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Elias J. Connor

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Beschreibung

Der junge Sam Greven, 23, ist ein Draufgänger. Als Kopf einer Sprayer-Gang ist er in der Szene im Kreis Bergheim bei Köln bekannt und hat neben seinen Graffiti-Künsten, wegen denen er immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt tritt, eine sehr hohe kriminelle Energie. Als er die 19-jährige Leonie Hammerschmidt zufällig in einer Bar kennen lernt, verstehen sich die Beiden auf Anhieb. Aber Leonie hat genauso wenig Ahnung von Sams dunkler Seite wie er davon, dass sie aus einem wohlbehüteten Elternhaus kommt und ihr Vater zudem Stadtrat ist. Sam verliebt sich in Leonie und will seine düstere Seite um jeden Preis vor ihr verheimlichen. Als ein Kumpel von Sam bei einer illegalen Sprayer-Aktion schwer verletzt wird, beginnt für Sam ein Spießrutenlauf zwischen wahren Gefühlen und seiner eigenen Anerkennung... 124 Farben erzählt eine turbulente, spannungsgeladene Geschichte aus dem Sprayer-Millieu in und um Köln. Ein Sozialdrama, das fast schon ein Thriller ist.

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Elias J. Connor

124 Farben

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Disclaimer

Kapitel 1 - Nachts an der Brücke

Kapitel 2 - Der Rausschmiss

Kapitel 3 - Das einsame Mädchen

Kapitel 4 - Die Osteria

Kapitel 5 - S 11

Kapitel 6 - Flucht nach Luxemburg

Kapitel 7 - Du wirst nie vergessen sein

Kapitel 8 - Die Rivalen

Kapitel 9 - Wir rennen wieder weg

Kapitel 10 - Das Ende der 124

Kapitel 11 - Wahre Liebe

Kapitel 12 - Raus von Zuhause

Kapitel 13 - Der Wettbewerb

Kapitel 14 - Weit, weit weg

Kapitel 15 - Alleine in der Ferne

Kapitel 16 - Sams neues Leben

Kapitel 17 - Zur Hölle mit dir

Kapitel 18 - Leonies Besuch

Kapitel 19 - Ich lasse dich nicht alleine

Über den Autor Elias J. Connor

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Impressum

Widmung

Für Jana.

Meine Fiancee, Freundin, Vertraute.

Danke, dass es dich gibt. Ich liebe dich.

Disclaimer

Auch wenn die Geschichte teilweise auf überlieferte Tatsachen beruht, so ist jede Ähnlichkeit mit real lebenden Personen rein zufällig. Namen und diverse Schauplätze sind frei erfunden. Ausgenommen davon sind reale Orte wie beispielsweise der Heumarkt, der Neumarkt oder ähnliche Orte in Köln bzw. Bergheim. Diese realen Orte stehen jedoch in keinem Zusammenhang mit der größtenteils frei erfundenen Geschichte des Romans.

Kapitel 1 - Nachts an der Brücke

Das Licht oberhalb der Elektroleitungen flackert. Es verbreitet seinen Schimmer fast unscheinbar durch die verregnete Nacht und gibt der ganzen Szenerie eine fast schon gruselige Stimmung.

Um diese Uhrzeit – es mag weit nach 1 Uhr nachts sein – ist am alten Bahnhof in Bergheim kein Mensch mehr. Alles ist leer, die Straßen sind ruhig. Gerade fährt der letzte Nachtbus in das angrenzende Dorf weg, aber es sieht aus, als sei der Busfahrer der einzige Passagier.

Der Nieselregen prasselt langsam auf das Gesicht des jungen Mannes, der einsam und alleine auf der Bank an den Gleisen wartet. Hin und wieder wischt der Mann die Nässe von seinen Wangen oder er schiebt eine Strähne seiner dunklen Haare von seinen Augen.

Die Tasche, die der Mann bei sich hat, steht zwischen seinen Beinen. Sie ist halb geöffnet, und sieht man genauer hin, erkennt man, dass sich mehrere Dosen darin befinden müssen – offenbar Konservendosen oder Haarspray oder etwas Ähnliches.

Aus der Dunkelheit kommen über die Treppe auf einmal zwei andere junge Männer zu dem Bahnsteig. Einer trägt mutmaßlich einen mit Batterien betriebenen Scheinwerfer mit sich, der andere hält eine dunkle Leiter in der Hand.

Als sie den Mann dort sitzen sehen, gehen sie mit leichten, vorsichtigen Schritten zu ihm.

„Ey, Alter“, sagt einer von ihnen.

Der Mann, der die ganze Zeit hier am Bahnsteig gewartet hat, steht auf.

„Mann, wo bleibt ihr denn?“, fragt er genervt.

„Mach' nicht so eine Welle, Sam“, meint der eine junge Mann. „Ist der Platz hier save?“

Sam sieht sich um.

„Bin seit einer Stunde hier“, sagt er. „Es ist sehr ruhig, der letzte Bus ist gerade weg.“

„Gut“, sagt der andere junge Mann.

„Was hast du dabei?“, will der dritte Mann von Sam wissen.

„Alles, was wir brauchen“, antwortet Sam. „Inklusive Fixierlack.“

Der zweite junge Mann öffnet die Tasche von Sam und holt einige Spraydosen mit Farbe heraus. Er sieht sie sich an.

„Super“, meint er daraufhin. „Lasst uns gleich anfangen.“

„Wir wissen nicht, wann der Güterzug kommt“, meint der dritte Mann zu den beiden anderen.

„Hier fährt kein Güterzug, Gerd“, antwortet der zweite Mann. „Wir sollten trotzdem sehen, dass wir so schnell wie möglich fertig werden.“

„Gerd, du stehst Wache“, organisiert Sam das Zusammentreffen. „Michael, wir beide gehen auf die Leiter.“

Michael nimmt daraufhin die Leiter und stellt sie mitten auf den Zuggleisen auf. Er fährt sie ganz hoch, bis sie die Brücke erreicht. Währenddessen macht Gerd den Scheinwerfer an und beleuchtet die Szenerie, nachdem er sich noch einmal vergewissert hat, dass hier niemand ist.

„Go“, meint er dann. „Ihr könnt anfangen.“

Sam besteigt die Leiter als Erster. Er sprüht mit einer der Sprühdosen eine dunkelblaue Grundierung, während Michael daraufhin diese mit weißer Farbe umrandet.

Es muss alles sehr schnell gehen. Viel Zeit haben sie nicht, und das Resultat muss akkurat sein und soll am nächsten Morgen bei Licht gut sichtbar sein.

Sam nimmt sich schließlich die schwarze Farbe und sprüht eine innere Umrandung in die blaue Grundierung hinein. Nachdem er die Schattierungen aufgesprüht hat, füllt er die innere Umrandung mit weiß. Man erkennt schließlich darauf die Zahl 124.

„Sieht gut aus“, ruft Gerd von unten. „Jetzt kommt. Beeilt euch. Lasst uns hier verschwinden.“

„Mach' erst noch ein Foto“, sagt Michael zu Sam.

Als Sam das Handy heraus holt und von dem frisch fabrizierten Kunstwerk ein Foto machen möchte, sieht er rechts neben dem Graffiti plötzlich etwas, das er nicht sehen will.

„Ey!“, schreit er.

„Was?“, meint Michael.

Dann sieht er es auch.

Ein Graffiti mit dem Symbol der Zahl 642 prangert deutlich neben der Zeichnung von Sam und seiner Gang.

„Diese Bastarde“, schreit Sam. „Hurensöhne. Das ist unser Revier.“

Sam übermalt in Sekundenschnelle das Symbol der Rivalen mit der schwarzen Sprühfarbe. Er streicht es so durch, dass man es im Ansatz noch erkennen kann, denn die Leute sollen wissen, wen Sam und seine Freunde dissen.

Darunter sprüht Sam die Worte „Unser Revier“.

Gerade in dem Moment, als Michael schon im Begriff ist, die Leiter hinabzusteigen und Sam ihm folgen will, hören sie das bedrohliche Geräusch, ein Rauschen, das im Sekundentakt lauter wird.

„Scheiße“, schreit Gerd von unten. „Verpisst euch. Der Zug kommt.“

„Was für ein Zug?“, fragt Michael verdutzt.

Sam atmet heftig und sieht sich hektisch um.

„Schnauze, Michael“, ruft er aus. „Schnell, runter.“

„Dazu ist keine Zeit mehr“, sagt Michael.

Die Lichter des nahenden Zuges sind bereits zu sehen, als er um die Kurve kommt.

„Nach oben!“, schreit Michael und hangelt sich blitzartig von der Leiter auf die Brücke.

Sam will ihm folgen, aber er ist nicht schnell genug.

„Los, Sam“, schreit Michael. „Los, los, los...“

Der Zug ist nur noch wenige Meter von der Leiter entfernt. Sam krallt sich mit beiden Händen an dem Außengeländer der Brücke fest, als der Zug die Leiter trifft und diese daraufhin mit voller Wucht weggeschleudert wird.

„Scheiße, verdammte“, ruft Sam, der sich mit letzter Kraft am Geländer festhält.

Unter ihm rast der Zug unter der Brücke durch.

Michael steht fassungslos auf der Brücke und reckt seine Arme nach Sam aus.

„Was macht ihr da noch?“, ruft Gerd von unten, der den Scheinwerfer mittlerweile wieder ausgeschaltet hat.

„Hol' die Leiter, du Pisser“, schreit Sam ihn an. „Schnell, ich kann mich nicht halten.“

„Ich sehe sie nicht“, ruft Gerd zurück.

„Mann“, sagt Michael daraufhin. „Der Zug bleibt stehen, wir müssen verschwinden. Gleich sind die Bullen da.“

Michael versucht, sich über die Brücke zu beugen und beide Arme nach Sam auszustrecken. Sam versucht gleichzeitig, sich nach oben zu ziehen.

„Los, Alter“, schreit Michael.

Mit letzter Kraft gelingt es Sam, eine Hand von Michael zu fassen. Michael zieht ihn langsam nach oben, und als Sam weit genug oben ist, nimmt er die zweite Hand von Michael.

Zwei Sekunden darauf stehen beide völlig außer Atem auf der Brücke.

„Jungs“, ruft Gerd von unten. „Geht es euch gut?“

Sam und Michael gehen schnell zur seitlichen Treppe und kommen zu Gerd nach unten gelaufen.

„Abgefahrene Show“, meint Gerd.

Sam guckt ihn finster an.

„Mann, Alter“, sagt er. „Fast hätte dieser fickende Zug mich erwischt.“

„Lasst uns die Sachen zusammensuchen und dann nichts wie weg. In ein paar Minuten kommen die Bullen.“

Gerade haben die drei Männer ihre Taschen und den Scheinwerfer zusammengeklaubt – die Leiter haben sie nicht mehr gefunden – hören sie auch schon die Sirenen des nahenden Polizei-Autos.

„Mist“, sagt Gerd.

„Seitengasse“, sagt Sam. „Da vorne. Kommt.“

Die Männer rennen in eine Straße, die seitlich vom Bahnhof abgeht. Sie rennen die Straße entlang, bis sie an eine Häusersiedlung mit einer offenen Garage ankommen. Dort verstecken sie sich im Dunklen.

Die Sirene des Polizei-Autos geht daraufhin aus. Die drei Männer sehen nicht, was geschieht. Heftig atmend stehen sie an der Wand in der Garage und sagen keinen Ton.

Als sie hören, dass nach einiger Zeit der Zug weiter fährt, kriecht Sam aus der Garage raus und sieht sich um.

„Ich glaube, die Luft ist rein“, sagt er.

„Mann“, meint Michael. „Sie werden die Leiter gefunden haben. Unsere Finger- und Fußabdrücke müssen da drauf sein.“

Sam blickt Michael fragend an.

„Ach, du Scheiße“, sagt er. „Wenn die mich in der Datenbank finden – so von wegen Vorstrafen...“

„Es ist ja nicht gesagt, dass sie die Leiter finden“, meint Gerd daraufhin. „Und wenn doch, sie müssen sie ja nicht unbedingt mit dem Zugunfall in Verbindung bringen.“

Sam setzt sich auf eine Kiste, die in der Garage steht, und denkt nach.

„Was machen wir jetzt?“, überlegt Michael.

„Wir gehen erst mal nach Hause“, sagt Sam.

Er nimmt seine Tasche und macht sich auf zum gehen.

„Bist du sicher?“, fragt Gerd.

„Ja, Mann“, antwortet Sam. „Wer weiß, ob die nicht die Gegend absuchen. Da sollten die uns besser nicht finden.“

Die Männer laufen daraufhin langsam durch die verregnete Nacht.

„Jetzt haben wir kein Foto gemacht“, denkt Gerd nach.

Sam nickt.

„Das können wir morgen noch machen, ganz unauffällig“, meint er.

„Boah, das war echt abgefahren“, sagt Michael. „Gerd, du hättest uns ruhig sagen können, dass da nachts Güterzüge fahren.“

Gerd sieht Michael scharf an.

„Hallo-o“, meint er. „Ich habe es euch gesagt. Ich bin der Watcher. Ich weiß, welche Plätze wann safe sind, okay?“

Genervt schnauft Michael aus.

Als die Männer an einer Straßengabelung ankommen, laufen Michael und Gerd in eine Richtung, Sam in die andere.

Die 124.

Im Umkreis von Köln eine sehr bekannte Sprayer-Gang, deren Boss Sam ist. Auch wenn sie in Bergheim beheimatet ist, geht ihr Bekanntheitsgrad weit über die Grenzen der Stadt westlich von Köln hinaus. Auch ganz im Osten von Köln kennt man noch immer die 124. Sam ist ohne Zweifel stolz darauf, aber wie man heute gesehen hat, ist die Gang auch immer wieder gefährlichen Situationen ausgesetzt.

Graffiti auf fremdes Eigentum sprühen ist und bleibt illegal. Aber genau darin sieht Sam die Herausforderung dieses Hobbys. Mit seinen 23 Jahren ist er bereits seit 2 Jahren fest in der Gang, seit diesem Jahr auch deren Boss, nachdem sein Vorgänger festgenommen wurde.

124 steht für die letzten drei Ziffern der Postleitzahl des Ortsteils, an dem Sams Gang ansässig ist. In Sprayer-Kreisen ist diese Zahl auch sehr bekannt, und die Nummern werden auch immer wieder bei Graffiti als Unterschrift gesetzt, damit man auch weiß, welche Gang sie gesprüht hat.

Als Sam zu Hause eintrifft – er hat in einem Wohnblock ein kleines Apartment – legt er sich erst einmal aufs Bett und atmet tief durch. Gedanken verloren blickt er aus dem Fenster, gegen das der Regen langsam prasselt.

Würde er mit seiner Kunst richtig Geld verdienen können, denkt er so bei sich. Ja, mancher illegaler Sprayer ist bereits von der Öffentlichkeit entdeckt worden und bekommt Genehmigungen, Gebäude, Mauern oder Züge zu besprühen. Damit verdient man sogar Geld, wenn man es schafft.

Sam träumt oft davon, es zu schaffen. Wie gerne würde er aufsteigen, würde legal sprühen wollen. Aber je mehr er darüber nachdenkt, merkt er, dass der Kick doch dann irgendwie weg sein muss. Und gerade solche Situationen wie heute Nacht geben dem Hobby ja die Spannung.

So oft wiederholte sich dieser Zwiespalt bereits in Sams Kopf. Gerade nach Nächten wie heute.

Als er nicht mehr nachdenken will, schaltet Sam schließlich den Fernseher ein und sieht sich irgendeinen Unsinn an. Gegen 5 Uhr früh muss er darüber schließlich einschlafen – noch immer völlig erschöpft von der heutigen, nächtlichen Graffiti-Aktion.

Kapitel 2 - Der Rausschmiss

Der Wecker reißt ihn aus dem Schlaf. Das Summen tönt durch den Raum, erbarmungslos, so lange bis Sam in seinem Bett steht und den Wecker ausmacht.

Griesgrämig schlurft Sam in sein Badezimmer. Noch halb verschlafen kriecht er unter die Dusche, in der Hoffnung, dadurch ein bisschen wacher zu werden.

Es gelingt nicht. Sam hat heute Nacht gerade mal zwei Stunden geschlafen, wenn überhaupt, und jetzt muss er sich für seinen täglichen Job in der Metallfabrik fertig machen. Seit einer Woche hat er dort bereits gefehlt, und der Urlaub auf Krankenschein ist gestern abgelaufen. Ob er will oder nicht, heute muss er wieder hin.

Oder er geht zum Arzt.

Zwei Stunden lang im Wartezimmer sitzen, warten, bis er dran kommt und dann dem Arzt erklären, warum er schon wieder krank sei. Nein, dazu hatte er heute keine Lust. Dann lieber acht Stunden arbeiten, in den Pausen jede Menge Kaffee trinken und sich nach Feierabend einfach ins Bett legen und schlafen, denkt er bei sich.

Als er auf der Arbeit ankommt, schlurft er zunächst in die Umkleide-Kabine und zieht sich seinen grauen Arbeitsanzug an. Statt jedoch direkt zu seinem Platz am Fließband zu gehen, läuft Sam erst einmal zur Kantine und holt sich schnell noch einen Kaffee. Daraufhin geht er in den Raucherbereich und zündet sich eine Zigarette an.

„Auch schon da?“, hört er die gehässige Stimme eines Kollegen, den Sam nicht besonders schätzt.

„Klappe, Freddy“, antwortet Sam.

„Hatte die Bahn wieder Verspätung?“, will Freddy wissen.

„Geht dich nichts an.“

„Sam“, sagt Freddy daraufhin. „Du kriegst noch jede Menge Ärger, wenn du weiterhin zu spät kommst. Erst fehlst du eine ganze Woche, dann kommst du heute auch noch zu spät. Was machst du bloß nachts?“

Sam kommt mit seinem Kopf nahe an Freddys Kopf und raunt mit seiner sonoren Stimme: „Ich habe es dir gesagt, Freddy. Es geht dich nichts an.“

„Wie auch immer“, meint Freddy, nachdem er zurückgeschreckt ist. „Ich habe schon hundert Kugellager vorbereitet. Du brauchst sie nur noch einzusetzen.“

Sam grinst Freddy an.

„Danke“, sagt er. „Wenn ich nachher Lust haben sollte, werde ich es vielleicht machen.“ Sam atmet genervt aus. „Vielleicht“, wiederholt er.

Freddy will noch etwas zu Sam sagen, aber in diesem Moment kommt ein älterer Mann um die Ecke und kommt auf Sam zu.

„Scheiße“, flüstert Sam. „Der Boss.“

Der ältere Mann sieht Sam grimmig an, während Freddy sich schnell verdünnisiert und in die Halle geht.

„Herr Greven“, beginnt der Mann. „Sie sollten seit einer halben Stunde auf ihrem Platz am Fließband sein. Was ist los?“

„Die Bahn“, antwortet Sam knapp. Man sieht ihm an, wie genervt er ist, und er hofft, dass es bei diesem möglicherweise nicht nennenswertem Anschiss bleibt.

„Kommen Sie mit in mein Büro“, sagt der ältere Mann zu Sam.

„Aber Herr Strickland, ich wollte gerade direkt zu meinem Arbeitsplatz gehen“, meint Sam gespielt kleinlaut.

„Das können Sie sich sparen“, sagt Strickland. „Wir haben Ihnen mehrmals Abmahnungen und Mahnbriefe zugesandt. Jetzt ist es zu spät für Sie. Sie können sich sofort Ihre Papiere abholen und gehen.“

„Lassen Sie uns doch darüber noch mal reden“, versucht Sam, Strickland zu überzeugen.

„Die Entscheidung ist bereits letzte Woche gefallen“, antwortet dieser jedoch nur. „Freuen Sie sich. Sie sind jetzt ein freier Mann. Ein arbeitsfreier Mann.“

Widerwillig folgt Sam Herrn Strickland in sein Büro. Er nimmt seine Papiere entgegen und verlässt kurz darauf die Firma. Auf seinem Weg über den Hof blickt er noch einmal in das Fenster, wo sich sein ehemaliger Arbeitsplatz befindet. Dort steht Freddy an der Maschine. Als er Sam sieht, lacht er hämisch.

Sam würde am Liebsten in die Firma hinein laufen und Freddy eine gehörige Kopfnuss verpassen. Aber er ist zu aufgebracht dafür. Etwas Dummes würde geschehen, man würde die Polizei rufen und dann hätte er erst recht Schwierigkeiten an der Backe, jetzt wo er ohne Job dasteht. Den Gefallen will er den Leuten hier in der Firma nicht tun.

Kein Job mehr.

Sam läuft langsam durch die Gegend hier im Industriegebiet von Bergheim, an diesem leicht verregneten Herbstmorgen.

Sam kramt in seiner Hosentasche und holt sein Portmonee heraus. Er öffnet es und zählt das Geld – zwei Zwanziger und zwei oder drei Euro Kleingeld hat er noch bei sich. Und es ist gerade mal Monatsmitte.

Mist, verfluchter, denkt er bei sich. Geld hat er auch kaum noch.

Sam setzt sich am Wegrand auf eine Bank. Er überlegt. Was soll er jetzt tun? Eigentlich will er ja damit nichts mehr zu tun haben, aber für diesen Monat sei es wohl noch einmal notwendig, denkt er bei sich. Eigentlich will Sam sich nur noch auf sein Hobby als Sprayer konzentrieren und den anderen kriminellen Dingen, in die er immer wieder verstrickt ist, abschwören. Aber diesen Monat müsste es wohl noch mal sein.

Er holt sein Handy heraus und ruft einen alten Kollegen an, den er von früher noch kennt.

„Rasmus“, sagt er daraufhin schließlich ins Telefon. „Ich brauche 100 Gramm grün. Das Geld bekommst du heute Nachmittag, wenn ich es vertickt habe.“

Die Stimme am anderen Ende des Telefons sagt irgendetwas unverständliches ins Telefon.

„Ich bin in einer Stunde am Bahnhof“, sagt Sam. „Ich bin pünktlich, und ich liefere das Geld in zwei Stunden genau dort auch wieder bei dir ab. Sei bitte auch pünktlich.“

Ohne die Antwort seines alten Freundes abzuwarten, legt Sam auf. Anschließend geht er zum Bahnhof in Bergheim und wartet dort auf einer Bank an den Gleisen. Während er wartet, sieht er an der Brücke das Graffiti in leuchtenden Farben scheinen, das er und seine Gang nachts zuvor dort angesprüht haben.

„Sieht sensationell aus“, kommentiert er sich selbst seine Arbeit. Dann holt er sein Handy heraus und macht ein Foto von seinem gestern erstellten Kunstwerk.

Schon wenige Minuten darauf wird Sam an der Schulter angestoßen.

„Hey“, grüßt ihn ein fremder Mann, ungefähr in Sams Alter.

„Sag bloß nicht meinen Namen“, meint Sam daraufhin, während der Mann sich zu ihm setzt. „Hast du was da?“

Der Mann holt ein dickes, in Alufolie eingepacktes Päckchen heraus. Sam verstaut es daraufhin gleich in seiner Tasche.

„Das sind 100 Gramm“, sagt der fremde Mann. „In zwei Stunden will ich dafür 500 Euro sehen. Genau hier.“

„Klar“, meint Sam. „Ich habe Abnehmer. Es wird nicht lange dauern, bis ich die Kohle habe, Rasmus.“

„Hey“, beschwert Rasmus sich. „Und du sagst, ich soll deinen Namen nicht in der Öffentlichkeit sagen.“

„Klappe“, meint Sam daraufhin.

Anschließend zeigt er auf das leuchtende Graffiti an der Brücke.

„Wie findest du das?“, meint er zu Rasmus.

„Das scheint neu zu sein“, erkennt dieser. „Wer hat es gemacht?“

Sam lacht.

„Als ob ich dir das sagen würde“, antwortet er. „Aber es sieht gut aus, nicht wahr? Die 642 kann einpacken.“

Sams alter Freund schaut ihn verwundert an.

„Was sind die 642?“, will er wissen.

Wieder lacht Sam.

„Gut so“, meint er nur. „Die 124 sind und bleiben unschlagbar. Zumindest solange ich deren Boss bin.“

Rasmus blickt das Graffiti prüfend an und wendet sich anschließend wieder Sam zu.

„Du hast das gemacht“, stellt er fest.

„Wer weiß, wer weiß“, sagt Sam geheimnisvoll. „So, ich muss los.“

„In zwei Stunden hier“, erinnert ihn Rasmus an die Absprache. „Und sei pünktlich.“

Ohne ein weiteres Wort läuft Sam den Bahnsteig entlang, geht daraufhin die Treppen runter zur Straße und verschwindet im Nebel, der die Szenerie hier am Bahnhof umgibt.

Es wird langsam bereits fast dunkel, jedenfalls sieht es so aus. Dabei ist es erst mittags gegen 15 Uhr. Hier am Kölner Neumarkt ist um diese Zeit noch nicht so viel los. Einige Menschen rennen hektisch über den Platz, und an der Ecke zur U-Bahn sitzen sie – die Junkies.

Der Kölner Neumarkt ist ein bekannter Umschlagplatz für Drogen. „Hast du grün? Willst du weiß? Brauchst du braun?“ - man erkennt als Dealer seine Kunden schon.

Sam steht hier und hat in seiner Tasche bereits das Gras zu mehreren Einzelpäckchen gepackt. Für 10 Euro das Gramm kann er sie nun hier verkaufen. Er ist zuversichtlich, dass es ihm innerhalb von zwei Stunden gelingt, die gesamten hundert Gramm an den Mann zu bringen.

Kaum, dass Sam da ist, spricht ihn auch schon der erste Kunde an.

Wie lange war Sam nicht mehr hier? Eigentlich hat er seit vergangenem Jahr den Drogengeschäften abgeschworen. Er wollte sich mehr auf das Sprayen konzentrieren. Sein Ruhm als Graffiti-Künstler eilt ihm in der Szene sehr voraus, und obwohl das Besprühen von fremdem Eigentum illegal ist, ist es in der Sprayer-Szene nicht gerne gesehen, wenn jemand mit Drogen dealt oder andere schwere Delikte auf dem Kerbholz hat. Sprayer bewundern sich gegenseitig als Künstler, und je besser ein Graffiti ist, desto höher ist der Status des Künstlers oder der Gang, die er vertritt.

„Hey“, sagt der junge Mann zu Sam. „Hast du grün?“

Sam sieht ihn an. Er ist fast noch ein Kind, vielleicht 17 oder gerade 18 Jahre alt. Für einen Moment denkt Sam darüber nach, wie dieser Junge sein Leben in seinem frühen Alter jetzt schon für Drogen wegschmeißen kann.

„Du siehst nicht so aus, als hättest du Geld“, sagt Sam daraufhin.

„Wie viel hast du? Hundert?“, fragt der Junge unbeeindruckt. „Ich nehme alles und gebe dir dafür 800 Euro.“

Sam lacht.

„Du willst 800 Euro haben?“ Er mustert den Jungen. „Wenn ich es einzeln verticke, bekomme ich tausend Euro“, sagt Sam.

„Aber du brauchst dafür Stunden“, meint der Junge. „Die nehmen hier lieber weiß. Glaube mir, du kriegst das Zeug schlecht los. Und je nach dem für wie viel du es bekommen hast, kommt für dich dabei noch genug herum, wenn du es mir vertickst.“

„Und was machst du mit 100 Gramm grün?“, will Sam wissen.

Der Junge grinst.

„Ich will eine Party machen“, sagt er ironisch.

Sam holt darauf die Tüte heraus und zeigt sie dem Jungen.

„Zeig mir dein Geld“, sagt Sam streng.

Der Junge drückt Sam einen Briefumschlag in die Hand. Sam zählt schnell und sieht, dass es 800 Euro auf den Punkt sind. Er gibt daraufhin dem Jungen die Tüte mit den Einzelpäckchen und steckt das Geld ein. Ohne ein weiteres Wort geht der Junge dann davon.

Falsch gerechnet. Jetzt hat Sam weniger Geld, als er wollte. Wenn er dem Kollegen die 500 zurückgibt, bleiben ihm nur noch 300, und das kann für diesen Monat knapp werden, denkt er bei sich.

Plötzlich wird Sam zur Seite gezogen. Zwei Polizisten halten ihn fest. Sam erschrickt.

„He“, sagt er.

„Ausweispapiere, bitte“, meint der eine Polizist.

Sam versucht sich loszureißen, aber es gelingt ihm nicht. Widerwillig gibt er dem Beamten seinen Ausweis.

„Wo kommen Sie her, und wo gehen Sie hin?“, fragt der Beamte.

Sam sieht ihn mit fragenden Augen an.

Möglicherweise haben die nichts mitbekommen. Möglicherweise suchen die nach jemand ganz anderem, denkt er bei sich. Und wenn es wegen dem Graffiti ist – er ist ja hier in Köln und nicht in Bergheim, da dürfte sich das mit dem Zugunfall vielleicht noch nicht herumgesprochen haben.

Die Beamten durchsuchen Sam daraufhin.

Als der eine Beamte den Briefumschlag findet, nimmt er ihn Sam ab.

„Was ist das?“, will er wissen.

Scheiße. Scheiße, Mann – jetzt haben die das Geld gefunden und schließen möglicherweise daraus, dass es mit Drogen in Verbindung steht.

„Ich habe es für meine Oma gerade auf der Bank abgeholt“, lügt Sam nervös. „Sie ist alt und kann nicht mehr laufen, da musste ich für sie zur Bank gehen.“

Der Beamte untersucht das Geld. Anschließend gibt er Sam den Umschlag zurück.

„Wir wissen, dass Sie früher bereits mit Delikten und verbotener Graffiti in Verbindung standen“, sagt der Beamte. „Ich hoffe, Sie suchen sich einen ehrlicheren Weg. Guten Tag.“

Daraufhin gehen die Polizisten wieder.

Sam setzt sich in die nächste Straßenbahn und fährt in Richtung Altstadt, wo er erst einmal in ein Lokal will, um dort etwas zu trinken.

Die Musik berieselt Sam leise, der ganz Gedanken verloren an der Theke sitzt. Sein Bier steht vor ihm, aber er trinkt es kaum.

Sam denkt nach.

Er hat den Kollegen beschissen, so viel ist klar. Schon vor mehr als einer Stunde hätte Sam wieder in Bergheim am Bahnhof sein müssen, um dem Kollegen die 500 Euro zu geben.

---ENDE DER LESEPROBE---