Ich weiß, was ich kann - Band I - Winfried Wolf - E-Book

Ich weiß, was ich kann - Band I E-Book

Winfried Wolf

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Beschreibung

Louise verdankte ihre ganze Bildung den Gesprächen mit ihren berühmten Freunden Rousseau, Diderot, Grimm, Duclos und Voltaire. Sie hatte an keiner Universität studiert und war doch mit allen Bereichen vertraut, in denen die Männer in ihrer Umgebung als Meister auftraten. Trotzdem blieb sie fast ihr ganzes Leben immer nur ein Anhängsel eines Mannes. Dass ihr Name bis heute immerhin eine gewisse Bekanntheit hat, verdankt sich dem Umstand, dass sie eine Förderin und später eine Gegnerin Rousseaus war. Aber Louise war weit mehr als nur Förderin und Freundin bekannter Aufklärer. Sie war ein Frau, die sich unter den schwierigsten Bedingungen aus gesellschaftlichen Zwängen zu befreien vermochte. Sie war eine Frau, die schon früh eigene Gedanken zur Erziehung von Kindern entwickelte und ein Frauenbild verfocht, das ihrer Zeit weit voraus war.

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Winfried Wolf

Ich weiß, was ich kann.

Winfried Wolf

Ich weiß,

was ich kann

Leben und Wirken der Madame d’Épinay

Band I

Impressum

Texte: © 2022 Copyright by Winfried Wolf

Umschlag:© 2022 Copyright by A. E. Treitinger

Verantwortlich

für den Inhalt:Winfried Wolf

Scharnhorststraße 26

93049 Regensburg

[email protected]

Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Versuch einer Annäherung

Hochzeit und erste dunkle Wolken

Louise schreibt einen Brief an Frau von Maupeou

Louise schreibt einen weiteren Brief an ihre Cousine

Louise schreibt an Herrn Lisieux

Ein weiterer Brief an Lisieux

Anmerkungen des Autors

Eine Mitteilung von Frau von Maupeou an Frau von Épinay

Louise schreibt an Frau von Maupeou

Der Chevalier de Canaples

Louise schreibt an Frau von Maupeou

Louise macht sich Sorgen

Louise schreibt ihrem Mann einen Brief

Herr von Épinay schreibt zurück

Anmerkungen des Autors

Der liebenswürdige Herr von Francueil

Anmerkungen des Autors

Der nächtliche Besuch

Anmerkungen des Autors

Das nette Fräulein von Ette

Anmerkungen des Autors

Der wunderbare Herr von Francueil

Anmerkungen des Autors

Freundschaft ja, aber Liebe: nein

Anmerkungen des Autors

Louise spielt Theater

Anmerkungen des Autors

Kindererziehung wäre eine schöne Sache

In Gesellschaft

Madame Quinault und Herr Duclos

Anmerkungen des Autors

Herr Duclos erklärt sich

Anmerkungen des Autors

Eine neue Freundin: Madame de Jully

Herr von Épinay kommt zurück

Anmerkungen des Autors

Tod des Schwiegervaters

Ein peinlicher Zwischenfall

Frau von Versel

Anmerkungen des Autors

Duclos wird etwas unangenehm

Anmerkungen des Autors

Im Haus eines Steuerpächters

Fragen der Erziehung

Anmerkungen des Autors

Eine Liebesbeziehung löst sich auf

Anmerkungen des Autors

Was sich allgemein hier zur Ehe Moral sagen lässt

Religiöser Beistand

Das Leben geht weiter

Anmerkungen des Autors

Ein gewisser Herr Grimm

Anmerkungen des Autors

Der ehrgeizige Herr Grimm

Ein heikles Anliegen

Anmerkungen des Autors

Duclos erzählt eine haarsträubende Geschichte

Anmerkungen des Autors

Das Porträt des Herrn Grimm

Anmerkungen des Autors

Eine mysteriöse Geschichte

„Familienleben“

Duclos sorgt wieder einmal für Ärger

Anmerkungen des Autors

Prüfungen

Anmerkungen des Autors

Grimm etabliert sich

Anmerkungen des Autors

Tod des Grafen von Friesen

Das Übliche und neue Turbulenzen

Herr Grimm denkt und lenkt

Von Freund zu Freund

Anmerkungen zu Jean-Jacques Rousseau

Die Eremitage

Auf gute Nachbarschaft

Anmerkungen des Autors:

Eine kranke Mutter und die Erziehung der Kinder

Anmerkungen des Autors:

Alle kümmern sich um Rousseau

Der erste Winter in der Eremitage

Rousseau schreibt dir einen Brief:

Ein Brief an Rousseau:

Eine neue Bekanntschaft: Baron d’Holbach

Grimm zieht in den Krieg

Lebensdaten zu Madame d’Épinay

Grundlegende Literatur

Vorwort

Ich lernte Frau von Épinay erstmals kennen, als ich Rousseaus Bekenntnisse las. Als gelernter Pädagoge war mir ihr Name aber schon während der Studienzeit untergekommen. Ich erinnerte mich, irgendwo gelesen zu haben, dass sie eine Art von Gegenentwurf zu Rousseaus Erziehungsroman Emilie verfasst hatte. Ich lernte sie etwas näher kennen, als ich das Buch Friedrich Melchior Grimm, ein Aufklärer aus Regensburg schrieb.

Grimm war Anfang der 50er Jahre des 18. Jahrhunderts in Paris mit Jean-Jacques Rousseau zusammengetroffen und der hatte seinen Freund Melchior bald darauf mit Frau von Épinay bekannt gemacht. Zwei Jahre nach ihrem ersten Zusammentreffen wurde Grimm ihr Geliebter. Er blieb bis zu ihrem Tod ihr mehr oder minder treuer Begleiter.

Melchior Grimm war ein ehrgeiziger junger Mann, der im Kreise der Enzyklopädisten um Denis Diderot zu Ruhm kommen wollte. Wie Grimm es innerhalb kürzester Zeit gelingen konnte, seinen Platz unter den französischen Aufklärern einzunehmen, kommt fast einem Wunder gleich. Dass später aus ihm, dem Sohn eines Predigers aus Regensburg, gar ein einflussreicher Diplomat und Minister werden sollte, war mehr als außergewöhnlich für einen Mann bürgerlicher Herkunft.

In meinem Buch Friedrich Melchior Grimm, ein Aufklärer aus Regensburg, nahm Louise d’Épinay den wichtigen Platz einer „Muse“ ein. Sie blieb bis zu ihrem Tode treu an Grimms Seite und teilte mit den meisten Frauen ihrer Zeit das Schicksal, immer im Schatten eines Mannes zu stehen.

Noch während ich über Grimm schrieb, weckte Frau von Épinay zunehmend mein Interesse. Sie hatte an keiner Universität studiert und war doch mit allen Bereichen vertraut, in denen die Männer in ihrer Umgebung als Meister auftraten. Louise verdankte ihre ganze Bildung den Gesprächen ihrer Freunde und dem eifrigen Studium der Bücher. Trotzdem blieb sie immer nur das Anhängsel eines Mannes. Dass ihr Name bis heute immerhin eine gewisse Bekanntheit hat, verdankt sich dem Umstand, dass sie eine Förderin und später eine Gegnerin Rousseaus war. Aber Louise war weit mehr als nur Förderin und Freundin bekannter Männer. Sie war eine Frau, die sich unter den schwierigsten Bedingungen aus gesellschaftlichen Zwängen zu befreien vermochte. Sie war eine Frau, die schon früh eigene Gedanken zur Erziehung von Kindern entwickelte und ein Frauenbild verfocht, das ihrer Zeit weit voraus war. Sie schrieb Beiträge für Grimms Correspondance littéraire, die sich durchaus mit den Beiträgen eines Denis Diderot messen konnten. Ihre pädagogischen Arbeiten können heute in einem Atemzug mit Rousseaus Emile genannt werden und ihre Memoiren schildern uns, wie der bekannte Kulturkritiker Saint Beuve bestätigt, das 18. Jahrhundert wahrer und lebendiger als so manches gelehrte Geschichtsbuch. Louise d’Épinay war wahrlich mehr als nur Grimms Gefährtin. Es ist Zeit für eine Ehrenrettung. Ich bin natürlich nicht der erste, der einen solchen Rettungsversuch unternimmt. Für Louise haben schon viele heftig und mit guten Gründen Partei ergriffen. Sie gilt vor allem nach dem Buch Emilie, Emilie von Elisabeth Badinter als eine Ikone der Frauenemanzipation.

Aus heutiger Sicht war Louise d’Épinay in gewisser Weise nicht weniger ehrgeizig als ihr deutscher Freund Melchior Grimm. Doch er stellte im Gegensatz zu ihr den Ruhm über alles, der Ruhm war der Angelpunkt seines Lebens, um den sich alles drehte. Grimm hat offen die Rangordnung seiner Werte gezeigt. Für ihn kam Louise erst an zweiter Stelle, weit hinter Ehren und Ansehen. Auch Louise war auf ihre Art ehrgeizig, sie durfte es nur weniger zeigen und sie war davon überzeugt, dass es einer Frau nicht zusteht, nach Ruhm zu streben. „Ich fürchte jegliche Berühmtheit“, sagte sie einmal zu einem Freund, der ihre Memoiren gelesen hatte und zu einer Veröffentlichung riet. Bei ihren literarischen und kritischen Arbeiten zog sie es vor, die Anonymität zu wahren, aus Furcht, ihren eigenen Ansprüchen nicht zu genügen. Louise hat stets ihre geistigen Schwächen betont, ob aus Einsicht, Bescheidenheit oder Masochismus, immer wieder kommt sie in ihren Memoiren und in ihren Briefen auf ihre Unzulänglichkeit zu sprechen. „Ich bin sehr unwissend, das ist eine Tatsache“ pflegt sie immer wieder zu sagen. In einem Brief an ihren Freund Galiani geht sie sogar noch weiter: „Um auf meine Nichtigkeit zurückzukommen, so bewundere ich wahrlich Ihre große Freundlichkeit, die Sie in einem Briefwechsel, der so fade ist wie der meine, auf Pünktlichkeit achten lässt. Ich sehe niemanden, niemand bringt mich auf neue Gedanken, ich schöpfe alles aus meinem Inneren, und ich bemerke tagtäglich, dass es sehr begrenzt ist.“

Das ist natürlich eine Koketterie, Louise ist immer der Meinung gewesen, ihr Geist habe zu lange brachgelegen, als dass sie sich an den begabteren Menschen, mit denen sie verkehrte, hätte messen dürfen. Die beinahe hoffnungslose Einsicht in die eigenen Grenzen ist bei Louise d’Épinay allerdings auch ein deutliches Anzeichen für einen tiefwurzelnden Ehrgeiz. Sie konnte erst spät ihre heimlichen Wünsche erfüllen. Erst als Großmutter konnte sie zu einer freien Frau werden und ihre Gedanken zur Erziehung offiziell zur Geltung bringen.

Es war Melchior Grimm, der Louise, wenn auch maßvoll in seinen Komplimenten, in ihrer Arbeit stets ermutigte. Dreißig Jahre stand er ihr als Gefährte in wechselnden Rollen zur Seite. Er war für sie zeitweilig Vater, Ehemann und Liebhaber. Mit Grimms Eintritt in ihr Leben, beginnt Louise d’Épinay sich zu emanzipieren. Diesen Prozess der Wandlung möchte ich in diesem Buch darstellen. Unbefriedigt von ihrem Privatleben und benommen von einer sinnlosen Umtriebigkeit, die sie von sich selbst entfremdete, sehnte sie sich nach einer dauerhaften und beruhigenden Bindung. Mit der Geschichte der Frau von Montbrillant, wollte sie sich später vom Verdacht der Leichtfertigkeit, der Koketterie und der Charakterlosigkeit reinwaschen. Hinzu kam noch ein erzieherisches Motiv. In ihren Memoiren sollte man erkennen, wie gefährlich eine zaghafte und schwankende Erziehung ist. Ihr erschien es notwendig zu sein, den Charakter eines Kindes zu studieren, damit man einen unveränderlichen Erziehungsplan aufstellen kann.

Für Louise d’Épinay begann die fruchtbarste Zeit ihres Lebens nach der Begegnung mit Grimm, es sind die Jahre von 1756 bis 1783. Um das Jahr 1750 fand Louise das stoische Lebensideal verlockend, das ihr Doktor Tronchin vorgestellt hatte. „Verallgemeinern Sie Ihre Philosophie; in ihr ist das wahre Glück enthalten; alles, was außerhalb ihrer liegt, sind nur nichtige Begierden. Unser Glück liegt in uns selbst und verliert sich, wenn es sich auf Äußeres stützt.“ Ihrer Enkelin Emilie wird sie später lehren, dass es kein Glück gibt, wenn man nicht die sittlichen Gebote befolgt. Um glücklich zu sein, muss man für die anderen nützlich sein, wiederholt sie ihr unablässig. Louise hat sich wie viele ihrer Zeitgenossen schon dem neuen Moral- und Gefühlskodex zu eigen gemacht, der der menschlichen Solidarität eine veränderte Bedeutung zweist. Allmählich setzte sich zu ihrer Zeit die Menschheitsidee bei den Leuten durch, die es bislang eher gewohnt waren, die Menschen nach ihrem Stand zu unterscheiden, statt sie zu einem einzigen Begriff zusammenzufassen. Ob sie sich selbst darüber klar war oder nicht, ihr Lebensideal ist eine Vorwegnahme des 19. Jahrhunderts. Es gibt wenige Frauen des 18. Jahrhunderts an deren Lebensweg man so deutlich die Umbrüche der Zeit ablesen kann, wie das bei Louise d’Épinay der Fall ist. Ihre Lebenserinnerungen sind eine kostbare Quelle für die Nachwelt. Die Brüder Goncourt sahen in ihren Memoiren ein „Meisterwerk von weiblicher Hand“. Und weiter heißt es: „Es war nicht die Phantasie, die dieses Meisterwerk inspirierte, es war die Beobachtung, die es diktierte, die psychologische Beobachtung, die der Leidenschaft auf den Grund ging und sie restlos erforschte.“ Der große Saint-Beuve gar geriet in Entzücken: „Kein Buch schildert uns besser das 18. Jahrhundert, die Gesellschaft und die Sitten von damals. Nichts, das wahrer und lebendiger wirkte. Die Memoiren von Mme. d’Épinay sind keine Werke, sie sind eine Epoche.“

Versuch einer Annäherung

Auf deiner Internetseite sieht man das Schloss, in dem du zwischen 1746 und 1762 die Sommer über verbracht hast. Das Bild, das dein Liebhaber Louis Dupin de Francueil von Haus und Garten malte und das dann dein Schwager, Ange Laurent de Lalive de Jully, später stechen ließ, zeigt wahrlich einen Palast. Ich würde gern wissen, wie dieser Palast ausgesehen hat, in dem du mehr als zehn Jahre deines Lebens verbracht hast. Doch das Renaissance-Schloss von La Chevrette gibt es nicht mehr, aber es existiert in Deuil-La Barre immerhin noch eine Schlossstraße und ein schön geschwungenes Eingangstor, in dessen Nähe ein Schild auf den „Parc de la Chevrette“ hinweist.

Einst umgab ein großer Garten euer Schloss, der Entwurf dafür stammte, wie ich nachlesen kann, von keinem Geringeren als André Le Notre, dem bedeutendsten Gartenarchitekten aus der Zeit Ludwigs XIV. .

Himmel, was für Dimensionen! Euer Park umfasste mehr als 30 Hektar. Sogar ein Kanal, auf dem einst, wie man sagt, Schwäne ihre Bahn zogen, durchschnitt ihn. Es gab künstliche Höhlen, sprudelnde Fontänen, einen sechseckigen Pavillon am Fuße eines bewaldeten Hügels, von dem man einen Blick auf die umliegende Landschaft und das Schloss werfen konnte.

Nach deinem Tod im Februar 1783 erbte deine Tochter Angélique, Vicomtesse von Belzunce, dieses Schloss, aber ihr Ehemann ließ es 1786 aus Gründen, die wir nicht genauer kennen, abreißen. Übrig geblieben ist lediglich das Pförtnerhäuschen, in dem heute ein Museum für Regionalgeschichte untergebracht ist.

Als dein Schwiegervater, der reiche Finanzmann und spätere General- Steuer Pächter Louis-Denis Lalive de Bellegarde 1731 das Anwesen kaufte, war fast alles schon vorhanden, was später auch zu deiner Verfügung stehen sollte.

Ich mache mich kundig und werfe einen Blick auf die Beschreibung der Domäne, wie sie heute noch, versehen mit dem Datum vom 17. Juni 1727, in Chantilly einzusehen ist: Land und Anwesen von La Chevrette in der Pfarrgemeinde Deuil bestehen aus Allee, Vorplatz, Innenhof, Hauptgebäude mit eingebauter Kapelle, zwei freistehenden Pavillons, einer rechts für Küche und Büro, der andere links für den Concierge und den Gärtner, zwei Bauernhäuser mit ihren Gebäuden rechts und links, eine Menagerie, einen großen ummauerten Park mit Gehölz, ein Blumenbeet mit zwei Teichen, einen großen separaten Gemüsegarten, der etwa sieben Hektar mit Obstbäumen bepflanzt ist, ein Bauernhaus hinter der Orangerie, weitere Gebäude und Scheunen, ein Taubenschlag sowie fünf Mietshäuser im Weiler La Barre und an der Allee, die zum Schloss Chevrette führt.

Ein Plan des Schlosses, der zwischen 1740 und 1750 erstellt wurde, zeigt uns das Schloss, wie es von zwei Flügeln flankiert wird. In dieser Ansicht kennen wir es, so hat es dein Liebhaber, Herr von Francueil, gemalt.

Als du Schlossherrin wurdest und als Herrin deiner Menagerie hier auch deine Bären, so nanntest du deine Verehrer, zu zähmen versuchtest, hatten dein Schwiegervater Louis- Denis Lalive de Bellegarde und später auch dein Mann Denis-Joseph Lalive bereits neue Bauten hinzufügen lassen. Das Haupthaus war renoviert und vergrößert worden, es hatte links und rechts je einen Flügel bekommen und die Orangerie war zum Theater ausgebaut worden, wobei einer der freistehenden Pavillons zur Bühne und der andere zur Eingangshalle wurde.

Was für ein Schloss, welche Pracht und welche Verschwendung! Dein Schwiegervater, Monsieur de Bellegarde hatte im Erdgeschoß die Räume des Schlosses von Charles-Joseph Natoire, dem Rivalen des Malers Boucher, mit Bildern aus der griechischen Mythologie schmücken lassen. In der Bibliothek zierte der Triumphzug des Bacchus die Decke und im Wohnzimmer erzählten vier große Gemälde die Geschichte der Psyche. Natoire war zu seiner Zeit u. a. durch seine Ausmalung des Salon oval im Hotel de Soubise in Paris bekannt geworden. Hier schuf er zwischen 1737 und 1739 acht Darstellungen der Geschichte der Psyche, die in subtiler Weise die Schönheit der Fürstin von Soubise mit Psyche verglich. Stellen wir uns nur einen Moment vor, er hätte auf der Chevrette auch dich, Louise, in mythologischer Verfremdung dargestellt, so wie es damals dem Zeitgeschmack entsprach. Welchen Ausdruck hätte er wohl deinem Gesicht verliehen?

Dein Schwiegervater, Louis-Denis Lalive de Bellegarde, dessen Sohn Denis-Joseph später den Namen Épinay annehmen sollte, gehörte als Generalsteuerpächter noch zu jener Generation von Finanzleuten, die das Leben des Hofadels nachahmen wollten. Er und sein Sohn Denis-Joseph steckten ein Vermögen in Ausbau und Verschönerung der „Burg“ von La Chevrette. Auch du, Louise, berichtest uns in deinen Tagebüchern von umfangreichen Umbaumaßnahmen und du ahnst bereits, dass dieser Pomp die Épinays noch in den Ruin treiben wird.

Im angebauten linken Flügel des Hauptgebäudes befanden sich zwei Wohnungen. Hier hast du in den Sommermonaten dein Domizil aufschlagen können. Deine Wohnung bestand aus zwei Räumen und einem Schlafzimmer mit Alkoven, einem Badezimmer und einem Boudoir. Mit dem Vorhandensein eines Boudoirs zeigte die vornehme Gesellschaft des 18. Jahrhunderts in gewisser Weise schon eine Referenz an die weibliche Souveränität, doch mit dieser Souveränität war es in Wirklichkeit so weit nicht her, wie wir noch sehen werden. Mit dem Ankleidezimmer verbunden war ein Wasserklosett, damals eine wirklich kostspielige Angelegenheit. Man erinnere sich: Am Hof von Ludwig XIV. in Versailles gab es zwar 2.000 Zimmer, aber es war nur ein eingebautes Klo vorhanden.

Werfen wir einmal einen Blick in deine Zimmer! Helle Holzvertäfelungen, weiße und graue Wandzeichnungen, Gemälde und Gobelins, Marmorkamine, Spiegel und Kronleuchter, kostbare Möbel – das alles du in den bildete das leicht frivole und charmant feminine Dekor deiner Räume. Und die andere, etwas kleinere Wohnung mit Vorraum und Schlafzimmer, war das die Wohnung deines späteren Geliebten Melchior Grimm?

Dein Mann hatte seine eigene Wohnung im rechten Flügel des Schlosses. Hier hatte vordem sein Vater Räume für sich ausbauen lassen und hierhin zog dein Mann, als eure vereinbarte Trennung ausgesprochen war. Von alledem ist so gut wie nichts mehr vorhanden. Der Zauber von einst ist dahin, heute grenzen die Rue du Chateau, die Rue Jean Bouin und die Rue du Docteur Schweitzer den kümmerlichen Rest des Parks von Chevrette ein. Und damit nicht genug, im Osten durchschneidet eine Eisenbahnlinie die ehemalige Domäne der Épinay’s die einst bis hinauf zum Wald von Montmorency reichte

Ich halte für einen Augenblick inne und schließe die Augen. Hier hieltest du also deinen berühmten Salon, hier empfingst du die großen Geister der Zeit, hier spieltest du mit deinen Freunden in der umgebauten Orangerie Theater, hier lerntest du deine Liebhaber kennen, hier erlebtest du die Höhen und Tiefen von Liebe und Leidenschaft. Schade, ich wäre gern noch einmal durch die Räume deines „pompösen“ Schlosses gegangen, hätte gern einen Spaziergang durch deinen weitläufigen Garten gemacht, in der Hoffnung, hier noch etwas von deiner Anwesenheit zu spüren, den Duft deines Parfüms zu atmen.

Hochzeit und erste dunkle Wolken

Am 23. Dezember 1745 heiratet Louise Florence Pétronelle Tardieu d’Esclavelles ihren Cousin zweiten Grades, den Hauptzollpächter Denis-Joseph Lalive, Marquis d’Épinay, den zweiten Sohn von Louis Denis Lalive de Bellegarde und Marie Thèrese Josèphe Prouveur.

Louise schreibt einen Brief an Frau von Maupeou

„Liebe Cousine, es macht mich wütend, wenn ich daran denke, dass Ihre Mutter sie nicht mit dem Mann verheiratet hat, der Sie geliebt hat. Was für ein Glück ist es doch, die geliebte Frau eines Mannes zu sein, den man liebt. Ich kann noch gar nicht an mein Glück glauben. Vor einiger Zeit noch haben Sie mich bedauert und gedacht, dass ich mich im Hause meines Schwiegervaters zu Tode langweile. Liebe Cousine, Sie haben sich geirrt. Unangenehm waren seit meiner Heirat lediglich die Momente, die ich für die Besucher aufwenden musste. Wie glücklich, ich doch bin! Wird mein Herz jemals so viel Glück ertragen können? Es gibt Momente, da könnte mein Herz zerspringen vor Aufregung. Gibt es einen respektvolleren Sohn, einen zärtlicheren Ehemann als Herrn von Épinay? Ach, liebe Cousine, ich finde keine Worte, es gibt tausend Dinge, die ich fühle, aber nicht auszudrücken vermag. Ich will lhnen darlegen, was Herr von Épinay vorgeschlagen hat, wie wir unser Leben verbringen werden. Er will zuerst einmal in den sechs Jahren, in denen er von Amts wegen auf Reisen sein wird, etwas auf die hohe Kante legen. Und wenn wir dann in der Lage sind unser eigenes Zuhause zu schaffen, wollen wir uns darin niederlassen. Wir werden zweimal pro Woche mit unseren Eltern speisen. Wir werden zweimal in der Woche zu Abend essen und einmal zu Mittag essen. Mein Mann beabsichtigt unabhängig von den beiden Abendmahlzeiten auch zu Mittag zu essen, denn ich liebe diese Mahlzeiten. Wie aufmerksam und rücksichtsvoll er doch ist. Aber sollte ich nicht das Leben führen, das ihm am besten passt? Ich sagte es ihm, doch er bestand auf dieser Einteilung. Ja und dann werden wir ein Konzert haben, zu dem alle unsere Bekannten kommen können. An anderen Tagen werden es nur noch wenige Musiker sein, die uns hinter verschlossenen Türen amüsieren werden. Ach, habe ich ganz vergessen, worüber ich Ihnen noch schreiben wollte. Ich möchte, dass Sie morgen, wenn Sie zuhause sein sollten, mit mir und meinem Mann zu Abend essen. Antworten Sie mir bitte mit ein paar Zeilen. Nun Adieu, ich muss zum Ende kommen, ich hätte Ihnen noch tausend Dinge zu erzählen, aber wir gehen zum Abendessen und ich bin noch nicht fertig angezogen.“

Louise schreibt einen weiteren Brief an ihre Cousine

„Ah, liebe Cousine, gestern verbrachte ich einen herrlichen Tag. Wir wollten Frau von Ternan besuchen. Meine Mutter fühlte sich unwohl und hatte Halsweh. Das beunruhigte mich, ich wäre gern gegangen, aber das Gefühl, mich um meine Mutter kümmern zu müssen, hielt mich zurück. Ich wollte meinem Mann vorschlagen ebenfalls zu bleiben und die Verabredung mit Frau von Ternan abzusagen, aber ich wollte doch, dass der Vorschlag von ihm kommt. Ich war schon nahe daran, ihn zu bitten mit mir bei meiner Mutter zu bleiben. Wir redeten etwa zehn Minuten über dieses und jenes, dann bot er mir von sich aus an, bei mir zu bleiben. Vielleicht hätte ich sein Angebot nicht sofort annehmen sollen, aber ich tat es und dankte ihm von Herzen für seine Freundlichkeit. Wir blieben bis etwa drei Uhr bei meiner Mutter. Sie wusste diese Aufmerksamkeit allerdings nicht so zu schätzen, wie sie es meiner Meinung nach hätte tun sollen. Ich weiß natürlich, dass er nur seine Pflicht getan hat, aber es sind doch immer nur wenige, die tun, was sie tun sollten. Seine Handlung hätte jedenfalls von Seiten meiner Mutter mehr Wertschätzung verdient. Der große Fehler der Männer, denke ich, besteht darin, dass sie sich niemals an die Stelle derjenigen setzen können, über die sie urteilen. Dies ist bestimmet auch im Fall meiner Mutter so. Sie ist vielleicht niemals ungerecht behandelt worden, das hat sie vielleicht auch so streng auch gegen meinen Mann werden lassen. Sie können sich vorstellen, liebe Cousine, wie schmerzhaft es für mich ist, dann für meinen Mann und gegen meine Mutter stehen zu müssen. Ich wünschte, ich könnte meinen Mann dazu bringen, auch ihr gegenüber etwas mehr Vertrauen aufzubringen. Er könnte sie beispielsweise fragen, ob er sich mehr um ihre Angelegenheiten, die ja momentan nicht in bester Ordnung sind, kümmern solle.

Nach dem Abendessen gingen wir wieder auf unsere Zimmer und mein Mann schlug vor, mit dem Hinweis auf meine kranke Mutter, keine Besucher mehr zu empfangen. Unter den gegebenen Umständen wolle er an diesem Tag auch nicht ausgehen. Ich hätte nichts Besseres erwarten können, ich war begeistert, aber ich wusste, dass ich diesen Vorschlag selbst hätte niemals machen können. Da wir nun vor Unterbrechungen sicher waren, widmeten wir uns zunächst der Musik, dann sprach er mit mir über das Theater, das er häufig besuchte. Dabei sprach er an, dass er es gerne sähe, wenn auch ich mich für das Theater begeistern könne. Wir überlegten, wie wir es schaffen könnten, ins Theater zu gehen ohne meine Mutter damit zu schockieren. Seine Idee war, dass ich einfach meinen Wünschen folgen sollte, ohne große Rücksichten auf das Missfallen meiner Mutter zu nehmen, das er für unvernünftig hielt. Liebe Cousine, ich glaube, dass du mir einmal gesagt hast, dass er keine Prinzipien habe. Natürlich würde ich gern mit ihm ins Theater gehen, doch ich will mich auch nicht gegen meine Mutter entscheiden. Ich bin hin- und hergerissen. Ich will meinen Mann nicht aus den Augen verlieren. Ich versprach daher mit meiner Mutter zu sprechen. Ich will versuchen, ihre Zustimmung zu erhalten. Ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll und eigentlich sollte ich mit ihr über Dinge sprechen, die mir im Augenblick mehr Sorgen bereiten. Da ist diese Verbitterung in ihrer Stimme, wenn sie mit meinem Mann spricht und dann hat sie immer diese Vorurteile gegen ihn und immer muss sie ihm widersprechen. Aber ich traue mich nicht, mit ihr darüber zu sprechen, weil ich glaube, dass sie dann auch gegen mich voreingenommen ist und beleidigt reagiert. Dann hätte ich gar keinen Einfluss mehr auf sie und könnte nichts zu seinen Gunsten tun. Ich muss also behutsam vorgehen, wenn ich mit meinem Onkel oder mit meiner Mutter rede. Mein Onkel, den ich nach allem, was er für mich getan hat, meinen Vater nennen kann, scheint völlig frei von Vorurteilen zu sein. Er ist gerecht, aber er kann keiner Sache irgendeine Bedeutung zumessen. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Haltung auf Gleichgültigkeit, Trägheit oder eine Art von Philosophie zurückzuführen ist. Ich habe Mitleid mit ihm. Man verliert zu viel Freuden des Lebens, wenn wir zu weit gehen – wie soll ich es ausdrücken? Diese Schläfrigkeit, diese scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber allem was um uns herum vorgeht. Menschen wie mein Onkel neigen oft dazu, zu sagen, dass sie nichts sehen und nichts hören. Und wenn sie einem ihre Dankbarkeit oder Freundlichkeit zeigen wollen, dann nicken sie mit dem Kopf und zeigen ein schwaches Lächeln. Ich sehe durchaus, dass er Gefühle hat, aber er kann sie nur wie durch einen Schleier zeigen, den er nicht herunterreißen kann, weil ihm die Kraft dazu fehlt. Es ist immer schwer zu erraten, ob er mit dir zufrieden ist oder nicht. Er spricht wenig und scheint kaum an irgendetwas Anteil zu nehmen und doch entgeht ihm nichts. Er findet oft nicht die richtigen Wörter, weil er sehr abwesend ist, aber letztlich bleibt der Eindruck, den die Dinge bei ihm im Kopf hervorrufen, erhalten. Er ist selten wütend, aber wenn er doch einmal gezwungen wird, zu schimpfen, kann man leicht erkennen, dass er hier nicht in seinem Element ist. Ich versuche ständig herauszufinden, wie ich ihm einen Gefallen erweisen kann. Wenn ich dazu ermutigt werden müsste, wäre ich zu bedauern, aber die bloße Vorstellung, damit meinem Mann helfen zu können, reicht völlig aus, um zu verhindern, dass ich meiner Aufgabe jemals müde werde. Wir verbrachten den Abend so angenehm wie den ganzen Tag. Mein Mann meinte, dass die Zeit sehr schnell vergangen sei. Ich habe ihn noch nie so liebenswürdig gesehen. Beim Abendessen ging es recht heiter zu und es gelang uns sogar, meine Mutter und meinen Onkel zum Lachen zu bringen. Mein Schwager, Herr von Jully scherzte auf eine Art mit mir, die einer verheirateten Frau die Schamesröte ins Gesicht treiben konnte. Meine Mutter sah mich von Zeit zu Zeit mit einer strengen Miene an, vor allem dann, als wir über die Freuden des vergangenen Tages sprachen. Ist es denn unanständig, gar ein Verbrechen, seinen Mann zärtlich zu lieben? Ich habe fast Angst in ihrer Gegenwart von ihm zu sprechen. Was für eine komische Zurückhaltung ist das, liebe Cousine. Ich habe Angst, dass ich noch einmal meine Geduld verliere. Sie rufen nach mir, adieu, meine Liebe. Du lieber Himmel. Ich habe Ihnen zwei volle Stunden lang geschrieben.“

Louise schreibt an Herrn Lisieux

„Mein lieber Schutzengel, ich gebe am Donnerstag mit der Zustimmung meiner Eltern einen Kostümball. Sie müssen unbedingt kommen. Es wird sehr lustig werden. Frau von Maputo und ich werden als Hirtinnen auftreten. Wenn Sie nur mein Kleid sehen könnten! Sie müssen also unbedingt kommen. Ich habe jetzt nicht die Zeit, Ihnen mehr darüber zu erzählen. Sie müssen nur kommen, ohne Sie wird es nicht gehen. Übrigens, heute Morgen sagte ich zu meiner Mutter „ich will“. Stellen Sie sich das vor! Ich war aber nicht sehr erfolgreich darin. Ich glaube, es lag daran, dass sie sehen konnte, dass ich am ganzen Körper vor Aufregung zitterte, als ich es sagte. Ich werden Ihnen alles erzählen, wenn ich Sie sehe.“

Ein weiterer Brief an Lisieux

“Mein lieber, allerliebster Schutzengel! Oh Himmel! Mein Mann ist wütend auf mich und ich glaube nicht, dass ich im Unrecht bin. Meine Mutter, die sonst immer gegen ihn ist, ist auf seiner Seite. Ich kann es nicht verstehen. Ich muss Ihnen berichten, was geschehen ist. Sie werden entscheiden, wer von uns recht hat und ich bin nicht sicher, ob Sie sich zu meinen Gunsten entscheiden werden. Ich will Sie aber nicht bedrängen, lieber Liseux, ich will nur, dass Sie mir sagen, ob ich Unrecht habe.

Sie wissen vielleicht, dass mein Mann in den letzten vierzehn Tagen oft außerhalb gegessen hat, aber Sie wissen sicher nicht, dass er immer sehr spät nach Hause kommt und sich dann gleich in sein eigenes kleines Zimmer zurückzieht. Da sein Zimmer gleich neben dem meinen liegt und ich, solange ich nichts von ihm gehört habe, nicht einschlafen kann, verhält es sich so, wie ich sage. Bisher habe ich es nicht gewagt, mit ihm darüber zu reden, so sehr mich das Ganze auch ärgert. Als ich am Sonntag ein merkwürdiges Geräusch aus seinem Zimmer hörte, dachte ich, dass ihm vielleicht etwas passiert sein könnte. Ohne lange zu überlegen, ging ich in sein Zimmer und fand ihn dort mit schlimmen Magenschmerzen vor. Ich blieb für den Rest der Nacht bei ihm und ließ gegen vier Uhr einen Arzt rufen, der ihm einige Medikamente zur Linderung seiner Schmerzen verschrieb, die ihm auch bald etwas Erleichterung verschafften. Danach schlief er ein und wachte erst mehrere Stunden später wieder auf. Als er aufwachte, fragte ich ihn, wo er denn am Abend zuvor gegessen habe. „Beim Chevalier de Canaple“, antwortete er. „Warum willst du das wissen?“ „Weil ich alle hasse, die Ihrer Gesundheit Schaden zufügen“, erwiderte ich. Er lächelte und dankte mir für meine Anteilnahme. Dieser Chevalier, mein lieber Schutzengel, ist übrigens die Person, die Frau von Maupeaou zu unserem Ball begleitete und mir soviel Aufmerksamkeit schenkte. Ich war nun mutig genug, ihm zu sagen, dass er sich viel zu wenig um seine Gesundheit kümmere und dass mir dies ein wenig Angst mache. „Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen“, antwortete er. „Weil Sie seit einiger Zeit immer so spät zu Bett gehen.“ „Woher wissen Sie denn das?“, fragte er. „Überwachen Sie mich etwa? Ich sage Ihnen jetzt ganz deutlich, dass so etwas mir ganz und gar nicht passt.“ Nennen Sie das ‚überwachen’, wenn ich voller Sorge um Sie jede Nacht bis ein Uhr morgens wach bleibe?“ „Sie wählen sich ja gerade die richtige Zeit aus, um mir Vorwürfe zu machen, die ich wirklich nicht verdient habe“, sagte Herr von Épinay. „Dieses Mal will ich Sie noch entschuldigen, aber nehmen Sie bitte nicht diesen Ton ein. Ich möchte mich frei fühlen können und ich möchte nicht ausgefragt werden.“ Während er sprach betraten der Abbé von Givry und Herr von Rinville den Raum. Nachdem wir uns begrüßt und die üblichen Komplimente ausgetauscht hatten, zog ich mich auf mein Zimmer zurück. Das Gespräch mit meinem Mann hatte mich traurig gemacht und ich fühlte mich gedemütigt. Ich hörte, dass er gegen sechs Uhr seinen Wagen vorfahren ließ, obwohl ihm der Arzt geraten hatte das Haus nicht zu verlassen. Ich dachte, er würde noch einmal auf mich zukommen, aber nichts dergleichen geschah. Er unterhielt sich noch immer mit seinen Besuchern und ich verlor bald jede Hoffnung mit ihm noch sprechen zu können. Sollte ich ihn zurückhalten, wenn er mit ihnen wegzufahren wollte? Ach, mein lieber Lisieux, als ich die Kutsche wegfahren hörte, dachte ich in Ohnmacht fallen zu müssen. Ich war wie von Sinnen. Um acht Uhr ging ich hinunter zu meinem Schwiegervater. Ich hatte keinen Zweifel, dass mein Mann bald zurückkehren würde. Lieber hätte ich in meinem Zimmer auf ihn warten sollen, aber ich fürchte, ich war dazu nicht in der Verfassung. Ja, unsere Auseinandersetzung war vielleicht etwas hitzig und der Ton, den ich gegenüber meinem Mann anschlug, war doch mehr als peinlich. Er hatte mich ‚Kind’ genannt. Ich war mir sicher, dass ich im Grunde recht hatte, aber ich fürchtete, einen Fehler gemacht zu haben. Wenn mich meine Mutter so behandelt hätte wie er es getan hat, sagte ich mir, wäre es falsch gewesen kein Gehör zu finden. Mit diesen wirren Gedanken im Kopf ging ich hinunter. Mein Schwager sah sofort, dass ich geweint hatte. Er versuchte mich zu beruhigen. Ich bat ihn flüsternd, mich nicht weiter zu beachten. Er hatte Mitleid mit mir und drückte voller Mitgefühl meine Hand.

Gegen neun Uhr war Herr von Épinay noch immer nicht zurückgekehrt. Wir warteten nun nicht länger und setzten uns zu Tisch. Wir hatten kaum Platz genommen, da erhielt ich von ihm die Nachricht, dass er Herrn von Rinville nach Hause gebracht habe und dort zum Abendessen bleiben wolle. Ich konnte mich kaum noch unter Kontrolle halten. Meine Sorge um seine Gesundheit überlagerte alle anderen Überlegungen. Aber als ich sah, wie verärgert sein Vater auf das Betragen seines Sohnes reagierte, musste ich ihn wieder gegen alle Vernunft verteidigen. Nach dem Abendessen bat ich um Erlaubnis, mich zurückziehen zu dürfen. Ich ging in mein Zimmer hinauf und brach in Tränen aus. Mein Schwager, dem nicht entgangen war, wie es um mich stand, suchte mich auf und wollte wissen, was die Ursache meiner Traurigkeit sei. Ich konnte mich nicht weiter zurückhalten und vertraute ihm alles an. Er zeigte sich sehr verärgert über seinen Bruder, aber war das der richtige Weg, mich zu trösten? Er meinte, dass ich den Unregelmäßigkeiten seines Bruders mehr Bedeutung zugemessen hätte, als sie es verdienten. „Halten Sie ihm seine Vergehen vor“, sagte er. „Und seien Sie nicht so töricht, sich zu ärgern.“ Was für ein Ratschlag! Was denn! Bin ich die einzige auf der Welt, die weiß, wie man liebt? Als er sah, dass seine Tröstungsversuche meine innere Unruhe nur noch verschlimmerten, sagte er etwas, was ich am liebsten gleich wieder vergessen wollte. Er sagte zu mir: „Meine arme Schwester, was bringt es schon, sich Sorgen zu machen? Lassen Sie uns einmal das Schlimmste vermuten. Selbst wenn er eine Geliebte haben sollte, so ist das doch nur eine vorübergehende Laune. Er wird Sie deswegen nicht weniger lieben.“ Ich konnte kaum noch an mich halten: „Was sagen Sie da! Eine Geliebte?“ Mein Schwager versuchte mich zu beschwichtigen: „Nun, ich weiß nichts Genaues. Ich vermute nur. Ich habe ihn ein- oder zweimal gesehen.“ „Nein, nein, lieber Schwager“, fuhr ich dazwischen, „reden Sie nicht weiter.“ „Aber, was beweist das schon“, fuhr mein Schwager ungerührt fort. „Nein, das kann nicht sein“, rief ich aus.

Ich spürte einen Krampf in meinem Herzen. Ich wollte jetzt alles wissen, aber ich hatte Angst es zu hören. Die Angst gewann die Oberhand und ich bat ihn, mich jetzt allein zu lassen. Ich kann gar nicht sagen, in welche Gefühle mich das stürzte, aber ich will diese traurige Geschichte noch zu ihrem Ende bringen. Noch bis elf Uhr habe ich auf meinen Mann gewartet, dann bin ich vor Erschöpfung in meinem Sessel eingeschlafen. Gegen drei Uhr wachte ich auf. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass er zurückgekehrt war. Ich klingelte nach meiner Zofe, um mich auskleiden zu lassen, da ich selbst dazu nicht mehr in der Lage war. Kaum lag ich im Bett, war ich viel zu aufgeregt, um einschlafen zu können. Ich hätte in diesem Moment gar zu gerne gewusst, ob mein Mann zurückgekommen war. Die starken Kopfschmerzen, die meiner Aufregung geschuldet waren, ließen mich glauben, dass ich Fieber hatte. Ich schaute auf meine Uhr, es war vier Uhr morgens. Kurz danach hörte ich eine Kutsche vor unserer Haustür halten. Mein Gefühl sagte mir, dass mein Mann gekommen war und das Geräusch, das ich bald darauf aus seinem Zimmer hörte, bestätigte es. Ich konnte mich nicht länger beherrschen, sprang aus dem Bett und wollte ihm die bittersten Vorwürfe machen. Ich lief aus meinem Zimmer, blieb aber vor seiner Tür stehen. Sollte ich ihn jetzt am Schlafen hindern und alles noch schlimmer machen als es war? Ich ging zurück in mein Zimmer und bereute nicht getan zu haben, was ich beabsichtigt hatte. Ich zündete im Kamin das Feuer wieder an und verbrachte den Rest der Nacht damit, in meinem Zimmer auf und ab zu gehen.

Am Morgen wartete ich unruhig darauf, das jemand in sein Zimmer ging. Ich hatte die Gewohnheit angenommen, ihn jeden Morgen zu besuchen, entschied mich aber nach einigem Nachdenken, dieses Mal auf ihn zu warten. Ich wollte, dass er sich bei mir entschuldigt. Erst gegen elf Uhr hörte ich zum ersten Mal von ihm. Er schickte jemanden, der mir ausrichten ließ, dass er mich sehen wolle. Dieses zeremonielle Verhalten, an das ich mich nie gewöhnen konnte, verletzte meine Gefühle sehr. Noch mehr erstaunt war ich, als ich ihn mit einem Lächeln eintreten sah. Er machte ganz den Eindruck eines Mannes, der sicher war, gut aufgenommen zu werden. „Wie geht es meiner kleinen Frau“, sagte er und nahm dabei meinen Kopf zwischen seine Hände, um mich zu küssen. „Krank“, antwortete ich trocken und wendete mich von ihm ab. Mit dem Anflug eines leichten Erstaunens fragte er: „Was ist los? Habe ich irgendetwas getan, was Sie beleidigt hat?“ Ich antwortete nicht. Ich kehrte ihm den Rücken zu und ging im Zimmer auf und ab, um mich zu sammeln. Sein Verhalten, das ich so nicht erwartet hatte, hatte mich sprachlos gemacht. Er ging hinter mir her. „Was ist los, warum schweigst du? Zum ersten Mal“, fügte er hinzu, „bin ich gekommen, als ich nicht erwartet wurde. Alles muss einmal einen Anfang haben. Ich werde jetzt gehen. Lassen Sie mich wissen, wann Sie wieder imstande sind, mit ihrem Ehemann ihre Sorgen zu teilen.“ Als ich diese Worte hörte, fürchtete ich, doch zu streng mit ihm gewesen zu sein. Meine Gefühle hatten mich einfach überwältigt und vielleicht war ja alles gar nicht so schlimm. Als ich ihn so aus dem Raum gehen sah, fasste ich wieder Mut. In mir keimte die Hoffnung, dass er nur etwas gedankenlos gehandelt hatte und nicht sehen konnte, wie wichtig es mir war, dass er mir zuhörte. Als er gerade die Tür hinter sich schließen wollte, rannte ich ihm mit offenen Armen nach. „Monsieur, mein Herr“, rief ich. „Dieses Verhalten! Ihre Gesundheit! Trösten Sie mich. Sagen Sie mir, dass Sie mich lieben!“ mehr brachte ich nicht heraus, meine Tränen erstickten alles. Er führte mich in mein Zimmer zurück, zog mich auf seine Knie, umarmte mich und sagte mit einem Lachen: „Ah, ich dachte mir schon, was mit Ihnen ist.“

Mein lieber Lisieux, ich muss Ihnen sagen, dass mir seine Antwort ganz und gar nicht gefiel. Ich riss mich aus seinen Armen, rannte um anderen Ende des Raums und rief: „Was! Du glaubst zu wissen, was mit mir los ist? Sie haben mich in meinem Unglück zurückgelassen und denken, Sie wüssten alles. Sie haben ein Herz aus Stein, ja, Sie sind überhaupt so hart wie ein Stein. Ich möchte nie wieder etwas von Ihnen hören.“ Er kam auf mich zu und versuchte zu erklären, was er mir eigentlich sagen wollte, doch ich weigerte mich, ihm weiter zuzuhören. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ er abrupt den Raum. Und wissen Sie, mein lieber Lisieux, was er jetzt getan hat? Er ging hinunter zu meiner Mutter und beklagte sich bitterlich über mich. Er sprach ihr gegenüber von meiner Wut und sagte, dass ich krank sein müsse, dass ich hysterisch sei, dass ich sogar so weit gegangen sei, ihn zu beleidigen und ihm gedroht habe, nie wieder etwas von ihm hören zu wollen. Ich war überrascht, als meine Mutter mein Zimmer betrat. Sie behandelte mich wie ein Kind und warf mir falschen Stolz und fehlgeleiteten Hochmut vor. Ich versuchte mich zu verteidigen und verbarg keinen meiner Klagegründe vor ihr. Sie meinte, dass sich Herr von Épinay vielleicht nicht ganz korrekt verhalten habe, dass es aber ratsam sei, das Ganze mit Delikatesse zu behandeln. Ich sollte auf diese Kleinigkeiten, wie sie sich ausdrückte, nicht so viel Wert legen. Sie war auch der Ansicht, dass ich mein Temperament auf eine sehr unkonventionelle Art gezeigt hätte. Sie erklärte, dass unbedingt verhindert werden müsse, dass das Geschehen meinem Schwiegervater zu Ohren kommt; außerdem dürfe man keinen Moment verlieren, um meinen Mann zurückzubringen, er sei traurig und von mir beleidigt worden. Ich sah das anders. Es wurde nach meine Mann geschickt, damit ich mich bei ihm entschuldigen konnte. Ich habe mich jedoch gegen die Erwartungen meiner Mutter nicht bei ihm entschuldigt. Ich beschränkte mich darauf, ihm zu sagen: „Mein Herr, wenn mein Kummer mich veranlasst hat, Sie auf eine Weise zu behandeln, die den Gefühlen meines Herzens entgegensteht, dann haben nur Sie die Schuld daran. Schauen Sie auf meine Seele und richten Sie uns beide.“ Er antwortete nicht, nahm mich aber zärtlich in die Arme und sagte dann: „Meine Liebe, lassen Sie uns vergessen und reden wir nicht mehr darüber.“ Meine Mutter umarmte uns beide und sagte als sie den Raum verließ: „Kommt, zieht euch um und kommt zum Essen und lasst Herrn von Bellegarde nichts merken, und benehmt euch wie normale Kinder.“ Während mein Mann meine Mutter zur Tür begleitete, sagte er, dass er sich nun umziehen und dann zu mir zurückkommen wolle, um nach mir zu sehen. Diese Art von Versöhnung beruhigte mich keinesfalls. Ich fühlte mich keinen Deut besser als vorher. Es schien mir als läge in meinem ganzen Verhalten und auch in meinen Gedanken etwas Unbeständiges und Unauflösbares.

Kurzum, mein lieber Schutzengel, ich gestehe, dass ich nun selbst zu dem Schluss gekommen war, dass ich in meinem Verhalten wie ein Kind handelte. Meine Tränen waren mir bei all diesen melancholischen Überlegungen der einzige Trost. Ich war jetzt gar nicht in der Lage, mich in Gesellschaft zu begeben. Ich fühlte mich wirklich unwohl und beschloss, im Bett zu bleiben. Nach dem Abendessen kam mein Mann, um nach mir zu sehen. Was sein Verhalten anging, so gab er auch jetzt keine Erklärung ab, trotzdem schien es, als würde er auf ein Entgegenkommen meinerseits warten. Er wirkte nachdenklich und irgendwie abwesend. Trotz meiner Wut auf ihn, musste ich mit Tränen in den Augen auch lächeln. Er küsste mich, aber das machte mich nicht glücklicher. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, vom bittersten Kummer in eine ruhige Geisteshaltung zu kommen, und noch viel weniger möglich ist es, wieder so etwas wie Glück zu empfinden. Auch konnte ich die Worte meines Stiefbruders so schnell nicht vergessen. Schließlich verließ mein Mann gegen vier Uhr das Haus. Ich hatte nun Zeit für mich selbst und kam allmählich zur Ruhe. Ich war fest entschlossen, alles zu vergessen und wollte tun, was mein Mann mir vorgeschlagen hatte.

Lieber Schutzengel, ich hätte noch tausend Dinge zu erzählen, aber die Feder fällt mir schon aus der Hand.“

Anmerkungen des Autors

Ach, wie müssen wir dich bedauern, liebe Louise! Dein guter Schutzengel, Herr Lisieux, hätte dir jetzt erzählen können, was sich schon alles hinter deinem Rücken ereignet hatte, stattdessen versuchte er dich noch zu trösten und sagte nichts, was deinen Mann hätte belasten können. Ihr wart erst drei Monate verheiratet, aber schon nach sechs Wochen lief dein Mann einer Schauspielerin hinterher, und das mit Erfolg, wie es scheint.

Eine Mitteilung von Frau von Maupeou an Frau von Épinay

„Ihr Abenteuer ist schon eine seltsame Geschichte. Sind Sie sicher, dass es der Chevalier de Canaples war? Sie können nicht vorsichtig genug sein, wenn Sie es mit diesem Irren zu tun haben. Es ist schon unverschämt, wie er sich aufgeführt hat. Wenn er Sie am Montag auf dem Ball wieder anspricht, ist alles klar. Ich hoffe, dass Sie mich in dieser Angelegenheit auf dem Laufenden halten.“

Louise schreibt an Frau von Maupeou

„Ja, meine liebe Cousine, er war auf dem Ball. Noch mehr Seufzer, noch mehr Fragen von seiner Seite, keine Antwort von meiner Seite. Von mir kamen nur ein paar „Was?“ oder „Wirklich?“ oder „Ich verstehe nicht, was Sie meinen!“. Ich habe ihn mit meinen Reaktionen ziemlich verunsichert. Mein Gott, wie lächerlich das Ganze war. Heute Morgen kam dann wieder ein Brief, den er mir auf die gleiche Weise zukommen lassen wollte wie letztes Mal. Ich hatte aber mein Dienstmädchen entsprechend unterrichtet und so lehnte sie die Annahme des Briefes ab.

Ich werde mich nun mit meinen Verwandten zu Tisch setzen und dann ins Bett gehen. Sie dürfen nicht wissen, dass ich auf dem Ball war. Wenn meine Mutter davon erfahren würde, was würde dann aus mir werden? Gute Nacht, liebe Cousine, oder guten Tag, ganz wie Sie wollen.“

Der Chevalier de Canaples

Louise schreibt an Frau von Maupeou

Liebe Cousine, um die Wahrheit zu sagen, ich habe keine Ahnung, wie man sich in Gesellschaft verhält. Mich stört das sehr. Folgendes ist mir passiert: Nach dem Abendessen wollten mich alle davon überzeugen, dass ich zum Ball gehen sollte. Zuerst lehnte ich ab, aber nachdem mir von allen versichert wurde, dass mein Name nicht bekannt gegeben, meine Mutter nichts davon erfahren und wir um zwei Uhr zurück sein würden, willigte ich ein. Sobald ich auf dem Ball erschien, kam ein Maskierter auf mich zu und erzählte mir Dinge aus unserem häuslichen Leben, die nur ein Eingeweihter wissen konnte. Später erzählte ich meinem Mann alles, was mir der Unbekannte ins Ohr geflüstert hatte. Als wir wieder zuhause waren, versuchten wir gemeinsam zu überlegen, wer das hätte sein können, aber noch während wir sprachen reichte mir unser Dienstmädchen einen Brief, den ein Unbekannter mit der Bitte abgegeben hatte, dass nur ich den Brief lesen dürfe. Zuerst zögerte ich, den Brief anzunehmen, doch dann entschloss ich mich, ihn zu lesen. Er hatte folgenden Inhalt: Madame, ich bete Sie an. Seit dem Moment, da mich der Zufall in Ihre Nähe brachte, ist meine Liebe zu Ihnen nur noch größer geworden. Die Angst, Ihnen zu missfallen, hat dieses Bekenntnis meiner Liebe nur aufgeschoben. Aber warum sollte ich Ihnen meine Liebkosungen noch länger verbergen? Es ist deine Reinheit, deine leuchtende Tugend, die mich bezaubert haben. Ich muss und kann deine Liebe zu deinem Ehemann respektieren. Wie glücklich er doch sein muss! Sie werden mir hoffentlich die Peinlichkeit verzeihen, die ich Ihnen beim Ball verursacht habe. Für mich waren es die beiden glücklichsten Stunden meines Lebens. Seit ich Sie kenne, kann ich den Anblick einer anderen Frau nicht mehr ertragen. Was wird wohl aus mir, wenn Sie das Einzige ablehnen sollten, was mich von nun an glücklich machen kann, das Recht, Sie zu lieben. Wenn Sie sich herablassen, mir persönlich eine Antwort zu geben, werde ich am Montag beim Opernball sein. Ich weiß, dass auch Sie dort sein werden und dann werde ich die Ehre haben, Ihnen meine Hochachtung zu erweisen. Obwohl ich versprochen habe, eine andere Dame zu begleiten, werde ich nur für Sie Augen haben.

Nun raten Sie, liebe Cousine, von wem dieser Brief unterschreiben wurde. Von Herrn von Canaples. Sie können sich leicht vorstellen, wie mich diese Unverschämtheit angewidert hat. Ich habe mit meinem Dienstmädchen geschimpft. Ich brachte den Brief sofort meinem Mann und es ärgerte mich, dass ich ihn ohne sein Wissen geöffnet hatte. Sie werden es nicht glauben, aber er hat gelacht bis ihm die Tränen kamen. Er gestand, dass er selbst es war, der den Chevalier zu dem sonderbaren Verhalten angestiftet und ihm einige Details unseres Privatlebens anvertraut hatte. Er gab auch zu, dass er dem Chevalier mehr oder minder vorgegeben hatte, was er mir sagen sollte. Er wollte einfach sehen, wie ich darauf reagiere und sich dann an meinem Erstaunen ergötzen. Er hätte jedoch, wie er sagte, dem Chevalier nicht gesagt, dass er mir gegenüber zärtliche Gefühle zeigen oder gar einen Brief schreiben sollte.

Ich schlug vor, nicht zum Ball zu gehen, denn ich wollte den Geist des Chevaliers nun nicht weiter in Wallung versetzen. Mein Mann lachte mich aus und erklärte, dass er darauf bestehe, dass wir alle am Montag zum Ball gehen; man wolle schließlich keinen schlechten Eindruck auf den Chevalier machen. Ich bin ganz froh darüber. Ich dachte, dass es doch schade wäre, des Chevaliers von Canaples wegen auf den Opernball, den ich noch nicht kannte, zu verzichten. Im Übrigen würde ich ja wahrscheinlich diesen Chevalier, der mich nicht im mindesten interessierte, gar nicht sehen. Herr von Épinay gab mir noch einen weiteren Grund, der mich davon überzeugte, dass unter den gegebenen Umständen ein Besuch des Balles für mich absolut unerlässlich sei. Wenn ich nicht auftauchen würde, wäre der Chevalier, so mein Mann, unweigerlich der Meinung, dass ich ihm aus dem Wege gehen und ihn als gefährlichen Mann ansehen würde. Nachdem, was die Leute sagen, sei er ein rechter Stutzer. Wenn er mich ansprechen sollte, nahm ich mir vor, so zu tun, als hätte ich seinen Brief nicht erhalten. Wenn er mir noch einen schreiben sollte, werde ich ihn ungeöffnet zurückschicken. Ich werde meiner Mutter nichts von dieser Geschichte erzählen. Sie ist ja der Ansicht, dass ein Mann niemals so weit gehen dürfe, einer (verheirateten) Frau gegenüber eine derartige Erklärung abzugeben, es sei denn, sie habe ihm durch ihre Worte oder ihr Verhalten Grund zu der Annahme gegeben, dass er bei ihr Gehör finden könne. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass ich nichts unternommen habe, dem Chevalier de Canaples Hoffnungen zu machen. Sein Brief ist schließlich ein Beweis dafür, denn er äußert darin keinen Zweifel an meiner Diskretion oder an meiner Liebe zu meinem Mann. Wie auch immer, das Ganze hat mich doch etwas mitgenommen. Ich habe meinen Mann gebeten, meiner Mutter gegenüber nichts darüber zu erzählen, auch nicht im Scherz. Er hat versprochen, sich daran zu halten. Ich werde auch meinem Schutzengel nichts davon sagen, obwohl ich ihm sonst alles erzähle.

Nun auf Wiedersehen, meine liebe Freundin. Das war es, was ich Ihnen erzählen wollte. Ich werde morgen mit Ihnen zu Abend essen. Mein Mann möchte übrigens nicht, dass jemand weiß, dass er den Brief des Chevaliers gesehen hat. Sagen Sie ihm nichts darüber.

Louise macht sich Sorgen

Im Frühjahr des Jahres 1746 tritt Louises Ehemann wieder eine längere Reise an, das hängt mit seinem Beruf als Steuerpächter zusammen. Louise ist beunruhigt, das lange Fortbleiben des Mannes beunruhigt sie und aus Erfahrung weiß sie, dass sich ihr Mann gern auf ein schnelles Abenteuer einlässt.

Louise schreibt ihrem Mann einen Brief

„März 1746

Mein Liebster, mein Engel, du bist gegangen. Du hast das Herz gehabt, mich für sechs Monate zu verlassen. Eine so lange Abwesenheit kann ich nicht ertragen. Schon nach vier Stunden war es unerträglich. Ich habe Frau von Maputo eingeladen, mir Gesellschaft zu leisten. Im Moment aber würde mich ihr Besuch stören, denn ich bin gerade dabei, Ihnen diesen Brief zu schreiben, der einzige Trost, den ich momentan habe. Mein lieber Schatz, werdet Ihr mir vergeben, wenn ich die Ursache verfluche, die mich daran hindert, Ihnen zu folgen? Ich habe zu schnell den Ängsten meiner Mutter nachgegeben. Niemand, der sich in meinem Zustand befand, wurde jemals daran gehindert, zu reisen, ganz im Gegenteil. Gestern und auch heute Morgen noch war ich glücklich, jetzt bin ich es nicht mehr. Ich habe nicht einmal mehr die Hoffnung, dass es mir in sechs Monaten wieder besser geht. Ich werde Ihnen so oft als möglich schreiben, Sie sollen genau wissen, wie mein Tag abläuft und wie ich an Sie denke. Lassen Sie auch mich wissen, wie es Ihnen geht. Achten Sie vor allem auf Ihre Gesundheit. Denken Sie daran, dass mein Leben mit dem Ihren verbunden ist. Eine Sache macht mir besonders Sorgen. Ich fürchte, dass Sie manchmal etwas leichtsinnig sind und die gefährlichen Seiten des Lebens nicht immer richtig einzuschätzen wissen. Stellen Sie sich vor, dass ich es bin, auf den Sie aufpassen müssen. Behandeln Sie sich, wie Sie mich behandeln würden. Wenn Sie das tun, würde ich mich leichter fühlen. Adieu, mein Liebster. Ah, wenn Sie unsere Trennung genauso bedrückt wie mich, dann tut Ihr mir leid.“

Herr von Épinay schreibt zurück

„Meine Liebste, zwei Ihrer Briefe haben mich fast zur gleichen Zeit erreicht. Ein Grund mehr, Sie noch mehr zu lieben, als ich dies ohnehin schon tue. Die Erinnerung an Paris und alles, was ich damit verbinde, bringen mir zu Bewusstsein, wie sehr ich es bereue, Sie zurückgelassen zu haben. Zu meinem Bedauern haben die Umstände Sie daran gehindert, mich zu begleiten. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich mich auf meine Rückkehr freue. Ich habe jedoch das Gefühl, dass ich dieser Reise und meinen Angelegenheiten eine gewisse Zeit widmen muss und Sie sollten mir deswegen nicht böse sein. Ihr Bild wird immer in meinem Herzen sein. Ansonsten habe ich nichts Interessantes zu erzählen. Daher möchte ich jetzt auf die verschiedenen Punkte eingehen, die Sie in Ihrem Brief angesprochen haben. Der zweispännige Pferdewagen, auf den Sie so im Detail eingehen, mag Ihnen vielleicht großartig erscheinen, weil Sie vielleicht nie etwas Besseres gesehen haben oder weil man Ihnen den Wagen in den besten Farben schilderte. In Wirklichkeit ist nichts Besonderes an ihm, aber Sie werden mit ihm zufrieden sein.

Ich verstehe nicht ganz, warum Sie sich so über die Kosten aufregen und die Wirtschaftlichkeit in Frage stellen. Ich werde den Wagen jedenfalls behalten, ebenso das Geschirr und die zwei Pferde, die gekauft wurden. Ich habe schon alle Vorkehrrungen getroffen und wünsche nicht, dass sich daran etwas ändert. Ich scheibe dem Wagenmacher, dass er die Kutsche fertigstellen und ihr den letzten Schliff geben soll. Sie wird dann, so wie ich sie bestellt habe, bei meiner Rückkehr bereit stehen. Ich weiß nicht, was Sie davon halten, liebste Frau: Es wäre doch eigenartig, wenn mein Vater behaupten sollte, dass die hundert Pistolen, die er mir während meiner Abwesenheit pro Monat zukommen lässt, ein Teil meines Einkommens ist. Das Geld sollte eigentlich nur als Taschengeld betrachtet werden. Machen Sie ihm doch bitte verständlich, dass es mir angesichts der unvermeidlichen Kosten, die eine Ehe mit sich bringt, unmöglich ist, auf dieses Trinkgeld, das ihm nichts bedeutet, zu verzichten.

Liebste Frau, Sie müssen mir jetzt etwas mit Geld aushelfen. Ich bitte Sie, mit Ihrem Geld die Schneiderrechnung meines Dieners zu begleichen und da ist auch noch die Rechnung eines gewissen Thierry. Ich habe leider auch vergessen, Ihnen eine Liste meiner Schulden zu hinterlassen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das für mich erledigen. Ich werde mich dann nach meiner Rückkehr schon mit Ihnen einigen können.

Ich glaube, dass Sie mit dem armen Chevalier de Canaples doch etwas zu hart umgehen. Er wird ungerecht behandelt. Die Menschen sind neidisch auf seine Verdienste und was seine angeblichen Vergehen betrifft, so war er eher unglücklich als schuldig. Ich kenne ihn recht gut, wir sind ja häufig zusammen. Er hat mir Beweise seiner Freundschaft gegeben, als es die Gelegenheit verlangte. Ich habe ihm gegenüber Verpflichtungen, die ich nicht ignorieren kann und aus diesen Gründen hoffe ich, dass Sie pfleglich mit ihm umgehen. Andernfalls wird er glauben, dass ich Sie daran hindere. Ich muss hoffentlich nicht mehr sagen, um Sie zu überzeugen. Die Ängste, die Sie hegen, sind völlig unbegründet. Ein Mann kann einer Frau sehr wohl sagen, dass er sie liebt, ohne dass er ihr gleich den Kopf verdreht.

Ich freue mich, dass Sie sich jetzt in Épinay niedergelassen haben. Aber Sie dürfen Gesellschaft und Vergnügen nicht vergessen. Ich hoffe, dass mein Vater dort für einige Unterhaltungen sorgen wird. Nutzen Sie ihren Wagen für Ausflüge. Das Land bietet von sich aus keine Anreize, wenn man dort allein ist oder immer die gleichen Dinge sieht. Sie müssen dort für Abwechslung sorgen. Erzählen Sie mir von den Freuden des Landlebens und berichten Sie mir, was in Épinay so vor sich geht. Grüßen Sie mir die Gäste, Sie wissen schon, wem ich Komplimente schulde. Ich erwarte, dass in einigen Tagen meine Geschäfte hier beendet sein werden und dass ich meine Reise fortsetzten kann. Eine Rückkehr nach Paris liegt jedoch noch in weiter Ferne. Je weiter ich weg bin, desto mehr sehne ich mich nach dem Vergnügen, wieder zurückzukommen. Unterstützen Sie mich in dieser Hoffnung durch das Glück, Ihre Briefe zu erhalten. Wenn ich Ihre Briefe lesen kann, stelle ich mir vor, bei Ihnen zu sein. Es tut mir weh, Sie nicht an meiner Seite zu haben, aber es muss sein und ich kann jetzt nicht mehr sagen als dass ich ganz der Ihre bin.“

Anmerkungen des Autors

Nach diesem Brief, über den du dich freutest als ob er die Mühe wert gewesen wäre, erhieltst du drei oder vier Postsendungen lang keinen weiteren. Hättest du dieses Schweigen auf die Nachlässigkeit deines Mannes zurückgeführt, wärest du sehr unglücklich gewesen.

Dass er dich während seiner langen Abwesenheit mit ausbleibenden Briefen in die tiefste Traurigkeit stürzen kann, ist ihm nicht bewusst. Die Begleichung seiner Schulden bringt dich in die größte Verlegenheit. Dass du deiner Mutter oder deinem Schwiegervater davon erzählst, kommt dir nicht in den Sinn. Du machst deinen Mann auf die äußerst schwierige finanzielle Lage aufmerksam, aber aus Angst ihn zu demütigen, drückst du deine Anklage so vorsichtig aus, dass sie ohne Wirkung bleibt. Dein Mann reagiert völlig ungerührt auf die Tatsache, dass er seine Schulden für mehrere Monate nicht bezahlen kann.

Mit verführerischen Worten schreibt er dir, dass er für dich ein Kleid erstanden habe, aber anstatt sich darüber freuen zu können, denkst du an die neuerlich verursachten Schulden, auf denen du sitzenbleiben wirst. Du zögerst noch, deinen Wohnsitz während der Sommersaison nach La Chevrette zu verlegen, weil du weißt, welche Kosten damit verbunden sind. Du überlegst, wie du dich am besten beschäftigen kannst, wenn dein Mann unterwegs ist. Du beschließt, wenig auszugehen, weil du dich den Verführungen der Stadt und der Gesellschaft nicht aussetzen willst. Lesen und Zeichnen, sowie kleinere Hausarbeiten sollen deine Zeit neben dem Schreiben von Briefen füllen. Aber deine Freundinnen raten dir, das Leben zu genießen, sie können nicht verstehen, dass du dich zurückziehen willst. Deine Cousine sagt: „Lass dich doch nicht schon zu Lebzeiten beerdigen.“ Diese Freundinnen haben eine ganz andere Vorstellung von Leben. Zunächst schlägst du alle Einladungen aus und fällst stattdessen in eine tiefe, dumpfe Traurigkeit. Hinzu kommt, dass Du nun im fünften Monat schwanger bist und daran denken musst, dass viele junge Frauen die Geburt ihres Kindes nicht überleben und du denkst, dass dir ein ähnliches Schicksal bevorstehen könnte. Dass dein Mann so wenig Anteil an deinem Leben nimmt, stürzt dich in Verzweiflung und die selbstgewählte Einsamkeit lässt dich ins Grübeln geraten. Deine Freundin Frau von Maputo will dich aufrütteln, sie versteht nicht, warum du dich nicht in Gesellschaft begibst. Weil der Mann nicht zu Hause ist, muss man doch sein Leben nicht in Abgeschiedenheit führen.

Endlich können dich deine Freundinnen überreden, mit ihnen zum Einkaufen zu gehen, doch das vermeintliche Vergnügen gerät für dich bald zum Fiasko. Du entdeckst einen neuerlichen Beweis für die Untreue deines Mannes. In einem Geschäft, in dem du deine Uhrenkette reparieren lassen wolltest, entdeckst du ein reich in Perlen gefasstes Porträt deines Mannes, es ist ganz offensichtlich für eine andere Dame bestimmt. Du hast nun alles Vertrauen in deinen Mann verloren und du bist sicher, dass dein Mann dich nicht zum ersten Mal betrügt. Du erzählst ihm von deiner Entdeckung und fragst ihn in deiner Naivität, ober er bedacht habe, welche Wirkung das Porträt haben könnte, wenn man es bei einer anderen Frau sehen könnte. Du bittest ihn, dass Mädchen, die kleine Rosette, zu veranlassen, das Porträt zurückzugeben. Dein Ehemann streitet zunächst alles ab, schließlich gibt er an, dass Rosette ihm das Bild aus der Tasche genommen habe und es ihm nicht gelungen sei, das Bild wieder an sich zu nehmen. Er will jedoch an sie schreiben, um zu verhindern, dass mit dem Bild etwas Unangenehmes passiere. Er schmettert alle deine Vorwürfe ab und findet sie lächerlich. Du weißt nicht mehr, was du tun sollst. Alles erscheint dir düster, jede Arbeit ermüdet dich. Du fragst dich, ob du zu streng mit deinem Mann umgegangen bist. Am 27. September wird dir ein Junge geboren. Dein Schwiegervater informiert deinen Ehemann über dieses freudige Ereignis und bittet ihn, bald wieder nach Hause zu kommen. Als Mutter hättest du jetzt einiges zu tun, die Beschäftigung mit dem Kind könnte dich ablenken. Aber in deinen Kreisen ist es üblich, das Kind gleich nach der Geburt einer Amme zu übergeben. Sie wird irgendwo auf dem Land alles Nötige für das Kind tun.

Dein Alltag ist also nicht interessanter geworden. Eine Freundin beschreibt uns , wie dein Tag aussieht: Jeden Morgen ziehst du zwischen elf und zwölf Uhr die Vorhänge deines Bettes zurück, nachdem du zehn Stunden geschlafen hast. Dann wird dir dein Frühstück gebracht. Danach empfängst du Schwiegervater und Mutter, die sich schon glücklich schätzen können, wenn du ihnen ein Lächeln zugestehst. Wenn sie dich langweilen, beginnst du zu schmollen oder tust so, als würdest du noch etwas schlafen müssen. Sie reden mit dir über das Neugeborene, sagen, dass es bezaubernd aussehe, dass es bisweilen Bauchschmerzen habe, aber auf bemerkenswert anmutige Weise seine Milch trinke. Ihr Gerede bringt dich manchmal zum Lachen und manchmal zum Weinen. Um drei oder vier Uhr besuchen dich deine Freundinnen Frau von Maupeaou und Frau von Vignolles. Meist ermüdet dich ihr Geschwätz bald, es gibt aber auch Zeiten, da du fröhlich bist und wie ein Engel reden kannst. Um acht Uhr isst du zu Abend, anschließend gehst du zu Bett und schläfst bis zum nächsten Tag. So geht das Woche um Woche.