Zum Verlieben schön - Brigitte D'Orazio - E-Book
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Zum Verlieben schön E-Book

Brigitte D'Orazio

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Beschreibung

Wenn Romeo das Gretchen küsst – vier Liebesromane in einem Band: „Zum Verlieben schön“ von Brigitte D‘Orazio als eBook bei dotbooks. Es ist wunderbar, frisch verliebt zu sein! Wann haben Sie zuletzt dieses ganz besondere Kribbeln im Bauch gespürt, diese unendliche Sehnsucht nach dem ersten Kuss? All die himmelhochjauchzenden Gefühle – und manchmal auch die zu Tode betrübten Momente, wenn das Happy End auf sich warten lässt … Die Erfolgsautorin Brigitte D’Orazio versteht es, diese verrückte, herrliche Stimmung einzufangen und in Geschichten festzuhalten, die man wieder und wieder genießen möchte – denn es gibt nur eins, was so wunderbar ist, wie frisch verliebt zu sein: ein richtig gutes Buch zu lesen! Jetzt als eBook kaufen und genießen: der romantische und preisgünstige Sammelband „Zum Verlieben schön“ von Brigitte D’Orazio enthält die Einzelbände „Das Haus in Portofino“, „Geliebte Träumerin“, „Der Fünf-Sterne-Kuss“ und „Sing mir das Lied von der Liebe“. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 445

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Über dieses Buch:

Es ist wunderbar, frisch verliebt zu sein! Wann haben Sie zuletzt dieses ganz besondere Kribbeln im Bauch gespürt, diese unendliche Sehnsucht nach dem ersten Kuss? All die himmelhochjauchzenden Gefühle – und manchmal auch die zu Tode betrübten Momente, wenn das Happy End auf sich warten lässt … Die Erfolgsautorin Brigitte D’Orazio versteht es, diese verrückte, herrliche Stimmung einzufangen und in Geschichten festzuhalten, die man wieder und wieder genießen möchte – denn es gibt nur eins, was so wunderbar ist, wie frisch verliebt zu sein: ein richtig gutes Buch zu lesen!

Über die Autorin:

Brigitte D’Orazio ist ein Pseudonym der erfolgreichen Autorin Brigitte Kanitz, unter dem sie ihre romantischen Unterhaltungsromane veröffentlicht. Sie arbeitete viele Jahre als Redakteurin für Zeitungen und Zeitschriften in Hamburg und in der Lüneburger Heide. Heute lebt sie gemeinsam mit ihren Zwillingstöchtern an der Adria.

Brigitte D’Orazio veröffentlichte bei dotbooks die Romane Die Sterne über Florenz, Villa Monteverde und Tierärztin mit Herz sucht Glück auf dem Land sowie die Kurzromane Das Haus in Portofino, Geliebte Träumerin, Der Fünf-Sterne-Kuss, Sing mir das Lied von der Liebe – diese vier Titel auch erhältlich im Sammelband Zum Verlieben schön –, Fundstücke des Glücks, Kapitäne küsst man nicht und Ti amo heißt Ich liebe dich – diese drei Titel auch erhältlich im Sammelband Zum Träumen romantisch.

***

Sammelband und eBook-Neuausgabe Juni 2016

Copyright © der Originalausgaben 2014 dotbooks GmbH, München.

Copyright © der Sammelband-Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Maria Seidel unter Verwendung eines Bildmotivs von Thinkstockphoto/LiliGraphie; Olha Afanasieva; Piotr Krze-Clak

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-410-8

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Brigitte D‘Orazio

Zum Verlieben schön

Vier Romane in einem Band

dotbooks.

Inhalt

Das Haus in Portofino

Geliebte Träumerin

Der Fünf-Sterne-Kuss

Sing mir das Lied von der Liebe

Lesetipps

Das Haus in Portofino

Das Leben nimmt immer dann eine ungeahnte Wendung, wenn wir am wenigsten damit rechnen …

Seit einem Jahr trauert Claire um den Mann, bei dem sie aufgewachsen ist – und erfährt nun, dass er nicht ihr leiblicher Vater war. Aber wer ist dieser Robert, der ihre Mutter einst sitzen ließ, in Italien lebt und jetzt Kontakt zu seiner einzigen Tochter aufnehmen will? Claire beschließt, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Doch im traumhaft schönen Ligurien wird sie nicht nur einem Menschen begegnen, der ihr zunächst kalt und abweisend erscheint, sondern auch dem attraktiven Rechtsanwalt Mario. Denn das Leben steckt nicht nur voller Überraschungen, sondern auch wunderbarer Abenteuer.

Kapitel 1

Schwere Regenwolken zogen über die Skyline von Frankfurt hinweg, und ein kühler Wind fegte durch die Häuserschluchten. Auf dem Untermain-Kai spannten die Menschen ihre Regenschirme auf, Mütter setzten ihren Kindern Mützen auf den Kopf, alte Männer erhoben sich schwerfällig von den Bänken, um nach Hause zu eilen. Der Herbst kam früh in diesem Jahr. Viel zu früh, fand Claire. Sie fröstelte in ihrer dünnen Jacke und beschleunigte den Schritt. Er war keine gute Idee gewesen, nach Feierabend noch hierherzufahren. Aber Claire musste allein sein, wenigstens für eine Weile. Und nirgends konnte man besser allein sein als inmitten vieler fremder Menschen.

Sie hatte einen schweren Tag im Geschäft hinter sich. Eigentlich einen schlimmen Tag. Zum ersten Mal seit Jahren waren die Kunden scharenweise hereingeströmt, und als sie wieder hinausgingen, trugen sie Stück für Stück ein Lebenswerk davon.

Claires Handy spielte die ersten Takte von Mozarts Kleiner Nachtmusik, und auf dem Display erschien der Name Karina. In derselben Sekunde fiel Claire wieder ein, dass sie etwas Wichtiges vergessen hatte.

»Ich weiß, ich bin zu spät«, sagte sie zu ihrer besten Freundin. Seit drei Jahren teilten sich die beiden jungen Frauen eine Wohnung am Öderweg. Die Entscheidung war Claire damals leichtgefallen. Sie kannte Karina seit ihrer gemeinsamen Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau, und sie hätte sich keine angenehmere Mitbewohnerin vorstellen können. Karina war fröhlich, wenn Claire zu ernst wurde, sie nahm das Leben mit großen Schritten in Angriff, während Claire oft auf der Stelle trat, und ihr unerschütterlicher Optimismus vertrieb in manchen dunklen Stunden Claires Einsamkeit.

»Das verzeihe ich dir in hundert Jahren nicht!«, rief die Freundin jetzt ins Handy, lachte dabei aber ihr großes, volles Lachen. »Das Käsesoufflé ist gerade in sich zusammengefallen, und der Uli auch.«

»Was?«

»Na ja. Der Gute hatte sich ordentlich aufgeplustert, um einen guten Eindruck auf dich zu machen, und nun sitzt er ganz zusammengesunken auf dem Sofa und behauptet, es sei seine Schuld, dass du nicht kommst.«

»Quatsch.«

»Hab ich auch gesagt, glaubt er mir aber nicht.«

Claire zögerte. Seit Wochen schwärmte Karina von dem sagenhaften Uli, der mindestens die große Liebe ihres Lebens war. Anfangs hatte Claire das nicht so ernst genommen. Schließlich war Karina in Liebesdingen – nun ja – experimentierfreudig. Aber Uli Bremer, Bankier in dritter Generation, Porschefahrer und »wahnsinnig gutaussehend!« (Originalton Karina), hielt sich erstaunlich lange. An diesem Abend nun sollte Claire ihn endlich kennenlernen.

»War wohl ein mieser Tag, was?«, hakte Karina jetzt nach.

»Hm«, machte Claire nur, während der Regen ihr in den Kragen lief und kalte Schauer über den Rücken jagte. Plötzlich wollte sie nicht mehr an die zurückliegenden Stunden denken. Ein Abend mit guten Freunden, ein zwangloses Essen und eine gute Flasche Rotwein. Das war es, was sie jetzt brauchte!

»Ich bin in einer halben Stunde da«, sagte sie schnell und steckte das Handy wieder in die Tasche. Im Laufschritt überquerte sie den Domplatz, lief am Römer vorbei, ohne der wieder aufgebauten Fünfgiebelfassade auch nur einen Blick zu gönnen, und nahm die U-Bahn am Paulsplatz. Im Waggon herrschte das übliche Gedränge nach Feierabend, feuchte Kleidung dampfte in der klimatisierten Luft, und es roch nach schnell aufgegessenen Bratwürsten und scharfem Senf.

Claire schaute aus dem Fenster auf die vorbeirasenden Lichter des Tunnels. Manchmal konnte sie ihr Spiegelbild im Fenster sehen. Eine große, langbeinige junge Frau, mit weißblonden Locken, Augen so hell wie blitzender Stahl und wie gemeißelt wirkenden Gesichtszügen.

»Von mir hast du diese klassische nordische Schönheit aber nicht«, hatte ihr Vater oft mit einem liebevollen Augenzwinkern gesagt. Dann war sein Blick zu seiner Frau gewandert, aber es hatte keine Frage darin gelegen. Monika Hartmann war stets mit einem Lächeln darüber hinweggegangen, und zu Claire hatte sie gern gesagt: »Das sind die Gene deiner Großmutter. Mein Vater war klein und dunkel wie ich, aber meine Mutter überragte die gesamte Familie, und ihr Haar war noch mit achtzig so blond wie deines.«

Ach, Papa, dachte Claire jetzt und wandte den Blick ab. Du fehlst mir so.

»Entschuldigung!« Ein Mann, Typ Woody Allen, hatte ihr seine Aktentasche in die Kniekehlen gerammt.

Beinahe hätte sie ihn dankbar angelächelt. Sie würde einen blauen Flecken bekommen, aber der Zwischenfall erlöste sie aus ihren Gedanken.

Wenig später lief Claire durch den Öderweg an den schmucken, mehrstöckigen Bürgerhäusern vorbei. Wie schon unzählige Male zuvor beglückwünschte sie sich im Stillen zu ihrem Entschluss, damals mit Karina zusammenzuziehen.

»Das musst du dir ansehen!«, hatte die Freundin ins Telefon gerufen. »Eine Vier-Zimmer-Wohnung in einer Jugendstilvilla im Nordendviertel! Der absolute Wahnsinn! Und nur ein klein bisschen renovierungsbedürftig.«

Letzteres stellte sich als die Untertreibung des Jahres heraus, und die Freundinnen schufteten wochenlang bis zum Umfallen, um die Wohnung herzurichten. Aber am Ende lebten sie in prachtvollen hohen Räumen, und ihre Gäste wussten kaum, was sie mehr bewundern sollten: die beiden bildhübschen jungen Frauen, die eine klein und schwarzhaarig, die andere groß und blond, oder die stuckverzierten Decken.

Claire lächelte bei der Erinnerung und freute sich plötzlich auf den Abend. Es war ein gutes Gefühl, nach Hause zu kommen.

So traf sie der neue Tiefschlag in ihrem Leben vollkommen unvorbereitet.

Keine Zeit, dachte sie verzweifelt, als sie zum ersten Mal Uli Bremer gegenüberstand. Ich habe keine Zeit gehabt, mein Herz zu wappnen.

»Hallo, schön, dich kennenzulernen.« Eine Stimme, weich wie Samt und zugleich stark wie ein Fels, hüllte sie ein und ließ ihren Puls rasen. Sein helles Haar stand in atemberaubendem Kontrast zu den nahezu schwarzen Augen, aber am schlimmsten, fand Claire, am schlimmsten war sein Lächeln. Freundlich, liebenswert, einfach nett. Und verdammt aufregend!

»Ha… hallo.«

»Na? Hab ich dir zu viel versprochen?« Das war Karina, die mit Pfannenschieber und Topflappen bewaffnet aus der Küche kam.

»N… nein.«

Claire stand noch immer in der Wohnungstür, halb draußen, halb drinnen, und dachte, sie würde sich nie wieder bewegen können. Sollte sie hineingehen oder flüchten? Wohin gehörte sie noch? Doch nicht hierher, mitten in dieses junge, fröhliche Glück. Wenigstens ihre Sprache fand sie wieder.

»Ich freue mich auch«, sagte sie steif zu Uli und schaffte es dann, ihre Freundin anzulächeln. »Tut mir echt leid, dass ich so spät komme.«

»Schon vergeben. Los, ihr zwei, lasst uns endlich das platte Soufflé essen.«

Uli setzte sich am Tisch neben Claire, und zu ihrer Überraschung schaffte sie es, nett mit ihm zu plaudern. Vielleicht, weil sie mehr als das übliche eine Glas Burgunder trank, vielleicht, weil dieser Mann die Gabe besaß, jedem Menschen in seiner Nähe das Gefühl zu geben, wichtig und einzigartig zu sein. Mehr noch: Er fragte sie nach dem Geschäft, und Claire schüttete ihm, ohne zu zögern, ihr Herz aus.

»So etwas ist bei einem Familienbetrieb besonders schlimm«, meinte er mitfühlend. »Und es war wirklich nichts zu machen? Vielleicht, wenn meine Bank …«

»Nein!«, gab Claire heftig zurück. »Mir hätte auch keine andere Bank helfen können.« Sie konfrontierte ihn mit einigen niederschmetternden Zahlen, und Uli musste schließlich zustimmend nicken.

»Du hast recht. Die Schließung war unausweichlich. Wie lange, sagst du, war das Bettengeschäft Hartmann im Besitz deiner Familie?«

»Mehr als sechzig Jahre«, gab Claire zurück und musste plötzlich mit aufsteigenden Tränen kämpfen. Für einen Moment war die Versuchung groß, sich Trost suchend an Ulis breite Schultern zu lehnen. Sie kämpfte noch um ihre Selbstbeherrschung, als sie Karinas Blick auffing. Die Freundin schaute aufmerksam von einem zum anderen und wirkte nervös, geradezu besorgt.

Was tue ich hier bloß?, fragte sich Claire entsetzt. Ich sollte schnellstens verschwinden.

Uli, der nichts mitbekommen hatte, erkundigte sich nach dem Räumungsverkauf.

»Ich werde wohl mit plus/minus null herauskommen«, gab Claire gepresst Auskunft. Noch zwei Tage, dann würden in dem ehrwürdigen Bettengeschäft nur noch leere Regale neben leeren Ausstellungsflächen stehen.

»Immerhin«, sagte Uli tröstend. »Wenigstens bleibst du nicht auf einem Schuldenberg sitzen. Hast du schon einen neuen Job in Aussicht?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe inzwischen wohl an die dreißig Bewerbungen abgeschickt, aber es ist verflixt schwer, etwas zu finden.«

»Das klappt schon noch.«

Einen Moment lang fürchtete Claire, er würde ihr eine Hand auf den Arm legen. Sie war sich keineswegs sicher, wie sie darauf reagiert hätte.

»Liebling«, sagte Karina in die plötzlich entstandene Stille hinein. »Wir wollten doch noch ins Olympic.«

»Ach ja?«

Ulis überraschte Reaktion zeigte Claire, dass ihre Freundin improvisierte.

»Klar. Lass uns gehen.«

»Also ich finde, das ist nicht das richtige Wetter für einen Besuch im Eiscafé. Außerdem ist es hier doch so schön gemütlich.« Bei dem Wort gemütlich sah er Claire an, und sie spürte, wie sie über und über rot wurde. Nein!, rief sie sich dann zur Ordnung. Uli ist kein Mann dieser Sorte. Er spürt nur, dass es mir schlechtgeht, und er will mir helfen. Karina schien das nicht zu merken, denn sie beharrte auf den Besuch im Olympic.

»Ich habe wahnsinnige Lust auf einen Latte macchiato.«

Sie stand auf und räumte klappernd die Teller ab. Uli wirkte jetzt verwirrt, und endlich schaffte Claire es zu sagen: »Also, um ehrlich zu sein, habe ich meiner Mutter versprochen, noch vorbeizukommen. Macht es euch etwas aus, wenn ich schon verschwinde?«

»Kein Stück«, erwiderte Karina eine Spur zu schnell.

»Geht es deiner Mutter nicht gut?«, fragte Uli.

»Na ja. Letzte Woche war der erste Todestag meines Vaters und …«

»Das tut mir sehr leid. Du musst im Moment wirklich viel durchmachen.«

»Ich …« Sie konnte sich gerade noch bremsen. Sonst hätte sie diesem Mann tatsächlich auch erzählt, wie sehr ihr immer noch ihr Vater fehlte und dass es für sie nur einen Trost gab: Wolfgang Hartmann musste nicht mehr miterleben, wie sein geliebtes Geschäft für immer geschlossen wurde. »Ich gehe dann mal«, vervollständigte sie den Satz, und erst, als sie wieder draußen vor dem Haus stand, merkte Claire, dass sie die ganze Zeit die Zähne zusammengebissen hatte.

Kapitel 2

»Oh, Liebes, das ist aber eine schöne Überraschung!« Monika Hartmann schloss ihre Tochter in die Arme, wozu sie sich auf die Zehenspitzen stellen musste. Als sie Claires finsteres Gesicht bemerkte, fügte sie schnell hinzu: »War es sehr schlimm heute? Du musst ja völlig fertig sein. Komm rein, ich setze Tee auf.«

Wie immer, wenn Claire in ihr Elternhaus kam, erwartete sie auch nach einem Jahr noch, jeden Moment ihren Vater zu sehen. Gleich würde er aus seinem Ohrensessel aufstehen und auf sie zukommen. Oder er stand in der Küche am Herd und brutzelte etwas für seine Frau, die er auch nach mehr als dreißig Jahren anbetete wie am ersten Tag. Im Geschäft hatte sich Claire daran gewöhnt, ihren Vater nicht mehr zu sehen, aber hierher kam sie nicht so oft, und hier lag eine Spur seines Pfeifentabaks in der Luft, und die FAZ stapelte sich ungelesen in einer Ecke.

Auf wackeligen Beinen folgte Claire ihrer Mutter in die Küche. Auf einmal war sie froh darüber, dass ihr altes Kinderzimmer niemals ausgeräumt worden war. Sie sehnte sich nach ihrem Mädchenbett mit der rosa Satindecke, nach den alten Take-That-Postern an der Wand und ihrer Sammlung von Plüschtieren. Nichts würde sie daran erinnern, dass sie mit einunddreißig Jahren diesen Dingen längst entwachsen war. Und wenn sie ganz fest die Augen schloss, würde ihre Welt vielleicht wie durch Zauberhand wieder in Ordnung kommen.

Doch dieser lange Tag war noch nicht zu Ende, und erst nach einer ganzen Weile bemerkte Claire, dass ihre Mutter sie auf rätselhafte Art anschaute. Ernst, aufgeregt und zugleich in sich gekehrt.

»Was ist los?« Dieser Blick machte ihr Angst, und sie dachte: Bitte nicht! Bitte nicht noch eine Komplikation. Das verkrafte ich heute nicht.

Monika Hartmann räusperte sich umständlich. Dann fragte sie: »Warst du schon einmal in Portofino?«

Claire sah ihre Mutter groß an. »In Portofino? Nein, da war ich noch nicht. Warum sollte ich?«

Monika Hartmann hob scheinbar gleichgültig die Schultern. »Ich dachte nur, du kennst Italien doch ziemlich gut. Außerdem lernst du seit Jahren an der Volkshochschule Italienisch.«

Claire ließ sich nicht täuschen. Irgendetwas am Verhalten ihrer Mutter war seltsam. »Was ist los?«, verlangte sie zu wissen. »Seit wann interessierst du dich für meine Sprachkurse?«

»Lass uns erst einmal den Tee aufsetzen«, erwiderte Monika Hartmann ausweichend und ging voraus in die Küche. Claire folgte ihr nachdenklich. Sie war hergefahren, um der unmöglichen Situation in ihrer Wohnung zu entkommen, aber es sah so aus, als sollte sie an diesem Tag keine Ruhe finden. Kurz dachte sie an ihre Mitbewohnerin Karina und deren neuen Freund Uli, der erst vor einer Stunde verbotene Gefühle in ihrem Herzen ausgelöst hatte. Ob sie sich wohl gerade gemeinsam um den Abwasch kümmerten? Oder ob sie die sturmfreie Bude ausnutzten und …

»Kind, was machst du bloß für ein finsteres Gesicht! Ist etwas passiert?«

»Du meinst, abgesehen davon, dass unser Geschäft schließen muss und ich bald nicht mehr weiß, wovon ich meine Miete zahlen soll?«, fragte Claire bitter zurück. »Nein, sonst ist nichts passiert.« Wozu ihre Mutter unnötig aufregen? Und was die Miete betraf: So wie es aussah, würde sie ohnehin nicht mehr mit Karina zusammen wohnen können. Nicht auszudenken, was geschehen konnte, wenn Uli Bremer regelmäßiger Gast im Öderweg wurde.

Monika Hartmann seufzte tief und machte sich dann am Herd zu schaffen. Als der Kessel pfiff, hängte sie ein paar Teebeutel in die Kanne und goss das sprudelnde Wasser drüber. Claire war auf die Eckbank gerutscht und musste daran denken, wie ihr Vater Tee zubereitet hatte. Bei ihm war das eine Zeremonie gewesen. Je nach Tageszeit die richtige Mischung, die aufs Gramm abgewogen in der vorgewärmten Kanne ziehen musste …

»Ich bin nicht Papa«, sagte ihre Mutter, die manchmal die unheimliche Fähigkeit besaß, Claires Gedanken zu lesen. »Aber ich tue mein Bestes.«

»Ich weiß, Mama. Fehlt er dir?«

»Du meinst, genauso sehr wie dir? Hm.« Monika Hartmann stellte die Teekanne auf den Tisch und holte eine Schachtel Kekse aus dem Schrank. »Schätzchen, der gute Wolfgang ist seit mehr als einem Jahr tot. Das Leben aber geht weiter. Mein Leben und besonders auch dein Leben. Das musst du dir endlich einmal klarmachen.«

»Was soll das heißen?« Wut stieg in Claire auf, und sie knirschte mit den Zähnen.

»Das soll heißen, dass es dir nichts hilft, weiter um Papa zu trauern. Er hatte ein gutes Leben und einen guten Tod. Jaja, ich weiß, was du sagen willst. Siebzig ist kein Alter zum Sterben, aber Wolfgang hat immer gewusst, dass er mit seinem schwachen Herzen nicht sehr alt werden würde. Glaub mir, er ist glücklich gegangen.«

»Aber er fehlt mir so sehr«, presste Claire hervor. Tränen rannen ihr übers Gesicht, und sie wischte sie nicht fort.

Ihre Mutter legte ihr einen Arm über die Schultern. »Das verstehe ich. Ihr beide hattet ein ganz besonderes Verhältnis. Aber da ist etwas, worüber ich mit dir reden muss.«

Claire trank einen Schluck Tee, um ihre Fassung wiederzugewinnen. »Worum geht es?«

»Nun, im weitesten Sinne um Portofino.«

»Kannst du mir das etwas besser erklären? Ich hatte einen langen Tag, und mir schwirrt der Kopf.«

Monika Hartmann seufzte tief. »Ich werd’s versuchen. Aber es ist ziemlich kompliziert, und du musst mir versprechen, dass du nicht gleich wütend aus dem Haus läufst.«

»Mama, bitte!«

»Ja, schon gut. Es ist nicht so leicht, einen Anfang zu finden. Also, als du geboren wurdest …«

»Was hat meine Geburt mit einem Ferienort in Ligurien zu tun?«

»Kind, wenn du mich unterbrichst, bekomme ich gar nichts mehr auf die Reihe.«

Claire schwieg und wartete ab, doch nichts an diesem ereignisreichen Tag hatte sie auf die Worte vorbereitet, die sie nun zu hören bekam.

»Also, als du geboren wurdest, habe ich … nun ja … keinen Mann gehabt.«

Ein Scherz. Das konnte nur ein böser Scherz sein! Aber warum lachte die Mutter dann nicht? Warum klopfte sie Claire nicht auf die Schulter und zwinkerte ihr fröhlich zu? Ein Abgrund tat sich auf – schwarz, tief, bedrohlich –, und Claire spürte, wie sie fiel.

»Was … soll das heißen?«

»Du hast mich schon verstanden. Der Mann, den ich damals liebte, hat mich verlassen. Er wollte hinaus in die Welt, etwas Großes vollbringen, und er war wohl der Meinung, dass ich für ihn nur ein Klotz am Bein sein würde.«

»Ich verstehe immer noch nicht …« Doch sie hatte längst verstanden. Die Wahrheit sickerte unbarmherzig in ihr Bewusstsein und hinterließ Kälte.

»Dein Vater … ich meine, Wolfgang, hat mich geheiratet, als du zwei Monate alt warst.«

Mechanisch stand Claire auf und begann, in der Küche hin und her zu gehen.

»Willst du mir damit sagen, dass Papa nicht mein leiblicher Vater war?«

»Ja.« Das kurze Wort, kaum geflüstert, wurde von den Wänden zurückgeworfen und schwoll zu ohrenbetäubender Lautstärke an. Claire hielt sich die Ohren zu, bis sie den besorgten Blick ihrer Mutter bemerkte und die Hände wieder sinken ließ.

»Ich hoffe, du vergisst nicht, dass Wolfgang dich sehr geliebt hat.«

»Nein«, sagte Claire, und Wärme strömte in ihr Herz zurück. Wolfgang Hartmann war ihr der beste Vater gewesen, den ein Kind sich nur wünschen konnte. Diese Erinnerung konnte ihr niemand nehmen.

»Jetzt fragst du dich bestimmt, warum ich dir erst heute die Wahrheit erzähle.«

»Allerdings.«

»Es ist ein Brief gekommen. Für dich. Aus Portofino.« Nach jedem kurzen Satz machte Monika Hartmann eine kleine Pause, und Claire begriff endlich, dass auch der Seelenfrieden ihrer Mutter aus den Fugen geraten war.

»Dein Vater … dein leiblicher Vater möchte dich kennenlernen. Hier.«

Claire hielt endlich in ihrer Wanderung inne und nahm den Briefbogen. World Beauty Enterprises stand oben rechts in der Ecke, und ein paar Zeilen darunter: Richard von Wenningstedt.

»Richard von Wenningstedt«, murmelte sie halblaut. Dann las sie die wenigen Zeilen, in denen sie eingeladen wurde, ihn in Portofino zu besuchen.

»Warum ausgerechnet dort?«, fragte Claire.

Endlich lächelte ihre Mutter wieder. »Mir hat er auch geschrieben. Dort ist sein Feriendomizil. Sieht so aus, als hätte Richard es geschafft und etwas Großes erreicht. Eine internationale Firma, die sich ganz auf den Schönheitsmarkt konzentriert. Boutiquen, Kosmetiksalons und so weiter. Richard hatte schon immer einen Sinn für alles Schöne. Aber er hat nie geheiratet, und nun möchte er seine einzige Tochter kennenlernen.«

»Ein bisschen spät, nicht? Ich bin einunddreißig und kein kleines Mädchen mehr. Wieso sollte ich einen Mann sehen wollen, der meine schwangere Mutter im Stich gelassen hat?«

»Er hat es damals nicht gewusst, Claire«, sagte Monika Hartmann leise. »Ich hatte ihm nichts von der Schwangerschaft erzählt.«

»Aber warum denn nicht?«

»Ist das so schwer zu verstehen? Ich wollte geliebt werden. Der Gedanke, Richard hätte mich nur aus Anstand geheiratet, wäre mir unerträglich gewesen.«

Claire setzte sich wieder neben ihre Mutter, und diesmal legte sie ihr tröstend einen Arm um die Schultern.

»Wann hat er es dann erfahren?«

»Oh, einige Jahre später, von alten Freunden. Seitdem hat er sich bei diesen Freunden regelmäßig nach dir erkundigt. Ich habe auch das erst vor ein paar Tagen gehört.«

»Ach …«

»Nun? Was wirst du tun? Fährst du nach Italien?«

»Ich weiß nicht, Mama. Ich muss darüber nachdenken.«

Ihre Mutter nickte nur, und danach tranken sie schweigend ihren Tee, während jede versuchte, die eigene, zerbrochene Welt neu zusammenzufügen.

Kapitel 3

Es war schon nach Mitternacht, als Claire wieder im Öderweg eintraf. Der Paul-Hindemith-Park lag in tiefer Dunkelheit, und auch aus den Häusern drang nur hier und da ein Lichtschein auf die Straße. Claire hatte gezögert, wieder herzukommen. Doch in ihrem Elternhaus hätte sie in dieser Nacht keine Ruhe gefunden. Und vielleicht, dachte sie jetzt, vielleicht sind Karina und Uli gar nicht da.

Das war ein Irrtum. Sie traf Uli in der Küche, allein.

»Entschuldigung«, sagte er mit einem tiefen Lächeln. »Ich wollte nur etwas Wasser holen.«

»Ich auch«, flüsterte Claire. Warum, verdammt, konnte der Mann sich nicht ordentlich anziehen? Warum musste er mit diesem wundervollen Oberkörper direkt vor ihren Augen herumlaufen?

Sie war inzwischen so müde, dass sie nichts sehnlicher wünschte, als ihren Kopf an diese breite Männerbrust zu lehnen. Gleichzeitig spürte sie ein erregendes Kribbeln in ihrem Nacken und fühlte all ihre Sinne geschärft.

Claire wollte sich an Uli vorbeidrängen, doch zwischen Kühlschrank und Tisch war das schwierig. Sie wollte andersherum gehen und spürte seinen Blick wie kleine Blitze in ihrem Rücken.

Als die Küchentür aufging und Karina erschien, wusste Claire nicht, ob sie enttäuscht oder erleichtert sein sollte.

»Ach, da bist du. Ich dachte schon … oh! Hallo Claire.« Karinas Augen schauten misstrauisch von einem zum anderen. Uli lächelte entspannt, Claire war wie versteinert. Nichts war passiert, und doch spürte sie den Verdacht ihrer Freundin wie eine Zentnerlast auf den Schultern. Plötzlich streckte Uli die Hand aus, doch nicht nach ihr. Sanft ergriff er Karinas Arm, während Claire einsam danebenstand.

»Lass uns wieder zu Bett gehen«, sagte er und schob seine Freundin aus der Küche.

Als sie fort waren, begriff Claire, was sie zu tun hatte: Sie musste diese Wohnung verlassen, gleich morgen früh.

***

»Was machst du denn da?«, fragte Karina verschlafen.

»Ich packe.«

»Das sehe ich. Aber warum? Etwa wegen gestern Nacht? Wo willst du überhaupt hin? Zu deiner Mutter?«

Claire wandte sich um, sah die Freundin im Türrahmen stehen und zwang sich, ruhig und beherrscht zu bleiben. Sie hatte kaum geschlafen und schon früh mit dem Packen begonnen.

»Nicht wegen gestern Nacht«, sagte sie. »Jedenfalls nicht nur. Es ist etwas passiert, das ich dir jetzt nicht erklären kann. Aber ich ruf dich an, okay?«

»Nein!« °Karina stampfte mit dem Fuß auf. »Das ist nicht okay. Ich will sofort wissen, was los ist. Und wieso habe ich diese verdammte Ahnung, dass du nicht zurückkommst?«

Claire wollte widersprechen, doch ihr fehlten die richtigen Worte. Und plötzlich spürte sie: Karina hatte recht, sie würde nicht wiederkommen. Es war kein Wissen, nur ein Gefühl, klar wie das Mittelmeer in den frühen Morgenstunden, bevor die Hitze ihren Dunstschleier darüberlegte. Und in dieses Gefühl mischte sich eine unbestimmte Sehnsucht, die Claire nicht verstand. Sie wusste nur, sie würde dem Ruf dieser Sehnsucht folgen. Zu Karina sagte sie: »Ich fahre nach Italien. Es geht um eine ziemlich komplizierte Familienangelegenheit.«

»Schwöre mir, dass es nichts mit mir zu tun hat!«

»Ganz bestimmt nicht.«

»Und euer Bettengeschäft?«

»Meine Mutter kann sich um den Räumungsverkauf kümmern. Es sind ja höchstens noch zwei Tage.«

»Claire …«

»Karina.«

Auf einmal lagen sich die beiden Freundinnen in den Armen und schluchzten haltlos.

»Himmel, was ist denn hier los?« Ein verblüffter Uli kam aus dem Bad und starrte sie an.

»Das verstehst du nicht«, sagte Karina zwischen zwei Schluchzern. »Ist Frauensache.«

Daraufhin schlug das Weinen in Gelächter um, und als Claire eine Stunde später das Haus verließ, war sie froh über den harmonischen Abschied. Wehmütig schaute sie noch einmal an der Jugendstilfassade hoch. Oben standen Karina und Uli auf dem winzigen Balkon und winkten ihr zu. Claire hob kurz die Hand, und wieder durchzuckte sie die Erkenntnis: Dies ist ein Abschied für immer.

Sie würde nach Portofino fahren und ihrem leiblichen Vater begegnen. Wie schon oft in den letzten zwölf Stunden fragte sie sich, was Richard von Wenningstedt von ihr wollte. Doch was immer es war, ihren Vater Wolfgang würde Claire niemals vergessen, und ihre ganze Liebe gehörte ihm. Der reiche Richard von Wenningstedt würde sich nicht so einfach eine Tochter kaufen können!

Claire seufzte tief, wandte sich dann ab und ging zu ihrem alten VW-Käfer am Straßenrand. Ich werde ja erleben, was er von mir will, dachte sie. Falls ich es überhaupt schaffe, mit dieser Rostlaube bis nach Ligurien zu kommen. Als sie sich in den noch spärlichen Verkehr einordnete, spürte sie wieder dieses Ziehen im Herzen. Claire war bereit, sich ihrem Schicksal zu stellen.

Kapitel 4

Claire drehte sich langsam um die eigene Achse und hielt unbewusst den Atem an. Wie schön es hier war! Die alten Fischerhäuser, liebevoll restauriert und altrosa oder blassgelb gestrichen; den Berghang hinauf die tiefgrüne Vegetation aus Steineichen, Pinien und Olivenbäumen. Dann das Mittelmeer, jetzt im Abendlicht von sanfter Farbe, mit hellen Tupfern aus Fischerbooten und Segelyachten. Claire stand mitten auf der Piazzetta von Portofino, vergaß das Touristengetümmel um sie herum, versank in einer anderen Welt und erinnerte sich an die Worte, die Guy de Maupassant 1889 über diesen Ort geschrieben hatte: »Man entdeckt ganz plötzlich eine versteckte Bucht … Einen kleinen Ort. Portofino, es schlingt sich wie eine Mondsichel um dieses ruhige Becken, umgeben von einem Wald von starkem, frischen Grün …«

Sie atmete aus, füllte ihre Lungen dann wieder mit der salzigen Meeresluft, in die sich der unverwechselbare Duft nach in Olivenöl angebratenem Knoblauch mischte. Ihr Magen knurrte laut und vernehmlich, was Claire schlagartig in die Gegenwart zurückbrachte. Hier auf der Piazzetta am Hafen reihten sich Nobelrestaurants und Edelboutiquen dicht aneinander, aber bestimmt würde sie in einer der vielen kleinen Gassen eine Trattoria finden, ein einfaches Lokal mit Preisen, die nicht ihr gesamtes Budget an einem einzigen Abend erschöpfen würden. Ein Teller Spaghetti al pesto, danach vielleicht etwas gegrillter Fisch, dazu ein leichter Weißwein … Claire lief los, ohne nach rechts oder links zu schauen. Auf die restaurierten Fassaden der alten Fischerhäuser zu, am Kirchturm vorbei, ein kleines Stück bergauf. Alle Müdigkeit fiel von ihr ab, alle Probleme lösten sich in der spätsommerlichen Luft auf.

Schon auf der Herfahrt hatte sie mit jedem Kilometer gespürt, wie richtig ihre Entscheidung gewesen war. Je mehr sie sich Süddeutschland näherte, desto weniger dachte sie an ihre Freundin Karina und an Uli, den Mann, der niemals zu ihr gehören würde.

In der Schweiz ließ sie alle Sorgen um ihre ungewisse berufliche Zukunft hinter sich. Und als sie den Gotthard-Tunnel passiert hatte und in die sonnige Welt des Tessins eintauchte, da spürte Claire zum ersten Mal wieder so etwas wie Lebensfreude. Sie verdrängte alle Gedanken an den Grund ihrer Reise, an ihren so plötzlich aufgetauchten leiblichen Vater, und genoss die Fahrt in Richtung Süden. Am liebsten wäre sie ohne Pause durchgefahren, doch nun machte sich die vergangene Nacht bemerkbar, in der sie kaum Schlaf gefunden hatte.

So verließ Claire die Autobahn in Bellinzona und folgte der Landstraße in Richtung Locarno bis zum Campingplatz Campofelice am nördlichen Zipfel des Lago Maggiore. Als kleines Mädchen hatte sie hier die Ferien mit ihren Eltern verbracht, und als sie nun ihr kleines Zelt dicht am Zufluss des Ticino aufbaute, strömten die Erinnerungen an glückliche Tage wie eine warme, sanfte Welle auf sie ein. Die ersten Schwimmversuche, immer mit dem Vater an ihrer Seite. Die Ausflüge nach Locarno, wo zwei hungrige Schwäne auf der Uferpromenade das kleine Mädchen verfolgten, bis Papa sie hochnahm in die Sicherheit seiner Arme. Die Bootsfahrt über den See, als plötzlich ein Gewitter aufkam und der Vater als Einziger die Ruhe bewahrte. Und wieder dachte Claire: Dieser Richard von Wenningstedt mag zehn Mal mein Erzeuger sein, aber mein wirklicher Vater ist Wolfgang Hartmann gewesen. Daran würde sich nie etwas ändern. Er hatte sie beschützt und sie geliebt, und sie liebte ihn immer noch, auch ein Jahr nach seinem Tod.

Um sich abzulenken, lief sie nach vorn, zu dem großen Zelt am Eingang, wo für alle Gäste gekocht wurde und wo Claire sich verlieren konnte inmitten von italienischen, deutschen und holländischen Sprachfetzen.

Früh an diesem Abend rollte sie sich in ihren Schlafsack ein, schlief tief und traumlos und erwachte am nächsten Morgen voller Tatendrang. Ihr alter Käfer brachte sie in weniger als sieben Stunden bis nach Portofino, dafür kurvte sie fast eine Stunde lang herum, um einen kostenfreien Parkplatz zu finden. Irgendwann gab sie es auf und stellte ihr Auto im wohl teuersten Parkhaus Italiens ab.

Wieder knurrte ihr Magen, und Claire beschleunigte ihren Schritt. Aus den Augenwinkeln sah sie weit hinten in einer schmalen Gasse das Hinweisschild für eine Trattoria. Sie schwenkte nach rechts und landete in den Armen eines Mannes. Sekundenlang schienen ihre Sinne geschärft zu sein. Sie nahm den Duft eines teuren Rasierwassers wahr, spürte harte Bauchmuskeln an ihrem Körper, fühlte, wie ein Dreitagebart an ihrer Wange kratzte. Als Claire aufsah, blickte sie in das Antlitz einer römischen Gottheit. Schwarzes Haar, lockig, aber sehr kurz geschnitten, an den Schläfen schon mit einem Hauch von Grau, ein rundes Gesicht, das ohne die vorspringende Nase weich gewirkt hätte, Augen so schwarz wie eine mondlose Nacht.

»Scusi«, murmelte Claire. Entschuldigen Sie. Beinahe gegen ihren Willen löste sie sich von dem Mann und fragte sich insgeheim, welchem römischen Gott er ähnlich sein mochte. Eine Antwort erhielt sie umgehend.

»Maledizione!«, rief er aus. Verdammt! Aus seinen dunklen Augen sprühten zornige Blitze, und der ganze Mann sah aus, als würde er gleich vor Wut explodieren.

Vulkan!, schoss es Claire durch den Kopf. Das ist der Feuergott Vulkan, ganz klar. Hin- und hergerissen zwischen Faszination und Ärger, wartete sie auf die Eruption. Doch die blieb aus. Der Fremde durchbohrte sie lediglich ein zweites Mal mit brennenden Blitzen, wandte sich um und ging weiter. Dabei stieß er eine Reihe von Worten aus, die Claire nicht verstand. Italienische Flüche hatte sie in ihren Sprachkursen an der Volkshochschule nicht gelernt.

Lange blieb sie noch auf dem sonnenwarmen Pflaster stehen und schaute dem Feuergott hinterher, selbst, als er nicht mehr zu sehen war. Sie fragte sich, ob sie in letzter Zeit irgendein Zaubermittel zu sich genommen hatte. Immerhin war dies schon der zweite Mann innerhalb weniger Tage, der bei ihr ungeahnte Gefühle auslöste. Vielleicht einen Liebestrank? Oder ein besonders anregendes Dutzend Austern? Claire erinnerte sich an nichts dergleichen. Gestern Abend auf dem Campofelice gab es Lasagne und Fleischspieße. Erneut knurrte ihr Magen und brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Fünf Minuten später saß sie an einem Ecktisch und ließ sich von der Wirtin ein Fünf-Gänge-Menü aufschwatzen, das sie nicht einmal bis zur Hälfte schaffen würde.

***

Mario Maceri brannte noch immer vor Zorn, als er die Piazzetta erreichte. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, doch nach wie vor stolperte man in Portofino an jeder Straßenecke über die Touristen. Besonders die jungen und hübschen Touristinnen konnten ihn zur Weißglut bringen. Sie kamen hierher aus Oslo oder Hamburg, aus Stockholm oder Amsterdam, weil sie glaubten, nirgendwo wäre es einfacher, sich einen reichen Mann zu angeln. Sie tummelten sich am Hafen und auf den Yachten, gingen abends in die angesagten Clubs, und wenn sonst nichts half, rempelten sie einen Mann auch schon mal an. Zugegeben, diese Touristin eben war ausnehmend hübsch gewesen. Eine klare nordische Schönheit mit Augen so hell wie der hohe Mittagshimmel. Für einen Moment vergaß Mario seinen Zorn. Sie wirkte so kühl, so unnahbar, und doch war in den wenigen Sekunden ihrer unfreiwilligen Umarmung eine sanfte Wärme von ihr ausgegangen, eine leise Zärtlichkeit, die ihn mitten ins Herz traf.

Mario verzögerte seinen Schritt. Verdammt!, dachte er. Kein Wunder, dass ich so wütend bin. Auf genau dieselbe Art hatte ihn letztes Jahr Inga um den Finger gewickelt. Bildschön auch sie, und es dauerte Monate, bis Mario endlich aus seinem Liebestraum aufwachte. Da hatten ihn die Freunde eines Abends mit in eine Bar genommen und ihm gründlich den Kopf gewaschen. Anfangs hatte er seine hübsche Freundin noch verteidigt – er, der erfolgreiche Anwalt aus Mailand, besaß schließlich einen klaren Verstand. Doch die Freunde legten Fakten auf den Tisch, die er schließlich anerkennen musste. Sie hatten erfahren, dass Inga sich bereits gründlich nach Marios Vermögensverhältnissen erkundigt hatte, und zwar mit Hilfe eines Privatdetektivs.

Er hatte mit seinen Freunden Grappa getrunken an jenem Abend. Sehr viel Grappa. Am nächsten Morgen hatte er Inga heim nach Stockholm geschickt. Ein Blick von ihm genügte, damit sie ohne Protest abreiste.

Nein, es war keine Welt für ihn zusammengebrochen. Immerhin war er ein Mann Ende dreißig mit einer gewissen Lebenserfahrung und ohne die romantischen Illusionen eines Siebzehnjährigen. Doch in seinem Herzen hatte sich ein kleiner, harter Knoten gebildet und war seitdem dort geblieben. Fest, undurchlässig.

Seitdem war ein Jahr vergangen, doch noch immer beschäftigten ihn dieselben Fragen: Warum hatte Inga dieses falsche Spiel gespielt? Warum musste sie sichergehen, dass er reich genug war, ihr ein sorgloses Auskommen zu sichern? Was war so schwer daran, ihn einfach nur zu lieben? Gut, er sah vielleicht nicht so blendend aus wie einige berühmte Gäste Portofinos, und sein Haus am Hang konnte mit den Villen der Superreichen nicht konkurrieren. Aber er war ein anständiger Mann mit einem guten Beruf. Was manchen Frauen offenbar nicht genug war. Nun, so leicht würde ihn keine mehr einfangen.

»Ehy Mario, was machst du denn für ein Gesicht?«

Giorgio, Nachkomme einer alteingesessenen Fischersfamilie und sein bester Freund in Portofino, stellte sich ihm in den Weg und knuffte ihn freundschaftlich. »Hast du es immer noch nicht geschafft, die Hütte von deinem Nachbarn abzubrennen?«

Marios Miene verfinsterte sich um einige weitere Nuancen. Genau dieses Thema hatte ihm gerade noch gefehlt.

»Lass uns von etwas anderem reden.«

»Okay. Das Boot ist startklar. Es fehlen nur noch die anderen beiden Passagiere.«

»Was?«

»Mann, schon vergessen? Die beiden scharfen Französinnen von gestern Abend können’s gar nicht abwarten, in unseren starken, männlichen Armen den Sonnenuntergang auf dem Meer zu erleben.«

»Ach ja.« Der Abend auf der Terrasse des Hotels Splendido, das gute Essen, der Vollmond, Giorgio und er selbst in gelöster Stimmung, die hübschen jungen Frauen am Nebentisch …

»Sei mir nicht böse«, sagte er düster zu seinem Freund. »Aber mir ist die Lust an dem Ausflug vergangen.«

»Bist du wahnsinnig? Du kannst mich doch nicht allein … He, Giovanni, warte mal! Hast du heute Abend schon was vor?«

Der Angesprochene hob die Schultern, und Mario beobachtete amüsiert, wie Giorgio in weniger als eine Minute Ersatz für ihn auftrieb. Schon zogen die beiden ab zum Liegeplatz von Giorgios Boot, und Mario drehte sich unschlüssig um die eigene Achse. Schließlich machte er sich zurück auf den Weg, den er gekommen war. Ihm war für heute die Lust auf Gesellschaft vergangen.

Kapitel 5

»Buongiorno, Signorina, haben Sie gut geschlafen?« Graziella Biondi schenkte Claire ein strahlendes Lächeln. »Heute ist ein wunderschöner Tag. Hier ist ein heißer Cappuccino für Sie. Den Kuchen habe ich selbst gebacken. Greifen Sie nur ordentlich zu.«

Noch leicht orientierungslos ließ sich Claire auf einen Barhocker sinken. Sie erinnerte sich daran, wie sie gestern in die Trattoria da Graziella eingekehrt war und Unmengen an Pasta und Fisch zu sich genommen hatte. Der weiße Vermentino dazu hatte köstlich geschmeckt, und irgendwann später hatte sie ausführlich mit Graziella und ihrem Mann Carmine darüber diskutiert, ob sie in der Gasse vor dem Haus ihr Zelt aufbauen konnte. Offenbar hatten die Wirtsleute den Disput für sich entschieden, denn Claire war vor einer Viertelstunde in einem der drei Gastzimmer über dem Lokal aufgewacht. Voller Sorge dachte sie jetzt an ihre knappe Reisekasse und fragte Graziella nach dem Übernachtungspreis.

»Oh, da machen Sie sich nur keine Sorgen. Die Tochter des Signor von Wenningstedt ist selbstverständlich unser Gast.«

Zuerst glaubte Claire, sich verhört zu haben, denn Graziella sprach den Namen etwas anders aus. »Uännikschätt«.

Dann erstarrte sie. Offenbar hatte der ligurische Weißwein ihre Zunge gelöst.

»Ich glaube kaum«, sagte sie so fest, wie es ihr möglich war, »dass mein … mein Vater sich für meine Zimmerrechnungen interessiert.«

Im selben Moment sah sie, wie sich eine Gestalt aus einer schattigen Ecke der Gaststube löste und auf sie zukam. Endlich erkannte Claire, woher sie ihr nordisches Aussehen hatte.

»Hallo Claire, schön, dich zu sehen.« Richard von Wenningstedt machte ein paar Schritte auf sie zu, blieb dann stehen und musterte sie. Er war sehr groß und schlank, sein volles Haar mochte früher blond gewesen sein, jetzt war es schlohweiß. Seine Augen waren ebenso hell wie ihre, und die geraden Linien seines Gesichts ließen keinen Zweifel daran, wessen leibliche Tochter sie war.

Plötzlich fühlte sie sich schwach. Eine Welle von Traurigkeit rollte über sie hinweg und ließ sie erzittern. Papa!, schrie es in ihr. Papa, wo bist du, ich brauche dich! Und sie meinte damit den Mann, der sie großgezogen hatte, der tot war und nur in ihrem Herzen weiterleben konnte.

Der große, weißhaarige Mann redete weiter, und sie hörte ihn wie durch eine Watteschicht. »Wegen der Zimmerrechnung mach dir mal keine Sorgen. Das erledige ich selbstverständlich. Du kommst jetzt mit zu mir. Ich habe in der Villa Mori eine Suite für dich herrichten lassen. Schließlich soll meine Tochter standesgemäß residieren. Gehen wir?«

Sie starrte ihn an, klappte den Mund auf und wieder zu, bekam keinen Ton heraus. Wie kam dieser Mann, dieser Fremde, dazu, sie zu begrüßen, als ob sie sich gestern zuletzt gesehen hätten? Wie konnte er es wagen, einfach so über sie zu bestimmen?

Neben ihr schaute Graziella Biondi neugierig von einem zum anderen. Sie witterte herrliche Neuigkeiten für den Dorfklatsch. Zu schade, dass sie kein Deutsch verstand.

»Was …«, begann Claire, als sie ihre Sprache wiederfand. Sie zögerte, doch plötzlich herrschte wunderbare, frische Klarheit in ihrem Kopf. »Was erlauben Sie sich? Was gibt Ihnen das Recht, mich herumzukommandieren?« In ihre Augen trat ein metallisches Funkeln, und sie ahnte nicht, wie ähnlich sie in diesem Moment dem großen Richard von Wenningstedt sah.

»Na, hör mal, Kleine, du bist schließlich auf meine Einladung hin hier.«

»Ich bin nicht Ihre Kleine! Mein Name ist Claire Hartmann!«

»Schon gut.« Er hob friedfertig die Hände, doch sie entdeckte das belustigte Blinzeln in seinen Augenwinkeln. Ihr Zorn wuchs.

»Wenn Sie mich nur hierherbestellt haben, um über mich zu lachen, kann ich ja gleich wieder abreisen. Signora Graziella, die Rechnung, bitte.« Beim letzten Satz war sie ins Italienische übergegangen.

Die Wirtin zuckte zusammen, rührte sich aber nicht vom Fleck. Claire verstand. Offenbar war dieser arrogante Mann so etwas wie der ungekrönte König von Portofino.

»Was hältst du davon«, sagte Richard von Wenningstedt nach einer Weile des Schweigens, »wenn wir noch einmal von vorn anfangen? Ich versuch’s mal, ja?« Er räusperte sich, machte jedoch nach einem Blick in ihre noch immer funkelnden Augen keinen weiteren Schritt auf sie zu. »Hallo Claire. Ich freue mich sehr, dich endlich kennenzulernen.«

Ein bisschen spät, wollte sie erwidern. Das Vergnügen hätten Sie schon bei meiner Geburt vor einunddreißig Jahren haben können. Aber sie biss sich auf die Zunge. Vielleicht hatte er recht. Vielleicht mussten sie einander eine Chance geben und sich erst später ein Urteil bilden.

»Guten Tag«, sagte sie steif und übersah mit voller Absicht die ausgestreckte Hand. Er sollte bloß nicht glauben, dass sie es ihm so leichtmachen würde.

Richard von Wenningstedt tat, als bemerke er es nicht. »Darf ich dich in mein Haus einladen? Der Fahrer kann schnell deine Sachen aus dem Zimmer holen.«

Da! Er versuchte es schon wieder! Kaum hatte sie sein Friedensangebot akzeptiert, ging es erneut mit dem Kommandieren los.

Claire straffte die Schultern. »Nicht nötig, danke. Mein Gepäck bleibt vorerst hier.« Kurz wandte sie sich an die Wirtin: »Sind Sie ab heute ausgebucht, oder kann ich das Zimmer noch behalten?«

Graziella Biondi zerknüllte verlegen ihre Schürze mit den rauhen, abgearbeiteten Händen. Endlich siegte ihr Geschäftssinn über ihre Ergebenheit gegenüber dem mächtigen Besucher. »Kein Problem, Signorina, kein Problem. Jetzt im September ist nicht mehr so viel los. Ich kann das Zimmer für Sie frei halten.«

»Grazie.« Claires Blick kehrte zu Richard von Wenningstedt zurück. »Wenn Sie gestatten, würde ich jetzt gern noch frühstücken.«

Es war eine Machtprobe, und einen Augenblick lang schien der Ausgang ungewiss. Doch dann zuckte der große Mann mit den Achseln und sagte: »Nur unter der Bedingung, dass ich dir Gesellschaft leisten kann. Graziellas crostata ist in ganz Portofino berühmt. Das kann ich mir nicht entgehen lassen.«

Fünf Minuten später saßen sie einander über dampfendem Cappuccino und großen Stücken Kuchen mit Brombeermarmelade gegenüber. Vater und Tochter – äußerlich ähnlich, doch in ihrem Innern einander so fremd, wie es zwei Menschen nur sein konnten, die sich zum ersten Mal begegneten.

***

Die Villa Mori lag knapp oberhalb des Ortes und bot einen geradezu atemberaubenden Ausblick aufs Mittelmeer. Für einen Moment vergaß Claire ihre Zurückhaltung, sprang aus dem Wagen und staunte. »Wow!«, rief sie. »Das ist ja ein Traum!«

»Freut mich, dass es dir gefällt«, sagte Richard von Wenningstedt.

Sofort verwandelte sich ihre Begeisterung zurück in dieses Gefühl der Beklemmung, das sie während der zwanzigminütigen Fahrt hierher empfunden hatte. Ihr Gastgeber hatte scheinbar entspannt über Portofino geplaudert. Er beschrieb ihr, wie dieses einstige Fischerdorf nach dem Zweiten Weltkrieg immer fester in die Hände des internationalen Jetsets und Geldadels geriet. Und doch habe sich der Ort seinen ursprünglichen Charme bewahrt, wie sie ja selbst bestimmt schon feststellen konnte. Claire hörte nur mit halbem Ohr zu, denn in ihrem Kopf überschlugen sich die Fragen: Was wollte dieser Mann von ihr? Wieso hatte er sich erst jetzt, nach all den Jahren, an seine Tochter erinnert? Welches Spiel spielte er? Claire wusste keine Antworten darauf, aber seit sie ihn vorhin in der Trattoria zum ersten Mal gesehen hatte, war ihr eines klar: Sie würde auf der Hut sein müssen. Dieser Mann war stark, machtbewusst und zielorientiert. Sie selbst war derzeit schwach und ziellos wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Wenn sie nicht aufpasste, würde er sie wie eine Dampfwalze überrollen.

»Was geht in deinem hübschen Kopf vor?«

»Nichts.« Sie löste ihren Blick von dem türkis schimmernden Ozean und sah sich das Haus an. Wenn sie eine pompöse, kitschige Villa erwartet hatte, wie sie einem Neureichen zustand, so wurde sie enttäuscht. Die Villa Mori war ganz mit Natursteinen verkleidet und passte sich wunderbar in die ursprüngliche Umgebung ein.

»Nein«, sagte Richard von Wenningstedt auf Claires unausgesprochene Frage hin. »Das ist kein renoviertes Bauernhaus, auch wenn es auf den ersten Eindruck so wirkt. Hier oben gab es früher gar nichts. Für Landwirtschaft war der Berghang viel zu steil. Aber ich wollte keinen Fremdkörper mitten in die Natur hinsetzen.«

Ohne dass sie es wollte, stieg er darin in ihrer Achtung. Als sie die Villa betraten, sah Claire sofort, dass sie viel größer war, als sie von außen wirkte. Weiträumig, über drei Etagen, mit hohen Fenstern, in die das Licht ungehindert fließen konnte. Die Böden waren mit Carrara-Marmor verlegt, beim Mobiliar vermischte sich modernes italienisches Design mit exquisiten antiken Stücken. An den schlicht weiß verputzten Wänden hingen Gemälde, deren Wert Claire nicht einmal annähernd zu schätzen vermochte.

»Diese beiden Räume habe ich für dich herrichten lassen«, sagte ihr Gastgeber und öffnete eine Tür. Ein kleiner gemütlicher Salon, daran angrenzend ein Schlafzimmer. Beide Fenster gingen nach vorn hinaus, und Claire stellte sich vor, wie sie hier den Sonnenuntergang beobachten würde …

»Das ist sehr freundlich«, erwiderte sie steif. »Aber ich halte es für besser, wenn ich vorläufig bei Graziella wohne.«

»Wie du meinst.« Aus seiner Stimme klang Verärgerung. »Vielleicht gewährst du mir wenigstens die Ehre, den Tag hier zu verbringen. Du kannst den Pool hinter dem Haus benutzen oder mit mir in mein privates Büro kommen. Dann gebe ich dir einen Überblick über WBE.«

»Wie bitte?«

»World Beauty Enterprises. Das ist meine Firma.«

»Ich weiß.« Richard von Wenningstedt besaß eine ganze Reihe von Boutiquen und Kosmetiksalons, über halb Europa verstreut. Claire zögerte. Sie war neugierig, mehr über seine Firma zu erfahren, doch der Gedanke, ihm auch in den nächsten Stunden so nah zu sein, schreckte sie ab. Sie brauchte Zeit und Ruhe, um ihre Eindrücke zu verarbeiten.

»Ich glaube, ich wähle den Pool«, sagte sie deshalb. »Ich bin noch ziemlich müde von der langen Fahrt.«

»Gewiss.«

Richard von Wenningstedt sah seiner Tochter nach, als sie sich vom Butler in den Garten begleiten ließ. Ich hab’s ja befürchtet, dachte er missmutig. Sie ist bloß ein verwöhntes Stadtmädchen. Wird sich hier auf die faule Haut legen und womöglich versuchen, mir das Geld aus der Tasche zu ziehen. Eine innere Stimme sagte ihm, dass er Claire unrecht tat, aber er hörte nicht hin.

Das Mittagessen nahmen sie gemeinsam auf der Terrasse ein. Es gab Reissalat mit Meeresfrüchten, anschließend Langusten, knuspriges Weißbrot und überbackene Auberginen. Beide aßen schweigend, aus Angst, einen neuen Streit vom Zaun zu brechen.

Endlich aber sagte Richard: »Ich habe gehört, es läuft für dich beruflich nicht mehr so gut in Frankfurt?«

Claire spürte, wie sich feine Härchen in ihrem Nacken aufstellten. »Ach ja? Von wem denn?«

»Alten Freunden«, kam es unbestimmt zurück.

»Die sich aus reiner Freundschaft für dich als Spione betätigen.«

»Claire, bitte! Das ist kindisch.«

Sie musste sich zwingen, nicht aufzuspringen und ihm sein feines Essen ins Gesicht zu schütten.

»Kindisch? Du findest es kindisch, wenn ich mich dagegen wehre, bespitzelt zu werden?«

»Das stimmt doch so gar nicht!« Seine Stimme war wie ein Donnergrollen, in seinen Augen stand dasselbe metallische Glitzern, das Claire manchmal im Spiegel entdeckte. »Seit ich von deiner Existenz weiß, habe ich mich regelmäßig nach dir erkundigt.«

»Vielleicht wäre es besser gewesen, mal persönlich vorbeizuschauen.«

»Wozu? Um eine glückliche Familie zu zerstören?«

Claire war um eine Antwort verlegen, beinahe tat er ihr leid. Doch seine nächsten Worte ließen den Zorn in ihr groß und übermächtig werden. »Um noch einmal auf dein Berufsleben zurückzukommen. Dein … ähm … Stiefvater war möglicherweise kein sehr guter Geschäftsmann und …«

»Du wagst es!«, schrie Claire und sprang nun doch auf. »Du wagst es, meinen Vater zu beleidigen! Den besten Menschen, den es auf dieser Welt je gegeben hat!« Tränen sammelten sich in ihren Augen, aber sie wischte sie zornig weg. »Er hat das Bettengeschäft seiner Familie ganz hervorragend weitergeführt. Ohne die Wirtschaftskrise in Deutschland würden wir immer noch schwarze Zahlen schreiben. Aber seit Papa tot ist, ging eben gar nichts mehr. Er war die Seele des Geschäftes, verstehst du?«

Nun flossen die Tränen doch über ihr Gesicht, und Claire flüchtete. Nur fort von diesem kaltherzigen, arroganten Mann, nur fort von diesem Ort, an den sie nicht gehörte. Sie achtete nicht auf seine Rufe, lief über die Terrasse ins Haus, fand den Vordereingang und stolperte Minuten später die Zufahrt hinab ins Dorf.

***

Mario Maceri trat mit voller Kraft auf die Bremse. Dann sah er, wie vor ihm etwas ins Gebüsch flitzte. Etwas Rotes, das nicht wie ein Tier aussah. Er stieg aus.

»Sind Sie verrückt?«

Keine Antwort.

»Kommen Sie sofort da heraus und erklären mir, warum Sie blindlings über die Straße laufen.«

Keine Reaktion.

»Ich warne Sie!«

Vollkommene Stille.

»Also gut, wenn Sie nicht herauswollen, dann komme ich jetzt hinein.«

Er machte sich daran, die ersten Zweige des wilden Brombeerstrauches auseinanderzubiegen, als endlich Bewegung in das rote Wesen kam. »Autsch! Verdammt!«, rief es auf Deutsch, dann, wieder auf der Straße: »Sie schon wieder!«

»Das sollte ich wohl sagen«, erwiderte Mario und sah auf die junge Frau hinunter, deren Pareo an diversen Stellen aufgerissen war. Darunter trug sie … nun, es schien ihm ratsam, nicht so genau hinzuschauen. Es reichte ihm, wie schnell sein dummes Herz jetzt schon schlug. Herzen lernten offenbar nichts dazu im Leben.

»Wieso machen Sie hier als Derwisch die Straßen unsicher?«

Die junge Frau sah ihn an und brach in Gelächter aus, während ihr gleichzeitig die Tränen aus den Augen flossen. Entsetzt sah Mario sie an und fühlte ganz deutlich, dass er verloren war.

Was für eine peinliche Situation! Claire versuchte, so gut es eben ging, die Fetzen ihres Pareos um sich herum zu drapieren. Warum musste sie auch ausgerechnet in einen Brombeerstrauch flüchten! Warum musste sie überhaupt flüchten! Sofort fiel ihr die Szene mit Richard von Wenningstedt wieder ein. Er hatte nicht nur sie, sondern auch ihren über alles geliebten Stiefvater beleidigt. Stiefvater. Wie das schon klang! Claire dachte an den wichtigsten Menschen in ihrem Leben und spürte wieder die Trauer um ihn als scharfen, stechenden Schmerz.

»Jetzt weinen Sie doch nicht«, sagte der Mann vor ihr. Claire hatte noch nicht den Blick gehoben, um ihm ins Gesicht zu sehen, aber seine Haltung wirkte so hilflos, dass sie beinahe lachen musste.

»Tue ich gar nicht!«, rief sie aus und wischte sich gleichzeitig die Tränen ab.

Claire hatte gehört, wie die Bremsen quietschten, als sie kopflos über die Straße gelaufen war. Vor Schreck war sie dann im Brombeerstrauch gelandet. Mit nicht nur schmerzhaften, sondern für ihre spärliche Kleidung auch bedenklichen Folgen.

»Kommen Sie, ich fahre Sie in Ihr Hotel. Oder möchten Sie zu einem Arzt?«

Der Mann wies auf die blutigen Kratzer auf ihren Armen, aber Claire schüttelte den Kopf. »Ist nicht der Rede wert. Außerdem kann ich zu Fuß in den Ort gehen.«

»Kommt nicht in Frage. Am Ende sorgen Sie noch für einen Verkehrsunfall, oder für einen Skandal, falls sich Ihr Tuch weiter in seine Bestandteile auflöst.« Er lachte dazu ein tiefes, rauhes Lachen, und erst jetzt sah Claire den Mann genauer an.

»Oh nein!«, rief sie aus. »Vulkan!«

»Wie bitte?« Sein Blick wirkte jetzt verwirrt, und seine Stimme klang vorübergehend nicht mehr spöttisch.

»Ähm … nichts. Also gut, Sie können mich zur Trattoria da Graziella fahren«, sagte sie schnell und stieg in seinen silbergrauen Alfa Romeo ein, bevor er noch mehr fragen konnte. Ausgerechnet dem römischen Feuergott musste sie vors Auto laufen! Gestern erst war sie mit ihm in einer Gasse zusammengestoßen, und nun das! Langsam kam Claire der Verdacht, dass ein unsichtbarer Puppenspieler sich seit einer Woche einen Spaß daraus machte, ihr Gefühlsleben kräftig durcheinanderzuschütteln.

Sie starrte fest geradeaus, als der Mann jetzt einstieg und den Motor wieder anließ. Er schwieg und fuhr langsam an. Claire riskierte einen Seitenblick. Verflixt! Er sah sogar noch besser aus als gestern. Die vorspringende Nase gab seinem Gesicht etwas Verwegenes …

»Nun? Habe ich die Prüfung bestanden?«

Claire lief rot an und schaute wieder nach vorn, wo jetzt die Dächer von Portofino in Sicht kamen. Etwas an seinem Ton gefiel ihr nicht. Er klang nicht nur spöttisch, sondern geradezu bissig. Ganz so, als hätte er einige böse Erfahrungen mit Frauen gemacht.

Unsinn!, schalt Claire sich im Stillen. Ich bilde mir da nur etwas ein.

Beide schwiegen, als sie jetzt den Ort erreichten. Erst, als er den Wagen anhielt, sagte der Feuergott: »Weiter darf ich mit dem Auto nicht fahren. Schaffen Sie es von hier aus allein, oder soll ich Sie begleiten?«

»Bloß nicht«, murmelte Claire.

»Ich wollte nur höflich sein.«

Erneut innerhalb weniger Minuten wurde sie rot. »Ich weiß. Bitte entschuldigen Sie. Ich bin heute etwas durcheinander. Mein Name ist Claire Hartmann. Vielen Dank fürs Mitnehmen.«

Sie reichte ihm die Hand, und er zögerte nur kurz, bevor er sie ergriff. »Mario Maceri.«

Sein Händedruck war fest und sanft zugleich. Claire ertappte sich bei dem Wunsch, für immer so bei ihm zu sitzen, mit ihrer Hand in seiner. Mochte ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt sein, mochte die Welt da draußen in diesem Moment untergehen – diese wenigen Sekunden gehörten ihr und erfüllten sie mit Glück.