Blind (3 Kurz-Krimis) - Anke Gebert - E-Book

Blind (3 Kurz-Krimis) E-Book

Anke Gebert

4,4

Beschreibung

Ein Mann tut so, als wäre er blind. Dadurch sieht er die Welt mit anderen Augen. Und er nimmt Dinge wahr, die andere nicht sehen. So als wären die Sehenden blind. Er wird in kriminelle Geschichten verwickelt, die ihn zum Zeugen machen und zum Handeln zwingen – in drei Kurzkrimis von Anke Gebert.

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Seitenzahl: 34

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Anke Gebert

 

BLIND

Inhalt

 

Frau Blume auf Abwegen

Blind

Sie nannten ihn Fluppe

Impressum

E-Books von Anke Gebert

Weitere Kurzkrimis

Roman und Krimi

 

Frau Blume auf Abwegen

 

.„Darf ich Ihnen noch etwas auffüllen?“, fragt Frau Blume.

Reiner nickt, lehnt sich zurück, als befürchte er, er könnte im Weg sein, und genießt den aufsteigenden Duft der heißen Königsberger Klopse in Kapernsoße. Er muss sich zurückhalten, nicht sofort loszuessen. Frau Blume beugt sich über seinen Teller und zerschneidet ihm die Klopse, nachdem sie die Kartoffeln zerstampft hat. Um diese Gefälligkeit hatte er sie bei ihrem ersten gemeinsamen Mittagessen gebeten, seitdem tut sie es, ohne dass er sie daran erinnern muss, ohne dass Reiner sich selbst daran erinnern muss, sie darum zu bitten. Die Rote Beete verleiht dem Essen den Rest köstlichen Geschmacks, den es haben muss.

.„Königsberger Klopse mit Kartoffeln und Roter Beete; wo bekommt man so etwas Feines heute noch?“, meint Reiner, und Frau Blume freut sich. Sie hat sich selbst nur wenig auf den Teller gefüllt; Essen, das übrig bleibt, wird sie sich in den nächsten Tagen aufwärmen. Reiner nimmt darauf keine Rücksicht, er möchte, dass Frau Blume merkt, dass es ihm gut schmeckt. Und er möchte sich satt essen, wenn er die Gelegenheit hat, frisch Gekochtes zu bekommen. Er selbst öffnet sich zum Mittag meistens nur Ravioli- oder Eintopfdosen.

Frau Blume hat ihr bestes Geschirr aufgedeckt, Rosenthal, es gehörte zu ihrer Aussteuer. Frau Blume deckt immer schön auf, auch wenn sie allein ist, und auch wenn ihr Gast blind ist. Manchmal klingelt sie bei Reiner und lädt ihn ein, dann ist sie wohl schon wieder zu lange allein in ihrer Wohnung gewesen, und braucht Gesellschaft. Reiner hat heute eine Flasche Wein mitgebracht – als Geschenk, als Dankeschön. Frau Blume hat sich gefreut und sie sofort geöffnet. Für sich und Reiner.

.„Schön, dass es Ihnen schmeckt, Reiner, aber in Gesellschaft schmeckt es sowieso immer viel besser.“

Reiner nickt.

Die Standuhr schlägt. Vermutlich ist sie auch noch aus ihrer Aussteuer. Reiner sieht sich um, er geht seit mehreren Jahren gelegentlich zu Frau Blume, es hat sich seither auf den ersten Blick nichts verändert, auf den zweiten Blick fällt ihm auf, dass die Wohnung karger wirkt als sonst. Die Fußböden sind kahl. Frau Blume trägt eine dicke Strickjacke. Zum ersten Mal fragt sich Reiner, ob es eigentlich fußkalt wäre, wenn er seine Straßenschuhe nicht anhätte. An den Wänden hängen gerahmte Kalenderbilder, die Kissenbezüge müssen jahrzehntealt sein. Alles ist sauber. Die Kissen hat Frau Blume mit der Handkante in Stellung gebracht. Auf einer Anrichte steht ein Foto von Herrn Blume, den hat Reiner nicht mehr kennengelernt. Früher stand das Bild auf dem Fernsehapparat.

.„Wo ist denn Ihr Fernseher?“, möchte Reiner wissen und könnte sich im selben Moment auf den Mund schlagen.

Doch Frau Blume ist über die Frage nicht irritiert, sie nickt vor sich ihn, während sie auf ihren Teller sieht.

.„Der ist doch schon lange kaputt.“

Reiner unterdrückt die Frage danach, wie Frau Blume ohne fernzusehen ihre Abende verbringt. Der Apparat war ihr Draht zur Welt, der Apparat war es, der sie über die langen Abende rettete, bis sie ins Bett ging. In der Regel gegen zweiundzwanzig Uhr, das hatte Reiner von seinem Fenster aus beobachten können. Was tat Frau Blume nun, bis es Zeit war, schlafen zu gehen?

Frau Blume sagt: .„ Einen neuen Apparat kann ich mir leider nicht leisten. Das macht aber nichts, dann lese ich abends eben. Ich brauche keinen Fernseher mehr.“

In der gesamten Wohnung befinden sich höchstens drei Bücher. Nicht mal Kochbücher hat Frau Blume, sie hat das Kochen vor Jahrzehnten gelernt, sich ein bestimmtes Repertoire an Gerichten zugelegt, die sie perfekt zubereiten kann.

.„Aber so teuer sind Fernseher heutzutage nicht mehr“, entgegnet Reiner vorsichtig.

Frau Blume trinkt einen großen Schluck Wein. .„Ich hole uns noch Kartoffeln!“

Reiner hat den Eindruck, sie torkelt etwas, als sie hinausgeht. Als sie in der Küche ist, steht er schnell auf und fasst an die Heizung. Sie ist kalt. Schnell setzt er sich wieder hin.