1414 - Die Erfolgsgeschichte der Rega und ihre Gesichter - Franziska Schläpfer - E-Book

1414 - Die Erfolgsgeschichte der Rega und ihre Gesichter E-Book

Franziska Schläpfer

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Beschreibung

Die Rega ist im Inland verehrt, geliebt und bewundert, im Ausland als Organisation und Partnerin respektiert. Gegen 2,4 Millionen Gönnerinnen und Gönner bilden ihr Rückgrat und ermöglichen landesweite Luftrettung und weltweite Repatriierung verletzter und erkrankter Menschen. In "1414" lässt Franziska Schläpfer Menschen sprechen, von denen die Rega lebt: Piloten, Ärztin und Mechanikerin, Einsatzleiterin und Rettungssanitäter, die Mediensprecherin, den langjährigen Stiftungsratspräsidenten. Auch Pioniere der Rega und Gerettete. Sie alle berichten von Erfolgen und Rückschlägen, von schlafraubenden Einsätzen und nie vergessenen Erlebnissen, von glücklichen Momenten und elenden Augenblicken. Gianni Pisano hat die Porträtierten im Hangar der Rega ausdrucksstark ins Bild gesetzt. Eine reich illustrierte Chronik veranschaulicht die abenteuerlichen Anfänge der Rega und ihre fulminante Entwicklung.

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FRANZISKA SCHLÄPFER

1414

Die Erfolgsgeschichte der rega und ihre Gesichter

Fotografien von Gianni Pisano

Die Rega ist im Inland verehrt, geliebt und bewundert, im Ausland als Organisation und Partnerin respektiert. Gegen 2,4 Millionen Gönnerinnen und Gönner bilden ihr Rückgrat und ermöglichen landesweite Luftrettung und weltweite Repatriierung verletzter und erkrankter Menschen. In «1414» lässt Franziska Schläpfer Menschen sprechen, von denen die Rega lebt: Piloten, Ärztin und Mechanikerin, Einsatzleiterin und Rettungssanitäter, die Mediensprecherin, den langjährigen Stiftungsratspräsidenten. Auch Pioniere der Rega und Gerettete. Sie alle berichten von Erfolgen und Rückschlägen, von schlafraubenden Einsätzen und nie vergessenen Erlebnissen, von glücklichen Momenten und elenden Augenblicken. Gianni Pisano hat die Porträtierten im Hangar der Rega ausdrucksstark ins Bild gesetzt. Eine reich illustrierte Chronik veranschaulicht die abenteuerlichen Anfänge der Rega und ihre fulminante Entwicklung.

Trailer zu »1414 – Die Erfolgsgeschichte der Rega und ihre Gesichter«: www.woerterseh.ch

Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe.

© 2012 Wörterseh, Gockhausen

Korrektorat: Andrea Leuthold, Zürich Umschlaggestaltung: Thomas Jarzina, Holzkirchen Fotos Umschlag, «Leader und Flieger» und Chronik: Rega-Archiv, Kloten Fotos Porträts: Gianni Pisano, Zürich Organisatorische Betreuung vonseiten der Rega: Sascha Hardegger und Philipp Keller Layout, Satz und herstellerische Betreuung: Rolf Schöner, Buchherstellung, Aarau Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Print ISBN 978-3-03763-023-5 E-Book ISBN 978-3-03763-530-8

www.woerterseh.ch

Inhalt

Mythos Rega

Eine Einleitung

Pioniere

Georg Hossli, Notarzt

Ueli Bärfuss, Helikopterpilot

Walter Odermatt, Rettungs-Fallschirmspringer

Profis

Verena Wipfli, Telefonistin

Giulia Cimaschi, Gönnerbetreuerin

Claudia Grätzer, Einsatzleiterin

Marco Salis, Rettungsspezialist Helikopter

Fausta Gillis, Helikoptermechanikerin

Beatrice Hinder, Assistentin Chefpilot

Jacques-André Dévaud, Helikopterpilot und Fluglehrer

Eveline Winterberger, Ärztin

Urs Bless, Rettungssanitäter

Cristina Monticelli, Patientenbetreuerin

Juliana Casutt, Rechnungsstellerin

Alessandro Pedrini, Einkäufer

Pius Arnold, Hangarverantwortlicher

Ruth Schuler, Pflegefachfrau als Logistikerin

Oskar Mack, Jet-Pilot 1979–2011

Anne-Lise Stuby, Pflegefachfrau

Walter Stünzi, Kommunikationschef 1987–2009

Ariane Güngerich, Mediensprecherin

Albert Keller, Stiftungsratspräsident 2002–2011

Gerettete

Corina Meyer, Verbrennungsopfer

David Utz, Verschütteter

Alois Zgraggen, Verunfallter

Leader und Flieger

In memoriam: Rudolf Bucher, Fritz Bühler, Peter J. Bär, Fredy Wissel, Hermann Geiger, Sepp Bauer, Ursula Bühler Hedinger

Ernst Kohler im Interview

Der CEO über die Rega – heute, morgen

Die Chronik

60 Jahre Rega

Quellen

Mythos Rega

Eine Einleitung

Das modernste Luftrettungssystem der Welt, im Inland geliebt und bewundert, im Ausland als Organisation und Partnerin respektiert. Kein Schweizer Unternehmen ist angesehener, keine Institution geniesst grösseres Vertrauen als die Rega. Keine Marke glänzt heller. Diese Einzigartigkeit hat mindestens vier Gründe.

Erstens: Die Rega ist ein quasi volkseigener Betrieb. Das Rückgrat bilden 2,380 Millionen Gönnerinnen und Gönner. Was solch ein direktes Engagement bewirken kann, erlebte die Rettungsflugwacht erstmals 1956: Angeregt von Chefpilot Hermann Geiger, organisierte der Verband Schweizer Konsumvereine (heute Coop) durchs ganze Jahr eine landesweite Sammlung. Im Topf lagen schliesslich 500 000 Franken. Der erste Helikopter wurde bestellt.

2010 gewann die Rega 84 000 neue Gönner, 2011 sogar 86 000. Schon träumt CEO Ernst Kohler vom Tag, an dem der Gönnerausweis so selbstverständlich sein wird wie die Identitätskarte. Dieses Ziel vor Augen, wird der Rega-Gedanke unermüdlich und fantasievoll verbreitet – vor allem das jugendliche Interesse geweckt. Ein Kindertraum, der Ferienjob im Hangar des Rega-Centers Zürich-Kloten. Buben und Mädchen polieren Helis und Jets, Hunderte über die Jahre – lauter künftige Gönner –, und schreiben danach euphorische Dankeskarten: «Rega forever!»

Zweitens: Die Rega ist die Verbündete gegen Schicksalsschläge. Die Rega macht, sagt sie, jederzeit das Menschenmögliche. Holt Bergsteiger aus steilsten Flanken, Gleitschirmflieger von den Bäumen, blockierte Passagiere aus der Seilbahn. Verstiegene, verirrte, unterkühlte Wanderer. Sie rettet den bewusstlosen Fischer aus dem Bach, die Fallschirmspringerin von der Hochspannungsleitung, Verletzte aus Seen, Flüssen, Schluchten, Höhlen, Gletscherspalten, Lawinen. Sie rettet Eistaucher und Eiskletterer. Von einem Stier attackierte Bauersleute. Sie transportiert Frühgeborene und Verbrennungsopfer. Sucht Vermisste. Rückt aus bei Verkehrsunfällen, Arbeitsunfällen, Flugunfällen, Verbrechen. Berät Patienten im Ausland, schickt Medikamente, wenn nötig den Ambulanzjet. Fliegt auch mal ein Skorpion-Serum samt Giftspezialisten von Basel nach München. «Die Rega muss nicht rentieren, sie muss funktionieren», lautet das Motto. Sie bringt mit modernsten Helikoptern Hilfe auf höchste Höhen und mit eigenen Ambulanzjets jährlich 700 Patienten aus der ganzen Welt nach Hause zurück.

Am 5. Oktober 2010 leistete die Rega ihren 300 000. Einsatz; sie flog Zwillinge von der Neonatologie des Kinderspitals Luzern in ihren Heimatkanton Waadt. Sechs Einsätze waren es 1953, 14 240 im vergangenen Jahr 2011.

Drittens: Die Rega verbindet traditionelle Werte und Hightech. Noch besser, noch schneller, noch sicherer. Rettungstechnisch, fliegerisch und medizinisch an der Spitze sein: Das trieb die Rega über sechzig Jahre an. Aus den abenteuerlichen Anfängen freiwilliger Idealisten wuchs eine hochprofessionelle Organisation. Fünf Minuten nach der Alarmierung ist der Heli in der Luft und erreicht bei passablem Wetter in höchstens fünfzehn Minuten jeden Winkel der Schweiz. Die gemeinnützige Stiftung hilft unabhängig von staatlichen oder finanziellen Interessen nach den Grundsätzen des Roten Kreuzes, das heisst ohne Ansehen von Person, Zahlungsfähigkeit, sozialer Stellung, Nationalität, Rasse, Glauben oder politischer Überzeugung. Sie richtet nicht, sie rettet – und versorgt ihre Patienten nicht nur medizinisch, sondern auch seelisch: Nach der Rettung kümmert sich der Sozialdienst um sie, auch um Angehörige – macht Spitalbesuche, telefoniert, schreibt. Eine erstaunlich antizyklische Paarung ultramoderner Ausrüstung und klassischer Werte.

Viertens: Die exklusive Kombination Fliegen und Retten beflügelt die Rega-«Familie». Hier die Freude am Fliegen, die Lust abzuheben, seit Ikarus eher eine Spezialität der Wagemutigen, da der rückhaltlose Einsatz fürs Retten, vermeintlich eher die Domäne der altruistisch Aufgelegten und sozial Engagierten. Das stiftet eine Spannung, die Leute anzieht, die gern bipolar gefordert sind – eigenwillige Hilfsbereite, sozialverpflichtete Technikfreaks. Über 300 hoch qualifizierte Leute arbeiten für die Rega, die meisten haben mehrere Ausbildungen: der Käser als Safety-Officer, die Direktionssekretärin als Einsatzleiterin, der Landmaschinenmechaniker als Rettungssanitäter, die Kinderkrankenschwester als Betreuerin. Über 300 Mitarbeitende sind mit Herzblut bei der Rega tätig, weil die Arbeit eindeutig ist und dringlich. Weil sie Sinn macht. Deshalb funktioniert der Mittelbau selbst in instabilen Führungszeiten tadellos. Denn auch eine solche Vorbild-Institution ist vor Krisen, Machtkämpfen, Anfeindungen nicht gefeit. Patientin und Patient spüren davon nichts. Sie hören den Heli am Himmel knattern und atmen auf: «Zum Glück gibts die Rega!»

Das Buch gibt dem Mythos Rega ein Gesicht – viele Gesichter. Die Rega lebte und lebt von ihren Pionieren, ihren Mitarbeitenden: den Einsatzleiterinnen, Piloten, Rettungssanitätern, Ärztinnen, Gönnerbetreuern … Sie beleben täglich den Geist der Institution.

Im April 2012Franziska Schläpfer

Pioniere

«Die rechte Zeit ist nur ein Augenblick»

Georg Hossli, Notarzt

Georg Hossli, Pionier der Intensivmedizin und Notarzt an der Front

«Das ist mein Leben.» Georg Hossli klappt den letzten Fotoband zu. Stundenlang hat er erzählt, als wäre es gestern gewesen. Kaum zu glauben, der Mann ist neunzig. Prägte die moderne Anästhesie in der Schweiz. Wissenschaftler, Professor, Familienvater, Notarzt im Dienst der Rega. Ein Leben? Zwei, drei, vier. Er deutet zum Waldrand neben seinem Haus in Witikon, hier habe er jeweils auf den Helikopter gewartet, und berichtet von allerlei Fällen – bis mir ist, als würde der Heli gleich über die Wipfel rattern.

Der einwöchige Papstbesuch im Juni 1984 war ein Höhepunkt. Er lacht: «Ich bin gottlob katholisch!» Erstmals hatte die Schweiz einen Papst zu Gast: Johannes Paul II. Die Rega war für sein gesundheitliches Wohl zuständig. Von Genf nach Fribourg flog das Kirchenoberhaupt mit der Crossair. Dort wartete der «Papst-Heli», ein aufgerüsteter Super Puma. Und die Bölkow BO 105 der Rega mit Pilot Ueli Soltermann, Flughelfer Heinz Enz und Notarzt Georg Hossli. «Wir flogen direkt hinter dem Papst, als erster der sieben Begleithelis. Bei allen Anlässen und Messen stand ich im roten Rega-Gwändli mit Heinz Enz und Notarztkoffer in der Nähe des Papstes. Die erste Nacht in Fribourg war er im Priesterseminar untergebracht; ich lag im Zimmer neben ihm.«

Ein gutes Jahr später der eintägige Papst-Besuch im Fürstentum Liechtenstein. In Zürich-Kloten wartete Bundespräsident Kurt Furgler – und wiederum die Rega-Crew. «Der Papst kam zuerst auf mich zu: Da ist ja Professor Hossli!» Fürstenfamilie und Regierung bedankten sich später bei ihm und seinen Leuten mit einem Empfang auf dem Schloss.

Georg Hossli hatte schon früher Kontakt zum Vatikan. 1979 brachte er den schwer kranken polnischen Kardinal Andrzej Maria Deskur – verwandt mit dem Papst, engagierter Medienmann und Chef von Radio Vaticana – in seine Heimat, vermeintlich zum Sterben. «Bewacht von Schweizergardisten wurde er in einem Spezialauto vom Spital Santa Croce zum Militärflugplatz geführt. Wir repatriierten ihn via Universitätsspital Zürich nach Warschau.» Als Hossli 2006 mit der Schweizerischen Gesellschaft für militärhistorische Studienreisen am 500-Jahr-Jubiläum der Schweizergarde teilnahm, traute er seinen Augen nicht: Unter den Gästen, im Rollstuhl, Kardinal Deskur.

Wie aber hat der Arzt zur Rega gefunden? Im März 1955, anlässlich der ersten grossen Propaganda-Aktion mit Fallschirmabsprüngen über dem Zürichsee. «Dem Rega-Gründer Rudolf Bucher war das Unterfangen nicht ganz geheuer. Er kontaktierte das Kantonsspital, ich wurde delegiert, die ärztliche Betreuung zu organisieren.»

Georg Hosslis Grossmutter väterlicherseits war Hebamme: Das sind die medizinischen Wurzeln. Der Vater war Bahnhofvorstand in Zürich Enge. 1940 machte Georg die «Kriegsmatura» und begann Medizin zu studieren. Achtmal rückte er zum Aktivdienst ein. Der Leutnant war stolz, nicht als Sanitäter, sondern als Infanterist im Zürcher Gebirgsschützen-Bataillon 11 zu dienen. Während des achten Einsatzes 1944 erkrankte er an Pleuritis exsudativa, einer «nassen» Brustfellentzündung. Fünf Monate Liegekur im Militär-Sanatorium Leysin. Dort liess er sich von der Laborantin Mathilde Huber nicht nur in die Geheimnisse der Labormethoden einführen. 1947 heirateten die beiden.

Nach dem Staatsexamen diente er einige Monate als Schiffsarzt auf der «Margaret Johnson»; die Reise führte nach Schweden und Südamerika. 1950 wurde er Assistenzarzt in der Chirurgischen Klinik des Kantonsspitals Zürich – und als Jüngster im Team, das war damals so üblich, wurde er auch für Narkosen eingesetzt. Zwei Jahre später machte er seinen Chef Professor Alfred Brunner auf drei tödliche Vorfälle aufmerksam, die nach seiner Meinung vermeidbar gewesen wären. So rasant entwickelten sich die Kenntnisse und Verfahren der Anästhesie.

1955 ersuchte Hossli, seit einem Jahr leitender Arzt der neu geschaffenen Anästhesieabteilung, um einen Landeplatz für den Rettungshelikopter in der Nähe des Unispitals. Drei Jahre später bewilligte die Zürcher Regierung die «gelegentliche» Nutzung des Sportplatzes der Kantonsschule Zürich (heute Rämibühl). Umständliche, zeitraubende Transporte! Vor jeder Landung waren diverse Massnahmen notwendig, vom Einholen der Einwilligung des Hauswarts bis zur Benachrichtigung der Polizei, damit sie den Platz absperrte. Die städtische Sanität fuhr dann den Patienten über verkehrsreiche 500 Meter zur Notfallaufnahme.

1958 übernahm Georg Hossli die ärztliche Betreuung bei der Rega. «Dringliche Medizin war für uns Ärzte interessant und wichtig.» Er führte die Bewusstlosen-Lagerung ein, die Mund-zu-Nase-Beatmung, die externe Herzmassage.

Pleuritis exsudativa. Nach fünfzehn Jahren und mehreren Nachkuren wurde Hossli 1959 als geheilt erklärt, wieder eingemustert und zur Sanität umgeteilt, kam 1967 in den Armeestab als Verantwortlicher für Anästhesie und Intensivbehandlung im Rang eines Oberstleutnants. Er trug wesentlich bei zur Entwicklung der Feldnarkose-Ausrüstung, des Militär-Kreislauf-Narkoseapparates, des Wiederbelebungstornisters und so weiter. Mit Peter Dangel, Chefarzt Anästhesie des Kinderspitals, gründete er den Militärhelikopter-Rettungsdienst, bildete Ärzte und Rettungssanitäter, darunter 224 Zahnärzte, zu Militär-Anästhesisten aus.

Hossli war ein hartnäckiger Bittsteller. Man spottete über seine ersten Gesuche um einen Landeplatz auf dem Dach des Universitätsspitals. Das Spital sei ohnehin überfüllt. Dazu der Lärm. Und was, wenn der Heli in Brand gerät, das Benzin ins Spital läuft? Die grosse Angst vor dem Notfalltourismus via Spitaldach. Der Regierungsrat lehnte zunächst ab. Am 6. August 1970 war es dann doch so weit, die Versuchslandungen von Rega und Luftwaffe waren erfolgreich (die Armee operierte zur Zeit des Kalten Krieges mit eigenem Luftrettungsdienst; auf den geheimen Höhen-Richtstrahlstationen konnte sie ja nicht die Rega rufen …).

Von Beginn an stellte Hosslis Institut die Ärzte für die steigenden Einsätze der Rega-Basis Zürich, die ihren Heli ab Mitte Mai 1972 auf dem Dach des Kinderspitals stationieren durfte. 1975 richtete Hossli – alternierend mit dem Kinderspital – einen Bereitschaftsdienst ein. Was von den freiwilligen Notärzten einiges verlangte: «Parat sein in der Dienstzeit, auch bei Nacht und misslichen Flugverhältnissen, die Fähigkeit zur raschen, summarischen Untersuchung, erste ärztliche Hilfe, Entschlusskraft bezüglich Wahl des Zielspitals – klassische Notarztqualitäten.» Hossli kämpfte auch um Einsätze bei Verkehrsunfällen. Im Frühjahr 1975 bewilligte der Zürcher Regierungsrat einen halbjährigen Versuch für die Strassenrettung mit Ambulanzhelikoptern der Rega.

Die Entwicklung der Rega hat Hossli an der Front wie im Stiftungsrat mitgeprägt. Der Anästhesist leistete ein paar Hundert Flugeinsätze. Er erinnert sich an abenteuerliche und dramatische Rettungen. Im August 1958 war ein Senn auf der Suche nach einer Kuh auf einer Alp im Kanton Glarus abgestürzt. Ein heikler Absprung für die drei Fallschirmer aus einer DO-27. Nachts und bei strömendem Regen brachten sie den Verletzten über glitschige Hänge zur Seilbahn und ins Spital.

1968 verunfallte ein Bauarbeiter im Stollen auf dem Oberalppass. Offene Trümmerfraktur des rechten Unterschenkels. Schwierige Bergung im verschneiten Steilhang. «Weil das Bein schief herausragte, brachten wir den Mann nicht in den Heli und mussten die seitliche Tür aushängen. Wir werden nicht nach Zürich kommen, dachte ich. Christian Bühler konnte vor Kälte kaum fliegen, ich den Patienten kaum betreuen.»

Er erzählt von hektischen Organtransporten, bei denen jede Minute zählte und meist zwei Teams im Einsatz waren, eines transportierte das Organ, das andere den Empfänger. «Für Herztransplantationen, die ersten machte Professor Ake Senning 1969, holten wir mit dem Learjet das Herz des Spenders, zum Beispiel in der Westschweiz, spurteten in Zürich-Kloten zum Heli, der ins Unispital flog, wo der bereits narkotisierte Empfänger lag.»

«Besonders tragisch» war das Unglück in Feldmeilen im Januar 1971. Zwei Züge des «Goldküstenexpress» mit je 200 Passagieren prallten um 20 Uhr zusammen. Gegen fünfzig Verletzte, sieben Tote. Schnee lag, es war dunkel und bitterkalt. Georg Hossli organisierte vor Ort die chaotisch angelaufene Hilfe. «Eine Siebzehnjährige war eingeklemmt, beide Beine gequetscht, schockiert, in die zerfetzte Leiche ihrer Freundin eingepresst, eine scheinbar hoffnungslose Situation.» Er tat, was möglich war: Schockbehandlung mit Infusionen, intravenöse Schmerzbekämpfung, Überwachung und Zuspruch während der neunstündigen Bergungsaktion.

Georg Hossli hat auch den ersten Rechtsstreit zwischen der Rega und einem Auftraggeber miterlebt. Im September 1972 hätte er eine in Griechenland schwer verletzte Amerikanerin auf Wunsch ihres Vaters in die Schweiz holen sollen. In einem gecharterten Learjet flog die Crew nach Athen. Hossli stellte fest, dass die Patientin wohlversorgt und ein Transport nach Zürich «weder indiziert noch empfehlenswert» war. Damit begann ein «gewaltiger Papierkrieg». Ein halbes Jahr nach dem Einsatz erhielt Hossli einen Scheck über 443 US-Dollar, den er der Rega weiterleitete. Vier Jahre später war der Fall abgeschlossen – die Rettungsflugwacht musste die ganzen Einsatzkosten von 15 000 Franken abschreiben.

Auch das Erdbeben in Friaul, im Mai 1976, mit 3000 Verletzten und 965 Toten, erlebte Georg Hossli als Notarzt – unter Leitung von Arthur Bill (Schweizer Katastrophenhilfekorps) und Plinio Pedrini (technischer Rega-Leiter). Eine bittere Erfahrung war 1978 die Gasexplosion auf dem Campingplatz von Los Alfaques in der Nähe von Reus (Spanien). Man sprach von 250 Schwerverletzten und 180 Toten. «Die Katastrophe überstieg die schlimmsten Befürchtungen. Rega und Deutsche Rettungsflugwacht rüsteten eine gecharterte DC-9 zur Intensivstation um. Ich flog als medizinischer Leiter mit zehn Ärzten und Krankenschwestern an den Unglücksort, dann mit Chirurg Edgar Frei weiter nach Barcelona, um in der Verbrennungsstation des Unispitals nach Schweizern und Deutschen mit einer Überlebenschance zu suchen.» Von den 42 Opfern war keines zu retten. Die DC-9 flog leer in die Schweiz zurück. «Es war ein einsamer, ein unpopulärer Entscheid, aber der einzig vernünftige.»

1979 das Busunglück in Algerien mit Touristen aus der Westschweiz. Fünf Tote, 21 Verletzte. Georg Hossli und sein Team hätten die Patienten einzeln vom Spital Medea nach Algier fliegen müssen. Dann die Lösung: Ein in Algerien stationierter russischer Transporthelikopter, über vierzig Meter lang, brachte alle Verletzten samt Rega-Team in einem einzigen Flug nach Algier. «Es ist uns heute noch ein Rätsel, wie die Übernahme der Opfer so reibungslos über die Bühne ging», meinte Stiftungsratspräsident Peter Bär in seiner Rede zu Hosslis Abschied. «Und mit der zufällig dort anwesenden chinesischen Ärztedelegation hast du dich glänzend verstanden, ohne nur ein Wort Chinesisch zu sprechen.»

Georg Hosslis Verdienste für die Rega wie für das Unispital sind nicht aufzuzählen. Am 24. Juni 1961 hatte er seine Antrittsvorlesung gehalten. 1987, bei seiner Pensionierung, arbeiteten fünfzehn leitende Ärzte und Oberärzte, vierzig Assistenzärzte und sechzig Pflegefachpersonen in seinem Institut, zuständig für alle Kliniken des Universitätsspitals. Seine Schüler besetzen landesweit einen erheblichen Teil der Chefarztstellen für Anästhesie. Er wirkte mit an zahlreichen internationalen Kongressen. Publizierte wissenschaftliche Arbeiten, Lehrbücher, Richtlinien.

In einer Sonderschrift des «Anästhesist» würdigt Ruth Gattiker, die erste schweizerische Anästhesieprofessorin, Ende 1981 den sechzigjährigen Georg Hossli: Ohne den Personalbestand seines Instituts zu erhöhen, sei es ihm gelungen, «einen regulären Dienst für Primärversorgung und ärztliche Betreuung von Notfallpatienten im Kardiomobil und Helikopter» einzurichten. Dass er selber an diesem Dienst teilnahm, motivierte auch sein Team für die zusätzliche Belastung. Was Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihrem Chef besonders schätzten? «Sein ruhiges und bestimmtes Wesen, seine Bescheidenheit, seine absolute Aufrichtigkeit sich selber und anderen gegenüber, seine exakte, klare und einfache Art der Argumentation, nicht zuletzt sein ausgesprochener Sinn für Gerechtigkeit. Das Funkgerät gehörte zu Georg Hossli wie sein Leitsatz, frei nach Hippokrates: «Die rechte Zeit ist nur ein Augenblick.»

Georg Hossli, 1921 in Zürich geboren und aufgewachsen. Medizinstudium. Staatsexamen und Dissertation 1949. Fünf Monate Schiffsarzt auf der «Margaret Johnson». 1950 Assistenzarzt an der Chirurgischen Klinik des Kantonsspitals Zürich. 1954 leitender Arzt des zentralen Anästhesiedienstes, kontinuierlicher Ausbau und Ausdehnung auf das gesamte Spital. 1960 Habilitation. Sechs Jahre später wird das Institut für Anästhesiologie geschaffen. Georg Hossli wird Extraordinarius, 1971 Ordinarius. Am 26. Februar 1987 hält er seine Abschiedsvorlesung. Sein Engagement für die Rega: 1958 bis 1986 intermittierend Einsatzleiter, immer häufiger Notarzt in Helikopter und Jet. Einige Hundert Flugeinsätze. 1980 bis 1993 Stiftungsrat. Goldene Verdienstmedaille.

Siehe «Leader und Flieger»

Pionier der Engadiner Luftrettung

Ueli Bärfuss, Helikopterpilot

Ueli Bärfuss flog zwischen 1964 und 1993 rund 3000 Einsätze

Selten bedankt sich ein Geretteter im Nachhinein, aber es kommt vor. «Vor zwei Jahren besuchte mich ein Paar mit Tochter – und einer Flasche Wein. Der Einsatz lag dreissig Jahre zurück. Wir waren unter ziemlich misslichen Umständen in ein Berghaus oberhalb Flims geflogen: eine Schwangere mit heftigen Wehen. Der Nebel verdichtete sich, wir konnten nicht fliegen. Als der Nebel weg war, wollte die Hebamme zuwarten. Im Morgengrauen flogen wir dann doch ins Spital Chur; acht Minuten später war das Mädchen geboren.»

Ueli Bärfuss träumte schon als Kind vom Fliegen. Hirngespinste, meinte die strenge Stiefmutter. Der Bub war neun, als seine Mutter starb – einer der zahlreichen Schicksalsschläge in der Familie. Der Jugendliche suchte die Freiheit, ging allein in die Berge. Lernte dann Tiefbauzeichner und fand nach der Rekrutenschule Arbeit in einem Zürcher Ingenieurbüro. Im Fernstudium wollte er die Matura machen. «Fang doch mit Fliegen an», sagte sein Chef. Bärfuss wurde erst jetzt bewusst: «Ich bin ja frei.» Er erhielt eine bezahlte Zusatzarbeit, begann mit Segelfliegen, machte sich vertraut mit den Winden – und sass ein paar Monate später im Motorflieger. Es zog ihn in die Berge; Mitte 1959 fand er Arbeit auf der Baustelle Albigna, 2100 Meter über Meer. Ein Tag-und-Nacht-Betrieb im Sommer. 400 Leute erbauten im Auftrag der Elektrizitätswerke Zürich die 115 Meter hohe Staumauer. Bärfuss kannte das Bergell kaum. Fasziniert vom Südlichen, den Zacken, war es «Liebe auf den ersten Blick».

Die Berufspilotenlizenz in der Tasche, lernte Ueli Bärfuss im Winter 1960/61 den legendären Hermann Geiger kennen. «Er lud mich ein, ein paar Tage Gletscherlandungen zu üben. Leider war das Wetter schlecht. Er riet mir dann, Arbeit in Sion zu suchen und bei ihm nebenbei gewerbsmässig zu fliegen. Die Arbeit auf der Albigna war im Frühling 1961 abgeschlossen; ich fand eine Stelle als Bauführer am Sanetschpass – und konnte bei Geiger fliegen.» Seiner späteren Frau allerdings begegnete Ueli Bärfuss im Engadin; um in ihrer Nähe zu sein, kehrte er zurück auf eine Baustelle in Thusis. «Vorankommen auf dem Bau» wollte er – und begann abermals eine Ausbildung – am Abendtechnikum Zürich.

Im Kopf spukten luftigere Träume: Linienpilot bei der Swissair? Er bestand 1962 die Schulprüfung für die Luftverkehrsschule. Sein Handicap: Er war 1961 wegen Otosklerose (Verkalkung der Gehörknöchelchen) erfolgreich operiert worden. Doch der skeptische Swissair-Chefarzt wollte und konnte die teure Ausbildung nicht verantworten. Es war schliesslich eine Wende zum Guten. 1964 die Umschulung auf Helikopter (der Bund suchte Helipiloten für die zahlreichen Kraftwerkbauten). Bedingung: Berufspilotenlizenz und Flugerfahrung im Gebirge. Bärfuss erhielt eine Stelle bei Heliswiss, einem halbprivaten Unternehmen, PTT und SBB waren die Hauptaktionäre. «Mit dem Helikopter als Werkzeug eine nützliche Arbeit leisten – erst noch in den Bergen, das war das Höchste.»

Der St. Moritzer Hotelier Fredy Wissel wagte Anfang der 1950er-Jahre mit seiner Piper erste Rettungsflüge ab Samedan. 1957 stationierte Heliswiss dort einen Helikopter (Bell 47 G3) mit Kolbenmotor für Touristikflüge und erste Hüttenversorgungen; die Schweizerische Rettungsflugwacht (SRFW; später Rega) nutzte ihn sporadisch. Sie hatte noch keinen Bereitschaftsdienst und funktionierte vor allem mit freiwilligen Piloten, Flughelfern, Ärzten. «Die Patienten transportierten wir auf einer ausserhalb des Helis montierten Tragbahre mit Kunststoffhaube als Wind- und Kälteschutz. Ärzte standen nur ausnahmsweise zur Verfügung, medizinisch ausgebildete Flughelfer überhaupt nicht.

Oft landete ich bei Bergunfällen Stunden später beim Patienten, weil der Alarmierende erst einen langen Fussmarsch zu einem Telefon machen musste.» Fritz Bühler, Chef der Rettungsflugwacht, hat Bärfuss meist persönlich aufgeboten: «Hast du Papier und Bleistift? Schreib auf!» War Ueli Bärfuss gerade für kommerzielle Aufträge unterwegs, wusste seine Frau, wo er zu erreichen war. Die Alarmierung brauchte Zeit. «Traf ich endlich am Unfallort ein, staunten Verletzte und allfällige Begleiter dennoch über die ‹Schnelligkeit› …»

Die Patienten konnte man damals nur in einen stehenden Helikopter einladen. Gab es keine Landemöglichkeit, mussten die Verunfallten im steilen, zerklüfteten Gelände zum Heli getragen werden. Einmal galt es, eine verletzte Frau bei Nachteinbruch aus dem oberen Teil der Isla Pers zu evakuieren. «Martin Roffler, SAC-Rettungschef Pontresina, und ich landeten beim kleinen Moränensee am Fuss der Isla Pers und stiegen mit dem üblichen Material zur Unfallstelle auf. Die Frau war extrem übergewichtig, unmöglich, sie auf dem steilen Pfad zum Heli hinunterzutragen. Wir improvisierten, wie oft in jenen Jahren, konstruierten mit Reepschnüren eine Aufhängung, befestigten damit die Armee-Gebirgstrage an der Lastenklinke des Helis und setzten die Frau sanft beim Landeplatz ab. Für den Flug ins Spital auf der Seitenbahre mussten wir auf der anderen Seite im Heli ein paar grosse Steine zuladen …»

Seit dieser Rettung hatte Ueli Bärfuss Lastennetz und Seil dabei, wenn er nicht sicher war, ob er am Unfallort landen konnte. Zwar nicht ideal für einen schonenden Transport, aber er konnte so einige aus ungemütlicher Lage befreien – bis 1966 der Zürcher Seilermeister Fritz Bühler das geniale Horizontalnetz entwickelte.

Ab 1969 stand den Winter über ein Jet Ranger Bell 206 B zur Verfügung, in dem man die Patienten in der Kabine liegend transportieren und betreuen konnte. Was auch Verlegungen von Spital zu Spital komfortabler machte. Sie nahmen zu. «Als alleiniger Helipilot in Samedan stand ich oft wochenlang ohne Unterbruch im Einsatz.» Einmal hatte Bärfuss eine Hochtour auf den Piz Roseg geplant. Fritz Bühler wollte, dass er den Heli bei der Tschiervahütte stationierte, um schneller verfügbar zu sein. Im Notfall werde der Hüttenwart ein Leintuch auf dem Dach auslegen. Kein Notruf. «Am Sonntagmittag kamen wir müde und zufrieden in die Hütte. Eine Stunde später: Alarm!»

Ende 1970 erwarb die Rettungsflugwacht dank grosszügiger Spende einer Bündner Stiftung eine gebrauchte Alouette III und stellte sie der Heliswiss in Samedan zur Verfügung: Heute steht die HB-XDF im Verkehrshaus. «Ein idealer Rettungsheli mit geräumiger Kabine, guter Flugleistung und Seilwinde. Am 24. Mai 1971 konnten wir unsere ‹Lodola› in Samedan übernehmen, endlich im Team unterwegs sein und gemeinsam eine Aufgabe lösen. Das war enorm motivierend.» Am 31. Juli 1971 gelang es zum ersten Mal, zwei Bergsteiger in einer Windenaktion* direkt aus der Nordostwand des Piz Badile zu retten. Aktionen in ähnlichem Stil reüssierten an der Sulzfluh-Südwand, an der Eisnase des Bumillerpfeilers am Piz Palü, in den Kreuzbergen, am Tödi und so weiter. «Diese Alouette war der einzige Helikopter mit Seilwinde in der Ost- und Südostschweiz, was unser Einsatzgebiet enorm ausweitete. 1974 kam die in der Höhe leistungsfähigere Version der Alouette III, 1994 die Agusta 109 K2.»

Das waren Zeiten! «Unterwegs war das Rettungsteam per Autoruf erreichbar. Ich landete bei einer Telefonkabine und rief die Einsatzleitung an. Ausserhalb des Helis trugen wir ein Autorufgerät bei uns, gross wie eine Panettone-Schachtel und zwei Kilo schwer.» 1976 liess die Rettungsflugwacht das erste zivile gesamtschweizerische Funknetz erstellen, das heisst, die Rettungsleute konnten nun direkt mit der Einsatzzentrale sprechen. Nicht nur die Kommunikation war manchmal schwierig. Der Helikopter zum Beispiel musste im Winter im ungeheizten Hangar bei Temperaturen von minus zwanzig Grad und mehr gewartet werden – bis im April 1978 ein neuer Hangar stand.

Ueli Bärfuss flog nicht nur in der Schweiz. Im Auftrag der Heliswiss arbeitete er in Grönland für die dänische geologische Gesellschaft, in der Sahara ging es um Erdölsuche, in Peru erstellte Brown Boveri ein drahtloses Übermittlungsnetz. Vom Sportplatz eines Anden-Dörfchens auf 2600 Meter über Meer aus flog er Lasten über eine Höhe von 5000 Metern hinab in ein anderes Tal. Beim siebten Flug zerbrach auf 4500 Metern das Hauptantriebsrad im Hauptrotorgetriebe, es blieb nur die Autorotation in eine Schlucht. Der Heli war zusammengestaucht, der Pilot wie durch ein Wunder praktisch unverletzt. «Dort oben habe ich zum Glauben gefunden.» Er musste zu Fuss absteigen. Als er vier Stunden später auf das Dorf zukam, läutete ein Bub die Kirchenglocke.

Im Herbst 1984 kehrte ein nachdenklicher Ueli Bärfuss aus Peru zurück. Die Heliswiss war 1983 von der Konkurrenz in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aufgekauft worden. Bärfuss kündigte – nach 21 Jahren – und baute mit Leo Caminada in sechs Monaten Heli Bernina auf. Natürlich hoffte er, seine beiden Söhne würden ihm nachfolgen. «Aber der Existenzkampf war hart, und ich dachte, sie müssten einen bodenständigen Beruf wählen.» Hansueli, der ältere, lernte Forstwart, was ihm heute bei Heli Bernina zugutekommt: «Wir fliegen viel Holz, der Heli ist dafür das umweltschonendste Instrument, die Forstwirtschaft eine grosse Arbeitgeberin.»

Hansueli Bärfuss ist Geschäftsführer des Familienunternehmens, seine Berufspilotenausbildung erwarb er in Kalifornien. Der jüngere Sohn Thomas engagiert sich, nach acht Jahren Militärberufspilot und Fluglehrer auf Helikopter und Pilatus PC-7, als Chefpilot und Fluglehrer. Heli Bernina beschäftigt heute vierzehn Leute – unter dem Motto «Jeder Mitarbeiter ein Mitunternehmer».

Heli Bernina macht aber auch Rettungen – immer im Auftrag der Rega, viele im Winter. «Unsere Helis sind innert fünf Minuten umgerüstet.» Die Rega führt seit 1982 die Basis Samedan mit eigenen Leuten und ist an 365 Tagen rund um die Uhr einsatzbereit. Ueli Bärfuss und sein Mitarbeiter Ueli Stocker (Chef Unterhalt, der im Jahr 2000 mit dem Heli tödlich verunglückte) waren als Ablösung für Basisleiter Marco Mehli integriert. «Während eines Jahrzehnts standen wir an 150 Tagen im Jahr für die Rega im Einsatz.»

Ueli Bärfuss erinnert sich an ungezählte riskante Rettungen bei schlechtem Wetter. Und an die himmeltraurigen, die menschlich beelendenden. Gleich einer der ersten Einsätze war traumatisch. «Ich musste ein achtjähriges Mädchen von Davos nach Zürich bringen. Es weilte in den Ferien bei seinem Onkel, der bei den Bergbahnen arbeitete. Im Maschinenraum geriet der Rossschwanz des Mädchens ins Getriebe – und riss die ganze Gesichtshaut mit.»

Es gibt auch heitere Geschichten. Jene der Zweier-Seilschaft auf dem Gletschersattel zwischen Piz Palü und Bellavista. Einer stürzte in eine Spalte. Der Kollege konnte ihn festhalten, aber nicht mit ihm kommunizieren. Als die Rega landete, freute er sich über den glücklichen Zufall, sein Kollege hänge nämlich in der Spalte. Dieser hatte via Handy die Rega alarmiert.

Ueli Bärfuss hat den Aufschwung der Flugrettung im Gebirge miterlebt, mitgeprägt. Er ist stolz auf die heute hohe Professionalität und hofft, dass «Freude, Motivation und Kreativität der Leute an der Front trotz einengenden Gesetzen und Betriebsvorschriften erhalten bleiben». Seine tägliche Freude ist die Grossfamilie: die zwei Söhne, zwei Töchter, zwölf Enkelkinder, von denen neun unter demselben Dach und in der Nachbarschaft leben.

Am 5. Februar 2011 sass der 76-Jährige bei strahlendem Wetter ein letztes Mal im Cockpit: Samedan–Lauterbrunnen. Langsam abbauen, freiwillig aufhören, das war sein Wunsch. Bis 58 flog er für die Rega, bis 65 für Heli Bernina, bis 70 unterrichtete er Flugschüler, bis 76 war er noch tätig für technische Kontrollflüge und Überführungsflüge. In den 35 Jahren als Rettungspilot flog er über 3000 Einsätze. Ein letztes Highlight? Im Frühling 2010 brachte er einen Heli zurück, der für eine Steinschlagverbauung in Griechenland im Einsatz gewesen war. «Ein herrlicher Flug via Kroatien, der Küste, den Inseln entlang.»

Ueli Bärfuss, 1935 in Zürich geboren, in Thun aufgewachsen, gelernter Tiefbauzeichner. 1962 Berufspilotenlizenz auf Flächenflugzeugen, Teilzeitpilot. 1965 bis 1985 Helikopterpilot bei Heliswiss. 1985 bis 2000 Gründung der Heli Bernina AG, Pilot und Geschäftsführer. 2000 bis 2005 Teilzeitmitarbeiter Administration, Verwaltungsrat Heli Bernina, Fluglehrer. 2005 bis heute teilzeitliche Büroarbeit und Allrounder. Sein Engagement für die Rega: 3000 Einsätze von 1965 bis 2000 auf der Basis Samedan. Ab 1993 Zweiteinsätze mit Maschinen der Heli Bernina.

Siehe «Leader und Flieger»

* Kann der Helikopter nicht beim Patienten landen, wird die Rettungswinde eingesetzt – eingerichtet für zwei Personen und mit fein dosierbarer Seillänge bis 90 Meter. Der Rettungssanitäter, gleichzeitig Windenoperateur, steuert die Winde an der offenen Seitentür über eine Fernbedienung und lässt den Arzt zum Patienten hinunter. Mit dem Piloten verständigt er sich über Bordfunk. Reicht die Rettungswinde nicht, etwa in einer hohen oder überhängenden Felswand, hängt der Rettungsspezialist an einem fixen Seil am Lasthaken des Helis, der sogenannten Long Line (220 Meter).

«Der Wunsch zu helfen, war meine Triebfeder»

Walter Odermatt, Rettungs-Fallschirmspringer

Wie Rega-Gründungsmitglied Walter Odermatt die stürmische Entwicklung miterlebte

Eine typische Rettung mit Fallschirm, April 1956. Walter Odermatt hatte Pikettdienst in Kloten. 11.15 Uhr die Meldung: Lawinenniedergang im Brisengebiet in Nähe der SAC-Brisenhütte. Ein verschütteter Tourenskifahrer auf 1850 Metern. Mit einer Fairchild flog die Crew der Schweizerischen Rettungsflugwacht in dreissig Minuten zum Unfallort: Pilot Theodor Furler, Lawinenhundeführer Willi Noser, Rettungs-Fallschirmspringer Walter Odermatt, auch Spezialist für Beatmung und Wiederbelebung. Als Erstes warfen sie eine Rauchrakete ab, um Windrichtung und Windstärke zu bestimmen, beim zweiten Überflug den Rettungsschlitten Akja (mit Fallschirm), beim dritten Sanitätsmaterial. Beim vierten sprang Odermatt, beim fünften der Lawinenhundeführer mit Hund. Der Pilot flog zurück nach Kloten. Der Hund fand den Verschütteten; dieser wurde ausgegraben, beatmet, fixiert, für den Transport vorbereitet. 75 Minuten vom ersten Überflug bis zum Abtransport des Verletzten. Der anschliessende Marsch nach Niederrickenbach dauerte 70, die Fahrt mit der Luftseilbahn nach Dallenwil 8, jene ins Spital Stans 15 Minuten. Das macht nicht mal drei Stunden, und zweieinhalb Stunden später waren die zwei Retter zurück auf der Basis, einer alten Militärbaracke auf dem Flughafengelände Kloten. Der Tourenfahrer überlebte.

Bei der heutigen Helirettung wäre der Patient nach etwa zwei Stunden im Spital. Die Rettung ohne Fallschirmeinsatz hingegen hätte damals acht bis zehn Stunden gedauert: Rettungskolonne zusammenstellen, Lawinenhundeführer aufbieten und drei, vier Stunden Marsch ab Bergstation …

Zehn Jahre früher hatte der legendäre Flugzeugabsturz einer amerikanischen Douglas C 53 am 19. November 1946 den Rettungsfunken des achtzehnjährigen Walter Odermatt entfacht. Er wollte das Flugzeug à tout prix selber finden und fuhr auf seinem Motorrad die «Trampelpfade» am Susten ab. Ein US-Aufklärer entdeckte die Vermissten dann auf dem Gauligletscher im Berner Oberland; zwei Schweizer Militärpiloten evakuierten die Verletzten mit zwei Flugzeugen des Typs Fieseler Storch.

Wir sitzen in Odermatts Wohnung im aargauischen Brugg. 1928 in Stans zur Welt gekommen, mit zehn Geschwistern aufgewachsen, machte er an der Verkehrsschule Luzern eine Postlehre, wechselte später zum Militär und 1962 als Sanitätsinstruktor auf den Waffenplatz Brugg. Dank einer verständnisvollen Gattin hatte er sogar ein Privatleben. Solange keine Kinder da waren, begleitete Irma Odermatt ihren Mann an wechselnde Arbeitsorte: ins Wallis, ins Tessin und nach Graubünden.

Das Gründungsmitglied der Schweizerischen Rettungsflugwacht (SRFW) reicht mir das Protokoll der Gründung: «Die Delegiertenversammlung hat einen historischen Beschluss gefasst, der den Rettungsgedanken und die Ideale der Schweizerischen Lebensrettungs-Gesellschaft unserem Volke und den Nachbarländern bekannt machen wird. Damit kann die SLRG eine wahrhaft humanitäre und patriotische Aufgabe erfüllen.» Das war am Sonntagmorgen, 27. April 1952, im Hotel Bären in Twann.