Tapetenwechsel 1 - Kirsten Rick - kostenlos E-Book

Tapetenwechsel 1 E-Book

Kirsten Rick

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Beschreibung

Von der Kleinstadtidylle zum Großstadtchaos - Teil 1 des sechsteiligen Serials »Tapetenwechsel« von Kirsten Rick! Wer aus einer Zuchtbullenprämierung ein Event machen kann, dem gehört die Welt! Nach drei Jahren bei einem kleinstädtischen Käseblatt ist Redakteurin Katrin nun dort, wo sie immer hinwollte: bei einem Hamburger Hochglanzmagazin. Was zu ihrem neuen Ich noch nicht so recht passen will, ist ihre Wohnung in dem heruntergekommenen Haus auf St. Pauli. Für ihre Nachbarn dagegen ist es der Ort, wo sie Wurzeln geschlagen haben. Als der alte Kasten abgerissen werden soll, wollen sich Jan, der erfolglose Künstler, Erna mit den zierlichen Pantöffelchen und Heidi, die esoterisch angehauchte Gärtnerin, wehren. Die patente Katrin, die es gewöhnt ist, einen Stier bei den Hörnern zu packen, ist ihre einzige Hoffnung …

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Seitenzahl: 90

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Kirsten Rick

Tapetenwechsel 1

Serial Teil 1

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

PrologTeil 1: Anfangen1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel
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Prolog

Man muss auch mal ins kalte Wasser springen. Meine Worte. Mein Lebensmotto. Das habe ich oft genug zu anderen gesagt, ob sie es nun hören wollten oder nicht. Natürlich war das symbolisch gemeint. Nie, nie, nie habe ich dabei an echtes Wasser gedacht. Und wenn, dann vielleicht höchstens an den Pool eines Wellness-Resorts – obwohl: Wenn dort das Wasser kalt gewesen wäre, hätte ich mich wahrscheinlich sofort bei der Geschäftsleitung beschwert.

Aber jetzt bin ich in keinem Wellness-Resort, sondern auf der »New Orleans Queen«, einer Art Schaufelraddampfer, der auf der Elbe auf und ab schippert und dabei ungefähr so deplaziert aussieht wie ein Marzipanschweinchen auf einem Matjesbrötchen. Der Chefredakteur des Lifestyle-Magazins Ancilla hat den schwimmenden Touristenmagneten gebucht, um die neueste Erfolgsmeldung angemessen zu feiern: über dreihunderttausend verkaufte Exemplare! Angemessen heißt: mit Anzeigenkunden, Clarks immens wichtigen Freunden aus dem Showbiz und dem Rotlichtmilieu und mit der Redaktion. Ich bin Redakteurin bei Ancilla. Leitende Redakteurin. Vielfache Ressortleiterin. Entertainment, Lust & Liebe, Reise, Gesundheit, Essen & Trinken – alles meins. Das klingt so, als wäre ich wichtig. Bin ich auch. Zumindest in dem Ancilla-Kosmos, dieser Welt aus Glitzer und Glamour, teuren Abendroben und noch teureren Nachtcremes, Bambi-, Echo-, Gold- und Was-weiß-ich-Verleihungen, akzentuierten Verwöhnmomenten und exklusiven Genussstrategien. Ich mache mich gut in dieser Welt. Mein Kleid schmiegt sich elegant an meinen mit kostbaren Produkten gepflegten Körper, in meinem Glas prickelt Champagner, und ich lehne mich sehr dekorativ gegen die Reling. Kate Winslet in »Titanic« ist gegen mich so unscheinbar wie ausgeleierter Doppelripp. Ich passe hierher, auf diesen aufgetakelten, bunt beleuchteten Kahn, zwischen die Mediengestalter und -gestalten. Ich bin eine von ihnen. Ich bin dort, wo ich immer sein wollte. Bin das, was ich immer sein wollte.

Aber es fühlt sich nicht mehr richtig an.

Das soll alles sein? Ist mir das hier wirklich wichtig?

Ich starre ins Elbwasser. Das sieht nicht nur kalt aus, sondern vor allem dreckig. Wer weiß, wo das herkommt und was da alles drin herumschwimmt. Fische mit drei Köpfen, vor Jahrzehnten ertrunkene und von Schiffsschrauben zerkleinerte Taucher, Lack- und Lösungsmittelreste aus den Docks der Werften …

Ach was. Soll doch inzwischen ganz gut sein, das Elbwasser. Hin und wieder wird sogar ein »Elbe-Badetag« veranstaltet. Nicht, dass ich je dabei gewesen wäre. Ich meide Volksfeste. Aber ich habe mal ein Bild in der Zeitung gesehen: ein Mann mit beeindruckendem Bauchansatz und sehr kleiner Badehose vor gigantischem Containerschiff. Animierend war das Bild nicht gerade.

Ich nehme noch einen Schluck Champagner und nicke leicht abwesend Clark, meinem Chefredakteur, zu. Wir schippern an der Hafenstraße vorbei, den ehemals besetzten Häusern. Die Kolleginnen aus dem Mode-Ressort lästern.

»Hätte man einfach abreißen sollen, diese hässlichen verfallenen Dinger. Und dann die Schmierereien! Ist ja grauenhaft! Diesen Leuten fehlt jegliches Gefühl für Stil und Ästhetik!«

Ich denke an das Haus, in dem ich wohne, ein paar Straßen dahinter. Ob es noch steht, wenn ich wiederkomme? Und wenn ja, steht es dann morgen auch noch? Und nächste Woche? Nächsten Monat? Diese Fragen sind nicht unbegründet.

Geblendet von der ganzen Glitzerwelt, im Sog der Deadlines und gesellschaftlichen Verpflichtungen, hatte ich fast vergessen, was mir wirklich wichtig ist: mein Zuhause.

Mir ist, als hinge ich zwischen zwei Welten. Eine bildschön, begehrenswert, voller Annehmlichkeiten. Diese Welt braucht mich nicht, aber ich dachte immer, ich brauche sie. Die andere Welt: unvollkommen, bröckelig, leicht angeschmuddelt. Aber auch liebenswert. Eine, zu der ich nie dazugehören wollte. Die mir egal, sogar etwas lästig war – bis sie mich in ihren Bann zog. Die echte Welt. Sie ist in höchster Not, sie braucht mich jetzt. Vielleicht kann ich sie retten. Ich muss mich entscheiden.

Probeweise lasse ich das Glas ins Wasser fallen. Das geht ganz leicht – einfach den Stiel loslassen und schwups. Es ist sofort weg. Ein Containerschiff der »Grimaldi«-Linie kommt uns entgegen, groß und hässlich wie ein Baumarkt, nur höher.

Man muss auch mal ins kalte Wasser springen. Mein Motto.

Und jetzt?

Soll ich springen?

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Teil 1:Anfangen

1. Kapitel

Das ist meine große Chance: Mein Traumjob ist zum Greifen nah. Der Chefredakteur von Ancilla hat mich zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Ancilla ist die Nummer eins der Glamour-Fashion-Hochglanzmagazine. Da will ich hin.

Bislang, in meinem Job bei der »Lüneburger Landeszeitung«, konnte ich mich nicht so richtig entfalten. Hier ein kleiner Skandal im Kirchenvorstand, dort die Einweihung eines neuen Kliniktraktes, dann mal ein vergiftetes Zuchtkaninchen – so richtig glamouröse Themen waren dort selten. Daher habe ich nebenbei eine Wochenendbeilage entwickelt und mit allem gefüllt, was nichts mit dem schnöden Alltag zu tun hatte. Stars (oder solche, die zumindest im Umkreis von dreißig Kilometern leidlich bekannt waren), Mode (oder was man in der Kleinstadt dafür hält), Schminktipps – eigentlich habe ich versucht, die Ancilla nachzubauen. In Schwarzweiß auf Zeitungspapier statt in Hochglanz. Für mich war das Ergebnis ziemlich unbefriedigend, aber bei den Lesern kam es gut an. Die besten Texte daraus habe ich jetzt in meiner Mappe, die steckt in meiner Tasche, und die klemme ich mir fest unter den Arm.

Der Job ist perfekt für mich, das spüre ich. Jetzt muss ich beweisen, dass ich auch perfekt für diesen Job bin. Zeigen, dass ich mehr kann, als auf Pudel-Champion-Ehrungen eine gute Figur zu machen, enthüllende Interviews über den schlechten Zustand der Grundschulturnhalle zu führen oder über die Tatsache, dass der Kassenwart des Schützenvereins die Einnahmen veruntreut hat.

Mit hocherhobenem Kopf und gestrecktem Rücken gleite ich geschmeidig durch die Drehtür des Verlagsgebäudes. Ich bin bereit zum Sprung – wie eine Raubkatze, die ein neues Revier erobert. Zumindest äußerlich. Innerlich bin ich eher eine Hauskatze, die sich fragt, ob es ihr zusteht, auf das Sofa zu springen. Immerhin.

Die Haare der Empfangsdame schlängeln sich wie dichte Lianen um ihren Kopf. Ihre Augen funkeln wie exotische Schmetterlinge. Das mag am großzügig aufgetragenen Lidschatten liegen. Ich mache mir in meinem Kopf eine Notiz: mehr Make-up auflegen! Im Dschungel gilt es aufzufallen.

»Zu wem möchten Sie?«, fragt der Schmetterling.

»Ich bin Katrin Weilrich und ich habe einen Termin bei Ancilla. Mit dem Chefredakteur«, sage ich mit möglichst fester Stimme.

Die Empfangsdame flattert mit den Schmetterlingsflügel-Augendeckeln und wendet mit ihren perfekt lackierten Fingernägeln grazil eine Liste hin und her.

»Ah ja, Sie sind angemeldet. Dritter Stock, in der Halle die Wendeltreppe hoch, rechts um die Ecke die Galerie entlang, dann die zweite Tür links. Aber erst müssen Sie dies hier ausfüllen.« Sie schiebt mir einen Block und einen Kuli zu. Ich trage meinen Namen ein, die Uhrzeit und den Grund meines Besuchs und erwäge noch kurz, den Mädchennamen meiner Urgroßmutter, meinen Aszendenten und noch ein paar wichtige Daten, die mich eindeutig als harmlosen Menschen ausweisen, hinzuzufügen. Die Rubrik »Verlassen des Gebäudes um … Uhr« irritiert mich. Woher soll ich denn das wissen? Und: Ich will doch gar nicht wieder gehen, ich will bleiben.

Die Schmetterlingsfrau kann Gedanken lesen. »Das fülle ich nachher aus«, beruhigt sie mich. »Hier ist Ihr Gästeausweis, den tragen Sie bitte deutlich sichtbar am Körper. Ich melde Sie telefonisch an. Viel Spaß!«

Ich bin zu stolz, noch mal nach dem Weg zu fragen, und gehe zum Fahrstuhl. Neben dem Knopf mit der Drei klebt ein Schild mit der Aufschrift Ancilla. Geht doch. Sobald der gläserne Fahrstuhl außer Sichtweite der Empfangsdame ist, lasse ich den Gästeausweis unauffällig in meiner Tasche verschwinden. Ich will kein Gast sein, ich will dazugehören.

 

Als ich aus dem Fahrstuhl trete, galoppiert eine Horde Gazellen an mir vorbei. Langbeinige Grazien, wunderschön anzusehen. Bestimmt aus dem Mode- oder Beauty-Ressort. Sie folgen einer Art Kreuzung aus Kaffernbüffel und Hyäne: einem nicht gerade großen Mann, dessen schlaffes Doppelkinn als eindrucksvolle Hautfalte herunterhängt. Seine für sich genommen schönen, großen, geraden Zähne dominieren sein Gesicht und bilden einen reizvollen Kontrast zu seinem nur unregelmäßig sprießenden, vermutlich einst lockigen Haupthaar, in das sich die Jahresproduktion eines Olivenölbauern verirrt zu haben scheint. Auf seinen kurzen Beinen bewegt er sich erstaunlich flink. Er scheint mich gesehen zu haben, ändert seine Laufrichtung und schnellt direkt auf mich zu.

»Na, Schätzchen, was willst du denn hier?«, fragt er frech. Er legt seinen Kopf leicht in den Nacken und bleckt die Zähne.

»Ich wüsste nicht, was Sie das angeht. Gehen Sie lieber wieder mit Ihren Puppen spielen«, antworte ich kühl. Ich lächle dabei distanziert-freundlich, denn schließlich will ich potenzielle neue Kollegen nicht verschrecken. Ich bin stolz auf mich. Eine schlagfertige Antwort genau im richtigen Moment abfeuern zu können ist selten. So selten wie unrasierte weibliche Beine in der Bikinisaison. Aber es ist weitaus cooler.

Der Büffel guckt verblüfft. Die Gazellen kichern nervös. Vielleicht bin ich zu weit gegangen. Ach Quatsch. Er ist zu weit gegangen. Er grinst und dreht ab. Ich bin erleichtert. Komischer Typ. Was der hier wohl für einen Job hat? Egal. Kann ja so doll nicht sein, bei dem Benehmen. So etwas Respektloses! Innerlich zittere ich ein wenig, vor Wut und Anspannung, die sich auch nicht wieder lösen will. Aber ich lasse mir nichts anmerken. Ich muss die Nerven behalten. Ich bin ganz kurz vorm Ziel.

Meine Freundin Eva hat mir das Vorstellungsgespräch bei Ancilla vermittelt. Solche Jobs werden nicht in Zeitungen inseriert, die werden so vergeben. Über Kontakte. Bei ihrem letzten Besuch bei mir nahm sie ein paar der von mir entwickelten Wochenendbeilagen mit und zeigte sie jemandem. Sie kennt sehr, sehr viele Menschen, die »was mit Medien« machen.

»Die Dinger sind das beste Bewerbungsmaterial«, hat sie gesagt. Und dann kam die Einladung zum Vorstellungsgespräch.

 

»Hallo, bist du Katrin?«

Ich habe die Frau gar nicht bemerkt, die soeben neben mir aufgetaucht ist, und schrecke zusammen. Sie trägt ein weiches, eng anliegendes Strickkleid und ein ebenso kuscheliges Lächeln.

»Du kommst zum Vorstellungsgespräch, nicht wahr?«

»Genau«, antworte ich.

Sie reicht mir ihre Hand, das Armband daran klingelt einladend. »Ich bin Maria, Assistentin des Chefredakteurs. Ich bringe dich zu ihm.«

»Danke«, antworte ich, bin aber leicht irritiert darüber, dass Maria mich wie selbstverständlich duzt. Vielleicht hält sie mich für eine Praktikantin?

Mit kleinen, sicheren Schritten geht Maria vor mir die steile Wendeltreppe hinauf, die mitten im Foyer steht und zu einer Galerie führt. Die Treppe sieht filigran, elegant und dabei gleichzeitig tückisch aus. Wäre dies hier eine Soap, wäre dies der Ort, an dem Intrigen geschmiedet und ausgeführt werden. »I don’t do stairs« ist mein Lieblingszitat von Mariah Carey; keine Treppen, diese Regelung lässt sich die Diva angeblich sogar in alle Verträge schreiben. Durchaus sinnvoll, finde ich, als ich versuche, Maria zu folgen.

»Halt dich besser fest!«, ruft sie mir lässig über die Schulter zu. »Die Treppe ist nichts für Anfänger.«