Alter haben wir schließlich nicht mehr ewig bis zur Rente.«

»Du und Ilona vielleicht nicht …«

Doch Anna stieg nicht darauf ein.

»Wie alt ist denn diese Holly?«, fragte sie stattdessen.

»Schwer zu sagen, irgendwas zwischen sechzig und fünfundsiebzig, aber sie hat eine Energie, damit könnte sie eine Kleinstadt beleuchten.«

Anna lachte.

»Sag mal, wollen wir uns vielleicht heute Abend kurz per Zoom unterhalten und uns auf das kommende neue Jahr zuprosten? Ich kann auch Ilona fragen, ob sie Lust hat.«

»Ja! Das wäre echt super!«, rief ich. »Wann machen wir es denn? Ich bin ja von der Zeitzone zwei Stunden hinterher«, erinnerte ich.

»Umso besser! Wir fangen schon relativ früh mit dem Raclette an, damit es für Mutter nicht zu spät wird.«

»Dann schieben wir es genau dazwischen«, schlug ich vor.

Und so vereinbarten wir, uns um 21.30 Uhr deutscher Zeit für eine halbe Stunde online zu treffen. Anschließend würden Holly und ich gemeinsam zum Abendessen ins Hotelrestaurant gehen. Perfektes Timing!

»Ich schreibe dir noch, ob Ilona auch dabei ist«, versprach Anna.

»Sag ihr, ich bin beleidigt, wenn nicht.«

Sie lachte.

»Mache ich.«

»Danke. Dann bis später, Anna!«

»Bis dann, Zoe! Und hab noch einen schönen Tag!«

»Habe ich ganz bestimmt! Du auch! Und grüß mir alle. Vor allem deine Mutter!«

»Aber klar!«

Mit der Aussicht, kurz vor dem Wechsel ins neue Jahr online noch ein wenig mit meinen Freundinnen zu plaudern, fühlte ich mich richtig beschwingt, und der kurze sentimentale Anflug von vorhin war verflogen.

Langsam fuhr ich die Rua de Banana an kleinen Steinhäusern entlang zu meinem Ziel und parkte den Wagen. Ich warf einen Blick in den Rückspiegel und schob die Sonnenbrille über mein rot gefärbtes Haar, das Ilona gerne als moderne Interpretation des Pumuckl-Looks bezeichnete. Die Sonne hatte dem etwas dunkleren Teint, den ich meinen griechischen Wurzeln verdankte, einen warmen bronzenen Schimmer verliehen, der meine dunkelbraunen Augen funkeln ließ.

»Zoe Petrides, für Anfang vierzig hast du dich nicht übel gehalten«, lobte ich mich. In letzter Zeit führte ich immer öfter Selbstgespräche und hatte dabei tatsächlich das Gefühl, nicht allein zu sein. Eigentlich total praktisch, weil man sich die Gesellschaft selbst aussuchen konnte und immer ein Thema hatte, das einen wirklich interessierte! Ich schob die Brille wieder auf die Nase, griff nach dem Handy und der Handtasche und stieg aus dem Wagen.

Ich hatte Glück. Die in strahlendem Weiß gestrichene Kirche war an diesem Tag für Besucher geöffnet, was nicht jeden Tag der Fall war. Da ich es versprochen hatte, machte ich ein paar Fotos und natürlich auch das obligatorische Selfie mit Sehenswürdigkeit im Hintergrund, welches ich später auf meinem neuen Instagram-Account posten würde.

Das im gotischen Stil erbaute Gotteshaus in einer der ältesten Siedlungen auf den Kapverden schien mir nicht sonderlich spektakulär und war kleiner, als ich es mir vorgestellt hatte. Trotzdem spürte ich eine gewisse Ehrfurcht, als ich eintrat und über die steinernen Bodenplatten schritt, die offenbar Abdeckungen uralter Gräber waren.

Eine Gruppe amerikanisch klingender Seniorinnen hörte dem einheimischen Reiseführer aufmerksam zu, der in passablem Englisch alles Wissenswerte über die Kirche referierte, die zum Kulturerbe der UNESCO zählte.

Ich setzte mich auf eine der hinteren Holzbänke und sah mich genauer um. Blau-weiß gemusterte Kacheln zierten die Wände, und ich hörte, wie der Mann besonders das Taufbecken aus Alabaster und die Taufkapelle erwähnte.

Die Vorstellung, dass hier angeblich schon Vasco da Gama und womöglich auch Christoph Kolumbus um den göttlichen Segen für ihre Schiffsfahrten gebetet haben sollen, beeindruckte mich. Und vielleicht hatte auch der ein oder andere Pirat hier heimlich seine Sünden gebeichtet, bevor er mit seinen Kumpanen erneut auf Beutezug ging und sich in den Takelagen den Wind um die Ohren wehen ließ.

Nun war die Welt aber kein Abenteuerroman, und ich wusste auch um die schrecklichen Zustände, denen Sklaven jahrhundertelang auch auf dieser Insel ausgesetzt waren. Die ehemalige portugiesische Kolonie war für viele von ihnen nur der Zwischenstopp einer unmenschlichen Reise gewesen, um anderswo unter Zwang und meist auch Gewalt den Menschen zu dienen, die sich selbst für etwas Besseres hielten.

Kaum zu glauben, dass es auch heute noch in einigen Ländern die sogenannte moderne Sklaverei gab. Von Kinderarbeit, Unterdrückung und Prostitution aus Not ganz zu schweigen. Es war beschämend, dass es der Menschheit nicht gelang, solche Zustände zu beenden und jedem ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.

Vielleicht war genau hier in dieser kleinen Kirche der richtige Ort, um mit dem lieben Gott ein ernstes Gespräch darüber zu führen, dass er sich gefälligst mal darum kümmern sollte, alles besser und gerechter zu machen.

Das laute Klingeln meines Handys ersparte dem Schöpfer meine gedankliche Standpauke. Sofort drehten sich die Köpfe der Kirchenbesucher zu mir um, und ich erntete teils amüsierte, teils missbilligende Blicke. Eine der Frauen schüttelte empört den Kopf und sagte laut genug, dass ich es hören konnte:

»Impolite woman!« Unhöfliche Frau!

»Sorry … I am sorry!«, beteuerte ich und griff in meine Tasche, aus der es weiter fröhlich bimmelte. Leider gelang es mir nicht, das Handy zwischen all den Sachen, mit denen ich vermutlich eine Woche in der Wildnis überleben könnte, zu finden.

»Sorry«, murmelte ich erneut.

»Impolite – and what a terrible hairstyle!«, setzte die Frau noch ein wenig lauter hinzu.

Unhöflich und mit schrecklicher Frisur? Nun bedauerte ich meine Entschuldigung.

»Deine schlecht blondierte Vokuhila-Dauerwelle ist da natürlich viieel besser, du geliftete Schnepfe!«, zischte ich auf Deutsch und stand auf. Auf dem Weg nach draußen bemerkte ich das amüsierte Grinsen des Fremdenführers, der meine Worte – oder zumindest die Bedeutung dahinter – offenbar verstanden hatte und mir zuzwinkerte.

Ich zwinkerte zurück und verließ eilig die Kirche. Endlich hatte ich auch mein Handy ertastet und fischte es auf dem Weg zu meinem Wagen aus der Tasche.

Ein Facetime-Anruf!

»Ilona!«

Das Bild baute sich auf.

»Huhu, Zoe! Da bist du ja endlich!«, rief sie und grinste mich an.

Meine Freundin saß am Tisch in der großen rustikalen Küche in dem herrlichen Haus ihres Freundes Chris in der toskanischen Maremma. Dort hatte ich mit ihr und Anna im Herbst eine ziemlich turbulente Zeit verbracht.

»Hey Zoe!«, sagte Chris, und nun erschien auch sein Gesicht neben Ilona auf dem kleinen Bildschirm.

»Hi Chris! Na, alles gut bei euch?«

»Klar doch, bei dir auch? Hast du die Kapverden schon gehörig aufgemischt?«

»Und wie! Vermutlich lassen sie mich hier nie mehr weg und machen mich zu ihrer Königin«, antwortete ich enthusiastisch.

Chris und Ilona lachten.

»Hauptsache, du lädst uns alle zu deiner Krönung ein«, forderte er.

»Das lässt sich machen«, versprach ich.

»Super … Dann wünsch ich dir einen guten Rutsch, zukünftige Frau Königin«, feixte er in seinem charmanten österreichischen Dialekt.

»Dir auch, Chris! Und wenn du brav bist, mach ich dich zu meinem bevorzugten Hoflieferanten für die besten Delikatessen aus der Toskana.«

»Nichts anderes erwarte ich! … Ciao, Zoe!« Er winkte noch kurz in die Kamera, bevor er verschwand.

»Da hast du dir wirklich einen ganz Tollen geangelt«, sagte ich und unterdrückte einen Seufzer.

»Nur kein Neid!«

»Auch nicht ein bisschen?«

Ilona schmunzelte.

»Ein bisschen lass ich dir durchgehen … Hör mal, Zoe! Anna hat mich vorhin angerufen wegen heute Abend. Leider klappt es bei mir nicht, deswegen melde ich mich jetzt schon«, erklärte sie bedauernd.

»Schade! Was hast du denn Besseres vor, als mit Anna und mir auf das neue Jahr anzustoßen?«, stichelte ich.

»Chris und ich bereiten gerade alles für ein Barbecue im Patio vor. Wir haben am Abend einige Gäste hier, da kann ich mich nicht so einfach ausklinken«, erklärte sie.

Ilona hatte Produkte aus dem Sortiment des toskanischen Biohofes für ihren Delikatessenladen bestellt und auf diesem Weg Chris kennengelernt. Inzwischen waren die beiden ein Paar, auch wenn sie eine Fernbeziehung führten und sich nur alle paar Wochen sehen konnten.

»Das verstehst du doch?«, hakte sie nach.

»Ja ja, schon gut. Grill du nur mit deinen neuen Freunden!«, sagte ich gespielt theatralisch. »Ich bin ja schließlich nicht so wichtig.«

»Hey, jetzt schau nicht so beleidigt, sonst bekommst du noch Falten«, feixte Ilona.

»Es gibt Menschen mit Lachfalten, weil die ständig so widerlich gut gelaunt sind, wie du es bist!«, schoss ich zurück.

»Nicht, wenn man so ordentlich gepolstert ist«, erklärte Ilona und deutete auf ihre rosigen Backen.

»Stimmt auch wieder … Wobei, das sah im letzten Sommer alles noch deutlich üppiger aus«, erklärte ich. Und tatsächlich hatte Ilona in den letzten Monaten ein wenig abgenommen. »Frisch verliebt sein wirkt offenbar besser als die strengste Diät.«

»So lange ich nicht so ein flachbrüstiges Klappergestell werde wie du …«, spielte sie auf meine schlanke Figur an, die derzeit zwischen Größe 34 und 36 schwankte.

»Da mache ich mir bei dir wirklich keine Sorgen«, sagte ich trocken.

»Stimmt. Dafür esse ich auch viel zu gerne … Apropos Essen. Hör mal, sobald du und ich wieder zurück sind, treffen wir uns mit Anna im Dolce Vita«, schlug sie vor.

Das Dolce Vita war unsere Lieblingspizzeria in Prien.

»Das sowieso!«

»Ich freue mich! Aber jetzt muss ich aufhören und noch mit Lotte eine Runde Gassi gehen, bevor ich den Hefeteig für die Stockbrote mache.«

»Okay … Ich muss auch los. Gib Lotte ein Leckerli und sag allen liebe Grüße von mir! Und feiert schön ins neue Jahr rein!«

»Mach ich. Du auch. Genieße deinen letzten Tag!«

Meinen letzten Tag?Schon wieder?

»Hey!«, protestierte ich innerhalb einer Stunde zum zweiten Mal. »Heute ist nicht mein letzter Tag!«

»Für dieses Jahr schon! Lass es krachen! Bussi auf die Kapverden!«

»Und zurück! Bis bald!«

»Bis bald!«

Sie winkte mir kurz zu, dann war die Verbindung beendet.

Ich merkte, dass ich immer noch lächelte, als ich das Handy in meine Tasche steckte. Noch vor einem Jahr hätte ich mir nie im Leben vorstellen können, so viel Spaß bei den Gesprächen mit Ilona zu haben. Ich liebte ihren Humor, der seinen Höhepunkt immer dann erreichte, wenn sie sich am wenigsten ernst nahm.

Spontan schickte ich das Selfie, das ich vorhin gemacht hatte, zusammen mit einem Herzchen-Smiley in unsere Freundinnen-WhatsApp-Gruppe.

Ich überlegte, ob ich noch mal zurückgehen sollte, doch eigentlich hatte ich alles gesehen. Und auf eine weitere Begegnung mit der missgelaunten Frau hatte ich auch keine Lust. Also stieg ich in meinen Wagen und machte mich auf den Weg ins Landesinnere nach Assomada.

Das Radio war laut aufgedreht, auch wenn ich von den portugiesischen Liedern, die hauptsächlich liefen, kein einziges kannte. Schließlich kam mit Bob Dylan’s Knockin’ on Heaven’s Door ein bekannter Song, zu dem ich schon als Studentin, eng an meinen Freund geschmiegt, getanzt hatte. Hendrik. Ich hatte schon eine ganze Weile nicht mehr an ihn gedacht. Wie es ihm wohl ging? Die Musik ließ alte Erinnerungen wach werden. Damals hatte ich gar nicht so sehr auf den traurigen Text geachtet, sondern mich in Hendriks Armen nur ganz der Melodie und Stimme hingegeben, doch jetzt bekam ich wie aus heiterem Himmel eine Gänsehaut.

An der Himmelstür klopfen … Letzter Tag … Letzter Tag im Jahr – oder letzter Tag überhaupt? …

»Zoe! Hörst du jetzt auf! Weg mit diesen Gedanken!«, schalt ich mich plötzlich laut.

Ich verstand selbst nicht, was heute mit mir los war. Wieso genoss ich nicht einfach meinen Urlaub auf dieser herrlichen Insel?

»Es geht dir gut! Du bist glücklich und gesund! Und heute ist ein besonders schöner Tag!«, betete ich mein Mantra herunter. »Und auch morgen wird es wieder einen schönen Tag geben, und du …«

Die Worte blieben mir im Hals stecken. Nach einer langgezogenen Kurve auf der enger werdenden ansteigenden Straße stürzte eine junge Frau auf Krücken mit einem Baby auf dem Rücken auf den Rand der Fahrbahn.

»Nein!«, schrie ich. Ich trat in die Bremsen und presste entsetzt die Augen zusammen.

Kapitel 2

Die tanzenden Frauen

Mit rasendem Herzen öffnete ich die Augen. Der Wagen war keinen halben Meter vor der Frau und dem Baby zum Stehen gekommen. Glücklicherweise war das Kind nicht aus dem Tuch gerutscht, auch wenn es vor Schreck wie am Spieß schrie.

»Oh … mein … Gott! … Danke!«, rief ich erleichtert, bevor ich zitternd aus dem Wagen stieg. Meine wackeligen Beine versuchte ich zu ignorieren, was jedoch kein einfaches Unterfangen war. Ich musste mich kurz an der Wagentür festhalten und einmal tief ein- und ausatmen. Jetzt nur nicht vor Schreck wieder einen Herzinfarkt bekommen, Zoe. Dafür hast du keine Zeit, ging es mir durch den Kopf. Ich musste mich um die junge Frau kümmern! Bei der es sich offenbar um einen Teenager handelte, wie ich feststellte, als ich in ihr hübsches, von einem bunten Tuch umrahmtes jugendliches Gesicht sah.

Sie griff nach einer ihrer Krücken und versuchte, sich hochzurappeln. Gleichzeitig sprach sie beruhigend auf das schreiende Baby ein.

»Bist du verletzt?«, rief ich über das laute Heulen hinweg, ohne daran zu denken, dass sie mich gar nicht verstehen konnte. Ich streckte ihr die Hand entgegen und half ihr beim Aufstehen. In diesem Moment bemerkte ich, dass ihr linker Fuß amputiert war und sie über den Stumpf nur einen dunklen Strumpf gezogen hatte, der mit einem bunten Band unterhalb des Knies fixiert war. Deswegen also die Krücken. Das Knie am anderen Bein war aufgeschlagen und blutete leicht.

»Obrigado«, sagte das Mädchen, als sie mit meiner Hilfe wieder einigermaßen sicher stand. Danke! Eines der Worte, die ich auf Portugiesisch verstand. Sie versuchte noch mal, sich zu bücken, um einen Stoffbeutel aufzuheben.

»Moment!« Ich hob ihn für sie auf. Sie schob den Beutel unter den Gürtel ihres hellblauen Kleides.

»Come!«, sagte ich und führte das dunkelhäutige Mädchen zur Seite, damit sie und das Baby in Sicherheit waren. »Please wait! I have to drive away my car.« Ich deutete zum Auto.

Sie nickte.

Offenbar verstand sie mich oder ahnte zumindest, was ich vorhatte.

»Do you speak English?«, fragte ich sicherheitshalber.

Sie nickte. »A little!«

Das machte die Verständigung etwas leichter.

Ich fuhr den Wagen aus der Gefahrenzone und parkte ihn ein paar Meter weiter vorne auf dem sandigen Seitenstreifen. Dann ging ich rasch zu den beiden zurück.

Inzwischen hatte sie das Baby aus dem Tuch genommen und wiegte es beruhigend im Arm, während sie sich mit der anderen Hand auf der Krücke abstützte.

»Komm mit!«, forderte ich sie auf.

Vorsichtig führte ich sie zum Wagen, öffnete die Beifahrertür und schob den Sitz ganz nach hinten.

Ich half ihr, sich mit dem Baby zu setzen. Dann holte ich aus meiner Handtasche eine Plastikflasche mit Wasser und reichte sie ihr.

»Danke«, sagte sie mit einem scheuen Lächeln.

Was für ein wunderhübsches Mädchen – mit strahlend weißen geraden Zähnen, was mir als Zahnärztin natürlich sofort auffiel!

Durstig trank sie ein paar Schlucke, dann wollte sie mir die Flasche wieder geben, doch ich bedeutete ihr, sie solle sie behalten.

»Mein Name ist Zoe«, stellte ich mich vor.

»Ich bin Jenny, und das ist meine Nichte Rosita«, erklärte sie und nickte zum Baby, das inzwischen aufgehört hatte zu weinen.

Unsere Unterhaltung ging etwas stockend voran, da ihr nicht immer sofort die passenden englischen Worte einfielen und sie einiges etwas umständlich umschreiben musste.

Ich holte ein Desinfektionsspray und Pflaster sowie Papiertaschentücher aus meiner Tasche, um ihre Verletzung am Knie zu versorgen. Und natürlich hatte ich auch immer Plastikhandschuhe für den Notfall dabei, die ich mir zuvor überstreifte.

»Das tut jetzt ein bisschen weh«, warnte ich sie.

Doch Jenny zuckte kaum mit den Wimpern, als ich die Wunde am Knie desinfizierte und ein großes Pflaster darüber klebte. Ganz offensichtlich hatte das Mädchen schon mehr überstanden als diese kleine Schürfwunde.

Währenddessen erzählte sie mir, dass sie für ihre Großmutter wilde Aloe Vera gesammelt hatte und gerade auf dem Rückweg nach Hause war. Dabei sei sie gestolpert, habe das Gleichgewicht verloren und sei auf die Straße gestürzt.

Ich schluckte. Wäre ich ein wenig schneller unterwegs gewesen, hätte ich womöglich nicht mehr rechtzeitig bremsen können. Ich durfte gar nicht darüber nachdenken, was alles hätte passieren können.

»Fühlst du dich gut?«

»Ja, danke.«

»Wirklich?« Ich machte mir immer noch Sorgen.

»Ja. Wirklich.« Sie lächelte wieder.

»Schön … Hast du denn noch weit bis zu dir nach Hause?«, erkundigte ich mich.

Jenny schüttelte den Kopf und erklärte mir, es seien nur noch etwa zwei Kilometer. Nur? Auf Krücken, verletzt und mit einem Baby auf dem Rücken?

»Ich fahre dich und Rosita heim!«, bot ich entschlossen an. Das war das Mindeste, was ich tun konnte. Und ich ließ keinen Widerspruch zu.

Während wir über eine unbefestigte Nebenstraße fuhren, erzählte sie, dass sie heute das Baby ihrer Schwester mitgenommen hatte, weil die Frauen in der Familie etwas Besonderes vorhatten.

»Vorbereitungen für eine Silvesterparty?«, vermutete ich. Doch Jenny schüttelte den Kopf.

»Sie tanzen. Und da kann ich leider nicht mitmachen, ohne Fuß.«

»Sie tanzen?«

»Ja …«

»Darf ich dich fragen, wie das mit deinem Bein passiert ist?«, fragte ich behutsam.

»Natürlich«, antwortete sie offen. »Es war vor vier Jahren, einen Tag nach meinem dreizehnten Geburtstag«, begann sie.

Also war sie doch schon siebzehn, dabei hätte ich das zarte Mädchen um einiges jünger geschätzt.

»Meine ältere Schwester Maria und ich sammelten Kräuter für unsere Oma«, fuhr sie fort. »An einer steilen Stelle bin ich auf dem steinigen Boden ausgerutscht und mit dem Fuß in einer engen Spalte gelandet. Als ich mich befreien wollte, löste sich ein Felsen und quetschte mein Bein. Meine Schwester schaffte es zwar, mir herauszuhelfen, aber der Arzt konnte den Fuß nicht mehr retten.«

Das arme Mädchen. Wäre ihr das in Deutschland passiert, hätte man eine Amputation womöglich vermeiden können. Auf jeden Fall hätte sie inzwischen schon längst eine Prothese.

»Das tut mir sehr leid«, beteuerte ich.

Doch sie zuckte gelassen die Schultern.

»Meine Oma sagt immer: Es hätte viel schlimmer kommen können. Sei dankbar, dass es nur ein Bein erwischt hat – du hast immerhin noch ein zweites.«

»Da hat deine Oma ganz sicher recht«, stimmte ich zu, und wir lächelten.

Erst jetzt merkte ich, wie die Anspannung von mir abfiel. Alles war noch mal gut gegangen.

»Jetzt müssen wir rechts fahren«, sagte sie und deutet auf einen noch schmaleren Weg.

Wir fuhren, inzwischen im Schritttempo, bis zu einem der wenigen Steinhäuser, die es hier vereinzelt gab. Es hatte einen kleinen hölzernen Anbau, der wohl als Stall diente. Etwas abseits spielten einige Kinder Fußball und kickten in ein provisorisch errichtetes Tor. Neben dem Haus flatterte bunte Wäsche an einer Leine im Wind. Tontöpfe mit Pflanzen schmückten den Bereich bei der Eingangstür. Obwohl das Haus in der kargen Umgebung ein wenig abgelegen war, wirkte es dennoch einladend und freundlich.

Ich stieg aus, holte die Krücken von der Rückbank und öffnete die Beifahrertür für Jenny. Ich musste das Baby halten, bis Jenny sich mit Hilfe ihrer Krücken aus dem Sitz hochgedrückt hatte.

Fünf Monate alt war Rosita, wie ich inzwischen wusste, und sie war schwerer, als sie aussah. Vorsichtig hielt ich das Baby fest. Hoffentlich mache ich nichts kaputt!, dachte ich besorgt.

Die Kleine schaute mich aus dunkelbraunen Augen ein wenig irritiert an und griff plötzlich in meine Haare, hielt sie fest.

»Rosita gefällt die Farbe!«, sagte Jenny. »Sie mag rot!«

»So, du kleine Maus. Du magst also meine roten Haare?«, flötete ich und merkte selbst, dass meine Stimme dabei ein wenig höher klang als gewöhnlich.

War das irgendwie genetisch bedingt, dass viele Menschen in einen albernen Singsang fielen, wenn sie mit Kindern oder auch Haustieren sprachen?

In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich das erste Mal in meinem Leben einen so kleinen Menschen auf dem Arm hatte. Da ich ein Einzelkind war, gab es keine Nichten und Neffen, die ich als Tante hätte verwöhnen können. In meine Praxis kamen Kinder erst in einem Alter, in dem sie bereits genügend Zähne hatten, um mich in den Finger zu beißen oder vom Schoß ihrer Eltern zu flüchten. Und Annas Töchter hatte ich erst kennengelernt, als sie längst aus dem Gröbsten raus waren. Mir fehlte zwar jegliche Erfahrung mit Babys, trotzdem konnte ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass diese Kleine hier dringend mal frische Windeln brauchte.

Rosita hielt die Haare weiterhin fest mit ihrer kleinen Faust umklammert, so, als ob sie nie wieder loslassen wollte.

»Du bist ja vielleicht ein kleiner Frechdachs«, sagte ich und stupste mit dem Zeigefinger sanft auf ihre Nasenspitze.

Sie ließ meine Haare los, verzog ihr süßes Gesichtchen, und ich dachte schon, sie würde gleich laut losbrüllen, doch das Gegenteil war der Fall. Sie begann laut und hell zu lachen. Das war so ansteckend, dass auch Jenny und ich in ihr Lachen einfielen, was das Baby noch mehr erheiterte, was wiederum uns noch mehr gackern ließ.

Mein Gott, war diese Kleine süß! Nie hätte ich gedacht, dass mich ein Baby so zum Lachen bringen würde.

»Ich glaube, sie muss schnell gewickelt werden!«, schlug ich vor.

»Oh ja … Sie stinkt schon gewaltig … Vielen Dank für die Hilfe und für das Nachhausebringen«, sagte Jenny.

In diesem Moment bemerkte ich eine ältere Frau in einem goldgelben Kleid mit einer Brille, die aussah, als hätte sie diese von Woody Allens Nase geklaut. Sie stand wenige Meter von uns entfernt vor dem Haus.

»Das ist meine Großmutter Blanca!«, sagte Jenny. »Wir sagen aber alle Mama Blanca zu ihr.«

Die alte Dame war schlank, schon fast mager und beeindruckend groß. Sie überragte mich um fast einen Kopf.

»Spricht sie Englisch?«

»Leider nein.«

»Olá, Mama Blanca«, grüßte ich sie mit einem höflichen Nicken und hoffte, dass es in Ordnung war, wenn ich sie so ansprach. Sie kam auf uns zu und nahm mir das Baby ab.

»Olá.«

Neugierig, fast schon prüfend sah sie mich an und redete dabei auf ihre Enkelin ein. Jenny erzählte offenbar, was vorhin passiert war. Blanca nickte bedächtig. Ihr Gesichtsausdruck wechselte zwischen besorgt und erleichtert, und schließlich lächelte sie mir zu. Überrascht stellte ich fest, dass auch die Großmutter über ein noch komplett eigenes Gebiss verfügte. Eine Seltenheit in diesem Alter.

Sie wiegte das Baby sanft hin und her, während sie weiter mit Jenny sprach. Schließlich sahen beide mich an.

»Meine Oma bedankt sich sehr, dass du mir geholfen und uns heimgebracht hast, und lädt dich zum Essen ein«, übersetzte das Mädchen.

»Aber das ist doch wirklich nicht nötig«, winkte ich freundlich ab. »Das war eine Selbstverständlichkeit.«

Doch Mama Blanca bestand darauf, also willigte ich ein.

Die alte Dame trug das Baby ins Haus, um es zu wickeln.

»Komm! Wir gehen gleich nach hinten zu den anderen!«, forderte Jenny mich auf.

Ich holte meine Tasche aus dem Wagen und folgte ihr neugierig. Wie diese Familie wohl lebte? Als wir am Holzverschlag vorbeigingen, hörte ich Lachen und Geschnatter von Frauen, das immer lauter wurde.

Auf der rückwärtigen Seite des Hauses unter einer schattigen Pergola mit einem Wellblechdach saßen neun junge Frauen an einem langen Holztisch auf zusammengewürfelten Stühlen.

Als sie uns entdeckten, erntete ich neugierige Blicke.

»Olá!«, rief ich fröhlich in die mir unbekannte Runde. »Eu sou Zoe!«, stellte ich mich mit den wenigen Brocken Portugiesisch vor, die ich beherrschte.

»Olá Zoe!«, begrüßten sie mich im Chor, und Jenny übernahm es, in wenigen Sätzen zu erklären, warum ich sie nach Hause gebracht hatte.

Der Gesichtsausdruck ihrer älteren Schwester Maria wechselte von freudig zu besorgt, dann lächelte sie erleichtert. In holprigem Englisch bedankte sie sich überschwänglich, dass ich Jenny versorgt und sie und Baby Rosita wohlbehalten nach Haus gebracht hatte.

Die Frauen gehörten alle irgendwie zur Familie, waren Schwestern, Schwägerinnen oder Cousinen von Jenny, wie ich erfuhr.

Ehe ich michs versah, saß ich mit ihnen am Tisch und eine der jungen Frauen mit Dutzenden geflochtenen kleinen Zöpfen und bunten Perlen im Haar stellte mir einen Becher hin.

»Pontche!«, sagte sie. Ein Mischgetränk aus Groque – der kapverdischen Variante von Rum –, Zuckerrohrmelasse und Saft von Zitrusfrüchten. Je nach Rezept wurde Pontche mit verschiedenen Gewürzen abgeschmeckt. Ich selbst hatte es bisher noch nicht probiert, im Gegensatz zu meiner Urlaubsbekanntschaft Holly, die vor ein paar Tagen nach dem Genuss von zu viel Pontche am nächsten Morgen einen gewaltigen Kater hatte abschütteln müssen.

Um nicht unhöflich zu sein, nahm ich einen kleinen Schluck.

Holla die Waldfee! Das Getränk war wirklich stark und schmeckte dabei teuflisch gut – und genau deswegen musste ich mich zurückhalten, ich musste schließlich noch Auto fahren.

Offenbar hatten die jungen Frauen schon einiges intus, denn sie lachten und alberten ausgelassen herum. Vielleicht waren sie aber auch generell so gut drauf. In jedem Fall strahlten sie eine unglaublich ansteckende Lebensfreude aus.

Inzwischen war auch Mama Blanca mit dem frisch gewickelten Baby wieder zurück und erklärte, dass es in einer Stunde Essen gab. Mein Aufenthalt hier würde also noch etwas länger dauern, was mich aber keineswegs störte. Genau solche Begegnungen machten einen Urlaub besonders. Außerdem gefiel es mir hier – auch wenn ich nicht viel von ihrem Geschnatter verstand, das überwiegend in Kreol stattfand, wie ich inzwischen herausgehört hatte. Und den riesigen Kapokbaum konnte ich mir auch morgen noch anschauen. Falls ich nach der Silvesterparty im Hotel früh genug aus dem Bett kam.

Mit einigen der Frauen konnte ich mich auf Englisch verständigen, wobei Jenny die Sprache von allen am besten beherrschte, wie ich schnell herausfand. Und je länger wir redeten, desto leichter schien dem Mädchen unsere Konversation zu fallen.

Als ein mehrfaches lautes Hupen zu hören war, sprangen die jungen Frauen aufgeregt auf und zupften an ihren Kleidern und Frisuren herum.

Ein Mann in lässigen Jeans und einem schwarzen T-Shirt und Basecap, den ich auf Mitte zwanzig schätzte, kam zu uns hinter das Haus. Er trug eine längliche Sporttasche. Ihm folgte eine Schar Kinder, die ich bei unserer Ankunft beim Fußballspielen gesehen hatte.

»Das ist Donny, der Schwager meiner Cousine Loretta.« Jenny deutete auf eine mollige Frau mit lustiger Stupsnase. »Er wird den Tanz filmen.«

Donny nahm ein Stativ aus der Tasche und stellte es etwa zehn Meter von uns entfernt auf. Daran befestigte er ein Smartphone. Dann holte er einen antiquiert aussehenden tragbaren CD-Player heraus und stellte ihn auf den Boden.

Mama Blanca erhob sich nun ebenfalls und drückte Jenny das Baby in die Hand. Dann stellten die Frauen sich im Hof in der Formation eines auf den Kopf gestellten Dreiecks auf, wobei Mama Blanca, die Größte von allen, in der Mitte stand. Erst jetzt fiel mir auf, dass die Frauen jeweils Kleider in den Farben der kapverdischen Flagge trugen: Rot, Blau, Weiß – und Mama Blanca als Einzige Gelb.

Donny positionierte sein Stativ mit dem Handy in Richtung der Frauen. Dann scheuchte er die Kinder zur Seite, damit sie nicht im Bild waren, und rief ihnen etwas zu. Augenblicklich wurden sie leise. Einen der älteren Jungen winkte er zu sich und deutete mit ein paar kurzen Anweisungen auf den CD-Player. Der Junge nickte eifrig.

»Jetzt bin ich aber gespannt, was sie machen«, sagte ich neugierig.

Jenny lächelte nur und streichelte sanft über die Stirn ihrer Nichte, der bereits die Augen zufielen.

Donny schaute auf das Display seiner Handykamera und hob den Arm. Loretta rief laut eine Art Kommando. Die Frauen standen still. Donny nickte dem Jungen zu, der drückte auf einen Knopf.

Ich erkannte das Stück schon nach den ersten Takten. Jerusalema. Komponiert von Master KG, der es mit der Sängerin Nomcebo Zikode aufgenommen hatte.

Das Lied war weltweit durch die sogenannte Jerusalema Challenge bekannt geworden, in der verschiedene Gruppierungen in einer bestimmten Bewegungsabfolge zur Musik tanzten und Videos davon aufnahmen. Kinder, Nonnen, Krankenhauspersonal, Beamte in Behörden, Dorfgemeinschaften, Firmenangehörige oder Sportvereine – Menschen aus aller Herren Länder machten mit. Inzwischen gab es sicherlich schon Tausende Videos über diesen Flashmob im Internet. Für mich eine tolle Botschaft über alle Grenzen und Konventionen hinweg für Frieden, Menschlichkeit und Gemeinsamkeit.

Die Frauen hatten ihre individuelle Choreografie zu den vorgegebenen Schritten richtig gut eingeübt. Es machte Spaß, ihnen dabei zuzusehen, wie sie lächelnd tanzten. Und am breitesten grinste Mama Blanca, die den jüngeren Tänzerinnen in nichts nachstand.

Der Sound aus den Boxen des altmodischen CD-Players war besser als gedacht. Ich merkte, wie meine Füße sich unter dem Tisch bewegten. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte mitgetanzt. Auch die Kinder, die zusahen, klatschten inzwischen zu den Klängen der mitreißenden Musik.

Als die Performance zu Ende war, applaudierten wir alle begeistert, was die kleine Rosita nicht zu stören schien, die inzwischen tief und fest schlief. Doch Donny hob den Arm und schüttelte den Kopf. Auch ohne seine Worte zu verstehen, entnahm ich seiner Mimik, dass er offenbar noch nicht zufrieden war, sondern die Frauen aufforderte, das Ganze zu wiederholen.

Erneut stellten sie sich wieder auf und begannen zur Musik zu tanzen. Und es machte sichtlich mindestens genau so viel Spaß wie beim ersten Versuch.

Auch diesmal winkte Donny ab.

Was für ein Pedant, dachte ich, als der nächste Versuch startete. Für mich war es perfekt gewesen, doch Donny hatte wieder nur den Kopf geschüttelt.

Das Lächeln auf Mama Blancas Gesicht wirkte nun etwas angespannt. Doch alle Frauen gaben weiterhin ihr Bestes.

»Donny genießt es immer schon, die Frauen ein wenig herumzukommandieren«, murmelte Jenny.

»Ja. Das ist nicht zu übersehen«, stimmte ich ihr zu. »So ein Trottel.«

Sie kicherte.

»Ein Trottel ist er wirklich manchmal, aber er hat leider das beste Handy, um alles aufzunehmen«, erklärte sie mit einem Schulterzucken.

Als der gute Donny erneut einen weiteren Durchgang forderte, platzte Mama Blanca der Kragen. Sie verließ die Formation und ging mit großen Schritten auf den jungen Mann zu. Als sie vor ihm stand, zog sie nur die Augenbrauen hoch. Ohne das Wort zu erheben, sprach sie auf ihn ein. Donny wirkte plötzlich etwas kleinlaut und nickte immer wieder.

Ich konnte mir ein Lachen kaum verkneifen, und auch Jenny grinste.

»Wenn Mama Blanca einen zurechtweist, fühlt man sich wie ein kleines Kind, das etwas angestellt hat!«, versicherte sie mir, und ich glaubte ihr aufs Wort.

Nachdem das Familienoberhaupt ihm die Leviten gelesen hatte, ging Mama Blanca zurück zu den anderen, flüsterte der Tänzerin neben ihr etwas zu und stellte sich dann wieder in die Mitte. Alle waren bereit zum nächsten Versuch, und ich ging davon aus, dass dies der letzte Durchgang sein würde. Der Junge drückte wieder auf den Playknopf, und die Musik begann erneut. Doch nach den ersten Takten bewegte sich Mama Blanca tänzelnd in meine Richtung, während einige der anderen Frauen mit wiegenden Hüften auf die Kinder zugingen.

»Was wird das denn?«, fragte Jenny erstaunt, da stand ihre Großmutter bereits vor uns und streckte die Hand nach mir aus.

»Ich soll mit?«, fragte ich überrascht, und auch wenn sie mich nicht verstehen konnte, nickte sie und bewegte sich dabei immer noch zur Melodie.

»Na gut!«

Ich stand auf, griff nach ihrer Hand und versuchte mit Mama Blanca im Takt der Musik Schritt zu halten, während sie mich zur Gruppe mitnahm, wo inzwischen auch die Kinder tanzten. Die Kleinen stellten sich ziemlich geschickt an. Und auch ich hatte wohl oft genug zugeschaut, um einigermaßen fehlerfrei mitzumachen, auch wenn die Choreografie selbst nun aufgebrochen war.

Erstaunlich, wie sehr Musik verbindet, dachte ich. Und Jerusalema offenbar ganz besonders.

Als das Lied diesmal zu Ende war und Donny nickte, lachten wir fröhlich auf und schlugen uns gegenseitig in die Hände ein.

Der junge Mann ließ nun ein anderes Lied über die Lautsprecher laufen, und wir tanzten ausgelassen weiter, während er sein Stativ abbaute.

Mama Blanca und Maria verschwanden mit dem schlafenden Baby im Haus, um sich um das Essen zu kümmern.

Inzwischen hatte ich auch genug und setzte mich wieder zu Jenny. Obwohl sie es sich nicht anmerken ließ, ahnte ich, dass sie ein wenig traurig war, weil sie nicht auch Teil der Tanz-Challenge war.

»Erlernst du eigentlich einen Beruf?«, fragte ich, da ich annahm, dass sie nicht mehr zur Schule ging.

»Nein! Ich helfe Mama Blanca im Haus, suche Kräuter für sie und passe auf die Kinder meiner Schwester und der Cousinen auf, damit sie arbeiten gehen können.«

Maria war als Aushilfe in einem Friseurladen in der Hauptstadt Praia beschäftigt, hatte sie mir erzählt. Wie viele andere Frauen auf der Insel war auch sie eine alleinerziehende Mutter. Rositas Vater, ein junger Fischer, hatte nie irgendwelche Anstalten gemacht, die damals schwangere Maria zu heiraten, und seitdem das Kind auf der Welt war, ließ er sich überhaupt nicht mehr blicken.

»Und den älteren Kindern helfe ich beim Lernen für die Schule«, fügte Jenny noch hinzu.

»Wow! Da hast du ja ganz schön viel zu tun hier.«

»Ja. Ich bin froh, dass ich für meine Familie was machen kann«, erklärte sie.

»Das verstehe ich. Aber sag mal, welchen Beruf würdest du denn am liebsten erlernen, wenn du es dir aussuchen dürftest?«, wollte ich wissen.

»Optikerin!«, kam es wie aus der Pistole geschossen.

»Optikerin? Das ist ein toller Beruf!«, sagte ich überrascht.

Doch sie schüttelte den Kopf.

»Keiner würde mich zur Ausbildung nehmen. Es ist schon schwer genug, überhaupt bezahlte Arbeit zu finden«, erklärte sie und deutete dann auf ihren Beinstumpf. »Aber damit mag mich keiner nehmen. Damit ist so vieles nicht möglich.«

»Ich verstehe dich. Aber weißt du …«, begann ich und versuchte, die richtigen Worte zu finden. »… auch wenn es manchmal so scheint, dass gewisse Dinge nicht möglich sind, kann man es doch zumindest versuchen. Vielleicht geht es dann nicht so, wie man sich das vorgestellt hat, das bedeutet aber nicht, dass es nicht auf eine neue Weise klappt, die vielleicht anders ist, aber womöglich sogar noch besser sein kann.«

Sie sah mich fragend an.

»Wie meinst du das?«

Ich überlegte, wie ich ihr vermitteln konnte, was ich ihr sagen wollte, und plötzlich hatte ich eine Idee.

»Moment …«

Ich hielt Ausschau nach Donny. Er stand neben seiner Schwägerin Loretta, hatte einen Becher Pontche in der Hand und lachte über etwas, das sie gesagt hatte.

»Bin gleich wieder da«, sagte ich und ging zu dem jungen Mann.

»Sprichst du Englisch?«

Unterstrichen von Mimik und Gestik ließ er mich wissen, dass er meine Frage zwar verstanden hatte, seine Englischkenntnisse aber eher bescheiden waren. Gewissermaßen mit Händen und Füßen machte ich ihm klar, was ich von ihm wollte, und schaffte es irgendwie, ihn dazu zu bewegen, sein Stativ wieder aufzustellen. Ich winkte den Frauen und Kindern zu, noch einmal zu kommen. Dann ging ich auf Jenny zu.

»Wir machen es noch mal. Alle gemeinsam. Und diesmal bist du auch dabei. Komm!«, forderte ich sie auf.

»Aber das geht nicht. Ich kann doch nicht tanzen!«, erinnerte sie mich.

Doch da hatte ich schon ihre Krücken genommen und reichte sie ihr.

»Jetzt pass mal auf: Du kannst mit einem Baby auf dem Rücken kilometerweit gehen, Kräuter pflücken, Hausarbeit machen und dich um andere kümmern. Dann kannst du dich auch ein wenig zur Musik bewegen. Es muss ja nicht perfekt sein. Das ist doch nur zum Spaß! Jetzt komm bitte!«

Mit meiner Überredungskunst, der man sich meist nur schwer entziehen konnte, schaffte ich es, dass Jenny aufstand und mit mir zu den anderen ging.

»Und jetzt?«

»Mach einfach zur Musik das, was du eben machen kannst«, forderte ich sie auf.

Ich nickte zu Donny und dem Jungen, der den Knopf drückte.

»Go!«, rief ich.

Und ein weiteres Mal erklang Jerusalema über den Platz.

Anfangs wiegte Jenny sich nur unsicher ein wenig im Takt zwischen uns hin und her, doch dann begann sie, sich zu bewegen und zu drehen. Natürlich konnte sie nicht dieselben Schritte wie wir machen, dennoch schien sie mit Hilfe ihrer Krücken nicht weniger zu tanzen und komplettierte die Formation auf ihre ganz eigene Weise. Einige der Kinder hüpften plötzlich auf einem Bein, nicht etwa, um sich über Jenny lustig zu machen, sondern um sie einzubinden. Auch ich machte mit. Jenny lachte, als ich das Gleichgewicht verlor und fast stürzte. Ich konnte mich gerade noch an Loretta festhalten, die ich damit auch zum Wanken brachte. Doch wir hielten uns aneinander fest, rappelten uns auf und tanzten wieder weiter, als wäre nichts gewesen.

Als ich die Richtung der Schritte wechselte, entdeckte ich Mama Blanca und Maria, die mit zwei großen dampfenden Töpfen aus dem Haus kamen und uns überrascht ansahen. Eilig stellten sie das Essen auf dem Tisch ab und gesellten sich zu uns, tanzten mit.

Als das Lied zu Ende war, begannen wieder alle laut zu klatschen, noch begeisterter als vorher, wie mir schien. Und sogar Donny schien es gefallen zu haben, denn er reckte mit einem breiten Grinsen seinen Daumen hoch.

Jenny suchte meinen Blick und lächelte glücklich.

»Danke!«, sagte sie.

Ich nickte mit einem Zwinkern.

»Sehr gern!«

Kapitel 3

Mama Blanca und der Kürbis

Nur wenig später saßen wir alle am Tisch und ließen uns das köstliche Essen schmecken. Es gab eines der bekanntesten Nationalgerichte auf den Kapverden: Cachupa. Ein deftiger Eintopf – je nach Familienrezept – aus Bohnen, Mais, Süßkartoffel, Maniok, Kürbis, Kohl und Gemüse, verfeinert mit verschiedenen Gewürzen. Einmal vegetarisch und einmal als Cachupa rica in der Variante mit Hühnerfleisch und scharfer Wurst.

Obwohl ich um eine kleine Portion gebeten hatte, weil am Abend noch das mehrgängige Silvestermenü vor mir lag, hatte Mama Blanca meine Schale bis zum Rand mit Cachupa rica gefüllt und forderte mich mit einladenden Gesten auf zu essen. Das aromatische, leicht scharfe Gericht schmeckte ausgesprochen lecker!

Wenn ich das verputze, platze ich, dachte ich. Falls mich die Bohnen und der Kohl nicht vorher schon zum Explodieren bringen.

Deswegen löffelte ich sehr langsam und aß den Teller auch nicht ganz leer, was mir zwar leidtat, aber mehr passte beim besten Willen nicht in mich hinein. Mama Blanca schien mein Dilemma zu ahnen, zuckte nur mit den Schultern, nahm meine Schale und kippte den Rest wieder in den großen Topf zurück. Hier wurde kein Essen verschwendet.

Jenny verriet mir, dass es das Cachupa morgen zum Frühstück noch mal gebe, allerdings angebraten in der Pfanne und mit Eiern dazu.

Wow – das war ja mal ein solider Start in den Tag!

Die Stimmung am Tisch war ausgelassen. Als ich verriet, dass ich in Deutschland als Zahnärztin arbeitete, musste ich einige zahnmedizinische Fragen beantworten. Ich versuchte Ratschläge zu geben und war froh, dass mich zumindest niemand aufforderte, sein Gebiss genauer zu begutachten.

»Filhos?«, fragte Loretta mich plötzlich und deutete zuerst eine Kugel vor dem Bauch an und dann verschiedene Größen mit der Hand. Sie wollte wissen, ob ich Kinder hatte. Eine Frage, die mich immer stresste.

Warum wollen andere Menschen überhaupt wissen, ob man Nachwuchs hat?