Alles nur Theater - Katerina Jacob - E-Book
SONDERANGEBOT

Alles nur Theater E-Book

Katerina Jacob

4,9
13,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 13,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Katerina Jacob hat mehr als 33 Jahre ihres Lebens auf der Straße verbracht. Von Quakenbrück bis Waldkraiburg, von Lennestadt bis Vöcklabruck tourte sie mit verschiedenen Theateraufführungen durch die Provinz. Ein interessanter, aber auch ein harter Job, in dem man oft an seine Grenzen stößt – sowohl mental als auch körperlich. Katerina Jacob erzählt in ihrer unverwechselbaren humorvollen Art von all den absurden, komischen, schockierenden und außergewöhnlichen Dingen, die sie auf ihren Tourneen erlebt hat. Ob es ein Schwert ist, das sich während eines Duells auf der Bühne selbstständig macht und als gefährliches Geschoss ins Publikum fliegt, oder ihr ausgeklügeltes System, um mit der Hand gewaschene Unterwäsche über Nacht auf dem Hotelheizkörper wieder trocken zu bekommen. Ganz zu schweigen von Pannen, Hängern und Sex auf roten Pumps. Nach ihrem erfolgreichen Erstlingswerk Oh (weia) Kanada hat Katerina Jacob erneut ein unterhaltsames und einzigartiges Buch geschrieben, das nicht nur für ihre Fans eine Pflichtlektüre ist, sondern für alle, die schon immer einmal wissen wollten, wie es hinter den Kulissen eines Theaters wirklich zugeht.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 367

Bewertungen
4,9 (24 Bewertungen)
22
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alles nur

Theater

Katerina Jacob

Alles nur

Theater

Mein abgefahrenes Leben auf Tournee

Katerina Jacob

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

2. Auflage 2020

© 2016 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Antje Steinhäuser

Umschlaggestaltung: Melanie Melzer

Coverfoto der Autorin: © Jan Greune, www.greune.com

Satz: Carsten Klein, München

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7474-0260-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86415-954-1

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86415-955-8

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter

www.m-vg.de

Für meine Mutter Ellen Schwiers, die mir alles beigebracht hat, um in diesem Beruf zu überleben.Danke, dass ich deine Tochter bin.

In Gedenken:

Irmgard Kelpinski, genannt Kelpi, ich sehe dich noch im Büro sitzen umgeben von Zigarettenrauch, unermüdlich Verträge und Tournee-listen tippen. Du hast gefehlt!

Heidrun Schmelzer, eine der besten Bühnenbildnerinnen. Dein Tod hat eine schmerzliche Lücke hinterlassen.

Inhalt

Vorwort

Vorbereitungen

Der Richter von Zalamea

Johnny Belinda (Schweigende Lippen)

Romeo und Julia

Macbeth

Biografie: Ein Spiel

Medea

Damenkrieg

Ein Fremder klopft an

Die Strategie der Schmetterlinge

Der Widerspenstigen Zähmung

Die Mysterien der Liebe oder das unheimliche Phänomen des Testosterons

Die Weihnachtshexen

Bella Donna

Theaterfachausdrücke

Tourneetheater

Scheißgeschichten

Zwei Gründe, warum ich niemals einen Schauspieler geheiratet hätte

Regieanweisungen der eher seltsamen Art

Wie alles begann

Danksagungen

Es ist ein eigenes Volk, das Theatervolk, ebenso verschieden von anderen wie Beduinen von Deutschen. Vom ersten Statisten bis zum ersten Liebhaber setzt jeder Einzelne sich in der Regel in die eine Waagschale und legt die ganze übrige Welt in die andere.

Hans Christian Andersen, dänischer Märchendichter (1805–1875)

Vorwort

34Jahre meines Lebens habe ich auf deutschen, österreichischen und schweizerischen Straßen verbracht. Kreuz und quer! Mal in Bussen, ansonsten im PKW. Von Harrislee bis Waldkraiburg, über Quakenbrück, Lennestadt bis hin nach Vöcklabruck, Bern und Bozen. Ein Tourneefahrer kennt jede kleine Stadt, jedes chinesische oder italienische Restaurant, jedes Bürgerhaus, jede Aula, all die unbespielbaren Stadthallen, selten kommt man in wirkliche Theater. Man muss leidensfähig sein, möglichst keine Beziehung, geschweige denn eine Familie haben, über eine stahlharte Gesundheit verfügen und bereit sein, sich über Monate von Tütenfutter zu ernähren. Tourneefahren bedeutet: jeden Tag in einer anderen Stadt aufzuwachen, jeden Tag bis zu 500 Kilometer zu fahren, jeden Tag in dieselben stinkenden Klamotten zu schlüpfen, jeden Tag eine andere Bühne zu meistern und jeden Tag zu versuchen, seine Kollegen bis zum Schluss lieb zu haben. Wem dies alles gelingt, der darf sich zu Recht Schauspieler nennen! Ach ja … ich hab die schlechte Bezahlung vergessen. Früher haben sich Kollegen nicht selten für 50 Mark am Abend abgemüht, Hotels mussten selbst bezahlt werden. Der Kampf um die billigsten Zimmer war Usus und wurde oft mit unfairen Mitteln geführt. Nicht selten hatte man über 100 Vorstellungen am Stück! Wenn man am Ende einer Tournee auf den Tacho starrte, hatte man öfters einmal die Welt umrundet, sprich über 40 000 Kilometer auf den Straßen Deutsch sprechender Länder verbracht. Wen wundert’s, dass es passieren konnte, wenn man völlig zerschlagen von einer Mammuttournee nach Hause kam, dass einen die Kinder siezten, der Mann schon längst Ersatz gefunden hatte oder, im schlimmsten Fall, die Familie beschlossen hatte, der Mama was ganz besonders Gutes zu tun, indem man in ihrer Abwesenheit einen schönen Urlaub im HOTEL für die gesamte Familie gebucht hatte. Das war dann die Höchststrafe!

Mit 22 Jahren bin ich meine erste Tournee gefahren und mit 56 meine vorerst letzte. 34 Jahre habe ich auf Deutschlands Straßen verbracht, ich habe die kulturelle Entwicklung meiner Heimat mit Bedauern beobachtet. Das Tourneegeschäft ist vom Aussterben bedroht, meine Mutter Ellen Schwiers und ich sind die letzten Neuberinnen gewesen, die selbst auf der Bühne gestanden haben. Unser »Ensemble« hat 2014 seine Pforten geschlossen, nach über 30 Jahren.

Wir waren immer bemüht, bestes Theater1 zu liefern, doch das kostet. Viele Städte haben ihre Kulturbetriebe auf über 50 Prozent zurückschrauben müssen, die Benzinkosten sind, genauso wie die Hotelkosten, explodiert und für gute Schauspieler muss man bereit sein zu zahlen. Früher verkauften wir locker über 100 Vorstellungen, nun ist man froh, wenn man die 40 erreicht. Dies Buch ist all denen gewidmet, die sich nach wie vor über deutsche Straßen quälen, all den unermüdlichen Kulturdezernenten, die versuchen, nach wie vor ihre Theaterstätten mit anspruchsvoller Unterhaltung zu füllen. Danke an alle Hotels, die uns aufgenommen und gesponsert haben und damit einen kulturellen Beitrag geleistet haben. Mein ganz spezieller Dank geht an das Publikum, ohne euch sind wir überflüssig.

Ich liebe es, Theater zu spielen.Es ist so viel realistischer als das Leben.

Oskar Wilde, irischer Lyriker, Dramatiker und Bühnenautor (1854–1900)

Vorbereitungen

Der gemeine Tourneeschauspieler ist, im Gegensatz zu seinen Kollegen, die an festen Häusern spielen und jeden Abend nach der Vorstellung an den heimischen Herd eilen können, gezwungen, fast jede Nacht sein müdes Haupt in einem anderen Hotel zu betten. Dies bedeutet eine akribische Vorgehensweise beim Zusammensammeln der Dinge, die im Gepäck nicht fehlen dürfen. Wenn man mit dem Reisebus unterwegs ist, darf man bis zu drei Gepäckstücke einladen, im PKW nur einen größeren Koffer und Handgepäck. Ich persönlich bevorzuge die zweite Variante, da man unabhängiger und schneller unterwegs ist.

Was in meinem Koffer niemals fehlen darf, ist: ein Daunenkissen, nichts ist schlimmer als die mit Plastik vollgestopften, unbeweglichen Hotelkissen. Ein Picknickkorb, inklusive Besteck, Tellern und Gläser, für die Brotzeit nach der Vorstellung, da nach 22 Uhr, bis auf Chinesen, Italiener oder Griechen, alle Restaurants geschlossen haben. Ein Wasserkocher für die Tütensuppen, sehr zu empfehlen ist auch der Instant-Kartoffelbrei mit Röstzwiebeln und Brotcroûtons. Hausschuhe, immer noch gibt es in vielen Hotels die mit Fußpilz infizierte Auslegware, und so ein Pilz kann langwierig sein, glauben Sie mir! Tabletten gegen Migräne, Durchfall, Verstopfung, für den Kreislauf, jede Menge Halstabletten, Tropfen für die Stärkung des Immunsystems, Schmerzmittel, da meistens dann Zahnschmerzen auftauchen, wenn man es so gar nicht gebrauchen kann, und alles Erdenkliche gegen eine Erkältung, auch die Schauspielerpest genannt. Die meisten Tourneen sind von Oktober bis Dezember unterwegs und von Januar bis April, also in den wettertechnisch fiesen Monaten. Des Weiteren Bücher. Nach einer Vorstellung kann man meist nicht einschlafen, auf der einen Seite hat man Glück, da das gute Fernsehprogramm erst ab 22.30 Uhr einsetzt, auf der anderen Seite muss man morgens wieder fit sein und hat endlich Muße, die Romane zu lesen, für die man sonst keine Zeit hat. Ganz wichtig, Rei in der Tube für die kleine Wäsche zwischendurch, aber achten Sie darauf, dass erstens die Heizung geht und zweitens Sie einen Heizkörper haben, auf dem Sie Ihre Unterhosen trocknen können. Manchmal habe ich sogar eine Nespresso-Maschine dabei. Bilder der daheim gebliebenen Familie, damit man sie nach vier Monaten auch noch erkennt. Decken fürs Auto und natürlich darf mein Kuscheltier Piwi nicht fehlen. Seit dem Jahr 2000 begleitet mich ein Stofftier in Form eines deformierten Schweinchens auf meinen Reisen.

Andere Kollegen schleifen Radiatoren mit, 60-Watt-Glühbirnen, Hanteln, Alkoholika diversester Natur, Schlafsäcke, Massagegeräte, um nur einiges an bizarren Reiseutensilien zu nennen. Mein Onkel Holger Schwiers schwört auf seinen eigenen Duschkopf, da diese in den meisten Hotels völlig verkalkt sind. Man sollte seinen Koffer auch nur halb voll packen, da im Laufe einer Tournee eine Menge an Frustkäufen dazukommt. Auch empfiehlt es sich, eine kleinere Tasche dabeizuhaben, da man das ewige Kofferschleppen, besonders nach dem vierten Hotel ohne Lift, irgendwann satt hat und man seine wichtigsten Sachen umpacken kann. Meist ist weniger mehr.

Ich bin nur zwei Tourneen im Bus gefahren und fand es grauenhaft. Immer kommt einer zu spät und der Busfahrer muss alle vier Stunden Pause machen. Im PKW muss ich zwar selber fahren, aber ich kann mir meine Besatzung und die Abfahrtszeit selbst aussuchen, ganz davon abgesehen, dass man schöne Ausflüge machen kann und sehr viel schneller als der Bus unterwegs ist. Pro Auto drei Personen, das ist angenehm, vor allem seitdem es Navigationssysteme gibt und man nicht mehr von dem Kartenleser auf dem Beifahrersitz abhängig ist. Die einzelnen Teams bestücken ihre Autos immer individuell. Was bei mir nicht fehlen darf, sind Eiskratzer, Handbesen, trotz Navi-Straßenkarten (mindestens zwei), Gummibärchen, Schokolade, Decken und Kissen. Der Tourneeplan in mehreren Ausführungen und immer, immer müssen die Handys an sein, da man oft die andere Truppe erreichen muss, um vor Blitzern oder Staus warnen zu können.

Hat man sich schließlich tränenreich von seiner Familie und Freunden verabschiedet, kann es losgehen!

Das tragische Theater hat einen großen moralischen Nachteil: Es überschätzt die Bedeutung von Leben und Tod.

Nicolas-Sebastien de Chamfort (1741–1794), französischer Schriftsteller

Der Richter von Zalamea

Pedro Calderón de la Barca (1600–1681)

Ich werde aus gegebenem Anlass versuchen, eine Inhaltsangabe zu basteln, die man halbwegs verstehen kann. Die Betonung liegt auf halbwegs! Also: Das Ganze spielt im Jahr 1580. König Philipp II. von Spanien begibt sich auf den Weg ins besiegte Portugal und schleift seine Soldaten mit. Der reiche Bauer Crespo lädt den Hauptmann Don Alvaro mit seinen Männern ein, bei ihm Zwischenstation auf seinen Weg nach Portugal einzulegen. Schön blöd! Irgendwie traut er den Soldaten nicht, denn sicherheitshalber versteckt er seine schöne Tochter Isabell. Das macht natürlich den Hauptmann ganz kirre, der so ein richtiger Macho-Arsch ist und durch einen fingierten Kampf mit einem seiner Männer in die Gemächer Isabells eindringt und nun völlig hin und weg ist, denn die Kleine ist ein echter Appetithappen. Ab jetzt wird es richtig kompliziert. Der General kommt zurück, erkennt, dass seinem Hauptmann das Gehirn in die Hose gerutscht ist, und beschließt, ihn am nächsten Morgen aus Sicherheitsgründen weiterzuschicken. Nun wird er aber in der Nacht abgerufen, ich meine den General, tja, und kaum ist die Katze aus dem Haus … Der Hauptmann ergreift die Gunst der Stunde, kidnappt Isabell und vergewaltigt sie. Ab jetzt spielt alles im Wald … super für Tournee! Den Papa, Bauer Crespo, schlagen sie nieder und schleppen ihn ins Unterholz und fesseln ihn an einen Baum. Nachdem der Hauptmann mit Isabell fertig ist, setzt er die Geschundene auch in der Botanik aus (ab jetzt ist die Hälfte der Zuschauer eingeschlafen). Dann gibt es noch einen jähzornigen Bruder, der den Hauptmann zum Zweikampf fordert und ihn verletzt. Isabell hat ihren Papa unterdessen im Wald gefunden (wow) und befreit ihn, während sie ihm vorjammert, entjungfert worden zu sein. Papa ist zu Recht sauer, (Spanier haben ja bekanntermaßen einen eher zurückhaltenden Humor) und bevor er wutschnaubend ins Dorf eilen kann, kommt die gute Botschaft, dass er von den Dorfbewohnern zum Richter ernannt worden ist (wie Isabell ihn im Wald gefunden hat, wird für immer ein Rätsel bleiben, oder er war an einer Hauptverkehrsader an einen Baum gefesselt). Da er nun Richter ist, bittet er den Hauptmann, Isabell zu ehelichen. Die muss aber ziemlich langweilig gewesen sein, da der Hauptmann sich vehement weigert. Nun ist der Papa wirklich stocksauer und lässt den Hauptmann hinrichten. Darf er eigentlich nicht, weil der Tote doch ein Soldat und von edler Geburt ist. (Inzwischen sind gute 90 Prozent der Zuschauer eingenickt, der Rest sitzt verbissen sein Geld ab.) Dann taucht plötzlich König Philipp auf, gibt nach endlosem Gelaber dem Richter Recht und ernennt ihn zum Richter auf Lebenszeit und alles ist gut. Der Sinn des Ganzen? Bürgerlicher niederer Geburt, aber sehr weise, richtet über Adeligen von hoher Geburt und bekommt Recht. GÄHN!

Dieses aufwühlende Stück sollte das erste sein, mit dem ich touren würde. Das Unternehmen hieß »Die Szene« unter der Führung des Ehepaares Kugelgruber. Der Regisseur hieß Oswald Döpke, mit dem ich zuvor schon einige TV-Spiele verwirklicht hatte. Meist Literaturverfilmungen wie Nathan der Weise oder Woyzeck. Wir kannten und mochten uns. Der schwergewichtige Hans Wyprächtiger würde den Bauern Crespo geben, ich seine Tochter Isabell und Bernhard Letizky den Hauptmann, um nur die drei Hauptrollen zu nennen. Das Bühnenbild war, gelinde gesagt, kontraproduktiv: doppelstöckig (völlig irre auf Tournee wegen des ständigen Auf- und Abbaus), bestehend aus schwarzen Balken, die mit hellen Leinentüchern abgehängt waren. Da das Stück zur Hälfte im Wald spielt und das Bühnenbild aber nicht veränderbar war, setzte Oswald wohl auf die große Fantasie der Zuschauer. Die Klamotten waren schwer und unbequem. Einige der Szenen fanden im ersten Stock des Bühnenbildes statt, so auch das erste Kennenlernen von dem Hauptmann und Isabell sowie der Zweikampf des Bruders mit Alvaro. Wir hatten kaum Platz und die Kostüme trugen einiges zu unserer Bewegungsunfähigkeit bei.

Wir waren elf Personen inklusive des Busfahrers, der auch für die Requisite verantwortlich war und eine stumme Rolle spielte. 95 verkaufte Vorstellungen standen uns bevor.

Für mich war es das dritte Mal, dass ich auf den Brettern, die die Welt bedeuten, stehen würde. Mit 19 hatte ich das Gretchen im Faust auf der riesigen Freilichtbühne von Bad Hersfeld gegeben und kurze Zeit später spielte ich in dem Zweipersonenstück Zu dir oder zu mir in dem winzigen Contra-Kreis-Theater in Bonn. Meine Mutter tourte schon seit Jahren mit der Münchner Schauspielbühne, und so wusste ich annähernd, was mich erwarten würde (grau, teurer Freund, ist alle Theorie).

Die Proben fanden in München statt. Oswald und ich waren ein eingespieltes Team, da wir schon oft miteinander gearbeitet hatten, alle anderen waren ihm fremd. Er war ein absoluter Hypochonder und stopfte sich immer mit Zeitungen aus, um sich vor den allgemeinen Anfeindungen des Lebens zu schützen, wodurch er sehr viel dicker wirkte, als er eigentlich war, ein hochintelligenter und wahnsinnig witziger Zeitgenosse. Allerdings konnte er auch schnell wütend werden, wenn etwas nicht so klappte, wie er es erwartete. Ich war holde 22, hatte schon den Bambi für den Film Grete Minde eingesackt und arbeitete am Fließband fürs Fernsehen. Ich freute mich auf die Tour. Jeden Tag in einer anderen Stadt und auf einer neuen Bühne. Spannend! Wenn Oswald etwas nicht passte, fing er immer an, MICH anzubrüllen. Irgendwann beschwerte ich mich weinend bei ihm ob der ungerechten Behandlung. Er hatte mich zum wiederholten Mal im Beisein der Kollegen während der Probe zur Schnecke gemacht.

»Aber Süße! Dich mein ich doch gar nicht! Ich meine Hans!«, erklärte er.

»Aber warum schreist du dann MICH an?«

»Du kannst es vertragen und verzeihst mir und vor lauter Schiss, dass es auch deine Kollegen treffen könnte, funktionieren sie.«

Was für eine bestechende Logik, auch Feigheit genannt. Aber die Rechnung ging auf. Nur dass ich jetzt auf sein Gebrüll überhaupt nicht mehr reagierte, was die Kollegen mit Bewunderung quittierten. Doch eines Tages, als er mal wieder wie ein Berserker fluchte und schimpfte, schrie er mich an: »Jetzt mein ich DICH!« Das reduzierte meine Lässigkeit dann allerdings um ein gutes Stück.

Die Premiere sollte in Ludwigshafen am Rhein, Rheinland-Pfalz, stattfinden. Ludwigshafen ist die größte Stadt der Pfalz. Die Stadt ist vor allem als Sitz des Chemiekonzerns BASF bekannt und ist Schauplatz der Krimireihe Tatort, mit den von mir sehr geschätzten Kollegen Ulrike Folkerts und Andreas Hoppe. Unterwegs waren wir in einem Bus, ich saß in Reihe 13, mein Zimmer im »Maritim Hotel« hatte die Nummer 113 und die Premiere fand am 13. Januar statt. Am Tag der Generalprobe (einen Tag vor der Premiere) traf sich die Truppe nach einer erfolgreich bestandenen Vorstellung noch an der Bar. Der Aberglaube sagt: War die Generalprobe gut, wird die Premiere schlecht, und andersherum. Oswald war in Höchstform und unterhielt uns mit seinen wunderbaren Geschichten. Es wurde viel getrunken und er begann heftig mit mir zu flirten. Nach so vielen überstandenen Produktionen nun plötzlich das? Ich mochte ihn wirklich sehr und verehrte ihn als Regisseur, aber als Mann war er mir denn doch ein wenig zu alt. Ich möchte jetzt nicht alles auf den Alkohol schieben, aber ein wenig half er schon, die Hemmschwelle zu überwinden. Wir landeten in meinem Zimmer, der Rest ist Schweigen. Die Premiere war überstanden und nun konnte es losgehen. Oswald fuhr zurück nach München und überließ die Truppe sich selbst.

Wir waren ein gutes Team, bis auf eine arme Kollegin, die uns mit ihrer Sparsamkeit und ihrem Geiz in den Wahnsinn trieb. Wenn wir abends in der Kneipe saßen und aßen, setzte sie sich vor ein kleines Bier und wartete begierig darauf, ob wir etwas von unserem Essen übrig lassen würden. Schoben wir die Teller mit den Resten beiseite, schnappte sie sich diese und verputzte alles. Ab und zu erbarmte man sich und lud sie zum Essen ein. Trotzdem ärgerten wir uns. Sie bekam die gleichen Diäten wie wir und wir ließen ihr schon bei den billigsten Zimmern den Vortritt. Also beschlossen wir, sie reinzulegen.

Inzwischen waren wir an die vier Wochen unterwegs und der nächste Ort sollte Freudenstadt, in Baden-Württemberg sein, ein hübsches Städtchen im Schwarzwald, das 1599 von Herzog Friedrich I. von Württemberg gegründet worden war und in dessen zahlreichen kleinen Bergwerken im Jahr 1603 immerhin 94 Kilogramm Silber gefördert wurden. Heute ist Freudenstadt ein heilklimatischer Kneippkurort. Uns erwarteten ein schönes Theater und ein altes Hotel mit riesigen Zimmern. Kurt Sternik, der einen der Soldaten spielte, rief einen Tag vorher in dem Freudenstädter Hotel an und bestellte für die Kollegin die Besenkammer als Schlafplatz. Das Hotelpersonal war bereit, den Spaß mitzumachen, und man räumte ein winziges Kämmerchen unterhalb der Treppe aus, in dem normalerweise Putzutensilien gelagert wurden, packte ein Feldbett hinein und zum Waschen einen mit Wasser gefüllten Eimer, als Toilette diente ein guter alter Nachttopf.

Wir waren sehr auf die Reaktion der Kollegin gespannt, vor allem, da sie sich immer zuerst unsere Zimmer anschaute, bevor sie ihr eigenes bezog. Am frühen Nachmittag erreichten wir Freudenstadt. Wie immer heftete sie sich an meine Fersen. Wir betraten mein palastähnliches Zimmer mit Sonnenblumentapete an den Wänden und riesigem Doppelbett, ansonsten eher spärlich möbliert (schön ist anders). Wie immer kam von ihr ein »Ah« und ein »Oh«, dann inspizierte sie noch das Badezimmer, schaute in jeden Schrank, bevor sie sich auf den Weg in ihre Unterkunft begab. Diesmal folgte ich ihr in Vorfreude auf ihr dummes Gesicht, wenn sie die Besenkammer vorgesetzt bekommen würde. Natürlich war vorsorglich ein anderes Zimmer für sie reserviert worden. Meist bekam sie das sogenannte Fahrerzimmer, das sehr viel billiger als die übrigen war, da dort normalerweise der Busfahrer schlief. In unserem Fall hatte Amor gleich zu Beginn der Tournee die Darstellerin der Ines (die Base von Isabell) und unseren Busfahrer zusammengeführt, die sich jetzt ein Doppelzimmer teilten, daher wurde das Fahrerzimmer von ihm nicht mehr benötigt.

So tappten wir also zusammen zur Rezeption, wo uns der Rest der Truppe in freudiger Erwartung empfing. Der Kollegin wurde ein großer Eisenschlüssel überreicht und eine sichtlich gepeinigte Hotelangestellte führte uns um die Ecke und blieb vor einer Tür unter der Treppe stehen. Mit einem Knirschen des Schlosses öffnete die Kollegin die Tür und blickte in das düstere Loch. Dann verschwand sie in der dunklen Kammer – um erst Minuten später wieder zu erscheinen. Wir machten uns innerlich auf einen Riesenkrach gefasst, aber mit ungerührter Miene wandte sie sich an die Hotelangestellte und fragte: »Was kostet dieses Zimmer?« Damit hatte nun wirklich keiner gerechnet, am allerwenigsten die Angestellte. »Da müsste ich die Chefin fragen …« Sprach’s und verschwand in Richtung Rezeption.

Wir starrten uns an, das durfte doch nicht wahr sein! Sie würde doch nicht etwa ernsthaft dieses Loch als Übernachtungsmöglichkeit in Betracht ziehen? Da tauchte das Mädchen von der Rezeption wieder auf und fast flüsternd kamen die Worte »Fünf Mark« aus ihrem Mund.

»Okay, ich nehm das Zimmer, aber könnten Sie mir bitte noch eine Lampe reinstellen, damit ich lesen kann.«

Jetzt war es an uns, dumme Gesichter zu machen.

»Das geht leider nicht, da drin gibt es keinen Stromanschluss.«

»Dann geben Sie mir eine Petroleumlampe.«

»Das ist aus feuerpolizeilichen Gründen nicht erlaubt.«

»Gut, dann nehme ich eine Taschenlampe.«

Verschüchtert schlich die Kleine von dannen. Nun mussten wir die böse Tat gestehen. Der Schuss war nach hinten losgegangen, aber die Kollegin starrte uns nur verständnislos an und meinte: »Aber ich denke gar nicht daran, in ein teureres Zimmer zu gehen, mir reicht das.«

Auch wenn sie uns mit ihrem Geiz wirklich unsagbar auf die Nerven ging, dieses Loch war menschenunwürdig, und so sicherten wir ihr zu, den Restbetrag für ein normales Zimmer zu übernehmen. Auf diesen Deal ließ sie sich freudig ein. An diesem Abend haben wir alle aufgegessen.

Die letzten fünf Tage im Bus war es mir nicht wirklich gut gegangen. Ständig kämpfte ich gegen eine Übelkeit an, ich war allergisch gegen gewisse Gerüche geworden und in der Auswahl der Speisen sehr wählerisch. Was heißt wählerisch? Eigentlich hatte ich nur Lust auf Remouladensauce, Sauce hollandaise oder Mayonnaise. Ich stopfte mir Pommes frites, ertränkt in Mayo, rein oder kaufte mir ein Hühnchen, das ich dann mit Remouladensauce beschmierte. Ein dumpfer Verdacht beschlich mich. Nachmittags beschloss ich, in die nächste Apotheke zu gehen und mir einen Schwangerschaftstest zu besorgen. In dieser Nacht schlief ich sehr schlecht. Morgens folgte ich dem Prozedere der Gebrauchsanweisung und starrte, nachdem ich auf das Röhrchen gepinkelt hatte, gebannt auf die Streifen, ob sich beide verfärben würden. 20 Minuten später hatte ich die Gewissheit, ich war in anderen Umständen, ich war schwanger.

Die menschliche Psyche ist seltsam. Bisher hatte ich meine Übelkeit einer Magenverstimmung zugeordnet und mich zusammengerissen. Doch jetzt, mit der Gewissheit, ein Kind zu erwarten, ließ ich mich total gehen und kotzte mir die Seele aus dem Leib. Dann rief ich bei meinen Eltern an, um ihnen die frohe Botschaft mitzuteilen. Als Erster ging mein Bruder Daniel an den Apparat. »Stell dir vor, ich bin schwanger!« Seine Antwort: »Ich sag nix.« Aufgelegt! Gut, vielleicht hatte er mit seinen 17 Jahren den immens wichtigen Inhalt der Botschaft nicht verstanden. Zweiter Versuch. Nach längerem Klingeln (mein Bruder schien sich verkrochen zu haben) hörte ich die verschlafene Stimme von meinem Onkel Holger, der damals bei uns wohnte, am anderen Ende. »Holger, ich bin schwanger!« Seine Antwort: »Oh, also ich sag es deinen Eltern nicht.« Aufgelegt! Allmählich begann ich zu verzweifeln. Wollte sich denn niemand mit mir freuen? Das war doch die Nachricht des Jahrhunderts! Dritter Versuch. Nach sehr langem Klingeln (Holger hatte sich offensichtlich zu meinem Bruder gesellt) nahm meine Mutter ab. »Mam, ich bin schwanger!« Pause! … Lange Pause! Ihre Antwort: »Ich sag es deinem Vater nicht! Aber wir werden eine Lösung finden.« Aufgelegt!

DAS war ALLES? Kein »Oh Kind, wir freuen uns so!«? Zugegeben, ich hatte keinen Vater dazu zu bieten, musste das Kind allein großziehen und war natürlich auf die Hilfe meiner Eltern angewiesen, wenn ich weiterhin den Beruf der Schauspielerin auszuüben gedachte, aber derart ignoriert zu werden, das war hart. Ich würde es meinem gestrengen Vater bestimmt nicht mitteilen und natürlich hatte ich gehofft, dass mir diese schwere Aufgabe von den anderen Familienmitgliedern abgenommen werden würde. Tja, Pech gehabt!

Nach einer weiteren Kotzrunde packte ich meinen Koffer und ging an die Rezeption, um meine Rechnung zu bezahlen. Die freudige Nachricht meiner Schwangerschaft würde ich erst im Bus verkünden. Erst ließ ich alle anderen einsteigen, um dann zum wiederholten Mal an diesem Tag den Satz von mir zu geben: »Ich bin schwanger!« Diesmal gab es Reaktionen von »erfreut« bis »besorgt«. Letzteres war vor allem unser Tourneeleiter, ein kleines, hageres Männchen, der den General spielte und den ich von allen am wenigsten mochte. Ein sogenannter Korinthenkacker. So auch diesmal. Man könne auf einer Tournee keine Rücksicht nehmen. Was wäre mit den Kostümen im Falle von Gewichtszunahme? Meine Freude schwand dahin. Ich glaube, es gibt im Leben nichts Schlimmeres als enttäuschte Erwartungen. Ich fühlte mich doch so wichtig und man nahm meinen Zustand einfach nur wie nebenbei zur Kenntnis und nun bekam ich auch noch Vorbehalte um die Ohren gehauen. Ich verzog mich auf meinen Platz Nummer 13 und schmollte vor mich hin. Gekommen war ich allein, und mit dem Wissen, zu zweit zu sein, verließ ich das Städtchen Freudenstadt, das seinen Namen in diesem Fall alle Ehre gemacht hat.

Der nächste Ort würde Kamen sein, in Westfalen, ich hatte also genug Zeit, über mein weiteres Leben nachzudenken und Pläne zu schmieden. Als wir am späten Nachmittag im Hotel eincheckten, erwartete mich bereits eine Nachricht von meinem Vater, der um Rückruf bat. Mir ging der Sogenannte auf Grundeis! Mit zitternden Fingern wählte ich die heimische Nummer. Mein Vater hatte offensichtlich neben dem Telefon gesessen, denn er war sofort dran. »Da deine Mutter mich heute den ganzen Tag durch jedes Babygeschäft in Starnberg geschleift hat und ich nicht davon ausgehe, dass sie diejenige ist, die schwanger ist, und sich nur noch ein weibliches Wesen in dieser Familie befindet, bei dem eine Schwangerschaft möglich sein könnte, komme ich jetzt zu meiner Frage: Bist DU schwanger?«

»Äh, hat Mam dir nichts erzählt?«

»Nein.«

»Ja, ich bin schwanger.« Endlich waren die Worte raus!

»Willst du das Kind behalten? Wenn ja, richten wir ein Kinderzimmer bei uns ein und besorgen ein Kindermädchen, damit du weiterhin arbeiten kannst.«

»Ich will das Kind behalten.«

»Gut, dann freuen wir uns sehr. Pass auf dich auf. Wir organisieren alles.«

Alle Angst und Sorge, wie mein Vater reagieren würde, waren umsonst gewesen, und ich dankte innerlich meiner Mutter für diesen klugen Schachzug. Dann heulte ich vor Erleichterung, da ich nun sicher sein konnte, die gesamte Familie im Rücken zu haben. Auf einer Tournee schwanger zu sein, ist nicht gerade das Gelbe vom Ei. Jeden Morgen kotzte ich mir die Seele aus dem Leib, einige Aktionen auf der Bühne mussten umgestellt werden, da der Hauptmann, wenn er mich entführte, mich in meinem Zustand nicht mehr über die Schulter werfen durfte. Und leider hatte der Tourneeleiter, was die Kleiderfrage betrifft, recht gehabt. In dem Moment, da ich um meine Schwangerschaft wusste, begann sich mein Bauch auch schon zu wölben. Anfang des dritten Monats schaute ich aus wie am Ende des sechsten. Alle zwei Wochen wurden neue Kleider aus München geschickt, die meinen »Zustand« aber irgendwann nicht mehr kaschieren konnten. So stand ich als frisch entjungferte Isabell an einen Baum (es war eine Latte) gefesselt, mit dickem Ranzen, jammernd ob der gerade stattgefundenen Schändung, als aus der ersten Reihe eines Tages ein Mann laut und deutlich sagte: »Mann, der hat ja schnell gearbeitet!« Da ich gefesselt war, konnte ich mich nicht nach hinten drehen, um zu lachen, und zu allem Überfluss sah ich die feixenden Kollegen in der Nullgasse stehen. Es war fürchterlich. Noch fürchterlicher war allerdings (einer der peinlichsten Momente meiner Laufbahn), als ich dem Kollegen Letizky ausgerechnet bei dem Satz »Nicht allein ragt eure Schönheit, sondern auch der Geist hervor« vor die Füße kotzte, da er kurz vor der Vorstellung ein Bier getrunken hatte und ich den Geruch nicht vertrug. Dies passierte Gott sei Dank im ersten Stock des Bühnenbildes und so lag die Lache nicht auf der Bühne.

Ansonsten wurde ich schön und vollbusig. Wir hatten viel Spaß, trafen uns nach der Vorstellung auf den Zimmern, um dort zu picknicken und Karten zu spielen. Dann ging es Richtung Schweiz, nach Winterthur. Winti, wie die Stadt im Volksmund genannt wird, ist die sechstgrößte Stadt in der Schweiz. Winterthur hat Zeiten als bedeutende Industriestadt erlebt. Heute ist es ein Zentrum für Bildung, Kultur und Freizeit und hat 16 Museen zu bieten. Es besitzt ein wirklich schönes Theater. Einziger Knackpunkt … Treppen! Von den Garderoben bis zur Bühne kam man sich vor wie eine Bergziege.

Das war so gar nichts für Hans Wyprächtiger (Spitzname Wypi), der mit seinen fast zwei Metern Körperlänge und guten 140 Kilos zu kämpfen hatte. Also beschloss er, etwas zu tun, was in solchen Situationen nur unter die Todesstrafe zu stellen ist. Er nahm während der Vorstellung den Lift. Und natürlich kam es, wie es kommen musste, er blieb stecken. Da er uns von seinem Vorhaben aus gutem Grund nichts erzählt hatte, hatten wir keine Ahnung, wo er abgeblieben war. Die Kollegen hinter der Bühne schwärmten aus, um ihn zu suchen, und wir armen Schweine auf der Bühne bemühten uns, durch erfundene Texte die Zeit zu strecken. Versuchen Sie mal, im Versmaß drauflos zu dichten, keine einfache Aufgabe. Irgendwann gaben wir auf. Inzwischen hatte Wypi den Alarm ausgelöst und eine Armada von Technikern war dabei, den Lift wieder zum Laufen zu bringen. Unser Tourneeleiter war vor den Vorhang getreten, um das Publikum zu beruhigen. Das war wahrscheinlich das Highlight der Vorstellung. Die Schweizer blieben gelassen, und nachdem Wypi 20 Minuten später befreit worden war, bekam er donnernden Auftrittsapplaus. Uns musste er allerdings nach der Vorstellung eine Runde ausgeben.

Weiter ging es in das schöne Bundesstädtchen Bern im Schweizer Mittelland. Die Altstadt wurde 1983 in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen. Der Maler Paul Klee war eng verbunden mit der Stadt, und 2005 wurde das von Renzo Piano entworfene Zentrum Paul Klee eröffnet, das mit rund 4000 Werken eine der größten einem einzelnen Künstler gewidmeten Sammlungen aufweist. Auch dort erwartete uns ein schönes Theater und die Stimmung in der Truppe war gelöst.

Wir lugten wie immer vor der Vorstellung durch den Vorhang, um unser Publikum einschätzen zu können. Jawohl meine Herrschaften, auch wir beurteilen Sie! Normalerweise befinden sich in den Theatervorhängen Sehschlitze und es gibt immer einen Kampf unter den Schauspielern, wer durchsehen darf. So präsentiert sich das Publikum noch bei Licht und man kann besser einschätzen, was auf einen zukommt. Wie ist der Altersdurchschnitt, sind mehr Frauen als Männer da, wo sitzen die verhassten Jugendlichen oder ist es gar eine Schülervorstellung (der Supergau)? Während einer Vorstellung kann ich bis zur sechsten Reihe die Leute erkennen, ab der siebenten Reihe befinden Sie sich in Sicherheit. Nun besagt eine alte Theaterregel: Wenn weniger Zuschauer im Theater sitzen, als Schauspieler auf der Bühne stehen, müssen wir nicht spielen. Wir äugten also kurz vor acht durch den Vorhang und stellten mit Entsetzen fest, dass nur fünf einsame Menschen im Zuschauerraum saßen, wir aber elf Personen auf der Bühne waren. Wir beschlossen, bis fünf nach acht zu warten, und beteten, dass sich die Anzahl nicht erhöhen möge, denn ein freier Abend war nicht zu verachten. Um exakt fünf nach acht war die Menge auf zehn angewachsen. Ha! Wir waren immer noch in der Überzahl! Wypi ging vor den Vorhang, hielt eine kleine Ansprache in dem Sinn »Pech gehabt, ihr seid zu wenige«, hinterließ ein verblüfftes Publikum und dann – nix wie raus! Wir zogen uns in Windeseile um, auch wenn unser Tourneeleiter Zeter und Mordio schrie, aber Gesetz ist nun mal Gesetz, und verließen gut gelaunt und in Vorfreude auf ein gutes Mahl die Stätte unseres Wirkens. Unserem Requisiteur, der noch abbauen musste und uns danach treffen wollte, hatten wir die Adresse des Restaurants mitgeteilt. Kaum hatten wir Platz genommen, sahen wir unseren Requisiteur um die Ecke schießen. Mit hochrotem Kopf stürzte er an unseren Tisch. »Seid ihr wahnsinnig geworden? Hat denn keiner von euch den Tourneeplan angeschaut?« In der Tat, niemand. »Die Vorstellung beginnt nicht um 20 Uhr, sondern erst um 20.30 Uhr!« Gott sei Dank war die ganze Truppe versammelt und so stürzten wir aus dem Lokal und rasten zum Theater zurück. Noch nie habe ich mich so schnell umgezogen, an Maske war allerdings nicht mehr zu denken. Um 20.35 Uhr konnte sich der Vorhang heben und eine etwas derangierte und atemlose Truppe begann zu spielen. In der Schweiz gehen die Uhren eben etwas anders. Gefuchst hat mich nur, dass wir mal wieder nicht in den Genuss eines Abendessens zu einer normalen Uhrzeit gekommen sind und dass der Tourneeleiter mal wieder recht gehabt hatte. Gefreut hat mich, dass er genauso wenig auf den Plan geschaut hatte wie wir und er uns deswegen nicht an den Karren fahren konnte.

Wenn es Menschen gibt, die Hotels beurteilen können, so ist es der Tourneefahrer. Von 365 Tagen im Jahr verweilt der von Stadt zu Stadt springende Schauspieler mindestens 120 Tage davon in den verschiedensten Unterkünften. Wir kamen nach Lünen, Nordrhein-Westfalen. Lünen gehörte als sogenannte Beistadt der mittelalterlichen Hanse an; heute ist es Mitglied im Hansebund der Neuzeit. Schicksalsjahre waren 1512, als durch einen Großbrand beinahe sämtliche Gebäude der Stadt zerstört wurden, und 1526, als eine schwere Pestepidemie wütete. Zudem das Jahr 1634, als Lünen während des Dreißigjährigen Krieges fünf verschiedene Besatzungen erleiden musste. Der Dichter Heinrich von Kleist bewarb sich 1808 um die frei gewordene Stelle des Postdirektors – kurios aus heutiger Sicht.

Unser »Hotel« befand sich etwas außerhalb der Stadt. Der Bus hielt vor einem ganz normalen, einsam gelegenen zweistöckigen Wohnhaus an, direkt neben einer Schnellstraße. Außer einem großen Parkplatz hinter dem Haus gab es nichts. Keine Nachbarn, geschweige denn Geschäfte oder Restaurants, nur Felder und Wiesen. Wenn man ein Auto zur Verfügung hat, ist es ein Leichtes, der Isolation zu entfliehen, aber wenn man im Bus unterwegs ist, ist es ein Ding der Unmöglichkeit. Zwölf Kilometer trennten uns von der Stadt. Also zu weit, um zu Fuß zu gehen. Missmutig nahmen wir unser Gepäck entgegen und machten uns auf die Suche nach der Rezeption. Da der Bus hinter dem Haus geparkt hatte, betraten wir das Gebäude durch den Hintereingang. Bis auf eine Art Bar, die neben der Treppe aufgestellt war, gab es nichts.

Auf das Rufen von Wypi öffnete sich endlich hinter der Bar eine Tür und ein freundlicher junger Mann erschien. »Ah, die Schauspieltruppe! Herzlich willkommen, sie sind unsere ersten Gäste, wir haben gestern das Hotel eröffnet. Es sind noch nicht alle Zimmer renoviert, aber ich hoffe, das macht Ihnen nichts aus.« Oh nein, ganz im Gegenteil! Sofort stürzte nämlich unsere Marketenderin nach vorne. »Ich nehme ein nicht renoviertes, wenn es billiger ist.«

»Die nicht renovierten sind aber für die drei Hauptdarsteller reserviert, tut mir leid, da sie unsere größten Zimmer sind. Kosten auch nicht weniger als die frisch renovierten.«

Das klang bedenklich! Ich hasse große Zimmer, ganz schlimm wird es bei Suiten, wenn das Schlafzimmer keinen Fernseher hat und man nur im sogenannten Wohnzimmer schauen kann.

»Herr Wyprächtiger hat die Nr. 12, Herr Letizky die Nr. 11 und Frau Jacob die Nr. 10.« (Wenigstens gab es keine Nr. 13.) »Sie sind im ersten Stock, alle anderen im Erdgeschoss.« Wir bekamen unsere Schlüssel in die Hand gedrückt und schleppten uns die Treppe nach oben. Es roch nach frischer Farbe, und da keine Bilder an den Wänden hingen, wirkte alles etwas steril. Der blaue Teppichboden im Gang war neu. Außer den drei Zimmern, die von der linken Seite des Ganges abgingen, gab es keine weiteren. Wypi, der das letzte Zimmer auf dem Gang hatte, war der Erste, der seine Tür öffnete. Bernhard und ich hörten nur einen unterdrückten Schluchzer – gefolgt von lautem Lachen. Dann öffnete Bernhard seine Tür, um sie nach einem kurzen Blick ins Innere umgehend wieder zu schließen. Das Grauen musste groß sein! Jetzt war ich an der Reihe. Beherzt stieß ich die Tür auf und traute meinen Augen nicht. Das durfte nicht wahr sein! Ich starrte auf ein riesiges knallrotes Plüschbett in Herzform, an dessen Kopfende sich diverse Schalter befanden. Über dem Monstrum hing ein Spiegel und nicht nur da. Das ganze Zimmer war mit Spiegeln tapeziert! Umrandet war das Bett von einem mattgelben Flokatiteppich, grauenhaft!

Bernhard hatte sich von seinem Schock erholt, und erneut öffnete er zaghaft seine Zimmertür, ich lugte ihm neugierig über die Schulter. Da hatte ich es ja noch gut getroffen. Er hatte offensichtlich die Folterkammer zugewiesen bekommen. Eine düstere Höhle, dunkelrot gestrichen, mit einem braunen Lederbett, an dessen Kopfende Ringe in die Wand geschraubt waren, an denen Handschellen hingen. Auch hier wieder überall Spiegel, der Teppich war schwarz und am Fußende des Bettes stand ein großer thronähnlicher schwarzer Ledersessel. Jetzt mussten wir unbedingt Wypis Zimmer sehen.

War Bernhards Zimmer düster gewesen, so war Wypis Zimmer der Vorhof zur Hölle. Schwarze Lackfarbe an den Wänden (keine Spiegel), ein schwarzes Eisenbett, roter Teppichboden, schwarze Seidenbettwäsche, aber das Gruseligste waren zwei Kleiderpuppen, die, in schwarzes Leder gehüllt, wie Wächter rechts und links neben dem Bett standen. Wir hatten ja schon viel gesehen, aber das war das Skurrilste bisher.

»Gefallen Ihnen die Zimmer?« Der junge Mann war unbemerkt hinter uns aufgetaucht.

»Sagen wir mal … ungewöhnlich«, antwortete Wypi.

»Ich wollte Ihnen eine Überraschung bereiten.«

»Das ist Ihnen gelungen, kann ich bitte ein anderes Zimmer haben?«, meldete sich Bernhard zu Wort.

»Tut mir leid, wir sind ausgebucht«, kam die Antwort.

»Lassen Sie mich raten, war dies hier mal ein sogenanntes Etablissement, sprich Puff?«, fragte Wypi.

»Ja, diese drei Zimmer sind die einzigen Überbleibsel. Uns ist das Geld für die Renovierung ausgegangen. Das Haus hieß ›Zur blauen Grotte‹.«

Oh ja, grottig war der richtige Ausdruck. Ich sollte also meine Nacht in einem Bett verbringen, in dem sich Hunderte von Männern ihre aufgestauten Gelüste hatten befriedigen lassen. Mich schauderte! Vielleicht ließ sich ja einer der Kollegen erweichen, mit uns zu tauschen? Weit gefehlt! Jeder, der in unsere Zimmer schaute, bedachte uns mit einem mitleidigen Blick und weg war er, selbst die Marketenderin, die sonst immer jammerte, wenn sie eins der kleinen Zimmer bekam.

Die renovierten Zimmer waren hell und freundlich, wenn auch nur halb so groß. Da ich schwanger war, konnte ich mir das Zimmer nicht mal schönsaufen. Ich beschloss, einen Spaziergang zu machen und mich so wenig wie möglich in der rot-gelben Scheußlichkeit aufzuhalten. Nach der Vorstellung hüpfte ich auf das Bett, um ja nicht mit dem fleckigen Plüschrand in Berührung kommen zu müssen. Die Knöpfe am Kopfende machten mich neugierig. Ah, ein Radio! Und der Knopf daneben? Das Kopfende fuhr nach oben, wow! Es begann, Spaß zu machen. Ein weiterer Knopf wurde gedrückt. Das Bett begann zu vibrieren, toll! Ein Massagebett! Noch ein Knopf. Das Bett begann zu rütteln, großartig! Ich genoss das Gewackele in vollen Zügen. Nach 30 Minuten hatte ich genug und drückte auf den Aus-Knopf. Nichts passierte, immer noch wurde ich hin- und hergeschmissen. Ich drückte etwas fester. Nichts! Allmählich wurde mir schlecht, wo war der verdammte Stecker? Ich hüpfte aus dem Bett und versuchte herauszubekommen, wo die elektrische Leitung verlief, aber das Monster von Bett war offenbar einbetoniert worden. So viel ich auch schob und rüttelte, nichts rührte sich. Ich klopfte zu später Stunde an Bernhards Tür und bat um Hilfe. Mit vereinten Kräften gelang es uns, das Kabel freizulegen und zu meinem Schrecken sah ich, dass es direkt in der Wand verschwand. Also nix mit Stecker ziehen. Durchschneiden würde wahrscheinlich den sofortigen Tod bedeuten, die ganze Nacht auf einem wackelnden Bett einen grausig langsamen.

Inzwischen war es zwei Uhr nachts und ich konnte nicht einfach alle Kollegen wecken und um Hilfe betteln. Wenn ich mich auf die Kante legen würde, war das Gerüttel vielleicht nicht ganz so schlimm. Bernhard überließ mich meinem Schicksal und ich hüpfte wieder ins Bett und versuchte zu schlafen. Nun ja, versuchen Sie mal Ruhe zu finden, wenn Sie wie auf Vibratoren gebettet sind. Ein Ding der Unmöglichkeit! Um vier Uhr reichte es mir. Wut verleiht ungeahnte Kräfte und so riss ich mit Gewalt das Kabel aus der Wand. Das Schreckenszimmer sollte schließlich eh renoviert werden. Es herrschte sofort Ruhe – und leider auch völlige Dunkelheit. Hatte ich etwa mit meiner unüberlegten Tat die komplette Stromversorgung flachgelegt? Egal! Das Rütteln hatte aufgehört und ich konnte den Rest der Nacht in Ruhe verbringen. Selig schlief ich ein.

Am nächsten Morgen musste ich noch einmal Bernhards Hilfe in Anspruch nehmen, um das Monsterbett vor das Loch in der Wand zu schieben. Ich hatte in der Tat für einen kompletten Stromausfall gesorgt. Wir drei waren wie gerädert. Wypi hatte in der Nacht auf die Toilette gemusst, und da das Licht nicht anging (ups), war er in eine der Kleiderpuppen gestolpert und hatte fast einen Herzinfarkt erlitten. Der Schock war so groß gewesen, dass er danach nicht mehr einschlafen konnte und sich einen weiteren Gang auf die Toilette verkniffen hatte. Bernhard konnte aufgrund des Gepolters aus meinem Zimmer (ups) nicht einschlafen, außerdem hatte das Lederbett geknirscht und er hatte die ganze Nacht Angst gehabt, die Handschellen könnten ihm auf den Kopf fallen. Als ich die Geschichte meiner Mutter erzählte, fing sie schallend an zu lachen. »Willkommen auf Tournee mein Kind!«

Bleibt noch zu erwähnen, dass ich in Lünen einen granatenmäßigen Verriss bekam, eine der schlimmsten Kritiken meiner Laufbahn, ob es einen Zusammenhang mit meinem Zimmer gibt, bezweifle ich allerdings.

Bei der nächsten Geschichte möchte ich aus guten Gründen weder die Stadt noch den Namen des Kulturdezernenten nennen …

Es gibt Autobahnen, die man während einer Tournee zu hassen beginnt. Die A8 im Streckenbereich München–Stuttgart zum Beispiel oder auch die A3 von München bis Würzburg. Ganz besonders schlimm ist die Sauerlandlinie A45, zu Spitzenzeiten donnern täglich bis zu 70 000 Autos über die 122 Kilometer lange Strecke zwischen Dortmund und der hessischen Landesgrenze, zwischen Dortmund und Lüdenscheid sind es gar 90 000. Wenn es dort schneit, schneit es richtig. Unser Bus eierte über die Autobahn und wir beteten, heil anzukommen. Wir schafften es gerade mal so. Der Kulturdezernent Herr Z. nahm uns freundlich schon am Hotel in Empfang und überbrachte uns die frohe Nachricht, dass unser Laster mit dem Bühnenbild es, im Gegensatz zu uns, nicht geschafft hatte und im Stau feststeckte und das wahrscheinlich noch ein paar Stunden. Die Vorstellung fiel damit aus. Herr Z. lud die ganze Truppe zum dortigen Chinesen ein und wir nahmen dankend an. Während wir chinesisches Futter in uns hineinspachtelten, erkundigte ich mich bei Herrn Z., welche Truppen nach uns noch so bei ihnen gastieren würden.

»Nach Ihnen kommt die Münchner Schauspielbühne mit Maria Stuart«, gab er mir Auskunft.

Ah, dachte ich, meine Mutter, die die Elisabeth spielte, würde also auch hier auf der Bühne stehen.

Doch noch bevor ich etwas sagen konnte, fuhr Herr Z. fort: »Eine der Hauptrollen spielt diese Schwiers, die kennt man ja nur aus dem Fernsehen. Ich hoffe mal, die spricht deutlich und schafft es, mit ihrer Stimme auch die letzte Reihe zu erreichen. Das ist ja immer das Problem mit diesen Fernsehstars, die sich einbilden, Theater spielen zu können, da bekomme ich dann reihenweise nach der Vorstellung Beschwerden von meinem Publikum, weil sie nichts verstanden haben. Ich persönlich finde diese Dame ja völlig überschätzt, kennen Sie sie?«

»Ja, recht gut«, antwortete ich.

Die Kollegen versuchten, ein Grinsen zu unterdrücken, keiner sagte etwas.

»Ach so, dann haben Sie wohl mit ihr gedreht? Wie lange kennen Sie sie denn?«

»Seit 22 Jahren«, war meine zögerliche Antwort.

»Ha, da könnten Sie ja glatt ihre Tochter sein!« Die ersten Kollegen rutschten fast unter den Tisch.

»Das bin ich auch.«

Ich schwöre Ihnen, es dauerte nicht mal eine Viertelsekunde und Herr Z. setzte ein strahlendes Lächeln auf und sagte: »Na, so eine Freude! Eine großartige Schauspielerin, die Schwiers, nicht wahr? Immer wieder gern gesehen! Und so ein Profi auf der Bühne!«

Hatte er gerade nicht das genaue Gegenteil über meine Mutter behauptet? Das nenn ich mal eine Kehrtwende. Als ich es ihr später erzählte, lachte sie sich halb tot. Seit ihrem 15. Geburtstag steht meine Mutter auf der Bühne. Sie war bei dem berühmten Heinz Hilpert in Göttingen und am Züricher Schauspielhaus engagiert. Sie hat jede große Rolle gespielt, die das Theater zu bieten hat. Das schlechte Gewissen von Herrn Z. war so groß, dass er unser Ensemble, nachdem wir uns selbstständig gemacht hatten, immer wieder gebucht hat. Wir haben jedes Stück bei ihm gespielt und es ist eine echte Freundschaft entstanden.

Ich hatte meine erste Tournee erfolgreich hinter mich gebracht und viel gesehen und erlebt. Mir hatte es Spaß gemacht, die vielen verschiedenen Bühnen zu bespielen, all die Städte kennenlernen zu können, ich hatte Blut geleckt. Meine Tochter sollte im September zur Welt kommen. Meine Mutter hatte ein Engagement bei den Freilichtspielen in Feuchtwangen angenommen, wo sie den Sommer über spielen würde, und ich begleitete sie. Da flatterte mir schon das nächste Angebot für eine Tournee ins Haus. Wieder von den Kugelgrubers, wieder unter der Regie von Oswald Döpke, wieder im Frühjahr. Das Stück hieß Jonny Belinda