Also sprach Metzelder zu Mertesacker ... - Moritz Rinke - E-Book

Also sprach Metzelder zu Mertesacker ... E-Book

Moritz Rinke

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als die Bundeskanzlerin sich in Schweinsteiger verliebte Literatur und Fußball: Ist nicht beides zunächst Spiel? Und geht es nicht trotz des Spiels in der Fiktion und auf dem Rasen immer um alles, ums Letzte, ums Ganze? Moritz Rinke, einer der bekanntesten Dramatiker Deutschlands, Romancier und selbst Stürmer in der DFB-Autoren-Nationalmannschaft, hat seiner großen Leidenschaft nun endlich ein Buch gewidmet: Er imaginiert sich als Poolwächter der deutschen Nationalmannschaft ins Schlosshotel Grunewald oder mit Beckenbauer auf die Toilette; er schreibt für Angela Merkel Liebesbriefe an Bastian Schweinsteiger, für Jogi Löw Wutreden, über Kloses Torkrisen Dramolette und entführt den DFB-Pokal heimlich in die Berliner Nacht. Unglaublich witzig, scharfsinnig und charmant nimmt Rinke die Fußballerseele, den Sport in seinen Facetten und gesellschaftlichen Zusammenhängen und die Emotionen, die er freilegt, in den Blick. Diese Liebeserklärungen sind geistreiche Pässe in die Welt. Und begeistern nicht nur Fußballfans! »Mit seiner wunderbaren Ironie nimmt Moritz Rinke den übertriebenen Ernst aus dem Fußballgeschäft und eröffnet dem Leser eine völlig neue Sicht auf die schönste Nebensache der Welt.« (Hans Meyer, ehemaliger Bundesligatrainer und Trainer der DFB-Autoren-Nationalmannschaft) »Man schreibt ja viel über Fußball, aber so etwas habe ich noch nie gelesen!« (Philipp Lahm, Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft) »Wenn Rinke so spielt, wie er schreibt, würde ich ihn beim nächsten Spiel einwechseln.« (Thomas Schaaf, seit zwölf Jahren Trainer beim SV Werder Bremen)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 195

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Moritz Rinke

Also sprach Metzelder zu Mertesacker …

Lauter Liebeserklärungen an den Fußball

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Moritz Rinke

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Vom Träumen und Bewundern1 Statt eines Vorworts: Vielleicht werden wir noch berufen (Die Generation Fimpen)2 Mit der Lichtgestalt beim Pokalfinale (Für meinen Großvater)3 Die Lektüre des Mittelstürmers2006: Die WM im eigenen Lande1 Gott, der Kaiser und der Idiot (Drei dramatische Szenen von der Suche nach dem Bundestrainer)2 Zu Gast bei Freunden3 Danach esse ich Maultaschen! (Dramatische Szene aus dem modernen Fußball-Leben, 5 Tage vor der WM)4 Die Pool-Novellen (Meine Zeit als WM-Poolwächter der deutschen Nationalmannschaft)5 Nachspielzeit!2008: Die EM in Österreich und der Schweiz1 Heute gegen Polen! (Hymne auf meinen polnischen Theaterprofessor und auf den Papst, danach das Sportliche)2 The Tragedy of Miroslav (Frei nach »Hamlet« von William Shakespeare)3 Wollt ihr etwa Wörns?! Eine imaginäre Jogi-Löw-Wutrede (Frei nach »Flasche leer. Ich habe fertig« von Giovanni Trapattoni)4 Frau Klose ruft an. Lehmanns Bettdecke flattert. Und Gómez träumt, dass er nur noch minus 135 Millionen wert ist (Dramatische Szenen aus den Zimmern der Spieler)5 Die Bundeskanzlerin schreibt ihren ersten Liebesbrief an Schweinsteiger6 Stille Tage in Ascona (Dramatische Szenen auf dem Wasser und zu Land)7 Also sprach Metzelder zu Mertesacker (Dramatische Szenen zu Land, auf und unter dem Wasser)2010: Die WM in SüdafrikaDie Liebe ist rund – Angela Merkels Liebesbriefe an Bastian Schweinsteiger (Nr. 2 bis Nr. 7) und ein weiterer an Mesut Özil (Der Migrationsbrief)Kleine Texte gegen die großen Feinde des Frauenfußballs (Die WM 2011 in Deutschland)1 Her mit dem Lack!2 Der fiese Betrug der Stockfische3 Stern über Bethlehem (Kleine WM-Schnuppen)4 Köpfen mit Zöpfen (Mit Olaf Scholz und Horst Hrubesch beim Frauenfußball)5 Die deutsche Niederlage gegen Japan – Ab sofort bin ich Solo-Fan! (Kleine WM-Schnuppen)6 Kleine Riesen (Hymne auf Homare Sawa)Die schönste Nebensache der Welt (Die DFB-Autorennationalmannschaft)1 Wahnsinn! (Die Autoren-WM in Schweden)2 Freundschaftsspiel in Saudi-Arabien oder: Wie sehen Sie die Entwicklungen in Russland? (Wüstenkoller)3 Die Zeichen am Himmel (Drei Fußballmannschaften aus Deutschland fahren nach Israel)4 Ans Millerntor! Gegen die Türken!5 Abschlussbankett (Dramatische Szene zwischen mir und dem DFB-Pokal)Über die Liebe1 Es muss auch ein Herz und eine Seele geben (Eine dramatische Szene über den Niedergang des FC Bayern)2 Das Wunder von der Weser. Über Werder Bremen (Eine Liebeserklärung)Von Weltmeistern und denen, die es werden wollen – zwei Gespräche1 Ein Pferd für Helmut Rahn oder Ich könnte mich stundenlang mit Ihnen über das Endspiel unterhalten!2 »Hast du elf Freunde?« Was verbindet einen schreibenden Fußballer mit einem kickenden Schriftsteller? (Gespräch mit Philipp Lahm)Nachweis der Veröffentlichungen
zurück

Vom Träumen und Bewundern

1Statt eines Vorworts: Vielleicht werden wir noch berufen (Die Generation Fimpen)

Vor ein paar Tagen war ich im Kino. Es lief der Kinderfilm »Fimpen, der Knirps«, den habe ich zuletzt vor fast 40 Jahren gesehen, und es gibt ihn in Deutschland auch nur noch auf einer einzigen, knisternden und holprigen 16-mm-Kopie.

»Fimpen, der Knirps« wurde 1974 in Schweden gedreht, und es war der erste Film, den ich je im Kino gesehen habe. In der »Gondel« in Bremen, ich war sechs, und dieser Film hat mein Leben verändert. Normalerweise ändert man ja mit sechs noch nicht sein Leben, aber in diesem Fall schon, sonst wäre ich heute realistischer.

In der ersten Szene läuft der große schwedische Nationalstürmer Mackan zufällig über einen Spielplatz. Er hat gerade noch die Deutschen im Länderspiel mit dem Kolibri-Trick, einer Vorstufe des Übersteigers, zur Verzweiflung gebracht und die Kinder schießen ihm nun ehrfürchtig einen Ball zu, der ihm von einem kleinen Jungen beim Dribbling einfach wieder abgenommen wird. Dieser Junge, der sechsjährige Fimpen Johan Bergman, wird daraufhin sofort vom Profiverein Hammarby IF verpflichtet und schießt als Linksaußen gegen Åtvidaberg zwei Tore. Danach ruft der Nationaltrainer Georg Ericson an, der kleine Johan nimmt den riesigen Telefonhörer ab und wird für die entscheidenden Qualifikationsspiele zur Fußballweltmeisterschaft 1974 in Deutschland in die schwedische Nationalmannschaft berufen.

Fimpen, der Knirps, hat lange Haare wie ich sie auch mit sechs getragen habe, er spricht wenig (wie ich damals!) und kann ebenfalls nicht 2+2 zusammenzählen, schießt aber Schweden zur WM! In einer meiner Lieblingsszenen muss der Nationaltorwart Ronnie Hellström dem Knirps am Vorabend des Länderspiels in Wien aus »14 kleine Bären« vorlesen, damit er einschläft, aber dann schläft Ronnie Hellström ein, tatsächlich gespielt von Ronnie Hellström, der in der Bundesliga beim 1. FC Kaiserlautern zwischen den Pfosten stand und als Elfmetertöter galt.

Während dieser Szene beugte ich mich pathetisch zu einem Jungen hinüber, der mit seiner Mutter neben mir saß, so als sei dieser Junge ich vor fast vierzig Jahren in der »Gondel«. »Das ist ein echter Nationaltorwart, der da aus den 14 kleinen Bären liest, toll, was?«, sagte ich, »pass auf, gleich spielt Fimpen gegen Österreich!«

»Fimpen ist doof. Podolski ist viel besser! Harry Potter auch!«, antwortete der Junge.

Ich dachte, ich hör nicht richtig. »Podolski ist einundzwanzig, Fimpen erst sechs!«, entgegnete ich.

»Scheißbild. Da wackelt ja unsere Waschmaschine weniger. Harry Potter ist mit Computeranimation!«, erklärte der Junge.

»Na, hör mal, Fimpen ist auf 16 mm gedreht, das ist die letzte Kopie, die es gibt, immerhin mit dem echten Ronnie Hellström! Der war Elfmetertöter!«

»Häh? Wer?? Kenn ich nicht!«, sagte der Junge und schien seiner Mutter zu signalisieren, dass ich ihm irgendwie auf die Nerven ging.

Ich glaube, das war mein erster echter Generationenkonflikt, aber in entgegengesetzter Richtung. Bisher hatte ich nur Konflikte, in denen ich den Älteren diesen ganzen nervenden Mist um die Ohren schlug: Woodstock, APO, Kommune, Uschi Obermaier etc. Aber Sätze wie »Fimpen ist doof. Podolski ist besser!« oder »Da wackelt ja unsere Waschmaschine weniger«, das sind jetzt Aussagen, die treffen mich, die rauben mir meinen Mythos, meinen Traum, dass im Fußball durch Wunder alles möglich ist. Immer noch träume ich nämlich davon, in der Nationalmannschaft zu spielen, theoretisch hätte ich vielleicht noch zwei Jahre, berufen zu werden, da ist noch alles drin, die 68er glauben ja schließlich auch, dass bei ihnen noch alles drin sei.

Seit dem Konflikt mit dem Jungen im Kino habe ich sogar das Gefühl, ich muss mich bei jemandem entschuldigen, den ich einmal auf einem Podium lächerlich machte, weil er seine ganze revolutionäre Existenz beglaubigen wollte, indem er sagte, er sei mit Rudi Dutschke Linienbus gefahren. Ich kenne einen Mann, der seinen revolutionären Geist immer noch für intakt hält, nur weil er einmal für Gudrun Ensslin öffentlich Zahnersatz forderte. Und nun komme ich also ernsthaft mit meiner heiligen, schrottigen 16-mm-Kopie (Leihgabe aus dem Filmmuseum München), Ronnie Hellström liest die »14 kleinen Bären« vor, und ich glaube immer noch, dass alles möglich ist?

Ja, offen gestanden, glaube ich das! Wenn man mit sechs Jahren Tore für die Nationalmannschaft schießt, dann geht das auch in entgegengesetzter Richtung, dann schieße ich sie auch noch mit 40!

Ja, der stürmende Knirps Fimpen hat bestimmt Abertausende meiner Generation zu träumenden, tänzelnden, ewigen Spielern gemacht, da bin ich mir sicher, we are the fimpen-generation!

Hellström, Dutschke, Uschi Obermaier, Podolski, Potter – wahrscheinlich kann man sich die Filme, Busse, Kommunen und Zeiten, in denen sich die Träume in die Menschen schleichen und einrichten, nicht aussuchen. Aber vielleicht werde ich in Zukunft sanfter, wenn ich ältere Herren treffe, bei denen sie partout nicht ausziehen wollen.

Bei mir ist übrigens der Filmvorführer von damals schuld, dass ich noch immer weiterträume, vielleicht noch mehr als all die anderen aus der Fimpen-Generation. Der Filmvorführer legte nämlich die zweite Filmrolle zuerst ein und dann die erste. Der Film endet eigentlich kritisch, denn Fimpen wird immer müder von den großen Spielen und muss sich am Ende für Schule und Leben entscheiden. Bei mir endete es mit Hellströms Gutenachtgeschichte und Fimpens Wundertoren gegen Österreich am nächsten Tag.

2Mit der Lichtgestalt beim Pokalfinale (Für meinen Großvater)

Es gab schon viele Momente, in denen ich zu einem Bewunderer von Franz Beckenbauer hätte werden können. 1974 zum Beispiel, während der WM, da war ich sechs. Mein Großvater, der eigentlich seit 1945 die Schnauze voll hatte von Lichtgestalten, sagte immer: »Ohne Franz und die Nacht von Malente hätten wir die Holländer nie geschlagen!«

Die Nacht von Malente fand in der schleswig-holsteinischen Sportschule statt nach der 0:1-WM-Niederlage gegen die DDR durch das Tor von Sparwasser. In Malente gab es winzige Zimmer, Toiletten und Waschräume nur auf dem Gang. In irgendeinem dieser Waschräume soll Beckenbauer zur Lichtgestalt geworden sein.

Mein Großvater war Maschinist bei der »Kaiserbrauerei Beck & Co« in Bremen. 1974 hielt auch mein Großvater im kleinen Aufenthaltsraum der Maschinisten, die ihre Arbeit niederlegen wollten, eine Rede im Geiste von Beckenbauer und Malente. Kurze Zeit später expandierte die Produktion vom Hemelinger (so eine Art Sparwasser) zum landesweiten Beck’s als Fassbier.

Als mein Großvater fünfundzwanzig Jahre nach seinem letzten Arbeitstag beerdigt wurde, habe ich auf dem Friedhof in Bremen von Malente gesprochen. Und vom Aufenthaltsraum der Maschinisten. Von Beck’s-Bier war keiner da, vermutlich waren jene, die meinen Großvater noch kannten, schon tot. Eine Woche später habe ich dann Beckenbauer beim DFB-Pokalfinale im Berliner Olympiastadion kennengelernt, wir wurden uns sogar vorgestellt, vom Altbundeskanzler, ich glaube, der dachte, ich sei Brdarić von seinem Heimatklub Hannover 96. Ich will ja nicht mit Namen um mich werfen, aber Karl-Heinz Rummenigge und Oliver Bierhoff standen auch daneben. Mensch BIERhoff, dachte ich, das ist doch ein Zeichen!

»Mein Großvater hat Sie sehr verehrt, obwohl er Bremer war und Sie Bayer«, sagte ich zu Beckenbauer. »Mein Großvater sprach oft von der Nacht von Malente.«

»Ach, Malente«, sagte Beckenbauer. Er schien gerührt. Der Altbundeskanzler sagte noch: »Ich habe so etwas mal auf dem Parteitag in Mannheim erlebt, wenn man plötzlich zusammenrückt!« Auch der Altbundeskanzler war nun gerührt, inmitten des Trubels in dieser Ehrenhalle der Selbstdarsteller. Beide schienen zurückzublicken, der eine nach Mannheim, wo er dicht an der Basis war; der andere nach Malente, wo ein großer Geist in einem winzigen Zimmer war.

»Sie schreiben also Gedichte?«, fragte Beckenbauer, ich hatte ihm mittlerweile erklärt, dass ich nicht Brdarić von Hannover 96 bin, sondern Schriftsteller. »Nein, Herr Beckenbauer«, antwortete ich, »aber ein Kollege von mir aus München schreibt sogar Gedichte über Fußball. Kennen Sie die Ode an Kahn?«

»Es gibt eine Ode an Kahn?«, fragte Beckenbauer begeistert und erkundigte sich bei Rummenigge, ob er diese Ode kenne, aber Rummenigge sagte nur: »Hm, nee, Ode??«, und sprach schon mit einem anderen. Nur Beckenbauer war ganz zugewandt, der Einzige, der mich hier beachtete, ansonsten kam ich mir vor wie Woody Allen in diesem Film, wo er auf einer Industriellen-Party sagt, er sei freischaffender Bildhauer. Aber wenn man mit Beckenbauer spricht, dann sprechen einen plötzlich alle an!

»Mein Name ist Walter Gagg, Director of the Executive Office of the FIFA-President. Die WM in Südafrika ist ernsthaft in Gefahr, Sie müssen uns unterstützen!«

»Ich?«, sagte ich.

»Ja«, sagte der Director of the Office of the President, »die FIFA zahlt nach der WM alles zurück.«

»Ich kann der FIFA kein Geld geben, fragen Sie den Altbundeskanzler, ich kann Ihnen höchstens jeden Monat eine Kiste Beck’s geben, die bekommt meine Familie immer noch, mein Opa war bei Beck’s.«

Später stand ich vor der Ehrentoilette (nur ein einziges WC!) und dachte, das gibt’s doch nicht, ausgerechnet mich gräbt die FIFA an. Plötzlich ging die Toilettentür auf und Beckenbauer kam heraus. »Ah, Servus«, sagte er, wieder ganz zugewandt, und ging zur Verlängerung des Pokalfinals. Ich war schon in der Halbzeitpause auf dieser Ehrentoilette gewesen, vor mir Matthias Sammer vom DFB, aber jetzt, kein VergleIch: Es duftete, ich setzte mich sogar auf den Brillenrand, was ich nie tue. Wie angenehm und frisch Beckenbauer die Toilette hinterlassen hatte! Ich möchte ja nicht wissen, wie das hier jetzt aussähe, dachte ich, wenn vor mir Josef Ackermann, Karl-Theodor zu Guttenberg oder our last President gewesen wären, die keine Ahnung haben, was der Geist von Malente ist und eine Toilette und ein Waschraum für alle.

Ich blieb zehn Minuten. Auch sehr an meinen Großvater denkend, der diese Geschichte wohl gerne seinen Kollegen von der Kaiserbrauerei erzählt hätte.

3Die Lektüre des Mittelstürmers

November 2000 – im Flugzeug mit einer Profimannschaft

Dies ist eine Hymne auf einen Stürmer und vielleicht noch auf alle Pinguine in der Welt.

Kürzlich flog ich von Berlin nach München, und es geschah wieder das, was ich am Fliegen hasse. Links neben mir saß ein Mann mit einem Diktafon und diktierte noch vor dem Start Zahlen und Analysen, ohne zu fragen, ob mich das stören könnte, sondern im Gegenteil eher so, als ginge er davon aus, dass es mich und alle anderen brennend interessierte. Er diktierte Zahlen aus dem Börsenmagazin »Der Aktionär« und beschäftigte sich dann den gesamten Flug über mit der Knochenmarks-Krebsaktie »Cell Therapeutics«, die groß im Kommen sei, weil sich, so konnte ich mitlesen, Knochenmarkskrebs erst seit Kurzem stark auf dem Vormarsch befinde. Dann diktierte der Mann: »Die Aktie dürfte sich zum Outperformer im Krebssektor entwickeln. Kaufen!«

Rechts neben mir saß ein Mann, der mit hektischen Armbewegungen sieben oder acht Zeitungen zerpflückte, um lauter Artikel über die »Leitkultur« zu sammeln, wobei er mir einmal beim Rausreißen einer Seite an den Kopf stieß, ohne zu bemerken, dass ich dabei größte Schwierigkeiten hatte, mich auf einen Bericht über die Haaranalyse von Christoph Daum zu konzentrieren.

Dann das Wunder.

Fast zwanzig Männer in identischen dunklen Anzügen mit blauen Hemden betraten verspätet die Maschine, und mein Kindheitstraum ging in Erfüllung: Einmal mit einer bedeutenden Fußballmannschaft reisen! Die zwanzig Männer waren die Spieler von Hertha BSC Berlin, und sie flogen nach München, um dort siegend Tabellenführer zu werden. (In der ersten Liga!)

Schräg rechts vor dem Mann mit der Leitkultur saß wenig später Sebastian Deisler, der sensible Nationalspieler, und hörte still und leise mit dem Kopfhörer eine CD. Knapp hinter mir Gabor Kiraly, der schöne ungarische Tormann, der nach dem Start nur seinen Tisch ausklappte, die Hände darauflegte und sie ansah bis nach München. Links neben ihm Bryan Roy, der schwarzhäutige Holländer, früher Ajax Amsterdam, der nur eine gelbe Tüte auf dem Schoß hatte, darin die niederländische Zeitung »De Telegraaf«, deren Titelseite er einmal überflog, um dann nachdenklich seine Stirn zu massieren. Auf der anderen Seite am Fensterplatz Alex Alves, der Brasilianer, irgendwie traurig wirkend und während des Fluges in die Abendsonne versunken. Als Ali Daei, dieser riesige iranische Athlet, aufstand, um sein Jackett auszuziehen, dachte Ich: Hoffentlich wird nun diese gesammelte sportliche Energie im Flugzeug dem Mann mit der Knochenmarks-Krebsaktie die Laune verderben, aber der sah nicht einmal hin und diktierte weiter. Ich sah hinüber zum Leitkultur-Heini, aber auch der wühlte ungerührt in seinen Zeitungen, ohne zu merken, dass gerade jetzt mit dem deutschen Spitzenligafußball, der aus Holländern, Brasilianern, Ungarn, Isländern (Eyólfur Sverrisson) oder Iranern bestand, ein wunderbares Beispiel multi-ethnischer deutscher Leitkultur um ihn herum Platz genommen hatte.

Ich richtete den Blick auf meinen Vordermann: Michael Preetz, der Stürmer, der Kapitän. Er las Zeitung, nicht wie ich über Daums Haaranalyse, was man ja hätte denken können; nein, er las: »Die literarische Welt« – Seite für Seite die Artikel sorgfältig nach Überschriften auswählend. Zuerst las er über Bill Clinton und Elvis Presley, dann einen Aufsatz von Professor Görner mit dem Thema »Die Intellektuellen müssen eine neue Form der Weitläufigkeit entwickeln«, einen »neuen Kosmopolitismus«, vom Autor bekräftigt mit Zitaten von Voltaire, Wilhelm von Humboldt und Marcel Proust. Danach las Preetz noch etwas über polnische Gegenwartsliteratur und am Ende über Pasternaks Familienbriefe.

Am Montag darauf musste ich noch mal nach München. Ich saß im Flugzeug, ringsherum wieder jene Geschäftsleute, die einen an der Welt verzweifeln lassen. Ich hasste wieder das Fliegen und dachte an Preetz. Es war schade, dass er diesmal nicht vor mir saß. Ich las, wie immer eingeklemmt, einen Artikel über Pinguine, die, wie man herausgefunden hat, reihenweise in der Antarktis rückwärts umfallen, wenn ein Flugzeug über sie hinwegfliegt, weil sie dann ihr Gleichgewicht verlieren. Ich habe lange überlegt, wofür dieses Bild stehen könnte – und glaube mittlerweile, die Pinguine sehr gut zu verstehen.

zurück

2006: Die WM im eigenen Lande

1Gott, der Kaiser und der Idiot (Drei dramatische Szenen von der Suche nach dem Bundestrainer)

Prolog:

Die Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Lande, was gibt es Schöneres? Und was Größeres für einen Fußballtrainer? Lange Zeit sah es in Deutschland allerdings so aus, als würde keiner, außer einem, wollen. Zuerst trat also Rudi Völler von seinem Amt als Bundestrainer zurück. Dann fragte man Ottmar Hitzfeld, der jedoch ablehnte. Dann Otto Rehhagel, jenen Held der Griechen, der gerade in Portugal mit Griechenland Europameister geworden war, aber auch absagen musste. Man suchte erstmals in der Geschichte dieses Landes sogar im Ausland nach einem trainer! Und am Ende sah es so schlimm aus, dass es, wie der Dramatiker Friedrich Dürrenmatt sagte, auf die schlimmste aller möglichen Wendungen hinauslief.

Hier nun das Drama der Ereignisse. In den tragenden Rollen: Franz Beckenbauer, die Lichtgestalt, die man zum Kopf der Trainerfindungskommission (TFK) ernannt hatte. Lothar Matthäus, Rekordnationalspieler und zu der Zeit Trainer der Ungarn mit irgendeiner ungarischen oder ukrainischen Blondine. Kurz vor Beginn des Dramas fährt Otto Rehhagel direkt vom glorreichen Heldenempfang im Panathinaikonstadion von Athen nach Kampen auf Sylt.

Erste Szene.

Beate und Otto Rehhagel beim Frühstück in Kampen auf Sylt, in ihrem Lieblingshotel. Es ist Samstag, 8 Uhr 30.

Otto:(Immer noch im Trainingsanzug mit Medaille um den Hals) Ich kann’s immer noch nicht glauben, Beate, ich bin Europameister! Ausgerechnet mit Griechenland! Europameister, Beate! Mit Griechenland! Die Bildzeitung hat mich mit Sokrates verglichen, Sokrates, Beate! (Nimmt vor Beate eine Pose ein, als sei er eine in Stein gehauene Büste)

Beate: Ottochen, setz dich vernünftig hin und iss!

Otto:Gazzetta dello Sport schreibt »Gotto!«, nicht Otto, sondern »Gotto«, Beate! Dir gebenüber sitzt Gotto in Kampen beim Frühstück, das ist doch was? (Nimmt wieder die Büsten-Pose ein)

Beate: Otto, bitte …

Otto: In Kampen wie in Athen: Zeitlebens die Busspur benutzen! Zeitlebens und darüber hinaus ich auf der Busspur, du auch, Beate. (Starrt sein Frühstücksei an) Warum kommt das Ei nicht zu mir? (Beugt sich über das Ei) Komm zu Gotto!

Beate: Mensch, Otto, wenn das die anderen Kurgäste sehen …

Otto: Los Ei, roll zu Gotto! (Das Ei bleibt bewegungslos liegen) Muss ich mich denn nach diesem Scheißei strecken, Beate? (Lacht) Wenn ich Bundestrainer bin, kommen alle Eier zu mir! (Lacht heftiger) In München auch nur die Busspur benutzen! Hoeneß bleibt im Stau stecken und beißt sich in den Hintern, wenn ich an ihm vorbei auf der Busspur … Du, ich stell, wenn ich Bundestrainer bin, keinen einzigen Bayern auf, keinen! Nicht mal Müller-Wohlfahrt! (Lacht noch heftiger) Ich guck mal nach beim FC Augsburg!

Beate: Reiß nicht so an der Tischdecke! Wir sind hier nicht zu Hause …

Otto: Beckenbauer auch im Stau!! Ich krieg mich gar nicht wieder ein! (Rehhagel ahmt die Geräusche seines Autos nach und spielt Gotto auf der Busspur) Rrrrnn. Rrrrrrrnnn, na, Franz, blöder Stau, was? Mach’s gut, du Kaiser von Kitzbühel … Rrrrrrrrrrrnnnn! Rrrrrrrrrrrrrnnnnn! Tschüss. Und zisch … (Sinniert plötzlich wie einst Sokrates) Beate, ich überlege gerade, was ich dem DFB bei der Vertragsunterzeichnung sage … (Lacht auf) Ich hab’s! Ich sag zu Mayer-Vorfelder: »Pass mal auf, du alte Schampus-Tucke, du unterzeichnest jetzt auch mal eben hier ein Papier, wo geschrieben steht, dass du dich nie mehr über Fußball äußerst.« (Brüllt vor Lachen. Plötzlich abrupt ernst) Wenn ich Bundestrainer bin, reaktivier ich Andy Brehme! Wir spielen ohne Spitzen, geht nicht anders. (Visioniert in die Dünen blickend, als ob der Sportreporter Töpperwien vom ZDF vor ihm sitzt) Brehme mit Kutzop und Votava hinten, hinten Sechserkette, verstehst du, Töpperwien?

Beate: Ich bin nicht Töpperwien!

Otto: Lebt Briegel noch? Hans-Peter Briegel, na, die werden sich wundern! Den Rest nehm ich von den Griechen, »Gotto baut aus griechischer Rippe 11 deutsche Adams …« Oder so: »Rehakles entzaubert Brasileros mit neuem System aus 7-3-Null!« (Hüpft um den Kampener Tisch wie durch das Estádio da Luz in Lissabon)

Beate: Otto, du bist nicht Rumpelstilzchen, nun is’ mal gut, nun is’ Urlaub! (Haut auf den Tisch) Hör zu, Ottochen: DU WIRST NICHT BUNDESTRAINER! Tut dir nicht gut!

Otto:(Verschluckt sich am Ei) Wie bitte?

Beate: Geh in die Düne, und denk nach. Und nimm dir die Jacke mit, es regnet, Gotto!

Er geht protestlos in die Düne. Nach einer Weile kommt er weinend zurück.

Otto: Beate … Beate!?

Beate:(Streichelt ihn) Soll ich Beckenbauer anrufen oder tust du es?

Zweite Szene.

Es ist Samstagnachmittag. Der oberste Findungskommissar Beckenbauer mit seiner derzeitigen Lebensgefährtin bei Kaffee und Zwetschgenkuchen in Herzogenaurach kurz vor einem Adidas-Empfang auf der Terrasse.

Beckenbauer: Herrlicher Ausblick! (Beißt in den Zwetschgenkuchen) Spatzl, weißt du, wie viel ich krieg’, dafür, dass ich der Kopf der TFK bin, Trainerfindungskommission, abgekürzt TFK? (Lacht) Ich les Bild und das nennen die Kopf der Kommission! (Schüttelt sich) Bundestrainer?! (Schüttelt sich noch mehr) Mit dieser Gurkentruppe!! In zwei Jahren, nach der Vorrunde bei der WM, ist der Rehhagel wieder da, wo er hingehört: Rot-Weiß Essen! (Blickt kaiserlich über Herzogenaurach) Die werden scheitern. An Albanien! An Albanien oder Moldawien scheitern … (Lächelt. Schaut seine derzeitige Lebensgefährtin an) Puder mir die Stirn! Ich hab’ gleich noch ’n TV-Spot!!

Sein Handy klingelt.

Beckenbauer: Beckenbauer! … Servus Otto, grüß Gott! Du, die Bild hat dich mit Sokrates verglichen (lacht), na ja, ein bisschen übertrieben (ernster), ich bin ja mal mit Goethe gleichgesetzt worden, schau’n mer mal. Ich ess grad Zwetschgenkuchen, gibt’s in Griechenland ja gar nicht (lacht), da muss der Otto schon nach Deutschland kommen, was? Mal im Ernst, wer sonst soll’s richten? Fünf Millionen, geht klar, du, der Gerhard, meine derzeitige Lebensgefährtin sagt immer Gerhard Mayer-Nachfolger-bitte (lacht), na ja, Scheißwitz, Frauen und Fußball, wurscht. Im DFB räum ich bis Weihnachten auf, keine Sorge. Stell dir vor, wir haben eine WM, zwei Präsidenten, aber null Bundestrainer! (Brüllt vor Lachen) Otto, aber wir beide, wir richten’s! Bedenk, dass du aus Essen kommst und jetzt Bundestrainer … Was warst du noch? Manndecker? Vogts war linker Verteidiger, immerhin, aber Manndecker? Einen Manndecker hatten wir noch nicht, Honecker war Dachdecker … Wie? (Er stoppt) … Was sagst du da, Otto? Was?? (Lässt den Hörer sinken. Ihm fallen Zwetschgen aus dem Mund)

Seine derzeitige Lebensgefährtin: Ist dir nicht gut?

Beckenbauer: Wann kommt bei uns zu Hause die Müllabfuhr?

Seine derzeitige Lebensgefährtin: Wieso?

Beckenbauer: Lothars ungarische Handynummer!

Er bricht fluchtartig ohne TV-Spot und Adidas-Empfang und die Zwetschgen gänzlich ausspuckend auf, zur Mülltonne.

Dritte Szene.

Lothar Matthäus und irgendeine ungarische oder ukrainische Blondine im Schlafzimmer. Eine Nacht wie viele Nächte.

Matthäus: Ich kann nicht schlafen.

Blondine: Soll ich noch mal?

Matthäus: Nein. Gib mir mal eben deine Puppen.

Er nimmt eine Puppe.

Matthäus: Guck mal, das ist jetzt Morten Olsen, der Däne!

Er starrt die Puppe finster an, will mit der Puppe Voodoo machen, verwechselt es aber mit Judo und ringt die Puppe mit unfairen Mitteln nieder. Am Ende reißt er ihr den Kopf ab.

Blondine: Spinnst du?

Matthäus: Morten Olsen wird nicht mehr Bundestrainer! (Nimmt noch eine Puppe) Guck mal, Guus Hiddink! (Spuckt die Puppe an) Holländer!! (Wischt sich mit der Puppe den Hintern)

Blondine: Spinnst du? (Weint)

Matthäus: Schade, dass du nicht noch ’ne Puppe hast, sonst mach ich auch Hitzfeld fertig. (Spült Hiddink im Klo hinunter) Heul hier nicht rum, wir spielen jetzt ARD