Tapetenwechsel 3 - Kirsten Rick - E-Book

Tapetenwechsel 3 E-Book

Kirsten Rick

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Beschreibung

Von der Kleinstadtidylle zum Großstadtchaos - Teil 3 des sechsteiligen Serials »Tapetenwechsel« von Kirsten Rick! Wer aus einer Zuchtbullenprämierung ein Event machen kann, dem gehört die Welt! Nach drei Jahren bei einem kleinstädtischen Käseblatt ist Redakteurin Katrin nun dort, wo sie immer hinwollte: bei einem Hamburger Hochglanzmagazin. Was zu ihrem neuen Ich noch nicht so recht passen will, ist ihre Wohnung in dem heruntergekommenen Haus auf St. Pauli. Für ihre Nachbarn dagegen ist es der Ort, wo sie Wurzeln geschlagen haben. Als der alte Kasten abgerissen werden soll, wollen sich Jan, der erfolglose Künstler, Erna mit den zierlichen Pantöffelchen und Heidi, die esoterisch angehauchte Gärtnerin, wehren. Die patente Katrin, die es gewöhnt ist, einen Stier bei den Hörnern zu packen, ist ihre einzige Hoffnung …

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Seitenzahl: 98

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Kirsten Rick

Tapetenwechsel 3

Serial Teil 3

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Teil 2: Einleben12. KapitelTeil 3: Aushalten13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel
[home]

Teil 2:Einleben

12. Kapitel

Als ich am nächsten Abend aus der Redaktion heimkomme, hängt im Treppenhaus der Bruchbude – so nenne ich mein Zuhause manchmal, um mich innerlich schon etwas davon zu distanzieren, falls es doch abgerissen werden sollte – ein Zettel. Genau genommen sind es ganz viele Zettel, und auf allen steht das Gleiche:

Wir wollen bleiben!

Dieses Haus soll abgerissen werden – und was wird aus uns? Wir – das sind alle Hausbewohner – treffen uns am 29.5. um 20.00 Uhr in der »Gemütlichen Ecke«.

Bitte kommt!

Keine Unterschrift. An meinem Bettgestell im Treppenhaus klebt auch einer dieser Zettel, genau wie an meinem Briefkasten und an meiner Wohnungstür. Als ich die öffne, sehe ich, dass auch noch einer im Flur liegt, den muss wer unter der Tür durchgeschoben haben. Irgendwem scheint es wichtig zu sein, dass ich komme.

Aber wie kann dieser Jemand so sicher sein, dass ich bleiben will? Vielleicht würde ich ja gerne umziehen? Außerdem habe ich gar keine Zeit. Habe bestimmt einen Jobtermin. Überhaupt: In der »Gemütlichen Ecke«! Obwohl: Interessieren würde es mich schon, wie das da so aussieht. Und alleine würde ich freiwillig nie in eine solche Kneipe gehen. Aber vielleicht ist es eine ganz gute Location für … hm, mir fällt nicht ein, für was, aber gute Locations sollte man schon kennen, finde ich. Aber ich will auf keinen Fall in so eine Öko-Eso-Politdiskussion hineingezogen werden oder Transparente mit kämpferischen Parolen bemalen und mir dabei womöglich noch meine Sachen ruinieren. Es ist albern, überhaupt so lange darüber nachzudenken. Ich gehe nicht hin.

Es klopft. Das könnte mein Fuß sein, denn wenn ich mich ärgere, neige ich dazu, mit dem Fuß auf dem Boden herumzutrommeln (das fällt weniger auf, als wenn ich das mit den Händen tun würde). Ich halte meine Füße einen Moment bewusst still. Es klopft immer noch. Ich öffne die Wohnungstür mit einem Tritt auf die gelbe Markierung. Mein Nachbar Jan steht davor.

»Hast du die Einladung bekommen?«, fragt er.

»Welche Einladung?«

Er hält mir einen der Zettel vor die Nase. Wie viele gibt es davon denn noch? Vermehren die sich selbständig?

»Ach den Zettel«, sage ich wie beiläufig. Leugnen wäre zwecklos, mit einem Fuß stehe ich nämlich auf dem Exemplar, das noch bei mir im Flur rumliegt.

»Ich wollte dich abholen«, sagt Jan, als wären wir verabredet. Habe ich da was vergessen?

»Wozu?«, frage ich.

Er hält noch mal diesen blöden Zettel hoch: »Na dazu!«

Ach, das ist heute. Ich habe gar nicht so genau auf das Datum geguckt. In meinem Job bin ich voll und ganz mit Abgabefristen, Interviewterminen, Presseempfängen, Redaktionssitzungen und sonst was für wichtigen Terminen ausgelastet, da kann ich nicht auch noch solche Kleinigkeiten bewusst in meinem Hirn speichern. Selektive Wahrnehmung. Ein guter Trick, funktioniert normalerweise ausgezeichnet.

Aber das geht meinen Nachbarn nichts an. Deshalb liefere ich meine Standardausrede: »Keine Zeit. Muss arbeiten.« So, jetzt Tür zu und gut.

»Was arbeitest du denn?«

»Ich bin Redakteurin bei Ancilla. Ich muss ein Interview mit Maria Donna vorbereiten.« Das ist so ziemlich das schwerste Geschoss, das ich aufbieten kann. Mit »News für die Lust-&-Liebe-Seiten« wollte ich ihm jetzt nicht kommen, zu schlüpfrig und nicht glamourös genug. Maria Donna dagegen …

»Wann triffst du sie denn?«, fragt Jan.

Blöde Frage. Kann ja schlecht »Weiß ich nicht« antworten. »Sehr bald«, orakele ich und verbreite damit hoffentlich ein wenig Show-Nebel.

Mein Handy klingelt. Sehr gut. Da sieht Jan gleich mal, wie beschäftigt ich bin. Ich gehe ran.

»Hallo Clark!«, schmettere ich dynamisch in meinem Allzeit-bereit-Modus.

»Ich habe eine sensationelle Idee«, legt er los. »Matthias Dört wird das Interview mit Maria Donna machen.«

Matthias Dört, Moderator einer täglichen Talkshow und zufällig guter Buddy von Clark. Ich sage nichts, aber das ist bei Clark auch gar nicht nötig.

»Promis unter sich, sozusagen«, redet er weiter. »Du musst das Ganze dann nur entsprechend vorbereiten.«

Wut, Eifersucht und Neid ballen sich in meinem Hals zu einem festen Klumpen zusammen, den ich gerade noch hinunterschlucken kann, bevor er die Gestalt einer Kröte annimmt und mir aus dem Mund springt.

»Der Interviewtermin ist übrigens schon bald, das hat Gerlinde mir zugesichert. Halte dich bereit!«

»Okay«, murmele ich, dabei fühle ich mich ohnmächtig und wehrlos. Die böse Neidkröte tobt in meinem Magen. Ich fühle mich dermaßen hilflos – und ich hasse das! Ich bin ihm ausgeliefert, er kann mit mir machen, was er will. Die Kröte in mir will raus, findet den Weg aber nicht. Meine Muskeln spannen sich an, mein Kiefer verkrampft. Ich werde zur albernen Statistin degradiert. Dabei hatte ich mir wirklich eingebildet, ich würde das Drehbuch meiner Karriere selbst schreiben. Aber nein: Man hat mir den Stift aus der Hand genommen, wird mich zum untätigen Zusehen zwingen. Ich könnte schreien vor Wut!

»Das Interview?«, fragt Jan und guckt wirklich interessiert.

Soll ich zugeben, dass ich das Interview gar nicht führen werde? Bloß nicht! Rein äußerlich kann ich mich gut beherrschen.

»Verschoben«, lüge ich routiniert, ohne die Konsequenzen dieser Aussage zu bedenken.

»Na, das hat auch was Gutes: Dann kannst du ja jetzt mit runterkommen. Cooler Farbton übrigens«, sagt Jan und betrachtet anerkennend die Wände meines Flurs.

»High Society«, antworte ich.

»Kommt ihr endlich?«, ruft Heidi von unten. So langsam schwant mir, dass das hier ein Überfallkommando ist und ich im Zweifelsfall von den beiden mitgeschleppt werde. »Ich habe euch gehört. Sie ist da, und sie hat Zeit!«

Mit jeder weiteren Ausrede würde ich jetzt blöd dastehen. Deshalb gehe ich mit. Aber nicht nur deshalb. Etwas anderes regt sich in mir: Der Wunsch, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Etwas zu tun, das mir und anderen hilft.

 

Die »Gemütliche Ecke« ist ein Etablissement, zu dem einem spontan – und soweit die unzulängliche Beleuchtung eine Beurteilung zulässt – die Bezeichnungen »Spelunke« und »Kaschemme« einfallen. Spelunke passt, finde ich, gefühlsmäßig besser, da ist mehr Hafenanklang drin.

Draußen ist es noch hell, doch die Fenster sind nahezu blickdicht mit eingestaubten Pflanzen zugestellt. Die Scheiben dahinter wirken wie aus Milchglas, aber das kann auch daran liegen, dass man sie wegen eben des pelzigen Urwaldes davor schlecht erreicht und deshalb auch zum Putzen nicht drankommt.

Es gibt einen Tresen, einen großen, langen Tresen, der rechts neben der Tür beginnt, bis zur Stirnseite reicht und über die Hälfte des Raumes einnimmt. Dahinter steht ein Mann, der auch schon mal bessere Zeiten gesehen hat. Oder auch nicht. Vielleicht hatte er nie Haare, vielleicht fehlte ihm schon immer ein Vorderzahn und der Rest war nie anders als braungraugelb. Und ganz sicher hatte er noch nie etwas anderes an als eine enge, fast durchgescheuerte Jeans, die seine mageren Hüftknochen umschließt, und ein T-Shirt mit einem großen Biene-Maja-Aufdruck. Nein, ganz bestimmt: Er sah schon immer so aus. Ein Urgestein, würde man wohl sagen, dabei hat dieses Männchen gar nichts Steinernes an sich – er sieht eher aus wie ein vergessener Ficus benjamini.

»Das ist Günne«, stellt Jan vor und zeigt dabei auf den verdorrten Wirt.

»Guten Tag«, sage ich, man will ja höflich sein.

»Tach!«, schmettert Günne. »Bier?«

Ich vermute, er möchte wissen, ob ich ein Bier haben möchte. Die Gläser, die sich hinter ihm im Regal auftürmen, sehen so ähnlich aus wie die Fensterscheiben. Undurchsichtig.

»Nein danke«, erwidere ich möglichst unverkrampft. »Ich möchte gar nichts.«

»Das bezieht sich jetzt hoffentlich nur auf die Getränke«, schnarrt es von gegenüber. Dort steht ein Tisch, liebevoll mit geblümter Plastikdecke und einem gusseisernen »Stammtisch«-Aufsteller verziert. Auf der einen Seite sitzen Erna und Heidi, auf der anderen die Hansens. Heidi streichelt mit einer Hand die verstaubten Pflanzen, Erna und Frau Hansen starren sich gegenseitig an. Herr Hansen starrt in sein Bier. Er nimmt einen Schluck.

»Trink nicht so schnell«, herrscht seine Frau ihn an. Lady, die unter dem Tisch geparkt wurde, kläfft zustimmend. Herr Hansen lässt seine Hand mit dem Glas kraftlos sinken.

Jan und ich setzen uns.

»Günne, kommst du bitte auch zu uns«, fordert Jan sanft.

»Ich? Ich bin doch nur der Wirt.«

»Dann bring Getränke mit und setz dich. Wir wollen anfangen.«

Günne stellt vorsorglich ein paar Flaschen Bier auf den Tisch, legt einen Öffner daneben und setzt sich auf eine Stuhlkante, bereit, jeden Moment wieder aufzuspringen.

Wir sitzen schweigend da. Was nun?

»Also, ich finde, jeder erzählt mal, wie lange er schon im Haus wohnt und warum er bleiben möchte«, schlägt Jan vor.

»Warum sie bleiben möchte«, korrigiert Heidi ihn.

»Natürlich, sie«, lenkt Jan ein. Ich stöhne innerlich. Das kann ja ein langer Abend werden. Ein langer, zäher Abend. Zäh wie alte Tintenfischringe.

»Wer am längsten hier wohnt, darf anfangen.«

»Das sind dann ja wohl wir«, sagt Frau Hansen. »Wir wohnen hier schon immer. Ich bin hier aufgewachsen, in unserer Wohnung. Und mein Mann in der von …«, sie wedelt mit der Hand in Richtung Erna, »… ihr hier. Wir haben noch nie woanders gewohnt. Meine Mutter ist in diesem Haus gestorben und die von meinem Mann auch.«

Ich finde ja, das ist kein besonders guter Grund zu bleiben. Herr Hansen hustet so heftig, als würde er es seiner Mutter gleichtun wollen und ebenfalls in diesem Hause von uns gehen. Dann wäre die Sache immerhin für ihn erledigt.

»Ich wohne seit 1963 hier und habe noch nicht vor zu sterben – im Gegensatz zu denen«, knarzt Erna. »Ich will hier einfach wohnen bleiben.«

»Die würde ja auch kein anderer Vermieter nehmen«, höhnt Frau Hansen. »Bei ihrem Gewerbe.«

Sieht so aus, als wäre ich mitten in eine alte Nachbarschaftsfehde geraten. Jan klopft Herrn Hansen, der immer noch hustet, auf den Rücken.

»Ich will den Garten nicht verlieren«, sagt Heidi. Ihr stehen die Tränen in den Augen. Sie ist kurz davor, eins der Fensterbank-Gewächse zu umarmen. »Ende der Achtziger habe ich angefangen, hier alles zu bepflanzen. Ich bin bereit, mit meinem Leben darum zu kämpfen!«

»Und ich, na ja, das ist meine Existenz.« Günne zeigt auf das zerkratzte Mobiliar, den heruntergekommenen Tresen. Auf einem von der Schwerkraft gebeutelten Wandregal stehen Pokale, die sich bedrohlich gen schmierigen Fliesenboden neigen. »Und der Arbeitsweg ist kurz. Das ist bei meinen Arbeitszeiten nicht ganz unwesentlich. Ich weiß gar nicht genau, seit wann ich hier bin.«

Schon immer, denke ich.

»1991«, sagt Frau Hansen. »In dem Jahr, als Princess gestorben ist. Meine Langhaardackeldame«, fügt sie erklärend dazu. Lady jault morbide.

Außer uns ist kein anderer Gast da. Das ist ja eine tolle Existenz, denke ich, bestimmt eine Goldgrube.

Als könnte Günne meine Gedanken lesen, ergänzt er: »Die Roger-Whittaker-Abende laufen ganz gut.«

»Das kann man hören«, sagt Heidi.

»Ich bin gegen die Gentrifizierung St. Paulis! Das Viertel braucht alte Häuser, günstige Wohnungen, eine gewachsene Infra- und eine gemischte Bevölkerungsstruktur«, doziert Jan.

»Und was hat das mit dir zu tun?«, fragt Heidi.

»Äh, ich wohne seit sieben Jahren hier. Ich weiß, das ist nicht so lange wie bei den meisten anderen, aber ich fühle mich hier zu Hause. Ich kann die Miete bezahlen, mein Atelier ist hier um die Ecke … und ich will nicht dafür verantwortlich sein, dass hier alles totsaniert wird!«

»Wieso solltest du dafür verantwortlich sein?«, fragt Heidi verwundert.

»Weil die Gentrifizierung immer mit den Künstlern anfängt. Und ich bin Künstler.« Jan ist kurz davor, in den Aschenbecher zu greifen und sich etwas Asche auf den Kopf zu streuen, nur so als Geste. Wie Künstler eben sind. Keiner in dieser Runde – außer mir, ich kenne dieses Geständnis seinerseits ja schon – versteht, was Jan sagen will. So sehen auch alle aus.

Herr Hansen wirft ein bekräftigendes »Hä?« in die Runde und nimmt einen großen Schluck Bier.

»Wenn Künstler irgendwohin ziehen, dann wird das Viertel dadurch aufgewertet. Dann kommen als Nächstes die Immobilienspekulanten. So wie bei uns!«