Mord in Travemünde: Tödliche Brise - Anke Gebert - E-Book
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Mord in Travemünde: Tödliche Brise E-Book

Anke Gebert

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Beschreibung

Die dunklen Klauen der Gier: Der fesselnde Küsten-Krimi »Mord in Travemünde – Tödliche Brise« von Anke Gebert jetzt als eBook bei dotbooks. Auch ein Urlaubsort hat seine Abgründe ... Die junge Übersetzerin Nina Wagner wünscht sich dringend etwas Abwechslung im Leben – bereut aber schon bald, die Großstadt Hamburg gegen das Touristenparadies Travemünde getauscht zu haben, weil sie hier in einen Mordfall verwickelt wird: Eine alte Dame, der Nina im Haushalt ausgeholfen hat, ist vom Balkon eines Luxusapartmenthauses in die Tiefe gestürzt. Gleichzeitig scheinen große Mengen Bargeld aus der Wohnung verschwunden zu sein. Obwohl es noch weitere Verdächtige gibt, steht für die Polizei fest: Nina ist die Täterin. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als selbst zu ermitteln – doch der Mörder ist ihr näher, als sie ahnt … »Spannung kombiniert mit maritimem Flair und luxuriösem Urlaubsfeeling« Lübecker Nachrichten Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Regiokrimi »Mord in Travemünde – Tödliche Brise« von Anke Gebert wird Fans von Klaus Peter Wolf und Eva Almstädt fesseln. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 260

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Über dieses Buch:

Auch ein Urlaubsort hat seine Abgründe ... Die junge Übersetzerin Nina Wagner wünscht sich dringend etwas Abwechslung im Leben – und bereut schon bald, die Großstadt Hamburg gegen das Touristenparadies Travemünde ausgetauscht zu haben, weil sie hier in einen Mordfall verwickelt wird: Eine alte Dame, der Nina im Haushalt ausgeholfen hat, ist aus dem dreißigsten Stock eines Luxusapartmenthauses in die Tiefe gestürzt. Gleichzeitig scheinen große Mengen Bargeld aus der Wohnung verschwunden zu sein. Obwohl es noch weitere Verdächtige gibt, steht für die Polizei fest: Nina ist die Täterin. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als selbst zu ermitteln – doch der Mörder ist ihr näher, als sie ahnt …

»Spannung kombiniert mit maritimem Flair und luxuriösem Urlaubsfeeling« Lübecker Nachrichten

Über die Autorin:

Anke Gebert studierte u.a. am Deutschen Institut für Literatur in Leipzig. Sie arbeitete in verschiedenen Berufen, bevor sie in Hamburg an der Master School Film ein Drehbuch-Studium absolvierte.

Sie ist freie Autorin von Romanen, erzählenden Sachbüchern und Drehbüchern und gibt Seminare für fiktives und autobiografisches Schreiben. Für ihre Arbeiten erhielt sie diverse Preise.

Die Autorin im Internet: www.ankegebert.de

Bei dotbooks veröffentlicht Anke Gebert ihre Reihe um die Übersetzerin Nina Wagner mit den Bänden »Mord in Travemünde: Tödliche Brise«, »Mord in Travemünde: Tödliche Wellen« und »Mord in Travemünde: Tödliche Küste« sowie ihren Roman »Eine Liebe im Adlon«.

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eBook-Neuausgabe September 2022

Dieses Buch erschien bereits 2012 unter dem Titel »Sturz in den Tod« im Emons Verlag.

Copyright © der Originalausgabe 2012 Hermann-Josef Emons Verlag

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Kristin Pang, unter Verwendung von Motiven von Maren Winter / shutterstock.com und michelaubryphoto / shutterstock.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98690-109-7

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Anke Gebert

Mord in Travemünde: Tödliche Brise

Ostseekrimi

dotbooks.

Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass,

sondern Gleichgültigkeit.

Elie Wiesel

Prolog

Es hat lange funktioniert, dachte sie, ich habe erstaunlich lange funktioniert.

Sie sah auf den Infusionsständer neben sich, drehte den Kopf mühsam zum Monitor am Kopfende ihres Bettes.

»Schlaganfall«, sagte der Arzt, »keine Sorge, nur ein leichter. Sie werden sprachlich nicht eingeschränkt bleiben. Und das mit dem linken Arm, das kriegen Sie auch bald wieder hin.«

Sie nickte.

»Ich verstehe das nicht so richtig«, sagte der Arzt, »Ihre Befunde sehen nicht nach einem solchen Zusammenbruch aus. Körperlich sind Sie ein recht gesunder Mensch. Ist denn irgendetwas anderes?«

»Nein!«, wollte sie erwidern, doch sie konnte nicht sprechen. Sie versuchte den Kopf zu schütteln. Der Arzt legte seine Hand kurz zur Beruhigung auf die Bettdecke. »So ein Schlaganfall kann auch mal durch Stress ausgelöst werden, psychischen. Also, wenn da etwas sein sollte, müssen Sie es angehen. Damit wir uns hier nicht wiedersehen und Sie vielleicht nicht so gut wie dieses Mal davonkommen. Okay?«

Sie versuchte zu nicken. Dabei kamen ihr die Tränen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal geweint hatte. Hatte sie überhaupt schon mal geweint? Sie wollte sich die Tränen wegwischen. Doch ihr linker Arm war wie gelähmt und der rechte hing an dieser verdammten Infusion.

Der Arzt sagte im Hinausgehen: »Im Schwesternzimmer können Sie sich die Kontaktdaten einer Therapeutin geben lassen, bevor Sie uns verlassen. Ist eine, die ich empfehlen kann. Und ich rate Ihnen, mit dem Rauchen aufzuhören.«

Sie wandte das Gesicht zum Fenster. Ganz bestimmt werde ich das nicht tun, dachte sie, das mit der Therapeutin nicht und das mit dem Rauchen auch nicht! Dieser Arzt roch doch selbst nach Qualm!

Sie war allein in dem Zimmer, allein mit der alten Frau dort im anderen Bett, die nicht zählte, weil sie nur noch so dalag und sich nicht rührte. Allein war sie, wie damals. Fixiert an dieses Bett, wie damals. Als wäre es ihre Schuld, dass sie jetzt hier sein musste.

Immer war es ihre Schuld.

Als sie vier oder fünf Jahre alt war; hatte sie angefangen das zu glauben. Hatte es geglaubt, bis sie erwachsen war. Und jetzt fing sie wieder damit an. Das musste aufhören! Sie war Mitte vierzig! Sie wollte nicht, dass das von vorn losging. Es hatte doch gut funktioniert. All die Jahre, bis heute. Sie hatte gut funktioniert. Sie musste etwas tun, dass es wieder so sein würde.

Endgültig.

Kapitel 1

Graue Wolken zogen über Travemünde. Jedes Mal, wenn ein Stück blauer Himmel sichtbar wurde, erschien für einen Augenblick die Sonne und ließ das Meer glitzern. Nina stand am Fenster und sah durch das Fernglas. Die »MS Azzuro« lief aus dem Hafen über die Trave, mit dreimaligem Hupen und einer scheppernden Begleitmelodie. Aus dem neunundzwanzigsten Stockwerk wirkte das Lotsenboot, welches das Kreuzfahrtschiff hinausbegleitete, unwirklich klein, wie auch die vielen Segelboote, die im Jachthafen lagen, und die wenigen, mit denen sich die Besitzer bei diesem Wetter hinaus auf die Ostsee gewagt hatten.

Es war Ende Juni, und es war kalt in Travemünde. Von den vielen Strandkörben, die seit Pfingsten bereitstanden, waren nur wenige belegt. Am Priwall trauten sich zwei oder drei Leute ins Wasser. Ein paar Hunde tobten dort den Strand entlang. Gerade legte die Priwall-Fähre an, nur vereinzelte Spaziergänger stiegen aus.

Nina liebte den Blick aus diesem unbewohnten Apartment im neunundzwanzigsten Stockwerk des Maritim. Immer bevor sie sich hier Staubsauger, Wischeimer und Putzmittel herausholte, nahm sie das alte Fernglas, das auf einem Bord stand, und blickte über die Trave.

Vier Wohnungen musste sie an diesem Tag putzen. Frau Bergmanns zuerst. Nach dem Tee mit der älteren Dame hatte diese Nina einen Schlüssel für das »Kinderzimmer« gegeben, wie Frau Bergmann dieses kleine Apartment immer noch nannte. Das Apartment war längst eine Abstellkammer geworden. Kinder hatten hier schon lange nicht mehr gewohnt. Nicht mal Ninas Mutter konnte sich erinnern, dass Frau Bergmann in den letzten Jahren Besuch gehabt hätte, und Ninas Mutter putzte seit etwa dreißig Jahren im Maritim. Nina erst seit acht Wochen. Seit ihre Mutter es mit der Bandscheibe hatte, war sie eingesprungen, damit der kleine Nebenjob in der Familie blieb. Bis Ninas Mutter wieder arbeiten konnte, vielleicht wieder beim Stadtbäcker und hier nebenbei. Und bis Nina dann nach Hamburg zurückkehren konnte.

Ihr Handy klingelte. Auf dem Display sah sie die Nummer von Jan und drückte den Anruf weg.

Die »Finnlines« fuhr hinaus, mit nur vier Lastkraftwagen beladen. Auf der »Passat«, dem historischen Segelschiff, standen ein paar Besucher an der Reling. Nina ließ das Fernglas sinken. In zwei Stunden musste sie Frau Bergmanns Wohnung im dreißigsten Stock geputzt haben. Neunzig Quadratmeter, eine Eckwohnung im Maritim, mit überwältigendem Panoramablick vom sogenannten Rundumbalkon aus über die Ostsee, die Lübecker Bucht, den Badestrand und die Hafeneinfahrt.

Nina fuhr im Fahrstuhl mit Staubsauger und Eimer eine Etage nach oben. Wie von den anderen vier Maritim-Bewohnern, für die sie zurzeit putzte, hatte sie auch die Wohnungsschlüssel von Frau Bergmann, sie hingen seit Jahren im Haus ihrer Mutter am Schlüsselbord.

Frau Bergmanns Wohnung war bis auf Küche und Badezimmer komplett mit Teppichboden ausgelegt, auf dem ein paar kostbar wirkende Brücken lagen. Fast alles war recht alt in dieser Wohnung, die Frau Bergmann und ihr Mann vor achtunddreißig Jahren gekauft hatten. Noch bevor das Maritim überhaupt fertiggestellt worden war, waren die meisten Wohnungen verkauft gewesen. Niemand hatte damals vermutet, dass es so kommen würde. Nicht die Travemünder, die erbittert gegen dieses Hochhaus mit fünfunddreißig Stockwerken kämpften, weil sie es als architektonischen Schandfleck empfanden – und auch nicht diejenigen, die damals ihre Häuser aufgeben sollten, damit das Maritim auf ihren Grundstücken gebaut werden konnte. Selbst die Bauherren glaubten damals nicht daran, dass man ihnen die teuren Wohnungen im Hochhaus förmlich aus den Händen reißen würde, doch so war es dann gekommen. Bald wurden, obwohl sie nur sechzehn oder neunzehn Quadratmeter groß waren, sogar die Kammern verkauft, die auf jeder Etage als Wirtschaftsräume angelegt waren. Die Käufer bauten kleine Pantry-Küchen ein, stellten ein Bett, einen Tisch und einen Stuhl hinein, Hauptsache, man hatte eine Bleibe in Travemünde – im Maritim. Auch Frau Bergmann hatte einen solchen winzigen Raum dazugekauft, das Kinderzimmer. Inzwischen waren ihr Sohn und auch dessen Tochter längst erwachsen, und das kleine Apartment war zum Abstellraum geworden. Frau Bergmann hatte Ninas Mutter schon Vorjahren erlaubt, ihre Putzsachen dort unterzustellen.

Nina schloss die Wohnung von Frau Bergmann auf. Die alte Dame war wie immer ins dreißig Stockwerke tiefer gelegene Schwimmbad gefahren, das sie als Wohnungseigentümerin genauso nutzen durfte wie die Gäste des in den unteren Stockwerken untergebrachten Hotels.

Seit einigen Jahren lebte Frau Bergmann ständig hier und fuhr jeden Morgen hinunter, um nach dem Schwimmen noch drei Saunagänge zu absolvieren und sich auf dem Rückweg an der Rezeption der Residenz ein Mohnbrötchen abzuholen.

Wie auch ihre Mutter mochte Nina Frau Bergmann am liebsten von denen, für die sie hier putzte. Das wöchentliche Ritual, vor dem Putzen gemeinsam Tee zu trinken, war nie langweilig und außerdem als Arbeitszeit bezahlt. Manchmal steckte Frau Bergmann ihr etwas mehr Geld als vereinbart zu oder schenkte ihr Marzipan von Niederegger, niemals mit abgelaufenem Verfallsdatum, wie andere ältere Leute es gern taten, sondern immer gerade erst in dem schönen und teuren Niederegger-Geschäft in der Travemünder Vorderreihe gekauft.

Dies alles entschädigte Ninas Mutter und nun auch Nina für das recht schwierige Reinigen der Wohnung. Jede Menge Dinge standen auf Beistelltischchen und Borden. Alles musste Nina beim Staubwischen anheben. Und Staub gab es Woche für Woche reichlich. Er saß in den vielen dicken Teppichen, den Kissen und Decken, die hier schon seit Jahren lagen. Nina spülte zuerst die Teegedecke ab und räumte sie zurück zu dem übrigen Geschirr von Wedgwood. Fast alle Silberbestecke im Schrank waren schwarz angelaufen. Vielleicht, überlegte Nina, sollte sie Frau Bergmann vorschlagen, das Silber für sie zu reinigen. Doch so selten, wie Frau Bergmann es benutzte, wäre es wohl bald wieder angelaufen.

Nina hob ein in Silber gerahmtes Foto von Frau Bergmanns Sohn als kleinem Jungen hoch, dann eines von der Enkeltochter und eines vom verstorbenen Ehemann und wischte darunter Staub. Auch unter den Blumentöpfen, den Kerzenleuchtern, den kunstvollen Vasen und Schalen. Dann saugte sie und wendete sich schließlich dem Balkon zu.

Nina wischte die Balkonmöbel ab, die Frau Bergmann in diesem Jahr wohl kaum benutzt hatte. Zurück in der Wohnung, erschrak sie, als sie das kurze, zweifache Läuten des Fahrstuhls auf der Etage hörte. Ein Blick auf die Uhr mahnte zur Eile, Nina wollte wie vereinbart fertig sein, bevor die alte Dame aus dem Schwimmbad zurückkehrte. In einem der beiden Schlafzimmer lag ein kleiner Stapel Bügelwäsche. Die fertig gebügelte Wäsche sortierte Nina in den Schrank, in dem zwischen den Handtuchstapeln Myrurgia-Maja-Seifen lagen. Sie hängte eine Bluse in den Schrank und war wieder einmal verdutzt darüber, dass die Kleidungsstücke, die Frau Bergmann trug, im Gegensatz zu ihrer Einrichtung sehr modern und sehr elegant waren, manche sogar sexy. Einige sahen aus, als habe Frau Bergmann sie in der edlen Boutique Osterburg am Strandbahnhof gekauft. Nina betrachtete ein Teil nach dem anderen. So manches hätte ihr selbst gefallen, ein paar abgelegte Sachen hatte auch ihre Mutter schon bekommen. Nina fragte sich, wann Frau Bergmann das alles trug. Sie kannte die alte Dame nur im Bademantel, nur kurz vor ihrem Gang ins hauseigene Schwimmbad.

Mehrere Taschenmodelle von Comtesse standen am Boden des Schrankes, sehr teuer, sehr elegant, absolut passend für eine Dame wie Frau Bergmann. Einige hatten einen stilisierten massiven goldenen Engel als Verschluss. Nina hockte sich vor den Schrank und griff nach der größten Tasche, um den schönen Verschluss auszuprobieren.

Die Tasche klappte auf.

Sie war voller Geldscheine.

Als Nina endlich den Blick davon abwenden konnte, verschloss sie eilig die Tasche und stellte sie in den Schrank zurück. Sie hastete ins Wohnzimmer, in die Küche und rief nach Frau Bergmann. Die alte Dame war glücklicherweise noch nicht zurück. Nina öffnete die Wohnungstür. Niemand auf dem Flur, auch keiner der Fahrstühle war nach oben in Bewegung. Sie eilte zurück ins Schlafzimmer, holte die Tasche hervor, ließ sie aufschnappen und fasste hinein. Bis auf den Boden voller Geld. Fünfziger, Hunderter, Zweihunderter. Was wollte Frau Bergmann mit so viel Geld? Hatte sie es von der Bank geholt? Wegen der Bankenkrise vielleicht? Alle Scheine lagen durcheinander, lose, nicht gebündelt. Nina fuhr wieder und wieder mit der Hand zwischen die Scheine. Vielleicht waren es Millionen, sie hatte keine Ahnung, wie viel Euro in eine solche Tasche passten. Sie verschloss sie wieder und putzte weiter wie in Trance: das Badezimmer mit dem Chanel-Parfüm auf dem Bord und der Myrurgia-Seife am Waschbecken.

Nachdem Nina all ihre Putzmittel auf dem dicken Teppich im Flur deponiert hatte, sah sie sich noch einmal in der Wohnung um, prüfte, ob alles in Ordnung war, doch sie konnte sich kaum konzentrieren. Sie ging zurück ins Schlafzimmer. Öffnete den Schrank. Bückte sich und öffnete noch einmal die Tasche. Nina griff mit geschlossenen Augen hinein. Sie rieb mit den Fingern die Scheine. Sie wollte nur einen hervorholen, nur einen einzigen Schein. Es würde Frau Bergmann nicht auffallen, dass er fehlte, es würde sie nicht schmerzen. Es würde sie nicht mehr schmerzen, als wenn Nina aus der stets vollen Schale mit dem Niederegger-Konfekt, die auf dem Couchtisch stand, heimlich ein Stück naschte, davon war Nina überzeugt. Nicht mehr, als wenn sie bei Herrn Schadt heimlich einen Schluck seines über zwanzig Jahre alten Whiskeys probierte. Nicht mehr, als wenn sie heute bei Herrn Schadt heimlich mehrere Schlucke Whiskey aus verschiedenen Flaschen probieren würde, auf den Schreck, den sie zuvor in Frau Bergmanns Wohnung bekommen hatte, als sie diese Tasche geöffnet hatte. Auf den Schreck, dass sie es fertigbrachte, den Hunderter, den sie jetzt in den Händen hielt, tatsächlich in die Tasche ihrer Jeans zu stecken. Und dann nochmals in Frau Bergmanns Tasche zu greifen.

***

Elisabeth Bergmann bückte sich, fasste in die Comtesse-Tasche in ihrem Schrank und holte zwei Handvoll Scheine hervor, die sie flüchtig glatt strich, übereinanderlegte und dann in ihre neue Abendtasche von MCM steckte. Etwa eintausend Euro würden reichen für einen schönen Abend im Casino. Elisabeth Bergmann empfand oft eine geradezu diebische Freude, seit sie vor etwa einem Jahr entschieden hatte, nur noch genau das zu tun, was ihr gefiel – mit ihrem Geld. Und mit ihrem jungen Freund. Sie nannte ihn immer ihren jungen Freund, jedoch nur in Gedanken, denn niemand sollte etwas von ihr und ihm wissen. Niemand im Maritim und niemand im Casino des Columbia Hotels, in dem Elisabeth Bergmann Stammgast war. Und schon gar nicht ihr Sohn.

Es fühlte sich noch immer an wie ein Abenteuer, wenn sie ihren jungen Freund im Casino traf, wo sie verabredet waren, ohne dass jemand davon wusste oder es bemerkte. Das Heimliche hatte einen großen Reiz. Vielleicht war dies der Hauptgrund, weshalb manche Menschen heimlich Affären begannen und zu Ehebrechern wurden. Elisabeth Bergmann brach keine Ehe, denn ihr Mann war seit fünf Jahren tot. Und auch ihr junger Freund war nicht verheiratet. Er war jedoch fast dreißig Jahre jünger als sie. Elisabeth wollte sich den Kommentaren neidischer älterer Frauen und Männer nicht aussetzen. Und auch nicht einem weiteren Streit mit ihrem Sohn, der sowieso nur Sorge hatte, seine alte Mutter könnte verrückt geworden sein und das Erbe, auf das er und seine Frau bereits lauerten, mit einem jungen Liebhaber verprassen.

Elisabeth Bergmann sah noch einmal in den Spiegel. Sie fand sich verjüngt, seit sie ihren Freund hatte. Ihr Dekolleté schimmerte von den feinen Goldpartikeln, die sie mit einem Puder aufgetragen hatte. Ihr Top glitzerte unter tausend Pailletten in allen Farben des Regenbogens. Er liebe sie, hatte ihr junger Freund mal gesagt. Es war schon eine Weile her. Sie hatte so etwas wie Glück empfunden. Und wenn es nur das Glück war, nicht zu den Frauen zu gehören, die aufgrund ihres Alters nicht mehr begehrt wurden. Sie musste alles tun, dass er sie weiterhin begehrte.

Im Fahrstuhl betrachtete sie sich noch einmal in den Spiegelwänden und wischte eilig etwas Lippenstift von den Zähnen.

In der vierten Etage stieg ihr Freund dazu. Nachdem sich die Tür geschlossen hatte, küsste er sie neben den Mund. Elisabeth Bergmann drückte ihn lächelnd von sich, denn sie wollte ihm auf der kurzen Fahrt ins Erdgeschoss noch einen Teil der Scheine aus ihrer Tasche zustecken.

Sie ging in sicherem Abstand zu ihrem jungen Freund am Pförtner vorbei, nicht ohne diesen wie immer freundlich zu grüßen, denn schließlich kannte sie ihn schon seit vielen Jahren. Auf der Promenade sahen sie und ihr Freund sich wieder. Auf dem Weg in Richtung Columbia lagen zwischen ihnen etwa fünfzig Meter Abstand.

Möwen kreischten am Strand. Wenn die meisten Besucher abends die Strandkörbe verlassen hatten, machten sich die Vögel daran, den Sand um die Strandkörbe herum nach Essensresten abzusuchen. Elisabeth Bergmann musste daran denken, dass sie kürzlich in den Lübecker Nachrichten gelesen hatte, dass sich Urlaubsgäste bei der Gemeindeverwaltung über das Möwengeschrei beschwert hatten. Die Verwaltung hatte daraufhin zu erklären versucht, dass Möwen nun mal an Ostseestränden vorkämen. Amüsant fand Elisabeth das, und noch amüsanter, dass die Urlauber vermutlich gar nicht die Möwen gemeint hatten, sondern die Hunderte von Krähen, die sich in den Bäumen am Strandbahnhof eingenistet und Tag und Nacht gekreischt hatten.

Vor dem Columbia Hotel brannten große Fackeln. Auf der Terrasse zum Meer hin saßen in Decken gehüllt noch ein paar Gäste und speisten. Sie hatten sich einen der schönsten Plätze in Travemünde ausgesucht. Elisabeth ging durch den Haupteingang auf der Rückseite des Hotels direkt ins Casino. Ihr junger Freund ging durch das Restaurant auf der Vorderseite. Nur für diesen Moment verlor sie ihn aus den Augen – wie aufregend es doch war, zu wissen, dass sie ihm in wenigen Minuten am Spieltisch wieder begegnen und gelegentlich wie zufällig seinen schönen jungen Körper streifen und ihm Jetons oder Geldscheine zustecken würde. Heimlich.

Kapitel 2

Am nächsten Morgen stand Nina vor Frau Bergmanns Tür, obwohl sie an diesem Tag nicht bei ihr putzen sollte. Sie klopfte mit dem schweren, an einem Löwenkopf befestigten Eisenring gegen die massive Eichentür des Apartments.

Nina wusste zwar, dass Frau Bergmann wie jeden Morgen in ihrem weißen Bademantel ins Schwimmbad gegangen war, dass sie, in dunkelblauem Badeanzug und weißer Rüschenbadekappe, begonnen hatte, eine kurze Bahn nach der anderen zu schwimmen, doch sie wollte ganz sichergehen, dass niemand in dem Apartment war, bevor sie heimlich aufschloss. Hoffentlich hatte Frau Bergmann nicht ausgerechnet heute Besuch oder ließ die Saunagänge ausfallen und kam eher zurück. Nina würde dann so tun, als hätte sie den Schlüssel für die Abstellkammer vergessen. Das war die Ausrede, die sie sich zurechtgelegt hatte, seit das schlechte Gewissen sie plagte wegen der fünfhundert Euro, die sie aus der Tasche hatte mitgehen lassen. Mitgehen lassen, das hörte sich für Nina besser an als geklaut. Doch, Nina hatte Frau Bergmann beklaut. Frau Bergmann, die immer so großzügig zu ihr gewesen war und zu ihrer Mutter all die Jahre zuvor. Nichts rechtfertigte diesen Diebstahl, der sich deutlich von ihren sonstigen kleinen Klauereien von Lippenstiften oder Wimperntusche unterschied. In »ihrem« Zimmer im Haus ihrer Mutter, in das sie vor ein paar Wochen wieder eingezogen war, hatte Nina immer wieder heimlich das Geld betrachtet und gespürt, dass sie sich nicht daran würde erfreuen können. Sie mochte dieses Geld nicht mehr haben, sie würde es zurücklegen.

Vorsichtig schloss sie die Tür auf.

Die Balkontür stand weit offen. Frau Bergmanns Teetasse stand draußen auf dem Tisch. Heute war ein für diesen bisherigen Juni ungewöhnlich warmer Morgen. Keine Wolke am Himmel, die Ostsee fast spiegelglatt. Die »MS Peter Pan« fuhr gerade aufs Meer hinaus, vorbei an der »Passat«. Kein Wunder, dass die Bewohner des Maritim für diesen Blick bereitwillig so viel mehr Geld bezahlten als für eine Immobilie ohne Meerblick in Travemünde.

Außerdem war man in diesem Turm, wie Nina das Hochhaus nannte, eingebettet in ein Hotel, mit Pförtnern, die niemanden hineinließen, der nicht hineingehörte. Man war eingeladen, auch die anderen Annehmlichkeiten des Hotels zu nutzen: Sauna, Schwimmbad, Tiefgarage, den im Maritim ansässigen Frisiersalon, Kosmetik, Massage, die Restaurants, den günstigen Mittagstisch im Pub, oder abends einfach, ohne sich extra einen Mantel überziehen zu müssen, mit dem Fahrstuhl in die Night-Sailor-Bar hinunterzufahren, um bei Livemusik noch einen Absacker zu trinken. Oder im Bademantel ins Freie hinauszutreten und nach wenigen Schritten am Strand zu sein und im Meer schwimmen zu können. Der pure Luxus, den Frau Bergmann und ihr Mann vor achtunddreißig Jahren hatten bezahlen können.

Nina überlegte, ob sie neidisch auf Frau Bergmann war. Sie beschloss, dass sie es nicht sein wollte.

Zum kleineren Schlafzimmer stand die Tür offen. Es irritierte Nina, dass das breite Bett zerwühlt war. Die feine Bettwäsche war in Schwarz und Gold gehalten, Motive von Versace. In Nina stieg der Impuls auf, das Bett zu richten und mit dem großen cremefarbenen Überwurf zu bedecken. Frau Bergmann hatte sich noch nie ein Bett von Nina machen oder beziehen lassen, im Gegensatz zu anderen Leuten, bei denen sie und ihre Mutter putzten. Nina riss sich zusammen. Sie war heimlich hier.

Sie ging zum Schrank im zweiten Schlafzimmer und merkte sich genau, wie die Tasche stand und wie die Mäntel darüber hingen. Sie öffnete vorsichtig den goldenen Verschluss mit dem stilisierten Engelskopf und schob die Geldscheine zwischen die vielen anderen Scheine zurück, verschloss die Tasche, den Kleiderschrank und die Wohnung.

Danach stand Nina erleichtert in der unter Frau Bergmanns Wohnung gelegenen Abstellkammer und sah durch das Fernglas. Ein paar Segelboote dümpelten bei Flaute vor sich hin. Vielleicht sollte sie ab heute täglich in der Ostsee schwimmen, überlegte Nina, wenn sie nun schon mal zurück in Travemünde war und das Meer so dicht vor der Tür hatte. Die meisten Einheimischen gingen kaum noch zum Strand und erst recht nicht ins Wasser, vielleicht, weil sie es jeden Tag tun könnten, wenn sie nur wollten, vielleicht, weil der Alltag viele vergessen ließ, dass sie am Meer lebten.

Heute musste Nina insgesamt drei Wohnungen im Maritim putzen, von Eigentümern, die gelegentlich übers Internet vermieteten, weil sie selbst die Bleibe im Maritim kaum nutzten und durch Vermietung wenigstens einen Teil der Unkosten reinholen konnten. Ninas Mutter bekam dann die zwischen Vermieter und Gästen vereinbarte Summe für die Endreinigung ausbezahlt.

Bereits zwei Stunden später brachte Nina die Putzutensilien in die Kammer zurück. Es war ein Leichtes gewesen, die Wohnungen zu reinigen, weil keiner der Gäste die Endreinigungssumme zum Anlass genommen hatte, das Apartment verdreckt zu hinterlassen. Fürs Erste Feierabend, dachte Nina und stellte sich mit dem Fernglas ans Fenster. Doch sie musste heute ihrer Mutter noch bei der Buchhaltung helfen, und sie selbst sollte endlich mal wieder ihre Akquisebemühungen intensivieren, um an mehr Aufträge als Übersetzerin zu kommen, damit sie ihre kleine Wohnung in Hamburg halten konnte. Seit Tagen hatte sie das vor, doch sie konnte sich momentan nicht dazu aufraffen. Am liebsten würde sie gar nichts mehr tun. So wie Frau Bergmann. Viel Geld besitzen und bis ans Lebensende davon gut leben.

Trave und Meer waren ruhig. Am Horizont standen die Windräder still.

Plötzlich verdunkelte es sich einen Moment lang vor Ninas Augen. Für die Länge eines Wimpernschlags schien etwas von oben in die Tiefe gefallen zu sein. Dann war durch das geschlossene Fenster ein dumpfer Aufschlag zu hören.

Nina riss das Fenster auf. Doch sie konnte nichts sehen, denn vor dem Fenster war ein Laubengang, der als Notausgang diente und von der Kammer aus nicht einzusehen war. Ein Schrei war zu hören. Dann noch einer. Nina eilte hinaus, über den Flur ins Freie. Sie beugte sich über die Brüstung.

Auf dem Vorbau im ersten Stock des Hotels lag ein Mensch. Ein Mensch im weißen Bademantel.

Zwei, drei, vier, immer mehr Leute blickten von ihren Balkonen aus hinüber zu der reglosen Person. Manche hielten sich entsetzt die Hände vor den Mund. Nina eilte zum Fahrstuhl und fuhr hinab ins dritte Stockwerk. Dort nahm sie den Notausgang und sah auf das Dach des Vorbaus der Residenz. Die Frau, die dort auf der alten, mit grünem und rotem Moos bewachsenen Dachpappe lag, hatte verdrehte Beine, Arme, als gehörten sie nicht ihr, aufgerissene Augen und Haare, die nass waren von Blut und Hirn.

Es war Frau Bergmann. Die Fußnägel weinrot lackiert, der nackte Unterleib entblößt.

Nina wich zurück. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Brüstung und sah nach oben in die schwindelerregende Höhe zum dreißigsten Stockwerk, aus dem Frau Bergmann vermutlich gefallen war.

Wie konnte das passieren?

War sie etwa gesprungen?

Von Weitem war ein Martinshorn zu hören. Nina wunderte sich, wie viele Leute inzwischen von Balkonen nach unten sahen. Das Maritim hatte heute Morgen beinahe leer gewirkt.

Der Notarztwagen kam die Einfahrt der Residenz herauf. Das Martinshorn verstummte abrupt. Eine Sekunde lang war es still in Travemünde, totenstill.

Dann rief der Pförtner: »Hier entlang!« Notarzt und Sanitäter folgten ihm.

Auf dem Dach beugten sie sich zu dritt über die alte Frau. Der Arzt schüttelte fast unmerklich den Kopf.

Nina wandte sich ab und durchquerte die Eingangshalle des Hotels. Kein Mensch in der Lobby, kein Mensch an der Rezeption. Sie stieg die Marmortreppe zum Ausgang hinab.

Draußen blendete die Sonne sie. Die weißen Segelboote auf der türkisblauen, stillen Ostsee, die gelben, in Reih und Glied stehenden Strandkörbe, der helle Strand – alles kam Nina plötzlich wie eine unwirkliche Bilderbuchansicht vor, so wunderschön, so heil. Zu heil.

Nina verharrte einen Moment auf der Promenade. Menschen standen in Badebekleidung neben ihren Strandkörben und starrten zum Maritim her. Eine große graue Möwe stürzte über Ninas Kopf auf den Weg hinab, um sich mit ihrem dicken Schnabel ein Stück trockenes Brötchen zu schnappen, das auf dem Pflaster lag. Nina spürte die Krallen fast in ihrem Haar. Sie ging weiter – und es war ihr, als würden ihr all die Leute vom Strand aus nachsehen.

***

Pasquale Schöne ging zügigen Schrittes an der Steilküste entlang. Gehen, gehen, bis die Gedanken nicht mehr kreisten. Atmen, durchatmen. Niendorf war sein Ziel. Er war noch nicht mal auf Höhe des alten Golfplatzes, kurz hinter Travemünde, als er kaum noch Luft bekam. Die Felder mit spät blühendem Raps nahm er heute nicht wahr. Die wenigen Spaziergänger, die ihm an diesem Wochentag entgegenkamen, ebenfalls kaum. Nur die Sandkratzer, wie er Frauen mit Nordic-Walking-Stöcken verächtlich nannte, registrierte er, weil sie ihm wegen des Geräusches, das sie mit ihren Stöcken machten, schon von Weitem auf die Nerven gingen.

Pasquale Schöne schob die Sonnenbrille zurecht und wandte sein Gesicht ab, als die Gruppe mit den Stöcken an ihm vorbeikratzte. Obwohl er es eilig hatte, machte er auf der Hermannshöhe halt. Bis jetzt war nur eine Imbissbude geöffnet. Eigentlich hatte Pasquale vor, Kaffee zu trinken, holte sich dann aber ein Bier. Auf dem Weg zu einer der langen Bierbänke machte er kehrt und kaufte sich noch ein Fläschchen Jägermeister dazu. Am liebsten hätte er es bereits auf dem Weg zum Tisch ausgetrunken.

Die paar Strandkörbe, die für Gäste der Imbissbude hier oben bereitstanden, waren belegt. Eine Gruppe geistig behinderter Erwachsener machte gerade auf einem Ausflug Station und hatte sichtlich Spaß. Zwei von ihnen saßen knutschend in einem Strandkorb – in den kurzen Pausen zwischen zwei langen Küssen lachte das Mädchen aufgekratzt, während ihr Begleiter stolz in die Runde schaute. Ein älterer Mann mit Stirnglatze sprang wiederholt auf, sah durch das Fernglas, das er um den Hals trug, und kommentierte lautstark jedes Boot, das auf der Ostsee zu sehen war, »die großen Pötte« und »die kleinen Pötte«. Die großen Pötte faszinierten ihn besonders. Eine übergewichtige Frau, die einen Schutzhelm auf dem Kopf trug, tanzte zwischen den Strandkörben hin und her. Eine andere pflückte Gänseblümchen. Die Betreuer hatten sich separiert und unterhielten sich entspannt.

Pasquale konnte den Blick nicht von jener so unbefangenen Gruppe Menschen abwenden. Er bemerkte, dass er hier auf dieser Blumenwiese, an diesem Ort mit dem sagenhaften Blick übers Meer, trank und rauchte, als hätte er kein Recht, dort zu sein. Gehetzt sah er auf die Cartier an seinem zitternden Handgelenk. Als hätte er keine Zeit … Doch, er hatte Zeit. Und in Zukunft würde er seine Zeit auch genießen können.

***

»Oh Gott, Nina! Was erzählst du mir denn da?«

Ja, weshalb hatte sie es ihrer Mutter eigentlich erzählt? Sie hatte es schon in dem Moment zu bereuen begonnen, als sie das viele Geld in der Tasche in Frau Bergmanns Schrank auch nur erwähnt hatte.

Die Mutter fasste sich an den Rücken.

»Oh Gott, es geht wieder los.«

Nina half ihrer Mutter vom Stuhl auf und führte sie zum Sofa.

»Das kommt, weil du heute schon wieder den ganzen Tag durchs Haus geturnt bist.«

»Einer muss es doch machen!«, jammerte die Mutter.

»Ich bin jetzt hier, ich werde alles machen, bis dein Rücken wieder fit ist.« Nina vermutete, was ihre Mutter sicherlich sogar wusste. Die Schmerzattacken im Rücken wurden nicht durch ein Bandscheibenleiden ausgelöst, sondern waren psychosomatisch bedingt. Angefangen hatte alles vor einem Jahr, als klar wurde, dass Ninas Mutter Marianne den kleinen Laden, den sie seit über dreißig Jahren in der Geschäfts- und Restaurantpassage neben dem Hallenbad betrieb, tatsächlich aufgeben musste. Über dreißig Jahre lang hatte sie dort im Sommer Getränke, Sandeimer, Schaufeln, Eis und Seehunde aus Plüsch verkauft. Im Winter Glühwein, Mützen und Schals. Nina hatte dort in der Schulzeit ihre Nachmittage und Wochenenden verbracht, hatte in Sichtweite ihrer Mutter am Strand gespielt oder war baden gegangen. Jedes Mal, wenn fremde Kinder sie am Strand auf ihre schönen Schaufeln oder Backformen ansprachen, hatte sie stolz erzählt, dass ihre Mama die in ihrem Geschäft verkaufte, was meistens nach sich zog, dass die Kinder ihre Eltern so lange anbettelten, bis ihnen in Mutters Laden eine neue Strandspielausrüstung gekauft wurde.