Zwang, Zwänge, Zwängler... - Dennis Riehle - E-Book

Zwang, Zwänge, Zwängler... E-Book

Dennis Riehle

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Beschreibung

Sie gelten als eine überaus komplexe und schwer zu behandelnde psychiatrische Erkrankung: Zwangsstörungen zeigen sich als Zwangsgedanken und Zwangshandlungen - und stellen dabei eine monotone Wiederholung von Verhaltensweisen und Denkmustern dar, die den Betroffenen inhaltlich wie zeitlich vollends überfordern können. Der Autor des vorliegenden Werkes ist seit über 20 Jahren an Zwängen erkrankt und hat einen großen Leidensdruck hinter sich. Durch die Formulierung von Texten hat er eine Möglichkeit gefunden, die Krankheit anzunehmen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Die vorliegende Sammlung von Beiträgen aus den letzten Jahren soll Betroffenen wie Angehörigen Mut machen, Zuversicht geben und zeigen, dass der Umgang mit der Störung möglich ist. Aus seinen persönlichen Erfahrungen leitet der Autor Erklärungsmuster ab, die auch anderen Patienten nützlich sein können.

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Seitenzahl: 53

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Bin ich schuld?

Die Funktionalität des Zwangs

Zwänge sind wie „Fake News“

Nur wer die Wurzel kappt, kann das Problem lösen…

Waschen, bis der Arzt kommt…

38/183 – Wenn die Zwänge den Rückzug antreten…

Die Zwänge feiern Geburtstag…

Gratwanderung: Zwischen Zwängen und Psychose…

Zwischen der Syntonie und Dystonie des Ichs

Bibliografische Angaben

Vorwort

Liebe Leserinnen,

liebe Leser,

mittlerweile leide ich seit über 20 Jahren an einer Zwangserkrankung, die über solch einen Zeitraum Spuren in der Persönlichkeit hinterlässt und gleichsam immer wieder neu herauszufordern vermag: Denn während sich viele Betroffene strikt weigern, eine derartige Krankheit anzunehmen und ständig gegen sie ankämpfen, habe ich mittweile gelernt, die Zwänge in mein Leben zu integrieren, sie besser kennenzulernen und einschätzen zu können, aber sie auch in ihrer Bedeutung wahrzunehmen, damit man sich besser auf den nächsten Schub vorbereiten kann und das Störungsbild nicht gänzlich als sinnlos ansieht.

Die Auseinandersetzung mit einem psychischen Gebrechen ist erfahrungsgemäß besonders anstrengend, weil es einerseits so diametral gegen unsere Persönlichkeit steht. Andererseits ist es weiterhin in der Außenwelt mit vielen Vorurteilen behaftet, aufgrund derer man sich ständig zu rechtfertigen versucht. Gleichsam lohnt sich aber die praktische Beschäftigung mit den Zwängen, denn man erfährt dabei nicht nur viel über sich selbst, sondern bekommt Hinweise über Ursachen und Beweggründe, die die Krankheit aufrechterhalten. Somit können wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, die therapeutisch oder in der Selbsthilfe nutzbar sind, um die Erkrankung besser verstehen zu können und ihr somit im Alltag auf Augenhöhe zu begegnen.

In meinem vorliegenden Buch habe ich von mir verfasste Texte gesammelt, mithilfe derer ich in den vergangenen Jahren die Aufarbeitung meiner Zwangsstörung vorangetrieben habe. Sie sollen Betroffenen und Angehörigen eine Hilfestellung sein, indem sie fördern sollen, auch bei chronischem Verlauf der Zweifelskrankheit nicht zu verzagen, sondern sich der Herausforderung und Chance bewusst zu werden, ihr die Stirn bieten zu können. Insofern hoffe ich, dass mein Werk Hoffnung und Zuversicht schenken möge, denn es dürfte authentisch sein, als Erkrankter von seinen Erlebnissen zu berichten und damit anderen Mut zu machen.

Daher freue ich mich auch, wenn Sie mir darüber berichten, wie es Ihnen mit meinem Büchlein ergangen ist.

Kommen Sie gern per Mail mit mir in

Kontakt: [email protected].

Viel Freude bei der Lektüre!

Herzliche Grüße

Dennis Riehle

Bin ich schuld? (2011)

Zum Zeitpunkt, als ich mich das erste Mal zum Gespräch mit einem Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten durchgerungen hatte, waren gut zwei Jahre vergangen, in denen mich meine Zwänge schon fest in der Hand hatten. Mit 13 waren sie das erste Mal aufgetreten, beim völlig belanglosen Zählen von Laubblättern, Dachziegeln und Pflastersteinen.

Irgendwie glaubte jeder an einen „Tic“, an eine pubertäre Erscheinung. Ich selbst hatte all dem eigentlich über lange Zeit gar keine Bedeutung beigemessen. Auch dann nicht, als das Waschen meiner Hände immer länger dauerte und ich immer seltener vom Wasserhahn loskam. Mühsam war es schon, stundenlang zu duschen – aber von Zwängen hatte weder ich, noch meine Familie je etwas mitbekommen. Und so ließ ich auch das immer stärker werdende Kontrollieren der Haustür, der Elektrogeräte oder der Fenster über mich ergehen.

Allemal blieb das anstrengend für mich, es raubte Zeit und ließ mich nicht mehr los. Doch der wirkliche Leidensdruck fehlte zu diesem Zeitpunkt noch. Das änderte sich allerdings mit dem Augenblick, als mir plötzlich immer öfter Schuldgefühle in den Kopf kamen. Unfälle in meiner Stadt, ein Einbruch im gleichen Ort oder ein Taschendieb im Bus – meine Zweifel waren groß, dass ich daran hätte beteiligt sein können. Das Empfinden, für alles und jeden verantwortlich zu sein, trieb mich in große Gewissenskonflikte. Das blieb auch meiner Umwelt nicht verschlossen. Unkonzentriert, nachdenklich und deprimiert soll ich gewirkt haben.

Vielleicht würde das alles wieder vergehen, wenn die “Wechseljahre der Jugend“ vorüber sein würden, dachte nicht nur ich. Doch es brauchte dann ein Schlüsselereignis, das klarmachte: Ohne professionelle Hilfe geht es hier nicht weiter. Und dieses Erlebnis war eigentlich ein Geständnis gegenüber meiner Mutter:

Im Frühjahr 2000, kurz bevor ich 15 wurde, kam ich nach der Schule nach Hause. „Du, ich bin heute in der Fußgängerzone gegen einen Mann gerempelt – und danach einfach weitergelaufen.

Als ich mich umdrehte, war er nicht mehr zu sehen. Kann es sein, dass er jetzt irgendwo verletzt liegt? Dass er gestorben ist? Habe ich ihn umgebracht? Bin ich schuld?“ – fragte ich sie und gab ganz offen Einblick in das, was sich in meinem Kopf abspielte.

Nicht nur ich selbst erschrak vor der neuen Qualität dieser aggressiven Gedanken – Zwangsgedanken, wie sich später herausstellte. Exakt drei Wochen später – denn da hatte meine Mutter mit meiner Zustimmung einen Termin vereinbart, beim Psychotherapeuten, war dieses unbekannte Wort dann aber ganz präsent.

Und schon nach einer Stunde stand fest: Zwänge – das erste Mal hatte ich nun davon gehört. Begriffen hatte ich es noch nicht.

Aber ich war froh, dass das alles nun einen Namen hatte – und ich wohl nicht der Einzige war, der sich mit solchen merkwürdigen Befürchtungen herumquälte…

Die Funktionalität des Zwangs (2010)

Einen Zweifel kann man der Zweifelskrankheit gegenüber sicher und getrost ausräumen:

Wer glaubt, eine Zwangsstörung sei nicht lästig, belastend oder störend, der wird spätestens bei der Begegnung mit einem Zwangserkrankten im Alltag rasch eines Besseren belehrt.

Stundenlanges Händewaschen, Dutzendfaches Kontrollieren, penetrantes Ordnen oder unentwegtes Grübeln – nicht nur von außen betrachtet fragt sich jeder, der an Zwängen erkrankt ist oder zu den Angehörigen eines Betroffenen gehört, wie unsinnig die stupide und monoton ablaufenden Handlungen oder Gedankengänge doch sind.

Verständlicherweise wollen die meisten Erkrankten daher auch nur Eines: die Zwangsstörung soll so bald wie möglich wieder verschwinden.

Und unter dem großen Leidensdruck, den Betroffene spüren und der oftmals einen geregelten Tagesablauf nicht mehr zulässt, haben sie auch wenig Chancen, sich mit den Hintergründen ihrer Zwangserkrankung reflektiert auseinander zu setzen – zumindest nicht in den Akutphasen.

In diagnostischen Fragebögen wird oftmals der Eindruck der Betroffenen erhoben, ob der Zwang als übertrieben wahrgenommen wird. Gleichzeitig wird gefragt, ob er dem Erkrankten als sinnlos vorkommt. Man will wohl an dieser Stelle rückfragen: Ist er nicht „zwangsläufig“ sinnlos, wenn er übertrieben ist?