Republik Vineta - Moritz Rinke - E-Book

Republik Vineta E-Book

Moritz Rinke

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Beschreibung

Fünf Führungskräfte haben sich unter der Leitung Robert Leonhards und seiner Assistentin zu einer geheimen Planungskonferenz zurückgezogen. In einer abgeschiedenen Villa arbeiten sie an dem Projekt «Vineta», einer neuen Stadt und einem «Themenpark der untergegangenen Träume», die auf einer unbewohnten Insel entstehen sollen. Die ersten Frachtschiffe sind schon unterwegs, da lässt Leonhard, dem offensichtlich Zweifel kommen, den Stararchitekten Sebastian Färber holen, der das allgemein beschlossene Konzept verwirft. Ideologische Gräben tun sich auf, unter den Männern entbrennt ein hemmungsloser Machtkampf, der auch Mordpläne nicht scheut. Dies jedoch ist erst der Anfang einer ganzen Kette tragikomischer Entwicklungen.

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Seitenzahl: 105

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Moritz Rinke

Republik Vineta

Ein Stück in vier Akten

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Über Moritz Rinke

Moritz Rinke, geboren 1967 in Worpswede, studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Gleichzeitig schrieb er Kolumnen und Reportagen. Von 1994 bis 1996 arbeitete er beim Berliner Tagesspiegel. Für seine Reportagen erhielt er zweimal den renommierten Axel-Springer-Preis. 1995 debütierte er als Dramatiker mit «Der graue Engel». «Republik Vineta» wurde in der Kritikerumfrage der Zeitschrift Theater heute

Inhaltsübersicht

PersonenWidmung1. Akt2. Akt1. Szene2. Szene3. Akt4. Akt

Personen

HANS MONTAG

JOHANN BEHRENS

FRITZ FELDMANN-SEE

LUTZ BORN

KLAUS HAGEMANN

SEBASTIAN FÄRBER

ROBERT LEONHARD

NINA SEILER

URSULA FELDMANN-SEE

ROSA und ROSANA SELIGMANN,kommend aus Amerika

Das Stück spielt heute.

Zwischen dem 1. Akt und dem 4. Akt liegen etwa 5 Wochen.

Dem Schauspieler Ulrich Matthes gewidmet

1. Akt

Ein großer Raum. Halblinks eine Konferenztafel mit sechs Stühlen. Eine riesige Pinnwand mit Plänen, Skizzen, Seekarten, Zahlen. Dahinter weht leicht ein Vorhang, und es ist, als höre man draußen das Rauschen eines Waldes oder die Wellen eines Meeres. In der Mitte hinten eine offenstehende, große, renovierungsbedürftige Flügeltür. Daneben ein baufälliger Kamin mit Sessel. Irgendwo im Raum ein Kaffeeautomat. Hinten rechts eine große, schon etwas poröse Marmortreppe, die auf die Galerie führt und zu den oberen Zimmern. Vorne links an der Seite ein offener Eingang. Von oben herab hängt ein alter Kronleuchter. Jetzt von links herein Sebastian Färber mit Mantel und Koffern. Er schaut sich um. Er geht auf die Marmortreppe zu. Schaut hinauf. Wartet. Geht zur Flügeltür. Steht insgesamt etwas indisponiert im Raum und sieht plötzlich Nina Seiler, die oben von der Galerie kommend mit einem Stuhl – darauf große, zusammengerollte, an ihrem Körper abgestützte Papierbögen und eine Tüte Milch – zur Treppe läuft. Ihr folgend: Hans Montag.

MONTAG:

Wissen Sie, es ist so schwer auszudrücken, aber durch Sie, da bekomme ich diese Bilder. Also, das sind so Erinnerungen, die ich eigentlich gar nicht haben kann, unmöglich haben kann. Hab ich aber! Es ist vielleicht ein Zauber, ich versuche es auszudrücken!

NINA:

(bleibt stehen) Lieber Hans Montag. Ich bin etwas in Eile, wenn Sie’s einfach in einem Satz sagen könnten.

MONTAG:

Gut, hier ist der Satz: Ich spreche gerade mit einer Frau, die kurze Zeit später meine Mutter wird!

Nina läuft weiter die Treppe herunter.

MONTAG:

Erschrecken Sie nicht! Ich sagte doch: Es ist ein Zauber! Wenn ich Sie da jetzt zum Beispiel so langlaufen sehe, dann habe ich das Gefühl, ich wäre mein eigener Vater auf einem Schwarzweiß-Foto und Sie …

NINA:

Herr Montag, bitte! Ich trage einfach nur einen Stuhl die Treppe hinunter. Ich weiß nicht, was das mit Ihrer Mutter zu tun haben soll. Das ist vielleicht ein Job hier! Sagen Sie mir lieber, was eine «FA» ist? Hagemann wirft mit Begriffen um sich, die versteht doch kein Mensch! Hier, die Milch!

MONTAG:

Sie sind eine zeitlose Frau. In Ihnen vereinigen sich Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart. Schließe ich die Augen, sehe ich Sie aus der Haustür meiner Kindheit gehn. Öffne ich sie: Stehen Sie da in heutiger Farbe. Nur das wollte ich sagen. Eine FA ist eine Fehleranalyse. Danke. (Geht oben auf der Galerie ab)

Nina läuft die Treppe herunter. Färber geht schnurstracks diagonal durch den Raum, damit sie denkt, er sei nicht Zeuge dieser Szene geworden, sondern just zur Tür herein- und augenblicklich angekommen. Sie stoßen fast zusammen.

FÄRBER:

Oh. Entschuldigung. – Guten Tag. Ich bin gerade angekommen. Ich dachte, ich müsste vielleicht diese Treppe hinauf?

NINA:

Guten Tag. – Sind Sie …

FÄRBER:

Ja, bin ich.

NINA:

Nina Seiler.

FÄRBER:

Guten Tag. (Stellt seine Koffer ab. Will ihr die Hand geben, was nicht geht, sonst müsste sie alles fallen lassen)

NINA:

Guten Tag. Das wär jetzt ein bisschen kompliziert. Ich wollte gerade einen Stuhl da hinstellen. Der ist für Sie gedacht. (Geht weiter)

FÄRBER

(geht hinterher) Darf ich Ihnen etwas abnehmen?

NINA:

Geht schon. (An der Konferenztafel) Möchten Sie hier sitzen? Er wollte nämlich, dass Sie an seiner Seite sitzen. (Platziert den Stuhl. Nimmt die Papierrollen)

FÄRBER:

Ja. Gut. Danke. – Guten Tag. (Gibt ihr die Hand)

NINA:

Guten Tag. Ich rufe jetzt Herrn Leonhard und sage ihm, dass Sie schon da sind. Bis später.

FÄRBER:

Ja. Bis später.

Nina ab. Färber schaut die Konferenztafel hinunter. Er schaut auf die Pinnwand. Er geht wieder zur Marmortreppe. Nimmt aus seinem Mantel einen Zollstock und misst die Höhe der ersten Treppenstufe und der zweiten. Nimmt wieder seine Koffer. Er geht durch den Raum. Robert Leonhard kommt durch die Flügeltür, im Laufen eine Akte lesend.

LEONHARD:

Entschuldigen Sie mich, komme gerade aus einer Besprechung. Ich hoffe, Sie hatten trotz dieses Unwetters eine gute Reise. Es dauert ja alles ein bisschen länger zu uns hier hinaus, aber von Gotha ist es ja dann nur noch ein halbes Stündchen mit dem Taxi. Wann haben Sie von Ihrer Berufung erfahren?

FÄRBER:

Gestern.

LEONHARD:

Habe viel von Ihnen gehört. Leonhard.

FÄRBER:

Färber. (Stellt seine Koffer ab)

Sie geben sich die Hand.

LEONHARD:

Bedeutender Ort hier. Sehen Sie dort den Kaminsessel? In dem hat Napoleon gesessen. 1812. Zwischenstation. Er arbeitete hier am Konzept für die Russlandinvasion.

FÄRBER:

In diesem Sessel?

LEONHARD:

Ja. Angriff über Smolensk. Ein paar Skizzen. Liegen oben. Es gibt sogar Pistolen. Original von Napoleon! Na gut. Zu Ihrem Zimmer, Nummer 12, geht es hier hinauf. Frühstück ist um acht im Speisesaal. Lunch und Dinner bestellen wir über einen Menüservice. Hier Ihre Schlüssel. Wie heißt es so schön: Handtücher, die Sie nicht mehr benutzen, lassen Sie einfach auf den Boden fallen.

FÄRBER:

Was ist das für eine menschliche Treppe!

LEONHARD:

Ja, eine sehr schöne Treppe, nicht?

Sie stehen vor der Marmortreppe.

LEONHARD:

Na, da kann ich ja endlich mal einen Experten fragen: Ist das eigentlich Barock?

FÄRBER:

Klassizismus.

LEONHARD:

Also doch.

FÄRBER:

Als solche Treppen gebaut wurden, hielt man sich noch an das Schrittmaß. Ich persönlich bemesse das menschliche Schrittmaß auf 60 bis 65 Zentimeter, das sich bei ansteigendem Weg verkürzt auf die Hälfte, also circa 30 Zentimeter. Sie müssen sich das jetzt so vorstellen: Ein schöner menschlicher Treppenschritt bedarf davon noch einmal die Hälfte, also eine Stufenhöhe von höchstens 15 Zentimetern. Moment. Ich mach Ihnen eine Skizze! (Zieht einen Stift)

LEONHARD:

Oh, nicht nötig. Schon verstanden. 15 Zentimeter. (Macht Notizen in seine Akte)

FÄRBER:

Also 10 Zentimeter wären ideal! Wenn ich aber heute neue Gebäude betrete, dann stehe ich keinen Treppen mehr gegenüber, sondern, ich würde sagen: Leitern! Weil, die Schrittlänge, die geht ja praktisch gegen null, also senkrecht. Natürlich kommen Sie mit so einer Konstruktion im Prinzip früher nach oben. Aber wie?!

LEONHARD:

Herr Färber, würden Sie Ihre Arbeit eigentlich als revolutionär bezeichnen? Ich sage revolutionär, weil, ich habe irgendwo gelesen: Färber, also Sie, stehen für die «Gegenmoderne».

FÄRBER:

Ich weiß nicht, wer das geschrieben hat, aber ich würde ja nicht so lange über eine Treppenstufe reden, wenn ich damit nicht generell meine: Die Gegenmoderne ist der Kampf gegen das rein zweckhafte Denken. Sie ist ihrem Wesen nach eine Revolution der Neuen Rückbesinnung.

Leonhard macht Notizen. Nina mit großen weißen Papierbögen und Klebeband.

LEONHARD:

Ja, das ist Nina Seiler, ich würde sagen, die Seele des Hauses. Sie haben sie ja schon kennengelernt.

FÄRBER:

Ja. – Hallo.

NINA:

Hallo. Wir haben uns jetzt schon ungefähr siebenmal begrüßt.

Sie schauen sich an.

LEONHARD:

Aha. Also sie wehrt sich gegen etwas, das um sich greift, und will irgendwohin wieder zurück, wo es einmal besser war?

Nina klebt die Bögen an die Pinnwand.

FÄRBER:

Entschuldigung. Wer will jetzt genau wieder zurück?

LEONHARD:

Na, die Neue Rückbesinnung, dachte ich.

FÄRBER:

Genau! Da haben Sie recht. (Geht mit Koffern die Treppe hoch) Schauen Sie! Bei den Treppen fangen wir an! Es geht doch darum, dass die Menschen auch während des Steigens wieder an etwas anderes denken als an das: Wie lange noch? Die Philosophen haben, während sie in Rom ihre Hügel bestiegen, ganze Weltentwürfe durchdacht. Steigen Sie mal heute eine x-beliebige Treppe hoch, und versuchen Sie zu denken: Wie sind die Sterne entstanden? Der Himmel und die Erde? Warum tauchten Pflanzen und Tiere auf, und wie war das, als sich die Menschen auszubreiten begannen? – Soll ich die Bögen halten, und Sie kleben?

NINA:

Danke. Ich glaube, es geht schon.

LEONHARD:

Herr Färber, gut, dass Sie bei uns sind. Ich könnte mich stundenlang mit Ihnen über diese Treppe unterhalten, aber ich muss das Plenum vorbereiten. Nina, erinnern Sie mich, dass um kurz nach drei die Lloyd-Werke anrufen, die haben Nachrichten für uns.

NINA:

Okay, mach ich, Herr Leonhard. Hier ist ein Brief aus Amerika. Von einer Rosa Seligmann, Kalifornien, an Villa Seligmann, zu Händen Robert Leonhard. Verstehen Sie das? Wieso denn Villa Seligmann?

LEONHARD:

Gib her.

NINA:

(zu Färber) Bis später. (Geht)

LEONHARD:

(schaut auf den Brief) – So. Ich werde Sie um drei mit dem Team bekannt machen. Geht das mit den Koffern?

FÄRBER:

(misst) Großartig. Überall 10 Zentimeter eingehalten!

LEONHARD:

Nach der letzten Stufe bitte nach rechts. Nummer 12. Also hier um drei. Willkommen, Herr Färber.

FÄRBER:

Danke. (Er geht auf der Galerie ab.)

Leonhard will den Brief öffnen. Auf der Galerie, gegenüber der Treppe, geht die Tür auf, und Johann Behrens im Anzug läuft feierlich die Treppe hinunter.

BEHRENS:

(im Hinunterlaufen) Herr Dr. Leonhard, ganz im Vertrauen, ich habe mir das überlegt: In Weinheim werde ich in zwei Jahren alles erreicht haben, und dann müssen neue Herausforderungen her. (Bleibt stehen) Lassen Sie es mich so sagen: Einer meiner Grundsätze war immer, das Leben nach vorne hin ereignisoffen zu gestalten. (Läuft weiter) Das heißt: Wenn Vineta steht, werde ich vor Ort sein, wenn man denn will. (Kommt unten an) Kurz: Ich kandidiere!

LEONHARD:

Herr Behrens, es ist ja noch ein bisschen hin, aber was wir brauchen, ist ein Kandidat, der von der ersten Stunde an für diese Idee gelebt hat.

BEHRENS:

(feierlich) Herr Dr. Leonhard, schon als ich den ersten Bebauungsplan dort an der Pinnwand hängen sah: …

LEONHARD:

Ich muss Ihnen allerdings gleich sagen: Die Delta AG entscheidet. Man hat Sie für die Planungsgruppe ausgesucht, aber wen die dann am Ende vor Ort …

BEHRENS:

Das weiß man nie. Aber die werden ja nicht Sie für den Kopf der Planungsgruppe ausgesucht haben, ohne Sie dann am Ende zu fragen, ob Sie denn vielleicht eine besondere Empfehlung …

LEONHARD:

Schon klar.

BEHRENS:

Zigarre?

LEONHARD:

Nein danke.

BEHRENS:

Weinheim hat genau die Größe von Vineta! 50 Komma 8 Quadratkilometer! Ich meine, das kann doch kein Zufall sein? Hat mein Stellvertreter, Herr Klose vom Gemeinderat angerufen?

LEONHARD:

Soeben ist übrigens Färber eingetroffen.

BEHRENS:

Wer ist bitte eingetroffen?

LEONHARD:

Ich sagte, Färber ist eingetroffen, der Berliner Architekt. Herr Behrens, das Projekt wird noch einmal kurzfristig eine andere Richtung nehmen. Färber steht für eine neue Tendenz. Eine Art Neue Rückbesinnung gegen das rein Zweckhafte, die mir, auch der Delta AG, geradezu einleuchtend erscheint für das, was wir am Ende verkaufen wollen. Es könnte also sein, dass sich hier der eine oder andere in Zukunft etwas zurücknehmen muss. Ist das klar?

BEHRENS:

 – Ah ja, Sie sind der Kopf, klarer Fall, aber ich habe auch neue Ideen, Herr Dr. Leonhard. (Erneut feierlich) Ich habe zum Beispiel einmal nachgedacht über einen Tunnel. Stellen Sie sich vor: Wir bauen den größten europäischen Tunnel! Er verbindet Vineta mit dem Festland, wie Frankreich mit Großbritannien! Wir befördern die Menschen nicht nur im Luftraum. Wir befördern sie nicht nur auf dem Seeweg. Sondern, Herr Dr. Leonhard, unterirdisch, vor allem: unterirdisch! Schauen Sie: drei Ebenen der simultanen Beförderung: Erste Ebene: Luft. Zweite Ebene: Wasser. Dritte Ebene: …

LEONHARD:

Herr Behrens, ich spreche hier von der Gegenmoderne, und Sie kommen mir mit simultaner Beförderung. Auf Vineta steht noch nicht einmal ein einziges Verkehrsschild!

Montag mit sieben großen Sonnenblumen hereinlaufend. Er ist nass.

MONTAG:

Signorina Seiler? (Sieht die anderen) Mahlzeit. Also, ich dachte, Plenum wär erst um drei? – Es regnet. (Zieht eng beschriebene Papierblätter aus der Tasche)