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*** auch als E-Book erhältlich ISBN 9783758343230 *** Marion lässt in diesem Buch Gudrun G., geschiedene Gattin eines angesehenen Anwalts, ihre Geschichte erzählen. Sie beginnt an dem Tag, an dem sie aus seiner Villa in eine kleine Wohnung am Stadtrand übersiedelt. Bald ist auch der Teilzeitjob weg, den sie bei einem seiner Partner hatte. Inmitten von Einsamkeit, flüchtigen Abenteuern, Geldsorgen, Demütigungen durch das Arbeitsamt und Jobsuche gerät sie beim Ausgehen an Peter, der sich für eine Liebesnacht mit einem großen Geldschein bedankt. Als sie ihn nach einer Weile wieder kontaktiert, bietet er ihr an, für seine Escort-Agentur zu arbeiten. Er verlangt allerdings, dass sie zuvor Erfahrung im Beruf sammelt. Zugleich entwickelt sich zwischen Gudrun und ihrer Nachbarin Beate eine intime Beziehung. Beate, selbst ledig und promiskuitiv, steht zu Gudrun, als die für sich die Entscheidung trifft, das Angebot anzunehmen. Gemeinsam mit Gudruns bester Freundin Christine und Sonja, der Pächterin eines Cafés in der Nähe ihrer Wohnung, begleitet sie die Ich-Erzählerin durch die Höhen und Tiefen ihres Berufsalltages, der sie nahezu schlagartig ihrer finanziellen Sorgen entledigt. Schließlich lernen die beiden Frauen einander lieben und beschließen zu heiraten, ohne aber deswegen ihr bisheriges Leben aufzugeben. Nach einem gemeinsamen Polterabend und einer eher unkonventionellen Trauung endet die Geschichte damit, dass die beiden ihre Hochzeitsreise nach Kreta antreten. Gudrun ist in ihrem Tagebuch durchaus explizit, was ihr Berufs- und Liebesleben anbelangt. Sie vermeidet aber konkrete Ortsangaben und Jahreszahlen. Nach den Umständen der Handlung und der Lage der Wochentage ist aber der Jahreswechsel 2018 - 2019 zumindest naheliegend.
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Seitenzahl: 259
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Marion Marksmeisje
Alles ohne?
Dasschlamperte Leben der Gudrun G.
Über dieses Buch
Marion lässt in diesem Buch Gudrun G., geschiedene Gattin eines angesehenen Anwalts, ihre Geschichte erzählen. Sie beginnt an dem Tag, an dem sie aus seiner Villa in eine kleine Wohnung am Stadtrand übersiedelt. Bald ist auch der Teilzeitjob weg, den sie bei einem seiner Partner hatte.
Inmitten von Einsamkeit, flüchtigen Abenteuern, Geldsorgen, Demütigungen durch das Arbeitsamt und Jobsuche gerät sie beim Ausgehen an Peter, der sich für eine Liebesnacht mit einem großen Geldschein bedankt. Als sie ihn nach einer Weile wieder kontaktiert, bietet er ihr an, für seine Escort-Agentur zu arbeiten. Er verlangt allerdings, dass sie zuvor Erfahrung im Beruf sammelt.
Zugleich entwickelt sich zwischen Gudrun und ihrer Nachbarin Beate eine intime Beziehung. Beate, selbst ledig und promiskuitiv, steht zu Gudrun, als die für sich die Entscheidung trifft, das Angebot anzunehmen. Gemeinsam mit Gudruns bester Freundin Christine und Sonja, der Pächterin eines Cafés in der Nähe ihrer Wohnung, begleitet sie die Ich-Erzählerin durch die Höhen und Tiefen ihres Berufsalltages, der sie nahezu schlagartig ihrer finanziellen Sorgen entledigt.
Schließlich lernen die beiden Frauen einander lieben und beschließen zu heiraten, ohne aber deswegen ihr bisheriges Leben aufzugeben. Nach einem gemeinsamen Polterabend und einer eher unkonventionellen Trauung endet die Geschichte damit, dass die beiden ihre Hochzeitsreise nach Kreta antreten.
Gudrun ist in ihrem Tagebuch durchaus explizit, was ihr Berufs- und Liebesleben anbelangt. Sie vermeidet aber konkrete Ortsangaben und Jahreszahlen. Nach den Umständen der Handlung und der Lage der Wochentage ist aber der Jahreswechsel 2018 - 2019 zumindest naheliegend.
Inhalt
Aus dem Nest
Freitag, 23.11.
Samstag, 24.11.
Sonntag, 25.11.
Montag, 26.11.
Donnerstag, 29.11.
Sonntag, 9.12.
Mittwoch, 12.12.
Zwischen den Jahren
Freitag, 14.12.
Samstag, 15.12.
Samstag, 22.12.
Mittwoch, 26.12.
Freitag, 28.12.
Montag, 7.1.
Orientierung
Dienstag, 22.1.
Dienstag, 12.2.
Mittwoch, 20.2.
Donnerstag, 21.2.
Montag, 25.2.
Dienstag, 12.3.
Mittwoch, 20.3.
Donnerstag, 21.3.
Donnerstag, 28.3.
Freitag, 29.3.
Harte Schule
Dienstag, 2.4.
Montag, 8.4.
Donnerstag, 11.4.
Freitag, 12.4.
Dienstag, 16.4.
Mittwoch, 24.4.
Freitag, 26.4.
Dienstag, 30.4.
Donnerstag, 2.5.
So nicht mehr
Montag, 6.5.
Dienstag, 14.5.
Montag, 20.5.
Mittwoch, 22.5.
Donnerstag, 23.5.
Mittwoch, 29.5.
Donnerstag, 30.5.
Mein Weg
Freitag, 31.5.
Mittwoch, 5.6.
Freitag, 7.6.
Dienstag, 11.6.
Samstag, 14.6.
Dienstag, 18.6.
Dienstag, 25.6.
Freitag, 28.6.
Freundschaft, Liebe, Glück
Montag, 8.7.
Mittwoch, 10.7.
Freitag, 19.7.
Samstag, 20.7.
Sonntag, 21.7.
Mittwoch, 30.7.
Dienstag, 13.8.
Donnerstag, 15.8.
Freitag, 16.8.
Samstag, 17.8.
Epilog
Impressum
Zum letzten Mal fahre ich meinen uralten Kleinwagen aus der Garage der Villa. Die Scheibe beschlägt augenblicklich. Ohne Nachzudenken drücke ich eine Taste auf dem Armaturenbrett und schalte dann den Scheibenwischer ein. Einzelne Schneeflocken tanzen in der klirrend kalten Luft. Ein Schwall eiskalter Luft strömt in den Innenraum, treibt mir die Tränen in die Augen. Zumindest kann ich mir einreden, dass es die kalte Luft ist.
Zwölf Jahre ist die Villa mein Zuhause gewesen. Seine Villa. Er, das ist Klaus, mittlerweile mein Exmann. Eine jüngere wohnt jetzt hier, Karin. Sie ist 23, so alt wie ich damals, als wir uns Hals über Kopf verliebt haben. Zwölf Jahre. Das automatische Garagentor schließt sich hinter mir, mein Schlüssel liegt im Haus, es gibt kein Zurück. Also nach vorne blicken. Vorerst nach rechts in der stillen Nebenstraße, wo Martins T3 wartet. Benzingeruch liegt in der feuchten Luft, eine bläuliche Wolke kommt aus seinem Auspuff, als er meinen Wagen sieht und den Bus startet.
Ich setzte mich vor ihn, er folgt mir. Nach vorne blicken. Rund zwanzig Minuten wird der Weg zu der kleinen Wohnung am Stadtrand in Anspruch nehmen, die Klaus mir überschrieben hat. Immerhin zwei Zimmer. Anständig, hat Christine gemeint. Dafür, dass ich sonst auf alles verzichtet habe? Nach vorne blicken. An der Ampel rechts, darauf achten, dass ich Martin nicht abhänge. Ich schalte das Gebläse ab, es geht auch so. Meine Augen tränen nicht mehr.
Es ist nicht so, dass wir uns im Streit getrennt haben. Klaus hat sie eines Tages einfach mitgebracht. „Das ist Karin“, hat er sie mir vorgestellt. „Für dich ändert sich nichts.“ Damit war die Sache für ihn wohl erledigt. Ich habe in der Villa von Anfang an mein eigenes Zimmer gehabt. Sie jetzt auch, gleich gegenüber von mir. Es hat sich auch nichts geändert. Nur, dass sie jetzt in der Nacht zu ihm gegangen ist statt mir. Mich hat er auch weiter gefragt, aber nach ein paar Monaten habe ich ihn gebeten, das zu lassen. „Wie du willst“, hat er nur gemeint. Das ist wohl der Punkt gewesen, an dem mir klar geworden ist, dass ich gehen muss.
„Scheidung?“. Seine Augenbraue hat sich kurz gehoben, als er von seinem Tablet aufgeblickt hat, auf dem er die Morgenzeitung überflogen hat. Er hat das Tablet dann doch zur Seite gelegt. „Du kannst die Wohnung haben, ansonsten bist du für dich selber zuständig.“ Sein Blick hat mich fragend angesehen. Ich, vollkommen überrumpelt. „Ja, okay.“ Das wird wohl als die kürzeste Scheidungsverhandlung in die Geschichte eingehen, wir haben nicht mehr darüber gesprochen.
Die Ampel wird grün, ich biege auf die Rampe zur Stadtautobahn ein. Die Verhandlung vor Gericht war vierzehn Tage später, eine Formsache. „Sind Sie seit sechs Monaten von Tisch und Bett getrennt?“ „Ja.“ „Ja.“ „Verzichten Sie auf Rechtsmittel?“ „Ja.“ „Ja.“ „Das eheliche Vermögen ist aufgeteilt?“ „Ja.“ „Ja.“ „Dann erkläre ich die Ehe für geschieden. Unterschreiben Sie bitte hier.“ Anständigerweise hat er die Gebühren bezahlt. Wechselgeld für ihn, den Staranwalt.
Das ist zwei Monate her. Es ist ihm seitdem gleichgültig, ob ich bleibe oder gehe. Einmal haben wir noch miteinander geschlafen, vor ein paar Tagen erst. Wir sind in der Nacht zufällig ineinander gelaufen. Er hat mich angesehen, in meinem kurzen Nachthemd. „Komm“, hat er nur gesagt. Es war herrlich, er weiß, was er da tut. Aber es fühlt sich nicht gut an, dass er der letzte war. Am nächsten Tag hat mich Karin darauf angesprochen, als ob sie über das Wetter redet. Am selben Vormittag habe ich Martin wegen Übersiedeln angerufen.
Ich blicke in den Rückspiegel: Martin ist hinter mir, als ich die Ausfahrt nehme. Jetzt auf den Weg konzentrieren. Ein paar Ampeln noch, dann halten wir vor dem schmucklosen Mehrparteienhaus, das jetzt mein Zuhause ist. Meine erste eigene Wohnung, Klaus hat sie mir überschrieben wie vereinbart. Wir haben Glück, Martin findet einen Parkplatz, ich stelle meinen Wagen in der Tiefgarage ab. Drei, vier Kisten und zwei Koffer mit Gewand, das ist mein Leben, das wir jetzt aus Martins T3 laden. Er hilft mir, alles in die Wohnung zu bringen. Bei einer Nachbarin sind noch ein paar Pakete gelandet. Töpfe, Geschirr, Handtücher, Bettwäsche. „Du ziehst nebenan ein? Herzlich willkommen, ich bin Beate.“ Du, soso. Na gut. „Ja, ich bin Gudrun.“ „Vielleicht mal einen Kaffee?“ „Gern ein andermal, ich hab jetzt jemanden zum Auspacken da.“ Sie sieht mich belustigt an, sie ist wohl leicht zu unterhalten. „Alles klar. Wenn du was brauchst, einfach anläuten. Ich lebe allein hier. Meistens jedenfalls.“ Sie grinst, ich winke ihr zum Abschied.
Martin und ich stehen unschlüssig inmitten der Kisten. „Soll ich dich noch auspacken helfen?“ Schon wieder, ich kann das Lachen kaum unterdrücken. Martin spricht gut deutsch, ist aber gebürtiger Tscheche „Dir“, sage ich geduldig, jetzt versteht er auch, er grinst wie Beate. „Und gern, ich richte mich derweil ein.“ Ich drehe als Erstes die Heizkörper hoch, nehme dann die Packung mit Bettwäsche und verschwinde im Schlafzimmer, überziehe die Betten, lege dann die Handtücher im Badezimmer aus. Zurück ins Wohnzimmer, wo Töpfe und Geschirr auf mich warten. Ich räume erst mal alles in die Spülmaschine. Unter der Spüle findet sich sogar noch ein Rest Pulver, ich schalte die Maschine ein. Einkaufen werde ich wohl noch müssen, der Kühlschrank ist leer.
Marin kommt ins Wohnzimmer. „Alles fertig, wo soll das hin?“ Er grinst, er hält eine Schachtel Kondome in der Hand. Ich habe sie gestern gekauft, weil ich das mit Klaus als meinem letzten Mann bald ändern will, und wohl achtlos in eine der Kisten geräumt. Ich lehne an der Küchenzeile, Martin sieht mich an. „Mann?“, sage ich zu mir, als seinem Blick begegne, ich bemühe mich, verschmitzt dreinzuschauen. „Ins Schlafzimmer natürlich“, gebe ich zurück und bemühe mich, dabei auch ein wenig zu grinsen. Es scheint zu funktionieren. „Welche Bettseite?“, fragt er. „Na dann komm, ich zeig es dir“, sage ich. Warum nicht gleich, ist das dann auch erledigt. „Was ist jetzt mit dich?“, frage ich, während ich mir schon den Pullover über den Kopf ziehe. Martin grinst wieder.
„Lass es, ich nehme die Pille.“ Wir liegen beide nackt im Bett, er angelt brav nach der Schachtel. Er wirkt nicht so, als könnte er den Gummi ohne meine Hilfe anlegen. Seiner ist halb steif, das wird schon ohne mühsam genug. Ich schubse ihn auf seinen Rücken, knie mich neben ihn, beuge mich runter und blase ihn eine Weile, bis er schön hart ist. Martin stöhnt dankbar, bleibt aber ansonsten passiv. Ich denke mir, jetzt ist es aber genug, und rolle mich auf den Rücken. Er weiß zumindest, was ich jetzt will. Martin ist 26 und hat keine Freundin. Er kommt ein wenig unbeholfen über mich, ich muss ihm beim Eindringen helfen. Er beginnt mich zu stoßen, sanft, ich spüre nicht viel davon. Doch bald merke ich: Er wartet. Ich überlege, ob ich etwas sagen soll, entscheide mich aber dann für die einfache Methode und beginne ihm etwas vorzustöhnen. Nach zwei, drei Minuten ist die Sache erledigt. „War es schön für dich?“ „Ja klar.“ Die Lüge geht leicht von den Lippen, es war „gar nicht“ für mich, nicht „schön“.
Zwanzig Minuten später ist er weg. Ich werfe mich so, wie ich bin, wieder aufs Bett und lasse meinen Tränen freien Lauf. Als ich wieder aufwache, ist es schon halb sechs. Ich habe keine Ahnung, wie lang der Supermarkt unten im Haus offen hat. Ich beschließe, später zu duschen, schlüpfe in Jeans und Pullover und gehe einkaufen. Immerhin, jetzt war Klaus nicht mehr der Letzte.
Ich habe fürchterliche Kopfschmerzen. Als ich gegen Mittag aufwache, weiß ich erst gar nicht, wo ich bin. Richtig: Gestern Umzug. Im Supermarkt habe ich dann eine Flasche anständigen Rotwein mitgenommen, noch geduscht und mich umgezogen und gegen halb acht bei Beate angeläutet.
Wann ich heimgekommen bin, weiß ich nicht mehr genau. Irgendwann nach Mitternacht ist ein Kerl aufgetaucht. Beate war nicht überrascht, obwohl sie mit ihm offensichtlich nicht gerechnet hat. Doch als er unseren Zustand gesehen hat, ist er einfach pennen gegangen. In ihr Schlafzimmer, sie hat nicht erkennbar darauf reagiert. Ich hab mich dann auch verabschiedet, obwohl sie gemeint hat, dass das nicht notwendig ist.
Ich weiß jetzt alles von ihr: Sie ist 27, gelernte Schlosserin und Maschinenführerin in einer Fabrik, die Hinterachsen und Auspufftöpfe produziert. Dort kriegt sie auch, was sie „an Schwänzen braucht“ (ihre Worte). Das erklärt auch ihr kurz geschorenes rotes Haar („kannst du dir mich mit einem Haarmetz vorstellen? Seitdem hab ich die Haare so“), unter dem ihre grünen Augen wach und lustig vorblitzen, und ihre gedrungene, muskulöse Statur („ich brauch keinen von den Kerlen, um mit dem zehn Kilo-Hammer zuzuschlagen, wenn mal wo ein Bolzen steckt.“ Kindisches Kichern.)
Zum Glück ist Samstag, ins Büro hätte ich es in diesem Zustand nicht geschafft. Sie hat mich beim Abschied noch wieder eingeladen, aber ich will eigentlich nur in die Badewanne. Blöd, dass ich im Bad merke, dass es keine Badewanne gibt. Ich stelle mich also eine halbe Stunde unter die heiße Dusche.
Nächste Erkenntnis: Ich habe hier auch keine Köchin wie bei Klaus. Nur Hunger. Also wieder in den Supermarkt. Ein paar Fertigdosen, Kochen ist nicht so meins. Ich freue mich auf Montag, da kriege ich dann in der Kantine wieder richtig zu essen.
Ich läute dann doch wieder bei Beate. Sie ist allein. „Clemens hat sich mit seiner Freundin wieder versöhnt“, erfahre ich ungebeten. Das sollwohl erklären, warum er nicht mehr da ist. Ich zucke hilflos mit den Schultern, doch es scheint keine weiteren Ausführungen wert.
„Ich wollte gerade kochen, magst du mit essen? Es gibt Linsen mit Speck und Knödel.“ Ich will ablehnen, aber mein Magen knurrt peinlich laut, ich habe nicht gefrühstückt. „Setz dich zu mir in die Küche“, sagt sie nur, ich nicke dankbar und setzt mich auf den einzigen Stuhl in ihrer winzigen Küche. Als wir fertig gegessen haben, kennt sie auch meine Geschichte. „Willkommen in der Wirklichkeit“, sagt sie nur. „Wenn du irgendwas brauchst, sag es nur, am Anfang ist es nicht leicht“, setzt sie nach. Ich bin mir nicht sicher, ob das „Schwänze“ mit einschließt, aber momentan ist mir das gleichgültig, ich muss erst mal Martin verarbeiten. Ich bedanke mich für das Essen und gehe wieder heim.
Ich stelle fest, dass die Glotze nicht geht. Irgendwo hab ich noch ein Buch. Muss morgen mit Beate reden.
Nach Büroschluss haben wir noch ein bisschen gefeiert. Ich habe eine Flasche Sekt, ein paar Brötchen und einen Kuchen besorgt. Wir sind fünf, eine kleine Steuerberatungskanzlei. In den ersten Jahren bei Klaus habe ich es so gemacht wie Karin und mich von ihm aushalten lassen. Doch dann ist mir das zu langweilig geworden. Es ist ein Fingerschnipp für Klaus gewesen, mich bei einem seiner Partner unterzubringen. Der hat nicht einmal gefragt, was ich für Schule gemacht habe.
Vormittag habe ich mit dem Chef gesprochen wegen Aufstocken auf Vollzeit. „Mal schauen“, hat er gemeint. Ich hoffe, er schaut bald, denn mit dem Teilzeitgehalt kann ich mir mein Leben allein nicht leisten.
Einer von Beates Freunden werkt an meinem Fernseher herum. Er heißt Lars und mag Anfang zwanzig sein. Bald schüttelt er den Kopf und macht sich in einem der Kästen auf dem Gang vor meiner Tür zu schaffen. Zehn Minuten später zeigt er mir stolz: „163 Kanäle, nur Premium hab ich nicht hingebracht, das ist digital geschützt.“ Ich muss ihn sehr entgeistert angeblickt haben. „Kabelfernsehen ist hier nicht angemeldet. Jetzt hast du es trotzdem“, erklärt er mir mit Stolz in der Stimme.
„Danke“, sage ich. „Wie kann ich mich bei dir revanchieren?“ Er fackelt nicht lang, kommt auf mich zu, legt mir die Hände auf die Hüften. „Bist eine heiße Lady, das sollte dir nicht schwerfallen.“ Mir bleibt momentan die Spucke weg, so habe ich es doch nicht gemeint. Er scheint zu merken, wie ich mich innerlich verkrampfe, gibt mich frei. „Entschuldige, wenn ich dich missverstanden habe, ich hab dir nicht deswegen geholfen.“ Er dreht sich um und schickt sich an, zu gehen.
„Nein, bleib“, sag ich zu ihm. Ich weiß eigentlich nicht, warum ich das mache. Er dreht sich um und sieht mich eine Weile prüfend an. „Sicher?“, fragte er dann nach. „Nein“, sage ich, „Aber du bist ein netter Kerl, ich will dich nicht so wegschicken.“ „Hast du was zu trinken?“, fragt er. „Nur Whisky“, sage ich wahrheitsgemäß. „Dann Whisky.“
Ich schenke ein, wir plaudern eine Weile, doch nach zwanzig Minuten ist alles gesagt, unsere Interessen sind wohl zu verschieden. Doch er ist nicht unhübsch und hat eine nette Art. „Magst du jetzt noch?“, frage ich ihn. Er lächelt mich scheu an. „Nur wenn du es auch willst. Du musst dich nicht verpflichtet fühlen.“ Ich hab keine Ahnung, ob ich es auch will, aber ich versuche cool zu sein. „Ja, sonst hätte ich nicht gefragt. Oder gefalle ich dir nicht?“ Sind das die zwei Whisky, dass mir diese plumpe Anmache nicht peinlich ist?
Die nächste halbe Stunde lasse ich mich einfach treiben. Lars weiß genau, was er tut, er kommt allein mit den Gummis klar, und am Ende liege ich durchgeschwitzt, keuchend und herrlich befriedigt unter ihm. Er fragt, ob er meine Dusche benützen darf, bevor er geht. Ich frage ihn, ob er nicht bleiben möchte. Er schüttelt den Kopf. Dass er das Bad unter Wasser gesetzt hat, merke ich erst, als er weg ist. Ich seufze und mache mich ans Aufwaschen.
„Der hat eine feste Freundin, aber anbrennen lässt er nichts“, sagt mir Beate später kichernd. Ich bemühe mich, mir nicht anmerken zu lassen, dass mir das gerade einen kleinen Stich gibt. Und ich frage mich, warum ich ihr das alles gerade brühwarm erzählt habe, nur weil sie mir Mohnnudeln gemacht hat.
163 Kanäle sind viel besser als nichts. Aber ein ganzes Wochenende totzuschlagen, dafür taugen sie nicht. Beate ist auch nicht da, sie ist Freitag zum Schilaufen und kommt erst heute Abend wieder. Ich blicke bei ihren Schichten nicht durch, aber sie hat oft tagelang am Stück frei.
Ich grüble darüber nach, inwiefern das bei Klaus anders war. Wir haben nicht viel Zeit miteinander verbracht, aber bei den gemeinsamen Mahlzeiten haben wir doch miteinander geredet. Und es ist ein Unterschied, ob man allein vor der Glotze sitzt oder zu zweit. Auch, wenn Klaus da kaum gesprochen hat: Es war jemand da, und gelegentlich hat der doch eine seiner zynischen Bemerkungen zum Programm fallen lassen. Und die restliche Zeit mein Geplapper ertragen.
Ich packe mich zusammen und gehe ein bisschen raus, die Gegend erkunden. Der Himmel ist grau in grau, es fallen wieder einzelne Schneeflocken. Häuser, ein Park, U-Bahnstation. Niemand auf der Straße außer Menschen mit Hund und Menschen mit Kinderwagen. In die Stadt auf einen Adventmarkt zu fahren, habe ich auch keine Lust. Nach einer Stunde bin ich durchfroren wieder zurück.
Ich bin wie betäubt. Der Chef hat mich heute hineingerufen. Er hat sich die Personalsituation angesehen und festgestellt, dass er für mich keinen Platz mehr in der Mannschaft hat. Die Kündigung mit Ende Jänner erhalte ich in den nächsten Tagen schriftlich.
Mir ist so übel, dass ich das Büro schon Vormittag wieder verlasse und zu meinem Arzt fahre. Er nimmt sich Zeit, hört sich meine Geschichte an. „Ich schreibe dich jetzt mal bis ins neue Jahr krank, du musst jetzt erst einmal zu dir finden.“ Er gibt mir auch ein Schlafmittel und milde Beruhigungspulver. Ich bin ihm zwar einerseits dankbar, dass ich vorerst nicht mehr ins Büro zurückmuss, aber die Kündigung zieht mir trotzdem den Boden unter den Füßen weg. Eigentlich habe ich fix mit doppeltem Gehalt ab Jänner gerechnet, meine finanzielle Situation ist nicht rosig. Ich habe zwar noch ein bisschen was auf der Bank, aber jeder Monat kostet mehr, als ich verdiene.
Klaus hat mich gerade angerufen. Mein Chef sei wütend auf mich, Klaus habe ihn nur mit Mühe davon abhalten können, eine Anzeige wegen Sozialmissbrauchs zu machen. Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Ich denke, mein Krankenstand ist wasserdicht. Dennoch danke ich Klaus für seine Bemühung. Wir sind nicht im Streit auseinander gegangen, wir können genauso gut miteinander sprechen wie vor der Scheidung. Ich frage Klaus, ob ich irgendetwas tun soll. „Nein“, sagt er. „Lass mal die Feiertage vorbeigehen.“ „Danke. Weißt du was anderes für mich?“ „Nicht spontan. Ich halte die Ohren offen. Magst du Abendessen gehen?“ Ich wage es nicht, ihm das auszuschlagen.
Im Postkasten finde ich die Verständigung für mein Kündigungsschreiben. Der Postbote hat sicher nicht geläutet, ich bin die ganze Zeit da gewesen. Ich versuche herauszufinden, wo das Postamt ist, gehe hin. „Das ist noch nicht da, kommen Sie morgen wieder“, erfahre ich nach zwanzig Minuten Wartezeit. Ich habe nicht einmal die Kraft, den Schalterbeamten zu schimpfen, drehe mich wortlos um und gehe.
Jetzt ist Klaus doch wieder der Letzte. Es hat in diesem plüschigen Hotel geendet, in das er vermutlich auch seine sonstigen Flammen abschleppt. Um zwei Uhr morgens hat er mir noch das Geld für ein Taxi in die Hand gedrückt und mich dann einfach stehen lassen. Typisch Klaus.
Aber geil war es trotzdem, und das Essen hätte ich mir auch nie leisten können. Ich verbringe den restlichen Tag im Bett und ertrinke in Selbstmitleid.
Es gibt nichts Neues. Ich gewöhne mich langsam daran, meine Tage ohne festen Plan zu verleben. So wenig Plan, dass ich beinah die Kündigung nicht abgeholt hätte, gestern ist der letzte Tag gewesen. Die Blöße, dass sie an den Chef zurückgeht, will ich mir doch nicht geben. Ich lege das Kuvert ungeöffnet in eine Lade.
Und Weihnachten kommt auch. Das erste Mal allein. Nur mit 163 Programmen. Wo hin fliegen, hätte ich mir weder finanziell noch im Krankenstand erlauben können.
Beate hat spontan zu einer Jause eingeladen. Ich bin erleichtert, dass sie nicht weihnachtlich dekoriert hat. Lars ist auch da, zusammen mit seiner Freundin, ich bin ganz Nachbarin. Dann Clemens, der allerdings allein und hat nur Augen für Beate. Ein paar andere junge Leute, ich erinnere mich kaum an die Namen. Wir plaudern nett, trinken Punsch und gehen nach zwei Stunden wieder unserer Wege. Keinen fürs Bett mit nach Hause genommen.
Ich schlafe bei Titanic vor der Glotze ein, erwache kurz vor Mitternacht bei einer Werbung für ein Erotikportal. Ein Pulver gegen die Kopfschmerzen, eins zum Schlafen. Gute Nacht.
Christine hat endlich wieder Zeit für mich, nachdem der Dauerstress mit ihrem Weihnachtsmarktstand vorbei ist. Wir verabreden uns zum Essen in einem kleinen Bistro und ziehen danach noch ein wenig durch die Innenstadt.
Gegen zehn kommt mir Christine abhanden. Kann ich verstehen, ihr letzter Sex war im Oktober, seitdem war sie mit ihrem Marktstand beschäftigt. Sie macht das allein, allerdings verdient sie dabei so gut, dass sie den Rest des Jahres mehr oder weniger frei hat. Ich wünsche ihr also aus vollem Herzen viel Spaß.
Das ändert aber nichts daran, dass ich ein wenig angetrunken allein in einer Innenstadtbar stehen bleibe. Ich überlege gerade bei mir, was ich mir noch als Absacker einfülle, als ich neben mir ein „darf ich“ höre. Der Mann, er mag Mitte vierzig sein, schaut aus wie aus dem Aufriss-Bilderbuch. Leicht angegraute Schläfen, aber noch volles dunkles Haar, ein Sakko zum offenen Hemd, Markenjeans. Er wartet meine Antwort nicht ab und setzt sich auf den Barhocker neben mich.
Ich drehe mich zu ihm um, sage aber erst mal gar nichts. Eine Antwort scheint er ohnehin nicht zu brauchen. „Was trinkst du?“, fragt er. „Noch einen Cuba Libre?“ Gut, das war einfach, das leere Glas vom letzten steht noch auf dem Tresen vor mir. „Ist das eine Einladung?“, frag ich zurück. Er mustert mich eine Weile, antwortet aber nicht. Er bestellt dann einfach, für sich nimmt er ein Pils. Ich warte ab, sage weiter nichts. „Cheers“, sagt er, als die Getränke vor uns stehen. „Ich bin übrigens Peter.“ „Gudrun“, sage ich, „Cheers, und danke.“ Ich schenke ihm noch ein Lächeln dazu.
„Deine Freundin ist dir gerade abhandengekommen, was?“, beginnt er das Gespräch. „Beobachtest du mich schon länger?“, gebe ich giftig zurück. Ein wenig zu giftig, es tut mir augenblicklich leid. „Hübsch genug bist du ja dafür, so viele Frauen wie dich gibt es hier auch wieder nicht.“ Ich fahre mir unwillkürlich mit einer Hand durchs blonde Haar. Nein, unterirdisch muss ich nicht gehen, da hat er sicher recht. „Schmeichler“, sage ich schon versöhnlicher. Allein nach Hause gehen will ich heute sicher nicht, was würde ich denn da Christine das nächste Mal erzählen?
Wir flirten noch eine Weile weiter, dann kommt die unvermeidliche Frage: „Möchtest du noch was trinken, oder sind wir schon so weit, dass wir es uns wo gemütlich machen wollen?“ Auf die Idee, dass ich nicht wollen könnte, scheint er gar nicht zu kommen. Männliche Selbstsicherheit zieht bei mir sowieso. Ich blicke kurz in meine Karten, die Entscheidung fällt nicht schwer. „Du meinst, zu dir?“, frage ich zurück. „Nein, ein Hotel in der Nähe. Zu mir ist weit, ich bin nicht aus der Stadt.“ Im Grunde ist alles klar, ein paar Gummis habe ich in der Handtasche, und das ist es, was ich jetzt will. „Nein, getrunken habe ich schon genug“, antworte ich daher. Er zahlt, nestelt dann auf seinem Handy herum. Als wir die Bar verlassen, wartet ein Taxi.
Die kurze Fahrt vergeht schweigend. Irgendwie ist alles gesagt, wir sind wie Schulkinder, die sich anschicken, etwas Verbotenes zu tun. Der Wagen hält vor einem der besseren Touristenhotels im inneren Bereich der Stadt. Peter bezahlt den Fahrer, geht dann um den Wagen und öffnet mir die Türe. Ich schmelze dahin. Und ich staune, als er die Türe zu seinem Zimmer öffnet, das sich als eine Art Suite herausstellt. Markant der im Boden eingelassene runde Whirlpool, der bereits mit warmem Wasser gefüllt ist und einladend blubbert. „Wie hast du denn das hingekriegt?“, frage ich und bin ehrlich erstaunt. „Mein kleines Geheimnis“, antwortet er verschmitzt. Er stellt einen Sektkübel und zwei Gläser an den Beckenrand. „Na dann, rein mit dir“, lächelt er mir zu, und ich bin in dieses jungenhafte Lächeln total verliebt.
Ich hole also tief Luft und beginne mich vor ihm auszuziehen, was bleibt mir auch anderes übrig? Ich achte natürlich darauf, meine Kleider nicht auf den Boden zu werfen wie daheim, sondern sie ordentlich auf einen der Sessel aufzuhängen. Er beobachtet mich, lässt sich selber Zeit. Ich stehe ein wenig unschlüssig im Slip herum. „Wenn du beim Heimfahren nicht nass im Taxi sitzen willst …“, lächelt er wieder. Was solls, ich ziehe mir den Slip einfach über die langen Beine nach unten und stehe nackt vor ihm. Eine einladende Geste bedeutet mir, schon mal in den Pool vorzugehen. Ich lasse mich also ins warme Wasser gleiten, tauche bis zum Hals ein, drehe mich rücklings zum Beckenrand, lehne mich zurück und schließe die Augen.
Ein paar Minuten später ist er bei mir, nackt und, wie mir nicht entgeht, bereits halbsteif. Er schenkt uns Sekt ein, reicht mir ein Glas: „Auf eine wunderschöne Nacht mit einer Traumfrau“, flüstert er mir zu und hebt sein Glas. Ich bin nicht mehr in der Lage, dem irgendetwas entgegenzusetzen, und lasse mich voll auf ihn ein. „Und einem vollendeten Gentleman“, hauche ich zurück. Wir schauen uns in die Augen, als wir trinken. Wir stellen die Gläser wieder ab, seine erste Berührung lässt nicht lange auf sich warten. Er streichelt mir über die Innenseiten der Schenkel, es prickelt angenehm. Ich lasse ihn eine Weile gewähren, dann beschließe ich, ihn ein wenig zu ermuntern, lasse meine Hand spielerisch zwischen seine Beine gleiten und suche sein, wie er sicher meint, bestes Stück.
„Hüte dich vor deinen Wünschen, sie könnten in Erfüllung gehen“, lächelt er mich daraufhin an. Er lässt auch nichts mehr anbrennen, zwei Finger dringen in mich ein, sein Daumen reibt spielerisch an meiner Klit. Ich stöhne auf, seine Direktheit überrascht mich dann doch. Ich suche und finde seinen Blick, wir schauen einander wieder in die Augen, stimulieren einander langsam, vorsichtig, doch voller Neugier und Erwartung. Schließlich lässt er seine Finger aus mir gleiten. Ohne meinen Blick zu verlieren, schiebt er seinen schlanken, trainierten Körper langsam auf mich. „Muss ich aufpassen?“, fragt er noch, als seine Schwanzspitze bereits zwischen meine Schamlippen drängt.
Ich überlege kurz: Jetzt raus, die Gummis holen, damit im Wasser herumwursteln, womöglich die Stimmung zerstören? „Nein“, hauche ich also nur mit vor Geilheit benebeltem Verstand. Ich dränge ihm stattdessen mein Becken willig entgegen, als er zärtlich, aber fordernd in mich eindringt. Und er weiß, was er da tut. Er wartet nicht, sondern er kümmert sich darum, dass ich auf meine Kosten komme. Da sind Welten dazwischen. Ich schließe die Augen, genieße das Unvernünftige, wenn ich schon unvernünftig bin. Schwanger kann ich nicht werden, in bin bereits unterbunden, verheiratet kann man das über dreißig schon haben. Und das andere? Es ist nicht mein erstes Mal ohne mit einem Fremden. Ich lasse mich treiben, genieße, es in seinen Armen Frau zu sein, verpasse den Augenblick, in dem er kommt, lasse mich erst danach von ihm zurück in die Wirklichkeit holen, als er mich wieder freigibt.
Nach zwei weiteren Runden Spa und Sex im Bett ist es fünf Uhr morgens. Ich kriege plötzlich einen Fremdelanfall, will nur noch nach Hause. „Klar, geh nur, du warst wundervoll, Gudrun.“ Als ich schon fertig angezogen bin, legt er plötzlich einen großen Geldschein auf den Tisch. Ich schaue ihn entgeistert an. „Sag nichts, ich lasse dich jetzt allein. Es ist deine Entscheidung, du musst mir danach nicht mehr in die Augen sehen.“ Damit drückt er mir zum Abschied noch einen Kuss auf den Mund. „Danke, so oder so. Wenn du willst, melde dich wieder.“
Damit ist er weg. Auf dem Tisch liegt der Geldschein und eine Karte mit seiner Telefonnummer. Meine Entrüstung („ich bin doch keine Hure“) weicht sehr bald praktischen Überlegungen. Was hier liegt, sind drei Monate Heizung und Strom für die Wohnung. Und er weiß nichts von mir, ich muss ihn nie mehr wiedersehen. Ich schlucke. Starre den Schein noch ein paar Minuten lang an. Meine Hand ist wie ferngesteuert, als sie danach greift. Drei Monate, denke ich. Und an den blauen Brief, der ungeöffnet in meiner Lade liegt. Der Schein und die Karte mit der Telefonnummer gleitet wie von selbst in meine Handtasche.
Ich beschließe, mir ein Taxi zu leisten und nicht auf die erste U-Bahn zu warten. Es war ein Dankeschön, jawohl, kein Hurenlohn. Ich habe es ja nicht von ihm verlangt. Und Christine werde ich auch nichts davon erzählen, die Geschichte gibt so auch genug her.
Mein Krankenstand ist zu Ende. Länger geht nicht mehr, sagt mein Arzt. Ich mache mich also mit der U-Bahn auf den Weg und bin um acht Uhr im Büro. Etwas ist anders als sonst. Betretenes Schweigen, Blicke weichen mir aus. Ich gehe an meinen Platz, der Eingangspostkorb ist leer. Ich frage Bettina, die mir gegenüber sitzt. Sie druckst eine Weile herum. „Deine Arbeit wurde neu aufgeteilt, wir wussten ja nicht, ob du wieder kommst.“ „Weißt du, wann der Chef kommt?“ Sie klickt eine Weile mit ihrer Maus herum, ich kann ihren Bildschirm nicht sehen. „Nichts Besonderes eingetragen, so gegen neun, halb zehn. Am besten, du nimmst dir derweil einen Kaffee.“
Gegen zehn kommt er endlich zur Tür herein, stutzt, als er mich sieht. „Du hier?“, fragt er schließlich. „Ja, mein Krankenstand ist zu Ende“, sage ich ruhig darauf. Er macht sich nicht, die Mühe, mich zu sich ins Büro zu bitten. „Ich brauche dich hier nicht mehr, Gudrun. Bettina?“ „Ja“ „Schreib bitte für Gudrun eine Dienstfreistellung ab sofort. Und ein Dienstzeugnis. Gudrun, nimm deine Sachen mit, du kannst entweder gleich gehen, oder du wartest noch auf die Unterschriften. Halbe Stunde längstens.“
Eine halbe Stunde später bin ich mit einem großen Plastiksack wieder draußen. Der Abschied von den Kolleginnen war kurz und kühl. Das Dienstzeugnis ist okay, er hat offenbar keine Lust gehabt, dass ich ihn deswegen vor die Gewerkschaft schleife. „Zur vollsten Zufriedenheit“ steht da. Mehr kann man nicht verlangen, das weiß ich noch von Klaus.
Ein blödes Gefühl, im schicken Büro-Outfit um halb elf am