Tapetenwechsel 2 - Kirsten Rick - E-Book

Tapetenwechsel 2 E-Book

Kirsten Rick

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Beschreibung

Von der Kleinstadtidylle zum Großstadtchaos - Teil 2 des sechsteiligen Serials »Tapetenwechsel« von Kirsten Rick! Wer aus einer Zuchtbullenprämierung ein Event machen kann, dem gehört die Welt! Nach drei Jahren bei einem kleinstädtischen Käseblatt ist Redakteurin Katrin nun dort, wo sie immer hinwollte: bei einem Hamburger Hochglanzmagazin. Was zu ihrem neuen Ich noch nicht so recht passen will, ist ihre Wohnung in dem heruntergekommenen Haus auf St. Pauli. Für ihre Nachbarn dagegen ist es der Ort, wo sie Wurzeln geschlagen haben. Als der alte Kasten abgerissen werden soll, wollen sich Jan, der erfolglose Künstler, Erna mit den zierlichen Pantöffelchen und Heidi, die esoterisch angehauchte Gärtnerin, wehren. Die patente Katrin, die es gewöhnt ist, einen Stier bei den Hörnern zu packen, ist ihre einzige Hoffnung …

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Seitenzahl: 77

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Kirsten Rick

Tapetenwechsel 2

Serial Teil 2

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Teil 1: Anfangen7. KapitelTeil 2: Einleben8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel
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Teil 1:Anfangen

7. Kapitel

Es regnet nicht nur, es stürmt. Eine Böe hat mir, kaum dass ich drei Meter aus dem Haus war, den Schirm erst zerstört und dann entrissen. Man sollte sich bei solch wichtigen technischen Gerätschaften wie Schirmen nicht auf solche Dilettanten wie Burberry verlassen. Die können eben doch nur Karos. Überhaupt: Wieso holt der Kerl mich nicht ab? Ach ja, er weiß ja gar nicht, wo ich wohne. Immerhin, er hat angerufen.

Gleich kann ich überprüfen, ob Alex auch tageslichttauglich ist. Ich bin es wohl kaum mehr, der Regen hat mein Haar in frisch gekochte und abgeschreckte Spaghetti verwandelt. Egal. Es ist völlig normal, dass es im Mai regnet. Vielleicht ist es nicht normal, dass die Regentropfen die Größe von jungen Katzen haben, aber immerhin: Es ist nur Regen. Der kann mir gar nichts anhaben. Ich bin ja nicht aus Zucker.

Hilfe, jetzt klinge ich schon wie meine eigene Oma! Gut, dass das nur gedacht und nicht laut ausgesprochen war.

Alex steht unter dem Vordach des Mojo-Clubs, die Jeans vor Nässe tiefdunkelblau. Die Originalfarbe seiner Kapuzenjacke schätze ich auch zwei Nuancen heller. Auf dem Kopf trägt er einen Hut, aus dem ich schließe, dass wir wohl angeln gehen werden. Ich denke an den wunderbaren Film »Aus der Mitte entspringt ein Fluss«, in dem Brad Pitt die Kunst des Fliegenfischens perfektioniert. Dieser Angelstil hat immerhin den Vorteil, dass man keine Würmer auf Haken spießen muss. Obwohl: Weitere Ausrüstung hat Alex keine dabei.

»Hallo. Schön, dass du da bist.« Er lächelt. Ich überlege, ob ich ihn umarmen soll, ganz freundschaftlich, lasse das dann aber, weil ich erstens keine falschen Signale (»Die Frau klammert!«) aussenden will, und weil mir zweitens rechtzeitig klar wird, dass ich tropfe wie frisch aus der Elbe gezogen.

»Du bist ganz nass«, stellt er auch gleich scharfsichtig fest.

»Du auch«, gebe ich zurück. »Wo gehen wir hin? Angeln?«

»So ähnlich. Du wirst schon sehen.«

»Ich hasse Überraschungen!«

»Das sagtest du bereits. Komm, wir gehen zur U-Bahn.«

Das fängt ja gut an. Im dritten Satz des ersten Dates wiederhole ich mich bereits. Als hätten wir uns alles schon gesagt und müssten jetzt noch mal von vorn anfangen. Ich erinnere mich an einen Ex-Freund, der auf jeder Party den gleichen Witz erzählte. Fünf Mal habe ich darüber gelacht, vier Mal davon aus reiner Höflichkeit. Dann habe ich mit ihm Schluss gemacht.

Leicht angespannt gehe ich neben Alex zur U-Bahn. Vor dem Fahrkartenautomaten bleibe ich etwas ratlos stehen, doch Alex drückt schnell eine Taste, wirft den angezeigten Kleingeldbetrag ein und drückt mir die Karte in die Hand. Dabei berühren wir uns heute zum ersten Mal. Seine Hand ist schmal, kühl und trocken.

Als wir auf die Bahn warten, schlurft ein Mann an uns vorbei, dessen Aura aus einer bestialisch stinkenden Wolke besteht. Die Reste seiner Kleidung, die mit seinem Körper verwachsen zu sein scheinen, haben eine einheitlich schmutzigbraune Farbe angenommen, genau wie seine Haare. Die haben sich in der Struktur unregelmäßig dicken Seilen angenähert. Ein verfilzter, klebriger Bart wuchert ihm im Gesicht. Seine Hand umkrallt eine braune Bierflasche.

»Habt ihr mal ein bisschen Kleingeld«, nuschelt er in unsere Richtung.

Alex scheint den Mann gar nicht zu bemerken. Sein Blick ist auf meinen Jackenkragen gerichtet, keine Ahnung, was es da zu sehen gibt.

»Nein«, schüttele ich den Kopf und starre auf meine Füße. Das stimmt sogar, ich habe wirklich kein Kleingeld dabei, nur Scheine und meine EC-Karte.

»Trotzdem einen schönen Tag noch«, lallt der Mann und schlurft weiter. Einen Augenblick später fällt ihm seine leere Bierflasche aus der Hand und zerscheppert auf den harten Fliesen.

Das gefällt mir nicht. Ich mag das klirrende Geräusch von zerspringendem Glas nicht. Okay, niemand steht darauf, aber bei mir weckt es unschöne Erinnerungen, über die ich nicht sprechen möchte. Kindheitserinnerungen. Scherben, die am Boden liegen, lösen dieses Gefühl bei mir zum Glück nicht aus. Sonst könnte ich niemals auf St. Pauli wohnen, wo die Bürgersteige Tag und Nacht einem Grand Hotel für Fakire gleichen und die Fahrradläden nur noch pannensichere Reifen verkaufen. Aber das akute Ereignis berstenden Glases beunruhigt mich und weckt in mir das dringende Bedürfnis, die Scherben sofort wegzufegen, aufzuräumen, meine Welt wieder in Ordnung und mich unter Kontrolle zu bringen.

In diesem Moment fährt unsere Bahn ein, Alex nimmt meine Hand und zieht mich an einer Frau mit Kinderwagen vorbei auf eine freie Sitzbank. Weg von dem Gestank, weg von den Scherben. Ich beruhige mich wieder. Am Schlump umsteigen, bei Hagenbecks Tierpark aussteigen. In der Bahn haben wir nicht geredet, sondern den Mitfahrern gelauscht und uns dabei angelächelt. Zwei pummelige Teenagermädchen unterhielten sich über »echt krassen Lidschatten«, doch es war nicht klar, ob sie wirklich miteinander sprachen oder sich nur ihre SMS vorlasen, die sie mit echt krassen Fingernägeln in ihre Mobiltelefone hämmerten.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite unserer Haltestelle steht eine überlebensgroße Giraffe, an deren Hals ein Mann hochklettert.

»Gehen wir in den Zoo?«, frage ich und denke gleichzeitig: Zum Elefantenfüttern und Ziegenstreicheln fühle ich mich eigentlich schon zu alt. Wann war ich zuletzt im Zoo? Mit sechs? Mit acht?

Neben mir kreischen die Kinder einer ungefähr hundertfünfköpfigen Familie angesichts der Giraffenskulptur: »Ist die echt? Ist die eeeeeeeeecht?« Dann kotzt eines der Kinder sein Frühstück aus, offensichtlich Zwieback in Milch.

Ich wende mich leicht angeekelt ab.

»Nicht ganz. Viel besser«, beantwortet Alex meine Frage unzureichend. »Hast du deinen Presseausweis dabei?«

»Äh, ja. Soll ich ein Interview mit einem Orang-Utan führen?«

»Wenn du darauf Wert legst, gerne. Aber erst mal kommst du damit umsonst hier rein.« Er geht zur Kasse, kauft sich eine Karte, ich zeige meinen Presseausweis vor, dann gehen wir rein. Ins Tropen-Aquarium.

Galant hält Alex mir die Türen der Schleuse auf. Dann stehen wir in einer Art Mini-Geisterdorf, bewohnt von bunten Papageien und sehr niedlichen Affen mit geringelten Schwänzen.

»Das sind Halbaffen«, lese ich auf einem Schild.

»Welche Hälfte? Die untere oder die obere?«, fragt Alex, und ich muss lachen. »Ob die mir als Mantel gut stehen würden?«, albert er weiter herum. Ein kleines Mädchen dreht sich um und starrt ihn entsetzt an.

»Iih, wie gemein«, zische ich. »Und überhaupt, Männer im Pelz, das steht nicht jedem. Die optische Aussage könnte … mehrdeutig sein.«

»Vielleicht doch lieber Schuhe aus Schlangenleder?«, flüstert er. »Komm mit!«

Ich finde ihn hinreißend. Er nimmt schon wieder meine Hand und zieht mich vorbei an einem Tümpel voller Piranhas (»Das erinnert mich zu sehr an das Music-Biz«, kommentiert er die zahnig grinsenden Raubfische) ins »Giftschlangendorf«.

»Angenehme Nachbarschaft«, sage ich mit leicht ironischem Tonfall. Er guckt sich die Leute an, die neben uns vor den Terrarien stehen und auf Grüne Mambas und Gabunvipern starren. Mit Blick auf drei Frauen, die aussehen wie vertrocknete Blumensträuße, nickt er: »Da kann ich dir nur zustimmen.« Um seine Mundwinkel breitet sich ein spöttischer Zug aus, und ich muss schon wieder lachen.

Einer der vertrockneten Blumensträuße sagt mit angsterfüllter Stimme: »Wenn die nun zubeißt«, die Frau zeigt auf die Grüne Mamba, »dann aber gute Nacht!«

»Unter einer guten Nacht stelle ich mir ja etwas anderes vor«, flüstert Alex mir ins Ohr. Sein warmer Atem kitzelt mich angenehm. »Und außerdem ein bisschen zu klein für Schuhe. Vielleicht könnte man ein Uhrenarmband daraus machen?« Die Grüne Mamba zischelt böse und verkriecht sich dann.

Ich fühle mich gleichzeitig entspannt und angespannt. Alex ist so witzig, so schön fies-ironisch, dass ich mich kringelig lachen könnte. Er trifft meinen Humor-Nerv genau. Die nassen Klamotten, die triefenden Haare – egal. Wir beide, Alex und ich, sind ein Traumpaar, wie ich mit Blick auf unser unscharfes Spiegelbild in der Glastür eines Schrankes, der von Gespenstschrecken und anderem Ungeziefer bewohnt wird, feststelle. Fast schade, dass uns hier niemand sieht, den ich kenne.

Wir gehen weiter durch enge Gänge, steigen in die »Unterwelt« hinab, bestaunen allerlei schillerndes Getier. Durch ein Bullauge guckt uns eine griesgrämige Muräne an. Sie sieht neidisch aus. Kein Wunder, so hässlich wie sie ist.

Gegenseitig lesen wir uns die Schilder vor:

»Die Blasenanemone nesselt nur schwach«, liest Alex.

»Wie geht denn nesseln?«, frage ich.

»Na: so!« Er zupft meine Bluse aus der Hose, ich schlage ihm sanft auf die Finger und weise ihn zurecht: »Das ist nesteln!«

»Ist doch das Gleiche«, mault er gespielt beleidigt. »Huch. Bist du etwa ein Rotfeuerfisch? Praktisch jede Berührung führt zu einer Vergiftung.«

»Mein Giftapparat besteht aus dreizehn Rückenstrahlen«, gebe ich an. Die »drei Analstacheln und zwei Beckenstacheln« verschweige ich mal, das klingt mir jetzt doch ein wenig zu anzüglich.

Alex scheint jedoch keine Hemmungen zu haben. »Der Name der Ohrenqualle leitet sich von der Form der vier Geschlechtsorgane ab«, liest er. Hinter Glas blubbern die kleinen Schleimbeutel vor sich hin. Sie scheinen von innen zu leuchten und erinnern mich an Kondome. Benutzte Kondome. Allerdings sehr elegante. Alex neigt den Kopf in meine Richtung und bietet mir sein Ohr an. »Na, was meinste? Sexy, oder?«

»Für Quallen vielleicht. Aber lies mal weiter: Die Ohrenqualle besitzt nur eine Körperöffnung (Gastralöffnung) auf der Unterseite, die gleichzeitig Mund und After darstellt.«

»Das macht es bei Magen-Darm-Grippe einfach«, kommentiert er. Wir stimmen in ein gemeinsames »Igitt!« ein.