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Christa Schroeder gehört zu den Menschen, die Hitler in seiner Zeit als Machthaber in Deutschland am nächsten waren: Sie diente ihm während der gesamten zwölf Jahre als Privatsekretärin. Ihre Erinnerungen zeigen den Diktator als Privatmann: seinen Umgang mit Mitarbeitern, seine Haltung gegenüber Frauen, sein Urteil über Kunst und Musik. Auch von seinen Gesundheitsproblemen und seinem Umgang damit entsteht ein anschauliches Bild, ebenso von seinem Urteil über Politiker seiner Zeit und von anderen, weniger bekannten Facetten seines Wesens. Bei der Lektüre stellen sich beklemmende Fragen: Wie konnte die teuflische Dynamik entstehen, in deren Zentrum dieser dämonische Mann stand und die so vielen so unendliches Leid brachte? Wie konnten Menschen in seinem Umfeld das so konsequent verdrängen?
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Seitenzahl: 234
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Vollständige E-Book-Ausgabe der in der Edition Förg erschienenen Originalausgabe 2025
© 2025 Edition Förg GmbH, Rosenheim
www.rosenheimer.com
Titel der französischen Originalausgabe: »Douze ans auprès d’ Hitler«
Vorwort von Roger Moorhouse: © Greenhill Books, Barnsley, England
eISBN 978-3-475-55038-6
Emilie Christine Schroeder wurde 1908 in Hannoversch Münden in Niedersachsen geboren. Sie kam aus einer Familie der unteren Mittelschicht und verlor ihre beiden Eltern im Teenageralter. Sie wurde Stenotypistin, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und diese Entscheidung veränderte ihr ganzes Leben.
Nachdem sie auf eine verschlüsselte Stellenanzeige geantwortet hatte, bekam sie 1930 eine Anstellung in der Zentrale der SA – »Sturmabteilung«, Hitler Braunhemden. Drei Jahre später wurde Hitler selbst auf sie aufmerksam, als sie eine von Hitlers persönlichen Sekretärinnen für ein dringendes Diktat ersetzte. Ab da arbeitete sie ganze zwölf Jahre lang unmittelbar für ihn, musste rund um die Uhr für ihn verfügbar sein. Sie begleitete den »Führer« auf allen seinen Reisen, auf den Berghof bei Berchtesgaden, in die Wolfsschanze in Ostpreußen und in die Reichskanzlei in Berlin, wo sie eine der letzten war, die den Bunker kurz vor Hitlers Selbstmord am 30. April 1945 verließ.
Wie wegen der unmittelbaren Nähe zu Hitler zu erwarten gewesen war, wurde Schroeder bei Kriegsende von den Amerikanern verhaftet und diente als Zeugin der Anklage beim Nürnberger Prozess. Danach wurde sie in einer Reihe von Lagern und Gefängnissen festgehalten und intensiv verhört, bevor sie angeklagt und verurteilt, dann aber vom Vorwurf krimineller Unterstützung des Nazi-Regimes entlastet wurde. 1948 wurde sie entlassen und arbeitete wieder als Sekretärin.
Es war aber für Schroeder nicht leicht, sich von ihrer Vergangenheit frei zu machen. Schon im Jahr nach ihrer Entlassung erschien in einer populären französischen Zeitschrift eine Serie, in der ihre Verhörprotokolle wiedergegeben wurden. Sie war von einem französischen Hauptmann namens Albert Bernhard, der sich das Pseudonym Albert Zoller gab, verhört worden; dieser hatte ihr Vertrauen erworben und sie dazu gebracht, ihm ausführliche Notizen über ihre Erinnerungen und Überlegungen über ihre Zeit mit Hitler zu liefern.
Diese Erinnerungen kamen unter Zollers Namen in Umlauf und erschienen unter dem Titel Douze ans auprès d’Hitler, confidences d’une sécretaire particulière d’ Hitler auf Französisch und 1949 auf Deutsch mit dem Titel Hitler privat.
Zoller seinerseits hatte in Nürnberg auch Hermann Göring verhört und hatte bei Schroeder angefragt, ob eine Veröffentlichung des Buches unter beider Namen möglich wäre. Aber diese Diskussion führte zu nichts. Möglicherweise wollte Schroeder ihre Vergangenheit hinter sich lassen oder sie war zu dieser Zeit noch nicht bereit, andere, die noch lebten, durch ihre Darstellung zu belasten. Es ist auch möglich, dass sie das Gefühl hatte, dass ihre Beziehung zu Zoller, über deren Natur wir nichts wissen, durch die Veröffentlichung verletzt worden war, und sie schlicht nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Was auch die Gründe waren, jedenfalls erschien ihr Name nicht auf dem Titel des Buches, obwohl das meiste darin, nach ihrer Schätzung 70 Prozent, auf dem Material beruhte, das sie geliefert hatte.
Viel später fasste Schroeder in Zusammenarbeit mit dem Historiker Anton Joachimstaler ihre Lebensgeschichte selbst noch einmal zusammen, die nach ihrem Tode 1985 als Er war mein Chef erschien. Dieses Buch wurde auf Englisch bei Frontline 2009 mit einem Vorwort von mir unter dem Titel He Was My Chief – The Memoirs of Hitler’s Secretary herausgegeben.
Was also bringt dieses Buch? Die Erzählung folgt im Großen und Ganzen chronologisch Schroeders Laufbahn, in sechzehn Kapiteln, von denen jedes eine bestimmte Zeitspanne und ein Thema behandelt, zum Beispiel Hitlers Verhältnis zu Frauen oder die Tagesabläufe an seinen verschiedenen Aufenthaltsorten. Wenn man das heute liest, fällt vor allem Schroeders Diktion auf. Sie wirkt durchgehend klar und objektiv wie eine Frau, die sich der Bedeutung dessen, was um sie herum geschah, voll bewusst war, mit allen Privilegien, Heucheleien und Absurditäten. Sie ist eine sehr sachkundige und selbstsichere Beobachterin der herausgehobenen oberen Ränge des Dritten Reichs. Und sie hält mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. Sie ist kein hypnotisiertes Kaninchen und beschreibt zum Beispiel Eva Braun als »langweilige Kurtisane«, während Martin Bormann es fertigbringt, zugleich »ein wenig beschränkt« und »ein böses Genie« zu sein. Auch Hitler ist vor Kritik nicht gefeit. Obwohl sie ihn in den frühen Jahren als überraschend einfühlsam und besorgt erinnert mit der typisch Wienerischen Marotte den Frauen die Hand zu küssen, ändert sich ihre Sicht auf ihn mit der Zeit. So beschreibt sie ihn in den letzten Kriegsmonaten als »grausames Monster« und »Tyrannen«, und das nicht nur deswegen, wie er sie selbst behandelt, nachdem sie ihm einmal widersprochen hatte, sondern auch wegen seines brutalen Umgangs mit allen, die sich ihm in den Weg stellten.
Ein Gesichtspunkt, der in diesem Buch vielleicht fehlt, ist Schroeders Einstellung zu den übrigen Ereignissen in dieser Zeit. Man sucht beispielshalber vergebens nach mehr als ganz kurzen Erwähnungen zum Kriegsverlauf oder zum Holocaust. Manche haben das als Wunsch interpretiert, diese Dinge unter den Tisch fallen zu lassen oder eine gereinigte Version des Dritten Reichs wie eine Seifenoper zu präsentieren; eine Welt aus Empfängen und außergewöhnlichen Interieurs und nächtlichen Diktatstunden. Da mag wohl etwas daran sein, ich glaube aber, dass der Grund trivialer ist. Schroeder erinnerte sich an die Ereignisse, wie sie sie erlebt hatte, und ihre Perspektive war – trotz ihrer Nähe zum Epizentrum der Macht – sehr eingeschränkt. Sie nahm an den entscheidenden Diskussionen über Rassenpolitik und militärische Strategien nicht teil; ihre Welt war das Drumherum, die tägliche Bürokratie und, wenn es darüber hinausging, die Schönfärberei und Halbwahrheiten. Das sollte uns daran erinnern, dass wer im Auge des Tornados steht, selten den besten Blick auf die Ereignisse hat.
Folglich werden die Leser, die etwas über die großen Strategien oder die Machtstrukturen des Dritten Reichs erfahren wollen, von diesem Buch enttäuscht werden. Aber das war auch nicht die Absicht des Autors. Die Absicht war eine lebendige und anschauliche Erzählung, die sich aus dem engen persönlichen Kontakt ergibt, den Schroeder zwölf Jahre lang zum wohl bekanntesten Diktator der Weltgeschichte hatte; eine Innenansicht mit detailliert gezeichneten Portraits von Hitlers Gefolge und aufschlussreichen Einsichten in Hitlers Charakter. Und das gelingt zugegebenermaßen bewunderungswürdig.
Der nachstehende Text ist in mehrfacher Hinsicht interessant und lesenswert. Es handelt sich um die Erinnerungen einer Sekretärin, die während zwölf Jahren, also während des gesamten Dritten Reichs, unmittelbar für Adolf Hitler gearbeitet hat. Sie war – wie schon der Titel des Buches sagt – ganz nahe dran an der Person Hitler und an seinem unmittelbaren Umfeld. Dabei war sie aber nur in rein dienender Funktion, d. h. sie hatte keinen Einfluss auf die so weitreichenden wie schrecklichen Entscheidungen, die sie beobachtete und zu einem erheblichen Teil wohl auch niederschrieb, wobei sie sich dazu, zum Inhalt dessen, was ihr diktiert wurde, im ganzen Buch nicht einmal äußert. Sie sieht sich nur als reines Werkzeug und baut nach ihrer Darstellung zu ihrem Chef nur insofern eine »Beziehung« auf, als sie die interessierte Zuhörerin bei seinen privaten Gesprächen ist. Nur ganz gelegentlich wagt sie eine kritische Bemerkung zu machen, bereut dann aber selbst diese, wenn der große Mann, der jede auch milde Kritik als Majestätsbeleidigung empfindet, sie durch Nichtachtung bestraft.
Diese Gespräche drehen sich auch nur um Erinnerungen des Chefs an seine Kindheit und Jugend, um seine Vorlieben bei Frauen und beim Essen, seine rigorose Ablehnung des Rauchens und Trinkens – und so weiter. Nach Angaben der (Ko-)Autorin sind die im wahrsten Sinne weltbewegenden Ereignisse, die ihr Chef auslöst und verantwortet, nie Gegenstand der Unterhaltung, geschweige denn werden sie hinterfragt. Ihr Herr und Meister spricht sie wiederholt mit »Kind« an und behandelt sie wohl auch so.
Sie hat auch zu der Politik, die er macht, keine Meinung und konstatiert nur die Begeisterung der Bevölkerung in den Anfangsjahren und die Bedrohlichkeit für den Führungszirkel, sie eingeschlossen, mit Fortschreiten des Krieges. Dabei ist ihre Haltung zu Hitler durchaus zwiespältig. Einerseits ist sie insofern kritisch, als sie bemerkt, wie kleinbürgerlich, pedantisch und prüde er im Alltag trotz seines Charismas und seiner hypnotischen Wirkung auf die Massen ist. Insofern kann man durchaus sagen, dass sie den Leser hinter die Fassade, die Hitler und der ganze ihm dienende Apparat aufgebaut hat, auf den fast kümmerlichen Diktator blicken lässt. Zum Vorschein kommen eine nahezu lächerliche Verklemmtheit und Unsicherheit und Wehleidigkeit, die sich in kleinsten Alltagssituationen manifestieren. Andererseits äußert sie sich immer wieder bewundernd über Hitlers Kenntnisse und Gedächtnis, und selbst im allerletzten Moment, als Hitler sie aus Berlin wegschickt, bietet sie, die an seinem Verstand mehr und mehr zweifelt, an, bei ihm zu bleiben.
Das Buch ist aber auch deswegen interessant, weil es zwar aus der Perspektive der Sekretärin Christa Schroeder geschrieben ist, aber eben nicht oder zumindest nicht nur von ihr. Das Buch wurde zuerst von dem lothringischen Offizier Albert Zoller in französischer Sprache veröffentlicht, nachdem dieser Christa Schroeder vornehmlich als Zeugin, weniger als Beschuldigte verhört hatte. Zoller hatte aber nicht nur Schroeder verhört, sondern auch weitere und weit höherrangige Nazis. Und auch wenn er es nicht ausdrücklich erwähnt, sind sicherlich in den Text Erkenntnisse und auch Haltungen eingeflossen, die nicht aus Schroeders Mund stammen. So ist meines Erachtens zweifelhaft, dass die (wenigen) Passagen, die auf die Vernichtungslager und die Kriegsverbrechen der Nazi-Führung Bezug nehmen, von Schroeder stammen, deren Erinnerungen fast durchweg anekdotisch und zitierend sind: »oft sagte er …« oder »immer wieder erzählte er …«
Schroeder selbst war mit dem vorliegenden Werk nicht ganz einverstanden; deshalb schrieb und veröffentlichte sie zusammen mit dem Hitler-Forscher Anton Joachimstaler unter dem Titel Er war mein Chef kurz vor ihrem Lebensende nochmals ihre (eigenen) Memoiren.
Das vorliegende Buch gewinnt aber ganz sicher durch diesen »Filter« des Ko-Autors Albert Zoller. Denn das Werk, das ja unmittelbar nach dem Krieg (1949) von jemandem geschrieben wurde, der »nah dran« gewesen war, hat dadurch eine höhere Glaubwürdigkeit. Wenn jemand ganz nah vor einem großen Berg steht, den er gerade eben unter vielen Mühen und über viele Jahre erklommen hat, so fehlt ihm der unvoreingenommene Blick auf das Ganze. Und diese Unvoreingenommenheit und Distanz liefert Albert Zoller – gesteigert noch durch die Übertragung in eine andere Sprache – nach. Der Übersetzer hofft, dass er trotz seiner (Rück)Übertragung eine getreue Wiedergabe geschaffen hat.
April 1945: Deutschland im Todeskampf. Unter den wütenden Angriffen der Alliierten schmilzt der Lebensraum des Dritten Reichs zu einem immer schmaleren Streifen. Wie nie zuvor in der Geschichte lässt ein Volk, angetrieben von seinem Diktator, seine letzte Energie niederringen und seine letzten Kräfte im Schraubstock zweier Fronten zermalmen.
Bis zur letzten Minute, bis zur letzten Patrone wurde gekämpft, floss das Blut. Die zerstörerischen Flammen stiegen als Abenddämmerung eines großen Landes und eines abscheulichen Regimes in den Himmel!
Erst die Besetzung der Hauptstadt setzte diesem Kampf ein Ende, in dem sich ein niedergestreckter Riese bis zu den letzten Zuckungen seines gemarterten Körpers abgemüht hatte.
Aus diesem Tumult und Getöse erhob sich wie ein Gespenst die bleiche Maske Hitlers. Wer aber war dieser Mann, der zwölf Jahre lang im Zentrum der europäischen Geschichte stand?
Ganze Bände wurden über ihn geschrieben. Aber sie beschreiben die Ereignisse, deren Ausgangspunkt er war, oder die Auswirkungen seiner politischen Entscheidungen, nicht aber ihn selbst und seinen Charakter. Pamphlete haben sich mit diesem pathologischen Fall befasst, der wohl einzigartig in der Geschichte ist, aber weniger um ihn zu erklären als vielmehr um die Neugierde eines leichtgläubigen Publikums zu befriedigen.
Die wirklichen Akteure dieses Dramas, diejenigen, die ihn umgeben haben, um ihn gekreist sind, sind tot … oder sie schweigen. Als Verhöroffizier im »7th Army Interrogation Center« der Vereinigten Staaten hatte ich lange und ausführlich Gelegenheit, sie zu treffen.
Eine der Sekretärinnen Hitlers habe ich im Mai 1945 im Lager in Augsburg getroffen; sie wirkte verloren in diesem bunt gemischten Sammelsurium aus Wehrmachtsoffizieren, Partei- und Regierungsgrößen. Sie hat später ihren früheren Herrn und Meister wieder vor mir aufleben lassen, so wie sie ihn erlebt hatte, wie er vor ihr gesprochen hatte.
Ich habe mich im Lager in Augsburg lange unterhalten über das Problem Hitler. Meine Gesprächspartner waren Göring und Funk, der Nachfolger von Schacht. Gesprochen habe ich mit Frick, der Hitler die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen hatte, und mit von Warlimont, dem Chef des Führerhauptquartiers. Und mit Dr. Morell, seinem Leibarzt, und Schaub, seinem Feldadjutanten – und so weiter, und so weiter.
Bei keinem dieser Männer bin ich auf eine Klarsicht gestoßen wie bei dieser jungen Frau, die Hitler mit einer Beobachtungsgabe und einer Geradlinigkeit beschreiben konnte, die ihren Bericht absolut aufrichtig erscheinen lassen.
Bei der Auflösung des »7th Army Interrogation Center« im Dezember 1945 wurde sie als Zeugin nach Nürnberg überstellt und ich verlor sie aus den Augen. Dann wurde sie durch ein deutsches Entnazifizierungsgericht zu zwei Jahren Straflager verurteilt.
Bei ihrer Entlassung wurde sie von einer religiösen Vereinigung als Küchenhilfe eingestellt. Dort bin ich ihr wieder begegnet. Gemeinsam beschlossen wir, dieses Buch zu schreiben, dessen einziges Ziel es ist, Hitlers Charakterzüge festzuhalten und ihn psychologisch zu analysieren, diesen geisteskranken Kriegsverbrecher.
Überraschenderweise hatte der Führer des Dritten Reiches die Angewohnheit, seine geheimen Gedanken und Geständnisse, ja seine Vorstellungen und Hirngespinste mit seinen Sekretärinnen zu teilen, mit denen er seine Mahlzeiten einnahm und von denen er verlangte, dass sie seine nächtlichen Teestunden teilten, mit denen er seine Arbeitstage im Morgengrauen beendete.
Auf den folgenden Buchseiten wird der Leser auf einen unbekannten Hitler treffen. Er wird ihn leben, handeln, sich aufregen und zusammenbrechen sehen, was durch einen dichten Vorhang aus Propaganda und sein Prestige verschleiert wurde. Er wird auf einen Mann treffen, dessen Leben sich abseits der Massen in einer zwiespältigen und unglaublichen Atmosphäre aus dumpfer Kleinbürgerlichkeit und schwindelerregendem Drama abspielte.
Ich gebe jetzt das Wort derjenigen, die viele Jahre lang seine engste Mitarbeiterin war. In völliger Objektivität wird sie den Mann beschreiben, dessen tragische Persönlichkeit in übermenschlichem Maße die berühmten historischen Worte beglaubigt:
Tragediante – commediante!
Albert Zoller
Die besten Ideen kommen mir bei Nacht.
Hitler
Hitler hasste es, in seiner Umgebung auf Menschen zu treffen, die er gewöhnlich nicht sah. Das ist der Grund, warum zwei seiner Privatsekretärinnen – eine meiner Kolleginnen und ich – fünfzehn beziehungsweise zwölf Jahre in seinem Dienst blieben. Trotz der Unstimmigkeiten und Zwischenfälle, die es gegeben hat, tat er alles, um uns bis zum Schluss zu halten.
Hitler war von einem Dämon des Misstrauens besessen. Er stellte sein persönliches Personal nur aufgrund einer Empfehlung ein. Er schenkte ihnen sein Vertrauen erst, nachdem er sie lange beobachtet und auf die Probe gestellt hatte, wobei er ihnen regelrechte Fallen stellte.
Adolf Hitler mit Christa Schroeder
Was mich betrifft, räume ich ein, dass ich über die Einfachheit, mit der er mich in Dienst nahm, überrascht war. Nichts in meinem Lebenslauf gab Anlass für ein solches Vertrauen. Mein Vater, der in Hannover Staatsbeamter war, hatte sich immer als heftiger Demokrat geriert. Er starb 1926, als ich siebzehn Jahre alt war. Ein Jahr zuvor hatte ich bereits meine Mutter verloren. Ohne Vermögen allein auf mich gestellt, wurde ich Büroangestellte und machte Kurse zur Stenotypistin.
Anfang 1930 kündigte ich eine Stelle als Sekretärin in München und bewarb mich auf einen frei gewordenen Posten als Schreibkraft in der Parteizentrale. Nachdem ich Beste unter 87 Teilnehmerinnen im nationalen Wettbewerb der Stenotypistinnen geworden war, wurde ich als Sekretärin des Hauptmanns Pfeffer eingestellt, der damals die SA führte. Als 1931 Röhm diesem nachfolgte, wurde ich in die Wirtschaftsabteilung der nationalsozialistischen Bewegung versetzt.
Ich habe mich immer sehr für Kunst und Völkerkunde interessiert. Ich besuchte regelmäßig die Abendkurse der Volkshochschule in München und hatte mir nach und nach eine eigene Bibliothek aufgebaut. Das war vielleicht der Grund, warum ich Hitler auf intellektueller und menschlicher Basis näherkam.
Aber ich muss hinzufügen, dass ich seit jeher einen sehr kritischen Geist habe. Immer schon war es mir ein Bedürfnis, den Problemen auf den Grund zu gehen und Vertrauen nur nach ausführlicher Prüfung zu fassen.
Unter diesen Umständen wird es nicht verwundern, dass die zwölf Jahre, die ich in Hitlers Nähe lebte, für mich mit Überraschungen und bitteren Enttäuschungen gefüllt waren.
1933 wollte es der Zufall, dass die Privatsekretärin Hitlers nicht da war, als dieser einen eiligen Vermerk zu diktieren hatte. Man ersuchte mich, ihm zur Verfügung zu sein. Als ich in sein Büro kam, war ich von dem durchdringenden Blick aus blauen Augen überrascht, mit denen er mich eingehend aber wohlwollend musterte. Sein österreichischer Akzent, seine Schlichtheit und die ermutigende Herzlichkeit, mit der er mich empfing, überraschten mich angenehm. Er sagte ein paar Begrüßungsworte und kam dann ohne Weiteres zur Sache: »Ich bin es gewöhnt, direkt in die Maschine zu diktieren. Wenn Sie ein Wort nicht verstehen, macht das nichts. Es ist nur ein Entwurf.«
Ich antwortete ihm, dass ich an diese Arbeitsweise gewöhnt sei, und setzte mich an die Schreibmaschine. Als er fertig war, dankte er mir herzlich und gab mir eine Schachtel mit Bonbons. Danach grüßte er mich jedes Mal, wenn er mich traf, aufmerksam.
Zum Ende dieses Jahres bat ich wegen Schwierigkeiten, die ich mit der SS wegen einer anonymen Anzeige gehabt hatte, um meine Versetzung nach Berlin. Man kam meiner Bitte nach und ich wurde die Sekretärin von Brückner, dem Ordonnanzoffizier von Hitler. Letzterer forderte mich gelegentlich an, wenn es um längere Diktate ging. Eines Tages, als seine Sekretärin krank war, versetzte man mich ganz zu ihm. Von da an war ich täglich im Gefolge von Hitler, nur an den Wochenenden nicht, die er noch regelmäßig in München verbrachte.
Zu dieser Zeit hatte Hitler geregelte Arbeitszeiten. Um 11 Uhr ging er durch mein Büro und verbrachte den restlichen Vormittag damit, seine Mitarbeiter zu empfangen. Um 14 Uhr kam er zurück, sah sich kurz die Geschenke an, die Tag für Tag für ihn gebracht worden waren: Bücher, Bilder, Stickereien und andere Handarbeiten. In diesen kurzen Pausen diktierte er rasch Aktenvermerke oder unterschrieb Post. Nachmittags gingen die Konferenzen weiter und dauerten bis spät am Abend.
Seine wichtigen Diktate machte er nachts. Sein Ordonnanzoffizier kam, wenn er beschlossen hatte, im Büro zu bleiben: »Der Chef wird heute Nacht diktieren, halten Sie sich bereit.«
Dieser Satz löste im Büro einen wahren Alarm aus. Ich traute mich nicht, wegzugehen. Aber schon bald wurde mir klar, dass Hitler, was diese nächtliche Arbeit anging, kein Pünktlichkeitsfanatiker war. Oft wartete ich acht oder zehn Abende nacheinander auf ihn, ohne dass er ein einziges Mal auftauchte. Das war vor allem der Fall, wenn er eine Rede im Reichstag oder auf dem Parteitag vorbereitete. Zu meiner großen Verärgerung musste ich mich damit abfinden, dass er solche Reden erst im letzten Moment diktierte, am Abend bevor er sie hielt.
Wenn der Tag der Veranstaltung schon aus den Zeitungen bekannt war und ich darauf hinwies, dass es Zeit für das Diktat wäre, kam die ausweichende Antwort: »Der Chef wartet noch auf eine Stellungnahme einer Botschaft« oder »er will noch diese oder jene Entwicklung abwarten, die für seine Rede von Bedeutung sein kann«.
Es ist klar, dass unter diesen Umständen die Arbeit hektisch und unvorbereitet war. Wenn es endlich so weit war, verlangte Hitler von uns (für längere Diktate brauchte er zwei Sekretärinnen), dass wir uns nachmittags hinlegten, damit wir fit waren. Er brauchte diese letzten Minuten, um nachzudenken, und kritzelte ein paar Notizen auf ein Stück Papier. In diesen Stunden der Meditationen durfte ihn niemand stören.
Sobald er seine Rede in großen Zügen entworfen hatte, wurde ich durch eine durchdringende Glocke zu ihm gerufen. Wenn ich in sein Büro kam, schritt er unruhig auf und ab. Zuweilen blieb er vor einem Porträt von Bismarck stehen mit leerem Blick, als ob er betete. Es machte den Eindruck, dass er den Eisernen Kanzler darum bat, ihn bei seinen Staatsgeschäften zu inspirieren. Wie ein Schlafwandler bewegte er sich zwischen dem Mobiliar, rückte da und dort Figuren und Dekorationen zurecht. Dann wieder beschleunigte er seinen Schritt, um gleich wieder unvermittelt stehen zu bleiben, als ob ihn etwas lähmte. Während dieser ganzen Zeit sah er mich nicht an. Dann endlich begann er zu diktieren.
Am Anfang waren Lautstärke und Stimme normal, aber nach und nach beschleunigten sich seine Gedanken. Er sprach ohne Unterbrechung im Rhythmus seiner immer schnelleren Schritte, mit denen er das Zimmer durchquerte. Seine Stimme wurde zunehmend lauter und durchdringender. Hitler diktierte seine Rede mit dem gleichen Nachdruck und Tonfall, mit dem er sie tags darauf vor seinen Zuhörern halten wollte.
Er ging in seinem Text auf. Wenn er seinen Gefühlen freien Lauf ließ, blieb er stehen und blickte zur Decke, als ob er von dort eine Erleuchtung erwartete. Wenn er den Bolschewismus erwähnte, hob er wütend seine Stimme und lief im Gesicht rot an. Er redete dann mit einer solchen Erregung, dass man ihn in allen benachbarten Büros hören konnte, und oftmals fragten mich die Mitarbeiter, die dort warteten, warum der Chef so schlechter Stimmung gewesen war.
Wenn das Diktat beendet war, wurde Hitler wieder ruhig und fand sogar ein paar freundliche Worte für uns, seine Sekretärinnen. Einige Stunden später machte er seine Korrekturen. Aber auch da musste man ihn auf die fortgeschrittene Zeit hinweisen. Oft korrigierte er sein Manuskript bis unmittelbar vor dem Beginn seiner Redezeit. Er konnte nicht aufhören, es wieder und wieder zu lesen und zu verbessern. Wenn ihm Zeit dafür blieb, liebte er es, seine Argumente zu verfeinern und suchte nach immer gewählteren Ausdrücken und überraschenderen Formulierungen. Dabei war er überzeugt, dass seine Korrekturen schwer zu lesen seien. Jedes Mal sagte er zu mir:
»Liebes Kind, ich bin gespannt, ob Sie diese Anmerkung entziffern können.«
Wenn ich seine Verbesserungen problemlos vorlas, sah er mich mit einem verwunderten Blick über seine Brille an und räumte beinahe widerwillig ein: »Ich stelle fest, dass Sie meine Schrift leichter entziffern als ich selbst.«
Im Laufe der Jahre sah er immer schlechter. Da er es um jeden Preis vermeiden wollte, in der Öffentlichkeit mit Brille aufzutreten, ließ er Schreibmaschinen mit einer Typengröße von zwölf Millimetern anschaffen, sodass er problemlos ablesen konnte.
Wenn seine Rede stand, machte er den Eindruck, dass ein großes Gewicht von ihm abgefallen sei. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, seine Sekretärinnen dann zu Tisch einzuladen. Bei den Mahlzeiten wies er immer darauf hin, dass seine Rede sehr gelungen sei und sagte voraus, dass sie großen Anklang finden werde. Auch lobte er stets die beruflichen Fähigkeiten seiner Sekretärinnen: »Sie tippen so schnell, dass ich mit dem Diktieren nicht hinterherkomme. Sie sind Weltmeisterinnen im Maschineschreiben – und so weiter, und so weiter.«
Oft sprach Hitler mir gegenüber davon, wie schwierig es gewesen sei, junge Frauen zu finden, die in seiner Gegenwart nicht die Nerven verloren.
»Wenn ich sah, dass ihnen schon bei meinen ersten Worten das Blut in den Kopf schoss, blieb mir nichts übrig, als sie wegzuschicken und nach anderen zu suchen.«
Ich für meinen Teil muss zugeben, dass es keine Erholung war, für ihn zu arbeiten. Selbst wenn er mit normaler Stimme diktierte, war seine Aussprache alles andere als präzise. Das Geräusch seiner Schritte und das der Schreibmaschine und der Widerhall seiner Stimme in dem übergroßen Raum, machten manche seiner Sätze völlig unverständlich. Es brauchte meine volle Konzentration und ein langes Training, um das Satzende zu erahnen und die Lücken zu füllen. Wenn Hitler besonders erregt war, übertrug sich diese Stimmung auf uns Mitarbeiterinnen. In solchen Krisenmomenten waren meine Nerven aufs Höchste angespannt.
Hitler war sehr wohl bewusst, dass er uns dann an den Rand der Erschöpfung trieb; aber er wollte keine weiteren Sekretärinnen einstellen, weil er, wie er sagte, es nicht ertrug, neue Gesichter um sich herum zu sehen.
Aus diesen Gründen war meine persönliche Freiheit praktisch null. Ich musste ihm Tag und Nacht zur Verfügung stehen, durfte das Hauptquartier nur verlassen, wenn gesichert war, dass man mich jederzeit telefonisch, telegrafisch oder gar über Lautsprecher erreichte.
Hitlers Grundsatz, jede getroffene Entscheidung bis zu ihrer Ausführung geheim zu halten, übte auf seine Umgebung einen unerträglichen Druck aus. Ortsveränderungen oder Reisen wurden immer langfristig angekündigt, aber er behielt sich stets vor, die Zeit der Abreise bis zum letzten Augenblick geheim zu halten. Während dieser Wartezeiten waren alle extrem angespannt. Wenn man im Gespräch erwähnte, wie sehr die Freiheit seines Personals darunter litt, tat er überrascht und behauptete, dass er jedermann frei über seine Zeit entscheiden ließe. In Wirklichkeit aber duldete er nicht, dass irgendjemand von uns ein unabhängiges Privatleben führte.
Während unserer langen Aufenthalte auf dem Berghof machte er es sich zur Gewohnheit, sein ganzes Gefolge vor dem Kamin in der großen Halle zu versammeln. Wie Internatsschülern wurde uns der »Ausgang« regelmäßig untersagt. Solche Abende am Feuer hatten ihren Charme, wenn Besucher da waren. Aber oft waren es Tag für Tag dieselben Personen, die sich dort einfanden. Da bedurfte es wirklich großer Nervenstärke, an solchen endlosen Sitzungen im Schein der brennenden Holzscheite teilzunehmen. Wenn jemand den Mut aufbrachte, zu einem dieser Treffen nicht zu erscheinen, bemerkte Hitler dies und machte keinen Hehl aus seiner Verärgerung.
1938 wurde eine neue Sekretärin eingestellt, weil meine bisherige Kollegin zu oft krank war. Die Neue war nicht nur wegen ihrer Arbeitsleistung bemerkenswert, sie war auch sehr hübsch.
Ab da begleiteten immer zwei Sekretärinnen Hitler auf all seinen Reisen. Da er trotz der Einnahme von Schlafmitteln sehr schlecht schlief, machte er es sich zur Gewohnheit, Teestunden zu organisieren, die bis tief in die Nacht dauerten und an denen außer seinen Sekretärinnen sein Feldadjutant, sein Arzt und Bormann teilnahmen.
Ich verbrachte von nun an einen großen Teil meiner Zeit im Sonderzug des »Führers«. Während der Fahrt bestand Hitler darauf, dass die Vorhänge seines Salonwagens sogar im Sommer zugezogen blieben. Er wollte nur elektrisches Licht, die Sonne störte ihn. Aber es gab dafür auch noch einen anderen Grund, der eher überraschend wirkte: Er schätzte das »Make-up« der neuen Sekretärin so sehr, dass er es durch die künstliche Beleuchtung noch unterstreichen wollte. Hitler machte ihr deswegen so viele Komplimente, dass sich die anderen Männer verpflichtet fühlten, es ihm gleichzutun. Bormann, der eher schwerfällig war, stellte sich dabei so an, dass wir uns alle amüsierten.
Die Unterhaltungen drehten sich immerzu um seine Autofahrten, denn er verzichtete nur aus Bequemlichkeitsgründen auf diese. Hitler liebte es, Deutschland zu bereisen, nicht nur weil er ein Geschwindigkeitsfanatiker war, sondern auch weil es ihm die Möglichkeit gab, mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen. Als begeisterter Autofahrer hatte er mehrere Verbesserungen vorgeschlagen, die Daimler-Benz erfolgreich übernahm.
Es gab auch Tage, an denen in dem Sonderzug eine überbordende Fröhlichkeit herrschte und Hitler mit seinem Gefolge Gesellschaftsspiele spielte. So zählten wir zum Beispiel alle Männer mit Bart auf, die wir tagsüber getroffen hatten. Der, der am meisten nennen konnte, bekam einen Preis. Solche Spiele versetzten Hitler in beste Stimmung. In solchen Augenblicken fing er an, die Bewegungen und Sprechweisen seiner Kameraden nachzumachen. Darin war er wirklich gut und schaffte das auch bei ausländischen Staatsmännern, deren Mimik und Eigenarten er bei internationalen Konferenzen beobachtet hatte. Zum Beispiel imitierte er perfekt das hohe Lachen des italienischen Königs Viktor Emanuel und spielte vor, dass dieser wegen seiner zu kurzen Beine gleich groß erschien, ob er saß oder stand.
In der Zeit vor dem Krieg kannte Hitler noch die gute Stimmung und den Humor. »Ein Scherz zur rechten Zeit hat in schwierigen Momenten schon oft Wunder bewirkt«, sagte er oft. »Das habe ich nicht nur im Krieg 1914/18 erlebt, sondern auch in der Kampfzeit vor unserer Machtübernahme.«
Das änderte sich vollständig, als Deutschland den ersten Angriffen ausgesetzt war. Er wurde verschlossen und ließ kaum mehr jemanden an sich heran. Der Kreis seiner Vertrauten, die er jeden Abend um sich versammelte, schwand von Tag zu Tag, und schließlich waren seine Sekretärinnen die einzigen, die noch Zugang zu seinen abendlichen Träumereien hatten. Bis 1942 brauchte er eine gewisse Atmosphäre und viel Raum, um eine wichtige diplomatische Entscheidung oder eine bedeutsame Aktion vorzubereiten. Der Berghof war dafür ideal.
»In der erhabenen Ruhe der Berge habe ich meine besten Entscheidungen getroffen«, versicherte er. »Da oben habe ich den Eindruck, über dem Elend der Welt zu schweben, über den unvergleichlichen Prüfungen, die mein Volk treffen, dem ganzen Tumult und allen Schwierigkeiten. Durch den freien Blick auf Salzburg kann ich den irdischen Problemen entfliehen und geniale Visionen entwickeln, die die Welt verändern. In diesen Momenten bin ich nicht mehr Teil der Sterblichen, meine Ideen sprengen die menschlichen Grenzen und werden zu Aktionen von immenser Bedeutung.«