Tapetenwechsel 6 - Kirsten Rick - E-Book

Tapetenwechsel 6 E-Book

Kirsten Rick

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Beschreibung

Von der Kleinstadtidylle zum Großstadtchaos - Teil 6 des sechsteiligen Serials »Tapetenwechsel« von Kirsten Rick! Wer aus einer Zuchtbullenprämierung ein Event machen kann, dem gehört die Welt! Nach drei Jahren bei einem kleinstädtischen Käseblatt ist Redakteurin Katrin nun dort, wo sie immer hinwollte: bei einem Hamburger Hochglanzmagazin. Was zu ihrem neuen Ich noch nicht so recht passen will, ist ihre Wohnung in dem heruntergekommenen Haus auf St. Pauli. Für ihre Nachbarn dagegen ist es der Ort, wo sie Wurzeln geschlagen haben. Als der alte Kasten abgerissen werden soll, wollen sich Jan, der erfolglose Künstler, Erna mit den zierlichen Pantöffelchen und Heidi, die esoterisch angehauchte Gärtnerin, wehren. Die patente Katrin, die es gewöhnt ist, einen Stier bei den Hörnern zu packen, ist ihre einzige Hoffnung …

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Seitenzahl: 64

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Kirsten Rick

Tapetenwechsel 6

Serial Teil 6

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Teil 5: Aufdrehen27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. KapitelEpilogDer Song zum Buch:Danksagung
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Teil 5:Aufdrehen

27. Kapitel

Die Musik wummert laut, ich verstehe nicht, was Jan mir versucht ins Ohr zu brüllen. Er zeigt auf den Becher in seiner Hand, dann auf den in meiner und deutet auf den Getränkestand. Ich nicke, gebe ihm meinen Becher und wende mich wieder der Band zu. Punk-Soul mit Reggae-Elementen und kapitalismuskritischen deutschen Texten. Eine interessante Mischung, allein durch die pure Lautstärke unwiderstehlich mitreißend. Oder durch die Leute, die alle auf und ab und hin und her wippen wie eine große, warme Welle in der strahlenden Wintersonne. Ein Meer von Zuneigung.

Ich sehe rüber zu Jan, er unterschreibt am Stand mit dem fair gehandelten Wein aus ökologischem Anbau diverse Petitionen und Protestnoten. Was wird nun aus meinem Nachschub? Aha, er gibt dem Typen neben sich den Becher, zeigt auf mich – ich winke –, dann wird mir mein Drink gebracht. Mr. Ich-teile-mein-Ciabatta-ungern-lege-dir-dafür-aber-meine-sandige-Decke-um-die-Schultern steuert auf mich zu und reicht mir den Becher. Ich bedanke mich, will mit ihm anstoßen, doch eine gewaltige Rückkopplung verschluckt meinen zarten Kommunikationsversuch, und eine heftige Welle aus Bass, Rhythmus und wogender Menge trägt meinen Weinkellner hinfort. Oliver überragt die anderen Menschen, deshalb kann ich ihm noch lange hinterhersehen, fast ein wenig sehnsüchtig, wie ich bemerke. Als die Reggae-Band dem Geigenensemble der Grundschule die Bühne überlässt, erkunde ich die anderen Aktionen des Festes. Es gibt Garküchen am Straßenrand mit afrikanischen Spezialitäten, vegetarische Würstchen, einen Bauwagen mit einer Märchenerzählerin, ein Gentrifizierungs-Monopoly mit lebendigen Figuren, einen Umsonst-Stand, an dem man sich einfach nehmen darf, was die Veranstalter zusammengetragen haben, eine selbstgestaltete Hüpfburg im Glasfassaden-Look – und eine Ausstellung mit den Ergebnissen der Wunschproduktion, bei der Anwohner und Gäste in wochenlanger Arbeit gesammelt haben, was sie sich statt aalglatter Luxusbebauung vorstellen könnten.

Ich schiebe mich durch die freundliche Menschenmenge, trotz der Enge lächelt man sich gegenseitig zu, niemand drängelt. Ein tolles Solidaritätsfest!

Allein die »Wunschproduktion«: eine geniale Aktion. Über Wochen gab es immer wieder Aufrufe, zu den Sonntagnachmittagsterminen in unsere kleine »Volksküche« zu kommen und seine Wünsche aufzumalen, aufzuschreiben, zu kneten, zu töpfern, zu singen. Wie könnte die Straße, wie das Viertel aussehen? Was wollen die Anwohner? Welche Träume und Wünsche haben die Menschen, die dort leben? Es ist viel zusammengekommen, die Ausstellung in der Schulaula ist voll mit Modellen, Skizzen, Listen, eine bunte, lebendige Mischung. Ein Mann hätte gerne eine Palmenallee, ein Kind ein System aus Hängebrücken, das die Straße überspannt, eine Frau möchte, dass Fußgänger, Autofahrer und Radfahrer sich die Straße gleichberechtigt teilen.

Draußen geht es weiter, mit einem monumentalen Modell von einem Park, zusammengezimmert aus grünen, roten, gelben, blauen und orangen Latten und Holzstücken. Bis hoch in den Himmel ragt das fantastische Gebilde aus Baumhäusern und Hängebrücken, ein eigener kleiner Kosmos.

Ach, denke ich, diese weltfremden Träumer. Das wird doch nie was.

Ich will gerade weitergehen, doch ich hänge fest. Hoffentlich hat sich mein Kleid nicht an einem der herausstehenden Nägel verfangen. Doch als mein Blick die Ursache sucht, sehe ich ein kleines Mädchen mit einem Luftballon in der Hand. Sie hält meinen Rockzipfel fest und zupft daran, jedes Mal ein wenig nachdrücklicher. Ich beuge mich zu ihr hinunter und frage:

»Was möchtest du denn?«

»Könntest du meinen Luftballon da ganz oben festbinden?« Sie sieht mich mit großen braunen Augen an. »Bitte?«

»Klar doch«, antworte ich und tüdele vorsichtig die Schlaufe mit dem Ballonfaden von ihrem schmalen Handgelenk.

Der Ballon ist nicht einfach nur ein Ballon, sondern ein pinkfarbenes Pony. Ein längliches Gebilde mit angeklebten Beinen und Ohren, wolliger Mähne und puscheligem Schweif. Es ist bezaubernd, einfach zum Knuddeln, genau wie das Mädchen.

»Hast du das gemacht?«, frage ich erstaunt.

Die Kleine nickt. »Und das soll da jetzt ran, denn ich möchte, dass es hier einen Ponyhof gibt. Wenn man die Autos weglässt, wäre doch Platz genug da.« Sie sagt es ernsthaft und mit Nachdruck.

»Und dafür willst du deinen schönen Pony-Ballon hergeben?«

»Klar! Das sollen doch alle sehen! Und nachher lasse ich noch einen Ballon mit einem Wunsch in die Luft steigen. Dann geht der nämlich in Erfüllung, das habe ich in den Lola-Büchern gelesen. Man muss nur gut aufpassen, was man sich wünscht. Nun mach schon!«, ermahnt sie mich.

Mit dem Ballon in der Hand recke ich mich zum höchsten Punkt des Holzmodells und knote den Faden vorsichtig an einer rauhen Latte fest. Das Pony tanzt fröhlich in der Luft.

»Danke!«, strahlt mich das Mädchen an.

»Ich danke dir!«, antworte ich, und einen Moment lang bin ich durch und durch glücklich.

 

Autos kommen keine mehr durch, nicht die Hein-Hoyer-Straße entlang, nicht die Clemens-Schultz-Straße und die Wohlwillstraße schon gar nicht. Menschentrauben sammeln sich vor den Häusern, drängen die Treppen hinauf, in die Wohnungen und in die Läden. Selbstgenähtes, Selbstgelötetes und Selbstgebackenes wird feilgeboten, bei der Goldschmiedin kann man Anhänger selbst stempeln, Bands scheppern in Küchen und Wohnzimmern, dazwischen Erna mit Wollsöckchen in ihren Pantoffeln und der Sammelbüchse.

»Katrin, probier doch mal die Hafenpralinen«, ruft eine große Frau im roten Satinkleid, dann nimmt sie ein Mikrofon und singt »La Paloma ohe«. Es ist Karola vom Café am Anfang der Paul-Roosen-Straße, die selbstgemachte Hafenpraline ist eine auf der Zunge explodierende Köstlichkeit. Ich eile weiter zu Jan, der in der Halle des ehemaligen Restaurants »Schönberger« in der Großen Freiheit die Kunstauktion vorbereitet. Er hat die bekanntesten und unbekanntesten Namen der Kunstszene angeschleppt, vom Pudel-Club bis zum Gängeviertel. Maler wie David Reiter, dessen Bilder schon mal mit sechsstelligen Summen gehandelt werden, Aktionskünstler, die uns den ganzen Laden auseinandernehmen und mit warmem Ochsenblut beschmieren könnten. Jan nimmt mich zur Seite: »Es läuft ganz gut. Da ist ein bekanntes Sammlerehepaar. Die könnten die Preise hochtreiben. Und die da vielleicht auch.« Er zeigt auf ein weiteres, nicht mehr ganz junges Paar, die Frau trägt exaltierte High Heels und einen weinroten Smoking mit einem flauschigen Fellkragen. Der Mann neben ihr sieht aus wie Sky du Mont. Es ist aber nicht Sky du Mont. Ich sehe die beiden an, als wären es Fremde. Dann sage ich zu Jan: »Das sind keine Kunstsammler. Das sind meine Eltern.«

»Das sind deine Eltern? Die hatte ich mir ganz anders vorgestellt«, kommt von Jan.

»Ich mir auch – genauer gesagt: ganz woanders«, erwidere ich.

Meine Mutter sieht auch aus wie eine Diva, Oper oder Hollywood, Hauptsache meterdicker roter Teppich, in der linken Hand hält sie ganz beiläufig ein Whiskyglas. Mein Vater, im Maßanzug mit handgenähten Schuhen und silbrig-grauen Schläfen, deutet auf das Bild, das gerade hereingetragen wird. Ein David Reiter, Farbexplosion auf riesengroßer Leinwand. Allerdings in einem von ihm entwickelten, speziellen Druckverfahren, Auflage limitiert auf zehn Stück, handsigniert natürlich.

»Vielleicht wollen sie es kaufen?«, überlegt Jan.

Ich sehe entgeistert zwischen dem attraktiven Paar, das meine Eltern zweifelsohne darstellen, und dem Bild, dem Zugpferd unserer Auktion, hin und her. Seit wann interessieren sie sich für bildende Kunst? Genauso wenig, wie sie mich kennen, kenne ich sie. Sie kommen mir vor wie ein Komet, der in meine Welt hereinbricht. Der Aufprall ist nicht mehr fern, es ist noch nicht abzusehen, wie viel Schaden er anrichten wird.

»Dass du David Reiter für diese Auktion gewinnen konntest, ist einfach genial«, sage ich zu Jan, während der Preis des aufgerufenen Bildes in die Höhe schnellt. Fünftausend, fünftausendfünfhundert, schwups sind wir bei zwölftausend Euro.

»Wer macht denn so viel Geld locker?«, ätzt Jan, der jeglicher Kommerzialisierung von Kreativität aus Prinzip ablehnend gegenübersteht. Dabei sollte er sich freuen, dass die Auktion so gut funktioniert.

»Unk nicht rum«, zische ich ihn an und beobachte fasziniert, wie mein Vater seine Hand hebt. Sechzehntausend Euro.