Tapetenwechsel 4 - Kirsten Rick - E-Book

Tapetenwechsel 4 E-Book

Kirsten Rick

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Beschreibung

Von der Kleinstadtidylle zum Großstadtchaos - Teil 4 des sechsteiligen Serials »Tapetenwechsel« von Kirsten Rick! Wer aus einer Zuchtbullenprämierung ein Event machen kann, dem gehört die Welt! Nach drei Jahren bei einem kleinstädtischen Käseblatt ist Redakteurin Katrin nun dort, wo sie immer hinwollte: bei einem Hamburger Hochglanzmagazin. Was zu ihrem neuen Ich noch nicht so recht passen will, ist ihre Wohnung in dem heruntergekommenen Haus auf St. Pauli. Für ihre Nachbarn dagegen ist es der Ort, wo sie Wurzeln geschlagen haben. Als der alte Kasten abgerissen werden soll, wollen sich Jan, der erfolglose Künstler, Erna mit den zierlichen Pantöffelchen und Heidi, die esoterisch angehauchte Gärtnerin, wehren. Die patente Katrin, die es gewöhnt ist, einen Stier bei den Hörnern zu packen, ist ihre einzige Hoffnung …

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Seitenzahl: 102

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Kirsten Rick

Tapetenwechsel 4

Serial Teil 4

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Teil 3: Aushalten17. Kapitel18. KapitelTeil 4: Festlegen19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel
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Teil 3:Aushalten

17. Kapitel

Ich stehe vor der Ladentür und wundere mich. Renates Spezialitätengeschäft ist geschlossen. Merkwürdig.

Mein Telefon klingelt. Mal wieder nicht ganz leicht zu erkennen, der Klang ähnelt eher einem Zugunglück mit eingebautem Schiffstuten. Bestimmt der neueste Hit in Stranddiscos. Wer zum Teufel hat sich diese Mobiltelefoneinstellungen ausgedacht? Die Grüne Mamba, eine von den Modeschlangen aus der Redaktion, zischt mir ins Ohr: »Also, der Vorspanntext für die Bohème-Strecke, der hat so gar nicht den Spirit.« Ich wundere mich über ein paar Cocktailkirschen, die jemand vor dem Gulli aufgetürmt und mit bunten Piekern dekoriert hat. »Das sollte eher in so einem urban-mondänen look and feel gehalten sein, d’accord? Ein Hauch coole Sexyness. Ich bin nicht sicher, ob du das so rüberbringen kannst, wie ich das fühle.«

»Doch! Kann ich!«, entgegne ich trotzig. Als ob diese Natter überhaupt irgendetwas fühlen würde.

Auf dem Weg zum Bus denke ich, dass ich gerne ein Fahrrad hätte. Dann würde ich jetzt auf einem bequemen Sattel sitzen und ganz gemütlich in die Redaktion rollen. Ich überlege kurz, ob ich Heidi fragen soll, aber die lädt schon wieder jede Menge Kisten auf ihr Rad, scheint es also selbst zu brauchen. Auf einem Rad hätte ich allerdings auch die folgende, sehr interessante Begegnung verpasst.

Der Mann, der an der Ampel neben mir steht, ist mir zuerst gar nicht aufgefallen. Dabei ist er der Einzige, der hier steht. Völlig konzentriert achte ich auf den Verkehr, schließlich will ich ja nicht noch mal fast überfahren werden. Es ist wärmer als gestern, ich schwitze ein wenig.

»Entschuldigen Sie bitte.« Die Stimme ist so leise, dass ich sie fast nicht höre. Immerhin stehen wir an einer vierspurigen Straße. Ich drehe den Kopf zur Seite. Hat jemand was zu mir gesagt?

»Entschuldigen Sie bitte«, wiederholt der Mann und starrt auf meine Schuhe: die Sneakers, ein Adidas-Modell aus den 70ern, original, keine Wiederauflage. Einmal, auf einer der obligatorischen Goldverleihungen, kroch ein Fotograf um meine Füße herum. Ich dachte, er sucht etwas, vielleicht seinen Kameradeckel, aber nein, er sah nur kurz zu mir hoch und sagte: »Wow, diese Schuhe! Kann ich Ihre Telefonnummer haben?«

Ich antwortete, meine Schuhe hätten keine Telefonnummer und ließ ihn abblitzen.

Keine Ahnung, warum ich das bei diesem Typen nicht gemacht habe. Wahrscheinlich, weil er weder die Telefonnummer meiner Schuhe noch meine wollte. Dieses mickrige, fast durchsichtige Männchen mit der leisen Stimme wollte etwas anderes.

»Könnte ich Ihre Socken haben?«, fragt er, und ich verstehe ihn, weil in diesem Moment gerade kein Schwertransport vorbeidonnert. Ich meine: Ich verstehe ihn akustisch, aber inhaltlich kommt mir das doch sehr ungewöhnlich vor, deshalb frage ich zurück:

»Sie wollen WAS?«

Instinktiv sehe ich mir seine Füße an. Er trägt Halbschuhe, Leder, gute Qualität, darin – Socken. Er hat doch welche, denke ich. Und dann: Der hat sie doch nicht mehr alle.

»Wissen Sie«, flüstert er. »Ich habe es gerade nicht leicht.«

Er atmet tief durch, ich auch. Sehr sinnvoll, direkt hier an der Stresemannstraße. Was kommt denn nun, denke ich. Bitte verschonen Sie mich mit einem schlimmen Schicksal, unheilbaren Krankheiten, eingegangenen Zimmerpflanzen, vergilbten Zehennägeln, verstorbenen Verwandten, baufälligen Häusern oder ähnlichem Gruselkram. Die Fußgängerampel schaltet zum zweiten Mal auf Grün. Aber ich bleibe tapfer dort, wo ich bin.

»Ich stehe auf Socken«, wispert das Männchen.

Na klar, denke ich, er steht auf Socken.

»Und zurzeit, ich meine, im Sommer, bei dem Wetter – es ist einfach keine Saison. Sehen Sie sich doch mal um. Keine Frau trägt jetzt Socken.«

Ich schaue mir die vorbeigehenden Frauenfüße an. Sandalen, Flip-Flops, Pumps. Dieser »Ich ziehe mich zu warm an und bin deshalb cool«-Trend hat sich anscheinend noch nicht bis zum Damenfuß vorgearbeitet. Okay, Schals tragen die vorübergehenden Frauen. Tücher und lange Schals. Aber keine geschlossenen Schuhe. Und keine Socken.

»Nur Sie. Sie sind meine Rettung!«

Er sieht mich so flehentlich an, dass ich fast vergesse, dass er mich nicht angesprochen hat, weil meine Socken ihm so gut gefallen haben, sondern aus Mangel an anderen Gelegenheiten.

»Sie sind also Sockenfetischist?«, frage ich trocken zurück. Ich bin fast ein bisschen enttäuscht. Fetischisten stellt man sich doch irgendwie – zumindest interessanter vor.

Dieses Männchen hier ist leider komplett beige. Angefangen von den Haaren über den Hautton bis zur Kleidung. Ein beiger Sockenfetischist, der in der Tasche seiner beigen Hose nestelt und zum Glück nichts Beiges hervorzieht, sondern einen Geldschein.

»Ich würde Ihnen Ihre Socken abkaufen. Für zwanzig Euro.«

Er will meine Socken kaufen. Verrückt. Witzig. Die Modenattern wären garantiert schreiend weggerannt, stelle ich mir vor. Das entspräche überhaupt nicht ihrem look and feel, was immer das auch bedeuten mag. Ich bin – vielleicht auch aus Trotz – ein wenig anders.

Ich habe mich ja inzwischen daran gewöhnt, dass Knallchargen wie Matthias Dört sich Socken von mir besorgen lassen, aber dass einer es sich mit meinen getragenen Socken besorgen will. Total absurder Gedanke. Mir fällt ein: Das sind die guten von Falke. Kosten neu zwölf Euro das Paar. Das wären acht Euro Gewinn. Ich bin ja keine Krämerseele, aber das scheint mir doch zu wenig für so ein gefragtes Produkt. Wo ja auch gerade nicht Saison ist. Erdbeeren sind im Winter auch teurer.

»Fünfzig Euro«, sage ich trocken. Mal sehen, ob er sofort darauf eingeht oder ob er handeln will.

Er schluckt, sein kleiner Adamsapfel hüpft. »Wie lange haben Sie die denn schon an?«

Ich überlege kurz. Was ist jetzt die beste Antwort? Hm, er will ja getragene Socken. Deshalb lüge ich: »Seit drei Tagen.« Er sieht aus wie ein Alkoholiker auf Entzug angesichts eines Glases Champagner.

»Okay«, sagt er und kramt noch einen Zwanziger und einen Zehner hervor.

Das ging ja leicht. Vielleicht hätte ich noch mehr verlangen sollen.

Ich sehe mich um. Wie machen wir jetzt die Übergabe? Keine Bank in Sicht, deshalb setze ich mich auf einen der allgegenwärtigen Poller, öffne meine Schnürsenkel, schlüpfe aus meinen Keglern, ziehe die Socken aus und gebe sie ihm einzeln. Er hat inzwischen einen kleinen Plastikbeutel aus der anderen Hosentasche gezogen, ein Beutelchen, in dem man unter anderen Umständen Lebensmittel einfrieren würde. Dazu eine Klemme. Er legt die Socken vorsichtig in die Tüte und verschließt diese sorgfältig. Geradezu erleichtert sieht er aus.

Ich ziehe schnell die Schuhe wieder an. Meine nackten Füße soll er nicht sehen. Obwohl: Vielleicht sind die für einen Sockenfetischisten gar nicht so interessant?

»Viel Freude damit«, wünsche ich ihm.

»Danke schön. Sie haben mir den Tag gerettet!«

Das ist ja mal was. Es ist erst kurz nach zehn, und schon habe ich jemandem den Tag gerettet. Wie ein Pfadfinder komme ich mir vor, täglich eine gute Tat. Dabei bin ich gar nicht so karitativ veranlagt. Aber Socken verkaufen, das geht schon mal.

 

Der Socken-Deal scheint mein Highlight des Tages zu bleiben. Ich frage Maria, Clarks Assistentin, ob Clark schon gesagt hat, wie er das gekürzte Interview findet. Sie hat noch nichts von ihm gehört, verspricht aber, mir Clarks Reaktion sofort zu melden. Clark bekomme ich gar nicht zu Gesicht. Allerdings habe ich auch überhaupt keine Zeit, vor seiner Tür herumzuhängen und zu warten, ich bin spät dran – Clark fängt immer schon um sechs an, das liegt mir genauso wenig wie karitatives Engagement – und muss noch schnell ein paar Seiten für meine hunderttausend Ressorts fertig machen.

Es ist schon ein Jammer: Ich werde zu ganz wunderbaren Pressereisen eingeladen, eine Woche Tunesien, Wandern auf den Kanarischen Inseln, Schlemmen auf Sylt, sogar eine Karibikkreuzfahrt. Und ich kann keine einzige dieser Einladungen annehmen. Logisch, könnte man denken, das wäre ja überhaupt nicht journalistisch, sich erst einladen zu lassen, auf Kosten des Tourismusverbandes oder eines Reiseveranstalters Folkloreshows, Thalasso-Anwendungen und exzellente Weine zu genießen, und dann zum Dank einen sechsseitigen Artikel voll des Lobes zu verfassen. Nein, das hat mit verantwortungsvollem Journalismus wirklich nichts zu tun. Aber das ist egal, denn Ancilla hat mit Journalismus eh so viel zu tun wie ein selbstgehäkelter Bikini mit der neuen Missoni-Kollektion.

Ancilla ist eine Hochglanzzeitschrift, mit der sich die Leserinnen amüsieren und über die neuesten Trends informieren wollen. Der Verlag will Geld verdienen, deshalb sind das Wichtigste die Anzeigenkunden. Und Reiseveranstalter schalten keine Anzeigen. Deshalb gestattet Clark es mir nicht, meine wertvolle Arbeitskraft auf irgendwelchen Lustreisen zu verschwenden. Bei den Damen aus den Mode- und Beauty-Ressorts sieht das natürlich anders aus. Die müssen alle Einladungen wahrnehmen. Ob zum Fingernagelvergolden nach Dubai, zur Präsentation eines neuen Designerlabels nach Miami (South Beach, das Art-Déco-Viertel) oder auch, um die Premiere eines neuen Duftes in einem Riad-Hotel in der Medina von Marrakesch zu erleben – sie dürfen nicht absagen. Die Anzeigenkunden müssen gepflegt und gehätschelt werden, deshalb nehmen die Kolleginnen all diese Strapazen auf sich und lassen diese ganzen Sonderbehandlungen klaglos über sich ergehen. Man ist käuflich – das ist kein Geheimnis, sondern ein Geschäft.

Also schleudere ich schwungvoll einen Stapel Einladungen in den Papierkorb, sortiere dann den Rest der Post, höre mich nebenbei durch ein paar neue CDs, schicke die Volontärinnen zu diversen Pressevorführungen neuer Kinofilme (ich würde mir auch gerne mal wieder einen Film ansehen, habe aber keine Zeit), bespreche ein paar Seitenlayouts mit den Grafikerinnen, bestelle in der Fotoredaktion Bilder und schreibe den ein oder anderen Sextipp. Eine gute Aufwärmübung für heute Abend.

 

Aus der Redaktion fahre ich direkt zu Alex nach Hause und versinke dort in seinen Armen. Er zieht mich in sein Zimmer, vorbei an der unbenutzten Küche und den zwei leeren Zimmern, auf den Futon, küsst mich und fragt, ob wir nicht doch lieber dort bleiben wollen, ihm sei etwas flau, er könne ein wenig Zuwendung gebrauchen, ihm sei so gar nicht nach ausgehen, und außerdem das Wetter … Dann spielt er mir ein neues Stück vor, das er gerade gemixt hat, ein wildes Fiepen und Wummern, in etwa so anregend wie die Schallwellen-Versuche, die wir in der Oberstufe durchgeführt haben. Ich lobe ihn überschwenglich, spreche von einem baldigen Durchbruch, großer Karriere und glaube das in dem Moment auch wirklich, obwohl es, wie gesagt, so gar nicht meine Musik ist. Mein enthusiastischer Zuspruch ermuntert ihn tatsächlich, er ist bereit, mit mir auszugehen.

Ja! Wir sind als Paar unterwegs! Es macht mir Spaß, mich mit ihm sehen zu lassen. Und der Abend wird bestimmt toll. Ich bin hochmotiviert.

Zu Fuß machen wir uns auf den Weg zum Kiez. Interessant, was alles so auf den Gehwegen liegt: ein zersplittertes Glas Apfelmus, eine Nylonstrumpfhose, Reste eines Computers, festgetretene Gummibärchen. Ich glaube, wenn man nur will, findet man auf den Straßen von St. Pauli alles, was man braucht. Nur eben nicht dann, wenn man es gerne hätte. Und nicht im erwünschten Erhaltungszustand. Ich gehe über ein paar verwelkte Blütenblätter, nehme die Hand von Alex und bin glücklich.

Ich habe Erfolg, einen Traumjob (zumindest den, den ich mir mal erträumte) und den attraktivsten Freund, den ich mir denken kann. Ob es der permanente Schlafentzug ist, der mich so euphorisch macht?

Wir gehen an meinem Haus vorbei, an der »Gemütlichen Ecke«, ich spüre so etwas wie Heimatgefühl. Vorbei am Blumenladen, in dem ich meine beiden Hauswurze gekauft habe (ich habe ein etwas schlechtes Gewissen, weil ich nicht mit ihnen spreche, aber sie scheinen auch ohne aufmunternde Worte ganz gut klarzukommen), vorbei an drei bis vier türkischen Imbissen.

Da fällt mir auf der Straßenseite gegenüber etwas auf. Ein Laden ist mit Sperrholz vernagelt. Die Fassade ist komplett abgedichtet, als hätte sich das Haus verpuppt und dahinter, im Schutze des Sperrholzkokons, entstünde etwas Neues. Ganz oben, über Kopfhöhe, prangt an der ansonsten schlicht weiß gestrichenen Sichtschutzwand ein Schriftzug: VERSACE. Moment, denke ich. Eine Versace-Boutique in St. Pauli? Bei mir um die Ecke? Das passt ungefähr so gut wie ein Cocktailschirmchen auf einer Astra-Flasche. Hummer auf Bratkartoffeln. Bauarbeiterstiefel zum Chiffonkleidchen. Stopp, den Vergleich ziehe ich zurück. Schwere Stiefel plus leichtes Kleidchen, der Look war im Zuge der Riot-Grrrl-Bewegung Anfang der 90er weit verbreitet. Könnte eigentlich bald wiederkommen.