Abenteuer im Odenwald 1+2 - Birgid Windisch - E-Book

Abenteuer im Odenwald 1+2 E-Book

Birgid Windisch

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Beschreibung

Als Lene bei einem Spaziergang im Wald in eine Grube fällt, trifft sie dort auf Wernher, der im Jahr 1441 von seinen heimtückischen Ziehbrüdern in eben dieses Loch geworfen wurde. Gemeinsam suchen sie einen Weg heraus und erleben dabei spannende Abenteuer. Trotz vieler Gefahren, finden sie dabei die Liebe. Das Glück und die Liebe - die Raum und Zeit überdauert.

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Seitenzahl: 426

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Birgid Windisch

Abenteuer im Odenwald 1+2

Eine Liebe zwischen den Zeiten

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Impressum neobooks

Kapitel 1

Birgid Windisch

Abenteuer im Odenwald

Eine Liebe zwischen den Zeiten

Doppelband

(1 + 2)

In Abenteuer im Odenwald, sind die beiden ersten Bände meiner Odenwaldbücher, Verloren im Odenwald, auf der Suche im Odenwald, vereint.

Band 1

Verloren im Odenwald

zwischen gestern und heute

Band 1

Wie alles begann:

Lene, die ihren Sommerurlaub bei ihrer Oma in Mömlingen verbringt, fällt in eine Grube, als sie im Wald einem alten Weg folgt. Unten trifft sie auf Wernher, einen Mann, aus dem 15. Jahrhundert, der durch Heimtücke in seine missliche Lage geriet. Nachdem sie es anfangs nicht glauben konnten und wollten, fügen sie sich in ihr Schicksal und suchen zusammen, einen Ausweg aus ihrer gefährlichen Lage. So beginnt ein Abenteuer, das sie in gefährliche Zeiten und spannende Orte bringt. Zusammen schaffen sie Dinge, die ihnen vorher unmöglich erschienen und finden das Glück, das an keine Zeit gebunden ist.

Prolog:

Schwer atmend kämpfte sich Lene weiter den Hügel hinauf. Das war aber auch steil. Sie konnte sich noch genau erinnern, wie sie vor einigen Jahren mit dem Familienhund, der leider inzwischen gestorben war, hier hochgeklettert war. Links waren Markierungssteine in regelmäßigem Abstand. Was stand denn da? Interessiert blieb sie stehen, um von nahem besser lesen zu können und zu verschnaufen. Stirnrunzelnd studierte sie die eingeritzte Zahl – 1370 könnte das heißen, und ein H. Ein H? Für Hausen? Sie erinnerte sich, in der Schule gelernt zu haben, dass es einmal ein Dorf hier in der Nähe gegeben hatte – Hausen, hinter der Sonne, weil es auf dem Hügel lag, hinter der Sonne. Sie stieg ein Stück weiter und entdeckte noch einen Stein, ebenso beschriftet und etwas besser lesbar. Ja, das war eindeutig ein H! Lene kletterte weiter, bis ganz nach oben und folgte den Steinen weiter, die in regelmäßigen Abständen den kaum sichtbaren Pfad säumten. Neugierig geworden umrundete sie einige Bäume, die um eine Lichtung standen. Ein schöner Platz und eine ganz besondere Atmosphäre. Trotzdem -sie schauderte. Trotz aller Schönheit spürte sie unerklärliches Unbehagen. Was war denn da auf dem Boden, in der Mitte? Sie scharrte mit ihrem Fuß ein paar uralte Bretter beiseite. Das sah ja komisch aus - hier sollte ein altes Basaltbergwerk in der Nähe sein, erinnerte sie sich. Vielleicht gehörten die alten Bretter dazu und es war ein alter Schacht. Aber das hier sah anders aus, nein, das war es ganz sicher nicht. Sie bückte sich neugierig, von einem drängenden Gefühl getrieben und löste ein paar Flechten Efeu, die sich darum rankten. Ah, da war eine Latte lose. Mit aller Kraft zerrte sie daran, bis sie spürte, dass sie sich löste. Noch einmal fest ziehen, dachte sie und tat es – die Latte löste sich und Lene flog mit ihr in der Hand hintenüber auf eine weiteres morsches Stück Holz - dann verlor sie urplötzlich den Halt und die Orientierung und rutschte blitzschnell durch ein Loch in einen Schacht - doch ein Schacht? „Au!“ schrie sie erschrocken.Sie war sich nicht sicher, was da gerade passiert war. Es war stockdunkel hier drinnen und sie hatte Angst. Wer weiß was noch alles hier unten war. Sie hatte eine Gänsehaut und schrie panisch auf – denn da war eindeutig ein Stöhnen!

Für Werner, der mich immer unterstützt und an mich glaubt

Gerechtigkeit ist ein Traum. Hoffentlich sterben die Träumer nie aus.

Die Neugier wird geweckt

Im Wohnzimmer herrschten Temperaturen, fast wie in einer Sauna. Diese Hitze war kaum noch zu ertragen. Es war viel zu warm und zudem noch trocken. Die Natur litt zusehends darunter. Es war zwar schön, in ihrem Urlaub, den sie bei ihrer Oma verbrachte, die passenden Temperaturen für das richtige Urlaubsgefühl zu haben, doch was zu viel war, war zu viel. Lene seufzte und stand auf, um in Omas Wohnzimmer, die Bücherregale zu durchforsten. Oma hatte immer ein paar neue Bücher im Regal und Lene hoffte, ein spannendes Buch könnte sie von der Hitze etwas ablenken. Zudem hatten sie meistens den gleichen Lesegeschmack, wie Lene wusste. Im Garten neben dem Haus stand ein stattlicher Nussbaum, der ihr Schatten spenden würde. Sie studierte die Buchrücken sorgfältig und sortierte in Gedanken Thriller und Liebesromane aus. Ein Krimi, nicht allzu blutig, wäre genau das Richtige heute, dachte sie bei sich. Doch die Bücher, die sie noch nicht kannte, sprachen sie alle nicht an. Da fiel ihr, ganz am Rand noch ein Bändchen ins Auge, das ihre Oma richtiggehend hineingequetscht hatte. Interessant!

Sofort war ihre Neugier geweckt und sie zog vorsichtig daran. Es bewegte sich keinen Millimeter. Sie hielt die Bücher daneben mit der linken Hand beiseite, um das Büchlein fester packen zu können und nach einem letzten Ruck hielt sie es in der Hand. Gespannt las sie den Titel:

>Ortsgeschichte zu Momlingen – anno 1860 – von Georg Morschhäuser< stand auf dem fleckigen, zerknitterten Einband. Momlingen? Frühere Ortsnamen wiesen oft kleine Änderungen auf und wenn es manchmal nur ein einziger Buchstabe war, der anders war. Nachdenklich wog sie es in der Hand und schlug es auf. Da segelte ihr ein Blatt Papier, schon ganz vergilbt und zerknittert, entgegen. Als sie es aufhob, sah sie, dass es ein Brief war, den eben dieser Georg Morschhäuser, an eine Familie Bach geschrieben hatte. In ihrer Schulklasse war damals auch ein Junge mit Namen Morschhäuser gewesen. Vielleicht war das ein Vorfahre von ihm? Sie lächelte versonnen. Dann legte sie den Brief ins Büchlein, machte sich eine Tasse Kaffee und setzte sich mit Buch und Tasse, auf die Bank unter den großen Nussbaum im Garten, der seine Äste schattenspendend über ihr ausbreitete. Tief atmete sie ein. Unter diesem Baum roch es immer irgendwie besonders – die Luft war würziger, fand sie. Sie hatte halt ein feines Näschen, wie Oma immer sagte. „Ortsgeschichte zu Mömlingen - anno 1860 –von Georg Morschhäuser“ las sie leise. Sie nahm den Brief wieder heraus und begann, aufgeregt zu lesen: „Verbotenes Wissen“ Schon die Überschrift wirkte verheißungsvoll und Lene las mit leuchtenden Augen weiter. „In meiner Eigenschaft als Schulmeister hatte ich Zugang zu alten Akten und fand dabei eine verblichene Urkunde über Grundbesitz in der Nähe des Buchberges.Darin stand, dass den Herren von Breuberg, die alleinigen Besitzrechte über eine Gemarkung, namens Schlothecke zustünden. Ein Mann namens Wernher von Bache habe zwar Einspruch erhoben, sei aber kurz darauf spurlos verschwunden. „Verwirrt ließ Lene das Büchlein sinken. Was bedeutete denn das? Nachdenklich schüttelte sie den Kopf. Sicher war alles längst geklärt nach dieser langen Zeit, aber es war doch sonderbar, dass in ihrem ruhigen Heimatdorf solche unrechtmäßigen Dinge vorgekommen waren. Sonderbar, dass dieser Brief ausgerechnet in einem Büchlein ihrer Oma lag! Sie nahm ihn wieder hoch. „Ich habe diese Urkunde meinem Vorgesetzten, dem Herrn Pfarrer gezeigt, der mir sofort streng verbot, irgendjemandem davon zu erzählen.Also schreibe ich dies auf, um es den Nachfahren der Familie zu übergeben und der Gerechtigkeit Genüge zu tun - wohl wissend, dass es gefährlich für mich sein kann, wenn meinTagebuch in falsche Hände gerät. Ich werde es gut verstecken müssen.In dieser Urkunde aus dem Jahr 1441 steht, dass der Pfaffenguthof, sowie der Grafenwald aus der ehemaligen Hausener Gemarkung, beim Ableben seines Ziehvaters, Jörg von Bache - einem Ritter und Herr der kleinen Wasserburg bei Nuwenstat - an jenen Wernher von Bache übergehen sollten. Da er jedoch verschwand, ebenso wie seine Besitzurkunde, wurden den Breuberger Herren dessen Besitzrechte, von seinen Ziehbrüdern übertragen. Den Breubergern ging es hauptsächlich um die Fischerei an der Mümling und den Waidgang. Wahrscheinlich hatte jemand diese Urkunde mit Absicht versteckt, damit besagter Wernher von Bache keinerlei urkundliche Rechte nachweisen konnte. Möglicherweise wurde sie sogar vernichtet.“ Sie runzelte die Stirn. Da war anscheinend schweres Unrecht geschehen damals. Warum stand dieses Büchlein eigentlich bei den Büchern ihrer Oma? Sie beschloss, diese beim Abendessen zu fragen. Wo war sie überhaupt? Sicher wieder unterwegs mit einer ihrer Freundinnen, oder auf dem Kirchhof. Oma war eine umtriebige Frau und hatte immer viel zu tun. Lene trank von ihrem Kaffee und beschloss, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Irgendwie beschäftigte sie das Gelesene sehr und ließ ihr keine Ruhe. Sie hasste Ungerechtigkeit und hatte sich schon immer dagegen eingesetzt. Ihre Gedanken schweiften zu der im Büchlein genannten Gegend am Buchberg, den sie gut kannte, weil sie dort immer mit dem, inzwischen verstorbenen, Familienhund spazieren gegangen war. Es konnte nicht schaden, eigene Nachforschungen anzustellen. Schließlich hatte sie Urlaub und Zeit dafür.

Außerdem war es im Wald kühler und das Vorhaben würde sie ein wenig von der Hitze ablenken. Sie hörte, wie das Tor ging und kurz darauf erschien die Oma, schwer atmend im Garten. Keuchend ließ sie sich auf einen Stuhl fallen. „Mensch, bin ich erledigt“, schnaufte sie. Die Hitze macht mich ganz kaputt!“ Lene sah sie missbilligend an. Omas Frisur hatte sich in ihre Bestandteile aufgelöst – ja, die ganze Frau befand sich in Auflösung, war verschwitzt und sah völlig fertig aus! „Oma, in deinem Alter macht man bei der Wärme nicht so viel Action!“ schimpfte Lene mit ihr. „Ja, mein Lenchen, aber manchmal muss man eben trotzdem raus und Dinge erledigen, ohne Rücksicht auf Verluste!“ Lene sprang auf. „Du weißt doch, ich hab nur noch dich!“ Sie legte die Arme um sie. Die Oma legte ihre verschwitzte Wange an Lene, die ungefähr gleich groß war. Sie maßen beide etwa165 cm, waren schlank und beweglich. Nur, dass Oma eine weiße Kurzhaarfrisur hatte und Lene eine wilde, braune Mähne bis über den Rücken fiel. „Es ging nicht anders, mein Lenchen. Ich musste zur Bank, auf den Friedhof und zum Bäcker. Dabei habe ich meine Freundin Margret getroffen und du weißt ja, wenn wir zwei uns sehen, kann das etwas länger dauern.“ Lene schüttelte den Kopf: „Aber die Hitze, Oma! Dabei die Zeit zu vergessen kann gefährlich sein! Du solltest bei den tropischen Temperaturen lieber im kühlen Haus bleiben!“ Sie sah sie mit blitzenden Augen an. „Nächstes Mal sagst du mir was zu tun ist - dann erledige ich die Einkäufe, oder komme wenigstens mit!“

Die Oma nickte lächelnd und klopfte ihr liebevoll auf den Rücken. „Ich weiß Kind, ich verspreche dir, dass ich auf mich aufpasse und mich nicht übernehme – und dir ein paar Aufgaben übertrage, aber mach nicht so ein Gedöns, ich bin ja noch keine alte Frau, mit meinen 65 Jahren. Das Alt sein fängt erst mit 80 oder 90 Jahren an.“ Sie schob Lene zärtlich von sich. „Ich schwitze“ Achselzuckend setzte die sich wieder hin und kniff die Augen zusammen. „Du Oma“, begann sie zögerlich. „Ja Lene, was ist denn?“ Oma hob fragend den Kopf. „Was ist das eigentlich für ein seltsames Büchlein in deinem Regal? Da ist von alten Urkunden die Rede, die verschollen sind und Ungerechtigkeiten, was den Besitz eines Gutes und des Grafenwaldes am Buchberg betrifft. Ich habe es vorher noch nie bei dir gesehen!“, erkundigte sich Lene. „Ach das! Das lag auf dem Boden und ich habe es vor kurzem wiedergefunden, als ich oben ein wenig aufgeräumt habe. Ich fand es nach dem Tod meiner Mutter, bei ihren Habseligkeiten. Sie hat es mir aber als Kind gezeigt und wir haben darüber manches Mal spekuliert und uns ein spannendes Leben zurechtgeträumt mit Reichtum und Grund und Boden, der uns zustünde.“ „Das klingt ja spannend!“ Lenes Wangen leuchteten vor Aufregung rot. „Irgendein Vorfahre meines Vaters, muss darin eine Rolle gespielt haben, möglicherweise, ohne dass er es wusste.“ Die Oma zuckte die Achseln. „Und worum ging es da?“ Lene runzelte aufgeregt die Stirn. Die Oma räusperte sich. „Es soll einmal vor vielen Jahren, Streitigkeiten um eine kleine Wasserburg am Neustädter Hof und andere Besitztümer der Nachkommen des Ritters Jorg von Bache, gegeben haben. Die Überreste dieser Wasserburg sind heute noch zu sehen, nahe der kleinen Kapelle, in Richtung Mümling. Vorfahren meines Vaters, sollen einmal Rechte daran gehabt haben, laut diesem Tagebuch, was aber nicht beweisbar ist.“ Die Oma seufzte und hob den Kopf. „Die Nachkommen des Verfassers, dieses Morschhäusers, der einmal Schullehrer in Mömlingen war, haben uns sein Tagebuch übergeben, als sie es in seinem Nachlass fanden. Daraus geht eindeutig hervor, dass Jorg von Bache einer der Vorfahren meines Stiefvaters gewesen sein muss. Anscheinend musste der Verfasser es verstecken und konnte es meinen Vorfahren nicht, wie er es geplant hatte, übergeben.“ „Aha!“, machte Lene gedehnt - das klingt interessant!“ „Ja, das stimmt, Lenchen. Als ich in deinem Alter war, hatte es mich auch gepackt und ich habe Nachforschungen angestellt. Hinten auf den leeren Seiten haben diverse Vorfahren ihre Rechercheergebnisse hineingeschrieben. Ich habe auch noch etwas dazu beigetragen!“ Oma grinste verschämt. „Aha“, lachte Lene. „So kenne ich meine Oma. Für alles zu haben, was verspricht, spannend zu werden - oder lustig - obwohl das wohl eher in die erste Kategorie gehört!“ Oma meinte vorsichtig: „Ja, lustig ist es wirklich nicht. Da sind schlimme Dinge passiert und es waren keine armen Leute die anderen Böses angetan haben.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, wie so oft waren es die feinen Herrschaften, die anderen das Leben schwergemacht haben und sich auf deren Kosten bereicherten – und damals manchmal leider auch die Kirche“, Lene schwenkte das Büchlein in der Hand. „Kann ich es eine Zeitlang behalten und darin lesen? Vielleicht finde ich ja auch noch ein paar Anhaltspunkte dazu!“ „Tu das Lene, aber denk daran, es ist alles längst vorbei und spielt jetzt keine Rolle mehr. Wir sind auch so glücklich und es ist alles gut, wie es ist“, meinte die Oma. „Ich geh jetzt erst einmal duschen!“ „Gut, Oma, alles klar“, meinte Lene lächelnd. Der Urlaub war gerettet und versprach, spannend zu werden. Sie setzte sich wieder bequem zurecht und las weiter. Sie war derart gefesselt, dass es ihr keine Ruhe ließ. Sie musste einfach weiterlesen.

Kapitel 2

Erkundungen

Nach Essen und Duschen wollte Lene nur noch ins Bett. Nicht zum Schlafen, nein, das Büchlein brannte ihr im Säckel und sie wollte unbedingt weiterlesen. Frisch geduscht lag Lene kurz danach im Bett und las, was dieser Georg Morschhäuser noch geschrieben hatte:

"Jedoch stand weiter in dem Schriftstück, dass ein gewisser Jorg von Bache, direkt neben der Kirche zu Nuwenstat, auf elterlichem Besitz eine kleine Wasserburg erbaut habe. Diese bewohnte er mit seiner Frau Agnes zu Erlebach. Er war ein armer Ritter und kam über seine Frau zu BambergerLehensgut.Dieser Ritter hat in seiner, für den Ritteradel sehr ungünstigen Zeit, mit allen Anstrengungen versucht, seine kleine Burg zu erhalten, aber er war gezwungen, sie dem Grafen von Wertheim zu Lehen aufzutragen. Seiner Frau ließ er dennoch Rechte daran sichern, da er es als ihren Witwensitz geplant hatte. Diese Grafen von Wertheim waren leider mit den oben erwähnten Herren von Breuberg im Bunde durch Heirat und Verschwägerung und auf die oben erwähnten Fischerei-, Grund- und Waidrechte aus.Der Streit wurde immer wilder, als es um den Besitz des Pfaffstangengutes ging, das auf dem ehemaligen Hausen hinter der Sonne als Fronhof stand und Jorg Bache von seinem Schwiegervater vererbt worden war. Da Ritter von Bache die Pacht (die Gült) nicht bezahlen konnte, wurde es dem Aschaffenburger Stift zugesprochen.Daraus wiederum entbrannte ein ewig schwelender Streit und als Folge wurde Jorg von Bache mit dem Kirchenbann belegt. Niemand weiß, wo er begraben liegt mit seiner holden Gattin - die Gruft war leer. Jedoch ihre beiden leiblichen Söhne hassten daraufhin die Pfaffen und ließen keine Gelegenheit aus, Reisende, die unter Geleitschutz des Erzbischofs zu Mainz standen, zu berauben. Schließlich wurde die Burg niedergebrannt von einer Abordnung des Erzbischofs Dieter von Erbach.Dies alles kommt mir sehr sonderbar vor und da ich erfahren habe, dass es noch Nachfahren der von Bache gibt, habe ich heimlich Nachforschungen angestellt.Die Söhne ließen sich kaufen vom Grafen zu Wertheim, als die Eltern gestorben waren und das Raubrittertum zum Niederbrennen der kleinen Wasserburg führte. Der eine zog auf die Burg Breuberg als Burgmann, der andere zur Veste Otzberg als pfalzgräflicher Dienstmann.Man munkelt jedoch, es habe noch einen dritten Sohn gegeben, wohl nur ein Ziehsohn, doch den beiden anderen Brüdern gleichgestellt. Dieser ist im Jahr 1441 spurlos verschwunden. Somit konnten Hans und Madern mit der Burg nach ihrem Gutdünken verfahren und der dritte Bruder ging leer aus.Ebenso wie seine Nachfahren, so es welche gibt und die nicht ahnen, dass sie Besitzrechte haben an der Ruine der kleinen Wasserburg und den Ländereien rundherum.Wahrscheinlich jedoch ist, dass der dritte Bruder von den beiden anderen heimtückisch ermordet wurde, wenn es ihnen auch nie nachgewiesen werden konnte.Meiner Meinung nach kommen am ehesten die Familie Faust in Betracht die Nachfahren jenes geheimnisvollen Bruders zu sein, weil ihre Vorfahren von Nuwenstat kommen und im Jahr 1450 nach Momlingen gezogen sind. Sie wohnen in einer kleinen Kate am Südrand von Momlingen und sind sehr arm.Da mir der Pfarrer strengstens untersagt hat, weitere Nachforschungen anzustellen, übergebe ich ihnen diesen Brief zu treuen Händen und hoffe, es wird ein wenig Licht in ihren dunklen Alltag bringen und ihre Armut vielleicht wenden können. Mehr kann ich nicht tun, wenn ich mir nicht selbst schaden möchte.“

Fassungslos ließ Lene das Büchlein sinken. Wie gemein. Dass so etwas überhaupt passieren konnte. Die Menschen von damals waren anscheinend auch nicht besser als die von heute. Sie war überrascht, wie sehr sie das Gelesene aufbrachte. Eine Weile dachte sie noch darüber nach und fiel schließlich in einen unruhigen Schlaf. Sie war in einem dunklen Gang, einer Art Gewölbe und konnte kaum etwas sehen. Unheimlich war es hier. Fieberhaft suchte Lene im Traum ihre Taschenlampe. Am Handy hatte sie doch eine Taschenlampen-App, da müsste sie nur draufdrücken und schon wäre es hell. Aber sie konnte ihr Handy nicht finden und auch eine Taschenlampe war nicht in Sicht. Stattdessen sah sie jetzt einen schwachen Schein, als sich ihre Augen ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt hatten.Sie folgte ihm vorsichtig und streckte dabei ihre Hände aus, damit sie nicht irgendwo anstieß.Eine Kurve - es wurde heller, noch ein Stückgeradeaus - noch eine Kurve - und nun sah sie Tageslicht herein schimmern, hinter einem Vorhang aus Efeu. Erleichtert atmete sie auf.Doch nun hörte sie ein Geräusch, eine Art Surren, das beängstigender war als die Dunkelheit vorher und es wurde immer lauter.Sie wollte wieder in den Gang rennen, aber sie war wie gelähmt.

Ruckartig wachte sie auf. Was war das denn? Ihr Herz klopfte schnell und sie atmete schwer, als wäre sie wirklich gerannt. Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett und die Treppe hinunter in die Küche. Ein Glück, im Kühlschrank stand eine Fruchtschorle. Durstig trank sie ein paar Schlucke und nahm die Flasche mit hoch in ihr Zimmer. Sie stellte sie neben das Bett, legte sich hin und wollte nachdenken über den Traum, schlief jedoch sofort ein und wachte erst am Morgen vom Krähen der Hähne wieder auf.

Kapitel 3

Ausflug zum alten Ort

Morgens hatte Lene noch eine Weile in dem Büchlein gelesen, auch das, was ihre Vorfahren über die Jahre noch beigetragen hatten, aber nichts Weltbewegendes mehr entdeckt. Alte Urkunden wurden immer wieder erwähnt, teils verschollen, teils wiederaufgetaucht aber immer unbeglaubigt - undurchsichtige Besitzverhältnisse, Ungerechtigkeiten, nicht auffindbare Gräber und viel Unerklärliches. Anscheinend hatte sich mancher Vorfahre darin ausgetobt und war so seine Unzufriedenheit mit seinem >langweiligen< Leben, losgeworden. Wenn es ihnen gutgetan hat? Auf jeden Fall, genau das Richtige für mich, dachte Lene lächelnd. Sie erinnerte sich, dass sie bei einem ihrer Ausflüge mit Omas verstorbenen Hund, auf alte Grenzsteine gestoßen war. Diese führten den Berg hinauf, in Richtung Hausen hinter der Sonne, dem verschwundenen Dorf. Vielleicht lag da des Rätsels Lösung. Immerhin war in dem Büchlein immer wieder von dem niedergegangenen Ort Hausen die Rede. Irgendetwas wollte sie tun und so nahm sie sich vor, an diesem Tag noch loszugehen. Sie wollte zu diesen Steinen, um nachzusehen, ob vielleicht noch etwas Lesbares darauf stand und um sie zu fotografieren. Nach dem Frühstück mit Oma, der sie aufgeregt von ihrem Vorhaben erzählt hatte, packte sie einen kleinen Rucksack mit Broten und Wasser, Äpfeln und einer Tafel Schokolade, legte das Büchlein mit hinein und eine Regenjacke für alle Fälle. Der Himmel sah ziemlich düster aus. Man konnte nie wissen, ob man sie brauchte, wenn es so schwülwarm war.

Dann fuhr sie auf den Parkplatz am Buchberg und wanderte los - den Weg nach oben. Sie hielt sich links. Der Neustädter Hof – im Büchlein Nuwenstat genannt - lag in dieser Richtung und die Steine, die nach oben führten, waren auch dort in der Nähe gewesen, als sie sie damals entdeckt hatte. Ziemlich steil hoch war es gegangen. Angestrengt betrachtete sie den Boden, nach einem zugewachsenen Pfad Ausschau haltend, sah suchend in die Höhe, ob nicht Markierungssteine irgendwo zu sehen waren, doch nichts als Hecken, Brombeeren meist, Dornen und Brennnesseln. Halt! Da war doch etwas? Mit einem Ruck blieb sie stehen. Schnell ging sie ein paar Schritte zurück und sah nach oben. Tatsächlich! Einer der Steine war zwischen den Bäumen in einiger Höhe zu erkennen! Er war ziemlich mit Moos überwachsen und daher schwer zu sehen.

Sie trampelte die Brennnesseln etwas beiseite und machte ein Bild davon, dann arbeitete sich langsam nach oben. Immer wenn sie an einem Stein ankam, war der nächste bereits in Sichtweite. Mit der Zeit war sie außer Puste, aber sie hatte ja Zeit. Sie verschnaufte ein wenig und ging langsam weiter. Bei jedem Stein blieb sie stehen und versuchte die Inschrift zu entziffern - oben war ein H -war sie sich sicher – hm, unten ein N und die Zahl 1370 stand darauf. Aha – das könnte ein H für Hausen sein und ein N für Neustadt. Lene machte ein Foto mit ihrem Handy und stieg weiter nach oben. Als sie am höchsten Punkt angekommen war, wollte sie sich kurz ausruhen. Sie blieb stehen und sah ein Stück weiter vorn eine Lichtung. Der Platz in der Mitte sah ganz gut aus, vielleicht fand sich dort sogar ein Baumstumpf oder etwas Ähnliches, um sich darauf zu setzen. Ein schöner Platz und eine ganz besondere Atmosphäre, fand sie - und doch - sie schauderte. Trotz aller Schönheit spürte sie ein unerklärliches Unbehagen. Was war denn das da, am Boden? Sie scharrte mit ihrem Fuß ein paar uralte, morsche Bretter beiseite. Das sah ja komisch aus. Hier sollte ein altes Basaltbergwerk in der Nähe sein. Ob die Bretter wohl dazu gehört hatten?

Kapitel 4

Der Sturz

Aber das hier sah anders aus, nein, das war es ganz sicher nicht. Es sah eher aus, als hätte da jemand eine Falle gebaut. Oder, war es doch eine alte Basaltgrube? Ein Nebeneingang vielleicht? Sie bückte sich, von einem drängenden Gefühl getrieben und löste ein paar Flechten Efeu, die sich darum rankten. Ah, da war eine Latte lose. Vielleicht konnte sie darunter einen Blick hineinwerfen! Mit ganzer Kraft zerrte sie daran, bis sie spürte, dass sie sich löste. Noch einmal fest daran ziehen, dachte sie und tat es – die Latte löste sich und Lene flog mit ihr in der Hand, hintenüber auf ein weiteres, morsches Stück Holz, dann verlor sie den Halt und die Orientierung und rutschte blitzschnell, rückwärts durch ein Loch, in eine Art Schacht. „Au!“ schrie sie erschrocken. „Hilfe!“ Sie war sich nicht sicher, überhaupt nicht sicher, was da passiert war. Schnell bewegte sie Arme und Beine – scheinbar war nichts gebrochen. Außer ein wenig Schmerzen vom Sturz, schien alles unversehrt zu sein. Stockdunkel war es hier drinnen - sie hatte Angst – es gruselte sie. Und es kam ihr irgendwie bekannt vor. Der Traum! Oh je, der Gedanke daran war nicht gerade geeignet ihre Angst zu vertreiben, im Gegenteil! Sie riss sich zusammen und sah sich um. Wer weiß, was noch alles hier unten war. Allerhand Viehzeug, oder Schlimmeres!

Halt! Was war das für ein Geräusch? Das war eindeutig ein Stöhnen! „Ist da jemand?“ flüsterte Lene leise. Irgendwie hatte sie Angst, laut zu fragen. Sie hatte eine Gänsehaut und hoffte im Stillen, sie hätte sich das Stöhnen nur eingebildet. Vorsichtig tastete sie auf dem Boden umher. Da! Da lag jemand! Sie spürte einen groben Stoff und einen warmen Körper. Aber wie sollte jemand hier hineingekommen sein? Sie war doch eben erst durch morsches, aber unversehrtes Holz in dieses Loch gestürzt. Es sei denn, irgendwo führte noch ein Gang seitlich weg. Lene räusperte sich und hob noch einmal an, diesmal etwas lauter und mutiger: „Ist hier jemand?“ Das Stöhnen wurde lauter und dann erklang eine unmutige Stimme heiser: „Frag nicht so dumm Weib, hörtest du mich nicht stöhnen? Ich liege schon seit mindestens zwei Tagen hier drinnen. Seit mich meine Ziehbrüder hierhergeschickt und mir diese Falle gestellt haben, liege ich hier unten schon! Sie wollen mich wohl tot sehen!“ „Dich tot sehen? Bist du denn so wichtig?“ Lene war skeptisch. „Was redest du da, Weib!? Wenn man nichts weiß, sollte man besser ruhig sein und die Gosche halten! Meine Brüder haben sich kaufen lassen, von den Herren von Breuberg. Dafür haben sie meinen Tod und den Verlust unseres Pfaffstangengutes in Kauf genommen“, sagte die Stimme bitter.

„Welches Pfaffstangengut denn?“ erkundigte sich Lene erstaunt. „In Mömlingen?“ „Unsinn!“, tat es der unbekannte Mann entrüstet ab. „Jeder weiß, dass sie das Jagdrecht und die Felder haben wollen. Sie wissen warum. Hier gibt es wunderbares Wild und sogar Bodenschätze!“ Was geht denn mit dem ab? dachte Lene erschrocken. Ich glaube, der hat einen an der Waffel! Nun wurde ihr noch mulmiger zumute und sie wusste nicht mehr, was sie sagen sollte. „Wer seid ihr überhaupt und warum sitzt ihr hier in dem Loch?“, traute sie sich schließlich. „Ich bin Wernher von Bache, Ziehsohn von Jorg von Bache und komme aus Nuwenstat und Hausen, wo ich beim Pfaffstangengut mithelfe, welches mein Erbteil ist!“, erklang die Stimme stolz. „Aus Hausen? Aber das ist doch schon ewig ausgestorben“, platzte es aus Lene heraus. „Fast! Ich bin der zweitletzte Einwohner von Hausen“, entgegnete Wernher stolz. „Aha, deswegen sitzt ihr auch hier im Loch!“ konnte sich Lene nicht verkneifen zu sagen. „Hütet eure Zunge Weib! Ich habe alles Recht auf meiner Seite, aber die gräflichen Schurken haben die Kirche und meine schändlichen Brüder gekauft!“

Kapitel 5

Gefangen

„Oh je, ein Verrückter“, ging es Lene durch den Kopf. „Das war einmal“, rief Lene laut. „Inzwischen gibt es so etwas nicht mehr!“ „Wie meinst du das Weib? Natürlich gibt es das, ihr seht mich doch hier sitzen, oder nicht? Ach so nein, natürlich nicht, es ist ja dunkel!“ Das brachte ihr den Rucksack in Erinnerung, mit dem Handy darin und somit einer Lichtquelle. Suchend tastete sie herum, fand jedoch nichts, als den schlechtgelaunten Wernher. „Au, Weib, was fuschelst du herum? Behalte deine Finger bei dir, bei mir gibt es nichts mehr zu holen!“ Lene seufzte ungeduldig und suchte auf der anderen Seite weiter. Nichts! Entweder hatte sie den Rucksack oben bereits abgenommen, oder er war weiter seitlich gefallen bei dem Sturz. Sie überlegte und tastete weiter auf dem Boden herum. Zum Glück war sie nicht verletzt. Ein paar Schrammen würde es geben, aber das war zu verschmerzen. „Da!“ Triumphierend hielt sie ihn in der Hand. Mist! Er war aufgegangen. Sie tastete darin herum und fand einen Apfel und zwei Brote. „Willst du etwas zu essen haben? Hast du Hunger?“

Sie hielt dem mürrischen Wernher ein Brot hin, vergaß dabei jedoch, dass es dunkel war und er nichts sehen konnte. „Hast du denn was?“ brummte Wernher. „Ja, vor deiner Nase, ein Brot - hier!“ Er tastete nun seinerseits herum, bekam das Brot zu fassen, riss es ihr aus der Hand und wickelte es gierig aus. Sie hörte ihn kauen. Von geschlossenem Mund dabei hatte er sicher noch nie gehört. „Schmeckt es?“, fragte sie ihn spitz. „Ja, ganz erstaunlich, das Brot schmeckt wunderbar fein und luftig, der Käse könnte besser sein, aber insgesamt nicht schlecht!“ In Nullkommanichts hatte er anscheinend das Brot verschlungen. „Hast du noch mehr davon?“ „Ja“, stöhnte Lene leise, „aber vielleicht brauche ich ja auch noch etwas. Wer weiß, wann uns jemand findet und wir hier herauskommen!“ „Wir kommen hier nicht mehr heraus“, sagte Wernher mit dumpfer Stimme. „He, sei nicht so miesepetrig, klar kommen wir hier wieder heraus!“ „Miesepetrig?“ Er klang verwirrt. „Ja, mies gelaunt“, schimpfte sie wütend. „Wie bist du eigentlich hier hereingekommen? Der Deckel war zwar morsch, aber ansonsten unversehrt.“ „Morsch?“ rief Wernher entrüstet. „Das gibt es nicht. Sie haben doch den Deckel aus festem Eichenholz erst vor zwei Tagen daraufgelegt. Der kann gar nicht morsch geworden sein in der kurzen Zeit!“ Lene wurde es nun doch mulmig zumute. Das war ganz und gar nicht mehr lustig hier. Irgendetwas stank gewaltig zum Himmel. Sie schüttelte sich unwillig. Wernher sagte leise: „Sie haben mich hier hineingeworfen, damit ich ihnen keine Schwierigkeiten mehr machen kann. Ich bin unbequem für sie. Ohne mich können sie mit der Burg und dem Gut machen, was sie wollen.

Ich bin ein angenommener Sohn von Jorg von Bache, der letztes Jahr, kurz vor meiner Ziehmutter, verstarb. Meine Zieh-Brüder hassen mich und missgönnen mir mein Erbe, das ich von ihren Eltern bekommen habe. Meine Zieheltern vermachten mir den Pfaffstangenhof und den beiden Ziehbrüdern - ihren leiblichen Söhnen - zusammen die Burg Nuwenstat. Das Pfaffstangengut war ein sogenannter Fronhof. Da ich nicht genug erwirtschaften konnte um die Pacht zu bezahlen, wurde er mir abgesprochen. Meine Brüder beschlossen daraufhin wohl, mit den hohen Herren ein Geschäft zu machen und beseitigten mich, indem sie mich in diese Grube stürzten“, sagte Wernher mit bitterer Stimme.

Kapitel 6

Die verschwundene Zeit

„Äh“, meinte Lene vorsichtig. „Welches Jahr meinst du denn?“ „Was meinst du mit welches Jahr, Weib?“ tönte Wernher laut. „Seid ihr nicht bei Sinnen, dass ihr das nicht selber wisst?“ „Doch, meins weiß ich natürlich, aber deines eben nicht!“ Lene klang verzweifelt. Wernher rief nachdrücklich: „Es gibt nur eines, eures und meines sind nicht zwei verschiedene Jahre!“ „Hoffentlich! Bei mir ist es 2017“, sagte Lene leise. „2017? Das kann gar nicht sein - wir haben 1441!“ „Ach du große Scheiße!“, entfuhr es Lene. „Das ist ja furchtbar.“ Entweder war das ein Verrückter, oder etwas war passiert, das es eigentlich gar nicht geben konnte. Was war da nur passiert? Panisch tastete sie jetzt wieder weiter, auf der Suche nach dem Taschenlampenhandy. Sie brauchte unbedingt Licht jetzt, sonst würde sie vor Angst noch verrückt, egal, was sonst noch sonderbar hier war. Gott sei Dank, da lag etwas! Lene zog es zu sich heran und fühlte die vertraute Form ihres Handys. Sie spürte regelrecht, wie ihr Herz einen kleinen Satz machte vor Erleichterung. Mit Licht würde es ihr sicher bessergehen. Sie schaltete es ein und das Display leuchtete schwach auf. „He, was ist denn das für ein Teufelszeug!“ Der Mann wollte ihr das Handy aus der Hand schlagen. Hastig robbte Lene aus seiner Reichweite und schaltete die Taschenlampe an. Ein heller Lichtstrahl zeigte ihr, dass sie mindestens drei Meter tief in einer Art Grube saßen. Erde, Heu, Dreck. So genau wollte sie gar nicht wissen welcher. Und Wernher. Ein gewaltiger, schmutziger Mann mit wahrscheinlich hellen Haaren. Vor lauter Dreck konnte sie die Haarfarbe nicht genau bestimmen. „He, Weib, ihr blendet mich! Was ist das für ein Ding, das ihr da in der Hand habt?“ Der Mann hatte die Augen zugekniffen. „Eine Taschenlampe, an meinem Handy“, erklärte Lene geduldig. „Hä? Ein Händi, mit Taschenlampe?“, ihr sprecht komisch, Frau. Und eure Ausdrucksweise geziemt sich nicht für ein ordentliches Weib! Leuchtet euch mal an. Ich will einmal sehen, mit wem ich es zu tun habe!“ Lene leuchtete sich kurz an, dann schaltete sie aus, der Akku war kostbar. Und sie wollte kein leichtes Ziel sein, falls dieser Wernher sie überwältigen wollte. „Was habt ihr denn da an, Weib? So etwas trägt kein Weib, das etwas auf sich hält. Bauernhosen und nur ein Hemd. So unanständig läuft keine Frau herum, die ich kenne!“ Lene verdrehte genervt die Augen. „Ich sagte doch, ich komme aus dem Jahr 2017 und da laufen alle Frauen so herum.“ Das hatte ihm anscheinend die Sprache verschlagen. Stumm saßen sie da, zu geschockt, um noch etwas zu sagen. Jeder hing fieberhaft seinen Gedanken nach. Das konnte doch nicht so bleiben! Man musste etwas machen! Aber was? Lene beschloss nach gründlichem Nachdenken, in Ermangelung weiterer Alternativen, Wernher zu vertrauen und sagte mit belegter Stimme: „Wernher, ich könnte mit meiner Lampe schauen, ob es nicht doch noch einen Weg nach draußen gibt. Heute Nacht träumte ich von einem ähnlichen Gewölbe und fand einen Weg hinaus. Aber - würdest du bitte mitkommen? Alleine habe ich zu viel Angst und traue mich nicht.“ Eine Weile blieb es still und Lene spürte, dass Wernher nachdachte. Sie fühlte, dass er ihr langsam glaubte, auch wenn es ihm sehr schwerfiel. Kunststück, wem nicht! Lene konnte es ja selbst kaum für möglich halten. Sie kniff sich in den Arm und seufzte. Es fühlte sich an wie ein sonderbarer Traum. Ein Alptraum - nur dass es kein Aufwachen daraus gab, leider. Wernher sagte nun beruhigend: „Ich komme mit euch, Weib und beschütze euch, so gut ich kann, solltet ihr wider Erwarten einen Weg hinausfinden. Angst habe ich auch. Ich verstehe nicht, was hier los ist und das macht mir Angst. Etwas anderes - habt ihr vielleicht auch etwas zu trinken? Ich bin halb verdurstet.“ Er war ja schon zwei Tage länger hier drinnen, fiel es Lene siedend heiß ein, kein Wunder! Sie tastete wieder in ihrer Tasche herum und fand die Flasche mit dem Fruchtschorle. „Hmmm - das schmeckt aber gut“, freute sich Wernher. „Besser als schales Wasser, wie ich es oft bekomme.“ „Schau!“, rief Lene aufgeregt, da ist eine Lücke im Stein - ich glaube, da geht ein Weg hindurch!“

Kapitel 7

Der Weg hinaus

Wernher kroch zu ihr herüber und besah sich die Lücke. „Da könnten wir hindurchkommen. Ihr auf jeden Fall, bei mir müsstet ihr fest ziehen, oder schieben, dann könnte es vielleicht gehen.“ „Los, wir versuchen es!“ Lene wand sich durch die Lücke und stand in einem breiteren Gang. „Seht ihr etwas? Geht es da drüben weiter?“ wollte Wernher ungeduldig wissen. „Ja, ich kann gut stehen hier und breiter ist es auch!“ rief Lene freudig. Wernher schob sich ein Stück durch den Spalt und Lene zerrte und zog so lange an ihm, bis er auch hindurch war. Erleichtert nahm sie seine Hand und führte ihn, mit der Lampe in der Hand, weiter. Eine Kurve, dann wurde der Gang niedriger und sie mussten eine Weile kriechen. Mann, ist das beklemmend, hoffentlich kommen wir bald raus hier, dachte Lene. „Wollt ihr mich nicht vorlassen, Weib? Ich bin der Mann und beschütze euch!“ Er nahm ihr die Lampe aus der Hand und leuchtete. „Das ist ja ein komisches kleines Ding, staunte er. Aber so hell wie das, habe ich noch nichts gesehen, außer der Sonne am Mittag!“ „Warte mal Wernher!“ rief Lene mit erschöpfter Stimme. „Ich kann nicht mehr, ich muss kurz ausruhen und wenn der Traum recht behält, sind wir bald draußen. Aber wo? In deiner oder in meiner Zeit? Das ist die Frage und das macht mir eine Riesenangst!“ „Gut, wir rasten ein wenig“, Wernher ließ sich neben Lene fallen und leuchtete sie an. „Wenn ihr nicht so komische Sachen anhättet, würdet ihr gar nicht so übel aussehen“, meinte er taktvoll. „Du auch nicht!“ rief Lene wütend. „Du siehst in deinen Klamotten, wie ein Hinterwäldler aus!“ „Das bin ich ja auch und stolz darauf!“ Wernher war eingeschnappt. „Ach so, hm.“ Lene betrachtete ihn nachdenklich. Er war mindestens einen Kopf größer als sie mit ihren 165cm und hatte einen Brustkorb wie ein Bodybuilder. Nur, dass der vom Arbeiten kam und nicht von irgendwelchen Fitnessgeräten oder gar Medikamenten. Sicher war er stark wie ein Bulle. Ach ja, die Haare waren wohl wirklich blond, sah sie nun im Lampenschein. Und einen Bart hatte er auch noch. Übel sah er wirklich nicht aus. Vor allem hatte er gute Augen. Lene beschloss, ihm zu vertrauen. Etwas anderes blieb ihr sowieso nicht übrig, wenn sie hier heil wieder herauskommen wollte. Apropos heil heraus. Heraus ja, aber wo? „Was habt ihr denn, Weib? Heult jetzt bloß nicht. Wir werden schon wieder heraus kommen hier!“ Er gab Lene das Handy und sie schaltete das Licht aus. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sahen sie einen Lichtschein, es musste hinter der Kurve hereinscheinen – etwa die Sonne? Wie in meinem Traum! schoss es Lene durch den Kopf und sie erinnerte sich an ihr beklemmendes Gefühl darin. So ähnlich fühlte sie sich jetzt auch, nur dass sie nicht allein war. Wernher war bei ihr und das war besser, als in ihrem Traum. Es gab ihr ein beruhigendes Gefühl, dass er bei ihr war. Und das beklemmende Surrren aus ihrem Traum fehlte zum Glück auch. Wernher nahm sie an der Hand und zog sie weiter. „Kommt Weib!“ flüsterte er jetzt. „Wir sind bald draußen. Ich schaue erst einmal nach, wo wir sind. Ihr wartet!“ Lene schob wie in ihrem Traum einige Efeuflechten auseinander und Wernher arbeitete sich durch die Lücke hinaus. „Geh nicht weg!“ rief Lene ängstlich, aber leise.“ „Nein, ich bin doch da!“ beruhigte Wernher sie. Ich bleibe bei euch, keine Angst. Kurz darauf rief er: „Kommt heraus, Weib, ich weiß jetzt, wo wir sind!“ „Lene heiß ich, nicht Weib“, sagte Lene ruhig. „Lene ist ein guter Name. Kommt, gebt mir eure Hand!“ Wernher zog sie aus der Lücke nach draußen und Lene sah, dass sie auf einer großen Wiese standen, einer Lichtung. Sie kam ihr vage bekannt vor. Hier war sie schon gewesen! Das Kraftfeld, nannten sie es heute. Manche Menschen stellten sich an bestimmte Stellen dort und ließen sich bestrahlen – sie meinten, die heilenden Erdkräfte würden an verschiedenen Stellen der Lichtung ihre Krankheiten heilen. Es gab ein regelrechtes Raster mit Einzeichnungen, welche Stelle für welche Krankheit heilsam sein würde. Lene sah sich erstaunt um. Der Anblick war ihr vertraut und doch wieder nicht. „Wernher, ich kenne dieses Feld, aber es sieht so anders aus!“ Wernher drehte sich um. „Wie meint ihr das?“ Lene kniff die Augen zusammen: „Na, ich kenne es, aber es sah gestern noch anders aus als jetzt zum Beispiel.“ „Na, ja“ schüttelte Wernher, mit ungläubigen Augen, bedächtig den Kopf. „Anscheinend ist es wohl wirklich so, dass ihr durch irgendein Wunder aus der Zukunft in meine Zeit gekommen seid und deswegen kennt ihr zwar die Gegend hier, aber sie sieht eben ein wenig anders aus, als bei euch.“ Lene schossen vor Anspannung, die Tränen in die Augen. „Oh!“ Mehr brachte sie nicht heraus. Sie konnte nichts mehr sehen vor lauter Tränen und Angst. Was sollte denn nun werden? Sie fühlte sich völlig hilflos. Wernher sah sie an und erkannte sogleich ihren Zustand. Fest nahm er sie in die Arme. „Kommt Lene, ich bin doch da, ihr seid nicht allein. Ich helfe euch. Zusammen werden wir es schaffen, dass ihr wieder in eure Zeit zurückkommen könnt.“ Lene dachte zwar – Wie soll das denn gehen? Es fühlte sich dennoch beruhigend an, fest im Arm gehalten zu werden. Es vermittelte ihr die Sicherheit, die sie gerade dringend benötigte, um bei klarem Verstand zu bleiben und nicht in Panik auszubrechen. „Kommt Lene, ich bringe euch zu meinem Unterschlupf und wir suchen uns erst einmal Speis und Trank. Danach werden wir wieder besser denken können und eine Lösung finden. Lene drückte ihn dankbar und ließ sich auf die Füße ziehen. Vorsichtig um sich schauend, setzten sie ihren Weg fort, weiter nach oben. „Wo gehen wir denn hin?“ Lene konnte kaum folgen, so ein Tempo legte Wernher vor. „Ich weiß einen Brunnen in der Nähe, wo wir frisches Wasser finden und eine kleine verlassene Hütte im Wald, in der früher ein Einsiedler wohnte. Dort können wir uns verstecken heute Nacht. Morgen oder übermorgen suchen wir dann eine Höhle auf, die ich auf meinen Streifzügen fand. Dort sind wir sicherer. Kommt!“ Wernher zog Lene weiter. Sie machten sicher ganz schön Krach, so ungeschickt wie sie sich anstellte. Stolpernd versuchte sie, mit Wernher Schritt zu halten. „Pst!“ Wernher bedeutete ihr, leise zu sein. Ein Pferdefuhrwerk mit Holzladung fuhr den Weg entlang. Die armen Pferde, dachte Lene. Der Wagen war ganz schön voll und sah schwer aus. Als das Fuhrwerk vorbei war, gingen sie weiter. Nicht auf dem Weg, sondern querfeldein, noch weiter hinauf. Konnte denn gar nichts eben sein hier, dachte Lene missmutig.

Kapitel 8

In der Hütte

Als sie schon langsam müde wurde, kamen sie endlich an der Hütte an. Hütte war eigentlich übertrieben, es war eher ein Schuppen. Nicht einmal gut genug, um ein Fahrrad unterzustellen, befand Lene, aber besser als nichts. Wernher öffnete die Tür und bedeutete ihr, erst einmal draußen zu warten. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass es sicher war, zog er Lene zu sich hinein. „Feuer kann ich leider keines machen, aber ich habe ein paar Lebensmittel in der Nähe und etwas zu trinken, sowie eine Decke. Das muss erst einmal genügen!“, beschied ihr Wernher und Lene schloss resigniert die Augen. Die Hütte bestand aus einem einzigen Raum - die Möbel aus einem Strohhaufen in der Ecke, vermutlich das Bett (sie schüttelte sich schon beim Gedanken daran, dort schlafen zu müssen), eine alte Holzkiste und eine Feuerstelle. Sonst gab es nichts. „Äh, Wernher?“ „Ja Lene, was ist?“ „Ich müsste mal aufs Klo.“ sagte Lene mit gesenktem Kopf. „Aufs Klo? Was ist das?“ „Die Toilette, der Abort.“ „Ah, der Abtritt!“ Abtritt? Ieh! Das klang nicht gut, fand Lene. „Ja, ich glaube, so nannte man das früher.“ „Kommt mit, Mädel. Hier ist ein Loch hinter dem Haus, da könnt ihr euer Geschäft hineinmachen und mit der Schaufel, die danebenliegt, Erde darüber häufen.“ „Gibt es keine Wasserspülung?“ „Wasserspülung? Was soll denn das sein? Wenn ihr mögt, könnt ihr euch auch in einen Bach erleichtern, dann habt ihr Wasserspülung, so viel ihr wollt!“ Lene ging seufzend nach draußen und verschwand hinter der Hütte. Sie tat alles wie geheißen und war froh, dass der Druck erst einmal weg war. Zurück in der Hütte, fiel ihr plötzlich etwas ein. „Wernher, ich könnte mit meinem Handy versuchen, meine Oma anzurufen.“ „Hä?“ Er stand sichtlich auf dem Schlauch. „Na, mit dem Ding das leuchtet. Das ist gleichzeitig ein Telefon. Mit einem Telefon kann man Leute, die weit weg sind, anrufen und mit ihnen reden, auch wenn man sie nicht sieht.“ „So einen Blödsinn habe ich mein Lebtag noch nicht gehört! Dann versucht es halt, wenn ihr meint, dass das funktioniert?“ Seiner abwertenden Bemerkung zum Trotz beäugte er das Handy mit Interesse. „Ich stelle es laut, dann hörst du was ich sage und was Oma antwortet, ebenso.“ Lene schaltete das Handy ein. Sie hatte es heruntergefahren, damit der Akku nicht so schnell alle würde, es war jetzt schon nur noch auf 41 Prozent.

Kapitel 9

Stimme aus einer anderen Zeit

Sie wählte Omas Nummer und hörte es tuten. Tatsächlich – es klingelte! Lene war ganz aufgeregt und konnte kaum noch stillsitzen. „Hörst du es? Es klingelt bei Oma!“ „Tuuut -tuuuut – tuuuut“, dann hörte man, wie jemand abhob. „Faust Helga - Lenchen bist du es? Melde dich doch, sag etwas, ich habe solche Angst um dich“, sprudelte Oma aufgeregt hervor. „Ja, Oma, ich bin es, Lene.“ Sie konnte nicht verhindern, dass ihr die Tränen ungehindert hinunterliefen. „Oma, ich bin in einer anderen Zeit gelandet, bitte hilf mir!“ „Lene, ich höre nur Rauschen und ganz weit weg, das könnte deine Stimme sein. Sprich doch lauter, mein Kind!“ Lene brüllte, so laut sie konnte, ins Telefon, aber es war sinnlos, die Oma verstand sie nicht. Es tat so weh, ihre Stimme zu hören und fast mit ihr reden zu können – fast! Lene schluchzte hemmungslos. Wie konnte das nur sein? Wie?! Sie verstand gar nichts mehr und weinte, bis sie nicht mehr konnte. Wernher hielt sie die ganze Zeit im Arm und tröstete sie. Lene war froh über seine tröstliche Gegenwart. Er streichelte ihr unbeholfen über den Rücken und klopfte ihr ein wenig auf die Schulter. „Ach Wernher, was soll ich denn jetzt machen? Ich kann nicht heim und Oma ist so nah und doch ganz weit weg.“ Er sah sie ratlos an und es fiel ihm nichts anderes ein, als ihr weiter übers Haar zu streichen und sie wieder in den Arm zu nehmen. Lene richtete sich auf und streichelte ihm nun ihrerseits übers Haar. Er war ja auch arm dran. Immerhin wollte ihn jemand umbringen und scheute nicht vor üblen Methoden und sogar Mord nicht zurück - ihr schauderte. Eigentlich fühlte sich sein Haar gar nicht so schmutzig an, wie es aussah. Schön weich war es. Sie streichelte ihn weiter und Wernher nahm ihren Kopf und drückte ihn an seine Brust. „Wir müssen nur fest zusammenhalten, dann werden wir sicher eine Lösung finden aus dieser Not“, murmelte er beruhigend in ihr Haar. Lene legte ihm den Arm um den Hals und zog sich auf seinen Schoß. Das tat gut. Sie fühlte sich richtig wohl und geborgen. Sie kuschelte sich so nah es ging an ihn und hörte seinen Herzschlag - das klang wunderbar beruhigend. Wohlig lächelnd schlief sie ein. Wernher sah auf sie hinunter und machte sich seine Gedanken. Was sollte er nur mit diesem seltsamen Geschöpf anfangen? Er betrachtete ihre langen Wimpern, den wilden ungebändigten, braunen Haarschopf, von einer Art Band zusammengehalten. Vertrauensvoll lag sie lächelnd an seiner Brust und er nahm sie gerührt noch fester in die Arme. Oh je, das waren nicht nur väterliche Gefühle, die er da verspürte, aber er bezähmte sich. Sie vertraute ihm und er hatte nicht vor, ihr Vertrauen zu missbrauchen. Vorsichtig stand er mit ihr auf und trug sie zu dem Haufen Stroh in der Ecke. Er hatte die Decke darübergelegt und bettete nun Lene darauf, klappte die Decke zu, so dass sie hineingerollt dalag. Zärtlich strich er ihr übers Haar, dann machte er sich daran, etwas Essbares zu besorgen. Er wusste eine Stelle im Wald, wo wilde Möhren wuchsen und in der Nähe von Hausen, hatte er auf einer kleinen versteckten Lichtung ein paar Kartoffeln und etwas Mais angebaut. Gut versteckt hinter Brennnesseln, damit sie niemand fände. Sorgfältig schloss er die Tür mit einem zweifelnden Blick auf Lene, hoffend, dass diese nicht auf dumme Gedanken kommen würde und ging schnell los. Er wollte so schnell wie möglich wieder bei ihr sein. Eine Stunde höchstens, würde es dauern, schätzte er. Vorsichtig lief er den Berg weiter hinauf, sich immer hinter den Bäumen haltend. Man konnte nie wissen, wen die feinen Herren Brüder noch auf ihre Seite gebracht hatten. Für Geld taten manche Menschen alles und neuerdings standen überall diese Hochsitze, die man nicht sofort sehen konnte und von denen aus sie einen wunderbaren Ausblick hatten. Er musste aufpassen und trotzdem schnell sein. Da, hinter der Eiche, begann das Dickicht, da ging keiner freiwillig hinein und ließ sich Gesicht, Arme und Beine zerkratzen. Er legte sich auf den Bauch und robbte vorwärts, wobei er mit den Ellbogen sein Gesicht schützte. Hinter den Brennnesseln sah er bereits seine kleine, geheime Pflanzung. Die Schnecken hatten auch schon mit am Mahl teilgenommen, ohne Einladung, versteht sich und sicher hatte auch das eine oder andere Reh daran geknabbert, aber es war noch genug da, für sie beide. Hm, ein paar Maiskolben, ziemlich klein, aber immerhin - die gaben Kraft. Er brach sie vorsichtig ab, ohne die Pflanze zu beschädigen, denn sie trug noch ein paar weitere Maiskölbchen. Dahinter wuchsen die wilden Möhren. Er zog vorsichtig ein paar heraus. Da es vor kurzem geregnet hatte, ging das relativ leicht, ohne dass die Rüben abbrachen. Hatte er nicht irgendwo noch ein paar Radieschen gesät? Ah, da - die waren auch gewachsen. Er erntete vier Radieschen und legte alles zusammen in ein Sacktuch, das er in seinen Säckel steckte. Dann robbte er wieder durch das Dickicht und lief vorsichtig den Berg hinunter, bis zur Hütte. Ein Glück, Lene schlief noch. Als er seine Ernte auf die Kiste legte, die als Tisch diente, räkelte sie sich, leise stöhnend.

Kapitel 10

Ein Festmahl