Aischylos / Die Orestie - Walter Jens - E-Book

Aischylos / Die Orestie E-Book

Walter Jens

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

»Ein klassisches Ereignis, eine Theatererholung ersten Ranges war die Übersetzung von Walter Jens«, schrieb Armin Eichholz im Münchner Merkur anläßlich der Premiere des »Agamemnon« im Residenztheater. In der Übertragung von Walter Jens ist die Geschichte von der Ermordung des aus Troja heimkehrenden Königs Agamemnon durch seine Gattin Klytaimestra und den ehebrecherischen Usurpator Aigisth sowie der blutigen Rache, die Agamemnons Sohn Orest an den Mördern seines Vaters nimmt, und der Sühne des Muttermordes zu einem lebendigen Stück Theatergeschichte und einer erregenden Lektüre geworden. Jens gelingt es, die Erhabenheit und kühne Bildlichkeit der aischyleischen Sprache durch die Verbindung von Pathos und Präzision meisterhaft wiederzugeben. Seine Sprache, die die großen Vergleiche des Urbilds ebenso zum Durchschein bringt wie die bis zur Begrifflichkeit zugespitzte Diktion der Dialoge, zeichnet sich durch ein Höchstmaß an Verständlichkeit aus.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 165

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



rowohlt repertoire macht Bücher wieder zugänglich, die bislang vergriffen waren.

 

Freuen Sie sich auf besondere Entdeckungen und das Wiedersehen mit Lieblingsbüchern. Rechtschreibung und Redaktionsstand dieses E-Books entsprechen einer früher lieferbaren Ausgabe.

 

Alle rowohlt repertoire Titel finden Sie auf www.rowohlt.de/repertoire

Walter Jens

Aischylos. Die Orestie

Agamemnon. Die Choephoren. Die Eumeniden

Ihr Verlagsname

Eine freie Übertragung

Über dieses Buch

»Ein klassisches Ereignis, eine Theatererholung ersten Ranges war die Übersetzung von Walter Jens«, schrieb Armin Eichholz im Münchner Merkur anläßlich der Premiere des »Agamemnon« im Residenztheater.

Über Walter Jens

Walter Jens, geboren 1923 in Hamburg, Studium der Klassischen Philologie und Germanistik in Hamburg und Freiburg/Br. Promotion 1944 mit einer Arbeit zur Sophokleischen Tragödie; 1949 Habilitation, von 1962 bis 1989 Inhaber eines Lehrstuhls für Klassische Philologie und Allgemeine Rhetorik in Tübingen. Von 1989 bis 1997 Präsident der Akademie der Künste zu Berlin.

Verfasser von zahlreichen belletristischen, wissenschaftlichen und essayistischen Büchern (darunter zuerst «Nein. Die Welt der Angeklagten» 1950, «Der Mann, der nicht alt werden wollte», 1955), Hör- und Fernsehspielen sowie Essays und Fernsehkritiken unter dem Pseudonym Momos; außerdem Übersetzer der Evangelien und des Römerbriefes. Walter Jens war seit 1951 verheiratet mit Inge Jens, geb. Puttfarcken. Als «Grenzgängern zwischen Macht und Geist» wurde beiden 1988 der Theodor-Heuss-Preis mit der Begründung verliehen: «Gemeinsam geben Inge und Walter Jens sowohl durch ihr schriftstellerisches Werk wie durch ihr persönliches Engagement immer wieder ermutigende Beispiele für Zivilcourage und persönliche Verantwortungsbereitschaft.»

Walter Jens starb am 9. Juni 2013 in Tübingen.

Inhaltsübersicht

Für Klaus BetzenAgamemnonDie ChoephorenDie EumenidenNachwortWalter Jens: WerkeProsaEssaysWissenschaftliche BuchveröffentlichungenHör- und FernsehspieleÜbersetzungen, Bearbeitungen, NacherzählungenLiteratur über Walter Jens

Für Klaus Betzen

Agamemnon

Personen

Agamemnon

Klytaimestra

Aigisth

Kassandra

Wächter

Bote

Chor

Chorführer

 

 

 

WÄCHTER(auf dem Dach des Palastes):

Befreit mich von den Qualen, Götter!

Ein langes Jahr schon lieg ich kauernd

Vor dem Tore des Atriden-Hauses, liege wie ein Hund –

Die nächtliche Versammlung der Gestirne kenn ich bis zum Überdruß:

Winter und Sommer bringen sie, die weißen Könige,

Am Himmel strahlend, uns, den Sterblichen. –

So warte ich auch heute auf den Glanz des Zeichens,

Den Feuerschimmer, der von Trojas Untergang erzählt.

So hofft es meine Herrin, Klytaimestra. So befiehlt sie es.

Ich aber finde in den Nächten keine Ruh.

Der Tau macht mir das Lager feucht. Ich kenne keine Träume mehr.

Die Angst steht statt des Schlummers neben mir,

Weil ich mich fürchte, daß der Schlaf die Wimpern schließt.

Und singe ich ein Liedchen oder pfeife vor mich hin,

Um meine Müdigkeit zu überlisten,

Dann klag ich über dieses Hauses Mißgeschick,

Mit dem es nicht – wie einst – zum Besten steht.

Jetzt aber mag ein Ende meiner Mühen nahn,

Wenn mitten in der Nacht der Feuerglanz die Nachricht bringt,

Daß Troja fiel. (Das Feuer flammt auf.)

O sei gegrüßt mir, Fackelschein der Nacht,

Du zeigst das Licht des Tags

Und läßt die Chöre hier in Argos jauchzen

Über solch ein Glück.

Zeus! Zeus!

Ich muß Klytaimestra Meldung machen,

Agamemnons Frau, damit sie sich erhebt

Und dann – so schnell es geht – im Haus

Den Siegesglanz mit lautem Jubelruf begrüßt,

Denn Troja ist gefallen, wie das Flammenzeichen zeigt.

Jetzt kann ich jubeln: Sieg! Ein Freudensprung!

Dreimal die Sechs! Mein Wachdienst zahlt sich aus!

Und wenn der Herr nach Hause kommt,

Dann will ich seine liebe Hand

Mit meinen Fingern hier berühren.

Vom andern schweig ich, denn ein Kloß von Gold

Verstopft mir meinen Mund;

Doch wenn das Haus zu sprechen wüßte –

Vieles, sehr Genaues käme da hervor,

Das ich mit jenen gern bespräche,

Denen das Geheimnis nicht verborgen ist.

Doch wer es nicht kennt – für den bin ich stumm.

CHOR(einziehend):

Dies ist nun das zehnte Jahr, das verging,

Seit Priamos’ mächtiger Feind,

Menelaos, der Fürst,

Und Agamemnon, sein Bruder,

Von Zeus her Herrscher zweier Throne,

Von Zeus her Herrscher zweier Szepter, –

Dies ist das zehnte Jahr, das verging,

Seitdem das Atreus-Gespann

Aufbrach aus unserem Land,

Aufbrach, um Rache zu nehmen, mit tausend Schiffen aus Argos.

Krieg! schrien sie: Krieg!

Schrill war ihr Zorn.

Wie das Geierpaar brüllten sie auf,

Das in schwirrendem Schmerz um die Jungen

Den Hort umkreist,

Von den Rudern der Flügel gewiegt,

Hoch in der Luft.

Vergeblich nesthütende Mühe:

Die Jungen geraubt!

 

Ein Gott aber:

Apollon,

Pan oder Zeus –

Einer der Himmlischen

Hört den gellenden Schrei

Seiner Kinder,

Steht den Schützlingen bei:

Nicht hilflos sind die!

Und schickt Erinys,

Die Frevler bestrafend.

 

So sendet Zeus,

Der gewaltige Gott,

Der Hüter des Gastrechts,

Die Söhne des Atreus

Und hetzt sie auf Paris:

Jagt ihn! Packt zu!

Kampf wird sein,

Streit um die Männer betörende,

Männer verachtende Frau.

Krieg wird sein:

Das Knie im Staub!

Mann gegen Mann!

Die Glieder schlaff,

Der Speer zerspellt!

 

Troer und Griechen:

Gleiches mißt Zeus ihnen zu.

Er allein weiß,

Mag geschehen was will,

Wie es ausgeht.

Zündet Feuer an, Troer,

Opfert und weint:

Umsonst die Spende,

Das Feuer bleibt kalt,

Und die Flamme erstickt.

Nichts, Troer,

Nichts löscht,

Wenn Zeus zürnt,

Seinen Grimm.

 

Wir aber, wir blieben hier,

Wir nahmen nicht teil.

Das Alter schloß uns aus.

Wir sind wie die Kinder.

Das Mark im Körper des Kindes ist

Gleich dem Mark eines alternden Manns:

In keinem von beiden wohnt Kraft,

Es trocknen die Säfte des Baums,

Der einmal zu grünen begann.

Dreifüßig sucht der Greis seinen Weg:

Nicht stärker als ein schwächliches Kind,

Wie ein Traumbild bei Tage

Schleicht er dahin.

Dienerinnen, zum Opfer bereit, kommen aus dem Palast. Dann Klytaimestra.

CHOR:

Klytaimestra, Tyndareus’ Tochter, Königin, was ist geschehn?

Was hast du erfahren, warum willst du das Opfer bereiten?

Seht!

Die Altäre der Götter –

Der Götter im Licht

Und im Dunkel der Nacht,

Der Götter im Himmel

Und der Götter, die unter uns sind:

Schaut da! Und drüben! Und hier!

Die Flammen, genährt vom heiligen Öl,

Wie sie leuchten!

Betört und umschmeichelt,

Verzaubert vom nährenden Trank:

Brennt heller! Strahlt im Palast!

 

Sprich, Klytaimestra,

Und verbirg nicht,

Wenn du darfst,

Was uns nützt.

Heile die Sorge,

Die uns bedrängt,

Heile die Angst

Und nähre die Hoffnung:

Aufleuchtend im Feuer,

Ein Spiegel der Brände,

Vertreibt sie die Qual,

Die unersättliche,

Sinnverzehrende,

Die mir das Herz zernagt.

 

Reden will ich und das Zeichen benennen,

Das Glücksmal unserer Herren,

Das – Stern des Aufbruchs! – erstrahlte,

Als sie Argos verließen.

Noch kann ich tanzen,

Noch schenkt,

Klang und Hauch

Und Tanz und begeisterte Rede,

Gott mir die Kraft des Gesangs –

So alt ich auch bin.

 

Singen will ich

Und mich erinnern,

Wie die Fürsten Achaias,

Agamemnon und Menelaos,

Einträchtig den Heeren geboten,

Der jungen Mannschaft Griechenlands:

Wie sie, den Speer in den Händen,

Den rächenden Blitz,

Nach Troja aufbrachen –

Von den Vögeln geleitet,

Den Raubvögeln ihnen voran:

Der eine schwarz,

Der andere weißgefiedert,

Hell wie der Schnee.

 

Luftkönige waren’s,

Die den Flottenkönigen,

Nah bei der Burg,

Von rechtsher erschienen:

Auf weithin sichtbarem Horst.

Singen will ich,

Wie sie hoch auf dem Felsen

Die Häsin verschlangen

Und ihr, die trächtig war,

Das Ungeborene nahmen

Kurz vor dem Ziel.

Wehe! Ruft wehe!

Aber ruft auch:

Das Gute soll siegen!

 

Singen will ich, wie Kalchas, der Seher,

Klug ist er und geschickt,

Singen will ich, wie der Priester

Die beiden Atriden anblickte,

Agamemnon und Menelaos,

Und in den ungleichen Führern des Zuges

Die Hasenzerfleischer,

Den schwarzen und weißen Adler,

Wiedererkannte.

»Eines Tages«,

Das war sein Spruch,

»Wird dieses Heer

Priamos’ Feste erobern.

Packen wird es die Troer

Und, so will es das Schicksal,

Die Schlösser und Häuser

Der Schätze berauben:

Den Adlern vergleichbar, die eine trächtige Häsin ausschlachten.

Tot wird Troja sein,

Es sei denn – möge das niemals geschehen! –,

Ein neidischer Gott

Zerbräche den Ring um die Stadt,

Die eiserne Spange,

Bevor sie sich schließt.

Dann wehe dir, Kriegsvolk!

Artemis zürnt den Flügelhunden des Vaters,

Den Adlern,

Weil sie die trächtige Häsin,

Bevor sie gebären konnte,

Zerrissen.

Verhaßt ist Artemis das Mahl:

Häsin und Frucht,

Von den Vögeln zerrissen!

Wehe! Ruft Wehe!

Aber ruft auch:

Das Gute soll siegen!«

»Artemis! Göttin!

Freundlich bist du«,

Hat Kalchas gesagt,

»Und, ich weiß es allzugut«

(Hat er gesagt)

»Den Berglöwen hold,

Der hilflosen Brut

Und dem säugenden Wild auf der Weide,

Das nach den Mutterzitzen sucht.«

»Herrin, ich flehe dich an«

(Hat er gesagt)

»Bewahre, was gut war am Zeichen:

Schau auf die Adler!

Verdecke, was schlecht war:

Blick nicht auf die Häsin!

Und du, Apollon, heilender Gott,

Hilf, daß sie die Winde nicht hemmt,

Artemis,

Die Lüfte wehen läßt

Und die Schiffe nicht lähmt.

Hilf, daß sie kein anderes Opfer verlangt,

Ein Schlächtermahl,

Das nicht zu essen ist:

Das Mädchen

Statt der Häsin hingemacht!

Ein Menschenmahl,

Das Haß gebären

Und den Opferknecht nicht schlafen lassen wird.

Es wartet auf ihn,

Drinnen im Haus,

Gleich einer tückischen Beschließerin,

Die Rachsucht:

Im Dunkel kauernd

Bricht sie, des Mädchens gedenkend, hervor

Und wird das Opferkind rächen.«

So hat Kalchas gesprochen: Gutes verkündend

Dem Königspalast

Und Schlimmes zugleich:

Die Vögel wiesen den Weg.

Wehe! Ruft Wehe wie er!

Aber ruft auch,

Wie Kalchas,

Das Gute soll siegen!

 

Zeus! Zeus, wer du auch seist,

Wenn es dir lieb ist, so genannt zu sein,

Will ich dich gerne so rufen.

Nichts ist dir vergleichbar, Zeus,

Erwäge ich alles – außer dir selbst.

So nenn ich dich: Zeus,

Um die Last des vergeblichen Denkens

Von mir zu werfen.

Denn Zeus verständig zu preisen,

Bedeutet vernünftig zu sein,

Um Frieden zu finden.

Er führt die Menschen zum Denken,

Belehrt sie durch Leiden,

Gibt ein Gesetz.

Wenn auch die Sorge, Unglück erweckend, den Schlaf vom Herzen vertreibt:

Am Ende naht sich das Wissen auch dem,

Der sich sträubt.

Göttliche Gnade steuert gewaltig und ernst

Mit den Schlägen des Ruders

Das Schicksal der Menschen.

 

Erinnert euch: Vor Aulis war es!

Artemis, erzürnt,

Weil Agamemnon, der Fürst,

Ihre heilige Hirschkuh getötet,

Hemmte den Sturm.

 

Langsam und böse

Wehten die Winde vom Strymon,

Brachten den Hunger,

Peitschten die Wellen,

Schufen Verwirrung,

Zerrissen die Planken und Seile,

Und eine Dürre

Biß sich ins Heer der Argiver.

Da nannte Kalchas, der Seher, ein Mittel,

Das schlimmer war als der Sturm,

So bitterlich,

Daß die beiden Atriden

Den Stab in den Sand hineinstießen

Und weinten.

 

Und Agamemnon, der ältere Bruder, begann zu reden und sagte:

Wehe mir, wenn ich dem Seher nicht folge.

Und wiederum wehe, wenn ich mein Kind,

Des Hauses Kleinod,

Iphigenie,

Mit den eigenen Händen erwürge,

Nah am Altar.

Nichts ist frei von Verhängnis,

Und unentrinnbar Artemis’ Zorn.

Soll ich die Schiffe verlassen,

Ein Fahnenflüchtiger sein?

Nein! Lieber das Opfer und lieber der Zorn,

Und mehr als der Zorn

Und die Gier nach dem Blut,

Dem Mädchenblut,

Das, segenbringend, die Gerechtigkeit verlangt.

Ins Joch der Not gespannt,

Brütend, dem Wechselwind vergleichbar,

Hierhin schweifend, dorthin eilend,

Gedanken wendend und

Gottverlassen,

Beschloß er, um alles zu wagen, die Tat

Und duldete es,

Der Tochter-Töter,

Dem Weiberkrieg

Das Opfer zu bringen.

 

Ein Nichts die Bitten

Und die Rufe,

Die dem Vater galten,

Nichts die Jugend,

Vergeblich die Schreie:

Die Feldherrn wollten ihren Tod,

Der Vater aber sagte sein Gebet

Und hieß den Opferknecht,

Sie, einer Ziege gleich, mit schleppendem Gewand

Hoch in die Luft auf den Altar zu schleudern,

Gefesselt, einen Knebel tief im Mund,

Damit sie nicht dem Hause fluchen konnte.

Das Krokuskleid glitt ab,

Die Seile schnürten ihre Haut.

Sie aber schaute,

Wie ein stummes Bildnis,

Ihre Henker an;

Mit einem Pfeilgeschoß des

Blicks versuchte sie zu sprechen

Und die Herzen all der Männer zu bewegen,

Die sie so oft in ihres Vaters Haus begrüßt,

Wenn sie, zu Agamemnons Preis,

Beim Opfermahl, das Festlied sang.

 

Was dann geschah,

Ich sah es nicht, ich weiß es nicht, ich sag es nicht.

Doch Kalchas’ Seherspruch war nicht umsonst gesagt,

Das Recht

Lehrt im Leiden zu lernen,

Allzufrüh noch erfahrt ihr die Zukunft.

Im Glanz des Morgens, gleichen Schrittes mit ihm,

Steigt sie herauf: was immer begann, glücklich ende es nun.

So wünscht es Klytaimestra,

Die das Haus bewacht

Und dieses Land:

Sie ganz allein.

CHOR:

O Herrin, deiner Macht nah ich in Ehrerbietung,

Denn das Recht verlangt, daß man die Frau des Herrschers,

Wenn der Thron verwaist ist, wie den König selbst verehrt. –

Du gehst zum Opfer. Hast du Hoffnung? Oder weißt du Sicheres?

Kam eine Botschaft an? Gib mir Bescheid.

KLYTAIMESTRA:

Mit einer guten Kunde, heißt’s im Sprichwort,

Soll das Morgenrot erscheinen, wenn die Nacht vorüberging.

So hört die Freudenbotschaft, über alle Hoffnungen groß:

Troja ist besiegt.

CHOR:

Was sagst Du? Ich versteh dich nicht!

KLYTAIMESTRA:

Daß Troja unser ist. Sprech ich nicht klar?

CHORFÜHRER(unter Tränen):

Es ist die Freude, Herrin, die mich weinen läßt.

KLYTAIMESTRA:

Dein Auge zeigt: Du bist ein braver Mann. Du meinst es gut.

CHOR:

Doch hast du auch Beweise? Gibt es Zeichen?

KLYTAIMESTRA:

Es gibt eins. Ja. Wenn mich der Gott nicht trog.

CHOR:

Vielleicht nahmst du ein Trugbild wahr?

KLYTAIMESTRA:

Schlaftrunknen Sinnen würd ich niemals Glauben schenken.

CHOR:

Dann hat dich ein Gerücht betört?

KLYTAIMESTRA:

Du tadelst mich, als wäre ich ein kleines Kind.

CHOR:

Wann aber fiel die Stadt?

KLYTAIMESTRA:

In dieser Nacht. In dieser Nacht, die diesen Tag gebar.

CHOR:

Doch welcher Bote hat dir, in so kurzer Zeit, die Nachricht überbracht?

KLYTAIMESTRA:

Hephaistos, der den hellen Schein vom Ida warf,

Und die Stafettenpost, von Feuerbrand zu Feuerbrand, entzündete.

Vom Ida ging’s zum Hermes-Stein auf Lemnos;

Dann nahm den Fackelglanz der Insel das Gebirge an,

Zeus’ Heiligtum, der Athos, sprühte auf, so daß die Flammenwanderin

Das Meer durchschwamm: ein Sonnenglanz der Freude,

Der das Licht zur Klippe des Makistos trug.

Auch die besann sich nicht und warf, vom Schlummer unberührt,

Den Botenteil hinaus, damit der Brand in jähem Lauf

Die Wasser des Euripos überflöge und die Wächter auf Messapios erreichte.

Ein Bündel dürren Heidenkrautes flammt’ empor; das Feuer, neugestärkt,

Durchschoß, dem hellen Mondstrahl gleich, die Ebene Asops,

Gelangte zum Kithairon und erweckte einen neuen Brand,

Noch höher lodernd als zuvor, weit über den Gorgopis-See hinweg

Bis hin zum Aigos-Planktos-Fels. Dort schürten sie den Feuerball

Mit unverzagtem Herzen, und sie jagten ihn als einen roten Schweif

Über das Spiegelmeer hinweg zum Spinnenberg. Von da kam er

In dieses Haus: Das Kind des Ida war am Ziel.

Dies war der Flammenweg, von Anbeginn bis hier,

Das Feuerzeichen, das mein Mann

Von Troja bis nach Argos sandte.

CHOR:

Noch einmal, Herrin, hebe ich die Hände

Auf zum Himmel, voll von Dankbarkeit.

Noch einmal, staunend, möchte ich dich hörn.

Sprich weiter, Herrin, brich nicht ab.

KLYTAIMESTRA:

Die Griechen halten Troja fest in ihrer Hand, an diesem Tag,

Ich bin ganz sicher, daß ein wirrer Schrei die Stadt durcheilt.

Wie Öl und Essig sich im gleichen Kruge nicht vermischen,

So bleiben auch die Stimmen der Besiegten und der Sieger

Stets einander fremd. Die einen kauern bei den Leichen

Der Gefallenen, beweinen ihren Vater, ihren Bruder, ihren Sohn

Und klagen ihr Geschick mit Sklavenmündern an.

Die andern aber irren durch die Nacht,

Und plündern beutesuchend Trojas Häuser.

Seit heute wohnen Griechen in den troischen Palästen.

Der Krieg ist aus. Sie sind befreit von Nässe, Sturm

Und feuchtem Tau. Sie müssen jetzt nicht mehr im Freien lagern.

Nein, wachenlos und glücklich schlafen sie die ganze Nacht.

Wenn sie die Götter der Besiegten und die Tempel

Dort im Land, das sie eroberten, in Ehren halten, dann …

Dann könnt es sein, daß aus den Siegern nicht Besiegte werden.

Leicht wird ein Heer aus Beutelust verführt,

Auch das Verwehrte anzutasten.

O bliebe fern den Unsern solche Gier!

Noch sind sie nicht zurück,

Der zweiten Fahrt durchs Meer bedarf es noch,

Eh man von Rettung sprechen kann.

Wenn ohne Frevelschuld das Heer nach Hause kommt,

Wenn es nicht abermals ein böses Schicksal trifft –

Erst dann ist alles gut.

So denke ich. Ich, eine Frau.

Viel Gutes bahnt sich an, das ich genießen möchte.

Was schön und recht ist, das soll siegen: ohne einen bittern Rest.

CHOR:

O Herrin, weise wie ein Mann hast du gesprochen.

Ich aber rüste mich, die Götter anzurufen.

Was macht die Mühe aus, wenn sie uns gnädig sind.

Klytaimestra ab

CHOR:

Zeus, König im Himmel, und du, freundliche Nacht,

Schmuckreiche, die über Trojas Türmen

Das dunkle Netz zusammenzog,

Daß keiner, kein großer, kein kleiner,

Der Knechtschaft entkam

Und dem allesvernichtenden Schicksal.

Zeus, Schirmherr des Gastrechts,

Du hast es getan,

Du hast auf Paris den Bogen gerichtet.

Nicht über die Sterne hinweg,

Nicht zur Unzeit

Traf dein Geschoß.

 

Betrachtet die Spur!

Wie Zeus getroffen hat

Und wen er schlug:

Zu Tag liegt es jetzt.

Was Aisa, das Schicksal, beschloß,

Hat er getan.

 

Nichts sagt:

Unweise ist,

Wer da meint,

Die Götter schauten nicht hin,

Wenn einer,

Glanzgeblendet,

Heiliges mit Füßen tritt.

Das Los der Kinder

Zeigt die Gier der Väter an:

Krieg! schnaubten sie,

Blähten die Nüstern,

Füllten die Häuser

Wider Recht mit Schätzen an,

Kannten kein Maß:

Immer höher,

Und über das Beste hinaus!

Klug ist,

Wer sich bescheidet.

Genug mag’s ihm sein,

Wenn die Not ihn verschont:

Fern von Leiden zu sein,

Das ist das Beste.

Nicht hilft Reichtum

Dem Mann,

Der den Altar der Gerechtigkeit

Zertritt:

Übersättigt von Gold, wie er ist!

 

O Schoßkind des Unheils,

Verführung, Schmeichelwort,

Vor dem es keine Rettung gibt:

O Zaubertrug schmeichelnder Rede!

Verborgen nicht bleibt die Schuld.

Nein! In Finsternis strahlend,

Nachterhellend

Tritt sie zu Tag.

Der schlechten Münze gleich,

Die, abgerieben, glatt von Stoß und Griff,

Bald den falschen Silberglanz verliert

Und, schwarz und stumpf,

Die wahre Herkunft zeigt,

Hält auch der Frevler keiner Probe stand:

Ein Knabe ist er,

Der den Vogel fangen will,

Den schnell beschwingten,

Und die Stadt dabei in Schmach und Elend stürzt.

Kein Gott hört seinen Schrei,

Wenn einer,

Mit gutem Gedächtnis,

Sich umwendet

Und den Täter vernichtet.

Jämmerlich stürzt der:

Wie Paris,

Der Atreus’ Palast

Und die gastliche Tafel geschändet,

Helenas Räuber!

 

Helena! Weh dir!

Zurückgelassen hast du uns,

Den Bürgern dieser Stadt,

Den Ruf der Wagen,

Schildgedröhn

Und den Schrei der Matrosen

Am Hafen,

Die sich einschiffen mußten,

Und das Weinen der Frauen.

Als Hochzeitsgeschenk

Hast du den Troern

Ihren Tod gebracht:

Die blutige Mitgift!

Wagend, was nicht gewagt werden darf,

Bist du mit schwebendem Fuß

In die Stadt eingeschlüpft:

Hurtig und leicht

Wie eine Tänzerin.

Die Türen öffnen sich.

 

»O Haus! O Ihr Fürsten!«,

Riefen die Seher

Und seufzten,

Die Vertrauten des Palasts,

»O Spur der Hure!

Brautbett! Pfad der Buhlerin!«

Der Verlassene aber,

Beschimpft und entehrt,

Still sitzt er da:

Glaubt es nicht,

Redet nicht,

Zürnt nicht –

Ein Stummer,

Der im Traum,

Über das Meer hinweg,

Mit Helena spricht:

Ihr Schatten,

Träumt er,

Waltet noch im Haus.

Verhaßt ist ihm

Die Anmut

Gemeißelter Bilder.

Die Schönheit,

Das Bunte,

Der Liebreiz der Statuen

Ekelt ihn an.

Seine Augen sind leer,

Der Blick ist verstört,

Aphrodite hat ihn verlassen.

 

Traumgesichter,

Die Kinder des Schmerzes,

Quälen, Trugfreuden bringend,

Sein Herz.

Verweht, bevor er es berühren kann:

Das Traumbild,

Das ihm durch die Hände huscht –

Entschwunden

Auf dem Flügel des Schlafes,

Kehrte nie zurück.

 

Der Wahn hockt im Palast,

Die Angst besetzt den Herd

Und will nicht gehn.

Und doch, so groß es ist,

Das Leid im Königshaus:

Es gibt ein größeres:

Den Krieg!

Die Männer sind im Feld,