Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der zweite Band baut die Höhepunkte am Ende des ersten aus: den persönlichen und den nationalen. Aus der frischen Liebe wird das klassische roll out zur neuen Familie. Gebaut wird allerdings nicht, sondern Bestehendes auf den Kopf gestellt. Das zieht sich hin durch diese neuen fünf Jahre und prägt viele Tagesabläufe in bisweilen brachialer Weise. - Zum Ende hin nimmt auch das Berufsleben des Protagonisten eine radikale Wende. Das Doppelleben, fast die dunkle Seite zu nennen, gräbt den Text weiterhin um - bis zur Verständnislosigkeit, immerhin durchsetzt mit zahlreichen leuchtenden Einfällen. Die wollen freilich gefunden werden.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 409
Veröffentlichungsjahr: 2019
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Jahr
1990
1991
1992
1993
1994
Phantastisches Tagebuch 1990 –1994
Der zweite Band baut die Höhepunkte am Ende des ersten aus: den persönlichen und den nationalen. Aus der frischen Liebe wird das klassische roll out zur neuen Familie. Gebaut wird allerdings nicht, sondern Bestehendes auf den Kopf gestellt. Das zieht sich hin durch diese neuen fünf Jahre und prägt viele Tagesabläufe in bisweilen brachialer Weise. – Zum Ende hin nimmt auch das Berufsleben des Protagonisten eine radikale Wende. Das Doppelleben, fast die dunkle Seite zu nennen, gräbt den Text weiterhin um – bis zur Verständnislosigkeit, immerhin durchsetzt mit zahlreichen leuchtenden Einfällen. Die wollen freilich gefunden werden.
Der zweite Erzählstrang folgt in seinen Zufällen des Tages dem doch etwas anarchischen Weg, besser der Not, nach dem Fall der Mauer die vielfachen und spontanen Entwicklungen in und aus West & Ost in gesteuerte Abläufe zu führen. An deren Ende steht die nationale und staatsrechtliche Einheit des Landes, mit viel Jubel und vielen Verletzungen, mit Gewinn & Verlust unter den Teilnehmern. Das Volk ist gezeichnet mit Eigenheiten, wie jedes. Nach zwei Diktaturen trägt es Narben. Dabei hat es viel Souveränität verloren. Es wird nicht mehr sein wie früher – obgleich und weil es ‚aus seiner Haut‘ nicht rauskommt – wie du und ich.
Um so größer das erreichte Ergebnis, zu dessen Ziel und Akzeptanz die großen Mächte gewonnen werden können – ein kaum zu steuerndes Kräfte-Parallelogramm. Dafür wird, wie nicht anders möglich, auch bezahlt.
Die Wahrnehmungen des Schreibers sind weit entfernt von erschöpfender Darstellung und Bewertung, aber sie beanspruchen einen sich schärfenden Blick, dessen Prägungen ihre Herkunft aus Desastern nicht leugnen können. Kurz, für Übertreibung ist gesorgt, die jedoch nicht zur Verunstaltung wird.
Was beim Transskript auffiel, ist die Wertung des Europa-Themas: als Ausweichen vor dem Sichstellen – bereits vor einem Vierteljahrhundert wahrgenommen eher als ‚Fluchtreflex‘, Vermeidung von Nation und ihren Belangen. – Wie brutal der Fremdenhaß seine Spur durch das frisch zugängliche Land zieht, ist ebenfalls der Rede wert. – Und der jugoslawische Abgrund: das zivilisierte Europa, wie es sich nennt, vermag dem im religiösen Fundamentalismus ausartenden Massensterben und -morden keinen Einhalt zu gebieten.
‚Genießen Sie Ihren Aufenthalt‘, rief Lucky Strike von den Werbetafeln, noch ohne verkohlte Lunge drauf. Hier kommen Belege!
Februar 2019
Nachtrag aus 1986 – Fragment 1934: Der Besuch
Entschlossen betrat er das Haus in der Vincennenstraße. Vor zwei Jahren, 1934, hatte es eine unangenehme Begegnung mit dem Mieter im Parterre gegeben. Der vielleicht 45-Jährige hatte bei seinem Eintreten in den Hausflur grade die Kellertür geschlossen und sich, auf dem Weg zur Wohnungstür, ihm zugewandt. Er hatte ihn gemustert, kurz. Das hatte gereicht, alle Fragen aufzuwerfen, vor denen er auf der Flucht war, seit diesem Aufruhr im Land. Ein automatisches Lächeln, ein Zucken der Wangen, der Augenlider, hatte sie aneinander vorbeigebracht. Dem taxierenden Blick des Bewohners konnte er seinen Gedankensturz verbergen. Darin gingen die Ereignisse, die Ängste und Erwartungen eine heillose Melange ein. Zwanzig Seiten voll, in Bruchteilen, schabloniert durch das Berliner Außenfeld, Schlüssen aus dem Lärm und den Hoffnungen, jenen Doppelgängern der Angst. Er blieb Herr seines Innenlebens, auch jetzt, als er die Treppe hochstieg, die Hand am Geländer. Als er der Drehung folgte, lag darauf ihre, darauf die Sonne. Er stockte, wie oft schon kam er hierher. Der Hausmeister wußte es. Sie war zart in der Begrüßung und sie gingen in die Wohnung.
Die kannte er gut. Jedesmal erweiterte die sich zum riesigen Terrain, ein Boden einem Fluchtlager gleich. Der zog ihn und bot Sicherheit. Hinter ihm schlug tonnenschweres Glas auf und explodierte sternförmig. Sie kommen zehn Minuten nach der vereinbarten Zeit, begann sie – das hat Gründe, Verzeihung, kam es zurück. Welche sind es denn? – keine privaten – dann reden Sie nicht mehr – es gab einen Unfall am Bayrischen Platz, beharrte er. Die gibt es täglich, erwiderte sie, leicht ungnädig. – Ich wurde wegen einer Zeugenaussage aufgehalten … – … und mußten sich ausweisen? und es gab Probleme? – Nein, es ist doch geregelt, es ist vereinbart, daß ich meinen Reisepaß mit mir führe.
Er wußte von den Regeln. Sie änderten sich in kürzeren Abständen. Juden bekamen schon keine neuen Pässe mehr. Über die Einstempelung des Sterns in alle jüdischen Pässe wurde bereits geredet. Danach käme die Einziehung und Ausstellung eines Ersatzpapiers, wie eine Gefangensetzung in Freiheit. Er glaubte nicht …
Geruch von Erde stieg ihm in die Nase, ihm wurde schwindelig vor Erinnerung an das Verlorene. Dabei sank er auf die weite Fläche, bis er Halt fand. Alle Übergänge lagen schon auf ihrem Boden. – Er watete durch die Scherben, Lärm betäubte ihn, er schrie dagegen an. – Die Erde nahm alles auf und er kehrte zurück, seine Schritte wurden größer. Mechanisch war Ernst seinen Schritten durch das Zimmer gefolgt und kam zu ihr. – Klopfen an der Tür unterbrach alles, da war er, dieser erwartete Hausmeister, – da war heute morgen jemand, der sich nach Ihnen erkundigte, Frau Srenczak, drängte der sich mit kaum gehobener Stimme ins Zimmer, Sie waren früher aus dem Haus, heute. – Das stimmt, unterbrach Anna die kenntnisreichen Ausführungen, ohne auf die sogleich umgelenkte Neugier des Eingetretenen zu reagieren. Der musterte in dem Schweigen Ernst, der sich vom Fenster ab- und mit kurzem Nicken dem erfassenden Hausmeister zuwandte. – Ja also, hob der Besucher an, ich soll Ihnen ausrichten …, hier ist ein Umschlag, den er für Sie abgegeben hat.
Die Gegenwart des Konspirativen hielt Ernst auf dumme Art am Fenster fest. Aus der Schwäche, die ihn befiel, halfen Annas Schritte auf diesen Eindringling zu und der Griff nach dem hingehaltenen Brief. Das Behördenkuvert legte sie auf die Kommode neben der Tür. – Ich danke Ihnen. – Ernst machte einen Schritt ins Zimmer, als er ihren unverwandt den Hausmeister fixierenden Blick wahrnahm. Sie schloß die Tür hinter dem, ohne auf seine letzten Worte zu antworten. – Er kam ihr nach. Als Anna sich umdrehte, stand sie dicht vor dem zwölf Jahre jüngeren Mann. Das ist nichts Besonderes. Mein Visum läuft ab, ich muß an die Ausreise denken. Sie überging seinen fragenden Blick. Er wollte etwas einwenden, ihre Bestimmtheit ließ ihn stocken. Der Schnüffler war noch im Treppenhaus zu hören, als sie seine Hände nahm, komm! – Wir sehen uns hier, begannn sie erneut, seit vielen Monaten unter den Augen dieses Menschen im Parterre, dessen Aufdringlichkeit …, sie sah zur Seite.
Anna löste ihre Hände aus seinen und drückte ihre Stirn an sein Kinn. – Sie gefährden Ihre Stellung meinetwegen, und meine Zeit hier wird kürzer, haben Sie Grund dazu? – Ja, sicher , … – Er war ganz auf ihrem Terrain, er umschloß sie mit Küssen und ließ dem Aufstand unfertiger Hoffnungen, zuchtvoller Phantasien und gezügelter Überlegungen seinen Lauf. Es gab aber zwischen ihnen kein Niemandsland und so geriet er unter Annas Entschlossenheit in den Sturm seiner ohnmächtigen Gefühle, alle Sehnsucht senkte sich in die Wälder ihres Atems.
Das Sonnenfenster an der Wand hinter ihnen war zur Tür ausgewandert. Langsam kehrten die Konturen der politischen Schatten in das Zimmer zurück, dazu Hausgeräusche. In diese Bewegung hinein wiederholte er sein Ja. – Ich liebe Dich, Anna und er legte sein Verlangen, seinen Körper um sie. Anna nahm ihn auf, ein Zittern durchlief sie, hielt ihn. Für Sekunden verschmolzen Fragen und Antworten unter den Verschlägen der Außenwelt. Aber dieses Eingeständnis der Liebe entkam den Torwächtern.
Ernst suchte diese Besinnungslosigkeit zu halten, fürchtete sich vor der Offenbarung. Anna kam im seidenen Morgenrock ans Bett zurück und er zog sie zu sich. Er würde den Blockwart im Parterre als Torwächter verpflichten.
Erkenntnis am 24.1.2012
Im Urteil, die Welt sei ein Irrenhaus, fügen sich auf seltene Art die Ausstattung des Innenraums zur Symbiose mit den Ereignissen. Was überwiegt, ist Thema des Einzelfalls, kann bisweilen aber auch kategorisch am Mann entschieden werden.
Tagebuch – Auszug
Bevor das Jahr loszählt, ist einiges klarzustellen. In Suurhusen steht auf dem erhöhten Gottesacker ein steinernes Haus mit einem groben Turm vorweg. Der droht ins Feld zu stürzen, man möchte ihn aber halten. 300 Meter davor wird die Auffahrt fürs vierspurige Autorennen planiert, der Planer konnte den Turm wohl grade noch meiden, aber die freie Fahrt wird dies stille Örtchen auch so auf Vordermann bringen, es ist Schluß mit den 700 oder wieviel Jahren Totenstille, dem Leben sei Dank.
Am liebsten möchte der interessierte Automobilist – dieses Geschöpf Gottes – geradewegs durch die Geschichte fegen und – bei einer Verpflegungs- oder Wartungspause, einschließlich Wasserlassen – einem Hinweisschild für touristischen Aufwand folgend, die Kopie eines Utensils dieses pietätvollen Ensembles gegen Zahlung mitgehen heißen, dazu das Faltblatt voller einschlägiger Information, um sogleich, wieder fröhlich-touristisch, der Urlaub ist knapp (und bezahlt), auf der Überholspur, der schnurgraden, davon zu stieben.
Meine Textdrift schiebt, Material aus der Jubiläumszeit geriet fahrlässig ins Aus: Jahrestage, falsch angefaßt, können zum Unglück einer Nation werden. Wer bloß erfindet sie und legt sie fest! Die Abstimmung erfolgt im kleinen Kreis, das Volk trägt es sodann aus – bis hin zur staatsbürgerlichen Pflicht. Erhabenheit oder Depression sind oft die Folge. Wir zählen unsere Tage, seit die Zahl in der Welt ist – ich Zählwerk fülle meine Tage damit, ich Ausgeburt dieses Daseins. Jahrestage sind besonderes Sortiment einer Nation, die Ablauforganisation für das, was angerichtet oder erreicht wurde. Seitdem ist vieles nicht mehr vorbei, eigentlich nie, obwohl der Mensch gern vergißt. Das soll sogar heilsam sein, sagt die Menschenkenntnis. Damit ist Schluß, ausgeheilt! Und die Zeit heilt keine Wunden, Freundchen, Sprüche der Altvätersitte! Jedes Jahr dasselbe Lied, mit Chor, mit Orchester – wer hier ist der Komponist! Wir sind nicht das Tier, spricht das zivilisatorische Machwerk. Beim Geburtstag, diesem persönlichen Austrieb, solls ja auch jährlich hoch her gehen, bis in jene treibhausartige Unerbittlichkeit, die bei zu starkem Besucherandrang nur noch abwinkt. Gegen Schnaps ist nichts einzuwenden, der im Schrank wartet. Das hörbare Aufatmen, wenn der letzte Gast im Taxi sitzt.
So ist das auch mit den Gedenktagen der Nation, selten amüsant, zumal, wenn es sich inmitten Europas abspielt. Das hat sich ja keiner ausgesucht, der sich jährlich betroffen in Schale wirft und vergeblich wegen Anzuggeld anfragt. Vom Ausland mal abgesehen, das, ganz ohne Waffengewalt, auch gerne seine Finger im Spiel hat. Zwischen Stammesdasein und Deutschmark hat sich so manches ereignet, dem Explosives innewohnt. Dazu kostet es enorme Kraft, das verbliebene Terrain zu verteidigen. Auch dafür wird der Jahrestag genutzt, dem das Zählwerk immanent ist unter der Fragestellung: wie lange müssen wir noch auf eine Wiederherstellung warten, wie lange darben Brüder und/oder Schwestern noch. Aus dem Zählen folgt das Rechnen, dem das Abrechnen sich mühelos anschließt. Das wird zum Medium unserer Tugenden, die schließlich Maßstab für den grenznahen Nachbarn sind – und für die Art und Weise des Kontakts. Wenn alle Dämme brechen, wird leicht mit ganzen Völkern abgerechnet, und zwar nicht mit dem Abakus, meine Herren. Sehen Sie sich um im Bekanntenkreis, da finden sich Beispiele.
Jahrestage sind Elemente nationaler Erziehung. Der aufrechte Gang in Deutschland ist weniger der Ontogenese als der Erziehung geschuldet. Bei mir wars so. Der früh ausgebildeten ausweichenden Haltung, auch körperlich, stand die Anweisung entgegen, meinem Gegner, also patrilinear meinem Gegenüber in die Augen zu blicken und so zu verweilen. Mich hat das Weiße in seinen Augen immer geblendet. Die Aufgabe bestand darin, auch bei folgender Züchtigung die Haltung ‚Auge in Auge‘ zu bewahren. Früh erfuhr ich, was ich später lernte: was es heißt, einen Kampf ‚Auge in Auge‘ zu führen. Er sagte, er habe gelacht, wenn sein Vater ihn um den Tisch herum verfolgte. Mir fehlte selbst der Fluchtreflex. – Und dann, nach Erreichen der Geschlechtsreife, heißt es plötzlich, zu den unveräußerlichen Rechten des Menschen zählten das Leben, die Freiheit und das Streben nach Glück. Nach ARISTOTELES von Athen, JEFFERSON in Philadelphia und LAFAYETTE in Paris soll das ja selbst Herr Friedrich der Große gesagt haben. Weltbilder haben viele Seiten, ich hielt mich auf der des preußischen Exercierplatzes auf. Viele Verheißungen wurden säkularisiert, es gibt kein Glück. Aber Sozialhilfe. Das ist die deutsche Lösung. Vorrangig bleiben selbstverständlich Arbeitsamkeit und militärische Exercitien, wenngleich beide an Prägung verlieren. Das sei eingeräumt.
Das Erlebte präge die Weltsicht, wird gesagt. Das ändert die Welt nicht! Sie ist voll dieser Verzerrungen – bereiten Sie sich vor auf den größten denkbaren Jahrestag 2000. Dann werden alte Wunden aufgerissen werden, wenn zweitausend Jahre vergangen sind, seit der Mythos von der Kreuzigung des weißen Mannes in der Welt ist. Der bekanntlich zugleich Stellvertreter Gottes sein mußte. Dann wird es Talk Shows geben, wo Sie mit Roß & Reiter rechnen dürfen – die Täter und ihre Motive werden auftreten, unter Glockengeläut! Alle Dämme und überlasteten Verkehrsadern werden kollabieren vor dem unerbittlichen Spürsinn, der fragt: wer war das und was hat es gekostet! Es kann passieren, daß Ihre Schmerzen in die Handflächen wandern und Sie erschrecken vor der Sehnsucht nach den Wundmalen Christi. Und was wird Ihnen dann die Sage von der Wiederauferstehung des weißen Mannes nutzen! Mit diesen Behauptungen sind die mitteleuropäischen Vorfahren über die ganze Erde gezogen, sie sind dabei reich geworden, aber irgendwas quält sie. Ihre Überzeugung ist ein hartes Brot, das anderen angeboten wird.
1.1. MONTAG
Sylvester war wieder eine einzige Sauerei, Ausstoß von 84 Tonnen Stickoxyd – das neue Jahr beginnt mit einem Vorhalt, und nun? Na abrauchen, abnebeln, abglimmen, abbrennen, explodieren. – Das Bundesamt für Materialprüfung bei der Arbeit, der Verwender muß die Möglichkeit haben sich zu entfernen! Und 110 Dezibel sollen das Äußerste sein, der Haustiere und Kleinkinder wegen.
Das Auto wird in seiner Komplexität verkannt, als Beförderungsapparat fälschlich reduziert. Beiläufig sortiert es, integriert es und stellt die Beziehung zwischen Mann und Frau als Regel-Arrangement auf eine sachliche Grundlage. Es vermittelt, stiftet quasi eine Dreiecksbeziehung. Diese hat rein äußerlich ein durch die Sitzordnung determiniertes Bild, StVO-mäßig geboten. Steigen Beide ein, etwa infolge ehelicher Bindung, sitzt die Frau regelmäßig in Fahrtrichtung rechts, der Mann hält die Steuerung. Er kontrolliert den Verkehr, läßt gebotene Vorsicht walten, auch beim Stand des Fahrzeugs vor einer Ampel. Die Frau betrachtet derweil die Umgebung und gewinnt ihr gegebenenfalls Schönes ab. Ein Eingriff in den Fahrbetrieb des Mannes ist ihr untersagt, rein straßenverkehrsrechtlich. Sie kann auch ihre Fingernägel betrachten oder ihre Lippen nachziehen. Dafür hält das System des Beifahrens eine Vorrichtung in der Sonnenblende bereit, einen kleinen Spiegel, in der preiswerten Form aufgeklebt. Er zeigt sich nach dem Herunterklappen der Blende.
Sind nur Frauen im Wagen, wogegen nichts spricht und was neuerdings häufiger vorkommt, führt eine von ihnen das Fahrzeug. Das ist denknotwendig, kann aber auch in der Gemischtbesetzung vorkommen, etwa aus Altersgründen des Mannes. – Das Auto dient so nicht allein der Beziehungspflege, es hält ganze Familien zusammen. Türen sind während der Fahrt geschlossen zu halten, Kindersicherungen tun ein übriges.
Die Frau kann sich zur Halterin eines Kfz hin entwickeln. Es ist jedoch nicht dasselbe. Mag die Haltung äußerlich in Ordnung sein, so wird es häufig an der innerlich gebotenen mangeln. Ein Wagen ist Einstellungssache. Der Mann ist Sammler, er hortet Kraftfahrzeuge, sobald das Einkomm’ ihn läßt. So etwas kommt der Frau nicht vor, die jedes Schuhregal plündert. Ein Blick in die Automobil-Zeitschrift genügt. Die kommt ungefragt bis an die Haustür und verstopft wiederkehrend den Briefkasten, Folge einer Mitgliedschaft.
Schließlich ließ schon ein gewisser ERNST BERGE im Dienste der Daimler-Motoren-Gesellschaft 1915 verlauten, daß der Krieg – bei allen Schrecknissen – die „Unentbehrlichkeit des Automobils“ aller Welt vor Augen geführt habe, ein Motiv, daß aktuell außer Konjunktur ist.
Felice Casorati Conversazione platonica, 1925
Fahren Sie nach Venedig, traumhaft, fahren Sie direkt, nicht über Los – Sie Monopoly-Generation. Dort warten Parkverbot und Kulturgut. Besuchen Sie den Palazzo Grassi, betrachten Sie diese heiklen Bereiche, finden Sie Dunkelheit, Schwermut und den malerischen Schmelz VERMEERS. Fertigen Sie eine Bildbeschreibung der ‚Conversazione Platonica‘ des Herstellers FELICE CASORATI. Beachten Sie die Haltung des Mannes, seiner Hand, ‚die gebieterische Passivität der Frau‘ und die Gefährdung, bitte nicht berühren! Die Liegende steht unter Aufsicht des Museumspersonals. Ignorieren Sie die Einschmeicheleien des 60-jährigen Futurismus! – Die Nacktheit der Frau sei weiser als die Lehre des Philosophen, heißt es andernorts. Zutreffendes bitte ankreuzen.
Sie können das Unternehmen auch abbrechen, bevor Ihnen etwas zustößt und sich mit Lüneburg begnügen. Dort gibt der weltberühmte Dirigent LEONARD BERNSTEIN auf dem Marktplatz ein Konzert mit über hundert Instrumenten, verweigert jedoch trotz anhaltendem Applaus eine Zugabe, vermerkt die Nachricht. Schließlich tagt hier nach Sonnenaufgang auch der niedersächsische Disziplinarhof, Freundchen. – Letztlich kann die Ausbildung zum Dr. hc. mult. oder zum Europaparlamentarier mit den gebotenen Reisekaderallüren die Subsistenz sichern.
Meine Einkleidung als Selbstversuch in Hamburg 36, Gänsemarkt: der faustdicke Katalog springt an mit der Parole ‚Achten Sie auf Ihre Äußerlichkeiten‘. Ich soll das ‚clark-field-shirt‘ anprobieren, Seide und bereits handgewaschen, dazu die Interceptor-Hose, Farbton ‚mud‘, passgenau für Inter City und Inter Conti – Schicht. Darüber das ‚Squadron Jacket‘ mit gepflegter Kampferfahrung, dem das ‚Thunder Chief Jacket‘ in nichts nachsteht. – Gehen Sie euphorischer mit Ihren heimatlosen Ambitionen um! Ich suche mein Glück. – Das ‚Air Base Shirt‘ (Hemd) soll an windigen Tagen helfen, notfalls vom ‚Flat Top Pullover‘ assistiert. Zeitvergleiche sollten nur noch mit der ‚Officers Watch‘ durchgeführt werden, bei Sonneneinstrahlung mittels ‚Sergeant-Brille‘. Triviales kann Ihnen nichts anhaben, ‚Good Deal Pullover‘, Fliegerschal und Platoon-Kettchen aber schon. Seien Sie ‚Combat Blouson‘ (Jacke) in Bestform, ‚fieldgreen‘ mit fließendem Schnitt, dazu ‚front stepp details‘ auf der linken Brustseite, alles in wachsigem ‚Used Look‘, auch die Windschutzleiste mit Antikdruck! – Sie tun längst, was sich erst herumspricht: Zeichen setzen durch großflächige Stickerei – die könnte von Ihrer Mutter Hände sein – und Lederaufnäher auf dem Rücken.
Geben Sie nicht auf sondern Ihrer Aufmerksamkeit Zeit zum Bummeln! Das ‚Top Fighter Jackett‘ mit Erkennungsmarke, falls Sie doch in ein Gerangel geraten, innen ein Landkartenfutter aus Satin, falls Ihr Urlaub in Reichweite einer Luftwaffe liegt. Halten Sie Abstand zu Kurzstreckenwaffen. Als Notverpflegung empfiehlt sich Kurzgebackenes – und keine Verwicklung in aufreibende Erdkämpfe, wer will heute nicht Sergeant sein! Und vergessen Sie nicht: der Arbeitgeber hat Anspruch auf Ihre Erholung, das wird nach drei Wochen Erdkampf knapp! Ein Herrenausstatter weist solche Verantwortung von sich, das ist kein Mangelfolgeschaden, meine Herren Erdkämpfer.
Schließlich: sichern Sie Ihren vertrauten Frischzellenvorrat gegen Analphabetisierung. Denn: vor dem Alphabet kommt der Analphabet, Verwandter in absteigender Linie, Rückfall jederzeit. – Das Angebot kennt jedoch keine Pause: in zweiter Reihe steht die ‚Tornado-Hose‘, darüber die ‚Sky-Hawk-Jacke‘ in geschliffenem Lammleder, das ist es dann auch, bitte keine weiteren Auszeichnungen, Sie tragen schon schwer genug!
Überprüfen Sie Ihre Wortgelenke am Alltag, der alles Wissenswerte enthält. Hier ist die Führung:
Sind Sie ein Abgrundritter oder betrachten Sie Ihre Verwerfungen eher vom naturwissenschaftlichen Standpunkt? Vielleicht als Geologe? Nachfrage: stehen Sie, vor die Wahl gestellt, lieber am Fuße eines Abgrunds oder am oberen Rand? Manche sehen darin einen Anfang.
Woher rührt das blinde Vertrauen in eine Hochebene und die Ehrfurcht vor dem Gebirge?
Hat es sich bestätigt, daß die Fassaden der Kölner Innenstadt ihr zukünftiges Schicksal im Bild trugen?
Glauben Sie, daß Ihre Phantasie als Frau an die des Mannes heranreicht? Wenn ja, warum ist davon so wenig zu hören.
Haben Sie in letzter Zeit den Weg Ihres Affektes verfolgt, den Ihr voyeuristischer Blick auslöst, körperlicher Bewegung folgend?
Würden Sie bei bekannt gewordenem Schwangerschaftsabbruch den Parteivortrag genügen lassen oder dem Amtsermittlungsgrundsatz das Lebensvorrecht geben? Sind Sie schon einmal abgetrieben, diese Nachfrage kann einer zügigen Antwort den Rückweg freihalten. Vertrauen läßt sich nur einmal verteilen. Arzt und Richter verlangen aber beide danach.
Die Memmingen-Kaskade tritt eine Schneise ins Buschwerk und demonstriert, jawohl, wie der Brückenschlag der Freiheit bis tief in den Leib der Frau hineinreicht, schon das Ei hat lebhaften Kontakt zu dieser Freilichtbühne. Dieses in der siebten Woche, so das Fachwissen, bereits einen Zentimeter lange Grundrechtsträgerchen ist trotz erkennbarer Greifbewegungen noch nicht so recht geschäftsfähig, die Mutter zwar in der Regel schon, so neuere Ansicht, aber sie möchte ihr privates Selbstbestimmungsrecht nun auch ausleben, ihren ganzen Körper zum rechtsfreien Raum mit ungeregeltem Zugang erklären, sich umweltfeindlich versagen. Den Verantwortungsträger reißt es vom Pferd! – Dabei hat der Erkenntnistrieb, dem die Ärztekammer forciert aufsitzt, längst den Tatsachenhaushalt extrapoliert: Retortenbefruchtung und sonografische Diagnostik lassen nur ein Ergebnis zu – der Mensch beginnt mit der Konjugation! Es gilt, die Auslieferung dieses Verfassungsrangs an privates Gutdünken zu verhindern.
Dagegen wendet sich entschieden der passierscheinfordernde Aufschrei des rasch wachsenden kleinen Rackers, vorgetragen von Amts wegen, wo sich der Vormund und die freiwillige Pro zeßstandschaft tummeln. Im gleichen Rechtszug wird die Zwangsernährung verfügt und das Anspruchsscharmützel mit Rechtskraft beendet. – Der Mutterschoß gehört Gott und der Wissenschaft. Privatwirtschaftliches Kurpfuschertum hat weder Glauben noch Erkenntnis, es fehlt die Abgrenzung zur übrigen Natur. – So bäumt sich auf, im Namen von allem, was Recht ist, nämlich der Vizepräsident der Landesärztekammer Hessen als auch der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht Freiburg, Freundchen.
Jede dieser vertraulich-frohlockenden Anfragen reichte leichtens für einen Tapetenwechsel in einem Ihrer schwach erleuchteten Klosterräume. Wie schnell bricht ein Tapeziertischlein – Deckdich unter herabkommenden Ahnungen aus der vordenklichen Zeit zusammen. – Antworten Sie zuerst sich selbst! Im Kontrollgang des Innenhofs hat manch grobes Wort eher freie Bahn als im Beisein der Lieben. Es genügt, die Frage zu lesen – der Körper findet sofort, wie der Geist auf einen Geruch hin, einen überraschenden und direkten Weg ins Feuer. Viele Gedanken haben nämlich einen festen Unterstand im Körper, auf den das Abendland mit seinen weltweiten Ressorts dankend herabblickt – und zugreift.
Wer den maßgeblichen Anteil zum gefälligen Geschichtsprozeß beisteuert, ist unstreitig, weil solche Frage keinen Einlaß erhält. Ein formelloses Mischungsverhältnis, unter dem E-Mikroskop appetitlich wie ein Pralinenkästlein, hat Segel und Hypothesen gesetzt und behauptet sich in der Unabhängigkeit von Tag und Nacht. Aber jede Epoche holt sich ihren Kreuzzug, Herr Philosoph.
Wären Sie kreuzzugsfähig? Bitte nichts Antroposophisches, der Duden wird auch ständig umgeschrieben. Sie werden darauf zurückkommen, das europäisch-sublime Angebot versteckt seinen Reichtum! Die Gelegenheit wächst ganz ordinär aus dem demokratischen Alltag heraus, nicht aus einem einzelnen, aber aus hübscher Anhäufelung.
Überhaupt muß der Allüre des rechtsfreien Raumes noch einiges nachgeschmissen werden, denn der Titel ist begehrt. Dabei hat er nichts zu suchen, weder in der Volxdemokratie noch beim Freisein. Da wird der Frau wie der Hafenstraße Beine gemacht, Sie lieber Herr Gesangverein – ja? Es ist wie mit der Reizwäsche, die ihren Namen zu Recht trägt. Selbst ein Trabant mit Vorhängen am Rückfenster und sowjetischem Kennzeichen kann davon nicht ablenken. Der fuhr die Mönckebergstraße hinab unter Zuhilfenahme des eingebauten Motors! – Wie sehr lammfromme Gefolgschaft und rechtsfreier Raum, schon der Begriff reizt zum Desaster, beieinander, ja übereinander liegen, lehrt die Hafenwirtschaft. Das deutsche Jahrhundert ist voll von diesem Amalgam, Sie Zahntechniker. Aber das nur nebenbei, Sie Fluchtreflex, und zurück an den Hafenrand. Denn hier trifft das Ideal der zentralverriegelten Vollkaskogesellschaft, die Familienidylle, sonntags im Kfz auf den organisierten Zivilisationsbruch.
Dabei geht es friedlich los. Der Haushaltsvorstand und Fahrzeughalter ruft zur Ausfahrt und lenkt hafenwärts. Doch die Inaugenscheinnahme des aktuellen Zustands bricht sich am Auflauf Interessierter, die freie Fahrt blockieren – der betäubungsfreie Eingriff ins Nervenkostüm ist Feuer fürs Betriebsklima. Emaillierte Mitteilungen über privaten Parkraum mit der Folge Ausschluß der Öffentlichkeit tun ein Übriges, falls möglich. Nach gelungener Parkposition, sachschadenfrei, gelingt der waghalsige Blick auf das Besatzungsregime der Ureinwohner. Der Sachschaden ist hier Normalzustand. Presse, Funk und Bürgermeister sind der Warnung voll. Davon sind die Insassen nicht frei: hier läßt sich das ‚drunter & drüber‘ provozierenden Nichtstuns in Form des Sitzens auf verschlissenen Sofas studieren. Da springt das Messer in der Hose auf, das er nicht hat.
Grade drängt der Gatte zum Abbruch, da fällt das gegenüberliegende Dock ins Auge, wo Sachschaden als Parole über die ganze Breitseite marodiert – und einem gefälligen Hafen- und Seestück, ja dem Stadtbild seinen Glanz nimmt. „Zusammenlegung sofort“ liest der gemeine Passant, dessen Erholungszeit anderes gewöhnt ist. Schon kurz drauf ist die widernatürliche Schriftsprache auf dem ungaren Gemälde mit wiederverwendbarem Tuch zugehängt. So bleibt der Blick des staugebeutelten Autofahrers zur Seeseite hin ungetrübt. Die Buntwände zur Rechten erfordern ohnehin vollen Einsatz. Die Sehnsucht des Automobilisten nach Autonomie ist der des geschäftsmäßigen Autonomen verwandt – mit dem Unterschied, daß einer sich räkelt, flezt und dehnt, wonach der andere sich sehnt – und einen Krieg vom Zaun treten könnte, wenigstens Lattenkampf. Er möchte auch mal prügeln, all den Verboten freien Lauf lassen, an die er sich hält, Tag für Tag!
Zurück ins Gemächt des Tages: VACLAV HAVEL wurde Staatsoberhaupt der Tschechoslowakei.
Die Sozialistische Republik Rumänien heißt jetzt Rumänien, verbleibt jedoch im Warschauer Pakt. Bisher gabs nur Volksrepubliken, jetzt wieder ohne.
Der Persönlichkeitsschutz im Analphabetisierungsprozeß steht auf vertrautem Fuß mit dem Opfer.
Die Geschäftsinteressen der USA geraten infolge Ausdehnung wiederholt vor die Vereinten Nationen. Dort wird der jüngste Überfall auf Panama verurteilt, grade wurde das Botschaftsgebäude von US-Truppen geräumt. Die einzigartige Mixtur von Geschäftssinn und Menschenrecht, die auch in diesem Erdteil von Anbeginn unter hohem Munitionsverbrauch stand, macht derart ungezwungene Ko-Existenz möglich. Nach 100 Prozent Inflationsrate gab die argentinische Regierung die Währungskontrollen auf: sofortiger Zusammenbruch aller Finanzwege führte dazu, alle Zahlungen im Lande auf Dollarbasis umzustellen. – Souverän ist nur der Dollar, dieses Menschenrecht hat an jedem Punkt des Planeten einen nachvollziehbaren Preis. Darum gruppieren sich die Posaunen, Kommentare einer bargeldlosen Völkergemeinschaft.
Im NDR 3 spricht OSKAR NEGT über den „Engel der Geschichte“, „… die Figur des gebrochenen, in Ungleichzeitigkeit, in Trauer und Tragödie gebrochenen Fortschritts.“ Wahrnehmungen wie vor 60 Jahren, als WALTER BENJAMIN formulierte: Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm. Die Flügel in die Zukunft sind gespannt. Das Entsetzen über die aufgehäuften Trümmer treibt nach vorne. – Die Schädelstätten des absoluten Geistes, alles verlor in diesem Jahrhundert seine Unschuld.
Die Utopien der Arbeitsgesellschaft seien aufgebraucht, das Ende der Geschichte sei da, es werde posthistorisch. – Wie einfach formulieren dagegen andere: „Also die Wiedervereinigung, das wäre der größte Sieg über die Menschheit,“ sagt FRANZ B. (Fußballer).
Die Intelligenz ist bzw. gibt sich skeptisch, beanstandet den unverhohlenen Pomp der Siegesfeiern angesichts der unerwarteten Bestätigung, fragt nach der Möglichkeit einer Renaissance der sozialistischen Idee nach dem Niedergang des Stalinismus, dem der Kapitalismus paroli bietet. Sie kann sich nicht abfinden.
Um Unruhe in der Bevölkerung entgegen zu wirken, sind zu Jahresbeginn die Strahlengrenzwerte außer Kraft gesetzt, dazu gibt’s eine Höchstverordnung. Per- und Trichloräthylen haben bis zu auffälliger Konzentration wieder ihren festen Platz im Lebensmittel.
Der Wetterdienst gibt stündlich die Windrichtung vor Marokkos Küsten bekannt, damit das Treiben des 600 Quadratkilometer großen Ölteppichs verfolgt und vielleicht sogar vorausgesagt werden kann, etwa: eintreffe Tunis 23.40.
Das Projekt Hafenstraße soll weiterhin beendet werden, gibt die Staatssekretärin bekannt, weil ein regulärer Polizeieinsatz unter den gegebenen Umständen einfach nicht durchführbar sei; was ist nun bedauerlicher. Die CDU hält am 16. Räumungsantrag fest.
2.1. Erste Ordnungsversuche im neuen Jahr – er geht in seine Wohnung, kommt zurück zu ihr, geht wieder zurück. Sie erträgt gerade die Gerüche in seiner Wohnung nicht, also bleibts an ihm zu kommen oder zu gehen. Abends kommt er wieder, mit Bohrmaschine und anderem Nützlichen in der Plastiktüte. Sie beobachtet aus dem Bett den letzten Kaiser und ist für 10 Uhr mit KD verabredet. Er steigt ins Bett, zieht sie aus. Ihre Haltung macht ihn rasend. Nachdem sie aus dem Haus ist, kehrt er in seine Wohnung zurück, schreibt und geht schlafen.
Was für den Laien alltägliche Erfahrung, bleibt für Ärzte immer wieder eine interessante Erscheinung: daß körperliche Funktionen nicht unabhängig von psychischen Faktoren sind. Weiter: ‚manche Männer bilden Antikörper gegen das eigene Sperma!‘, aus der Fachklinik Enzensberg oder ihrer unmittelbaren Umgebung.
3.1. Schwimmen, frühstücken. Als er mittags zurückkommt, ist sie etwas verzweifelt, er läßt geschehen, was passiert, in der Mitte freimachen, redet, oben die Winterjacke, unten Schuhe, und auf sie ziehen. – Später bietet sie ihren in die Joghurttasse eingestippten Finger an. Er lehnt ab, verfängt sich aber noch auf der Treppe.
Unwürdig ist es,
einem Volk nur solche Bedingungen zu lassen,
in denen es seine Organisationstalente
zeigt, fördert, zum Weltniveau bringt.
Unwürdig,
im Schatten eines Kernkraftwerks Freundschaft mit dem fremden
Schlosser zu pflegen, weil der Wasserhahn tropft.
Unwürdig,
aus den Balkenüberschriften des organisierten Konsenses nur
die Elemente der Geheimschrift auszuschneiden.
Unwürdig ist es,
Grünflächen zu erzwingen, deren Betreten lebensgefährlich ist.
Unwürdige Illusion einfacher Gleichheit als Westwall.
Unwürdig die Ignoranz der Tatsachen, Verkleidung der Armut.
Plötzlich dieser Gestaltwandel in vielen bekannten Gesichtern, der ruhige Gang des Alterns, dieses vertraut – ungeheuren. Der Schrecken vor dem Bekannten, es kommt aus den Texten, abgezogenen, jeder beißender, wie die Schalen der Zwiebel – immer der gleiche Mensch, der sich äußert, fragt, sich verteidigt, seine empfindliche Haut. Wie dünn ist die eigene, er greift sich über die Schulter. Könnte er sich nur von hinten sehen. Alle Welt redet über ihn. Manchmal fehlt es an Zeit für die Tatsachen.
4.1. Die Dresdner Bank gibt ihre neuerliche Vertretung in Dresden ganzseitig bekannt. Das ist ein veritabler historischer ‚turn around‘. Schließlich wurde der ostdeutsche Staat nicht zuletzt gegen die Macht und die Praxis dieses und anderer Institute errichtet. Die Dresdner zählte zu den großen Ariseuren insbesondere in den eroberten Gebieten. So geht ihre Zeit der Vertreibung zu Ende, der Kurs sprang glatt um zehn Prozent. – Nicht auszudenken, die in Hamburg geplante Ausstellung ginge anschließend in die Partnerstadt, ebenfalls an der Elbe!
5.1. „Blühender Handel mit Kadaverfett“ aus den Abdeckereien, 100 kg gibt’s für schlappe 52 DM! Das Zeug kauften Händler Hollands, Spaniens und Frankreichs auf und belieferten Lebensmittelfabriken damit für den Einsatz in delikaten Suppen und Konserven, nach Geruchs- und Geschmacksbehandlung. Erst Rückstände in süffigen Spätlesen führten auf Spuren in Transporttanks. Die Information der Regierung über solch Gebaren bestand seit November, Namen eingeschlossen, allein sie unterließ alles. Es gilt, Erregung zu vermeiden. So gehen die Mißhandlungen bei essen und trinken fort. Es könnte glatt ein EG-Lebensmittel-Tagebuch sein.
6.1. Das junge, jedenfalls frische Paar fährt nach Wolfenbüttel, sie will ihn vorstellen, es ist ihr unangenehm. Er unterbricht die Fahrt, sie laufen und reden. Es kommt dann anders als befürchtet. Sie weist die Mutter zurück, die fast bettelt. Sie ist schön. Die Mutter gibt ihrer Freude über die neuen Tatsachen verhalten Ausdruck. Er ist schwiegermutteraffin, wenn es sowas gibt, er ist sich da sicher und frißt sich voll, vielleicht nur für das Kind. – Tags drauf treffen Beide die Schwester auf dem Flohmarkt – um sieben Uhr abends ist ihre Badewanne voll und läuft über. Später ins ‚Kairo‘. Warum weiß die Ehefrau noch nichts vom Kind, warum nicht! – Später legst du dich auf mich mit deinem ernsten Gesicht, dein Körper in allen meinen Nischen schließt mich ein, erneuter Sturm, wir hören nicht auf uns zu verbeißen. Der Rest der Nacht gehört dieser Scheißkatze.
9.1. Erste Fahrt nach Hamburg ist wie eine Häutung, so zwischen der Dichte deines Leibes und den Denunziationen der Zeitung aus dem Osten. Zurück, sprang ich fast im Laufschritt aus der Straßenbahn und rannte mit meinem Wissenskoffer durch die eingeregnete Kleinehäuserstraße – und du warst weg. Ich konnte Tangomusik finden im 3. Programm, dazu Fisch aus der Dose, voller Gedanken an dich. Der erste Tag erschien mir so selbstverständlich. Dieses Leben ist noch so ungewohnt, ich bin meinen Phantasien nicht gewachsen.
11.1. Meditationen der Plakatwände: ich konsultiere mein Beerdigungsinstitut, „Willkommen“, ruft das Begrüßungsgeld – ich wachse zusammen, wenn Deutschland es will.
Heute morgen: erreiche kaum das Auto, bin zu spät – du kochst – wir fahren zur Ärztin. Du packst dich in den Stuhl, also deine weißen Schenkel auf die äußeren Halterungen, die Ärztin prüft die Größe der Gebärmutter – auf die Liege für den Ultraschall-Kopf: auf dem Bildschirm dreht sich ein fünfzehn Zentimeter langer Vormensch in seinem Gewässer, nuckelt, die Ärztin weist auf einen vibrierenden Fleck, das Herz an der Arbeit, doppelt so schnell wie das der Mutter. Jetzt dreht sich das kleine Teil, strampelt, der Gedanke, das Bild läßt mich nicht los, sehr nahe, so einfach, diese neue, nein andere Welt. Ich bin sprachlos, küsse dich im Hausflur. Ich muß üben, atmen und versprechen, daß ich nicht ohnmächtig werde. Das Bild füllt den Kopf über den Tag. Dienstag hatten wir „Rainman“, Mittwoch Theater, ich hole mir zwei Adressen, am Donnerstag Vortrag. – Der doppelte Wohnsitz fordert! Jetzt fehlt mir das Joghurt im Müsli, es steht in deinem Kühlschrank, das Telefon ist aber ständig besetzt!
Bilderrahmen, Mc Donalds und ich gehe mit TENNESSEE WILLIAMS in den Zug, In Hamburg zur IG Metall wegen einer neuen Montage auf Schweinehälften-Basis, packe zwanzig Hefte ein, damit hat die Gewerkschaft nicht gerechnet und setze mich in der Hochschule an den Vortrag für den Abend, unterbrochen von einem schrecklichen Gespräch mit Bärbel – Angst, Tränen, Herzflimmern kommt durchs Telefon. – Den Vortrag genieße ich und verlasse die Begeisterung zur Übernachtung in der Lessingstraße.
14.1. Heute beginnt die längste Trennung seit dem 4. August. Aus größter Nähe fährst du mit dem Bus ab Visselhövede nach Österreich, für zehn Tage zum Skilehren. – Du hast Angst, daß das Kind nicht hält, Tränen stürzen übers Gesicht, du siehst mich nie wieder – ich erschrecke, wieso das denn, fahre durch das undurchsichtige Wetter zurück. Ich habe dir alles versprochen, was ich kann, mehr kann ich nicht.
Sozialdemokraten der DDR und Republikaner in Rosenheim für die Einheit Deutschlands, Dresdner Bank jetzt auch in Halle und Berlin-Ost, Siemens kontrahiert mit der östlichen Elektroindustrie, Daimler Benz, Herr Reuter, trifft den Ministerpräsidenten und begrüßt die soziale Marktwirtschaft.
15.1. Die Entkolonialisierung erreicht die Sowjetunion, den in der Nachkriegszeit versteinerten Block von Staaten und Nationalitäten, seit LENIN und im STALINSCHEN Terror konserviert. Die US-Luftwaffe macht Abrüstungsvorschläge, die Verschrottung der schon zum Abheben unfähigen Minuteman 2-Raketen wird angeregt – Platz für Neues.
Der Hamburger Rechtsanwalt, beauftragt mit der Scheidung von Bärbel, sagt die geplante Ausstellung ab, wegen Trennung von seiner Frau – drei dieser vier Männer stehen vor der gleichen Frage, meine ist beantwortet. Dabei könnte die Ausstellung seine Rettung sein. Vier Männer im gleichen Alter wollen etwas, finden aber keine Gemeinsamkeit, ein Rechtsanwalt, Jurist eben, ein Werbearsch, nennt sich Grafiker, ist Maler, gut, aber gefährdet (wer ist das nicht), ein Philosoph, ex-Jurist, ohne slapstick verzweifelt, ja und ich, Sondermischung. – 14 Uhr Bernd, einer von denen, 15 Uhr Valentin, 19 Uhr Rose Hegenscheid, Frau, Schauspielerin, aus der Zeit auf Kampnagel.
16.1. Aus dem Funkloch: Sie hörten GEORGE TABORI über SAMUEL BECKET, ein Gespräch aus 1981, schwerwiegend. Wie einfach hat es da die Dresdner Bank, die eröffnet eine Filiale nach der anderen und verleiht Geld.
17.1. Der Tag fiel durch Folgendes auf:
1. Eine „Unabhängige Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt“ – mir schwinden die Sinne, das fehlte noch – hat unter dieser Bezeichnung nachgedacht und einen Abschlußbericht vorgelegt. Umwerfend, womit Leute Geld verdienen.
2. Die sogenannte ökologische Psychologie wird auch als „direkter Realismus“ bezeichnet – verstehen Sie etwas? – und ist ebenso wie der Computer ein Kind des zweiten Weltkriegs.
3. Jetzt ausführlich, Wissenschaft auf Montage: das übertragene Gen ist nicht in jedem Ferkel aktiv. Das zusätzliche Hormon führt bei züchterisch weitgehend ausgereizten Nutztieren wie dem Schwein nicht zu einer dramatischen Wachstumssteigerung. Nachteilig ist, daß die Tiere meist an Appetitlosigkeit leiden. Das magere Fleisch mag für den Menschen gesund sein – die Tiere selbst sind häufig schwer krank. Auffallend sind lethargisches Verhalten, Lahmheit, unkoordinierter Gang, hervortretende Augen und verdickte Haut. Die Lebenszeit der Tiere ist verkürzt. Häufig registriert werden Magengeschwüre, schwere Entzündungen an Gelenkhäuten, degenerative Gelenkerkrankungen, Entzündungen von Herz und Niere sowie Lungenentzündungen. – Das ist komplett, so mein Eindruck.
Aber es geht noch was: das moderne Schwein ist oft streßempfindlich. Unter Belastung kommt es zu Symptomen, die mit tödlichem Kreislaufversagen enden. Die Züchter sind daher interessiert, streßresistente Schweine zu erkennen und einzukreuzen. Sonst droht beim streßempfindlichen Schwein Überreaktion, die maligne Hyperthermie. – Das muß die übliche Hitzewallung sein. Daher wird nach genetischen Markern für Streßanfälligkeit gesucht. In erweiterter Form liefert dieses Verfahren einen genetischen Fingerabdruck, wie er zum Beispiel vom kriminaltechnischen Labor beim Überführen des Verbrechers benutzt wird. – So treffen sich Mensch und Tier im Forscherdrang.
4. Die Erforschung der künstlichen Intelligenz knüpft an die erkenntnis-theoretische Tradition an, derzufolge ein Phänomen nur dann verstanden ist, wenn es gemacht, nachkonstruiert – in diesem Fall ingenieurmäßig nachgebaut – werden kann. – Solch erschöpfende Erkenntnis erwischt mich kalt.
Häufige Tiefflüge und Luftkämpfe über den BASF-Werken mit den unvermeidlichen Ausfällen von Mensch und Material führen zu Briefwechseln zwischen Vorstand und Bundeskabinett.
Aus der Multivitaminwelt des weißen Mannes: im Mittelpunkt allen Trachtens steht der weiße Mann, sagt die multikulturelle Gesellschaft mit ihren farbenfrohen Rändern. Mein Alter sitzt schief, beim Auftragen meiner Patina bin ich gegen das Schminkregal gerannt.
MAX MARKGRAF VON BADEN, Eigner von Grund & Boden der Eliteschule Salem mit Schulgeld von 30.000 DM/Jahr, sieht die Ziele des Gründers seit Jahren mit Füßen getreten und kündigt. Das konnte der BGH nur verzögern, obwohl viele Absolventen, so KUENHEIM, BMW, Handel & Wandel zur Verteidigung ins Feld führen. Er sucht sich wohl ein anderes Schlößchen.
Ontogenese (40x60 cm)
Der ADAC fällt ein mit dem Angebot, einen Mercedes 300 CE Coupé oder wenigstens einen Golf Cabrio, alles KAT, zu gewinnen, wenn nix klappt, einen Städteatlas. Ich introvertiere.
20.1. Zurück aus Lübeck vom Teeseminar <?>, liegt da deine Karte an „Mein Liebster Herr Seegert“ und ich habe sofort allen Ernst im Bauch, von dem dauernd die Rede ist – dieser Alltag, Fadenscheiniges – dahinter ewige Spannung – fast food ist ungenießbar – das Dunkel ist keine Steigerung des Tageslichts, das den Alltag behütet, der mich an die Wand drückt, nein: ich suche Halt an der Wand, diesem Versprechen von Widerstand, um den Blick freizuhalten von Auffassungen, die das Sichtbare überziehen und mein Innenleben sedieren wollen – halten Sie aus, heißt es. Die Geburt eines Tones ist schmerzhaft, Tränensache, meine Telefonnummern verselbständigen sich – Kenntnissynapsengemenge – wann geht der Orient expreß, den Bahnsteig bitte – meine Weitsicht scheuert auch Tatsachen blank, sieht über alles Gelegentliche hinweg, um eine Kraft zu retten, hält unerreichbare Räume frei, deren Deckenstuck ich weiß. – Ich liebe dich aus irgendeinem einfachen Grund!
Der Begriff der ‚Postmoderne‘ ist ein Ergebnis des ersten Weltkriegs: 1917. Er wird alle paar Jahrzehnte neu aufgeladen, reine Verzweiflung, oder Flucht.
CLAUDE LÉVI-STRAUSS bestreitet die Fähigkeit der Identität, jeder Mensch sei eine Art Straßenkreuzung. Das tröstet mich, mich Autobahnkreuz. Daher wohl dieses Kreuzungsgefühl – nach überwundener Kreuzigung. – Diese Neigung, jedes Angebot über Stock & Stein, durch Feld und Wald zu jagen – was hast du noch zu sagen, im Sack, auf Lager.
Collage ist Schwerarbeit, schmerzend, ich speise eine Dose Fisch, sehe endlich die Rotweinflasche, rufe, stimuliert durch andauernden Operngenuß, hier Radetzky, ungarische Tänze, was sonst! Anrufe also in Österreich, Marion unterbricht das Doppelkopfspiel und hört sich meine Sehnsucht an – dabei hat sie zu tun. – Ich ja auch – vor dem Collagematerial – und das Gefühl, jederzeit zu Hause zu sein – die Wege sind zweitrangig – das Erkennungszeichen auf vielen Plätzen – die Frau mit dem viermonatigen Kind bestimmt die Gegenwart – das läßt den Raum für meine metaphysischen Ausflüge, neugierverziert.
Benzin löst sich schneller auf als andere Ölprodukte, tröstet der Funk nach erneuter Kollision eines Tankers mit der unberechenbaren Natur vor der Südküste Alaskas. Dabei suchten 220 Tausend Liter dieser Emulsion das Weite. Drogen und Alkohol schieden als Ursache aus, heißt es weiter und die Aufräumarbeiten könnten auch der Natur überlassen werden, sagt jemand. Nachrichten wie Gummibärchen.
CARMEN KITTEL, DDR. – Dieser Tisch füllt ein Drittel des Zimmers, archaisch, der Unterbau.
Bauen wir zuerst das Glück auf oder die Braunkohle ab! Dazu ERNST BUSCH zum 90. Geburtstag, der vor zehn Jahren starb. Wer hat uns eigentlich dazu gebracht, Rußland zu erobern! Wem haben wir gestattet, durch uns Rußland zu erobern!
Viel Tod in der Zeitung, besser, was ist da mit mir drin in diesen Meldungen wie von der Sozialdemokratischen Partei, die den Tod HERBERT WEHNERS annonciert, der gestern 84-jährig verstarb. Ähnliches im Film von BERTRAND TAVERNIER mit PHILLIPE NOIRET und einer Frau nach Ende des Krieges, da gibt es diesen Satz: ‚Irène fängt langsam an zu begreifen, was dieser Krieg wirklich bedeutet hat, während sich der Soldat Dellaplant langsam vom Krieg löst und einer zunehmenden inneren Erschütterung nachgibt‘. – Der schleichende Tod ist anders als der Tod.
Dieser HERBERT WEHNER, alles glaube ich ihm, weil er etwas gemacht hat, was ich noch suche – wie ein Transit der Geschichte komme ich mir vor, meine Blutbahn steht zur Verfügung. Das Leben erschöpft sich nicht im Atem. Was also tun, das eigene Land erkennen, Land gewinnen!
Der hessische Ministerpräsident W. hat für Haus- und Gartenpflege 140.000 DM aus der Staatskasse in Anspruch genommen, wohl versehentlich, weil er sie jetzt zurückzahlt – gleichwohl läßt er ausrichten: erstens sind die Vorwürfe „völlig unbegründet und haltlos“, zweitens war die Mittelverwendung „sachlich und rechtlich nicht zu beanstanden“, drittens hat er „in jeder Hinsicht rechtmäßig und korrekt“ gehandelt, viertens sei alles „rechtmäßig und im üblichen Rahmen“ verlaufen und insgesamt werde das Land „sachbezogen und überzeugend“ regiert. Klingt ein wenig wie BARSCHEL. Das alles packt der Mann in eine Erklärung!
Von der Arbeit am Kunden: Reise – Büro – Sturz
Die Frau geht schwanger mit dem kalten Haß der Dienstleistungsgesellschaft. Sie arbeitet am Block, ohne Stacheldraht, verbindet mit der freien Welt – Reisen macht lustig – alle Zeitzonen bei Fuß. Der Kunde verlangt Höfliches, nachdem er ins Telefon gekotzt hat. Die nette Mitarbeiterin in diesem Komplott hält – frisch geklöppelt schmeckts am besten – den Hörer auf Abstand – wer ruft die Teppichreinigung! Richtiges Sitzen ist Voraussetzung für beschwerdefreies Arbeiten, mahnt der Ergonom.
Die Frau ist lebender Deckungsbeitrag – mit der Unnachsichtigkeit der außerordentlichen Haushälterin sitzt sie auf ihrer Kostenstelle – dabei sieht alles frisch und zuvorkommend aus – ansprechende Kleidung ist anteilig erstattet. Was ihr an Rechen- und Kunstfertigkeit an Heim & Herd, keramik-elektronisch plus eingelassener Sanduhr, nachgesagt wird, die frauliche Delikatheit, zahlt sich im Kostenstelleneinsatz aus. Als Kostenschraube hat sie sich zu bewähren. – Die Magenauskleidung der Frau ist ist dünner und bildet weniger Alkoholdehydrogenase. Das ist zu berücksichtigen, fordert die Wissenschaft. Vorteil Mann, der sofort am Tresen ausgespielt wird. Solch wissenschaftliche Zuarbeit ist wohlfeile Hilfe gegen den Wahn, am Tauschhandel eins zu eins teilzunehmen. So hat ein Theoriegesindel die Frau bis auf die Blutsenkung ausgenommen. Dazu umgarnt sie in jeder freien Minute private Interessen, schlimmstenfalls trägt sie gezielten Außenanstrich in jede sachliche Unterhaltung. Der Mann badet das aus und muß sein Übergriffel zähmen, er zahlt sowieso unter der Propaganda paritätischen Mischwerks von Mann und Frau. Das alles schürt die Raserei, darf aber wohl noch benannt werden.
Der Mann als Kunde gebietet unnachgiebig Hofieren. Das ist kein Rachefeldzug! Seine kapitalkräftige Reisewut verdunkelt schon den Himmel mit Geschäftskönigtum, während die logistische Unterstützung den Boden verseucht und gottlob weiche Landung zusagt. Kluge Mitarbeiter des Systems ‚Amadeus‘ verlassen darüber Arbeitsplatz einschließlich Leben. Auch Witwen sind gleich vor dem Gesetz, liebe den Herrn. Sein Erfolg ist nicht von dieser Welt.
Der Kunde ist abgeschirmt von solchem Unterbodenschutz, er ordert nur Frischfleisch und genießt die anspruchsvolle Brise Dienstleistung. Nach dreimaligem Klingeln legt er das Ohradaptat zur Seite, welches in einem typischen Frauenberuf endet. Dort sorgt forciertes Geläut – der Kunde ist Massenerscheinung – für die Springflut des spärlich gepflanzten Personals, das im Streckbett des Mengengerüstes tagfertig um Nachlaß nachsucht, aber unter der Bonusreife verharrt. Im adagio ist kein Blumentopf zu gewinnen, läßt das staccato verlauten, bitte regelmäßig gießen. – Bonus oder Vermögensbildung mit 624 – ein bißchen Spaß muß sein, aber eins geht nur – es sollen nicht zwei Vermögen übereinander gehäuft werden – obszön ist erst die Dämmerung! Dafür möchte der Staat nicht auch noch gut sein, bitte anstellen, Sie Möchtegern-Virus, man müßte ein Rundschreiben gegen Sie veranlassen. – Ein Datenbestand kennt seine Grenzen nicht, er haftet wie die Auslage am Kunstleib einer Frauenform, die über die Geschäftszeit hinaus – immerhin donnerstags bis zwanzigdreißig – den Blick des Flaneurs auf sich zieht.
24.1. Um 6 Uhr fahre ich nach Visselhövede und hole dich zurück. Liebe macht sich mühelos über das kleine Fremdeln her. Tee & Eier erkalten darüber. – Zehn Seiten Brief bekomme ich jetzt, ich will, daß du mein Freund bleibst und wir beide Vater und Mutter von diesem Kind in meinem Bauch werden. – Das notiere ich für mich, zum Auswendiglernen.
28.1. Wir gehen wieder ins Kino, irgendwas über Venedig, die Ablenkung im Dunkeln ist schön. Mit deinem Widerspruch, „ich kann diese Leute bei sowas nicht ab“, gehen wir gezielt verspätet zur Vernissage. Du möchtest erst noch ein bißchen Hurrikan über England sehen. – Gestern und heute haben wir den großen Tisch gefeiert, der endlich mein Zimmer füllt, noch eine Teilzahlung. Mehr als drei Meter trennen mich von der Spitze und dauernd kommen Leute. – Der Oberarzt informiert im blauen Kreis saal 90 Minuten lang über den Geburtsvorgang.
Da packt BERND GUGGENBERGER diesen anstehenden Jahrtausendwechsel in die Wochenendbeilage der Allgemeinen. In den verbleibenden zehn Jahren gibt es einen Umschlag im Verhältnis der Lebenden zu den Toten: die Lebenden machen sich von den Toten los in ihrer Arbeit, „die Müllhalden der Zukunft“ aufzutürmen. – Und jetzt mein Umtrieb: der weiße Mann hat in seiner Mission von Geschäft, Plünderung, Aufklärung und Heiligsprechung alle Winkel des Erdballs aufgespürt, ja ausgekundschaftet – bitte, aus eigenem Recht und Vertrag. Nach den archäologischen Anstrengungen sollen sich alle dran halten, doch es gibt die Abstimmung mit den Füßen! – Sein Gedankliches, sein Weltbild ist zwar von dieser Welt, doch nicht von Dauer. Wie er selbst, könnte man anschließen.
Der Mensch mag noch „das seine Toten bestattende Lebewesen“ sein (G.B.VICO), doch wird deren Regelruhezeit bei zunehmender Geschwindigkeit von Gegenwart und Zukunft auf das bautechnisch-kaufmännische und grundstücksrechtlich vertretbare Maß runtergekürzt. Sie geht dann gegen Null, gegen eins zu null. – Das motivierte meine Fragmente.
29.1. Du Mittelpunkt – unser Kind hat noch sechsundzwanzig Wochen in Dir, dieweil du das Auto reparierst und säuberst. Wo ein Kind im Haushalt ist, haben die Väter bekleckerte Schultern, vom Bäuerchen und dem, was dabei rausfällt. Die Wartezeit des Mitläufers mit seinen großen Gefühlen, ein langsamer Kuß über Dein Gesicht, deine Lippen, deine Augen, deine Lider. Ich Anhänglicher auf der Suche, mein ganzer Finderlohn liegt mir auf der Zunge, deine Umgebung.
Wie eine Trommel sei dein Bauch und: wenn der Bauch noch dicker wird, klecker ich immer aufs Kind. – Wie dick der Bauch ist: von hier bis hier ist alles Kind, na ja, nicht zu vergessen die gefüllten Zucchini und das Blech Kartoffeln, die wir grade eingefahren haben! – Dein Lippenstift ist unersättlich. Ich laufe im Käfig, ein grober Keil, der behauptet, der Andere sei ein Klotz. – Das Sehnen schlägt direkt in Sucht um, später stiere ich auf die Nomenklatura des Alltags.
Und die Kettenglieder des BERND GUGGENBERGER verbinden mehr als die hunderttausend Generationen: diese Zählweise des weißen Mannes, mit der er seine Geschichte zu verstehen sucht, sie bleibt nur die Suche einzelner Teile nach dem Leben, die Aufhebung einer Gespaltenheit in einer Welt, an die ihn nur noch seine Sterblichkeit erinnert, mit Nachdruck. Und das beginnt vor 2000 Jahren, diese Parzellierung, als er danach sucht, sich vom Reich der Toten zu verabschieden. Und als er sich abwendet von seinen Schatten, sie in die Diesseits-Jenseits-Metapher verbannt – und mit dem größten Betrug an seiner Existenz beginnt.
Er schlägt sich ans Kreuz
und glaubt an die Wiederauferstehung
und an ein Jenseits, woraus
er den Sinn des Diesseits baut.
Er entfesselt sich,
seine Existenz,
seine Produktivkräfte,
seinen Wagemut, der nicht mehr zurückblickt.
Er wird Erfinder
des Kreuzzugs
der Scholastik
der Inquisition
des Kolonialismus
der Rassenlehre, die Tabellenbücher für Peru!
und des Scheiterhaufens
der Völkerkunde als Farbenlehre
der Buchhaltung
der Treue
der Reformation, ja
der Aufklärung, dem Kompendium seiner Tradition
der Persönlichkeit, und der Arbeit, ein einheitlicher
Geburtsvorgang!
der Revolution
des Megachips, dieser Inkarnation seiner Lebensweise.
Was sind die Charakteristika des Megachips? Höchstmögliche Integration des Lebens als Reiz-Reaktionsschema 0 – 1, Abstraktion über Vergeistigtes hinaus, Reduktion auf eine Form, die den Kommunikations- und Transportfunktionen entspricht, höchstmögliche Geschwindigkeit des Lebens, dessen Wahrnehmung zunehmend rechnerisch wird. Vom Diskont zur Diskette ist ein kurzer Weg (ich kann mein Staunen nicht verbergen).
Der weiße Mann verabschiedet sich von den Toten.
Der weiße Mann verabschiedet sich vom Leben.
Der weiße Mann verabschiedet sich zu seiner Erlösung, er arbeitet nur noch an seiner Zukunft, darüber vernachlässigt er die Gat tung.