Dorfgeflüster 1: Chaos hinterm Blumenbeet – oder: Schlüsselfertig. Bestsellerautorin Meike Winnemuth ist begeistert: »Die Hölle ist ein deutsches Dorf – der Himmel ist dieser Roman darüber.« - Kirsten Rick - E-Book
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Dorfgeflüster 1: Chaos hinterm Blumenbeet – oder: Schlüsselfertig. Bestsellerautorin Meike Winnemuth ist begeistert: »Die Hölle ist ein deutsches Dorf – der Himmel ist dieser Roman darüber.« E-Book

Kirsten Rick

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Beschreibung

Gibt’s das Glück auch schlüsselfertig? Der humorvolle Roman »Dorfgeflüster – Chaos hinterm Blumenbeet« von Kirsten Rick jetzt als eBook bei dotbooks. Ihr Job bei der Sparkasse? Ziemlich langweilig. Ihr Verlobter? Weder nett noch hübsch anzusehen, aber immerhin schmutzt er wenig. Und das Leben im Dorf? Viele lieben die Ruhe und Idylle – die verträumte Silke hingegen hat das Gefühl, von Landfrauentreffen und Feuerwehrfesten in ein Korsett geschnürt zu werden, in dem sie sich zunehmend kurzatmig fühlt. Als sie dann auch noch zugunsten eines Bankautomaten wegrationalisiert wird und ihre Schwiegereltern in spe mit einem Eigenheim als Hochzeitsgeschenk drohen, weiß Silke, dass sich schleunigst etwas ändern muss. Möglicherweise ist Herr Wesseltöft, der George Clooney der Fertighaus-Fachverkäufer, ja der strahlende Held, auf den sie gewartet hat. Aber wie genau plant man eine Flucht, wenn hinter jeder Hecke neugierige Nachbarn lauern? »Die Hölle ist ein deutsches Dorf. Der Himmel ist dieser Roman darüber.« Bestseller-Autorin Meike Winnemuth »Die Frauenliteratur wird von frustrierten Singles auf der Suche nach Mr. Right bevölkert. Wie gut, dass Kirsten Rick das Genre gehörig aufmischt: mit einem klugen Roman über Fertighäuser, Dorfbewohner und falsche Männer.« Spiegel Kultur Jetzt als eBook kaufen und genießen: die hinreißende Regio-Komödie »Dorfgeflüster – Chaos hinterm Blumenbeet« von Kirsten Rick, auch bekannt unter dem Titel »Schlüsselfertig«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 453

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Über dieses Buch:

Ihr Job bei der Sparkasse? Ziemlich langweilig. Ihr Verlobter? Weder nett noch hübsch anzusehen, aber immerhin schmutzt er wenig. Und das Leben im Dorf? Viele lieben die Ruhe und Idylle – die verträumte Silke hingegen hat das Gefühl, von Landfrauentreffen und Feuerwehrfesten in ein Korsett geschnürt zu werden, in dem sie sich zunehmend kurzatmig fühlt. Als sie dann auch noch zugunsten eines Bankautomaten wegrationalisiert wird und ihre Schwiegereltern in spe mit einem Eigenheim als Hochzeitsgeschenk drohen, weiß Silke, dass sich schleunigst etwas ändern muss. Möglicherweise ist Herr Wesseltöft, der George Clooney der Fertighaus-Fachverkäufer, ja der strahlende Held, auf den sie gewartet hat. Aber wie genau plant man eine Flucht, wenn hinter jeder Hecke neugierige Nachbarn lauern?

»Die Hölle ist ein deutsches Dorf. Der Himmel ist dieser Roman darüber.« Meike Winnemuth

»Die sogenannte Frauenliteratur wird von frustrierten Singles auf der Suche nach Mr. Right bevölkert. Wie gut, dass Kirsten Rick das Genre gehörig aufmischt: mit einem klugen Roman über Fertighäuser, Dorfbewohner und falsche Männer.« Spiegel Kultur

Über die Autorin:

Kirsten Rick wurde 1969 in Hamburg geboren und wuchs in einem kleinen Dorf in der Nähe auf. Sie studierte Angewandte Kulturwissenschaften in Lüneburg und arbeitet seitdem, da sie laut eigener Aussage »nichts Vernünftiges gelernt hat«, als Redakteurin für verschiedene Zeitschriften und als freie Journalistin. Kirsten Rick lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern im Hamburg am Hafen.

Mehr Informationen und Texte von Kirsten Rick finden sich auf ihrer Website: www.romaneundreisen.de

Bei dotbooks veröffentlichte Kirsten Rick einen weiteren Dorfroman, »Dorfgeflüster – Geheimnis hinter Heckenrosen« – auch bekannt unter dem Titel »Frischluftkur« –, sowie ihre Kurzromane und Geschichtensammlungen »Maria räumt auf«, »Ausgestochen« und »Ernas kleines Weihnachtswunder«.

***

eBook-Neuausgabe Mai 2021

Unter dem Titel »Schlüsselfertig« erschien dieser Roman zunächst 2005 im Knaur Taschenbuch Verlag und 2013 bei dotbooks.

Copyright © der Originalausgabe 2005 by Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nach. GmbH & Co.KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2013, 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock/Jacob_09, Kuttelvaserova Stuchelova, Pawel Kazmierczak, Kwitka, Blende8, Mariadouwma, irin-k, cooperr, Marina Lohrbach

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-592-0

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Kirsten Rick

DORFGEFLÜSTERChaos hinterm Blumenbeet

Roman

dotbooks.

Für meine Mutter

Prolog

Wie zündet man eigentlich ein Haus an? Vielleicht hätte ich mich vorher informieren sollen. Aber wo? Bei der Freiwilligen Feuerwehr?

Nun muss es so gehen, mit dem Kanister Super bleifrei, einer angebrochenen Hasche Brennspiritus und ein paar Grillanzündern. Ich bin mir fast sicher, dass ich in 1000 preiswerte Haushaltstipps, der Bibel meiner Schwiegermutter, noch kostengünstigere Vorschläge gefunden hätte. »Das guuuute Super!«, würde sie stöhnen, mit wuchtiger, ihrem Brustumfang angemessener Betonung auf dem U. »Bleifrei hätte es doch auch getan!« Meine Schwiegermutter ist sowieso immer der festen Überzeugung, dass ich zur Verschwendung neige. Nur, weil ich meinen Wein nicht bei Aldi kaufe. Überhaupt: Aldi. Das ist auch so ein Thema, damit kann man jede Kaffeerunde in Schwung bringen, da, wo ich herkomme. Aber dazu kommen wir später.

Erst mal soll die Hütte lodern, das Fertighaus Typ Edeltraut, mit Vollkeller und Ausbaureserve. In Krimis heißt es doch immer, der Täter hätte Brandbeschleuniger verwendet. Was ist das genau? Seltsam, bislang habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht. Wahrscheinlich wäre das eh nichts für mich, denn ich kann noch nicht mal einen Schnellkochtopf bedienen. Als Hausfrau bin ich eine Niete, damit habe ich mich abgefunden – aber meine Karriere als Brandstifterin, die beginnt erst. Da kann ich es noch zu etwas bringen. Aber wie denn bloß?

Erst mal das Benzin auf den Teppich kippen. Genauer gesagt: auf die Auslegware. Das ist nämlich ein Unterschied, Teppich und Auslegware. Und wir sind hier auch nicht in einer Musterhaussiedlung, sondern im Massivhauspark. Das lernt man, wenn man ein Haus bauen will. Vor zwei Wochen wollte ich das nämlich noch. Obwohl »wollen« vielleicht nicht ganz das richtige Wort ist. Ich nahm es als gegeben hin. So wie Männern die Haare ausfallen, man ein Auto auf keinen Fall länger als sieben Jahre fahren soll und die Gottesanbeterin nach dem Sex den Gatten verspeist, genauso hielt ich es für ein Naturgesetz, dass ich ein Haus bauen würde. Ich habe es mir nicht gewünscht, es gehört einfach dazu, dort, wo ich herkomme: vom Dorf. Man macht es. Wo sollte man denn auch sonst wohnen? In der Stadt etwa? Ausgeschlossen! Dort findet man ja nie einen Parkplatz. Genau so selbstverständlich wie ein Haus zu bauen ist es natürlich auch, ein Carport daneben zu setzen. Ich hätte es auch getan. So war mein Leben: Alles ergab sich so, wie es sollte. Es gab feste Regeln, es gab garantierte Sicherheit. Dachte ich zumindest. Bis ich merkte, dass das nicht stimmte.

Mein Unbehagen begann an einem ungewöhnlich schwülen Tag im Mai.

Kapitel 1:Grund genug – das Grundstück

Dienstag, 3. Mai

Schneller, schneller! Jetzt überholen! Du schaffst es! Achtung, der Dicke da hinten holt auf! Und jetzt verknäult sich alles hier vorne.

Ich sitze im Gras und beobachte faszinierende Verfolgungsjagden auf einer Ameisenstraße. Und gleich daneben das Liebesspiel zweier Marienkäfer. Langsam krabbeln sie umeinander herum, das Männchen wirbt mit einem betörenden Balztanz, das Weibchen erliegt dem unwiderstehlichen Charme, gibt sich ihm hin, ungeachtet der zahlreichen Zuschauer. Sind Marienkäfer Exhibitionisten? Jetzt kriecht der eine davon, der andere bleibt ermattet liegen. Ging ja schnell. Ist bei Marienkäfern also auch nicht anders als bei Menschen.

Moment! War das überhaupt Sex? Wieso bilde ich mir ein, einen Geschlechtsakt zu beobachten? Ehrlich gesagt: Ich habe überhaupt keine Ahnung von Insekten. Vielleicht waren das noch nicht mal Marienkäfer, so ganz sicher kann man sich ja nie sein. Wahrscheinlich hat das Ganze eher etwas mit meinem Liebesleben zu tun. Meinem sehr geregelten, sehr routinierten und sehr sparsam bemessenen Liebesleben. Ungefähr einmal im Monat, meistens nach Wetten, dass …?. Heiner wird anscheinend unglaublich angetörnt von dieser Show. Der Zauber dauert dann zehn Minuten, in denen die bekannten erogenen Zonen verlässlich stimuliert werden. Das funktioniert immer. Ein wenig fühlt es sich an, als hätte man den Autopiloten eingeschaltet. Eine sichere Sache. Im Moment läuft Wetten, dass …? gerade nicht, keine Ahnung, wieso. Ist denn schon Sommerpause? Im Mai? Weiß Herr Gottschalk nicht, welche Auswirkungen sein Fortbleiben auf mein Liebesleben hat? Wer wird Millionär scheint für Heiner als Vorspiel nicht zu wirken.

Wahrscheinlich bin ich, wie meine beste Freundin neulich mal gesagt hat, underfucked and oversexed. Und ich sollte wohl versuchen, diesem Zustand etwas Angenehmes abzugewinnen. Den underfucked-Aspekt ignorieren und die oversexed-Seite genießen. Ich könnte es mit Tagträumen probieren. Gute Idee.

Ich lasse mich ins Gras sinken – pardon: auf den Rasen, denn dieser Garten hier wurde akribisch angelegt, da wächst nicht einfach irgendwelches Gras. Natürlich war ich mal wieder zu träge, um mir eine von den sperrigen Plastikliegen mit den braun-beige-gestreiften Auflagen aus dem Gartenhäuschen zu holen. Also muss ich mich auf dem Rasen meinen Phantasien hingeben. Okay. Gut. Hemmungslos denken. Alles zulassen. Tabulos sein. Mutig, verwegen, wild, verrucht.

Hmm.

Da kommen irgendwie keine Phantasien.

Alles ziemlich dunkel. Ziemlich brav. Ganz normal. An wen soll ich auch denken? Und an was? An einen Kavalier, der mich mit Rosen überhäuft? Zu kitschig. Außerdem mache ich mir gar nichts aus Blumen. Kaum hat man sich an den Anblick gewöhnt, sind sie schon wieder verwelkt. Au weia, da fällt mir was ein. Ich springe auf und renne ins Haus.

Das war's dann wohl. Alles voller Brösel. Die ganze Fensterbank voll. Der Rest sieht aus wie mumifiziert. Ich habe vergessen, die Geranien zu gießen. Ausgerechnet die, die meine Schwiegermutter mir während ihres Urlaubs anvertraut hat. Schwiegermutter in spe, um genau zu sein, denn Heiner und ich sind nicht verheiratet. Aber immerhin verlobt, so ungefähr seit drei Jahren, seit Heiner mir zu Weihnachten einen gebrauchten Opel Corsa schenkte und vorher noch schnell um meine Hand anhielt, damit »die Investition in der Familie bleibt«. Der Corsa war übrigens der Ladenhütet in der Autohandlung, die Heiner später mal von seinem Vater übernehmen wird. Er arbeitet dort jetzt schon, als Juniorchef.

Heiner und ich kennen uns aus der Grundschule. Ich kann mich noch vage daran erinnern, dass er mir mal aufs Pausenbrot gespuckt hat, ein Ereignis, das ich gerne verdrängen würde. Seitdem versuche ich ihn möglichst von Lebensmitteln, an denen mir etwas liegt, fernzuhalten. Und mir liegt fast an allem etwas, was essbar ist. Da bin ich genau wie meine Mutter, deren Speisekammer fast größer als die Küche ist, die Gefriertruhen quasi über das ganze Haus verteilt hat und die am liebsten Gastro-Großpackungen einkauft. Trotzdem trägt sie Zeit ihres Lebens höchstens Größe 38, während ich hin und wieder zu 42 greifen muss. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass bei H&M alles kleiner ausfällt und hier im örtlichen Modehaus wahrscheinlich alles mit »einer schlanken 38« ausgezeichnet ist, denn es mag sich ja keiner blamieren und etwas Größeres kaufen. Meine Figur ist für mich übrigens kein Problem, sondern, seltsamerweise, eher für meine Mutter. Genau genommen ihr zweitliebstes Problem: nach meiner Frisur.

Plötzlich reißt mich eine Stimme direkt hinter mir aus meinen Gedanken. »Kind, wie siehst du denn aus?« Vor Schreck zucke ich zusammen und brate den verblichenen Geranien mit der Gießkanne eins über.

»Mutti, du sollst dich nicht immer so an mich ranschleichen!«

»Und du sollst dir mal überlegen, ob dir dieser Rock wirklich steht. Der ist so unvorteilhaft geschnitten. Und lila ist gar nicht in.«

»Woher weißt du denn das schon wieder?«

»Das habe ich in der Wusch gelesen!«, antwortet sie hoheitsvoll.

»Bitte wo?«

»In der Wusch! Oder Vok, oder wie das heißt.«

»Du meinst die Vogue?«

»Ja, natürlich. Aber wie spricht man das noch mal richtig aus, Wogü? Das kommt mir so falsch vor, ich hatte doch auch mal Französisch …«

Ich schweige. Rache muss sein. Soll sie doch glauben, dass die Vogue wie Wogü ausgesprochen wird, wahrscheinlich meinte sie eh die Brigitte. Oder den Quelle-Katalog. Niemand hier im Dorf liest Vogue. Dabei gibt es die Zeitschrift sogar im Supermarkt – wie alle anderen Zeitschriften auch. Denn der Supermarkt hat alles. Er trägt zwar einen irreführenden Namen – Knurres Krämerlädchen –, aber so hieß der Laden eben immer schon, lange bevor man ihn vergrößert hat. In dem neuen Gebäude, das aussieht wie eine Kreuzung aus einer Tennishalle und einer Tiefgarage, die versehentlich oberirdisch gebaut wurde und dem man dann, um einen gewissen Kleinstadtfußgängerzonencharme zu erzeugen, vorne ein paar Dachgiebel aufsetzte, in diesem optisch nicht so ganz gelungenen Gebäude gibt es ein verwirrend umfangreiches Angebot. Angefangen bei der gigantischen Zeitschriftenpalette (wenn man nur lange genug sucht, findet man dort bestimmt auch ein Exemplar der griechischen Wogü) bis hin zu exotischen Fleischsorten. Neulich gab es Strauß und Bison, ich rechne nächste Woche fest mit Krokodil und Zebra. Die Preise sind natürlich exorbitant. Aber man kauft eben dort, weil es sich so gehört. Weil man sich kennt. Weil man es immer schon so gemacht hat. Heimlich fährt man dann aber trotzdem auch in den Nachbarort zu Aldi. Und auf dem Rückweg werden die Discount-Einkäufe im Auto mit einer Decke getarnt.

Aber ich schweife ab. Warum ist meine Mutter denn jetzt hier? Waren wir verabredet und ich habe es vergessen? Das würde ins Geranien-Schema passen. Mein Leben ist so wenig aufregend, dass ich mir einfach keine Mühe mehr mache, mir überhaupt irgendetwas zu merken. Passiert ja sowieso nichts.

»Falls du es vergessen hast: Ich bin hier, weil Heiners Eltern heute aus dem Urlaub zurückkommen«, klärt meine Mutter mich auf, die ein gewisses Talent zum Gedankenlesen besitzt. Oder zumindest zum Lesen meiner Gedanken.

Traditionell gibt es bei der Rückkehr meiner Schwiegereltern in spe abends ein kleines Beisammensein, das sie dazu nutzen, ihr am Ferienort gedrehtes Videomaterial frisch und ungeschnitten vorzuführen. Meistens so ein bis drei Stunden, davon 80 Prozent recht verwackelt oder in die Tasche gefilmt, weil sie vergessen haben, die Kamera wieder auszuschalten. Und, wie die Tradition es so will, serviere ich dazu Häppchen.

Das wird knapp. Was habe ich Essbares im Haus? Wie spät ist es? Knurres Kramerlädchen hat auf jeden Fall schon zu.

»Nein, Mutti, natürlich habe ich es nicht vergessen.« Warum kann ich ihr gegenüber nie etwas zugeben? Egal. Ich könnte die Mega-Packung Kinderriegel hinstellen. Ja, das wird gehen.

»Und was willst du anbieten? Die Hanuta-und-Salzstangen-Nummer im letzten Jahr war ja ein wenig schwach …«

Okay, da hat sie mich.

»Ich dachte an …« Ein schwacher Versuch, ein letztes Ringen um die Fassade. »Nein, keine Ahnung, ich habe es wirklich vergessen. Und du musst gar nicht in die Küche gucken, da findest du auch nichts Passendes.«

Mutti grinst und holt aus dem Flur eine Kühltasche voller Tupperware. »Ich habe da etwas vorbereitet!« Sie macht ein Gesicht wie Fernsehkoch Max Inzinger in den späten 70ern, bevor er den Inhalt von zwanzig kleinen Schälchen so schnell in einen Topf kippte, dass man sich unmöglich merken konnte, was in den Schälchen war, und zählt auf: »Datteln im Speckmantel, Scampi auf Spinat – da gibt es eine neue Würzmischung für – und ein orientalischer Salat. Schließlich kommen sie gerade aus Tunesien. So, und jetzt los. Ich bereite alles vor, und du gehst dich noch rasch frisch machen.«

Mutti drängt mit ihrer Ausrüstung in Schwiegerelterns Küche, ich gehe nach oben in die Mansardenwohnung, die Heiner mit seinem Vater zusammen ausgebaut hat. Dort wohnen wir, Heiner und ich, unter lauter Dachschrägen. Eigentlich kann man nur im Flur und in der Mitte der beiden Zimmer stehen. Wenn ich morgens aufwache, darf ich nicht hochschrecken, sonst stoße ich mir den Kopf. Der Luftraum über den Kissen unseres Doppelbettes ist knapper bemessen als die Kleidchen von Verona Feldbusch-Pooth. Und Raufaser hinterlässt fiese Abdrücke im Gesicht.

Ich öffne den Kleiderschrank, der die einzige Wand belegt, an die man überhaupt etwas stellen kann, und gucke hinein. Gucke. Gucke. Gucke. Was ziehe ich bloß an, um über jeglichen Kommentar erhaben zu sein?

Unten poltert es schon. Heiner hat seine Eltern vom Flughafen abgeholt und schleppt gerade die souvenirbeladenen Koffer in den Flur, begleitet von den »Vorsicht! Vorsicht!«-Rufen seiner Mutter.

Ich verwerfe die Kleidungsfrage und renne nach unten, um sie zu begrüßen. Sie sehen noch etwas lederner aus als vor ihrer Abreise, sonnengegerbt. Sie erinnern mich an große, alte Handtaschen. An die dunkelbraunen Handtaschen meiner Oma.

»Hach, ich freue mich so, wieder zu Hause zu sein«, seufzt Heiners Mutter, »zwei Wochen Urlaub sind vielleicht doch etwas lang.«

Ja, denke ich, das ist wohl so – zumindest, wenn man sich nicht aus der Ferienanlage hinaus wagt, der Küche des Landes misstraut und unglücklich ist, wenn man kein eigenes Geschirr abwaschen und kein eigenes Unkraut zupfen darf. Für meine Schwiegereltern gilt nicht Home is, where the heart is, sondern: Home is, where the Eigenheim is. Oder: Wo die Geranien sind. Hoffentlich habe ich da noch ein bisschen Schonfrist.

Zunächst gehen wir in den Garten. Schwiegervater will mal richtig »an seine Grenzen gehen, höhöhö!«, also schlendern wir ein bisschen am Zaun entlang, begutachten wohlwollend den frisch gesprengten und gestutzten Rasen (»In Tunesien ist alles staubig. Da wächst ja nichts, nur in den Oasen so ein paar zerfledderte Palmen.«)

Ganz hinten bleibt Schwiegervater stehen, macht ein ernstes Gesicht und räuspert sich: »Wir haben uns da etwas überlegt.« Er breitet die Arme aus, fuchtelt gen Horizont, deutet über die sumpfige Wiese, die zwischen seiner Grundstücksgrenze und seinem Autohaus liegt, räuspert sich wieder. »Heiner, Silke, hört jetzt mal gut zu. Wir schenken euch dieses Grundstück. Da könnt ihr ein Haus bauen! Und dabei wollen wir euch natürlich unterstützen.«

Heiners Mutter guckt feierlich und ergänzt: »Diese Fertighäuser, die sind ja so günstig. Und qualitativ so was von hochwertig! Die Eders, die sind froh, dass sie ihr Okalhaus haben. Das ist nun schon über zwanzig Jahre alt und immer noch sehr gut.«

Ja, denke ich, für ein Haus ist zwanzig Jahre natürlich ein betagtes Alter. Man glaubt kaum, dass manche Gebäude sogar noch älter werden, gar ihre Besitzer überleben. Bewundernswert. Das Haus von Eders ist übrigens zartgelb, es sieht aus, als hätten zwanzig Jahre lang regelmäßig Hunde drauf-gepinkelt.

Ich gucke zur Wiese, sehe die Maulwurfshügel, den Löwenzahn, einen hohen Metallzaun, dahinter ein paar neue Opel Astra. Ich versuche mir, ein Haus darauf vorzustellen und sehe ein pissnelkengelbes, aber »immer noch sehr gutes« Fertighaus. Dann versuche ich mir, mich in diesem Haus vorzustellen. Doch das Bild wird nicht ganz scharf. Unter meinen Achseln ist es feucht. Ich fühle mich klebrig. Kein Wunder, es ist ziemlich schwül.

»Na, was ist? Freut ihr euch?«, fragt Heiners Mutter und fährt sich durch das blondierte, vom Chlor des Hotelpools etwas grünlich gewordene Haar.

Heiner grinst. Er sieht aus, als hätte er das alles erwartet. Als wäre das ganz selbstverständlich.

Ich öffne den Mund, weiß aber noch nicht genau, was ich sagen soll, da legt meine Mutter schon los: »Das ist doch ideal! Der Eingang muss nach dort«, sie deutet zur Straße, »das Carport kommt hier hin und die Terrasse am besten nach da hinten«, sie zeigt zum Autohaus, »im Anschluss an den Wintergarten. Aber ihr seid doch sicher hungrig! Wir können das ja beim Essen weiter besprechen.«

»Nächsten Sommer steht der Kasten«, stellt Heiner, frischgebackener Bauherr in spe, ebenso selbstbewusst wie selbstzufrieden fest.

Ich bleibe immer noch stumm. Mir fällt einfach nichts ein, was ich dazu sagen könnte.

Beim Essen werden die Vor- und Nachteile von offenen Küchen und einer Fußbodenheizung erörtert. Beim ersten muss man penibel Ordnung halten und immer sofort abwaschen, falls mal unangemeldeter Besuch kommt, beim zweiten drohen Venenprobleme bis hin zu Krampfadern. Bei mir wird von den beiden anwesenden Fachfrauen ein leichter Hang zur Unordnung und eine familiär bedingte Neigung zu Bindegewebs- und Venenschwäche diagnostiziert. Also käme wohl beides eher nicht in Frage. Bliebe also ein Wintergarten als exklusives Extra.

Ich erinnere mich an die Geranien, trinke mein Glas tunesischen Weines rasch aus und verabschiede mich nach oben.

»Kind, du bist so still. Was ist denn los?«, fragt meine Mutter.

»Och, nichts«, antworte ich, bevor ich gehe. Und denke: Gute Frage.

Was ist mit mir los?

Ich putze mir die Zähne, wie ich mir immer die Zähne putze – exakt drei Minuten lang. Wasche mir das Gesicht, ziehe mein Lieblings-Schlaf-T-Shirt an und lege mich ins Bett. Starre an die Raufaserschräge dicht über meinem Kopf und beginne, über mein Leben nachzudenken.

Das ist ziemlich ungewöhnlich für mich. Natürlich denke ich manchmal nach, und es ist nicht immer nur der Einkaufszettel für den nächsten Supermarktbesuch, der dabei herauskommt. Manchmal versuche ich auch wichtige Fragen der Menschheit zu lösen, zum Beispiel: Welchen Krieg planen die Amerikaner gerade? Warum geht nur jeder zweite Hefeteig auf? Wo sind meine Schlüssel, meine Geldbörse, mein Mobiltelefon, mein Führerschein? Oder, ganz wichtig: Warum sind alle Süßigkeiten im Haus immer nach spätestens vierundzwanzig Stunden verschwunden?

Wenn ich mir diese Liste anschaue: Es hat den Anschein, als dächte ich überproportional oft ans Essen. Aber woran soll man auch denken, wenn man keine Sorgen hat und keine komplizierten Hobbys?

Ich könnte mir meine Zukunft vorstellen, einfach mal so. Also los. Okay. Zukunft. Was ist denn Zukunft? Fangen wir erst mal klein an: Morgen. Morgen muss ich um sechs Uhr aufstehen, um acht Uhr in der Kreissparkasse sein – dort arbeite ich –, und abends treffe ich Brigitte, meine beste Freundin. Das war leicht. Weiter. Übermorgen: Genau wie am Tag davor, aber abends ist das Treffen vom Landfrauenverein. Ich habe meiner Mutter versprochen, sie zu begleiten.

Nee, aber jetzt mal im Ernst: Meinen Terminkalender durchzugehen hat nun wirklich nichts mit Zukunftsvisionen zu tun. So mache ich es mir zu leicht. Deshalb: Nächstes Jahr. Schon schwieriger. Ich sehe –

– nichts. Noch mal. Ich sehe: ein hundepipifarbenes Fertighaus, darin eine Frau mit einer figurfreundlichen Lycrahose und flottem Haarschnitt. Aber das bin nicht ich, die sieht aus wie aus einem Versandhauskatalog. Wahrscheinlich wurde sie mit dem Haus geliefert.

Als Wahrsagerin wäre ich aufgeschmissen. Die Kristallkugel würde sich rot färben vor lauter Scham über meine Phantasielosigkeit, der schwarzen Katze auf meiner Schulter stünden die Haare zu Berge. Vielleicht ganz gut, dass ich einem weniger schillernden Beruf nachgehe.

Was bedeutet es, dass ich nichts sehe und nichts fühle, wenn ich an meine Zukunft denke? Warum kann ich mir meine Zukunft nicht vorstellen? Heißt das, dass ich keine habe?

Wie sieht es denn in der Gegenwart aus? Kurze Bestandsaufnahme: Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt, lebe schon immer in diesem kleinen Dorf in der Nähe der großen Stadt – die aber für das gesellschaftliche Leben des Dorfes keine Rolle spielt und deren Existenz von fast allen hier völlig ignoriert wird –, bin seit Ewigkeiten mit Heiner zusammen, wohne nun schon zwei Jahre mit ihm in seinem Dachausbau, bin seit fünf Jahren bei der Sparkasse im Ort angestellt, bei der ich vorher eine Ausbildung zur Bankkauffrau gemacht habe. Ich bin, wahrscheinlich seit meiner Geburt, Mitglied im örtlichen Turnverein, obwohl ich so unsportlich bin, dass mir bei den Bundesjugendspielen sogar mehrfach die Siegerurkunde verwehrt wurde. Ich sehe mittelmäßig aus, fahre mittelmäßig Auto, bin eine eher unterdurchschnittlich gute Hausfrau, dafür aber überdurchschnittlich geduldig – auch und gerade mit Wollmäusen und dreckigem Geschirr. Trotzdem ist mein Leben, mit Ausnahme meines Kleiderschrankes und der Rückbank meines Autos, recht geordnet. Alles ist so, wie es sich gehört. Wie erwartet. Ich bin zufrieden.

Moment. Was heißt das: Wie erwartet? Von wem erwartet? Von mir? Und warum kommt das Wort »warten« darin vor? Wer wartet hier? Ich? Auf wen oder was? Und warum bin ich bloß zufrieden und nicht glücklich?

Das sind jetzt aber viele Fragen. Sehr viele für jemanden, der sonst nie über sein Leben nachdenkt. Wer soll die denn alle beantworten? Ich etwa? Und das nach drei Gläsern Wein. Bin schon ganz duselig im Kopf. Vielleicht liegt es daran. Ich sollte mit dieser Grübelei aufhören und mich einfach freuen. Über das Grundstück. Auf das Haus. Ist doch schön. Andere Frauen wären glücklich. Ich stelle mir fünf, zehn, fünfzehn andere Frauen vor, die wahnsinnig glücklich sind, weil sie mit Heiner und dem Geld von Heiners Schwiegereltern ein Fertighaus auf einer matschigen Wiese bauen dürfen. Die Damen flippen schier aus vor lauter Freude. Sie kreischen wie Zahnspangenträgerinnen beim Anblick einer Boygroup, sie weinen Tränen der Rührung und setzen zu einer Dankesrede an, als hätten sie gerade fünf güldene Bambis bekommen. Die schillernde Vorstellung dieser sich freuenden Frauen stimmt mich ein wenig heiterer. Ich mische mich in Gedanken unter sie und feiere mit. Das ist ein Happy-End. Schnitt, aus. Morgen ist morgen, da muss ich doch heute noch nicht drüber nachdenken. Das kommt ja auch ganz von alleine. Eigentlich ist ja alles in Ordnung.

Ach ja, ich war schon immer gut im Verdrängen.

Heiner kommt ins Bett. Er riecht komisch. So süßlich. Wahrscheinlich hat seine Mutter ihm etwas orientalisches Rasierwasser mitgebracht und darauf bestanden, dass er es sofort ausprobiert.

»Du riechst aber komisch!«, stelle ich fest.

»Meine Mutter hat mir so ein Eau de Toilette mitgebracht, ich musste es gleich ausprobieren.«

Wie gut ich ihn doch kenne. Ich drehe mich um, rolle mich trotz der Hitze fest in die Bettdecke ein. Draußen ist es hell, ein Blick auf den Wecker verrät mir: Es ist morgens, halb sechs. Bisschen spät für mütterliche Duftwässerchen, denke ich noch, bevor ich wieder einschlafe und von einer Neubausiedlung träume, die von hemmungslosen, sexhungrigen Marienkäfern bewohnt ist. Einer davon ist Heiner. Die anderen kenne ich nicht. Blöder Traum.

Mittwoch, 4. Mai

Nach der Arbeit gehe ich zu Brigitte. Sie wohnt direkt über der Sparkasse, mit Blick auf die Umgehungsstraße und den neuen Friedhof. Die Tür ist angelehnt, sie erwartet mich. Statt die Aussicht zu genießen, starrt sie gebannt in den Fernseher und ruft euphorisch: »Das musst du dir unbedingt ansehen, Silke! Die kommt heute Abend schon zum dritten Mal!«

Auf dem Bildschirm erkenne ich zwei junge Frauen, die so aussehen wie Brigitte und ich, nur lässiger angezogen und viel entspannter und ganz unauffällig auf natürlich geschminkt, so dass sie ungeschminkt wirken. Diese beiden geleckten, gestylten und wahrscheinlich sehr gut bezahlten Kopien von uns verbringen einen Tag am Meer. Anscheinend haben sie alle interessanten Gesprächsthemen schon erschöpfend abgehandelt, denn gerade reden sie über Verdauung. Meine Doppelgängerin zeichnet mit der Hand eine Schlangenlinie in den Sand: ihren Darm. Ganz poetisch wird ihre Zeichnung von der nächsten Welle weggewaschen. Brigittes Doppelgängerin verstärkt ihr Darmschlingenrelief mit einem Rand aus Muscheln – das Werk trotzt dem Wasser. Der Schriftzug eines neuartigen Medikamentes wird eingeblendet.

»Wir sollten am Wochenende an die Nordsee fahren, um an der Europameisterschaft der Innereien-Sandburgenbauerinnen teilzunehmen!« Brigitte lacht mit vollem Körpereinsatz, fällt dabei fast vom Sofa und verschüttet ihren Wein über den ohnehin schon rotweinroten Teppich. Ich nehme ihr das Glas ab, um den Rest zu retten.

»Los, probier schon«, fordert sie mich auf, als sie sich wieder eingekriegt hat. Brigitte sagt das in dem für sie typischen Ton, der keinen Widerspruch duldet – aber gleichzeitig auch so mitreißend ist, dass man gar nicht auf die Idee kommt, etwas dagegen halten zu wollen.

Ich nehme einen Schluck; zwar ist es erst sechs Uhr abends und draußen immer noch dreißig Grad warm, aber Brigitte versteht etwas von Wein, und außerdem soll in dieser Art Getränk ja die Wahrheit verborgen sein. Und Wahrheit ist doch das, was ich will – oder verwechsle ich das jetzt mit Klarheit? Zu spät.

»Der ist lecker«, sage ich, und dann übergangslos: »Sag mal, wie stellst du dir deine Zukunft vor?« Auf so eine spontane Frage erwarte ich natürlich keine Antwort. Trotzdem kommt sie ohne Zögern: Ein Weingut hätte sie gerne, dort will sie sich von ihrem Freund Wolfgang als schönste, begabteste und begehrenswerteste Winzerin der Welt anbeten lassen. Wo das Weingut ihrer Träume sich befindet, weiß sie noch nicht, zur Zeit favorisiert sie Italien. In fünf bis sechs Jahren soll das sein, dann will sie auf keinen Fall mehr hier im Dorf leben und auch nicht mehr als Kindergärtnerin arbeiten. Sie hätte selbst gerne ein Kind, mit Wolfgang natürlich. Brigitte weiß auch, dass sie in einem Jahr längere Haare haben wird als heute und eine schlankere Taille, weil sie sich fest vorgenommen hat, trotz Schnepfenalarm zum Aerobic zu gehen.

Brigitte weiß alles über ihre Zukunft. Ekelhaft genau kann sie die Details beschreiben und muss dazu noch nicht einmal lange nachdenken. Ich wage es nicht, sie nach dem Wetter und der Menufolge ihres fünfzigsten Geburtstages zu fragen, aus Angst, sie hätte auch darauf eine Antwort.

»Und wenn ich fünfzig werde«, setzt Brigitte unaufgefordert nach, »dann sitze ich in der Sonne am Strand und ernähre mich ausschließlich von frischen Früchten und selbst gefangenem Fisch. Zu meinem Geburtstag kannst du dich jetzt schon als eingeladen betrachten. Aber erwarte bloß keinen Kuchen!«

Das ist ja widerlich. War die schon immer so?

Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen: ja. Brigitte wusste schon immer, was sie wollte. Vor dreizehn Jahren hat sie beschlossen, dass wir befreundet sind. Wir waren beide vierzehn, als sie mit ihren Eltern ins Dorf gezogen ist. Die Familie kam direkt aus Singapur, weil ihr Vater beschlossen hatte, dass nach den hektischen Großstadtjahren etwas Landidylle gut für die Nerven seiner Lieben sein würde. Brigitte hatte orangerotes Haar und trug wehende Pumphosen. Ich wusste damals nicht, ob das nun einem exotischen Singapur-Style entsprach oder ihr ganz persönlicher Geschmack war – ich vermute mal: letzteres –, aber ich weiß noch, wie beeindruckt ich allein von ihrer Erscheinung war. Nicht nur ich: Alle waren hin und weg, zwischen fasziniert und schockiert. So eine hatten wir noch nicht gesehen. Binnen kürzester Zeit tauschte sie mit den coolsten Jungs an der Schule AC/DC-Singles, hatte den Mathelehrer zum Feind, dafür aber alle Sportlehrer als Fans, weil sie brillant Handball spielte, und einen Stammplatz im Schulbus: Die vorletzte Bank, direkt über der Heizung und etwas höher als die anderen Sitze. Der beste Platz im Bus. Niemand wagte, ihn ihr streitig zu machen. Und der Sitz neben ihr blieb immer frei, aus Respekt und ein bisschen sicher auch aus Angst. Eines Tages rief sie mir zu, als ich einstieg: »Hey, Silke, ich habe dir einen Platz frei gehalten!« Die anderen Schüler hielten den Atem an: Silke? Wieso ausgerechnet Silke? Ich setzte mich neben Brigitte. Und freute mich.

»Tolle Brille hast du auf! So eine wollte ich schon immer haben.«

Das verwirrte mich nun vollends. Ich war, selbst bei wohlwollender Betrachtung, ziemlich langweilig, und meine Brille ein ebenso schlichtes Modell mit Goldfassung von einem Uraltoptiker aus einem ziemlich unwirtlichen Viertel der nahegelegenen Großstadt. Besonders viel Auswahl hatte der nicht, aber meine Familie ging immer dorthin, weil der Laden direkt neben der Augenarztpraxis lag und diese wiederum nur ein paar Straßen von dem Betrieb entfernt, in dem mein Vater arbeitete.

Noch am selben Nachmittag machten Brigitte und ich uns auf den Weg zu diesem Optiker, eine kleine Weltreise. Brigitte suchte sich genau das gleiche Modell aus, rund und golden. Wir sahen aus wie kleine Mädchen, die John Lennon und Reinhard Mey gleichzeitig kopieren, fanden uns aber unglaublich cool. Dann stiegen wir in den falschen Bus, verfuhren uns in der großen Stadt, guckten Saturday Night Fever in einem schrabbeligen Programmkino, in dem jeder zweite Sitz zerbrochen war, fanden wie durch ein Wunder wieder nach Hause und amüsierten uns, wie wir uns noch nie im Leben amüsiert hatten. Halt, das gilt jetzt nur für mich. Ich wusste gar nicht, dass man überhaupt so viel Spaß haben konnte. Das lag an Brigittes direkter Art. Sie sagte immer, was sie dachte – und tut es auch heute noch. Dafür bewundere ich sie maßlos.

Brillen tragen wir übrigens schon lange nicht mehr, wir sind gemeinsam auf Kontaktlinsen umgestiegen. Ich habe sie nie gefragt, warum sie ausgerechnet mit mir befreundet sein wollte. Das kann ich mir bis heute nicht genau erklären.

»Du weißt immer was du willst«, stöhne ich leicht entmutigt.

»Stimmt«, antwortet Brigitte und zieht zum Beweis unsere Abi-Zeitung aus ihrem perfekt geordneten Regal. Diese Frau ist so verdammt gut organisiert, das macht mich noch wahnsinnig. Sie blättert kurz durch und hält mir dann eine aufgeschlagene Seite hin. Fotos von uns mit aus heutiger Sicht hochnotpeinlichen Frisuren: Ich trage einen blauschwarz gefärbten Topfschnitt, Brigitte hat – das hatte ich schon längst vergessen – eine Dauerwelle, die sie mit einem Kreppeisen nachbehandelt hat. Sieht aus wie dressierte Zuckerwatte.

»Sind wir freiwillig so herumgelaufen?« frage ich.

»Natürlich! Wir waren sogar stolz darauf. Aber lenk nicht ab. Guck mal lieber, was unter den Bildern steht.«

Ich lese: »Mit dreißig bin ich ...« Ach ja, das war diese alberne Umfrage. Bei Brigitte steht dort, natürlich: »... Winzerin.« Sie wusste es damals schon. Nach dem Abi hat sie einen Monat bei der Weinlese in Frankreich gejobbt, und in ihrem Regal stehen dreieinhalb Meter Fachliteratur. Sie hat Sommelierkurse besucht und pflegt an der Südwand des Hauses hingebungsvoll kümmerliche Reben, die schwer mit dem norddeutschen Nieselregenklima zu kämpfen haben. Sie wird es schaffen.

Gleich daneben sind Dodo und Sandra abgebildet, zwei Freundinnen von Brigitte und mir. Bei Dodo steht: »... Mutter von zwei Kindern«. Sie ist ein wenig über ihr Ziel hinausgeschossen, drei Gören sind es inzwischen geworden. Und Sandra hat knapp »Dr.« geantwortet. Sie studiert noch, Meteorologie, glaube ich, aber ganz sicher bin ich da nicht. Ich habe die Umfrage damals nicht besonders ernst genommen, deshalb steht unter meinem Bild nur: »... ähhhhh?« Ich fand das damals wohl lustig. Heute kommt es mir sehr entlarvend vor.

Brigitte sieht mich prüfend an. »Und wie stellst du dir deine Zukunft heute vor?« Die Gegenfrage. Die unbeantwortbare Frage. Die Bei-richtiger-(oder-falscher?)-Antwort-bekommen-Sie-ein-Traumhaus!-Frage.

»Ich weiß es nicht. Das ist ja mein Problem.« Ich erzähle Brigitte von dem Grundstück, dem Fertighaus, davon, dass alle so begeistert sind und niemand mich gefragt hat. Und dass ich, wenn ich mir meine Zukunft vorstelle, eine Frau sehe, die nicht aussieht wie ich und die von gelben Wänden umgeben ist. Gelb ist meine absolute Hassfarbe. Darin sehe ich aus wie vorgestern verblichen.

»Dann ist es auch nicht deine Zukunft, die du da siehst«, sagt Brigitte. »Dann ist es die Zukunft einer anderen.«

»Wessen Zukunft soll das denn sein, wenn nicht meine?«

»Keine Ahnung. Soll ich dir mal sagen, wie ich deine Zukunft sehe?«

»Aber gerne.« Ich bin gespannt. Und ein bisschen ängstlich.

»Nächsten Mai feiert ihr Richtfest. Heiner wird zu viel Bier trinken und etwas aus dem Rahmen fallen, das wird dir peinlich sein. Aber am nächsten Morgen hast du ihm wieder verziehen, wie immer. Im Juli ist das Haus fertig, ihr könnt einziehen. Die Einweihungsparty ist gleichzeitig eure Hochzeitsfeier, so schlagt ihr zwei Fliegen mit einer Klappe und spart euch ein Fest. Außerdem wird er dich eh erst heiraten, wenn das Haus steht. Damit es allein seins bleibt, die Ehe als Zugewinngemeinschaft, du weißt schon. Im Wohnzimmer habt ihr eine cremefarbene Sitzgarnitur, bestehend aus einem Drei- und einem Zweisitzer und einem Sessel. In der Mitte einen runden Couchtisch mit Steinplatte. An den Wänden Strukturtapete, damit es wohnlich wirkt. Den Kleiderschrank für das Schlafzimmer müsst ihr euch extra anfertigen lassen, denn ein normaler Schrank passt nicht unter die Dachschräge. Die Duschkabine ist aus Plastik, obwohl du lieber Glas wolltest, aber deine Schwiegermutter setzt die Sparlösung durch. Ihr werdet zwei Kinder haben, denn es gibt zwei Kinderzimmer. Alle sind sehr zufrieden. Ob du glücklich sein wirst, kann ich allerdings nicht sehen.«

Ich bin baff. »Du kennst mich aber gut«, entgegne ich beklommen.

Brigitte schüttelt mit dem Kopf. »Sagen wir mal: Ich kenne deine Mutter. Die Einrichtung, die ich da eben beschrieben habe, steht bei deinen Eltern im Wohnzimmer. Deine Mutter hätte nächstes Jahr bestimmt gerne eine neue Sitzecke, deshalb schiebt sie die alte an dich ab. Ich kenne Heiner, die Knauserigkeit seiner Familie, ich kenne das ganze Dorf. Ich weiß, wie man hier lebt. Und dich kenne ich einfach schon lange – aber ob ich dich gut kenne, das weiß ich manchmal gar nicht so genau.«

Etwas verwirrt antworte ich: »Wie meinst du das?« Ein kurzer Blick auf die Weinflasche. Die ist noch halb voll, Brigitte ist also nicht betrunken. Sie weiß anscheinend, was sie sagt. Und sie sagt: »Ich habe keine Ahnung, was du eigentlich willst, Silke. Du scheinst mit deinem Leben zufrieden zu sein, aber wahre Begeisterung ist da selten zu spüren. Ich habe dich nie um etwas kämpfen sehen. Du hast genommen, was du bekommen hast, und das schien dir immer genug zu sein.«

Das klingt jetzt irgendwie nicht nett, finde ich. Vielleicht bin ich ja gar nicht zufrieden, sondern nur zu friedfertig zum Kämpfen! Ich greife schnell zu den angeschmolzenen Schoko-Nikoläusen auf dem Tisch vor mir, um zu beweisen, dass ich manchmal sehr wohl weiß, was ich will, und wundere mich einen Moment: Nikoläuse im Mai?

»Brigitte,« frage ich, »warum steht hier ein bunter Teller? Haben wir Weihnachten? Es ist schon fast Sommer!«

»Du lenkst ab. Eine beliebte Taktik von dir.«

Das stimmt. Alles, was Brigitte sagt, ist wahr. Noch mehr dieser Wahrheiten kann ich an einem Abend nicht ertragen. Deshalb verabschiede ich mich – nicht ohne noch schnell einem Nikolaus den Kopf abzubeißen.

Zu Fuß brauche ich nur fünf Minuten nach Hause, deshalb gehe ich einen Umweg durch das Neubaugebiet. Der Name täuscht, die Häuser hier wurden in den frühen Siebzigern gebaut, sind längst von hohen Koniferenhecken umgeben, durch die Flachdächer regnet es rein, Carports stehen vor den Fassaden wie Zahnspangen. Früher gab es nur eine Garage pro Haus, doch dann kam der Wohlstand, mit dem Wohlstand ein Zweitwagen für die Frau Gemahlin und schließlich auch ein Carport. Neuerdings stehen quer vor dem Kleinwagen der Gattin immer öfter Motorräder. Schwere Maschinen, mit denen sich die über fünfzigjährigen Ehemänner die Midlife-Krise aus Hirn und Knochen knattern wollen. Die Dame des Hauses verfällt eher dem Dekowahn.

Die Ecke da vorne meide ich, dort wurde ich mal von einem kleinen schwarzen Hund gebissen. Das ist zwar mindestens achtzehn Jahre her und der Hund seit mindestens zehn Jahren unter dem Staudenbeet vergraben, aber man kann nie wissen.

Ich bin in diesem Ort aufgewachsen, verbinde mit jeder Straße, jedem Stück Rasen, jeder Bushaltestelle – okay, es gibt nur zwei – Erinnerungen. Doch manchmal, wenn ich morgens aus dem Haus gehe und zum Beispiel einen Brief einwerfen will, muss ich nachdenken: Wo war noch die Post? Wie komme ich da hin? Oder: Welches ist der kürzeste Weg vom Schützenhaus zum Supermarkt? Ich vergesse die einfachsten Routen. Ist doch seltsam.

Dabei bin ich hier zuhause. Bald sogar noch mehr: Ich werde ein Haus haben. Zumindest werde ich eines bewohnen. Ein ganzes.

Eine Liste werde ich schreiben. So, wie es in den Frauenzeitschriften immer empfohlen wird. Eine Liste mit meinen Zielen. Darauf wird stehen, was ich wirklich will. Ich werde es herausfinden. Ich werde dafür kämpfen. Morgen. Ach nee, morgen muss ich ja mit Mutti zum Treffen des Landfrauenvereins.

Donnerstag, 5. Mai

Hier im Dorf reicht es nicht, nur in einem Verein zu sein. Wenn man sich nicht verdächtig machen will, die Dorfgemeinschaft zu unterwandern und zu sabotieren, tritt man am besten allen Vereinen bei, zumindest den geschlechtsspezifisch dafür vorgesehenen. Was der Schützenverein für die Herren, das ist der Landfrauenverein für die Damen. Da wird zwar nicht mit einem Luftgewehr auf eine Scheibe mit Tiermotiv geballert, aber mindestens ebenso scharf geschossen. Die Waffen der Landfrauen sind blaukajalumrandete Verachtungsblicke, in süßlichem Ton vorgetragene, als Kompliment getarnte Gehässigkeiten und ein unerschütterliches Selbstbewusstsein. Damit meine ich vor allem die neue Generation, die unter dem Decknamen Ideenkreis junger Landfrauen die wahre Macht im Dorfe innehat. Unumstrittene Königin des Ideenkreises ist Monique. Sie hält inmitten der ihr treu ergebenen Freundinnen Hof, alle aufgedonnert, als hätten sie am Casting für ein Denver-Clan-Revival teilgenommen. Monique ist Friseuse, ihr gehört der Salon an der Hauptstraße, und wenn ich nicht wüsste, dass sie eine heimliche Affäre mit dem Bürgermeister hat, würde ich glauben, sie hätte ein Techtelmechtel mit dem Vertreter für Dauerwellflüssigkeit. Ob Betonlocken nun modern sind oder nicht, das spielt im Ort keine Rolle, denn Moniques Salon Scharfe Schere ist hier trend- und tonangebend, und was in ist, das entscheidet die Chefin noch immer selbst. Da Monique sich keine Angestellten leistet, stammen alle Frisuren der sie umringenden Damen aus ihrer Hand. Sie ist keine große Freundin der Vielfalt oder handwerklich nicht versiert genug, einen zweiten Schnitt oder einen anderen Farbton als Blond ins Programm aufzunehmen, deshalb sieht man sich hier ähnlich. Das wiederum stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Einmal war ich auch Kundin von Monique. Wie ich danach aussah, möchte ich an dieser Stelle verschweigen, das ist mir immer noch peinlich. Vier Wochen lang trug ich Pudelmütze, obwohl wir einen recht warmen Sommer hatten, ich täuschte eine Mittelohrentzündung vor. Seitdem lasse ich mir die Haare von Brigitte schneiden. Die bezieht ihre Kenntnisse zwar aus einem Buch über die Pflege und den Rückschnitt von Weinstöcken, aber das Ergebnis ist allemal besser als Moniques Höchstleistung.

Monique und ihr Kaffeekränzchennetzwerk sind stets über alles informiert. Sie wissen, wer ein neues Auto fährt und warum und was mit dem alten passiert ist. Sie kennen die geheimen Vorlieben jedes Junggesellen in ihrem Einzugsgebiet und wahrscheinlich auch aller anderen Männer unter sechzig. Und bald kennen sie auch alle Kniffe der perfekten Tischdekoration, denn davon handelt einer der beiden Vorträge, die heute beim Landfrauenverein auf dem Programm stehen. Das Thema des anderen ist Die Krise als Chance. Man kann nicht sagen, dass der Verein einseitig orientiert wäre. Es ist wirklich für jeden etwas dabei. Nächsten Monat gibt es Profitipps für die Reinigung der Haut und ein Referat über Genforschung und Alzheimer. Wie wäre es eigentlich mit Rezepte für ein romantisches Candle-Light-Dinner in Kombination mit Wieder Single – auch alleine glücklich sein? Oder etwas Skigymnastik kombiniert mit neuesten Erkenntnissen aus der Rheumaforschung?

Meine Mutter reicht mir eine Serviette, die ich mir auf den Schoß lege, in der Erwartung, dass gleich jemand etwas zu Essen serviert. Als sie das sieht, reißt sie den gestärkten Stoff von meinen Oberschenkeln und fuchtelt nach vorne, bis ich begreife: Ich soll der Demonstration der Referentin folgen und die Serviette zu einem Schwan falten. Ich gebe mir Mühe, beschwere mich aber gleichzeitig bei meiner Mutter, die mir versprochen hatte, dass hier gekocht würde und man alles direkt aufessen dürfe. Aber sie war wohl im Programmplan in der Zeile verrutscht, Leckerer Kompott aus Fallobst ist erst in zwei Monaten dran.

Weil ich mich nicht richtig konzentriere, sieht mein Schwan aus wie ein ausgekochtes Suppenhuhn. Monique und ihre Freundinnen grinsen hämisch zu mir rüber.

»Du könntest ruhig mal zurücklächeln«, zischt meine Mutter, also entblöße ich kurz meine Zähne in Richtung Denver Clan und widme mich dann schnell der nächsten Übung zu: dem Fächer. »Das ist genau das Richtige, wenn man zwölf oder mehr Gäste hat«, erläutert die fingerfertige Dozentin, denn das sei ganz schnell zu falten. Ich stelle mit vor, ich hätte zwölf oder mehr Gäste. Wenn man sich mit jedem unterhalten will, bleiben fünf Minuten pro Gast und Stunde. Bei drei Stunden Abendgesellschaft also eine Viertelstunde. Mit welchen zwölf Menschen würde ich mich gerne eine Viertelstunde lang unterhalten? So viele fallen mir auf Anhieb gar nicht ein. Vielleicht bleibt mir aber netto auch weniger Kommunikationszeit, denn als Gastgeberin muss ich ja gewisse Serviceleistungen erbringen, die auch wieder Zeit in Anspruch nehmen. Ich müsste zum Beispiel das Essen servieren. Was kocht man denn für zwölf Leute? Erbsensuppe? Wirkt dazu eine gefaltete Serviette nicht etwas überkandidelt? Ich komme nicht dazu, diese Fragen mit fachkundiger Hilfe zu lösen, da die Dozentin ihre Vorführung beendet hat.

»Wenn du erst mal im neuen Haus wohnst, kannst du auch mal ein paar Leute einladen«, freut sich meine Mutter. »Ich helfe dir dann auch bei der Dekoration.«

Ich lächle bei der Vorstellung, wie meine Mutter enthusiastisch Servietten zu Seesternen formt und horizontales Ikebana auf ihrem ausrangierten Ausziehtisch drapiert, der dann bei Heiner und mir im Wohn-Ess-Bereich steht, und ich in der Küche ein paar Dosen Erbsensuppe öffne.

»Was würdest du für so viele Leute kochen?«, frage ich sie, die erfahrene Gastgeberin, vorsichtig.

»Am Montag kommen vierzehn Frauen zu mir, da gibt es Lachs auf Spinat.« Sie senkt die Stimme verschwörerisch. »Natürlich mit dieser neuen Soße für Lachsgratin aus der Tüte vom Aldi. Die ist wirklich gut. Dann wird der Fisch nicht so trocken.«

Aha. Lachs und Spinat werden natürlich tiefgefroren gekauft, das muss meine Mutter nicht dazu sagen, das ist eh klar. Sie ist eine große Freundin von Convenience-Produkten, auch wenn sie den Begriff noch nie gehört hat. Wahrscheinlich ist das aber auch die einzige Möglichkeit, alle Leute am Tisch satt zu bekommen und dabei noch mit dem Drumherum Eindruck zu schinden. Vielleicht sollte ich einfach die Zahl der Stühle im neuen Haus auf sechs beschränken, dann komme ich nicht in die Verlegenheit solcher Massenabfütterungen.

Inzwischen läuft schon der Vortrag Die Krise als Chance. Es geht darum, dass man Probleme nicht als Probleme, sondern als Herausforderungen sehen soll. Vom Innehalten ist die Rede, von »einer gewissen ratlosen Scheu«, vom Stillstand. Und davon, dass man sich selbst ändern muss. Wie genau das gehen soll, wird aber seltsam verschleiert. Oder will ich davon einfach nichts wissen? Dennoch fühle ich mich angesprochen und kaufe nach der Veranstaltung an einem Informationstisch eines der empfohlenen Bücher, das jedoch sofort im tiefsten Innersten meiner Tasche verschwindet und dort höchstwahrscheinlich bis in alle Ewigkeit ratlos und scheu vor sich hin existieren wird.

Der anschließende gesellige Teil des Abends besteht darin, möglichst viel Prosecco zu trinken und dabei möglichst viele Informationen zusammenzuraffen, die man später gegen die betreffende Person verwenden kann. Zwischendurch, wie ein Refrain, kommen immer wieder die aktuellen Produkte von Tchibo ins Gespräch. Für Begeisterung sorgt vor allem der Tischgrill: »Endlich kann man auch mal ohne die Männer und ihr umständliches Holzkohleanzündergefummel und Grillzangengetue ein Barbecue veranstalten. Das ist ja viel zivilisierter und kultivierter, so ein Grill auf dem Tisch«, sagt eine Frau hinter mir. Meine Mutter antwortet mit diesem leichten Unterton, den ich manchmal bei ihr bemerke und so gar nicht einordnen kann: »Man muss nur aufpassen, dass niemand über das Verlängerungskabel stolpert.«

Hin und wieder rückt der Ideenkreis junger Landfrauen auch mit einer »ganz neuen« Idee heraus, nicht unbedingt einer eigenen, aber das schmälert den Stolz, der in Moniques Verkündigung mitschwingt, nicht im Geringsten. Sie bittet um Aufmerksamkeit, die sie natürlich sofort und ungeteilt bekommt, räuspert sich und sagt: »Wir haben uns überlegt, wir machen es wie diese Engländerinnen.« Immerhin verschweigt sie die Quelle ihres Ideenklaus nicht. Auch wenn niemand weiß, wer mit »diese Engländerinnen« gemeint sind.

Monique und ihre Getreuen wollen zu Geld kommen, indem sie einen Kalender produzieren und den »für einen guten Zweck« verkaufen. Natürlich nicht irgendeinen Kalender, sondern einen mit Nacktfotos. Von sich selbst. Nach einem englischen Vorbild, doch die Damen, die sich dort haben ablichten lassen, waren um einiges älter, das gab der ganzen Sache eine gewisse Originalität. Was der britische Kalender an Humor mehr hat, will Monique durch »künstlerischen Anspruch« wettmachen. Selbstironie liegt ihr nicht, stattdessen will sie Weichzeichner. Aber immerhin: Sie weiß, was sie will. Und sie ist bereit, dafür zu kämpfen. Sogar ohne Netz-Shirt und Doppel-D-BH.

»Aber für welchen guten Zweck ist das Geld gedacht?«, frage ich leise. Meine Mutter, der die ganze Angelegenheit nicht recht geheuer ist und die sich auch nicht als Model meldet, klärt mich auf: Die Grazien planen ein Frauen-Aerobic-Center. Monique hat angeblich den Bürgermeister soweit, dass die Gemeinde Land zur Verfügung stellt. Ein Zuschuss sei auch in Aussicht gestellt worden. Nun fehlt nur noch das Geld für den Bau.

Ich bin verwirrt. Seit wann ist die böswillige Vernichtung unschuldiger Cellulitis Anlass für eine Wohltätigkeitsveranstaltung? Und was ist an Aerobic öffentlich förderungswürdig? Wobei: Dass der Bürgermeister mit im Takt hüpft, ist nicht weiter verwunderlich. Den kann Monique bekanntermaßen wie eine ihrer güldenen Betonlocken um den Finger wickeln.

Die Elsen mit ihrem Pirelli-Kalender-Plan haben doch eine Vollklatsche! Meine Meinung dazu teile ich in etwas abgemilderter Form meiner Mutter mit, die nur meint: »Ist doch schön, wenn junge Mädchen Sport treiben. Du könntest auch mal etwas für deine Figur tun! Mit dem Hintern kommst du jedenfalls nicht in den Kalender.« Sie ist wohl nicht die richtige Gesprächspartnerin für das Thema. Trotzdem lasse ich sie wissen, dass ich mich nie und nimmer für einen Hupfdohlenkalender, der gutgläubigen Spannern das sauer verdiente Geld für einen zweifelhaften guten Zweck aus der Tasche zieht, entblößen würde.

Inzwischen haben sich schon zwölf Freiwillige zum Fototermin gemeldet, und Monique rechnet nach, ob das für einen Jahreskalender reicht. Anscheinend wollen die meisten ein Aerobic-Center haben, quasi als Gegengewicht zum Schützenhaus, das eher männlich dominiert ist. Und die Waffen der Landfrauen sind, da muss ich die Liste von vorhin ergänzen, anscheinend auch Bauch, Beine und Po.

Als ich nach Hause komme, liegt Heiner schon im Bett. Ich versuche ihn zu wecken, um ihm von dem exhibitionistischen Vorhaben der Landfrauen zu erzählen, aber er murmelt nur: »Das ist doch eine tolle Idee. Das könnten wir von der freiwilligen Feuerwehr auch mal machen«, dreht sich um und schläft weiter. Sind denn hier alle durchgeknallt?

Kapitel 2:Auf diese Steine könnten Sie bauen

Freitag, 6. Mai

Der Tag in der Sparkasse ist furchtbar. Oma Ellerbrock beschwert sich, dass ich die Kontonummer ihres Enkels, der ein Konto bei einer mir unbekannten schwäbischen Privatbank hat, nicht auswendig weiß. Dabei überweist sie ihm nun schon zum dritten Mal Geld, »also, langsam könnten Sie sich das wirklich mal merken!« Dummerweise ist mein Zahlengedächtnis nicht das beste, das ist im Job manchmal etwas hinderlich. Einen gewissen persönlichen Service erwarten unsere Kunden schon. »Wir sind ja nicht in einer anonymen Großstadt«, betont der Filialleiter gerne, »hier kennt man sich.« Die Sparkasse ist aufgebaut wie ein Tante-Emma-Laden, allerdings mit einer Panzerglasscheibe über dem Tresen und kleinen Schubladen, durch die man die Überweisungsformulare und das Geld schiebt. Automaten gibt es hier keine, weder zum Geld ziehen noch für Kontoauszüge. Aber vielleicht ändert sich das bald. In letzter Zeit gibt es immer wieder Gerüchte, die Filiale sollte modernisiert werden, der Raum würde »offener gestaltet«, so, dass auch die Angestellten frei herumlaufen könnten. »Endlich nicht mehr wie ein Leguan im Terrarium«, hofft meine Kollegin Susi und strebt so zielstrebig wie eine Echse im Winterschlaf auf ihre Tupperdose in der Mikrowelle zu. »Dann bewege ich mich automatisch den ganzen Tag und nehme wie von selbst ab!« Sie gießt Sahnesoße über ihren Gabelspagettiberg und seufzt in Erwartung besserer Zeiten.

Ich seufze auch, weil ich eine böse Ahnung habe: Mindestens eine Stelle wird gestrichen werden. Und das ist im Zweifelsfall meine. Einen anderen Job finde ich hier in der Gegend nicht. Also müsste ich in die Großstadt fahren. Jeden Tag im Stau, morgens und abends. Oder ich werde Hausfrau, noch bevor das Haus fertig ist. Ohne Haus hätte ich erst mal auch nicht so viel Hausarbeit. Trotzdem: Eine Perspektive ist das nicht.

Fünfzehn Überweisungen und einen Dauerauftrag später entkomme ich zu Hause knapp Heiners Mutter durch einen Sprint die Treppe hoch. Im Schlafzimmer zieht sich Heiner gerade um.

»Hat deine Mutter eigentlich etwas über ihre Geranien gesagt?«, frage ich ihn vorsichtig.

»Nö. Wieso?«

Es scheint also keinen Stress gegeben zu haben. Ich versuche deshalb, nicht also schuldbewusst zu klingen: »Weil die alle eingegangen sind.«

»Jaja, wegen dieser grassierenden Geranien-Grippe. Das hat deine Mutter meiner Mutter doch ellenlang erklärt. Wahrscheinlich warst du da schon im Bett. Muss ja eine fiese Seuche sein, man kann froh sein, dass man selber noch mal davon gekommen ist. Auf Kreta soll es auch ein paar Gärtner erwischt haben. Stand hier doch alles in der Zeitung. Sagt jedenfalls deine Mutter.«

Während ich Heiner zuhöre, wundere ich mich, dass er ein frisches Hemd anzieht. Das macht er sonst nie. In meiner Anwesenheit findet er ein gut durchgeschwitztes T-Shirt mit ein paar alten Ketchupflecken normalerweise angemessen. Trotzdem muss ich grinsen. Mutti ist doch die Größte – nie um eine Sensationsstory verlegen. Die Fakten sind wie immer auf die Schnelle für die Anwesenden nicht nachprüfbar: Heiner liest nur den Sportteil und seine Eltern waren auf einem anderen Kontinent. Und wenn Mutti Lust dazu hat, kann sie einem alles glaubhaft machen. Sogar eine Geranien-Grippe. Am 1. April hat sie mal mit einem gefakten »Hallo, hier ist ihre Telefongesellschaft! Ihr Gebührenzähler läuft und läuft und wir können ihn nicht abstellen, da muss ein Defekt ihrerseits vorliegen«-Anruf eine Freundin dazu gebracht, ihre Telefonleitung mit einer Schere durchzuschneiden. Ich muss sie gleich mal anrufen und mich bedanken.

Doch da klingelt schon das Telefon. Heiner ist schneller als ich. Er sagt nur kurz: »Ich komme«, legt auf und sprintet mit einem »Feuerwehrübung, tschüss!« die Treppe runter und aus dem Haus. Im frischen Hemd. Viel Spaß.

Meine Mutter hält mir am Telefon einen längeren Monolog über den Feuerteufel, der zur Zeit »die Gegend unsicher macht«, wie sie behauptet. Dass die beiden Brände, die es in der Gemeinde in den vergangenen beiden Monaten gab, mutwillig gelegt wurden, ist eine Theorie, die sie mit dem Lokalblatt teilt. Eine heiße Spur hat sie allerdings auch nicht – obwohl ja »heiß«, wie sie noch mal betont, in diesem Fall gut passen würde. Obwohl bislang nur leerstehende, verfallene Scheunen betroffen waren, ist sie in großer Sorge um ihr eigenes und alle anderen Häuser des Dorfes. Ich will gerade zu einem Beruhigungsversuch ansetzen, da leitet sie vom Thema »brennende Häuser« auf das Thema »brennendes Interesse daran, ein Haus mit auszusuchen« über und verpflichtet mich zum Besuch einer Fertighaus-Mustersiedlung morgen Vormittag: »Morgen ist Sonnabend, da geht Heiner ja immer Fußballspielen«, weiß sie, und: »Männer kann man bei solchen wichtigen Vorentscheidungen nicht brauchen. Denen präsentiert man am besten eine kleine Auswahl in Frage kommender Objekte. Also höchstens zwei.« Sagt meine Mutter.

Samstag, 7. Mai

Heiner sagt: »Jaja, mach nur.« Hauptsache Haus, der Rest ist ihm egal. Möglicherweise ist ihm auch alles egal, oder er hat gar nicht zugehört. Ich könnte auch allein frühstücken, das würde keinen großen Unterschied machen. Wenigstens müsste ich danach nur ein Gedeck abräumen und der Fußboden wäre nicht so krümelig.

Heiner hält den von ihm so geliebten Sportteil der Zeitung sehr hoch, so hoch, dass ich ihm nicht ins Gesicht sehen kann. Essen kann ich ihn auch nicht sehen, aber das ist auch besser so. Manche Leute haben ja getrennte Schlafzimmer. Ich wäre für getrennte Esszimmer.

»Du musst dich nur noch kurz überbürsten, dann können wir los«, sagt meine Mutter zur Begrüßung. Das sagt sie immer. Bürsten und kämmen nimmt in ihrer Welt einen wichtigen Stellenwert ein. Ich bürste mich nie. Aus Gründen des Generationenkonflikts und überhaupt. Ich habe noch nicht mal eine Bürste. Gebürstete Haare sehen immer strohig aus, sind elektrisch aufgeladen, knistern unangenehm und fliegen seltsam umher. Bürsten beraubt Haare jeglicher Struktur. Bürsten assoziiere ich mit Monique. Bürsten sind böse. Ich würde lieber in Domestos baden, mit den Zillertaler Schürzenjägern in Urlaub fahren oder die Namen aller in Europa beheimateten Insekten auswendig lernen, als mir die Haare zu bürsten.

Deshalb ignoriere ich die Aufforderung meiner Mutter wie immer - und steige in ihren Opel Corsa. Das schönste Auto der Welt, es fährt auch am besten, jedenfalls besser, als alle anderen Autos, die je produziert wurden, findet Mutti, mit Ausnahme des Modells, dass sie sich in zwei Jahren kaufen wird. Denn sie kauft sich spätestens alle vier Jahre ein neues Auto. Immer einen Opel – denn schließlich gibt es im Dorf die Opel-Vertretung von Heiners Eltern. Einen anderen Wagen zu wählen könnte deren Stolz verletzen, so etwas wie Blutrache auslösen, oder schlimmer: gesellschaftliche Degradierung. Heiner und ich würden dann zu Romeo und Julia.