Tapetenwechsel 5 - Kirsten Rick - E-Book

Tapetenwechsel 5 E-Book

Kirsten Rick

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Beschreibung

Von der Kleinstadtidylle zum Großstadtchaos - Teil 5 des sechsteiligen Serials »Tapetenwechsel« von Kirsten Rick! Wer aus einer Zuchtbullenprämierung ein Event machen kann, dem gehört die Welt! Nach drei Jahren bei einem kleinstädtischen Käseblatt ist Redakteurin Katrin nun dort, wo sie immer hinwollte: bei einem Hamburger Hochglanzmagazin. Was zu ihrem neuen Ich noch nicht so recht passen will, ist ihre Wohnung in dem heruntergekommenen Haus auf St. Pauli. Für ihre Nachbarn dagegen ist es der Ort, wo sie Wurzeln geschlagen haben. Als der alte Kasten abgerissen werden soll, wollen sich Jan, der erfolglose Künstler, Erna mit den zierlichen Pantöffelchen und Heidi, die esoterisch angehauchte Gärtnerin, wehren. Die patente Katrin, die es gewöhnt ist, einen Stier bei den Hörnern zu packen, ist ihre einzige Hoffnung …

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Seitenzahl: 97

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Kirsten Rick

Tapetenwechsel 5

Serial Teil 5

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Teil 4: Festlegen24. KapitelTeil 5: Aufdrehen25. Kapitel26. Kapitel
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Teil 4:Festlegen

24. Kapitel

Auf der Reeperbahn hat schon wieder ein Discounter aufgemacht«, sagt Jan später, als wir nebeneinander am Tresen sitzen.

»Für Dildos?«, frage ich. Was soll man denn auf der Reeperbahn sonst verkaufen?

»Nee, Aldi. Penny und Lidl gibt es schon. Du gehst da wohl nie einkaufen?«

»Immer nur bei Renate«, sage ich, und die Tränen schießen mir wieder in die Augen.

»Schöne Scheiße«, knurrt Günne.

»Hm«, erwidert Jan nickend.

Wir legen eine Schweigeminute ein, in Trauer um Renate.

»Was da dann wohl hinkommt?«, fragt Günne.

»Bestimmt H&M«, mutmaßt Jan.

»Quatsch, das ist doch viel zu klein. H&M geht in die Schanze, habe ich neulich gehört.« Bei Schanze muss ich an Alex denken, der wohnt da. Und mir gibt er keine Chance in der Schanze.

»Na, dann eben Starbucks. Ist doch eh das Gleiche. Der Kaffee bei Starbucks kostet jedenfalls genauso viel wie die T-Shirts bei ›Hasi&Mausi‹.« Es klingt komisch, wenn Jan »Hasi&Mausi« sagt. Viel zu niedlich für ihn und viel zu niedlich für eine weltumspannende Billigmodetrendkette.

»Du weißt noch nicht, was der Kaffee hier kostet«, warne ich Jan.

»Wieso?«

»Zehn Euro. Mein neues Konzept. Wenn etwas viel kostet, denken die Leute, es sei viel wert. Das ist Psychologie. Und sie bezahlen das authentische Image mit. Mit Sirup ein Euro mehr. Es gibt Butterscotch, Granatapfel und Spicy Mango. Mit Serrano-Pfeffer.« Günne nickt und lässt seinen ausgebufften Blick auf Jan ruhen. Der schweigt verblüfft.

»Für dich nur 1,80«, ergänzt Günne. Dann versucht er wieder, seine neue Kaffeemaschine zu bändigen. »Willste einen? Latte mit Schaum? Schaum ist aber laut und schwierig.«

»Gerne«, sagt Jan, »Aber ohne Sirup. Ich nehme einen schlichten, schwierigen Schaum-Latte.«

Alex trinkt gerne Caffè Latte. Ach Alex.

Ohne zu fragen, stellt Günne mir einen doppelten Espresso hin. »Der geht aufs Haus.«

»Solange das noch steht«, antworte ich.

»Wir schaffen das«, behauptet Jan.

Ich kippe den Espresso hinunter, in mir zieht sich alles zusammen. Wieso tue ich mir das an?

»Ich weiß ja noch nicht mal, wie ich in meine Wohnung komme«, sage ich und sehe dabei mindestens so trüb aus wie der Espressorest in meiner Tasse.

»Hast du dich ausgesperrt?«, fragt Jan mitfühlend. »Passiert mir auch manchmal. Ich habe extra einen Ersatzschlüssel unter Heidis Blumentöpfen deponiert. Wie meine Mutter früher.«

Ich nicke und ziehe sehr undamenhaft und geräuschvoll das hoch, was mir durch die Nase laufen will.

»Heidis Fahrrad ist auch weg. Geklaut.«

»Ach was«, sagt Günne. »Das hat sich bestimmt nur jemand ausgeliehen. Das ist schon okay.«

»Ich habe es mir ausgeliehen. Bin damit zu Alex gefahren. Und dann war es weg.«

»Und warum bist du schon wieder da? Normalerweise bleibst du doch immer mindestens über Nacht bei deinem Alex«, wirft Jan ein.

»Der musste arbeiten.« Der Tresen, den ich bei dieser Unwahrheit anstarre, ist so klebrig, dass ich einen Moment befürchte, ich könnte mich darin spiegeln. Ich hebe schnell den Kopf, denn ich könnte mir bei dieser Lüge nicht selbst in die Augen sehen.

»Ach was«, sagt Jan. Was schwingt denn da in seiner Stimme mit? Glaubt der mir etwa nicht? Und was geht ihn das überhaupt an? Mir ist nicht wohl. Das muss am Espresso liegen. Die Kaffeemaschine zischt zur Bestätigung.

»Ich habe auch noch was zu tun.« Auf eine Lüge mehr oder weniger kommt es nun nicht an.

»Was denn?«, fragt Jan ganz frech. Sind wir verheiratet? Muss ich mich vor ihm rechtfertigen?

»Äh, ich wollte nachsehen, wie das auf dem Dachboden aussieht. Der wird doch angeblich illegal genutzt. Nicht, dass der Vermieter da noch was in der Hand hat …«

Jan wird rot.

»Da stehen nur so ein paar Sessel rum. Ich habe da mal mit ein paar Freunden ein bisschen diskutiert und so, Karten gespielt.« Er druckst herum.

Das kann ich gut: von meinen Problemen ablenken. Die anderen in den Mittelpunkt stellen. Zu Hause habe ich das gelernt: Meine Mutter wollte – musste – immer im Mittelpunkt stehen. Ihre neue Frisur, ihr neues Kleid, ihr tolles neues Hobby, sei es nun japanisches Blumenstecken, Fußreflexzonenmassage mit heißen Kohlen, Objekte aus Strandgut basteln oder Schwarzweißfotografie von Wolken. Was sie gerade interessierte, war Gesprächsthema. Und nur das. Alle zwei, drei Jahre ein neues Haus, das eingerichtet werden musste. Dann ging es um Strukturtapeten, die optimale Länge von Gardinen (ja, sie sollen auf dem Boden aufstoßen) und Lichtregie. Meine Mutter wäre gerne Schauspielerin geworden, doch dann kam mein Vater und dann ich. Sie sagte das immer, als hätten wir uns unaufgefordert in ihr Leben gedrängt und sie hätte sich dieser Invasion einfach ergeben. Nun war ich ihr einziges Publikum, mein Vater war ja ständig auf Geschäftsreise. Richtige Freundinnen hatte sie nie, hin und wieder gaben meine Eltern repräsentative Dinner-Partys, doch das hörte auf, nachdem sich meine Mutter zu fortgeschrittenen Abendstunden deutlich weniger repräsentativ benahm. Mit den Nachbarinnen in den anderen Häusern hinter den hohen Hecken (und es waren immer hohe Hecken um diese Häuser, ab den neunziger Jahren dann gerne mal Sichtschutzanpflanzungen aus Bambus, aber das zählt für mich auch als Hecke) wurde sie nie richtig warm. Die hatten in ihren Augen »keine kreative Persönlichkeit«. Und sie war nicht so kreativ, sich die Kreativität der anderen einfach mal vorzustellen. Als ich noch kleiner war, im Grundschulalter, bekam ich ihre Ausfälle nicht so richtig mit. Ich fand es völlig normal, dass sie manchmal bis mittags im Bett blieb. Migräne hieß es dann, sie hat Kopfschmerzen, lass sie bloß in Ruhe. Schulbrote zu schmieren sah sie nicht als ihre Lebenserfüllung, also machte ich das allein. Ich kam ganz gut zurecht. Doch irgendwann kamen zum Alkohol die Tabletten – oder war es der Alkohol, der zu den Tabletten kam? –, und ihre Stimmung wurde unberechenbar.

Und dann ging das los mit den Wutanfällen. Aus dem Nichts konnte sie sich über die kleinste Kleinigkeit aufregen. Ein Mückenschiss auf der Fensterscheibe war so schlimm wie ein Elefant, der sich auf ihr Cabrio setzt. Wenn sie sich aufregte, schrie sie zuerst schrill, danach schmiss sie etwas auf den Boden. Meistens war das ein Glas.

»Mach die Scherben weg!«, befahl sie mir, das gehörte zum Anfall dazu. Sie rauschte ab, knallte eine Tür hinter sich zu und hatte schlimme Kopfschmerzen. Später hat sie sich jedes Mal bei mir entschuldigt.

Aber das gehört alles nicht hierher. Nicht in die »Gemütliche Ecke«, nicht in dieses Haus und – wenn ich mir das aussuchen könnte – nicht in mein Leben.

»Na, dann mal los«, sage ich zu Jan. »Zeig mir den Dachboden!«

Günne dreht Roger Whittaker wieder lauter. Als wir reinkamen, hatte er die Musik zu einem unverständlichen Gebrumme gedrosselt, aber nun stürmen drei Damen mit frisch gebügelten Rüschenblusen und hautengen Röhrenhosen den Laden und sehen sich um, als seien sie hier falsch. Erst als Roger Whittaker wieder seine warme Stimme erhebt, setzen sie sich. Günne bringt ihnen drei Caffè Latte. Mit Sirup. Aufs Haus. Man muss seine Stammgäste pflegen. Günne ist ein guter Wirt mit großem Innovationspotenzial.

 

Jan und ich steigen die Treppen hoch, an meiner Wohnungstür vorbei. Dass da das Treppenhaus noch weitergeht, wenn auch schmal und finster, ist mir schon aufgefallen, aber ich habe noch nie nachgesehen, wohin der Weg führt. Jan öffnet eine Tür, und wir sind auf dem Dachboden. Er knipst das Licht an, eine einzelne kahle Glühbirne beleuchtet den staubigen Raum.

»Es wird gleich gemütlicher«, erklärt er. »Das ist nur, damit du dich nicht an den Balken stößt.«

Er hat recht: Die Dachbalken sind ziemlich massiv und mit langen, rostigen Nägeln gespickt, die nicht vollständig eingeschlagen sind.

»Die sind noch original, von ganz früher«, behauptet Jan, was auch immer »ganz früher« heißen mag. »Die machen fiese Kratzer, wenn man nicht aufpasst.«

Ich passe auf. Jan führt mich zu einer recht bequem aussehenden Sitzgruppe aus Cocktail-Sesseln im hinteren Teil des ansonsten leeren Raumes. Dort schaltet er eine Stehlampe an. Das sieht wirklich schon viel heimeliger aus. Eine Wohnzimmer-Installation, komplett mit Couchtisch und – wegen der schrägen Wände – freischwebender Hirsch-Idylle in Öl.

Stolz lässt Jan sich in einen der Sessel fallen.

»Das muss raus«, sage ich streng.

»Du bist aber hart drauf.« Er senkt den Kopf. Seine Haare sehen aus, als hätte er sie mit der Abreißkante einer Backpapier-Verpackung geschnitten.

»Mein Bett musste auch raus.« Und Alex hat mich aus seinem Leben geschmissen. Wie ein zu sperriges Bettgestell oder einen alten Sessel. Das denke ich nur, sage es aber nicht. Vielleicht, so dämmert es mir, war das doch kein Missverständnis. Vielleicht war alles, was davor zwischen uns war, ein Missverständnis.

Probeweise hebe ich einen der Sessel an. Er ist leichter, als ich dachte. Jan mault ein wenig, steht dann aber auf und folgt mir, auch mit einem Sessel in den Händen, die Treppe hinunter.

»In deine Wohnung?«, frage ich.

»Bloß nicht! Die sind von meiner Ex-Freundin. Die kommen mir nicht in die Wohnung.«

»Aber für den Dachboden waren sie gut genug?«

Jan schwenkt den Kopf leicht hin und her. »Da hatten sie keinen direkten Einfluss mehr auf mich.« Merkwürdige Logik.

Weil Jan mir nicht sagt, wo ich den Sessel hinstellen soll, trage ich ihn raus auf die Straße und stelle ihn vor der »Gemütlichen Ecke« auf dem Bürgersteig ab. Jan stellt den anderen daneben.

»Setz dich schon mal«, schlägt er mir vor. »Ich hole die anderen.«

Wie höflich, denke ich, doch er schiebt den praktischen Grund hinterher: »Sonst sind die Sessel gleich weg.«

Quatsch, denke ich, wer nimmt denn einfach so ein Möbelstück mit? Kaum habe ich mich hingesetzt, kommt ein Mann mit zu kurzen Hosen auf mich zu. Er bleibt vor dem freien Sessel stehen und streicht prüfend über das Polster.

»Der ist besetzt«, sage ich. Er lässt sich nicht ablenken, geht in die Hocke und inspiziert die Beine des Möbels.

Dann richtet er sich wieder auf und fragt, ohne dabei den Blick von den Objekten seiner Begierde zu nehmen: »Brauchst du die noch?«

Ich brauche die Sessel zwar überhaupt nicht, und ob Jan sie braucht, ist auch fraglich, trotzdem will ich sie nicht so einfach hergeben und schon gar nicht den ganzen Zusammenhang erläutern. Aber er scheint ernsthaft interessiert.

»Komm in einer Stunde noch mal wieder. Dann kann ich dir mehr sagen.«

»Danke schön. Das mache ich.« Beim Weggehen stolpert er über einen halbleeren Popcorn-Eimer, weil er immer noch völlig fasziniert den Sessel anstarrt.

Der Popcorn-Behälter, groß wie ein Putzeimer, aber aus Pappe und bunt bedruckt, kippt um. Der Mann stellt ihn schnell wieder auf, murmelt »Entschuldigung« in die Nacht und schaufelt das herausgefallene Popcorn wieder hinein.

»Eine Stunde. Ich komme wieder«, ruft er mir noch zu.

 

Eine knappe Stunde später sind Jan und ich bei der dritten Bio-Zisch-Limonade. Meine Hitliste: Holunderblüte kommt auf den dritten Platz, Litschi – allein schon wegen der Aussprechschwierigkeiten bei dem Versuch, Litschi-Zisch zu sagen – auf den zweiten. Mein absoluter Favorit ist Himbeer-Cassis. Jan steht mehr auf Guarana.

»Das hätte ich dir nie zugetraut«, sagt er, als ich ihm von meinem Sprung in die Elbe erzähle.

»Sehe ich so aus, als könnte ich nicht schwimmen?«

»Doch, schon. Aber ich dachte, das wäre dir alles so wichtig. Dein Job, die Redaktion, die Leute.« Jan sieht mich prüfend an.

»Es war einfach nicht mehr auszuhalten«, sage ich. Er hat recht: Ich dachte auch, es wäre mir alles so wichtig. Der glamouröse Job, die einflussreichen Leute, diese Hochglanzszene. Aber, so stelle ich nun fest, es ist mir mittlerweile ziemlich egal.