Abgerippt: Frankfurt-Krimi - Gerd Fischer - E-Book

Abgerippt: Frankfurt-Krimi E-Book

Gerd Fischer

4,9

Beschreibung

Frankfurter Krimi-Serie um Kommissar Andreas Rauscher. Bisher erschienen: "Mord auf Bali" 2006 (Neuauflage 2011), "Lauf in den Tod" 2010, "Der Mann mit den zarten Händen" 2010, "Robin Tod" 2011, "Paukersterben" 2012, "Fliegeralarm" 2013, "Abgerippt" 2014, "Bockenheim schreibt ein Buch" (Hrsg.) 2015, "Einzige Liebe – Eintracht-Frankfurt-Krimi" Februar 2017, "Ebbelwoijunkie" Dezember 2017, "Frau Rauschers Erbe" 2018 und "Der Apfelwein-Botschafter" 2021. Zudem der Thriller "Rotlicht Frankfurt" 2019. Ein Frankfurt-Krimi über Mietwucher, Zwangsräumung, Luxussanierung und Gentrifizierung. Frankfurt boomt. Der Wohnraum wird knapp. Die Mietpreise explodieren. Viele Mieter können sich das nicht mehr leisten. Eine Zwangsräumung und der Tod eines angeblichen Hausmeisters eines Sachsenhäuser Mietshauses bringen die Frankfurter Kripo und Kommissar Andreas Rauscher auf den Plan. Während der Ermittlungen unter den Mietern des Hauses und einer zwielichtigen Immobilien-Investorin fragt sich Rauscher immer mehr: Wohnst du noch oder bist du schon rausgeflogen?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 319

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,9 (18 Bewertungen)
16
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Der Frankfurter Kommissar Andreas Rauscher ist wie vor den Kopf gestoßen. Sein Onkel fliegt aus der Wohnung, seine Freundin (oder Ex?) will nicht mehr mit ihm reden, ein Hausmeister entpuppt sich als Privatdetektiv und wird kurz darauf auch noch tot aufgefunden. Die Kripo ermittelt in einem Mietshaus in Sachsenhausen und Rauscher wird schnell klar, dass sich zwischen den Mietern des Hauses und ihrer neuen Hausbesitzerin eine hochexplosive Stimmung entwickelt hat. Rauscher taucht ein in eine Welt aus Wut und Zukunftsängsten. Der Krimi basiert auf der aktuellen und hochprekären Situation auf dem Frankfurter Wohnungsmarkt, die von steigenden Mieten, explodierenden Immobilienpreisen und Gentrifizierung geprägt ist. Das Unwort ‚Entmietung‘ macht die Runde. Alteingesessene Frankfurter kommen mit den um sich greifenden Veränderungen nicht zurecht. Schöne neue Mietwelt oder längst Alltag gewordenes Problem?

Der Autor

Gerd Fischer wurde 1970 in Hanau geboren. Er studierte Germanistik, Politologie und Kunstgeschichte in Frankfurt am Main, wo er seit 1991 lebt. Weitere Krimi-Veröffentlichungen im mainbook Verlag: „Mord auf Bali“ 2006 (Neuauflage 2011), „Lauf in den Tod“ 2010, „Der Mann mit den zarten Händen“ 2010, „Robin Tod“ 2011, „Paukersterben“ 2012, „Fliegeralarm“ 2013.

Gerd Fischer

Abgerippt

Der siebte Fall für Kommissar Rauscher

Krimi

Copyright © 2014 mainbook Verlag, Gerd FischerAlle Rechte vorbehalten

Lektorat: Mia BeckLayout: Anne FußTitelbild (bearbeitet): © stockphoto-grafISBN 978-3-944124-51-3

Besuchen Sie uns im Internet: www.mainbook.deSignierte Bücher können ohne zusätzliche Versand- und Portokosten direkt beim Verlag auf www.mainbook.de bestellt werden.

Abrippen:

1. etwas wegnehmen / stehlen / rauben

2. jemanden betrügen / übervorteilen

Inhalt

Prolog

Teil 1

Freitag, 9. August, selber Tag, abends

Samstag, 10. August, 8 Uhr

Sonntag, 11. August, 9 Uhr

Montag, 12. August, 7 Uhr

Teil 2

Montag, 12. August, nachmittags

Teil 3

Dienstag, 13. August

Teil 4

Mittwoch, 14. August, morgens

Teil 5

Freitag, 16. August

Samstag, 17. August

Sonntag, 18. August, morgens

Anmerkung des Autors

Prolog

Ein Klingeln an der Wohnungstür störte Bernd Kessler. Ausgerechnet jetzt, dachte er, während seiner Lieblingsserie. Aus dem Fernseher erklang bereits die Mike & Molly-Titelmelodie. Er hatte sich zum Mittagessen eine Burger-Pizza im Ofen heiß gemacht und wollte sich gerade mit einer Cola auf seine Wohnzimmercouch begeben, kurz vorm Verhungern.

Obwohl er niemanden erwartete, ging er zur Tür.

Fehler Nummer eins.

Kessler strich sich durch seine graumelierten, schütteren Haare und schaute mit seinen hellwachen Augen durch den Spion. Er sah das Gesicht eines Mannes, der vor seiner Wohnungstür stand und von zwei weiteren Männern flankiert wurde. Kessler erschrak. Der Typ trug einen grauen Anzug und sah nach Anwalt oder Gerichtsvollzieher aus. Keinen der drei Männer hatte er je zuvor gesehen.

Der Schlipsträger hob ein Schreiben hoch und rief: „Herr Kessler, bitte öffnen Sie die Tür! Wir wissen, dass Sie zu Hause sind und wir kommen ohnehin rein. Die Hausbesitzerin hat uns einen Schlüssel gegeben. Es wäre also besser, wenn Sie öffnen würden. Wenn Sie nicht kooperieren, müssen wir Gewalt anwenden. Bitte lassen Sie es nicht soweit kommen!“ Es dauerte einen Moment, dann klingelte der Mann Sturm.

Kessler dachte nicht im Traum daran, den Fremden die Tür aufzumachen. Stattdessen schwieg er, als habe er nichts zu befürchten.

Fehler Nummer zwei.

Eine Weile war von draußen nichts zu vernehmen, ehe wieder die Stimme des Mannes erklang. „Herr Kessler, Sie haben jetzt noch drei Sekunden Zeit. Ich zähle rückwärts. Haben Sie das verstanden, ja? Drei Sekunden, kapiert?“

Kessler blieb stumm und starrte die Tür an.

„Okay, Sie wollen es offensichtlich nicht anders, Herr Kessler. Ich fange jetzt an zu zählen.“ Eine kleine Pause folgte.

„Drei.“

Einige Sekunden vergingen.

„Zwei.“

Und kurz darauf sagte der Mann: „Eins … So, jetzt reicht es, Herr Kessler. Wir kommen jetzt rein!“

Kessler machte immer noch keine Anstalten, die Tür zu öffnen. Danach ging alles sehr schnell. Er hörte, wie die Männer versuchten, mit einem Schlüssel seine Tür zu öffnen, doch seiner steckte von innen. Sie konnten das Schloss nicht öffnen. Gerade wollte sich Kessler ins Fäustchen lachen, als er einen dumpfen Schlag wie von einem Vorschlaghammer hörte. Dann noch einen. Und einen dritten. Das Holz der Tür splitterte, ein Loch entstand und das Schloss sprang aus den Fugen. Jemand hebelte die Tür auf. Die drei drangen in seine Wohnung ein. Der Schlipsträger drückte ihm den Zettel in die Hand. „Zwangsräumung!“

Kessler stellte sich den Männern in den Weg.

Fehler Nummer drei.

Derjenige, der vorneweg preschte, kickte ihn mit seinem bulligen Oberkörper zur Seite. Kessler verlor die Balance, fand mit den Händen keinen Halt und stolperte nach hinten. Sein Kopf schlug auf dem Boden auf und er trug eine schmerzende Platzwunde davon, von der er sich minutenlang nicht erholte.

Die beiden Handlanger brachten Pappkartons in die Wohnung und begannen mit der Arbeit. Kessler hielt sich den Kopf und schaute den Dritten wütend an, der mit den Achseln zuckte. „Sie sind mit der Miete knapp 6.000 Euro im Rückstand und haben die Frist verstreichen lassen“, schleuderte ihm der Mann entgegen. „Sie hätten längst ausziehen müssen. Die Wohnung ist vor einem Jahr gekündigt worden. Auf die Klage haben Sie nicht reagiert und zum Termin vor Gericht sind Sie auch nicht erschienen. Da lässt sich leider nichts mehr machen.“

Drei Stunden später saß Kessler mit pochendem Schädel, knurrendem Magen und verschränkten Armen auf einem Polstersessel vor seinem Haus in der Sachsenhäuser Hedderichstraße. Über dreißig Jahre lang hatte er hier zur Miete gewohnt. Von seinem Platz auf dem Bürgersteig aus konnte er den Frankfurter Südbahnhof sehen. Die hochstehende Sonne über dem südlichen Frankfurter Stadtteil brannte auf ihn nieder. Ihm war heiß. Sein Gemüt kochte ohnehin, seit er seine Wohnung unfreiwillig hatte verlassen müssen.

Hin und wieder tupfte sich Kessler mit einem Taschentuch die Wunde am Hinterkopf trocken. An seinen Schläfen perlten Schweißtropfen hinab, doch das schien ihn nicht zu stören. Er starrte geradeaus. Mit Sack und Pack hatten ihn die Leute des Umzugsunternehmens aus seiner Wohnung geschleppt. Um ihn herum stand der Bürgersteig voller Sachen. Die alte Vitrine aus dem Wohnzimmer. Der Esstisch aus der Küche. Sein Bett. Seine Klamotten waren in Kisten verpackt, die sich fast bis hoch zur Straßenlaterne stapelten.

Seine Nachbarin, Frau Thönnies, kam den Gehweg entlang und musste die Stelle umschiffen. Sie trat auf die Straße und ging um die ganzen Möbel herum zur Haustür. „Bernd?“, rief sie erschrocken. „Was ist denn passiert?“

Er wandte den Blick ab und schwieg.

Die verdattert dreinblickende Frau schüttelte verhalten den Kopf.

Bernd Kessler versuchte, ihr ein Lächeln zu schenken, aber es gelang ihm nicht. Er hätte ihr zu gerne erklärt, was hier vor sich ging, aber er brachte kein Wort heraus. Wenig später verschwand sie mit sorgenvoller Miene im Haus. Die Szene auf dem Bürgersteig schien sie zu überfordern.

Kurz nach ihr kam eine weitere Bekannte den Bürgersteig entlang, die Kessler von seinem Küchenfenster schon des Öfteren beobachtet hatte. Die Rabenfrau, so nannte er die Alte, trug immer die gleichen Klamotten. Eine abgewetzte, fettglänzende Weste, eine Jeans mit Löchern und braune Halbschuhe. Mit ihren langen grauen Haaren, die ihr in Strähnen ins Gesicht hingen, und der fetten dunklen Geschwulst, die auf ihrer Nase thronte, ähnelte sie nicht unwesentlich einer Hexe. Ihre rechte Hand jedoch, die sie hoch in die Luft streckte, zierte ein eleganter schwarzer Handschuh. Begleitet wurde die Rabenfrau stets von einem – manchmal sogar zwei oder drei – Raben, die nach den Essensresten und Müllabfällen gierten, die sie in einer Plastiktüte mitschleppte. Manchmal kam einer der Raben angeflogen und landete auf ihrer Hand. Einmal war Kessler ihr bis zum Stadtwald gefolgt, wo sie mit den Raben ihre tägliche Runde zu drehen schien. Seitdem hegte er den Verdacht, sie wohne vielleicht auch dort.

Als sie Kessler auf dem Sessel sitzen sah, blieb sie stehen und musterte ihn. Etwas schien ihr nicht geheuer zu sein. Ihre Augen leuchteten und wirkten weit weg. Vermutlich war sie einfach verrückt, dachte Kessler, oder – wie das heute genannt wurde – schizophren. Jedenfalls bekam er Muffensausen, wenn er sie zu lange anblickte, denn er musste dann unentwegt an Hitchcocks Vögel denken. Also drehte er den Kopf zur Seite und blieb stumm. Die Rabenfrau registrierte es, zögerte jedoch. Als sie einen Wagen hörte, dessen Fahrer die Hedderichstraße entlang bretterte und vor dem Haus in die Eisen ging, trottete sie weiter. Offenbar witterte sie Gefahr. Sie blickte in die Luft, gurrte zwei- oder dreimal, und die Raben folgten ihr; immer darauf bedacht, keinen der Brösel zu verpassen, die sie auf den Weg streute. Der Wagen, ein neuer metallicblauer Z4, fand eine Parklücke vier Häuser weiter. Ein Mann stieg aus.

Kessler wurde abgelenkt, denn schon kam der Nächste an seinem Sessel vorbei. Es war Thoms, dieser schnöselige neue Hausmeister, den er seit der ersten Begegnung vor einigen Wochen gefressen hatte. Der etwa dreißigjährige Mann kam auf Kessler zu, grinste feist und stemmte die Hände in die Seite. „Na, rausgeflogen?“

Kessler schaute demonstrativ weg, doch Thoms legte nach: „Wollen Sie hier Wurzeln schlagen?“

Anstatt es darauf beruhen zu lassen, drückte er den Finger noch tiefer in die Wunde. „Ich hab’s Ihnen immer gesagt, dass es einmal soweit kommen wird, aber Sie wollten mir ja nicht glauben.“

Kessler zuckte nicht einmal mit einer Augenbraue. Der Hausmeister verharrte noch einen Moment, dann schmunzelte er in sich hinein und schüttelte den Kopf. Bevor er grinsend weiter zog, reckte er seine Hand nach vorne. „Falls wir uns nicht mehr sehen … Machen Sie’s gut!“

Zögernd und widerwillig schlug Kessler ein. Er drückte ihm die Hand, zog sie aber sofort wieder zurück.

Was konnte er jetzt tun? Wohin konnte er mit seinem Kram gehen? Ihm fiel nur eine Möglichkeit ein.

Nie zuvor in seinem 67-jährigen Leben war er so wütend gewesen.

Kommissar Andreas Rauscher stand auf und ging zum Telefon, das klingelte. Er wollte gerade Feierabend machen, um übers Wochenende nach Hamburg zu seinem Sohn zu fahren. Er dachte an seine Freundin Elke, die ihn vor einigen Monaten mit Mäxchen verlassen hatte. Rauscher hatte sie vor dem Traualtar mitsamt der Hochzeitsgesellschaft stehengelassen, weil er sich um eine potenzielle Selbstmörderin kümmern wollte. Elke war daraufhin in ihre Heimatstadt Hamburg zurückgekehrt. Seitdem hatte er seinen Sohn lediglich an drei Wochenenden gesehen. Gerade in letzter Zeit herrschte weitgehend Funkstille. Sie hatten keine vernünftige Ebene gefunden, miteinander zu reden. Seit die beiden weg waren, hatte er das Gefühl, sein Leben steuere in eine ungeheuer große Leere.

Seinen missratenen Hochzeitstag hätte er am liebsten aus seinem Leben getilgt.

Rauscher nahm das Gespräch an und war erstaunt, denn er vernahm die Stimme seiner Mutter Gabriele, die sich in den letzten Wochen sehr rar gemacht hatte.

Noch bevor Rauscher Hallo sagen konnte, platzte seine Mutter heraus: „Mein Bruder ist gerade aus seiner Wohnung geflogen.“

„Wie jetzt, Onkel Bernd?“

„Wie viele Brüder hab ich denn noch?“

„Aber wieso denn das?“

„Wenn ich das wüsste! Zwangsgeräumt. Er sitzt mit Sack und Pack auf der Straße vor seinem Haus.“

„Das gibt’s doch nicht.“ Rauscher hörte ein Schniefen. Weinte seine Mutter etwa?

„Wenn ich es dir sage … Wir organisieren jetzt einen Umzugs-LKW und holen ihn und seinen Krempel zu uns.“

„Das kann doch nicht sein, dass er so plötzlich …“

„Ich weiß nicht, ob es wirklich so unerwartet kam …“

„Und ihr wusstet echt von nichts?“

„Nein, nein. Seit er vor zwei Jahren in Rente gegangen ist, spricht er kaum noch was.“

„Aber warum denn nicht?“

„Du kennst ihn ja, den sturen Hund.“

„Offensichtlich nicht so richtig.“

Sie legte eine kleine Pause ein. „Hast du Zeit?“

„Jetzt?“

„Ja, wann denn sonst? Oder soll dein Onkel auf der Straße übernachten?“

„Ich wollte gerade nach Hamburg fahren, um Mäxchen zu sehen. Also, der Umzug kommt mir mehr als ungelegen.“ Rauscher seufzte.

„Meinst du etwa uns nicht? Aber wir brauchen deine Hilfe. Soll dein Vater die ganzen Kisten alleine schleppen? Und die Waschmaschine?“

Rauscher überlegte eine Weile. „Ist ja schon gut. Ich sage Elke ab. Wir treffen uns in der Hedderichstraße.“

Endlich! Den alten, störrischen Sack würden sie heute loswerden. Nach langem Gezeter. Kessler hatte sich aber auch zu blöd angestellt und ihnen die Steilvorlage für die Zwangsräumung selbst geliefert. Oma Thönnies, wie er sie nannte, war die Einzige, die sich problemlos hatte einschüchtern lassen. Sie war inzwischen so weichgekocht, dass sie die Segel wohl bald von allein streichen würde. Wie dieser Friedrich Papst eine Woche vorher. Hahaha! Herzversagen. Kommt eben vor in dem Alter. Wofür gab es schließlich Altersheime?

Die anderen Mieter in der Hedderichstraße machten nach wie vor Probleme. Und ihm ein wenig Sorgen.

Heute wollte er einen neuen Versuch starten, Herrn Paul, dem Mieter im dritten Stock links, auf den Zahn zu fühlen und – falls notwendig – ihn auf die Palme zu bringen. Er musste seinen Widerstand brechen. Und er wusste auch schon, wie er das anstellen würde.

Vor allem: Das erwartete Verena Grün von ihm. Schließlich entlohnte sie ihn fürstlich dafür. „Ich bezahle Ihnen ein Kopfgeld“, so hatte sie es genannt, „für jeden, den sie – unkompliziert – loswerden.“ Nichts leichter als das. Für zwei hatte er schon kassiert, der Rest würde folgen. Sicher bald.

Nun stand er im dritten Stock links vor Herrn Pauls Wohnungstür. Der Mieter kannte ihn bereits von früheren Besuchen. Verena Grün hatte ihn als neuen Hausmeister vorgestellt. Geniale Idee. So hatte er immer Zugang zum Haus, konnte schalten und walten, wie er wollte, und niemand schöpfte Verdacht. Thoms grinste. Heute hatte er eine besondere Überraschung für Paul dabei.

Wenig später klingelte er. Die Tür wurde vorsichtig geöffnet. Edgar Paul linste mit großen Augen ins Treppenhaus und sah ihn mit skeptischem Blick an. Er war erst 55 Jahre alt, aber sein Haar leuchtete schon schlohweiß. Der Mieter wirkte etwas verhärmt, wie er in seinem Feinripp-Unterhemd, der abgewetzten Jogginghose und den Badelatschen dastand. Seine Augen waren eingefallen und hatten dunkle Ränder, als schlafe er zu wenig, und die Gesichtshaut war mattgrau. „Ach, Sie schon wieder! Was gibt’s?“

„Guten Tag, Herr Paul. Ich muss alle Wasseranschlüsse und Abflussrohre im Haus überprüfen. Jetzt ist Ihre Wohnung dran. Dauert auch nicht lange.“

„Müssen die etwa auch erneuert werden?“

„Kann gut sein. Manche haben weit über fünfzig Jahre auf dem Buckel.“

Paul seufzte, trat missmutig einen Schritt beiseite und ließ ihn eintreten. Thoms spürte die Blicke des Mieters in seinem Rücken, als er zielstrebig in die Küche ging und eine Rohrzange aus dem Werkzeugkoffer nahm. Kurz darauf machte er sich unterhalb des Waschbeckens am Abfluss zu schaffen.

„Bei Ihnen scheint noch alles bestens zu sein“, wandte er sich beim Aufstehen an Paul. „Ich müsste mal für kleine Jungs, dann kann ich mir das Bad gleich vornehmen. Darf ich?“

„Kann Sie ja schlecht in die Hose machen lassen, oder?“, brummte Paul.

Nachdem der Hausmeister das Badezimmer betreten hatte, schloss er die Tür hinter sich. Den Gang auf die Toilette hatte er nur vorgetäuscht, damit Paul ihm nicht folgen konnte. Er stellte seinen Werkzeugkoffer auf den weißen Fliesen ab und holte eine kleine Kiste heraus.

Nachdem Thoms sich mit dem Rücken vors Schlüsselloch gestellt hatte, um Paul die Sicht zu nehmen, falls der ihn beobachten wollte, hob er die Kiste auf den Badewannenrand und öffnete sie. Sofort sprangen vier Mäuse heraus: erst zwei weiße, dann eine graue und noch eine gescheckte. Er grinste in sich hinein, verstaute die Kiste im Koffer und riss urplötzlich die Tür auf.

„Herr Paul. Haustiere sind hier nicht erlaubt“, rief Thoms, als er wieder im Wohnungsflur stand. In diesem Moment huschte die erste weiße Maus aus dem Bad, gefolgt von einer weiteren, der gescheckten.

Paul, der gerade um die Ecke bog, zuckte zusammen, als sein Blick auf die Dielen und die ungebetenen Gäste fiel. „Was …? Das gibt’s doch nicht!“

„Ich glaube, ich muss mal den Kammerjäger rufen. Mal sehn, was hier bei Ihnen noch so alles kreucht und fleucht. Frau Grün wird nicht begeistert sein.“ Bevor der verdatterte Herr Paul etwas erwidern konnte, verabschiedete sich der Hausmeister. „Schönen Tag noch.“

Geschwind verließ Thoms die Wohnung und knallte die Tür hinter sich zu. Treppab konnte er nicht mehr vor Lachen. Er hielt sich den Bauch und eine Hand vor den Mund, sonst hätte er laut losgebrüllt.

Von oben hörte er, wie die Tür aufsprang. „Das waren Sie! Das werden Sie bereuen! Ich werde Sie anzeigen! Ich …!“

Rumms!

Herrn Pauls Stimme war verstummt, die Tür wieder ins Schloss gefallen. Ein Lachkrampf schüttelte Thoms. Merkwürdiger Typ. Eigentlich konnte einem der zornige Alte leidtun. Aber diesen Gedanken unterdrückte er schnell und dachte an das Geld, mit dem Verena Grün ihn bald überhäufen würde.

Er beschloss, eine Weile abzuwarten und sich dann noch einmal zu überzeugen, ob oder was der Alte gegen die Mäuse unternehmen würde. In der Zwischenzeit wollte er ihn von draußen beobachten. Vielleicht entdeckte er etwas am Fenster. Thoms brachte den Werkzeugkoffer in den Keller. Anschließend verließ er das Haus durch den Hintereingang und begab sich in den Hof, von dem aus man auch zu einigen Nachbarhäusern gelangen konnte. Niemand war zu sehen. Um Pauls Fenster sehen zu können, musste er an den Rand des Grundstücks gehen, das von einer Hecke eingegrenzt wurde. Ein Sandhaufen war davor aufgeschichtet, eine Hinterlassenschaft der Arbeiter, die das Treppenhaus instand setzten. Er ging darauf zu und wollte sich gerade umdrehen, um Pauls Fenster von hier unten zu beobachten.

Da war plötzlich ein Geräusch. Hinter ihm. Sehr dicht.

Thoms versuchte, den Kopf herumzureißen, doch er kam nicht mehr dazu. Schon spürte er einen Schlag auf den Hinterkopf, der ihn nach vorne schleuderte, einen brennenden Schmerz, der seinen gesamten Körper durchfuhr. Er knallte auf den Boden, wollte noch die Hände schützend hochreißen, doch sie gehorchten ihm nicht mehr, schienen wie gelähmt. In seinem Kopf brach blanke Panik aus. Schweiß schoss aus allen Poren. Er wollte sich wehren, musste sich wehren, war aber hilflos.

Ein zweiter Schlag krachte auf ihn ein, als donnerte er mit dem Kopf ungebremst gegen eine Mauer. Augenblicklich brach die Nacht um ihn herum ein und er spürte nichts mehr.

Teil 1

Freitag, 9. August, selber Tag, abends

Während Andreas Rauscher die letzte Umzugskiste aus dem LKW hievte, schienen ihm die letzten Strahlen der Abendsonne ins Gesicht. Mit seinem etwa 84 Kilo schweren Körper, von denen er sehr gerne sechs bis sieben auf die Schnelle losgeworden wäre, wuchtete er sie die wenigen Steinstufen zur Haustür hinauf. Dann trug er die Kiste die Kellertreppe hinab und stellte sie mit einem tiefen Seufzer zum Rest. Inzwischen war es etwas abgekühlt, aber immer noch schwül. Mit dem Ärmel wischte er sich über Stirn und Gesicht. Fit war etwas anderes. Rauscher spürte jeden einzelnen Knochen. Der Schweiß lief ihm in Strömen. Seine kurzen schwarzen Haare klebten am Schädel. Für die nächsten Tage war Augusthitze vorhergesagt.

Er war frustriert. Statt Möbel zu schleppen, hätte er jetzt mit Mäxchen im Kinderwagen an der Alster entlang spazieren können. Er hatte Elke telefonisch nicht erreicht, aber vor zwei Stunden eine SMS mit seiner Absage fürs Wochenende geschrieben. Seitdem hatte er nichts von ihr gehört.

Sie hatten Onkel Bernds komplette Habe auf einen Umzugs-LKW geladen, den sie beim KFZ-Referat an der Uni in Bockenheim gemietet hatten, und alles ins Häuschen seiner Eltern in der Römerstadt verfrachtet. Die meisten Kartons und Möbel in zwei Kellerräume, ein paar Kisten mit persönlichen Dingen und Kleidung ins Gästezimmer, Onkel Bernds neues Domizil für unbestimmte Zeit.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!